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1. Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag,
3dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, im Fall einer Entführung eines Flugzeuges durch (vermeintliche) Terroristen den Befehl zum Abschuss eines Flugzeugs zu erteilen, es sei denn, dass gesichert davon ausgegangen werden kann, dass sich keine Unbeteiligten an Bord befinden,
4hat keinen Erfolg.
5Über den Antrag kann vom erkennenden Gericht entschieden werden, weil es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. Verfassungsrechtliche Streitigkeiten liegen nur dann vor, wenn bei einem streitigen Rechtsverhältnis beide Beteiligte unmittelbar am Verfassungsleben beteiligt sind oder wenn die Streitigkeit auf Grund verfassungsgesetzlicher Zuständigkeitsvorschriften grundsätzlich den Verfassungsgerichten vorbehalten ist.
6Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 40, Rdn. 32 - 32m; zu Klagen gegen die Durchführung militärischer Tiefflüge BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 18/93 -, NJW 1995, 1690.
7Der Antrag ist aber unzulässig, weil ein Rechtschutzbedürfnis fehlt.
8Wird ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch geltend gemacht, der auf ein künftiges Geschehen ausgerichtet ist, muss ein besonderes, d. h. gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzbedürfnis vorliegen.
9Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 16. März 1989 - 4 C 36.85 -, BVerwGE 81, 329 (347); Urteil vom 7. Mai 1987 - 3 C 53.85 -, BVerwGE 77, 207 (212); Urteil vom 8. September 1972 - VII C 6.71 -, BVerwGE 40, 323 (326) jeweils m. w. N.; Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, vor § 40, Rdnr. 25.
10Namentlich kann ein berechtigtes Interesse an einem vorbeugenden Rechtsschutz nicht anerkannt werden, solange sich noch nicht mit der dafür erforderlichen Bestimmtheit übersehen lässt, welche Maßnahmen unter welchen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen ergehen werden.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. September 1981 - 3 B 89.81 -, Buchholz 418.6 ViehSG Nr. 8; Urteil vom 19. März 1974 - I C 7.73 - , BVerwGE 45, 99 (105); OVG Koblenz, Beschluss vom 21. Januar 2004 - 6 A 11743/03 -, NVwZ-RR 2004, 344 (345).
12Das ist hier der Fall. Aus den Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung ist nicht hinreichend konkret zu entnehmen, wie er in welchem Fall entscheiden wird. Für eine vorsorgliche rechtliche Kontrolle besteht deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis.
13Das Bundesverfassungsgericht
14vgl. Urteil vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 -, NJW 2006, 751ff.
15hat § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung vom 11. Januar 2005, BGBl. I, S. 78, für nichtig erklärt. Mit dieser Vorschrift wurden die Streitkräfte ermächtigt, Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen, abzuschießen, sofern dies das einzige Mittel zu Abwehr der Gefahr ist. Der Bundesminister der Verteidigung hat dazu in einem Interview in der Zeitschrift Focus vom 17. September 2007 erklärt:
16Ein Abschuss wäre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes auch in den Fällen gemeiner Gefahr oder Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung möglich. Ich wünsche mir eine verfassungsrechtliche Klarstellung. Aber da gibt es noch keinen Konsens in der Koalition. Deshalb müsste ich im Notfall vom Recht des übergesetzlichen Notstandes Gebrauch machen. Wenn es kein anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu schützen. ... Ich hoffe, dass ich nie in eine solche Situation komme."
17Diese Auffassung hat er in der Aktuellen Stunde am 19. September 2007 im Bundestag wiederholt.
18Diese Äußerung ist keine hinreichend konkrete Entscheidung, sondern eine gedankliche Auseinandersetzung mit einer hypothetischen Situation, die Teil der politischen Auseinandersetzung um eine künftige Regelung derartiger Fälle ist. Wie die Bevölkerung vor terroristischen Angriffen aus der Luft geschützt werden kann, ist Gegenstand einer intensiven politischen, verfassungsrechtlichen und ethischen Debatte, bei der die verschiedensten Ansichten vertreten werden. Eindeutige Regelungen bestehen zur Zeit nicht, Lösungsansätze durch neue gesetzliche Regelungen unter Abänderung des Grundgesetzes oder einer veränderten Auslegung der bestehenden Vorschriften werden ebenso kontrovers diskutiert wie die Frage, ob und wie bei einer unauflösbaren Kollision von Abwehrrechten der Passagiere und staatlichen Schutzpflichten gegenüber der bedrohten Bevölkerung im Rahmen der bestehenden Rechtslage gehandelt werden darf.
19Vgl. etwa Baldus, Gefahrenabwehr in Ausnahmelagen, NVwZ 2006, 532ff.; Gramm, Der wehrlose Verfassungsstaat ?, DVBl. 2006, 653ff.; Linke, Innere Sicherheit durch Bundeswehr ?, AöR (2004), S. 489 (534f); Wiefelspütz, Bundeswehr und innere Sicherheit, NWVBl. 2006, 41ff.; Prantl, Der Abschuss, Süddeutsche Zeitung vom 20. 9. 2007; Glosse Die Harry- Theorie", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.02.2006, S. 37.
20Vor diesem Hintergrund ist nicht abzusehen, wie der Bundesminister der Verteidigung trotz seiner Erklärungen vom September 2007 bei einer tatsächlichen Bedrohung durch ein als Waffe benutztes Flugzeug, in dem auch der Antragsteller sitzt, handeln wird. Entscheidungen im Ernstfall sind in der Regel abgewogener als Ankündigungen im politischen Meinungsstreit. Das gilt vor allem dann, wenn eine Entscheidung tragische Auswirkungen hat und dem Entscheidenden selbst u. U. erhebliche strafrechtliche Konsequenzen drohen.
21Gerichtliche Verfahren sollen nur Rechtsschutz gegen hinreichend konkretisierte Eingriffe gewähren und nicht vorbeugend abstrakte Rechtsfragen klären, bei denen die konkreten Umstände des Einzellfalles noch nicht erkennbar sind.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 12 A 3565/06 -.
23Dass es dabei zu Situationen kommen kann, in denen ein nachträglicher Rechtsschutz nicht mehr erlangt werden kann und nur der Täter noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, ist als Teil des allgemeinen Lebensrisikos nie auszuschließen. Dieses Risiko ist hier nicht höher als in anderen Fällen, in denen die Rechtsordnung wie z. B. bei einer vorgeschriebenen Schutzimpfung eine Gefährdung des Lebens im Interesse der Allgemeinheit hinnimmt, oder in denen jeder Einzelne sich selbst - etwa bei der Teilnahme am Straßenverkehr oder bei einer Operation - in Gefahr begibt.
24Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus den §§ 52 Abs.2, 53 Abs. 1 GKG.