Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
1. Bei fehlenden Besonderheiten in der Person des Klägers kann eine Wohnsitzzuweisung nach § 12a Abs. 3 AufenthG ermessensfehlerfrei in Anlehnung an den Integrationsschlüssel des § 4 AWoV NRWgetroffen werden.2. Zur Vereinbarkeit des § 12a Abs.1, 3 AufenthG mit höherrangigem Recht
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im Jahr 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 6. September 2018 wurde ihm der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt.
3Bei seiner vorhergehenden Anhörung in der zentralen Unterbringungseinrichtung E. am 22. August 2018 äußerte er den Wunsch, nach L. zugewiesen zu werden. Eine nähere Begründung hierzu gab er nicht an.
4Mit Bescheid der C. B. vom 24. September 2018 wies das beklagte Land den Kläger nach § 12a Abs. 1 S. 1, Abs. 3 und Abs. 9 AufenthG i.V.m. § 5 der Ausländerwohnsitzregelungsverordnung NRW (AWoV) der Gemeinde I. , N. Kreis, zu und verpflichtete ihn, drei Jahre ab der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger in seiner Anhörung keinerlei Gründe vorgetragen habe, die dieser Zuweisung entgegenstünden. Die Voraussetzungen für eine Zuweisung nach § 12a Abs. 1, Abs. 3 Abs. 9 AufenthG i.V.m. § 5 AWoV lägen vor. Ausschlussgründe nach § 12a Abs. 1 S. 2 AufenthG seien nicht erfüllt. Das durch § 12a Abs. 3 AufenthG eröffnete Ermessen werde in seinem Fall dahin ausgeübt, dass er zur Förderung einer nachhaltigen Integration der genannten Gemeinde zugewiesen werde. Die Wohnsitzverpflichtung diene der Förderung der Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Wohnsitzverpflichtung würden insbesondere die Versorgung mit angemessenem Wohnraum und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erleichtert. Nach § 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 AWoV erfolge die Zuweisung entsprechend dem Integrationsschlüssel des § 4 AWoV. Dieser bilde die in § 12a Abs. 3 AufenthG genannten Integrationskriterien des Wohnungsmarktes und des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes ab. Darüber hinaus berücksichtige er auch, ob die Integrationsinfrastruktur bestimmter Kreise oder Gemeinden in der Vergangenheit durch weitere Umstände belastet sei. Die Zuweisung berücksichtige die individuelle Integrationsfähigkeit der Gemeinden und wirke damit einer integrationshemmenden sozialräumlichen Konzentration entgegen. Besondere Gründe, insbesondere Gründe nach § 5 Abs. 2-6 AWoV, die im Fall des Klägers einer Wohnsitzverpflichtung entgegenstehen oder aber die Zuweisung in eine andere Gemeinde oder für eine kürzere Dauer gebieten könnten, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
5Hiergegen hat der Kläger am 27. September 2018 Klage erhoben. Er macht geltend, die Wohnsitzverpflichtung des § 12a AufenthG verstoße gegen höherrangiges Recht. So habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits früher entschieden, dass Freizügigkeitsbeschränkungen bei Schutzberechtigten nicht auf fiskalische Gründe gestützt werden dürften. Es sei seinerzeit offen gelassen worden, ob andere, etwa integrationspolitisch motivierte Gründe herangezogen werden dürften. Tatsächlich aber sei die Praxis der Wohnsitzverpflichtung gegenüber Schutzberechtigten eine bloße Fortführung der im Asylverfahren erfolgten Verteilung, deren Schlüssel ausschließlich fiskalischer und ordnungspolitischer Natur sei. Eine Prüfung integrationspolitischer Ziele finde nicht statt. Sie führe zu unverhältnismäßigen Trennungen von Familien mit Ausnahme der Kernfamilie.
6Im Fall des Klägers sei kein besonderer Integrationsbedarf zu erkennen. Er sei aufgrund seiner früheren Tätigkeiten als Verkäufer für verschiedene Autokonzerne (BMW, Mecedes) nicht auf den Bezug öffentlicher Leistungen angewiesen. Einer qualifizierten Erwerbstätigkeit stünden derzeit allein die mangelnden Deutschkenntnisse entgegen. Insoweit habe er bereits aus eigenen Mitteln einen Sprachkurs beim Goethe-Institut in E. angemeldet.
7Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
8den Bescheid des Beklagten vom 24. September 2018 aufzuheben.
9Das beklagte Land beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen.
11Es verweist auf die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein - Westfalen (OVG NRW) im Beschluss vom 4. September 2018 Az - 18 A 256/18 - und des VG Arnsberg vom 10. September 2020 Az - 10 K 687/18 -. Nach Maßgabe der in diesen Entscheidungen genannten Anforderungen seien die Voraussetzungen für eine Zuweisung des Klägers erfüllt. Die bloße Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme reiche für die Aufhebung oder Änderung der Wohnsitzbeschränkung nicht aus. Sollte sich diese verwirklichen, habe er jederzeit die Möglichkeit, einen Antrag auf Aufhebung der Wohnsitzzuweisung nach § 12a Abs. 5 AufenthG zu stellen. Bei der Prognoseentscheidung über die Förderung der nachhaltigen Integration des Klägers in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland seien im gewissen Umfang typisierende bzw. pauschalierende Annahmen gerechtfertigt.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
13Entscheidungsgründe:
14Die Berichterstatterin entscheidet im Einverständnis der Beteiligten allein und ohne mündliche Verhandlung. Das beklagten Land hat hierzu mit Schriftsatz vom 18. Februar 2021 und der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 23. Februar 2021 sein Einverständnis erklärt.
15Die zulässige Klage ist unbegründet.
16Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid des beklagten Landes vom 24. September 2018 ist § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Danach kann ein Ausländer, der einer bundeslandbezogenen Wohnsitzverpflichtung nach § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegt, innerhalb von sechs Monaten nach Anerkennung u.a. als subsidiär Schutzberechtigter oder erstmaliger Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verpflichtet werden, längstens bis zum Ablauf von drei Jahren seit seiner Anerkennung oder Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seinen Wohnsitz an einem bestimmten Ort zu nehmen, wenn dadurch seine Versorgung mit angemessenem Wohnraum (Nr. 1), sein Erwerb hinreichender Deutschkennnisse im Sinne des Niveaus A 2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Nr. 2) und unter Berücksichtigung der örtlichen Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (Nr. 3) erleichtert werden kann.
17Die Kammer geht mit der ganz überwiegenden Rechtsprechung davon aus, dass § 12a Abs. 1, Abs. 3 AufenthG mit höherrangigem Recht vereinbar sind,
18vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. September 2018 – 18 A 256/18 m.w.N. vor allem zur Freizügigkeit nach Art. 33 RL 2011/95/ EU, und zur allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art 2 Abs. 1 GG; OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. August 2017 - 8 ME 90/17, zitiert nach juris; OVG Sachsen, Beschluss vom 3. August 2020 - 3 A 458/20 -, zitiert nach juris; VG Köln, Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2017 - 5 K 1559/17, zitiert nach juris.
19Die Vorschrift verstößt zunächst weder gegen Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) noch gegen Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie- QRL).
20Nach Art. 33 QRL gestatten die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Nach der Rechtsprechung des EuGH stehen die Art. 29, 33 QRL daher grundsätzlich einer Wohnsitzauflage entgegen, die einer Person mit subsidiärem Schutzstatus allein aus fiskalischen Gründen erteilt wird. Danach ist zum Beispiel eine Wohnsitzauflage rechtswidrig, die im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen angeordnet wird, um eine angemessene Verteilung der damit verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, sofern eine solche Maßnahme nicht auch Angehörigen des Mitgliedstaats selbst im Fall des Bezugs der genannten Sozialleistungen oder Drittstaatsangehörigen auferlegt wird, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsstaat des Mitgliedstaats aufhalten. Dagegen steht Art. 33 QRL einer Wohnsitzauflage nicht entgegen, sofern sie der Integration der von ihr erfassten Personengruppen dient und diese sich im Hinblick auf dieses Ziel nicht in einer Situation befinden, die mit der anderer Drittstaatsangehöriger objektiv vergleichbar ist,
21vgl. EuGH, Urteil der Großen Kammer vom 1. März 2016 - C 433/14 u.a., zitiert nach juris.
22Danach steht § 12a Abs. 3 AufenthG mit Art. 33 QRL im Einklang, weil die Vorschrift entgegen der Auffassung des Klägers keine fiskalischen Ziele verfolgt, sondern die Integration von Personen, die Asyl, Flüchtlingsschutz oder internationalen Schutz genießen, erleichtern soll. Die Vorschrift bewirkt, dass die Betroffenen in allen Bundesländern gemäß dem im Asyl- oder Aufnahmeverfahren verwendeten Aufnahmeschlüssel ansässig werden (§ 12a Abs. 1 AufenthG), innerhalb des Landes nach den in § 12a Abs. 3 AufenthG genannten integrationsfördernden Kriterien weiterverteilt werden und in den ersten drei Jahren nicht umziehen. Dies verbessert die Planbarkeit von Integrationsmaßnahmen. Einer Konzentration von Gruppen gleicher Staatsangehörigkeit oder ethnischer Zugehörigkeit auf einzelne Bundesländer über das in der Verteilung angelegte Maß hinaus wird entgegengewirkt. Dies ist geeignet, insbesondere interethnische Kontakte und den Spracherwerb zu forcieren. Es wirkt einer integrationshemmenden Segregation entgegen. Zugleich kann damit gerechnet werden, dass sich die Aufnahmebereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft durch die möglichst gleichmäßige Verteilung erhöht,
23vgl. Gesetzesbegründung, BTDrucks. 18/8615 S. 42f.
24Bezogen auf diesen von § 12a Abs. 3 AufenthG verfolgten Integrationszweck bestehen auch objektive Unterschiede zu Ausländern mit anderem Aufenthaltszweck als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen, weil Flüchtlinge und international Schutzberechtigte sich größeren Integrationsschwierigkeiten gegenübersehen als andere Ausländergruppen, die ihren Aufenthalt planen und vorbereiten konnten und keine traumatischen Fluchterfahrungen erleben mussten.
25Ihre Voraussetzungen hinsichtlich Sprache, Qualifikation und Motivation unterscheiden sich wesentlich von denen anderer zugewanderter Drittstaatsangehöriger wie Arbeitsmigranten oder Familiennachzügler. Drittstaatsangehörige, die nicht zu den in § 12a Abs. 1, Abs. 3 AufenthG genannten Schutzbedürftigen zählen, haben sich häufig bereits längere Zeit im Voraus und nicht unter dem Druck von Krieg oder Verfolgung vor ihrer Einreise nach Deutschland mit den hiesigen Bedingungen vertraut machen können und sich zum Teil einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz verschafft sowie mit dem Spracherwerb begonnen. Damit haben sie einen signifikanten Integrationsvorsprung gegenüber Menschen, die kurzfristig und ohne die Möglichkeit einer integrationsfördernden Vorbereitung im Bundesgebiet Schutz suchen.
26Auch ein Verstoß gegen Art. 26 GFK liegt nicht vor. Nach Art. 26 GFK gewährt jeder vertragsschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, Freizügigkeit, die grundsätzlich auch das Recht umfasst, ihren Aufenthalt zu wählen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden. Die Vorschrift macht Beschränkungen der Freizügigkeit nicht von einer Ausländergleichbehandlung schlechthin, sondern von einer Gleichbehandlung mit Ausländern, bei denen die Beschränkung unter den gleichen Umständen erfolgt, abhängig. Damit werden insbesondere Differenzierungen nach dem Aufenthaltszweck ermöglicht und aufgrund von Problemen, die sich aus der Wohnsitznahme gerade von Flüchtlingen und Personen in einer vergleichbaren Lage ergeben können. Diese Erwägung liegt auch der dargestellten Rechtsprechung des EuGH zu Art. 33 der Anerkennungsrichtlinie zugrunde, so dass Art. 26 GFK kein weiterreichendes Freizügigkeitsrecht vorsieht,
27vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Dezember 2019, § 12a Rdnr. 11f.
28Aus diesen eine Differenzierung rechtfertigenden Gründen ist § 12a Abs. 3 AufenthG auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der durch die Wohnsitzverpflichtung des § 12a Abs. 3 AufenthG gegebene Eingriff in das für Ausländer (nur) durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Freizügigkeitsrecht ist verfassungsrechtlich ebenfalls gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Die Regelung verfolgt den oben dargestellten legitimen Zweck, die Integration der Schutzsuchenden zu erleichtern und ist dazu unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber zustehenden Einschätzungs- und Prognosespielraums wie oben gezeigt auch geeignet. Zur Erreichung des Integrationszwecks ist die Wohnsitzbeschränkung angemessen. Zwar stellt die freie Wahl des Wohnsitzes eine wichtige Freiheit dar. Eine räumliche Beschränkung der allgemeinen Bewegungsfreiheit ist damit aber nicht verbunden. Die Belastung besteht für den noch überschaubaren Zeitraum von drei Jahren. Sie tritt nicht ein, wenn bereits erste Integrationsschritte insbesondere durch Aufnahme einer Ausbildung oder Beschäftigung erfolgt sind. In weiteren Fällen, in denen der Einfluss der Wohnsitzbeschränkung auf die Lebensumstände besonders weitgehend sein könnte, ermöglicht § 12a Abs. 5 AufenthG deren Aufhebung.
29Im Fall des Klägers liegen auch die Voraussetzungen für eine Wohnsitzzuweisung nach § 12a Abs. 3 AufenthG vor. Eine Anhörung des Klägers vor Erlass des angefochtenen Bescheides ist erfolgt.
30Auch die materiell - rechtlichen Voraussetzungen des § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind hier erfüllt. Die Kammer stellt mit der bislang hierzu ergangenen überwiegenden Rechtsprechung,
31vgl. VG Köln, Urteil vom 14. November 2017 – 5 K 2265/17, zitiert nach juris; VG Arnsberg, Urteil vom 10. September 2020 – 10 K 687/18 -; a.A. VG Münster, Beschluss vom 26. November 2019 - 8 L 1025/19 für die Verteilung von unerlaubt eingereisten Ausländern nach § 15a AufenthG,
32auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts ab. Zwar handelt es sich bei der für eine längere Zeitdauer fortgeltenden Wohnsitzzuweisung um einen Dauerverwaltungsakt. Das hierfür speziell geregelte Aufhebungsverfahren in § 12a Abs. 5 AufenthG, das auf bestimmte Gründe beschränkt ist, würde jedoch weitgehend ausgehebelt, wenn jede Änderung in der Zeit zwischen Erlass des Verwaltungsakts und Entscheidung des Gerichts noch im (gerichtlichen) Verfahren gegen den Ursprungszuweisungsverwaltungsakt berücksichtigt werden müsste. Daher kann offenbleiben, ob der Kläger zwischenzeitlich ausreichende Deutschkenntnisse erworben oder eine Arbeit aufgenommen hat. Dies muss er gegebenenfalls selbst im Rahmen eines Abänderungsverfahrens geltend machen.
33Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG liegen vor. Der Kläger zählt wie nach § 12a Abs. 3, Abs. 1 AufenthG erforderlich zum Kreis der Personen, die nach § 12a Abs. 1 AufenthG einer bundeslandbezogenen Wohnsitzverpflichtung unterliegen. Er wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 6. September 2018 als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt und war daher nach § 12a Abs. 1 AufenthG verpflichtet, während der Dauer von drei Jahren nach Anerkennung oder erstmaliger Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seinen Wohnsitz in dem Land zu nehmen, in das er zur Durchführung seines Asylverfahrens zugewiesen worden war. Drei Jahre seit dem Anerkennungsbescheid sind noch nicht vergangen. Ausschlussgründe nach § 12a Abs. 1 Satz 2 AufenthG sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
34Die Wohnsitzverpflichtung wurde auch noch innerhalb eines Monats nach Anerkennung als Schutzberechtigter und damit innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgesprochen, nämlich mit Bescheid vom 24. September 2018.
35Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch die weitere Voraussetzung erfüllt, dass die Zuweisung nach I. / N. Kreis die in § 12a Abs. 3 Nr. 1-3 AufenthG genannten Integrationskriterien erleichtern kann.
36Nach Auffassung der Kammer ist hierzu eine individuelle genaue Prüfung der örtlichen Verhältnisse betreffend ihre Infrastruktur am beabsichtigten Zuweisungsort im Vergleich zu anderen Orten und/ oder der individuellen Integrationsaussichten des jeweiligen Klägers nicht erforderlich,
37vgl. so aber VG Stuttgart, Beschluss vom 27. Juni 2019 – 8 K 2485/19-.
38Dagegen spricht schon der Wortlaut der Vorschrift, der die Förderung der kumulativ genannten Integrationsmerkmale nicht zur Bedingung für den Erlass einer wohnortscharfen Wohnsitzzuweisung macht, sondern lediglich fordert, dass dadurch die Integration des Betroffenen hinsichtlich dieser Kriterien erleichtert werden kann.
39Vielmehr reicht es zur Eröffnung des Handlungsspielraums des § 12a Abs. 3 AufenthG aus, wenn bezogen auf das Bundesland hinsichtlich der Integrationsmerkmale nach § 12 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1- 3 AufenthG die konkrete Gefahr besteht, dass ohne eine Verteilungsentscheidung, die grundsätzlich jeden der bundeslandbezogenen Wohnsitzverpflichtung unterliegenden Ausländer trifft, eine Verschlechterung der Integrationsmöglichkeiten jedes Ausländers beispielsweise durch Segregation in Ballungsräumen droht und der Rückgriff auf einen pauschalisierenden und typisierenden Verteilungsschlüssel eine Orientierung der Zuweisung an den Integrationskriterien des § 12a Abs. 3 AufenthG gewährleistet, ohne dass eines der Kriterien dabei außer Acht gelassen wird,
40vgl. so im Ergebnis auch VG Arnsbeg , Urteil vom 10. September 2020 - 10 K 687/18 -; Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Update Oktober 2020, § 12a Rdnr. 38a, 38b; Zühlke in HTK – AuslR, § 12a AufenthG, Stand 30. August 2019 Rdnr. 22 ff.
41Zum einen ist eine kumulative Erfüllung aller drei aufgeführten Integrationskriterien schon deshalb oft nicht sicher feststellbar, weil gerade die Integrationskriterien der Wohnraumversorgung und der örtlichen Lage am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in der Regel eine gegenläufige Tendenz aufweisen. In Kommunen mit starker Wirtschaftskraft und guten Arbeitsmarktaussichten ist nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage regelmäßig der Wohnraum knapp und entsprechend teuer. Zum anderen handelt es sich vor allem bei der Nr. 1 und Nr. 3 um auslegungsbedürftige und Wertungsspielräume eröffnende Formulierungen, die sich sachgerecht nur im Rahmen einer Gesamtabwägung oder Gesamtprognose beurteilen lassen. Einen kommunenscharfen Vergleich der Integrationschancen in denkbaren Zuweisungsorten ist in einem Massenverfahren wie dem der Wohnsitzzuweisung von den zuständigen Behörden nicht leistbar. Wie gezeigt wird eine solch weitreichende Vorgabe auch durch die „weiche“ Formulierung des Gesetzes („erleichtert werden kann“), die lediglich die generelle Geeignetheit in einer bestimmten Zielrichtung verlangt, nicht gestützt.
42Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 12a AufenthG. In der Begründung des Gesetzentwurfs ist die Rede davon, es würden sachgerechte, generelle integrationsfördernde Kriterien bezeichnet,
43vgl. BT Drucks. 18/8615 S. 44.
44Hieran hat der Gesetzgeber auch bei der Entfristung der Wohnsitzregelung nach § 12a AufenthG festgehalten, in dem nun neben diesen für eine gelingende Integration besonders bedeutsamen Kriterien weitere Umstände berücksichtigt werden können,
45vgl. BT-Drucks. 19/8692 S. 10. zu Buchstabe c.
46Nach dem Sinn und Zweck des § 12a Abs. 3 AufenthG, die Integration aller erfassten Personen zu erleichtern, muss die Verteilung der großen Zahl von Schutzsuchenden landesweit koordiniert werden. Dies wäre nicht möglich, wenn in jedem Fall auf die konkret nachweisbaren Integrationsmöglichkeiten abgestellt werden müsste. Diese können hinreichend durch die vom Gesetz zur Verfügung gestellten Ausnahmegründe, wie z.B. in § 12a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erfasst werden.
47Hier hat sich das beklagte Land in aus Rechtsgründen nicht zu beanstandender Weise nach § 5 Abs. 1 Satz 2 AWoV an dem Integrationsschlüssel orientiert, der in § 4 AWoV niedergelegt ist. Dieser Integrationsschlüssel wird nach § 4 Abs. 2 AWoV gebildet aus dem Einwohneranteil der Gemeinden an der Gesamtbevölkerung des Landes mit einem Anteil von 80 vom Hundert, dem Flächenanteil der Gemeinden an der Gesamtfläche des Landes mit einem Anteil von 10 vom Hundert und dem Anteil der als arbeitslos gemeldeten erwerbsfähigen Personen an der Bevölkerung der Gemeinden mit einem Anteil von 10 vom Hundert. Dieser Integrationsschlüssel verringert sich nach § 4 Abs. 3 AWoV um 10 vom Hundert in Gemeinden, die von § 1 der Mietpreisbegrenzungsverordnung erfasst werden, d.h. in denen der Wohnraum besonders knapp ist, sowie um weitere 10 vom Hundert nach § 4 Abs. 4 AWoV bei Gemeinden, die einen näher bezeichneten erhöhten Anteil von Migranten aufweisen, die vom Bezug von Sozialleistungen abhängig sind. Damit orientiert dieser Integrationsschlüssel die Zahl der einer Gemeinde zuzuweisenden Ausländer an einer pauschalierenden und mengenmäßig an den Integrationskriterien des § 12a Abs. 3 Nr. 1- 3 AufenthG ausgerichteten Integrationskraft der Gemeinden und sichert eine gleichmäßige Verteilung aller Ausländer und Verhinderung der Konzentration von integrationshemmenden Gruppen gleicher Staatsangehörigkeit oder ethnischer Zugehörigkeit.
48Besondere atypische Gründe, die im Fall des Klägers eine Abweichung hiervon gebieten könnten, hat dieser nicht geltend gemacht. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der erst im Klageverfahren näher konkretisierten Berufserfahrung. Allein seine bisherige berufliche Erfahrung als Autoverkäufer deutscher Automarken in Saudi – Arabien begründet keine Sonderstellung des Klägers hinsichtlich der notwendigen sprachlichen, beruflichen und wohnraummäßigen Integration in Deutschland.
49Der Beklagte hat sein Ermessen in Orientierung an dem Integrationsschlüssel des § 4 AWoV auch im Übrigen entsprechend dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Ermächtigung und auch hinsichtlich der zeitlichen Dauer der Wohnsitzzuweisung ausgeübt. Anhaltspunkte für eine gebotene kürzere Dauer als die längstens vorgesehenen und in regelmäßiger Verwaltungspraxis ausgeschöpften drei Jahre hat er nicht gesehen. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2, § 711 der Zivilprozessordnung.
51Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erfolgt gemäß § 124a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, da in der Rechtsprechung bislang ungeklärt ist, wie die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass einer Wohnsitzzuweisung nach § 12a Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu verstehen sind.