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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger ist guineischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben im Oktober 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 7. November 2011 stellte er einen Asylantrag.
3Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 7. November 2011 machte er im Wesentlichen folgende Angaben: Er sei Malinke und verfüge über keine Personalpapiere. Seine Eltern seien verstorben, er sei nicht verheiratet. Er habe einen leiblichen und einen Adoptivsohn. Beide lebten bei der zweiten Frau seines Vaters in Hafia (Stadtteil von Conakry). Er sei in der zwölften Klasse von der Schule abgegangen und habe keinen Beruf erlernt. Er sei arm gewesen und habe sich so durchgeschlagen.
4Mitte September 2011 sei er mit seinem Partner mit dem Auto über Senegal und Mauretanien nach Marokko gefahren. Von dort sei er mit der Royal Air Maroc nach Berlin geflogen. Sein Partner sei aus Nigeria. Er heiße N. und sei Händler, der Ware zwischen Guinea und Nigeria verkaufe. Er habe die Reisekosten getragen. Von Marokko aus sei er mit einem Freund von N. nach Berlin gereist, dieser habe ihm in Berlin alle Unterlagen abgenommen. Die Ankunft sei am 21. Oktober 2011, wohl gegen Abend gewesen.
5Er sei nach Deutschland gekommen, um sein Leben zu retten, man sei hinter ihm her gewesen. Anfang 2009 habe er sich mit N. angefreundet. N. sei homosexuell. Er habe ihm immer wieder Geld gegeben. Er habe dann vorgeschlagen, dass sie miteinander schliefen. Das habe er dann auch so gemacht, weil N. ihm ja viel Geld gegeben habe. Seine Stiefmutter sei Mitglied der RPG. Bei ihnen würden Versammlungen abgehalten. Da habe man sich gefragt, woher er das viele Geld habe. Ende 2010 habe sein älterer Bruder, der Soldat sei, ihn in einem Tanzlokal zusammen mit N. gesehen. Sein Bruder und dessen Freunde hätten ihn verprügelt. Sein Bruder habe ihn mit einem Messer am Unterarm verletzt. Er habe seinen Bruder daraufhin bei der Polizei angezeigt. Noch bevor es zur Vorladung seines Bruders gekommen sei, habe seine Stiefmutter dort vorgesprochen. Die Polizei habe ihn, den Kläger, daraufhin gefragt, ob er Schande über die Familie bringen wolle. Seine Stiefmutter sei eine angesehene Person in der Partei von Alpha Conde. Die Familie habe dann beschlossen, dass er aus der Familie und aus dem muslimischen Viertel ausgeschlossen werde. Er habe sich dann in dem Anwesen seines Freundes aufgehalten. Sein Bruder und dessen Freunde hätten das aber herausgefunden und seien zwischen Juni und Juli zu dem Anwesen gekommen. Er habe es aber geschafft, über die Hofmauer zu springen und zu fliehen. Sein Bruder und dessen Freunde hätten bei N. technische Geräte gestohlen. Mit Politik habe er selbst nichts zu tun.
6Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 12. Juni 2013 die Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen. Zugleich forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung an.
7Der Kläger sei nicht asylberechtigt, weil er auf unbekanntem Wege nach Deutschland eingereist sei (§ 26a Asylverfahrensgesetz – AsylVfG). Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor, weil die durch den Kläger geschilderte Bedrohung durch seine Familie unwahr sei. So sei es fraglich, warum sein Freund, der angeblich über Geld verfüge, ihn nicht andernorts in Guinea untergebracht habe. Auch sei es nicht glaubhaft, dass der Kläger in einer Bar offen seine Homosexualität gezeigt habe.
8Gegen den am 24. Juni 2013 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger am 9. Juli 2013 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er u. a. vor, dass Homosexualität gemäß Art. 325 des guineischen Strafgesetzbuches in Guinea strafbar sei.
9Der Kläger beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 2013 zu verpflichten,
11ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG
12hilfsweise, subsidiären Schutz nach § 4 AsylVfG zuzuerkennen,
13hilfsweise, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG bestehen.
14Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (Beiakte 1 und 2) und der Ausländerakte des Kreises Kleve (Beiakte 3) Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem ihm der Rechtsstreit gemäß § 76 Absatz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) durch Beschluss der Kammer vom 16. Dezember 2014 zur Entscheidung übertragen worden ist.
20Die zulässige Klage ist unbegründet.
21Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 12. Juni 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Absatz 1 und Absatz 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
22Der Kläger vermag auf dieser Grundlage mit Erfolg weder seine Anerkennung als Asylberechtigter noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG begehren, denn er ist nicht politisch Verfolgter im Sinne der asylrechtlichen Vorschriften.
23Politisch Verfolgter ist, wer in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an andere Merkmale, die für ihn unverfügbar sind und die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.
24Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (344).
25Nach § 3 Absatz 1 AsylVfG ist einem Ausländer weiter die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Eine Verfolgung kann dabei gemäß § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.
26Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei der Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist (§ 77 Absatz 1 AsylVfG). Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat seines gewöhnlichen Aufenthaltes auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab),
27Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (344); Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139 (140); Urteil vom 20. November 1990 - 9 C 74.90 -, InfAuslR 1991, 145 (146).
28Das Gericht muss dabei von der Wahrheit - nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle Überzeugung gewinnen. Von dem Asylsuchenden muss jedenfalls gefordert werden, dass er eine zusammenhängende, in sich stimmige Schilderung seines persönlichen Verfolgungsschicksals abgibt, die nicht in wesentlicher Hinsicht in unauflösbarer Weise widersprüchlich ist. Der Art seiner Einlassung - z.B. ob sein Vorbringen gesteigert ist -, seiner Persönlichkeit, insbesondere seiner Glaubwürdigkeit, kommt insoweit entscheidende Bedeutung zu;
29Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. November 1985 - 9 C 27.85 -, InfAuslR 1986, 79 (80), sowie Beschluss vom 21. Juli 1989 - 9 B 239/89 -, NVwZ 1990, 171; Urteil vom 10. Mai 1994 - 9 C 434.93 -, InfAuslR 1994, 375 (376).
30Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren des Klägers nicht zum Erfolg. Es liegen weder die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter noch die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Guinea oder im Falle einer Rückkehr nach Guinea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
31Das Gericht geht zunächst davon aus, dass der Kläger nicht vorverfolgt sein Heimatland verlassen hat. Eine staatliche Verfolgung macht der Kläger zunächst selbst nicht geltend. Er beruft sich allein darauf, dass sein Halbbruder und dessen Freunde ihn wegen seiner – angenommenen – Homosexualität mit dem Messer verletzt hätten und später zu dem Haus seines Freundes gekommen seien, in dem er sich aufgehalten habe. Dabei vermutet er, dass sein Halbbruder und dessen Freunde die Absicht hatten, ihm physischen Schaden zuzufügen.
32Dieses Geschehen – sein Wahrheitsgehalt unterstellt – genügt nicht, um von einer Vorverfolgung des Klägers auszugehen. Soweit von dem Halbbruder des Klägers und dessen Freunden Verfolgungshandlungen ausgegangen sein sollten, sind diese als Verfolgungshandlungen nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylVfG anzusehen. Solche Handlungen sind bei der Beurteilung des Verfolgungsgeschehens aber nur dann relevant, wenn der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (§ 3c AsylVfG). Davon ist nicht auszugehen. Es liegen zunächst aufgrund des vom Kläger geschilderten Geschehens keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass der guineische Staat seine Bürger – auch solche mit homosexueller Orientierung – grundsätzlich nicht vor Gewalttaten schützt. Die Angabe des Klägers, zu jener Zeit seien viele Homosexuelle umgebracht worden, ohne dass es diesbezüglich Ermittlungen gegeben habe, sind viel zu vage und ohne überprüfbare Tatsachengrundlage, als dass hierauf die Annahme eines fehlenden Schutzwillens seitens des Staates gestützt werden könnte. Dem Gericht liegen solche Erkenntnisse auch nicht aufgrund sonstiger Quellen vor.
33Die konkret vom Kläger geschilderte Situation auf der Polizeiwache lässt hingegen nicht den Schluss zu, dass der guineische Staat grundsätzlich keinen Schutz für Homosexuelle gewährt. Denn es handelt sich hier erkennbar um einen Einzelfall, in dem die Stiefmutter des Klägers Einfluss auf einen bestimmten Polizisten genommen hat, dem sie offenbar bekannt war. Diese Situation ist nicht verallgemeinerungsfähig. Auch danach erscheint es eher fernliegend anzunehmen, landesweit würde der Staat dem Kläger Schutz vor Gewalttaten versagen.
34Ohne dass es darauf noch ankommt, wird der Eindruck eines fehlenden Verfolgungsgeschehens auch dadurch bestätigt, dass der Kläger in seiner abschließenden Stellungnahme vor Gericht betont hat, dass er nicht in den Hof seiner Familie nach Hause gehen könne. Von einer grundsätzlichen, gar landesweiten Gefährdung geht er selbst nicht aus.
35Es ist auch nicht festzustellen, dass dem Kläger allein aufgrund seiner - unterstellten - Homosexualität landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung nach seiner Rückkehr in die Republik Guinea drohen wird.
36Dabei ist allerdings schon davon auszugehen, dass Homosexuelle in Guinea eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG darstellen. Nach § 3b Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 4 AsylVfG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und wenn weiter die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nach Halbsatz 2 dieser Vorschrift kann je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Zur sexuellen Ausrichtung eines Menschen gehört auch eine etwaige Homosexualität.
37Vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris Rn. 46 ff.; Urteil der Kammer vom 23. März 2012 - 13 K 1217/11.A -, juris Rn. 37.
38Dass Homosexuelle in Guinea eine Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität sind, ergibt sich auch daraus, dass homosexuelle Handlungen in Guinea strafbar sind. Nach den insoweit übereinstimmenden, im Verfahren 13 K 1217/11.A von der Kammer eingeholten Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 20. Januar 2012 und von amnesty international vom 3. Februar 2012 werden homosexuelle Handlungen ("tout acte impudique ou contre nature commis avec un individu de son sexe", übersetzt: "jede unzüchtige oder widernatürliche Handlung, die mit einem Menschen gleichen Geschlechts begangen worden ist") nach Art. 325 des guineischen Strafgesetzbuches mit einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe zwischen 100.000 und 1.000.000 guineischen Francs geahndet.
39Es ist aufgrund der - unterstellten - Homosexualität des Klägers und der daraus abzuleitenden Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe jedoch nicht herzuleiten, dass der Kläger deswegen bei seiner unterstellten Rückkehr in die Republik Guinea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unter Verfolgung leiden wird. Eine Verfolgung droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wenn in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder statistischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
40Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143, (150 f) m.w.N.
41Davon ist allein aufgrund der Strafandrohung im guineischen Strafgesetzbuch nicht auszugehen. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylVfG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Hierzu gehört gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG auch die diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung. Eine solche wäre bei einer Strafverfolgung wegen Homosexualität anzunehmen.
42Urteil der Kammer vom 23. März 2012 - 13 K 1217/11.A -, juris Rn. 57 f.
43Von der demnach für die Annahme einer Verfolgungshandlung erforderlichen bestimmten Schwere einer Grundrechtsverletzung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht schon bei jeder Verletzung der Grundrechte eines homosexuellen Asylbewerbers auszugehen.
44EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris Rn. 53.
45Namentlich genügt danach nicht das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind. Vielmehr ist es insoweit erforderlich, dass diese Strafe auch tatsächlich in der Praxis verhängt wird.
46EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris Rn. 56 ff.
47Insoweit sind für die Annahme einer Verfolgungshandlung strengere Anforderungen zu erfüllen, als die Kammer dies in ihrer früheren Rechtsprechung angenommen hat. Danach genügte es für die Annahme einer Verfolgungshandlung, dass homosexuelle Handlungen im Verfolgerstaat unter Strafe standen und es darüber hinaus nicht feststellbar war, dass diese Strafandrohung in der Praxis nicht umgesetzt wurde.
48Urteil der Kammer vom 23. März 2012 - 13 K 1217/11.A -, juris Rn. 47 f., 52.
49Demgegenüber ist nach der zitierten Entscheidung des EuGH die positive Feststellung erforderlich, dass die Freiheitsstrafe auch tatsächlich in der Praxis verhängt wird. Dem hat sich das Gericht mit
50Urteil vom 13. Dezember 2013 – 13 K 3683/13. –, juris, Rn. 31 ff.
51aus Gründen der Rechtseinheit angeschlossen.
52Solche positiven Feststellungen können indes nicht getroffen werden. Den im Verfahren 13 K 1217/11.A eingeholten, noch hinreichend aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 20. Januar 2012 und von amnesty international vom 3. Februar 2012 ist dabei zu entnehmen, dass positive Erkenntnisse über die praktische Verhängung der Freiheitsstrafe nicht bestehen, wobei das Auswärtige Amt dies auch darauf zurückgeführt hat, dass homosexuelle Handlungen vor dem Hintergrund ihrer starken gesellschaftlichen Ächtung in den seltensten Fällen in der breiten Öffentlichkeit vollzogen würden. Über die beiden Auskünfte hinaus bestehen zudem aktuelle Erkenntnisse aus dem
53Rapport de mission en République de Guinée (29 octobre - 19 novembre 2011) von März 2012 - Mission organisée conjointement par le CGRA (Belgique), l"OFPRA (France) et l"ODM (Suisse), S. 20.
54Danach ist die entsprechende Strafvorschrift nach einhelliger Auffassung der von den Autoren des Berichts befragten Rechtsanwälte - Mitglieder von Anwälte ohne Grenzen und ein guineischer Rechtsanwalt im November 2011 - noch nie angewandt und keine Verfolgung durchgeführt worden.
55Die allgemeine gesellschaftliche Ächtung der Homosexualität in der Republik Guinea erreicht ebenfalls nicht die von § 3a AsylVfG beschriebene Schwere, sodass im Übrigen der Frage nicht nachzugehen ist, ob die Voraussetzungen der durch § 3c Nr. 3 AsylVfG geregelten nichtstaatlichen Verfolgung insoweit vorliegen.
56Vor diesem Hintergrund kann es auch offen bleiben, ob die Flüchtlingseigenschaft nicht auch deswegen zu versagen ist, weil der Kläger eine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylVfG in Anspruch nehmen könnte, wofür aus Sicht des Gerichts viel spricht.
57Der Kläger genießt auch keinen subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylVfG. Ein Ausländer ist nach Satz 1 dieser Vorschrift subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Ein solcher ernsthafter Schaden ist mit Blick auf den Kläger aber weder ersichtlich noch von ihm behauptet worden.
58Schließlich liegen aufgrund vergleichbarer Erwägungen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vor. Entsprechendes ist auch nicht durch den Kläger geltend gemacht worden.
59Die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes zugleich verfügte Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist stützen sich auf §§ 34 Absatz 1, 38 Absatz 1 AsylVfG und § 59 AufenthG.
60Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO. Die Nichterhebung von Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.