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Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 3901/08 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 19. Mai 2008 wiederherzustellen,
4hat Erfolg.
5Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wenn die Behörde, die den angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat, aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes anordnet. Das Gericht kann jedoch auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen. Eine derartige Wiederherstellung kommt dann in Betracht, wenn entweder die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder wenn aus sonstigen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.
6Die für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche und von dem Gericht unter eigener Ermessensausübung zu treffende Abwägung des Interesses des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung mit dem Interesse der Allgemeinheit an einer sofort wirksamen Gefahrenabwehr muss vorliegend zu Gunsten des Antragstellers ausfallen, weil die Ordnungsverfügung des Antragsgegners rechtswidrig ist, da sie gegen die Regelungen der europäischen Führerscheinrichtlinie (91/439/EWG) verstößt.
7Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 (zu den §§ 11, 13 und 14 [FeV]) vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG, § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV erlischt mit der Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.
8Ungeachtet der Frage, ob der Antragsteller tatsächlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, ist es dem Antragsgegner hier verwehrt, die Fahreignung des Antragstellers nach nationalem deutschen Recht zu prüfen.
9Die Bundesrepublik Deutschland ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verpflichtet, die tschechische Fahrerlaubnis des Antragstellers anzuerkennen. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 26. Juni 2008 ausgeführt:
10Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats, zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung - gegebenenfalls die Neuerteilung - einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten somit nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse Halbritter, Randnr. 34, und Kremer, Randnr. 27). Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen erfüllte (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 75, Beschluss vom 11. Dezember 2003, E, C-408/02, Randnr. 21, und Urteil L, Randnr. 46). Der Umstand, dass ein Mitgliedstaat gemäß Nr. 5 des Anhangs III der Richtlinie für jede Erteilung eines Führerscheins eine strengere ärztliche Untersuchung als die in diesem Anhang beschriebenen vorschreiben kann, berührt daher nicht die Verpflichtung dieses Mitgliedstaats, die Führerscheine anzuerkennen, die die anderen Mitgliedstaaten entsprechend der Richtlinie ausgestellt haben."
11Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 26. Juni 2008 - Rechtssache C-329/06 (X) und C-343/06 - (G), Rn. 52 und 53.
12Eine Ausnahme von dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität ist nur für den Fall zugelassen, dass auf der Grundlage von Angaben in dem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedsstaats eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte,
13vgl. Urteil des EuGH vom 26. Juni 2008, s.o., RN. 72
14In dem tschechischen Führerschein des Antragstellers ist unter 8. (Wohnortangabe) K" angegeben. Weitere Informationen, insbesondere des Ausstellerstaates liegen hier nicht vor; die am 30. November 2007 über das Kraftfahrt-Bundesamt an die Ausstellungsbehörde gerichtete Anfrage, ob der Führerschein unter Beachtung des Wohnsitzprinzips erteilt wurde, ist bis heute nicht beantwortet worden.
15Damit ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der Führerschein ohne weitere Prüfung von der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen, auch wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, ob der Antragsteller tatsächlich das Wohnsitzerfordernis im Ausstellermitgliedstaat erfüllt hatte.
16Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer ist der Antragsteller allerdings nicht fahrgeeignet, da er bereits unter dem Einfluss von Drogen, hier Amphetamin, Cannabis und dem Wirkstoff Zonisamid am Straßenverkehr teilgenommen und am 1. Juli 2006 unter dem Einfluss dieser Substanzen einen Unfall verursacht hat. Das erkennende Gericht hat jedoch die Rechtsprechung des EuGH zur europäischen Führerscheinrichtlinie zu beachten, solange die entsprechenden europarechtlichen Vorschriften nicht geändert sind.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz. Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klasse wird im Klageverfahren nach der ständigen Praxis der Kammer mit dem gesetzlichen Auffangwert angesetzt; in Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich der zu berücksichtigende Betrag von 5.000,-- Euro um die Hälfte (vgl. Ziffern II 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs 2004 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [NVwZ 2004 S. 1327 ff.]).
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