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Soweit die Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern als Gesamtschuldner auferlegt.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Kläger sind die Eltern der am 00.00.1995 geborenen Schülerin I1. Diese besucht seit dem Schuljahr 2006/2007 die B2-Schule, städtische Realschule S, und befindet sich im Schuljahr 2007/2008 in der 6. Klasse.
3Mit Schreiben vom 26. Oktober 2007 stellten die Kläger einen Antrag auf Befreiung vom Schwimmunterricht für ihre Tochter. Eine inhaltliche Begründung für diesen Antrag wurde nicht gegeben.
4Mit Bescheid vom 31. Oktober 2007 lehnte die Beklagte den Antrag der Kläger ab und trug dabei vor, der Schwimmunterricht sei fester Bestandteil des Regelunterrichts und sei für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich. Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens müssten in einer akzeptablen, schwimmfähigen Badebekleidung am Schwimmunterricht teilnehmen. Insofern würde von der Tochter der Kläger erwartet, dass sie sich zur nächsten Schwimmstunde in eben dieser akzeptablen Badebekleidung (z.B. Leggins und Bermudashorts sowie langärmliges T-Shirt) zum Unterricht einfinde. Mit dieser Form der Badebekleidung trage die Schule durchaus auch den besonderen Bedürfnissen muslimischer Schülerinnen Rechnung.
5Gegen diese Ablehnung legten die Kläger mit Schreiben vom 17. November 2007 dem Inhalt nach Widerspruch ein. Diesen begründeten sie damit, dass hier eine Befreiung vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen erfolgen müsse. Sie und ihre ganze Familie seien als praktizierende Muslime den Geboten Allahs unterworfen; das Ausmaß der Unterwerfung sei in erster Instanz durch den Koran und in zweiter Instanz durch die Sunnah (Aussprüche und Praktiken des Propheten Mohammed) geregelt.
6Gemäß den islamischen Geboten erreiche ein Mädchen mit Vollendung des 9. Lebensjahres die Reife und unterliege somit den islamischen Rechten und Verpflichtungen. Zu den Pflichten einer islamischen Frau gehöre es, ihren Körper mit Ausnahme von Händen, und Gesicht zu verdecken und ihn vor fremden Blicken zu schützen. Das sei auch der Grund, weshalb ihre Tochter sich islamisch kleide und ein Kopftuch trage. Staatlichen Instanzen stehe es nicht zu, über die "Religionsunwichtigkeit" einer Gemeinschaft zu entscheiden. Es sei Wesensmerkmal jeder Religion und Weltanschauung, dass sie ihren Anhängern bestimmte Verhaltensregeln vorschreibe. Die in Artikel 4 GG enthaltene Bekenntnisfreiheit garantiere daher jedem Menschen das Recht, sein gesamtes Verhalten an diesen Lehren seines Glaubens auszurichten. Grundsätzlich sei damit auch das Recht geschützt, sich in einer bestimmten Weise zu kleiden, wenn die Religion eine solche Art der Bekleidung verlange. Die Grundrechte des Artikel 4 GG würden nach ihrem Wortlaut "schrankenlos" gewährt und gewährten auch für Schülerinnen und Schüler das Recht, auch in der Schule die Gebote ihrer Religion zu befolgen. Neben Artikel 4 GG gewähre Artikel 6 Abs. 2 GG den Eltern das Recht, ihre Kinder nach ihren Vorstellungen zu erziehen. Sie als Eltern bestünden daher auf ihrem Recht der freien religiösen Ausübung und auf das elterliche Recht, ihre Kinder nach ihren Wertvorstellungen und Normen zu erziehen.
7Sollte ihre Tochter am Schwimmunterricht teilnehmen müssen, müssten bestimmte Bekleidungsvorschriften eingehalten werden; der Schwimmunterricht müsse nach Geschlechtern getrennt von einer der Geschlechtergruppe entsprechenden Lehrkraft erteilt werden, die Räumlichkeiten müssten so verschlossen sein, dass auf keinen Fall das jeweils andere Geschlecht Zutritt bzw. Einblick in die Räumlichkeiten des anderen Geschlechts haben könne, gemeinsames Duschen sei weder für Mädchen noch für Jungen erlaubt und es müssten getrennte Duschkabinen vorhanden sein. Eine Bekleidung wie Leggins und Bermudashorts sowie langärmlige T-Shirts seien also nicht ausreichend für die Teilnahme am Schwimmunterricht.
8Mit Bescheid vom 10. Dezember 2007, abgesandt per Postzustellungsurkunde, wies die Bezirksregierung E den Widerspruch der Kläger gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten zurück. Dabei führte sie im Einzelnen aus, dass es der Tochter der Kläger in Abwägung der betroffenen Grundrechte zuzumuten sei, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag überwiege in diesem Einzelfall. Es sei nicht erkennbar, dass die Tochter der Kläger durch die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht in ihrem Glauben unverhältnismäßig eingeschränkt werde.
9Mit ihrer am 11. Januar 2008 erhobenen Klage begehren die Kläger weiterhin die Befreiung ihrer Tochter vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht. Zur Begründung tragen sie im Einzelnen vor, die von der Beklagten vorgeschlagene Bekleidung für den Schwimmunterricht ihrer Tochter entspreche nicht den islamischen Wertvorstellungen. Zwar könne sie Kleidung anlegen, die in einem gewissen Umfang nur die "erlaubten" Körperteile freilasse, jedoch sei eine solche Bekleidung zum Schwimmen völlig ungeeignet. Im nassen Zustand lege sich eine solche Bekleidung um den Körper und zeichne dadurch entgegen dem entsprechenden Verbot die Körperkonturen scharf umrissen ab. Das sei für ihre Tochter, bei der es sich um eine konsequent praktizierende Muslima handele, nicht tolerabel. Im übrigen lasse die Beklagte in der Gesamtschau auch völlig unberücksichtigt, dass über die Frage zur Zumutbarkeit der intendierten Schwimmbekleidung auch die relevanten Fragen der Kleidung und der Körperpflege berücksichtigt werden müssten. Es sei ihrer Tochter völlig untersagt, sich unbekleidet vor anderen Frauen zu zeigen oder andere Frauen derart zu sehen. Unbestritten sei auch, dass es Frauen untersagt sei, das Kopftuch auch nur vor Frauen in dem hier streitgegenständlichen Umfeld abzulegen. Selbst wenn entsprechende Vorkehrungen getroffen werden könnten, würde dies jedoch zu einer weiteren Verkomplizierung der Teilnahme am Schwimmunterricht führen, die zumindest subjektiv von ihrer Tochter als weitere Belastung empfunden werden würde. Eine derart exponierte Sonderrolle sei dem seitens der Beklagten vorgeschobenen Integrationsbedürfnis nicht mehr zuträglich, sondern bewirke das Gegenteil.
10Nachdem die Kläger zunächst beantragt haben,
11den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 10. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Befreiung ihrer Tochter vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht zu erteilen,
12und der Beklagten aufzugeben, im Rahmen der Notenvergabe auf dem Zeugnis an Stelle einer Benotung das Zeugnis mit dem Vermerk "nicht erteilt" zu versehen,
13beantragen sie nunmehr,
14den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 10. Dezember 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Befreiung ihrer Tochter vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht zu erteilen,
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung führt sie aus, die von den Klägern an die Teilnahme ihrer Tochter am Schwimmunterricht geknüpften Bedingung, einen nach Geschlechtern getrennten Unterricht durchzuführen, sei von ihr aus organisatorischen bzw. personellen Gründen nicht möglich; denn die Schule verfüge insoweit nur über zwei Fachlehrer, welche noch weitere - unterschiedliche - Unterrichtsverpflichtungen hätten. Im übrigen ist sie der Auffassung, dass es bereits objektiv nicht nachvollziehbar dargelegt sei, dass die Tochter der Kläger durch die Teilnahme am koedukativ erteilten Schwimmunterricht in einen Gewissenskonflikt gestürzt würde. Doch selbst wenn dies zu bejahen wäre, müssten die geltend gemachten Rechtspositionen aus Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 und Artikel 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz hinter dem staatlichen Erziehungsauftrag aus Artikel 7 Absatz 1 des Grundgesetzes zurücktreten. Denn dem staatlichen Erziehungsauftrag, insbesondere hier in der Form des Schwimmunterrichts im Sportunterricht , komme eine bedeutsame Funktion zu, weil er in besonderer Weise zur Erfüllung wichtiger überfachlicher Erziehungsaufgaben der Schule (Gesundheitsförderung, soziales Lernen und Regelbeachtung) beitrage. Der mit der Pflicht zum Besuch der staatlichen Schule und des gesamten Erziehungsprogramms einschließlich des Schwimmunterrichts verbundene Eingriff in die Grundrechte der Kläger stünde in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehende Gemeinwohlinteressen erwarten ließen. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Durch die vorgenannten Aspekte sei der Eingriff in die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht soweit abgemildert, dass die Zumutbarkeitsgrenze in der Gesamtschau - auch hinsichtlich einer Schülerin der 6. Klasse - nicht überschritten werde.
18Hinsichtlich des von den Klägern zunächst ebenfalls gestellten Antrages, im Rahmen der Notenvergabe auf dem Zeugnis an Stelle einer Benotung das Zeugnis mit dem Vermerk "nicht erteilt" zu versehen, haben die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe:
21Das Gericht hat das Rubrum hinsichtlich der Beklagten von Amts wegen geändert; denn weil gemäß § 43 Abs. 3 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein- Westfalen (SchulG) die Schulleiterin für die Befreiung vom Schwimmunterricht zuständig ist, ist sie auch zutreffende Beklagte.
22Soweit die Beteiligten das Verfahren für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, hat das Gericht es analog § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt.
23Die im übrigen noch anhängige Klage ist nicht begründet.
24Die Ablehnung der beantragten Befreiung der Tochter der Kläger vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht im Schuljahr 2007/2008 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren (Eltern-)Rechten; die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung einer entsprechenden Befreiung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25Nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG kann die Schulleiterin oder der Schulleiter Schülerinnen und Schüler auf Antrag der Eltern aus wichtigem Grund bis zur Dauer eines Schuljahres vom Unterricht beurlauben oder von der Teilnahme an einzelnen Unterrichts- oder Schulveranstaltungen befreien. Diese Vorschrift findet auf alle Unterrichtsfächer, also auch auf das Fach Sport Anwendung. Das Fach Sport ist für Schüler der 5./6. Klasse der Realschule ein gemäß § 3 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I (APO-SI) in Verbindung mit Anlage 2 zur APO-SI ein der allgemeinen Schulpflicht nach Artikel 8 Abs. 2 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen (LVerf NRW) in Verbindung mit § 29 SchulG unterliegendes Pflichtfach.
26Ein Anspruch der Kläger auf Befreiung ihrer Tochter vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht besteht hier nicht, weil in Würdigung der Umstände des Einzelfalles, wie sie von den Klägern vorgetragen worden sind, kein wichtiger Grund im Sinne der zuvor genannten Vorschrift vorliegt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes erlaubt eine Ausnahme von der dem staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz (GG) entsprechenden allgemeinen Schulpflicht. Jedoch ist angesichts der besonderen Bedeutung des staatlichen Bildungsauftrags für die Gesellschaft sowie insbesondere für die Verwirklichung der vom Grundgesetz allen Bürgern gleichermaßen eingeräumten Grundrechte und dem Ziel des Schulwesens, allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen,
27vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 1 BvR 230/70, 95/71 -, BVerfGE 34, 165, 181 ff., 186 ff.; BVerwG, Urteil vom 25. August 1993, - 6 C 30/02 -,
28eine restriktive Auslegung geboten,
29vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 1991 - 19 A 1706/90 -.
30Danach ist ein wichtiger Grund jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Durchsetzung der Teilnahmepflicht an einem bestimmten Fach oder einer bestimmten schulischen Veranstaltung eine grundrechtlich geschützte Position des Kindes und/oder seiner Eltern unzumutbar verletzen würde,
31vgl. OVG NRW, a.a.O.; Urteil vom 5. September 2007 - 19 A 4074/06 -, NWVBl. 2008, S. 152 zu § 39 Abs. 3 S. 1 SchulG.
32Das ist hier nicht der Fall. Im Fall der Kläger muss das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und das dieses Recht im Zusammenhang mit der Befreiung vom Schwimmunterricht aus religiösen Gründen besonders prägende Recht der Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) hinter dem in Art. 7 Abs. 1 GG normierten staatlichen Erziehungsauftrag zurücktreten.
33Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen gilt im einzelnen Folgendes: Durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist das Recht der Eltern gewahrt, ihre Kinder (auch) in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zu erziehen und ihren Kindern die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung nahe zu bringen sowie ihr gesamtes Verhalten - wozu auch die Beachtung von Bekleidungsvorschriften, die vielfach einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Lebensführung von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bilden - an den Lehren des Glaubens auszurichten. Danach ist der Wunsch der Eltern, die Teilnahme ihres Kindes an einer Schulveranstaltung zu verhindern, die das Kind zwingt, sich für sich als verbindlich erachteten religiösen Bekleidungs- oder Verhaltensvorschriften zuwider zu verhalten, grundsätzlich durch die genannten Grundrechtspositionen geschützt. Auch ist es dem Staat und dem staatlichen Gericht verwehrt, eine Bewertung der vorgebrachten Glaubenshaltung oder eine Überprüfung ihrer theologischen Richtigkeit vorzunehmen,
34vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 1991 - 19 A 1706/90 -.
35Allerdings trifft denjenigen, der unter Berufung auf seine Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht - hier von der allgemeinen Schulpflicht hinsichtlich des Sportunterrichts - begehrt, die Darlegungslast dafür, dass er durch verbindliche Ge- oder Verbote seines Glaubens gehindert ist, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und dass er in einen Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn er entgegen dieser Ge- oder Verbote die gesetzliche Pflicht erfüllen müsste. Erst die konkrete, substantiierte und hinsichtlich des Inhalts des als verpflichtend dargestellten religiösen oder weltanschaulichen Gebots ausreichend objektivierbare Darlegung eines Gewissenskonflikts als Konsequenz aus dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwiderzuhandeln, ist geeignet, einen möglichen Anspruch auf Befreiung von einer konkret entgegenstehenden, grundsätzlich für alle geltenden Pflicht unter der Voraussetzung zu begründen, dass der Zwang zu Befolgung dieser Pflicht die Glaubensfreiheit verletzen würde.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 -6 C 30/92 - Urteil vom 12. Dezember 1972 - 1 C 30/69 -.
37Ausgehend hiervon hegt das Gericht keine Zweifel daran, dass die von den Klägern für ihre Tochter vorgetragenen Gründe für die Weigerung, am koedukativ geführten Schwimmunterricht teilzunehmen, auch auf von ihnen bzw. ihrer Tochter als verbindlich erachteten Ge- oder Verboten des Islam basieren. Zwar ist fraglich, ob die von den Klägern zur Unterstützung ihrer religiösen Ansicht vorgelegte Stellungnahme zur Körperbedeckung der Frau des Herrn S1 vom 23. April 2008 geeignet ist, ihren religiösen Gewissenskonflikt bzw. den ihrer Tochter darzulegen. Denn die geltenden Bekleidungsvorschriften der sunnitisch - hanafitischen Rechtsschule werden von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen, sondern sollen, wie sich insbesondere aus dem ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 2007 ergibt, im Rahmen des Schwimmunterrichts beachtet werden. Auch ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar, dass der Inhalt der von den Klägern genannten Sure 24, Vers 31 des Korans einer Teilnahme am Schwimmunterricht entgegensteht. Das Gericht geht zu Gunsten der Kläger und ihrer Tochter jedoch davon aus, dass es nach ihren religiösen Wertvorstellungen auch nicht erlaubt ist, mit einer eng anliegenden Badebekleidung am Schwimmunterricht teilzunehmen. Denn eine Bewertung dieser konkret vorgebrachten Glaubenshaltung oder eine Überprüfung ihrer theologischen Richtigkeit ist, wie oben schon angegeben, dem Staat und dem staatlichen Gericht verwehrt.
38Die Annahme einer als verbindlich erachteten Glaubenshaltung durch die Kläger bzw. ihrer Tochter führt aber nicht zwangsläufig zu der Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne des § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG und damit zu einer Befreiung vom Schwimmunterricht. Das Elternrecht aus Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder wie auch das konfessionelle Elternrecht aus Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht sind zwar vorbehaltlos gewährleistet. Sie gelten aber nicht schrankenlos. Kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung imstande, sie zu begrenzen. Auftretende Konflikte sind dann über die Herstellung praktischer Konkordanz im Einzelfall zu lösen,
39vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1970 - 1 BvR 83/69, 244/69 -, BVerfGE 28, 243 (261).
40Dementsprechend kann der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Artikel 7 Abs. 1 GG, bei dem es sich um einen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswert handelt, das Elternrecht beschränken,
41vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 2007 - 19 A 4074/06 -, NWVBl. 2008, 153.
42Gemessen hieran kommt dem - hier in der Form des Schwimmunterrichts durchgeführten - Sportunterricht im Rahmen des staatlichen Bildungskonzepts eine bedeutsame Funktion zu.
43Die Beklagte weist zu Recht auf die positiven Auswirkungen dieses Unterrichts auf die Gesundheit der Schüler und die Entwicklung ihrer sportlichen Fähigkeiten, die Einübung sozialen Verhaltens und das gerade auch beim Schwimmunterricht bedeutsame Erlernen der Einhaltung von Regeln und Vorschriften hin. Damit trägt der Sportunterricht in besonderer Weise zur Erfüllung wichtiger überfachlicher Erziehungsaufgaben der Schule (Gesundheitsförderung, soziales Lernen, Regelbeachtung etc.) bei. Das gilt insbesondere angesichts der zunehmenden motorischen Defizite und körperlichen Leistungsschwächen bei Schulkindern. In diesem Bereich bietet der Schulsport erhebliche Potenziale zur sozialen Prävention und Intervention. Er kann auch pädagogische Beiträge zur Koedukation, zur interkulturellen Erziehung und auch zur Gewaltprävention leisten (vgl. nur Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. September 2004, S. 9, www.kmk.org). Gerade das Erlernen von Fähigkeiten in einem Handlungsraum, der Spontanität genauso erfordert wie planerisches Denken, Durchsetzungsvermögen wie Sensibilität, Leistungsstärke des Einzelnen wie Solidarität mit Schwächeren, ermöglicht, dass durch Sport negatives Sozialverhalten verringert und jene Spannungen positiv wirksam werden, die aus unterschiedlichen Begabungen, Neigungen und Temperamenten resultieren. Bei dem Schwimmunterricht kommt für die Schülerinnen und Schüler die Erfahrung hinzu, dass das Medium Wasser einen besonderen Reiz ausübt, die normalen menschlichen Fähigkeiten jedoch unzureichend sind und lebensbedrohlich sein können. Dem durch den Schwimmunterricht vermittelten Gefahrenbewusstsein, dem Ziel, das Schwimmen zu erlernen, und der hierdurch erfahrenen realistischen Einschätzung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit kommt daher eine für die gesamte Lebensführung der Kinder wichtige und der Vermeidung späterer lebensbedrohlicher Situationen dienliche Bedeutung zu. Angesichts dieser Fülle von Bildungs- und Erziehungszielen kommt dem Umstand, dass die Tochter der Kläger - nach deren Angaben - schon schwimmen kann, keine maßgebliche Bedeutung zu.
44Der wie vor definierte staatliche Erziehungsauftrag lässt sich zunächst nicht dadurch mit den widerstreitenden Rechtspositionen der Kläger in einen schonenden Ausgleich bringen, dass der Schwimmunterricht nicht koedukativ, sondern nach Geschlechtern getrennt durchgeführt wird. Hierzu hat die Beklagte auf die dem durchgreifend entgegenstehenden, ohne weiteres nachvollziehbaren und von den Klägern auch nicht in Zweifel gezogenen Organisationsschwierigkeiten und Hindernisse hingewiesen. Im Übrigen wäre zweifelhaft, ob den Klägern ein Anspruch auf einen nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht zustünde, selbst wenn das schulorganisatorisch möglich wäre. Denn dieser Anspruch kollidierte möglicherweise mit dem Anspruch anderer Eltern und Schüler bzw. Schülerinnen, die zum Erlernen wichtiger sozialer Werte, die gerade im Sport- bzw. Schwimmunterricht vermittelt werden, auf einen koedukativ durchgeführten Schwimmunterricht Wert legen. Insofern, d.h. bei einem nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht, läge gerade kein "schonender Ausgleich" widerstreitender Grundrechte vor, sondern allein die kompromisslose Durchsetzung eines Einzelinteresses gegenüber den Belangen des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages.
45Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht,
46Urteil vom 25. August 1993 - 6 C 8/91 -, NVwZ 1994, 578,
47entschiedenen Fall sieht das erkennende Gericht hier nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten des Einzelfalls auch nicht die rechtliche Notwendigkeit, wegen der organisatorischen Schwierigkeiten, einen nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht anzubieten, zu Zwecken der Herbeiführung eines schonenden Ausgleichs die Tochter der Kläger vom Schwimmunterricht zu befreien.
48Dieser schonende Ausgleich kann nämlich in der Weise beigeführt werden, dass die Tochter der Kläger unter weitgehender Beachtung der von ihr bzw. ihren Eltern als verbindlich erachteten Bekleidungsvorschriften am Schwimmunterricht teilnimmt. So gibt es heute durchaus Badebekleidung, die bis auf das Gesicht und die Hände vollständig den Körper bedeckt und die wegen der Eigenart des Textils oder ihres Stoffes ein enges Anliegen an den Körper ausschließt. Die Haare können durch das Tragen einer Badekappe verdeckt werden. Auch ist es für das erkennende Gericht maßgebend, dass der zeitlich größte Teil des Schwimmunterrichts im Wasser stattfindet, wo die Konturen des Körpers aufgrund der physikalischen Gegebenheiten nur unscharf und daher nicht beeinträchtigend wahrgenommen werden können. Sollte theoretischer Unterricht außerhalb des Wassers stattfinden, ist es der Tochter der Kläger möglich, ihren Körper mit einem entsprechend weiten Bademantel zu verhüllen. Soweit beim Einstieg in das Wasser und dem Ausstieg aus dem Wasser eine enger liegende Badebekleidung der Tochter der Kläger gesehen werden mag, erfolgt die dadurch verursachte Beeinträchtigung ihrer religiösen Glaubensüberzeugung nur in einem zeitlich geringen Moment und ist von ihr gegenüber den zuvor genannten Werten der staatlichen Bildungs- und Erziehungsarbeit, die auch und gerade im Schwimmunterricht vermittelt werden, hinzunehmen. Dabei wird die Schule sämtliche pädagogischen und organisatorischen Möglichkeiten ausnützen können und müssen, um sowohl einer möglichen Außenseiterrolle der Tochter der Kläger entgegenzuwirken als auch ihr die Möglichkeit zu geben, sich ihren Glaubensüberzeugungen entsprechend um- bzw. wieder ankleiden zu können, etwa durch Vorhaltung einer Einzelkabine oder durch Zulassung der Möglichkeit eines zeitversetzten Um- bzw. Ankleidens. Insoweit wird die Schule auch gehalten sein, etwa bestehende organisatorische Schwierigkeiten zu überwinden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Leistungsdefizite der Tochter der Kläger, die auf die Eigenart ihrer Badebekleidung zurückzuführen sind, bei der Notenvergabe in der Weise berücksichtigt werden müssen, dass ihr dadurch keine Nachteile entstehen.
49Der in dieser Weise zur Überzeugung des Gerichts vorzunehmende und zu praktizierende schonende Ausgleich zwischen widerstreitenden Grundrechtspositionen widerspricht auch nicht, wie die Kläger meinen, Toleranzgesichtspunkten. Gerade die gegenseitige Rücksichtnahme auf die Rechtspositionen und Überzeugungen der jeweils anderen Seite und ein Eingehen darauf, soweit es den Betreffenden bei Abwägung der widerstreitenden Positionen - wie hier - zumutbar ist, entspricht in einer pluralistischen Gesellschaft und in einer Institution "Schule", in der viele konträre und möglicherweise sich ausschließende Überzeugungen und Wertvorstellungen aufeinander treffen, Toleranzgesichtspunkten.
50Soweit die Kläger vortragen, ihre Tochter dürfe Jungen mit zweckentsprechend geschnittener oder eng anliegender Sportbekleidung bei ihren Übungen nicht zusehen, ist zu beachten, dass Schule nicht im isolierten Raum stattfindet, sondern eingebunden ist in die Vielschichtigkeit und das soziale Gefüge der in Deutschland gelebten Gesellschaftsform. Diese zeichnet sich durch von Konventionen und Normen weitgehend losgelöste Verhaltensweisen aus, die auch ausgelebt werden. Das bedeutet, dass im alltäglichen Zusammenleben überall und jederzeit Situationen anzutreffen sind, in denen muslimische Glaubensangehörige mit anderen Wertvorstellungen konfrontiert werden, mit denen sie umgehen müssen. Nichts anderes gilt für staatlichen Schwimmunterricht, bei dem - wie zuvor ausgeführt - die pädagogische Aufgabe der Lehrpersonen besteht, Spannungen abzumildern. Das gilt auch hinsichtlich der geäußerten Befürchtung, eine körperliche Berührung von Jungen sei in einem gemeinsamen Schwimmunterricht nicht zu vermeiden. Auch dem kann organisatorisch und pädagogisch begegnet werden.
51Durch die vorgenannten Aspekte ist der Eingriff in die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht soweit abgemildert, dass die Zumutbarkeitsgrenze in der Gesamtschau - jedenfalls hinsichtlich einer Schülerin der 6. Klasse - nicht überschritten wird.
52Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154, 159 und 161 Abs. 2 VwGO. Dabei hat das Gericht den Klägern auch die Kosten des in der Hauptsache für erledigt erklärten Teils der Klage auferlegt, weil der insofern gestellte Klageantrag voraussichtlich ohne Erfolg geblieben wäre. Mit diesem Klageantrag wollten die Kläger nach verständiger Würdigung vorbeugenden Rechtschutz erlangen, für den aber ein qualifiziertes Rechtschutzbedürfnis
53- vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage, vor § 40 Rnd.Nr. 33 -
54nicht anzunehmen war; denn es ist den Klägern zuzumuten, eine Benotung ihrer Tochter für das Fach Sport am Ende des Schuljahres abzuwarten, um dann gegebenenfalls gegen dieses Zeugnis vorzugehen. Der Antrag hätte auch in der Sache keinen Erfolg gehabt, da eine Befreiung vom Schwimmunterricht nach den vorangegangenen Ausführungen zu Recht versagt wurde und damit der begehrte Vermerk "nicht erteilt" nicht in Betracht kommt.
55Die Zulassung der Berufung folgt aus § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO.