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Der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2008 wird aufgehoben.
Die Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Tatbestand Klagegegenstand ist die Freistellung der Grundstücke der Wiehltalbahn im Stadtgebiet Wiehl.
2Die Wiehltalbahn verläuft von Osberghausen nach Hermesdorf, ab Hermesdorf führt ein Streckenarm nach Morsbach, der andere nach Waldbröl. Güterverkehr fand im Jahr 2007 zwischen Osberghausen und Oberwiehl statt, Personenverkehr wird derzeit von Osberghausen bis nach Remperg/Mühlenau durchgeführt.
3Die Grundstücke, auf denen sich die Gleisanlagen und die Nebenanlagen der Wiehltalbahn einschließlich der Bahnhofsgelände befinden, stehen seit dem 01. Januar 2007 im Eigentum der Städte Wiehl und Waldbröl und der Gemeinden Reichshof und Morsbach. Die Städte Wiehl und Waldbröl und die Gemeinde Reichshof haben den Pachtvertrag mit dem Förderkreis zur Rettung der Wiehltalbahn e.V. vom 24./26. November 1998 für die Strecke zwischen Osberghausen und Waldbröl zum 28. Februar 2007 gekündigt.
4Im Jahr 1997 erteilte das Eisenbahn-Bundesamt (im Folgenden: EBA) der Deutschen Bahn AG die Genehmigung zur dauernden Einstellung des Betriebes der Strecke Osberghausen - Abzweigstelle Hermesdorf - Waldbröl gemäß § 11 Abs. 2 AEG. Die Deutsche Bahn AG realisierte die dauernde Einstellung des Betriebes zum 24. Dezember 1997. Mit Bescheid vom 04. März 1999 erteilte das Land Nordrhein- Westfalen der Klägerin eine Genehmigung zum Betreiben einer Verkehrsinfrastruktur auf der Strecke Osberghausen-Waldbröl. Diese Genehmigung wurde in der Folgezeit immer wieder verlängert. Mit Bescheiden vom 31. Januar 2006 und vom 24. Februar 2006 verlängerte das Land die Genehmigung nur jeweils um einen Monat. Diese Bescheide waren Gegenstand der Verfahren 18 K 1195/06 und 18 L 257/07 vor dem Verwaltungsgericht Köln. Mit Beschluss vom 07. Juli 2008 - 20 A 802/07 - wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen den Antrag das Landes auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln in dem Verfahren 18 K 1195/06, durch das das beklagte Land zu einer Neubescheidung des Antrages der Klägerin auf Erteilung einer Betriebsgenehmigung verpflichtet worden war, zurück.
5Mit Bescheid vom 14. August 2008 erteilte das Land der Klägerin für die Strecke Osberghausen-Waldbröl eine Betriebsgenehmigung bis zum 31. Januar 2056 unter dem Vorbehalt eines Widerrufs für den Fall und insoweit, als die auf Antrag der Beigeladenen, der Stadt Waldbröl und der Gemeinde Reichshof ergangenen Freistellungsbescheide vom 21. September 2007 und 20. Februar 2008 in Rechtskraft erwachsen.
6Die Klägerin ist ein nach § 6 AEG genehmigtes privates Eisenbahnverkehrsunternehmen (im Folgenden: EVU) und betätigt sich auf der Strecke Osberghausen-Waldbröl als öffentliches Eisenbahninfrastrukturunternehmen (im Folgenden: EIU).
7Mit Schreiben vom 09. Februar 2007 beantragte die Beigeladene die Freistellung der in ihrem Stadtgebiet gelegenen Teilstrecke der Wiehltalbahn von Bahnbetriebszwecken. Das fehlende Verkehrsbedürfnis folge bereits aus der Einstellung des Personenverkehrs im Jahre 1966 und des Güterverkehrs im Jahre 1996. Aufgrund der veränderten Wirtschaftsstrukturen sei der Bedarf, Güter mit der Bahn zu transportieren, erloschen. Die Personenverkehrsfahrten dienten nicht der Befriedigung eines bestehenden Verkehrsbedürfnisses, sondern würden um ihrer selbst willen durchgeführt, um den Fahrgästen den Genuss einer Eisenbahnfahrt in ansprechender Umgebung zu vermitteln.
8Mit Bekanntmachung in dem Bundesanzeiger vom 14. Mai 2007 forderte die Beklagte die EVU, die nach § 1 Abs. 2 Regionalisierungsgesetz i.V.m. § 3 ff. des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr bestimmten Stellen, die zuständigen Träger der Landesplanung und der Regionalplanung, die betroffenen Gemeinden und EIU, deren Eisenbahninfrastruktur an die vom Antrag erfasste anschließt, binnen 2 Monaten zur Abgabe einer Stellungnahme auf. Die Planunterlagen wurden vom 14. Mai bis zum 13. Juli 2007 offen gelegt.
9Mit Schreiben vom 23. Mai 2007 nahm das EVU Mittelweserbahn GmbH (MWB) Stellung. Die MWB ist Hauptgesellschafterin der Salzburger Eisenbahn TransportLogistik GmbH (SETG), mit der sie das deutsch-österreichische Güterzugnetzwerk ECCO-CARGO betreibt. Im März 2007 nahm sie gemeinsam mit der Wiehltalbahn GmbH einen Holztransport über die Wiehltalbahnstrecke mit einem ECCO-CARGO- Feederzug auf. Die MWB wies darauf hin, die Bahnbetriebsanlagen seien für die Durchführung dieses Verkehrs zwingend notwendig. Die MWB gehe von einem kontinuierlichen Verkehr aus.
10Mit Schreiben vom 22. Mai 2007 nahm die Bocholter Eisenbahngesellschaft mbH Stellung, die für die Durchführung der Zugfahrten des Eisenbahnmuseums Dieringhausen zuständig ist. Das EVU führe auf den Bahnanlagen Personenzugfahrten mit jährlich mehreren tausend Fahrgästen durch. Für das Eisenbahnmuseum sei die Bahnstrecke zwingend nötig, da die Aufarbeitung von historischen Eisenbahnfahrzeugen nur wirtschaftlich tragbar sei, wenn diese adäquat eingesetzt werden könnten, was nur auf den genannten Bahnanlagen möglich sei. Mit der Inbetriebnahme eines weiteren historischen Dampfzuges sei mit einem steigenden Verkehrsaufkommen zu rechnen.
11Mit Schreiben vom 13. Juli 2007 nahm die Klägerin im Wesentlichen wie folgt Stellung: Die Strecke werde seit Anfang 1999 wieder betrieben. Die Stilllegungsgenehmigung für die DB Netz AG habe sich damit erledigt. In den Jahren 2000 bis 2006 seien auf der Wiehltalbahn jährlich bis zu 450 Fahrten durchgeführt worden. Das sei auch für das laufende Jahr vorgesehen. Die Wiehltalbahn werde nicht ausschließlich zu touristischen Zwecken genutzt, sondern es würden auch Personenverkehrsleistungen bei Festveranstaltungen angeboten. Auf der Wiehltalbahn fänden auch umfänglich Güterverkehrsleistungen statt. Die SETG habe einen neuen ECCO-Cargo-Feederzug zur Bedienung der Holzverladestellen im Wiehltal eingerichtet. Seitdem würden bis zu drei Güterzüge pro Woche über die Wiehltalbahn abgewickelt. Die Güterverkehrsstelle Wiehl sei in Zusammenarbeit mit der Railion Deutschland AG wieder eröffnet worden. Wiehl sei nunmehr als Tarifpunkt für jeden Auftraggeber buchbar. Vor diesem Hintergrund sei über den derzeitigen Bedarf hinaus eine langfristige Zunahme des Güterverkehrs zu erwarten, und zwar auch in Bezug auf andere Transportgüter. Ein besonders dringender Bedarf bestehe an der Nutzung der Ladestraße in Oberwiehl aufgrund des Orkans Kyrill.
12Die beschriebenen Nutzungen belegten ein erhebliches Verkehrsbedürfnis für die gesamte Wiehltalbahn. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der bestehende Bedarf in näherer Zukunft entfalle. Eine Differenzierung nach den Motiven der Fahrgäste sei dem Eisenbahnrecht völlig fremd. Die Herausnahme aus dem Bedarfsplan des ÖPNV habe keinerlei Aussagewert für das Verkehrsbedürfnis, abgesehen davon, dass der Bedarfsplan dem tatsächlich vorhandenen Bedarf an Verkehrsleistungen nicht gerecht werde. Die begehrte Freistellung greife in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin ein. Eine Freistellung von Eisenbahninfrastrukturen, die das Infrastrukturunternehmen weiter betreiben wolle, sei unzulässig. Das entspreche der ständigen Handhabung des EBA. Eine Freistellung sei überdies allenfalls nach (aktueller) Stilllegung gem. § 11 AEG und ohne existierende Gleisanschlussrechte nach § 13 AEG möglich.
13Mit Bescheid vom 20. Februar 2008 stellte die Beklagte die Grundstücke der Wiehltalbahn im Stadtgebiet Wiehl von Bahnbetriebszwecken frei. Die betroffenen Flächen seien für Betriebs- und Verkehrszwecke einer öffentlichen Eisenbahn nicht mehr erforderlich und würden somit freigestellt. Die betreffenden Flächen verlören durch die Freistellung ihren Rechtscharakter und ihre Eigenschaft als Betriebsanlage einer öffentlichen Eisenbahn. Die Fläche werde aus der Fachplanungshoheit des Landes Nordrhein-Westfalen entlassen. Gleichzeitig werde die kommunale Planungshoheit wieder begründet. Zur Begründung führte die Beklagte vor allem aus:
14Die Wiehltalbahn werde als öffentliche Eisenbahn nicht länger benötigt. Es bestehe kein Verkehrsbedürfnis mehr und auch langfristig sei eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht zu erwarten. Der Begriff Verkehrsbedürfnis" sei im Gesetz nicht definiert. Er sei nach Sinn und Zweck der Vorschrift auszulegen. Nach dem Wortsinn sei ein nach objektiven Kriterien zu bemessender Bedarf für schienengebundenen Verkehr erforderlich. Darunter sei eine stetige Nachfrage nach Personenbeförderungs- bzw. Gütertransportleistungen zu verstehen, die die Notwendigkeit von Schienenverkehrsleistungen auf dieser Strecke beweise. Nur vereinzelt nachgefragte Schienenverkehrsleistungen stünden einer Freistellung nicht entgegen.
15Ein nach diesen Kriterien zu bemessendes Verkehrsbedürfnis liege nicht vor. Weder das Land Nordrhein-Westfalen noch der Oberbergische Kreis hielten den Schienenverkehr auf der Wiehltalbahn zur Stärkung der Infrastruktur für erforderlich. Zur Befriedigung der Mobilitätsansprüche zumindest einer breiteren Öffentlichkeit seien keine Verkehrsleistungen auf der Wiehltalbahn nötig. Die rein privaten Interessen der drei Eisenbahnunternehmen begründeten nicht das erforderliche Verkehrsbedürfnis. Der Umfang ihrer Schienentransportleistungen rechtfertige nicht die Fortdauer des Fachplanungsprivilegs der Eisenbahn.
16Die Behauptung der Klägerin, es würden jährlich 450 Fahrten durchgeführt, sei anhand des vorgelegten Fahrplanes nicht nachvollziehbar. Auf der Wiehltalbahn finde überwiegend touristischer Verkehr statt. Auch die sonstigen Personenfahrten erfolgten nicht aufgrund eines Beförderungsauftrags der öffentlichen Hand. Die Bevölkerung des Oberbergischen Kreises sei auf die Beförderungsangebote nicht angewiesen. Bei den Fahrten stehe nicht die Personenbeförderung als Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge im Vordergrund, sondern es gehe um das Fahrerlebnis als solches".
17Auch Güterverkehr finde nur mit einer Frequenz von maximal drei Zügen pro Woche statt. Bei diesen Holztransporten handele es sich um einen Sonderbedarf in Folge der Orkanschäden, der die Annahme eines stetigen Güterverkehrsaufkommens auf längere Sicht nicht rechtfertige. Ein Ende des akuten Bedarfs sei absehbar. Ob das Güterverkehrsaufkommen weiter ausgebaut werden könne, sei zu bezweifeln. Nachfragen von Unternehmen für einen Schienengüterverkehr seien der Beklagten nicht bekannt.
18Das subjektive Interesse der Klägerin, die Wiehltalbahn im Stadtgebiet Wiehl weiterhin zu nutzen, reiche nicht aus, das objektive Bedürfnis für Eisenbahnverkehr auf dieser Strecke darzulegen. Bedeutsam sei überdies, dass die Beigeladene den Eisenbahnverkehr nicht wünsche.
19Es sei auch nicht zu erwarten, dass die Infrastruktur langfristig im Rahmen der Zweckbestimmung genutzt werde. Die Zweckbestimmung einer Eisenbahn bestehe im Transport von Personen und Gütern zum Zweck des Ortswechsels. Fahrten um ihrer selbst willen auf einer Eisenbahnstrecke in reizvoller Umgebung seien jedoch kein Eisenbahnverkehr im Rahmen dieser Zweckbestimmung. Einen solchen Freizeitverkehr wünsche die Beigeladene auf ihrem Gebiet nicht. Auch bei der Betrachtung des konkreten Gütertransports sei die Nachhaltigkeit eher als gering anzusehen. Die Klägerin lege keine nachprüfbaren Angaben vor, die auf einen langfristigen Bedarf für Schienengüterverkehr schließen ließen. Eine langfristige und nachhaltige Nutzung der Betriebsanlagen könne unter Berücksichtigung der Entwicklung der vergangenen zwei Jahrzehnte nicht unterstellt werden. Es sei zweifelhaft, ob die Investitions- und Erhaltungskosten der Bahnstrecke langfristig gedeckt seien.
20Die Freistellung sei auch mit Blick auf die allgemeinen Grundsätze des Planfeststellungsrechts gerechtfertigt. Die Heranziehung dieser Grundsätze sei zulässig, weil § 23 AEG gesetzessystematisch im Fachplanungsteil des AEG und im Anschluss an das Enteignungsrecht geregelt sei. Bei Planfeststellungsverfahren für neue Eisenbahnanlagen müsse eine Planrechtfertigung gegeben sein. Das öffentliche Verkehrsinteresse und das öffentliche Verkehrsbedürfnis müssten den Eingriff in die Rechte Dritter rechtfertigen. Im umgekehrten Fall seien diese Erwägungen mit den notwendigen Anpassungen heranzuziehen. Das von der Klägerin und den Eisenbahnverkehrsunternehmen dargelegte privatwirtschaftliche Interesse, Schienenausflugs- bzw. Museumsverkehr anzubieten, sei nachrangig gegenüber dem Interesse der Beigeladenen als Eigentümerin, ihren Immobilienbesitz von Bahnbetriebszwecken freistellen zu lassen. Die Beigeladene könne aufgrund der fehlenden Planrechtfertigung" eine Freistellung ihrer Grundstücke von Bahnbetriebszwecken verlangen.
21Die Freistellung könne auch ohne Stilllegung der Strecke nach § 11 AEG erfolgen. Die Klägerin werde voraussichtlich keine langfristige Betriebsgenehmigung erhalten, da das Land Nordrhein-Westfalen die Wiehltalbahn nicht erhalten wolle. Gegen Ende der Konzessionslaufzeit dürften Überlegungen hinsichtlich anderer Entwicklungen und Nutzungen angestellt werden. Die Freistellung der Bahngrundstücke ermögliche es der Beigeladenen, diese Grundstücke zu überplanen und für andere Nutzungen vorzusehen.
22Die Verwaltungsübung des EBA sei für die Beklagte nicht bindend. Das EBA sei die Aufsichtsbehörde des Bundes über die bundeseigenen Eisenbahnen. Die Wiehltalbahn unterliege jedoch der Aufsicht des Landes. Weder dem Grundgesetz noch dem AEG sei zu entnehmen, dass die Länder zum uneingeschränkten Schutz der Eisenbahnanlagen verpflichtet seien.
23Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 7. März 2008 Klage erhoben.
24Zur Begründung der Klage führt die Klägerin im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen des § 23 AEG lägen nicht vor. Entgegen der Annahme der Beklagten finde im Bereich der Wiehltalbahn Eisenbahnbetrieb statt und dieser sei auch in Zukunft zu erwarten.
25Ein wesentlicher Teil der Fahrten auf der Wiehltalstrecke diene dem Gütertransport. Es sei beabsichtigt, die Holztransporte langfristig zu etablieren, um den Schienengüterverkehr dauerhaft von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Überdies bestehe ein Transportbedürfnis der ortsansässigen holzverarbeitenden und sonstiger Industriebetriebe. Daneben finde umfangreicher Personenverkehr statt. Die Wiehltalbahn werde nicht ausschließlich zur touristischen Erschließung der Region genutzt. Hinzu kämen Charterfahrten und Personenverkehrsleistungen bei Festveranstaltungen, zum Beispiel dem Stadtfest und dem Weihnachtsmarkt der Beigeladenen. Dadurch würden der Straßenverkehr und die Parksituation entlastet. Das Fahrgastaufkommen dieses Verkehrsangebotes liege über dem der touristischen Fahrten. Der streitgegenständliche Streckenabschnitt werde für diese Verkehrsleistungen benötigt und bereits gegenwärtig umfänglich genutzt. Dazu gehörten auch betriebliche Fahrten im Rahmen der Verkehrsleistungen sowie der Instandhaltungsmaßnahmen.
26Das Verkehrsbedürfnis habe sich in jüngster Zeit deutlich verstärkt. Andernfalls hätte die Klägerin die Strecke auch nicht übernommen bzw. diese wieder stillgelegt. Außerdem sei sie zur Amortisation der seit 1999 in die Infrastruktur getätigten Investitionen auf eine langfristige Nutzung angewiesen. Die verkehrliche Erschließung der Region für Touristen diene unmittelbar auch dem Interesse der Beigeladenen. § 23 AEG differenziere nicht danach, ob Verkehrsleistungen bestellt worden seien. Personenverkehrsleistungen, die sogar ohne staatliche Zuschüsse auskämen, belegten in besonderem Maße das bestehende Verkehrsbedürfnis, da die Klägerin einen eigenwirtschaftlichen Betrieb durchzuführen vermöge. Die Beklagte ignoriere auch die Planungen der Klägerin. Das sei mit dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar. Der Gesetzgeber habe sehr deutlich gemacht, dass im Rahmen des § 23 AEG die unternehmerischen Planungen der EIU zu berücksichtigen seien.
27Ein Antrag nach § 23 Abs. 1 AEG könne nur dann Erfolg haben, wenn von keiner Seite ein Interesse an der eisenbahnspezifischen Nutzung der betreffenden Grundstücke geäußert werde. Es gebe niemanden in der eisenbahnrechtlichen Rechtsprechung und Literatur, der bei einer so umfassend genutzten Infrastruktur ein fehlendes Verkehrsbedürfnis annehme. Das EBA lehne bei derartigen Verkehrsinteressen eine Entwidmung der betreffenden Grundstücke ebenfalls ab.
28Die Beklagte nehme überdies bei der Freistellung eine Interessenabwägung vor, die das Gesetz bewusst nicht vorsehe. § 23 AEG stelle eine zwingende Vorschrift da, eine Abwägung sei ausgeschlossen. Überdies sei die Abwägung selbst willkürlich. Die Beklagte gehe von unzutreffenden Tatsachen aus, wenn sie darauf hinweise, die EIU-Genehmigung werde in absehbarer Zeit enden. Die Genehmigung könne bis zu 50 Jahre verlängert werden. Außerdem blende die Beklagte die getätigten Investitionen und die Kundenbindungen der Klägerin vollständig aus. Weiterhin übersehe sie, dass bereits ein bloßer Antrag auf Genehmigung als EIU nach § 6 AEG einer Freistellung entgegen stehe. Die Beklagte berücksichtige überdies nicht, dass weitere EVU Interesse an der Nutzung Eisenbahninfrastruktur bekundet hätten.
29Mit Schreiben vom 11. November 2008 hat die Klägerin ein Zugfahrtenverzeichnis für die Jahre 2007 und 2008 nebst einer Gesamtübersicht vorgelegt.
30Die Klägerin beantragt,
31den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2008 aufzuheben.
32Die Beklagte beantragt,
33die Klage abzuweisen.
34Zur Begründung führt die Beklagte ergänzend aus: Bei der Entscheidung sei lediglich auf das Kriterium des Verkehrsbedürfnisses abzustellen, auf die von der Klägerin getätigten Investitionen komme es nicht an. Die Motive der Anliegergemeinden und die Urteile der Zivilgerichte spielten bei der Prüfung der Voraussetzungen keine direkte Rolle. Allein das Verkehrsbedürfnis und die Prognose zum zeitlichen Ausblick seien Gegenstand der Überprüfung der Beklagten. Unternehmerische Planungen seien bei der Entscheidung zwar zu berücksichtigen, stellten jedoch keine unüberwindbaren Hindernisse für eine Freistellung dar. Hätte der Gesetzgeber eine Sperrklausel für EIU einbauen wollen, so wäre § 23 AEG anders gefasst worden. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle eine bahnfremde Nutzung möglich sein, wenn die öffentlichen Belange mit Zeitablauf ihr Gewicht nahezu eingebüßt hätten. Gerade die öffentlichen Belange sprächen hier gegen einen Schutz der Eisenbahnbetriebsanlage.
35Denkmalschutzrechtliche Erwägungen stünden der Freistellung nicht entgegen. Zwar sei die Wiehltalbahn seit 2003 als Baudenkmal in die Denkmallisten der Anliegergemeinden eingetragen. Allerdings könnten Teilstücke der Wiehltalbahn nach § 9 Denkmalschutzgesetz zurückgebaut werden, ohne den Denkmalstatus zu verletzen. Mit der Freistellung werde überdies keine Genehmigung über den Rückbau von Eisenbahnbetriebsanlagen ausgesprochen.
36In der amtlichen Begründung zu § 23 AEG werde in der Tat zunächst eine Stilllegung nach § 11 AEG gefordert. Dieses gestufte Verfahren gelte allerdings nur für den Regelfall, dass die Einstellung des Betriebes von dem Eisenbahnunternehmen beantragt werde. Vorliegend stamme der Antrag auf Freistellung nicht vom EIU, sondern von der Grundstückseigentümerin. § 23 AEG diene nicht nur dem Schutz des betroffenen EIU, sondern wahre auch die Interessen der Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs, der Landes- und Regionalplanung sowie der Gemeinden.
37Zwar räume § 23 AEG kein Ermessen ein. Allerdings handele es sich bei den Begriffen des Verkehrsbedürfnisses und der Langfristigkeit um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Auslegung bedürften. Dabei stehe der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu. Überdies seien gemäß § 23 Abs. 2 AEG die Landes- und die Regionalplanung zu beteiligen. Demnach sollten auch planerische Gesichtspunkte und strukturpolitische Bewertungen bei der Beurteilung Eingang finden. Am 11. Mai 2006 habe der Bau- und Verkehrsausschuss des Landtags NRW das Einvernehmen zur integrierten Gesamtverkehrsplanung und zum öffentlichen Personennahverkehr-Bedarfsplan hergestellt. Danach sei die Wiehltalbahn aufgrund der Kosten-Nutzen-Analyse weder volkswirtschaftlich sinnvoll noch angesichts der für Infrastruktur und Betrieb verfügbaren Finanzmittel auf absehbare Zeit umsetzbar. Der ländlich geprägte Raum werde durch den bestehenden Nahverkehrsplan des Oberbergischen Kreises bedarfsgerecht versorgt und an die Hauptstrecken der DB AG mit dem öffentlichen Personennahverkehr angebunden. Für den Bereich des motorisierten Individualverkehrs sorge unter anderem der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen für den Ausbau der Straßen.
38Nach dem Wortlaut des § 23 AEG seien der öffentlich-rechtliche Charakter und die diesbezügliche Zweckbestimmung der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur zu beachten. Folglich müssten auch die ursprüngliche Kapazitätsauslastung der Strecke sowie der mit dem Bau verfolgte Zweck erfüllt werden. Im Falle der Wiehltalbahn sei nicht mit einer kostendeckenden Auslastung zu rechnen.
39Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
40die Klage abzuweisen.
41Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Auf ihrem Gemeindegebiet bestehe ein Interesse an der Aufhebung des Fachplanungsprivilegs, da diese Flächen für die Erweiterung zweier Großbetriebe dringend benötigt würden. Im Bereich des Verkehrsknotenpunktes in Bielstein stehe die Bahnstrecke der Herstellung eines Kreisverkehrsplatzes entgegen. Am Wiehler Bahnhof sei bis auf den Bereich der Gleisanlagen eine Verbindungsstraße zwischen dem Ortskern und der Umgehungsstraße L 336 geschaffen worden. Im gesamten Streckenverlauf quere die Wiehltalbahn zahlreiche Bahnübergänge, die nur durch ein Andreaskreuz gesichert seien. Dies habe mehrfach zu gefährlichen Situationen zwischen dem Kfz- Verkehr und der Bahn geführt. Dies gelte insbesondere bei stark eingeschränkten Sichtverhältnissen.
42Die Klägerin erbringe nicht den Nachweis eines bestehenden oder hinreichend ernsthaften zukünftigen Verkehrsbedürfnisses für die Beförderung von Personen oder Gütern. Derzeit würden keinerlei Holztransporte mehr durchgeführt. Die Schäden aufgrund des Sturms Kyrill" seien vollständig beseitigt. Ein weitergehender, konkreter Bedarf werde von der Klägerin nicht dargelegt, sondern lediglich behauptet. Nachweise für ein Transportbedürfnis der ortsansässigen Betriebe sowie dessen etwaiger Umfang würden nicht näher begründet. Die Wiehltalbahn diene nicht der touristischen Erschließung der Region, sondern sei vielmehr als touristisches Ereignis zu bezeichnen. Neben den gelegentlichen Fahrten des Fahrplans 2008 würden Charterfahrten und Fahrten im Rahmen von Veranstaltungen durchgeführt. Bei letzteren handele es sich um Sonderveranstaltungen, also um außerplanmäßige Fahrten. Diese Fahrten zu sechs Veranstaltungen im Jahr führten nicht zu einer deutlichen Steigerung über den bisherigen Fahrplan hinaus. Daneben sei aber auch die Abwicklung des Güterverkehrs fraglich, da keine Kapazitäten auf der Strecke Köln-Gummersbach vorhanden seien.
43Die Wiehltalbahn trage nicht zur verkehrlichen Erschließung bei und erfülle keine regionalen Gemeinwohlinteressen. Die verkehrliche Erschließung der Region werde vollständig über den Straßenverkehr abgewickelt. Auch der derzeitige bauliche Zustand der Strecke lasse einen regelmäßigen, wirtschaftlichen Eisenbahnverkehr des Personen- oder Gütertransports nicht zu. Die Eisenbahninfrastruktur sei an vielen Stellen in einem sanierungsbedürftigen Zustand und erfordere Investitionen in Höhe von mehreren Millionen Euro. Allein die Wiederherstellung eines betriebssicheren Zustandes der Brücke auf dem Gemeindegebiet der Gemeinde Reichshof würde einen Betrag von mehreren Millionen Euro erfordern. Aufgrund des maroden Zustands sei die Brücke seit März 2007 gesperrt. Diese Brücke sei ein Dauerprovisorium, das bereits seit 1946 bestehe. Die letzte Prüfung auf Verkehrssicherheit habe im Jahr 1986 stattgefunden. Auch bei der Bewertung der Wiehltalbahn im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr sei ein erheblicher Investitionsbedarf festgestellt worden. Die integrierte Gesamtverkehrsplanung (IGVP) NRW habe allein für die Strecke Engelskirchen-Osberghausen Gesamtkosten von 26,85 Millionen Euro ermittelt. Aus diesem Grund sei die Strecke nicht in den Verkehrsinfrastrukturbedarfsplan für die Schienenvorhaben aufgenommen worden. In dem Gutachten Reaktivierung der Wiehltalbahn und der Strecke Dieringhausen- Bergneustadt" sei der Investitionsbedarf auf 19,5 Millionen Euro geschätzt worden. Die Studie komme im Ergebnis zwar zu einem positiven Kosten-Nutzen-Indikator. Dieser beruhe jedoch auf einer bisher nicht belegten Fahrgastprognose. Auch folge aus der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, dass die Strecke in jedem Fall nur defizitär betrieben werden könne. Das Vorhaben sei nur deshalb positiv bewertet worden, weil der Investitionsbedarf niedriger sei als beim S-Bahn-Neubau und der Zuschussbedarf pro Zugkilometer den damals für die Deutsche Bahn erforderlichen Zuschussbedarf unterschritten habe.
44Ohne die erforderlichen Investitionen in die Strecke sei ein ordnungsgemäßer Betrieb mit mehr als 30 km/h nicht möglich. Lediglich im Bereich der Beigeladenen könne die Strecke mit 50 km/h befahren werden. Auch nach einer Instandsetzung könne die Geschwindigkeit von 50 km/h nicht überschritten werden. Mit dieser Geschwindigkeit könne jedoch weder ein ausreichender regelmäßiger Betrieb noch ein wirtschaftlicher Eisenbahnbetrieb durchgeführt werden. Dem stünden die Interessen der Beigeladenen an der anderweitigen Nutzung der Bahnbetriebsflächen entgegen. Aufgrund des derzeit auf den größten Teilen der Strecke überhaupt nicht stattfindenden Eisenbahnverkehrs bestehe seitens der Beigeladenen ein erhebliches Interesse, diese Flächen in ihre städtebauliche Planung einzubeziehen und auf diese Weise städtebauliche Probleme zu lösen.
45Der Klage dürfte das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Klageziel sei letztlich die Ausnutzbarkeit der Betriebsgenehmigung. Diesem Klageziel stünden jedoch dauerhaft tatsächliche Umstände entgegen, da die Klägerin die erforderlichen Investitionen in die Strecke nicht zu tätigen beabsichtige und ein wirtschaftlicher Betrieb der Strecke nicht möglich sei. Zudem sei weiterhin ungeklärt, ob die Klägerin überhaupt eine zivilrechtliche Verfügungsbefugnis über diese Strecke habe. Diese Frage sei durch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen nicht abschließend geklärt.
46Die Klage sei auch unbegründet. Das Tatbestandsmerkmal des Verkehrsbedürfnisses stelle einen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Die Maßstäbe seien bislang noch nicht eindeutig geklärt. Die Klägerin gehe davon aus, dass ein Verkehrsbedürfnis bereits dann vorliege, wenn ein EIU Interesse am Betrieb der vorhandenen Strecke zeige. Diese Auffassung beruhe auf einer einseitigen, die Interessen der EIU berücksichtigenden Auslegung, die in dieser Form keine Stütze im Gesetz finde. Maßgeblich sei vielmehr, ob ein Verkehrsbedarf bestehe, der die Aufrechterhaltung der Fachplanung rechtfertige. Nicht jedes noch so geringe Verkehrsaufkommen reiche hierfür aus. Das Verkehrsbedürfnis müsse letztlich insbesondere die gegenläufigen Eigentümerinteressen überwinden. Auch die Aufzählung der Anhörungsberechtigten in § 23 Abs. 2 AEG zeige, dass es für die Beurteilung des Verkehrsbedürfnisses nicht allein auf die Begründung des EIU und der nutzungsinteressierten EVU ankomme, sondern auch auf die aktuellen Konzepte der Vertreter des öffentlichen Interesses an einem attraktiven Verkehrsangebot auf der Schiene.
47Nachweise für ein Verkehrsbedürfnis im regelmäßigen Personen- oder Güterverkehr habe die Klägerin nicht erbracht. Ein öffentliches Verkehrsbedürfnis sei ebenfalls nicht gegeben. Der Bau- und Verkehrsausschuss des Landtags NRW habe die Wiehltalbahn aus der integrierten Gesamtverkehrsplanung ausgenommen. Dadurch werde deutlich, dass kein öffentliches Bedürfnis für den Verkehr auf dieser Strecke bestehe. Dem Gutachten zur Reaktivierung der Wiehltalbahn sei ebenfalls zu entnehmen, dass auch der regelmäßige Verkehr auf dieser Strecke zu Defiziten in Millionenhöhe führe. Ein Ausgleich dieser Defizite könnte nur durch Zuschüsse erfolgen. Derartige Zuschüsse würden jedoch nicht gewährt, da ein öffentliches Verkehrsbedürfnis nicht bestehe. Die Durchführung gelegentlicher touristischer Fahrten und das Fehlen eines öffentlichen Verkehrsbedürfnisses rechtfertigten eine Aufrechterhaltung der Fachplanung nicht.
48Auch in Zukunft sei nicht mit einer Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung zu rechnen. Hinsichtlich dieses prognostischen Elements komme der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu. Die Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass langfristig eine eisenbahnspezifische Nutzung nicht mehr zu erwarten sei. Für die Strecke bestehe kein öffentliches Verkehrsbedürfnis, der Betrieb der Strecke erfordere erhebliche Investitionen und sei ohne Zuschüsse wirtschaftlich nicht durchführbar.
49Entgegen der Auffassung der Klägerin sei eine vorherige Stilllegung der Strecke gemäß § 11 AEG nicht erforderlich. Das folge bereits aus dem Widerrufsvorbehalt in der der Klägerin erteilten Betriebsgenehmigung. Einer Stilllegung vor der Freistellung bedürfe es insoweit nicht, da mit Bestandskraft der Freistellung auch die Betriebserlaubnis widerrufen werden könne.
50Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, der Verfahren 18 K 1715/08 und 18 K 1779/08 sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
51E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
52Die Klage ist zulässig.
53Ihr fehlt namentlich nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Kammer konnte nicht feststellen, dass eine Aufhebung des Freistellungsbescheides die Rechtsstellung der Klägerin materiell deshalb nicht verbesserte, weil sie wirtschaftlich gar nicht in der Lage wäre, die Infrastruktur dauerhaft zu betreiben. Auch der in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2008 erörterte Investitionsbedarf gibt keinen Anlass für die Annahme, dass die Klägerin, die die Infrastruktur derzeit betreibt, dauerhaft hierzu gar nicht in der Lage wäre.
54Die Klage ist auch begründet.
55Der Bescheid vom 20. Februar 2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
56Die Voraussetzungen für eine Freistellung der Grundstücke der Wiehltalbahn im Stadtgebiet Wiehl von Bahnbetriebszwecken liegen nicht vor.
57Gemäß § 23 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz in der Fassung des Gesetzes vom 27. April 2005 ( BGBl. I, S. 1138 ) ( AEG ) stellt die zuständige Planfeststellungsbehörde für Grundstücke, die Betriebsanlage einer Eisenbahn sind oder auf denen sich Betriebsanlagen einer Eisenbahn befinden, auf Antrag die Freistellung von den Bahnbetriebszwecken fest, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.
58Die Kammer konnte weder feststellen, dass kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht, noch konnte sie feststellen, dass langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.
59Nach den Gesetzesmaterialien zu § 23 AEG,
60Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Drucksache 15/4419, S. 18 f.,
61ist darauf abzustellen, ob die betroffenen Grundstücke weiterhin für Eisenbahnbetriebszwecke benötigt werden. § 2 Abs. 2 Satz 1 AEG ist zu entnehmen, dass Zweck des Eisenbahnverkehrs die Beförderung von Personen oder Gütern auf einer Eisenbahninfrastruktur ist. Das erforderliche Verkehrsbedürfnis muss überdies ein öffentliches sein. Eisenbahnen dienen gemäß § 3 Abs. 1 AEG dem öffentlichen Verkehr, wenn Zugang zu der Eisenbahninfrastruktur und zu den Schienenwegen zu gewähren ist und die EVU nach ihrer Zweckbestimmung von jedermann benutzt werden können.
62Zur Überzeugung der Kammer steht nicht fest, dass ein solches öffentliches Verkehrsbedürfnis, das sich auf den Transport von Gütern und/oder Personen bezieht, für die streitgegenständliche Strecke der Wiehltalbahn im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides nicht mehr bestand.
63Dabei muss in diesem Fall nicht abschließend geklärt werden, welche konkreten Anforderungen an Art und Ausmaß eines Verkehrsbedürfnisses i. S. d. § 23 AEG zu stellen sind. Fest steht, dass bei der Prüfung des Verkehrsbedürfnisses nicht auf die ursprüngliche Kapazitätsauslastung der Strecke oder eine besondere Regelmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des nachgefragten Verkehrs abzustellen ist. Denn der Fortbestand der Widmung hängt nicht davon ab, dass die öffentlichen Belange, die für eine Nutzung entsprechend der ursprünglichen Zweckbestimmung sprechen, weiterhin in derselben Intensität vorliegen. Eine Freistellung ist nach dem Willen des Gesetzgebers vielmehr erst dann möglich, wenn diese öffentlichen Belange ihr Gewicht nahezu vollständig eingebüßt haben.
64Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Drucksache 15/4419, S. 18.
65Diese Voraussetzung ist jedenfalls nicht erfüllt.
66Ein Bedarf für schienengebundenen Verkehr ist objektiv vorhanden. Die Strecke wird von der Klägerin befahren und von mehreren EVU nachgefragt, die Güterverkehrsstelle Wiehl ist wieder eröffnet worden und Wiehl ist nunmehr erneut als Tarifpunkt für jeden Auftraggeber buchbar. Die Bahnstrecke wurde und wird auch gegenwärtig von Osberghausen bis Remperg/Mühlenau befahren. Im Jahr 2007 fanden bis zu drei Holztransporte pro Woche von und nach Oberwiehl statt, weitere Anfragen für Holztransporte aus der Region liegen der Klägerin nach den glaubhaften Ausführungen ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2008 vor. Ausweislich des vorgelegten Zugfahrtenverzeichnisses fanden auf der Wiehltalbahn im Jahr 2007 insgesamt 213 Personenzugfahrten und 131 Güterzugfahrten statt, im Jahr 2008 wurden insgesamt 229 Personenzugfahrten durchgeführt, wobei es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Jahr 2008 nur bis zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides ankommt.
67Der Beklagten steht entgegen ihrer Auffassung bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 1 AEG kein Beurteilungsspielraum zu. Beurteilungsspielräume beziehen sich - anders als das Ermessen, das auf der Rechtsfolgenseite zu prüfen ist - auf die Tatbestandsseite einer Norm. Ob die Verwaltung einen unbestimmten Rechtsbegriff zutreffend auslegt und den Sachverhalt fehlerfrei subsumiert, ist grundsätzlich voll gerichtlich überprüfbar. Das gebietet bereits die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Nur in besonderen Ausnahmefällen wird Behörden ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum zuerkannt.
68Die Komplexität einer Entscheidung allein genügt nicht zur Annahme eines gerichtskontrollfreien Entscheidungsspielraumes der Behörde. Bei der Prüfung eines Beurteilungsspielraumes ist vor allem das einschlägige materielle Recht heranzuziehen. Ein Beurteilungsspielraum muss weder ausdrücklich angesprochen noch entstehungsgeschichtlich belegt sein, sondern es können sämtliche Besonderheiten des Gesetzes, wie Art der Regelung, betroffene Sachmaterie, Entscheidungsträger und Ausgestaltung des Verfahrens berücksichtigt werden.
69Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 40 Rdnr. 160, 162.
70In der Rechtsprechung sind mehrere Fallgruppen eines Beurteilungsspielraumes anerkannt, u.a. die hier zu diskutierenden Prognoseentscheidungen. Dass eine Entscheidung prognostische Elemente enthält, schließt eine vollständige gerichtliche Überprüfung nicht von vornherein aus.
71BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1992 - 1 BvR 167/87 -, BVerfGE 88, 40 ff.; BVerwG, Urteil vom 08. März 1988 - 1 C 55.86 -, BVerwGE 79, 94.
72Ein Beurteilungsspielraum wird jedoch anerkannt bei Prognoseentscheidungen, die auf politische, wirtschaftliche oder kulturelle Gesamtzusammenhänge gerichtet sind.
73Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Auflage 2008, § 40 Rdnr. 199 m.w.N..
74Hierunter fallen z.B die Prognose, welcher Bewerber ein öffentliches Verkehrsbedürfnis am besten befriedigt,
75BVerwG, Urteil vom 07.12.1988 - 7 C 65.87 -, BVerwGE 80, 270,
76eine abwägende Bewertung der öffentlichen Verkehrsinteressen,
77BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1989 - 7 C 39.87 -, BVerwGE 82, 260,
78und die Beurteilung des Bedarfs an Rettungsdienstleistungen.
79BVerwG, Urteil vom 17. Juni 1999 - 3 C 20.98 -, NVwZ-RR 2000, 213.
80Eine vergleichbare Bewertung und Beurteilung unterschiedlichster Aspekte ist bei der Freistellung von Bahnbetriebszwecken nach § 23 AEG nicht vorzunehmen. Das zu prüfende Verkehrsbedürfnis ergibt sich aus einer überschaubaren Anzahl von Faktoren. Bezugspunkt ist nur die Prüfung, ob die Fläche zur Zeit und auf Dauer nicht mehr für Eisenbahnbetriebszwecke benötigt wird. Die erforderlichen Sachinformationen erhält die Behörde u.a. von den nach § 23 Abs. 2 AEG anzuhörenden Unternehmen und öffentlichen Stellen. Diese nehmen zu der Frage Stellung, ob aus ihrer Sicht ein aktuelles und künftiges Interesse an einer eisenbahnspezifischen Nutzung der betreffenden Grundstücke besteht.
81Eine Interessenabwägung mit städtebaulichen Planungen oder Eigentümerinteressen ist entgegen der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen nicht vorzunehmen. Zwar kann die betroffene Kommune oder ein sonstiger Grundstückseigentümer das Freistellungsverfahren gemäß § 23 Abs. 1 AEG initiieren und einen etwaigen Anspruch auf Freistellung von Bahnbetriebszwecken ggf. gerichtlich durchsetzen. Nach dem Wortlaut der Norm ist jedoch allein das Kriterium des Verkehrsbedürfnisses entscheidungserheblich. Auch die Gesetzesmaterialien sehen eine Abwägung mit anderen Interessen, wie z.B. Bauvorhaben der Gemeinden oder konkreten Eigentümerinteressen, nicht vor. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die kommunale Planungshoheit vielmehr erst dann wieder aufleben, wenn das freizustellende Grundstück auf Dauer für Bahnbetriebszwecke nicht mehr benötigt wird.
82Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Drucksache 15/4419, S. 18; ebenso BVerwG, Urteil vom 12. März 2008, - 9 A 3/06 - , zitiert nach juris Rdnr. 193 ff..
83Diesen Erwägungen liegt der Gedanke zugrunde, dass hinsichtlich der betroffenen Infrastruktur in der Vergangenheit bereits eine planerische Entscheidung getroffen wurde. Bei der Prüfung der Freistellungsvoraussetzungen ist nach dem Willen des Gesetzgebers im eigentlichen Sinne keine planerische Entscheidung zu treffen, vielmehr ist lediglich zu klären, ob die seinerzeit vorgesehenen Zwecke ( nahezu ) vollständig obsolet geworden sind.
84Abgesehen davon müsste sich die Beigeladene im vorliegenden Fall hinsichtlich der geltend gemachten Interessen aber auch entgegen halten lassen, dass sie in voller Kenntnis der Rechtslage belastetes Eigentum erworben hat. Auch dürfte vor rechtskräftiger Freistellung von Bahnbetriebszwecken ein mögliches Prozessrisiko in städtebauliche Planungen einzustellen sein.
85Zur Überzeugung der Kammer ist das Verkehrsbedürfnis auf der Wiehltalbahn auch nicht bereits deshalb entfallen, weil das Land Nordrhein-Westfalen und der Regionalrat des Regierungsbezirks Köln den Schienenverkehr zur Stärkung der Infrastruktur nicht für erforderlich halten.
86Zwar sieht § 23 Abs. 2 AEG ein Anhörungsrecht insbesondere der zuständigen Träger der Landes- und Regionalplanung sowie der betroffenen Gemeinden vor. Der weit gefasste Kreis der Anhörungsberechtigten soll nach dem gesetzgeberischen Willen eine möglichst umfassende Entscheidungsgrundlage sicherstellen. Durch die Einbindung der Landesbehörde finden auch landesplanerische Vorstellungen zur Entwicklung des Schienenverkehrs Berücksichtigung.
87Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Drucksache 15/4419, S. 19.
88Ein negatives Votum einer nach § 23 Abs. 2 AEG anzuhörenden öffentlichen Stelle ist bei der Entscheidungsfindung somit zwar zu berücksichtigen, ein Verkehrsbedürfnis kann aber gleichwohl auch unabhängig davon bestehen, wenn - wie hier - von anderer Seite ein ernstzunehmendes und nachhaltiges Interesse an der Nutzung der Strecke bekundet wird. Aufgrund des breiten Spektrums der Anhörungsberechtigten ist eine divergierende Bewertung möglich, zumal die o.g. Stellen überörtliche Interessen bündeln und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten Prioritäten hinsichtlich der Verwendung öffentlicher Infrastrukturmittel setzen. Ein abschließendes Entscheidungsrecht über die Frage, ob für eine eisenbahnrechtlich gewidmete Strecke noch ein öffentliches Verkehrsbedürfnis besteht, kommt den Trägern der Landes- und Regionalplanung deshalb nicht zu.
89Die in Rede stehenden überörtlichen Planungsentscheidungen stehen vorliegend der Annahme eines Verkehrsbedürfnisses nicht entgegen. Eine ausdrückliche Stellungnahme des Regionalrates und des zuständigen Trägers der Landesplanung zu der beantragten Freistellung ist, soweit erkennbar, im Verwaltungsverfahren nicht erfolgt. Den angeführten Entscheidungen der Planungsträger liegt überdies offensichtlich auch ein anderes Prüfprogramm zugrunde. Während sich die Landes- und Regionalplanung mit der Frage auseinander zusetzen hat, mit welcher Priorität öffentliche Infrastrukturmittel einzusetzen sind, geht es bei der Prüfung des Verkehrsbedürfnisses nach § 23 AEG allein um die Frage, ob ein öffentlicher Bedarf an Personen- und Güterverkehrsleistungen besteht. Übernimmt - wie hier - ein privater Investor die Infrastrukturleistungen und werden die von ihm angebotenen Eisenbahnverkehrsleistungen angenommen, so lässt sich ein Verkehrsbedürfnis nicht verneinen. Ferner bezieht sich der ÖPNV-Bedarfsplan nur auf einen Teilbereich des Bahnbetriebszwecks, nämlich den öffentlichen Personennahverkehr. Ein etwaiges Verkehrsbedürfnis für Güterverkehr bleibt bei dieser Planungsentscheidung von vornherein unberücksichtigt.
90Die Kammer lässt dahin gestellt, ob touristischer Verkehr bei der Beurteilung des Verkehrsbedürfnisses außer Betracht zu bleiben hat. Nach der Auffassung der Beklagten und der Beigeladenen steht dabei nicht die Personenbeförderung im Vordergrund, sondern die Fahrten würden nur um ihrer selbst willen durchgeführt. Diese Schlussfolgerung ist ohne Kenntnis der konkreten Motive der Fahrgäste nicht ohne weiteres möglich. Auch Wochenendfahrten in einer reizvollen Gegend können mit dem Ziel der Ortsveränderung und damit zur Befriedigung eines Verkehrsbedürfnisses durchgeführt werden. Dieser Aspekt muss jedoch nicht vertieft werden, weil jedenfalls die übrigen Personenzugfahrten zu diversen Festveranstaltungen ein Verkehrsbedürfnis bedienen und zu einer Entlastung der Straßen und der Parkplatzsituation beitragen.
91Für die betroffene Strecke lässt sich ferner nicht feststellen, dass auch langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht zu erwarten ist. Anhaltspunkte dafür, dass der derzeitige Personenverkehr zukünftig entfällt, bestehen nicht. Auch liegen konkrete Anfragen für weitere Gütertransporte vor. Die geplante Sanierung und Nutzung weiterer Streckenabschnitte der Wiehltalbahn lässt überdies eine Ausweitung der Verkehrsleistungen erwarten. An der diesbezüglichen Kompetenz der Klägerin besteht kein Anlass zu Zweifeln. Die Klägerin betätigt sich als EIU und EVU und hat im Bundesgebiet bereits mehrere stillgelegte Strecken reaktiviert. Auch der von der Beklagten und der Beigeladenen ins Feld geführte Investitionsbedarf auf der Strecke erlaubte es nicht, bereits im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides festzustellen, dass eine langfristige Nutzung zu Bahnbetriebszwecken nicht zu erwarten ist. Der Geschäftsführer der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2008 nachvollziehbar dargelegt, dass sich die Klägerin über die Höhe der anfallenden Investitionskosten konkret informiert und hinsichtlich des Investitionsbedarfs teilweise bereits Rückstellungen gebildet hat.
92Der Freistellungsbescheid verletzt die Klägerin in ihrer Eigenschaft als betroffenes EIU schließlich auch in eigenen Rechten.
93Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.