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Das Verfahren wird nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz ausgesetzt.
Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG in der Fassung vom 15. August 2019 (BGBl. I 2019, S. 1290), soweit von der Norm auch alleinstehende Leistungsberechtigte erfasst sind, mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Gründe I:
6Der 1982 geborene, alleinstehende Kläger ist sri-lankischer Staatsangehöriger und reiste 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit April 2014 ist er der Beklagten als Asylbewerber zugewiesen. Sein Asylantrag wurde 2017 abgelehnt. Im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum war der Kläger im Besitz einer Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und vollziehbar ausreisepflichtig. Er steht im laufenden Leistungsbezug der Beklagten und erhält seit Juli 2015 Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
7Der Kläger ist seit dem 00. April 2014 im städtischen Übergangswohnheim H Str. 00 in U untergebracht. Dabei handelt es sich um eine Gemeinschaftsunterkunft der Beklagten mit insgesamt 24 Bewohnern. Der Kläger bewohnt dort eine Wohneinheit mit drei Zimmern zuzüglich Küche und Bad. Seit dem 1. April 2019 teilt der Kläger sein Zimmer mit einem Mitbewohner aus Guinea. Die beiden weiteren Zimmer werden von insgesamt vier Personen aus Eritrea bewohnt. Küche und Bad werden von noch zwei weiteren Personen aus dem Irak und Somalia benutzt, die in Dachgeschosszimmern leben. Zwei der Mitbewohner aus Eritrea und ein Bewohner aus dem Dachgeschoss sind anerkannte Asylbewerber mit Bleiberecht. Diese Mitbewohner erhalten teilweise Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), teilweise sind sie erwerbstätig und nicht im Leistungsbezug.
8Die anderen vier Mitbewohner befinden sich im laufenden Asylverfahren. Zwei von ihnen erhalten Leistungen nach § 2 AsylbLG, die anderen beiden sind erwerbstätig und erhalten keine Leistungen.
9Gemäß § 4 der Satzung über die Einrichtung und Benutzung von Übergangsheimen sowie über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von Übergangsheimen in der Stadt U (Satzung U) erhebt die Beklagte für die Benutzung der Gemeinschaftsunterkunft Gebühren. Neben einem Kaltnutzungsentgelt je Quadratmeter wird nach § 5 Abs. 4 für die Möblierung ein Entgelt in Höhe von 0,56 EUR je qm und Monat erhoben sowie nach § 5 Abs. 5 eine Pauschale für Verbrauchskosten wie Strom und Heizung. Diese Gebühren werden von der Sozialbehörde übernommen.
10Die Versorgung mit Strom, Heizung und die Instandhaltung der Wohnung obliegt dem Betreiber der Unterkunft. Die Schlafzimmer sowie Küche und Sanitäranlagen sind vollständig möbliert und mit den erforderlichen Haushaltsgeräten ausgestattet. Für die Reparatur oder den Austausch von Möbeln- und Haushaltsgegenständen ist der Betreiber der Unterkunft zuständig und kommt für die dadurch anfallenden Kosten auf.
11In der Unterkunft gibt es kein kostenfreies Internet / WLAN, keine Computer zur gemeinschaftlichen Nutzung und auch keinen gemeinschaftlichen Aufenthaltsraum; im streitgegenständlichen Zeitraum konnten die Bewohner jedoch Computer in Gemeinschaftsräumen einer anderen Gemeinschaftsunterkunft der Beklagten mitbenutzen.
12Mit Bescheid vom 7. November 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen gemäß § 2 AsylbLG für den Monat November 2019 in Höhe von insgesamt 270,53 EUR (382 EUR Regelbedarfsstufe 2 abzüglich 33,84 EUR Strom/Energiekosten und abzüglich 23,52 EUR Innenausstattung/Geräte; zeitanteilig ab 06.11.2019 aufgrund eines stationären Klinikaufenthaltes vom 5. September 2019 bis 6. November 2019). Mit Bescheid vom 22. November 2019 bewilligte sie Leistungen gemäß § 2 AsylbLG für den Monat Dezember 2019 in Höhe von 324,64 EUR (382 EUR Regelbedarfsstufe 2 abzüglich 33,84 EUR Strom/Energiekosten und abzüglich 23,52 EUR Innenausstattung/Geräte). Gegen diese Bescheide legte der Kläger am 9. Dezember 2019 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2019 bewilligte die Beklagte Leistungen gemäß § 2 AsylbLG für den Monat Januar 2020 in Höhe von 330,59 EUR (389 EUR Regelbedarfsstufe 2 abzüglich 34,46 EUR Strom/Energiekosten und abzüglich 23,95 EUR Innenausstattung/Geräte). In gleicher Höhe bewilligte die Beklagte Leistungen für Februar 2020 mit Bescheid vom 24.01.2020. Mit Bewilligungsbescheid vom 13.02.2020 bewilligte die Beklagte für März 2020 wegen eines stationären Klinikaufenthaltes des Klägers nur noch 116,64 EUR (389 EUR Regelbedarfsstufe 2 abzüglich 34,46 EUR Strom/Energiekosten, abzüglich 23,95 EUR Innenausstattung/Geräte und abzüglich 213,95 EUR „Kürzung der Sachleistungen“), wobei Anfang April, nachdem der Kläger nachgewiesen hatte, dass er schon am 21.02.2020 wieder aus der Klinik entlassen worden war, eine Nachzahlung in Höhe von 213,95 EUR erfolgte.
13Den Widerspruch vom 9. Dezember wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2020 zurück.
14Mit seiner am 7. April 2020 erhobenen Klage, die er auf den Leistungszeitraum November 2019 bis einschließlich Februar 2020 beschränkt hat, wendet sich der Kläger gegen die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 anstelle der Regelbedarfsstufe 1, die Kürzung der Leistungen um Verbrauchsausgaben der Abteilung 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und –gegenstände, laufende Haushaltsführung) sowie die Fortschreibung der dem Grunde nach akzeptierten Kürzung um Strom/Energiekosten. Er ist der Auffassung, die Zuordnung zur Bedarfsstufe 2 sei mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht zu vereinbaren. Die Höhe der Leistungen seien vom Gesetzgeber nicht tragfähig begründet. Der Bedarf von Leistungsberechtigten gem. § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG weiche nicht signifikant von dem Bedarf alleinstehender erwachsener Leistungsberechtigter ab, die in einer Wohnung i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 3 des Regelbedarf-Ermittlungsgesetzes (in der bis 31.12.2020 gültigen Fassung) leben. Ein gemeinsames Wirtschaften, das dem von Partnern gleicht, finde in Flüchtlingsunterkünften generell und speziell auch im Fall des Klägers nicht statt und sei dem Kläger auch nicht zuzumuten. Mit seinem Zimmernachbarn finde keinerlei Kommunikation statt, er wisse lediglich, dass dieser aus Afrika stamme. Die Bewohner des Hauses seien um einen höflichen Umgang miteinander bemüht, es gebe jedoch keine Gemeinschaft und materielle Dinge würden nicht miteinander geteilt. Bezüglich einer abweichenden Regelsatzfestsetzung nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nummer 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) seien für die monatlich ersparten Verbrauchsausgaben die sich nach § 5 Abs. 1 oder nach § 6 Abs. 1 des Regelbedarfsermittlungsgesetzes für die jeweilige Abteilung ergebenden Beträge zugrunde zu legen. Die Beklagte nehme jedoch keine Kürzung durch diese Grundbeträge, sondern in fortgeschriebener Höhe vor. Darüber hinaus dürfe der Regelsatz nur in dem Umfang abgesenkt werden, in dem der Bedarf des Leistungsberechtigten tatsächlich gedeckt sei. Die Beklagte habe nicht deutlich gemacht, welche Bedarfspositionen der Abteilung 5 herausgekürzt wurden. Zumindest die Verbrauchsausgaben der Abt. 5 (Reparaturen von Möbeln und Haushaltsgegenständen) würden von der Beklagten nicht durch Sachleistung erbracht. Auch müsse es den Hilfebedürftigen selbst überlassen bleiben, ob er neben bereits vorhandenen Gegenständen Weitere anschaffen, austauschen oder ersetzen wolle; hierfür müsse er die Möglichkeit haben, den im Regelsatz enthaltenen Anteil für Ausgaben der Abt. 5 anzusparen. Die Kürzung könne auch nicht auf § 2 Abs. 2 AsylbLG gestützt werden, da die Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe.
15Der Kläger beantragt,
16die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 7. November 2019 und 22. November 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2020 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des § 2 AsylbLG in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 und ohne Kürzung der Leistungen um Verbrauchsausgaben den Abt. 5 und die Verbrauchsausgaben für Strom lediglich in der nicht fortgeschriebenen Höhe zu gewähren.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Die Beklagte hält ihre Entscheidung weiterhin für rechtmäßig. Die Leistungsgewährung nach Regelbedarfsstufe 2 sei gesetzlich so vorgeschrieben. Es dürfe auch davon ausgegangen werden, dass zwischen den Bewohnern der Unterkunft im Laufe der Jahre ein Näheverhältnis entstanden sei, so dass ein gemeinschaftliches Wirtschaften mit entsprechenden finanziellen Einspareffekten möglich sei. Für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung trage der Kläger keinerlei Kosten.
20Gründe II:
21Die Kammer hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) auszusetzen und unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, § 80 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG). Die zulässige Klage (dazu I.) wäre bei Gültigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG teilweise, insbesondere in Bezug auf die begehrten Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1, unbegründet, während sie bei Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG weitestgehend begründet wäre (dazu II.). Die Kammer hält die einfachrechtlich anzuwendende Norm des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG für verfassungswidrig, weil sie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und den Allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt (dazu III.).
Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat seine Klage gegen die Beklagte frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Die Streitgegenstände wurden im Sinne von § 92 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hinreichend bestimmt. Gegenstand des Verfahrens ist der Widerspruchsbescheid vom 20. März 2020, der die Leistungszeiträume November 2019 bis März 2020 erfasst. Der Widerspruch richtete sich gegen die Bescheide vom 7. November 2019 und 22. November 2019. Bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids werden jedoch ausdrückliche bzw. konkludente Bewilligungsbescheide, die Folgezeiträume betreffen, in analoger Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Denn bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides behält die Verwaltung das Verfahren in der Hand und muss alle bis dahin ergangenen Bewilligungen überprüfen (BSG, Urteil vom 17.06.2008 - B 8 AY 11/07 R, Rn. 12). Der Kläger hat seine Klage auf den Zeitraum November 2019 bis Februar 2020 beschränkt. Damit ist der streitgegenständliche Leistungszeitraum November 2019 bis Februar 2020.
23Die in zulässiger objektiver und subjektiver Klagehäufung eingelegten kombinierten Anfechtungsklagen und Leistungsklagen, mit denen der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und höhere Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 verlangt, sind statthaft (§ 54 Abs. 4 SGG).
24Der Kläger ist klagebefugt. Soweit sich der Kläger gegen die Kürzung der Leistungen um Verbrauchsausgaben der Abteilung 5 sowie die Fortschreibung der dem Grunde nach akzeptierten Kürzung um Strom/Energiekosten wendet, behauptet er, in seinem Recht aus § 2 AsylbLG verletzt zu sein. Soweit er sich gegen die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 wendet, behauptet er, in seinem Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt zu sein.
25Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis liegt vor. Es ist nicht zu erkennen, wie der Kläger wirksamer seinen Anspruch verfolgen kann.
Bei Gültigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ist die Klage teilweise unbegründet, während sie im Falle der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr.1 AsylbLG weitestgehend, insbesondere hinsichtlich der Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 begründet wäre. Denn hinsichtlich der dem Kläger im streitigen Leistungszeitraum zu erbringenden Leistungen ist § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG die anzuwendende bundesgesetzliche Norm, welche den Umfang der zu gewährenden Leistungen bestimmt (dazu 1.). Die gesetzlich vorgesehenen Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit §§ 28, 28a, 40 SGB XII und der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen 2019 und 2020 wurden dem Kläger mit den angefochtenen Bescheiden teilweise gewährt (dazu 2). Die vom Kläger beantragten höheren Leistungen lassen sich nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG begründen (dazu 3). Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen durch Anwendung des § 15 AsylbLG (dazu 4). Ein Anspruch auf höhere Leistungen lässt sich auch nicht aus § 27a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 SGB XII analog ableiten (dazu 5). Wäre § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG hingegen verfassungswidrig und nichtig oder jedenfalls unanwendbar, so hätte der Kläger einen Anspruch auf die begehrten Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG (dazu 6.).
Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Leistungszeitraum November 2019 bis Februar 2020 Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG.
28Der Kläger war in dem streitgegenständlichen Zeitraum im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG und gehörte damit nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG. Gemäß § 2 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3, 4, 6, 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten anzuwenden, die sich seit 15 bzw. 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Der Begriff des Missbrauchstatbestands beinhaltet eine objektive (den Missbrauchstatbestand) und eine subjektive Komponente (das Verschulden). In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Der Ausländer soll danach von Analog-Leistungen ausgeschlossen sein, wenn die von § 2 AsylbLG vorgesehene Vergünstigung andernfalls auf gesetzwidrige oder sittenwidrige Weise erworben wäre. Der Vorschrift des § 2 und damit dem - die Beeinflussung der Aufenthaltsdauer dienenden - Rechtsmissbrauch liegt der Gedanke zu Grunde, dass niemand sich auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig herbeigeführt hat (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R –, BSGE 101, 49-70, SozR 4-3520 § 2 Nr 2, Rn. 32 ff.). Im November 2019 hatte sich der Kläger bereits seit mehr als fünf Jahren in Deutschland aufgehalten. Dem Kläger war vor und zum streitgegenständlichen Zeitraum keine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer vorzuwerfen.
29Der Kläger war zum streitgegenständlichen Zeitraum in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) untergebracht. Als Gemeinschaftsunterkünfte sind solche Unterkünfte anzusehen, in denen einzelne Räume (insbesondere Aufenthalts- und Schlafräume, Küche und sanitäre Anlagen) von den darin untergebrachten Ausländern gemeinsam genutzt werden. Gemeinschaftsunterkünfte sind – gerade in Unterscheidung zu einer privaten Unterkunft – auf die Unterbringung einer Vielzahl von Asylbewerber*innen ausgerichtet (BGH, NJW 2018, 41 Rn. 23; BeckOK AuslR/Heusch, Stand 1.8.2017, § 53 AsylG Rn. 8; HK-AuslR/Keßler, 2. Aufl., § 53 AsylG Rn. 4 ff.). Die Unterbringung in einer solchen Gemeinschaftsunterkunft ist als heimähnlich zu bewerten. Denn in der Gesamtschau mit der erforderlichen baulichen Größe und Ausgestaltung der Einheit machen das enge Zusammenleben, die Anzahl und die häufige Fluktuation der Bewohner*innen eine heimtypische Organisationsstruktur erforderlich; in typisierender Betrachtung fehlt es an einer Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises (BGH NJW 2018, 41 Rn. 23). Für das Vorliegen einer Gemeinschaftsunterkunft genügt die bloße Unterkunftsgewährung mit der Möglichkeit, sich selbst zu versorgen. Nicht erforderlich sind Zubereitung und Abgabe von Gemeinschaftsverpflegung. (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 53 Rn. 10). Von der Gemeinschaftsunterkunft abzugrenzen sind abgeschlossene Wohnungen oder Einfamilienhäuser, die von den Leistungsberechtigten und etwaigen Familienangehörigen allein genutzt werden (Hohm, GK-AsylbLG - Kommentar zum Asylbewerberleistungsgesetz, § 3 AsylbLG, Rn. 56).
30Das städtische Übergangswohnheim H Str. 00 in U, in dem der Kläger seit dem 00 . April 2014 lebt, erfüllt die Voraussetzungen einer Gemeinschaftsunterkunft. In der Unterkunft sind insgesamt 24 Bewohner untergebracht. Der Kläger bewohnt eine Wohneinheit mit drei Zimmern zuzüglich Küche und Bad und teilt sein Zimmer mit einem Mitbewohner aus Guinea. Die beiden weiteren Zimmer werden von insgesamt vier Personen aus Eritrea bewohnt. Mit diesen 5 Mitbewohnern und zwei weiteren Personen aus dem Irak und Somalia, die in Dachgeschosszimmern leben, teilt sich der Kläger die Küche und das Bad.
31Innerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft kommt allenfalls dann die Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 in Betracht, wenn Leistungsberechtigte dort alleine oder mit Familienangehörigen in einer abgeschlossenen Wohneinheit untergebracht sind, die über sämtliche Gegenstände zur selbstständigen Haushaltsführung verfügt (vgl. Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3a AsylbLG, Rn. 40 zu § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b und Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG).
32Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Kläger ist alleinstehend. Er teilt sich Bad und Küche in seiner Wohneinheit mit sieben weiteren Personen, zu denen er in keinerlei Verwandtschaftsverhältnis steht.
Die gesetzlich vorgesehenen Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit §§ 28, 28a, 40 SGB XII und den Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen 2019 und 2020 wurden dem Kläger mit den angefochtenen Bescheiden nur teilweise gewährt. Die Abzüge in den EVS-Abteilungen 4 und 5 durften nicht in fortgeschriebener Höhe erfolgen (dazu a). Die Abzüge in der EVS-Abteilung 5 sind auch insoweit rechtswidrig, als davon auch Bedarfe umfasst sind, die nicht durch Sachleistungen gedeckt sind (dazu b).
Die von der Beklagten in den Monaten November 2019 bis März 2020 vorgenommenen Abzüge in den EVS-Abteilungen 4 und 5 durften nicht in fortgeschriebener Höhe erfolgten. Anstelle des von der Beklagten festgelegten Abzugs in Höhe von 33,84 EUR für Strom/Energiekosten und 23,52 EUR für Innenausstattung/Geräte in den Monaten November und Dezember 2019 und 34,46 EUR für Strom/Energiekosten und 23,95 EUR für Innenausstattung/Geräte in den Monaten Januar bis Februar 2020 sieht § 27a Abs. 4 Satz 2 SGB XII für die Regelbedarfsstufe 2 lediglich einen Abzug von 31,50 für Strom/Energiekosten (Abteilung 4 der EVS 2013 abzüglich 10 Prozent) und 21,91 für Innenausstattung/Geräte (Abteilung 5 der EVS 2013 abzüglich 10 Prozent) vor. Dies ergibt sich aus § 27a Abs. 4 Satz 2 SGB XII, wonach zur Bestimmung der Höhe der Abzüge die sich nach § 5 Absatz 1 oder nach § 6 Absatz 1 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes für die jeweilige Abteilung ergebenden Beträge zugrunde zu legen sind. Der Regelbedarf ist dabei nur in Höhe der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der EVS 2013 abzusenken. Eine Fortschreibung dieser Beträge erfolgt dem Wortlaut nach nicht. Dies entspricht auch dem ausdrücklichen gesetzgeberischen Willen (BT-Drs. 18/9984, S. 90).
Die Abzüge in der EVS-Abteilung 5 (Innenausstattung/Geräte) sind darüber hinaus insoweit rechtswidrig, als davon auch Bedarfe erfasst sind, die nicht durch Sachleistungen gedeckt sind. Dies betrifft insbesondere die in EVS-Abteilung 5 enthaltenen Bedarfe für kleine elektrische Haushaltsgeräte, Heimtextilien sowie sonstige Ge- und Verbrauchsgüter für die Haushaltsführung, die ausweislich der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 in der Gruppe der Alleinstehenden mit Nettoeinkommen unter 900 EUR die Hälfte der Ausgaben der EVS-Abteilung 5 ausmachen (Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Heft 7, EVS 2013, S. 140).
36Die Abzüge in den EVS-Abteilungen 4 (Strom/Energiekosten) und 5 (Innenausstattung/Geräte) erfolgten gemäß § 2 Abs. 2 AsylbLG, § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGB XII analog. Nach § 2 Abs. 2 AsylbLG bestimmt die zuständige Behörde bei der Unterbringung von Leistungsberechtigten nach Absatz 1 in einer Gemeinschaftsunterkunft die Form der Leistung auf Grund der örtlichen Umstände. Nach § 10 Abs. 3 SGB XII haben zwar Geldleistungen Vorrang vor Gutscheinen oder Sachleistungen, dies aber nur, soweit nicht das SGB XII etwas anderes bestimmt oder das Ziel der Sozialhilfe erheblich besser oder wirtschaftlicher mit Gutscheinen oder Sachleistungen erreicht werden kann. "Soweit nicht das SGB XII etwas anderes bestimmt" iSd § 10 Abs. 3 SGB XII ist dabei so zu lesen, dass es auch auf eine etwaige andere Bestimmung im verweisenden Gesetz, dem AsylbLG, ankommt (LSG München, Beschluss vom 15. November 2019 – L 8 AY 43/19 B ER –, Rn. 33, juris; Leopold in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Kommentar, 7. Auflage 2020, § 2 AsylbLG, Rn. 69). § 2 Abs. 2 AsylbLG räumt den zuständigen Behörden ein Ermessen ein. Die Ermessensermächtigung bezieht sich auf die Bestimmung der Form der Leistung bei entsprechender gemeinschaftlicher Unterkunft und gibt der Behörde auf, dies nach den örtlichen Umständen zu berücksichtigen (LSG München, Beschluss v. 19.11.2018 – L 8 AY 23/18 B, Rn. 51, BeckRS 2018, 38485; LSG München, Beschluss vom 15. November 2019 – L 8 AY 43/19 B ER –, Rn. 35, juris; SG Aachen, Urteil vom 02.04.2019 - 20 AY 8/18; Oppermann in jurisPK-SGB XII, § 2, Rn. 228 ff.; Deibel in Hohm AsylbLG, Gemeinschaftskommentar, § 2, Rn. 334, Krauß in Siefert AsylblG § 2, Rn. 65; a.A. Leopold in Grube/Wahrendorf, SGB XII Kommentar, 7. Auflage, § 2 AsylbLG, Rn. 70). Vorliegend hat die Beklagte unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände entschieden, den Bedarf an Möbeln und größeren Haushaltsgeräten in der Gemeinschaftsunterkunft durch Sachleistungen zu decken. Dies umfasst eine einmalige Grundausstattung mit Möbeln und größeren Haushaltsgeräten sowie den Austausch, die Reparatur und Instandhaltung. Dafür erhebt die Beklagte nach § 5 Abs. 4 und 5 der Satzung über die Einrichtung und Benutzung von Übergangsheimen sowie über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von Übergangsheimen in der Stadt U vom 11. Juli 1997 in der Fassung vom 17. Dezember 2014 von dem Kläger eine Benutzungsgebühr und eine Verbrauchskostenpauschale für die Bereitstellung von Möbeln, Haushaltsgegenständen, Strom und Energie, die von der Sozialbehörde seit 2014 vollständig übernommen wird. Diese Entscheidung der Beklagten ist im Grundsatz nicht zu beanstanden. Die örtlichen Umstände in der Unterkunft, insbesondere die hohe Fluktuation und die Unterbringung in Mehrbettzimmern mit Gemeinschaftsräumen erfordern eine Grundausstattung durch die Beklagte. In Wohngemeinschaften, in denen die Bewohner*innen für variierende Zeiträume mit ihnen fremden Menschen zusammenwohnen, erscheint es wenig praktikabel, den Bewohner*innen die Ausstattung, Reparatur und Austausch von Möbeln und größeren Haushaltsgeräten selbst zu überlassen. Indem die Beklagte diese Gegenstände zur Verfügung stellt und Verantwortung für ihre Wartung und den Austausch übernimmt, verringert sie nicht nur den organisatorischen Aufwand für die Bewohner*innen, sondern beugt auch sozialen Spannungen und Konflikten vor.
37Die Leistungsbehörde musste diese Sachleistungen bei der Leistungshöhe berücksichtigen, jedoch nur insoweit der Bedarf des Klägers durch sie tatsächlich gedeckt ist. Methodisch erfolgt die wertmäßige Kürzung der Geldbeträge durch eine Anwendung des § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, der hier über § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG entsprechend gilt. Danach wird der Regelsatz abweichend von der maßgebenden Regelbedarfsstufe festgesetzt, wenn ein durch die Regelbedarfe abgedeckter Bedarf nicht nur einmalig, sondern für die Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat nachweisbar vollständig oder teilweise anderweitig gedeckt ist. § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII räumt dem Sozialhilfeträger keinen Ermessensspielraum ein. Die Verwendung des Begriffs „wird“ bringt vielmehr zum Ausdruck, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die monatlich ersparten Verbrauchsausgaben vom Regelbedarf abzuziehen sind (Krauß in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Auflage 2019, § 27a SGB XII, Rn. 9; Wrackmeyer-Schoene in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 27a SGB XII, Rn. 40). Es bedarf allerdings einer genauen Prüfung des Einzelfalls, um den gesamten Bedarf zu ermitteln und zu prüfen, ob er tatsächlich vollständig gedeckt ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. November 2011 – L 8 SO 308/11 B ER, Rn. 14, juris).
38Entgegen der Festsetzung in den Leistungsbescheiden von November 2019 bis Februar 2020 decken die Sachleistungen der Beklagten nur einen Teil der in EVS-Abteilung 5 enthaltenen Bedarfe. Gemäß der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 entfallen auf die EVS-Abteilung 5 die Bedarfe für Möbel- und Einrichtungsgegenstände, Teppiche und elastische Bodenbeläge, Kühl- und Gefriermöbel, sonstige größere Haushaltsgeräte, kleine elektrische Haushaltsgeräte, Heimtextilien, sonstige Gebrauchsgüter für die Haushaltsführung, Verbrauchsgüter für die Haushaltsführung und Dienstleistungen für die Haushaltsführung (Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Heft 7, EVS 2013).
39Die Abzüge für Möbel- und Einrichtungsgegenstände, Teppiche und elastische Bodenbeläge, Kühl- und Gefriermöbel, sonstige größere Haushaltsgeräte und Dienstleistungen für die Haushaltsführung sind gerechtfertigt, denn der monatliche Regelbedarf ist insoweit gedeckt. Die Wohneinheit ist vollständig möbliert und mit größeren Haushaltsgeräten wie Kühlschrank und Waschmaschine ausgestattet. Soweit die Beklagte dem Kläger die Wohnung in der Gemeinschaftsunterkunft mit dieser Ausstattung zur Verfügung gestellt hat, liegt darin die Befriedigung eines einmaligen Bedarfs gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Diese Leistungen nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII gehören aber nach der ausdrücklichen Vorgabe des § 27a Abs. 2 S. 1 SGB XII nicht zu dem Regelbedarf. Darüber hinaus ist vorliegend jedoch auch der monatliche Regelbedarf an Möbel – und Einrichtungsgegenständen, Teppichen und Bodenbelägen, größeren Haushaltsgeräten einschließlich Kühl und Gefriermöbel sowie Dienstleistungen für die Haushaltsführung gedeckt, denn die Beklagte repariert oder ersetzt defekte Möbel, Bodenbeläge und Geräte und muss für die dadurch anfallenden Kosten aufkommen. Der selbstständige Austausch von Möbeln und Haushaltsgegenständen oder die selbstständige Anschaffung weiterer Möbel und Hausrat durch einzelne Bewohner ist nicht erforderlich und könnte zudem angesichts des begrenzten Raums zu Konflikten innerhalb der Wohneinheit führen.
40Insoweit unterscheidet sich die Situation in einer Gemeinschaftsunterkunft von dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall eines Leistungsempfängers, der eine möblierte Wohnung eines privaten Vermieters bewohnte, deren Kosten eine Möblierungspauschale enthielten. Hier lehnte das Bundessozialgericht eine pauschale Absenkung der Sozialleistungen nach § 28 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. SGB XII a.F. ab, da die Ersparungen ungewiss und von der individuellen Lebensgestaltung des Leistungsempfängers abhängig seien (BSG Urt. V. 20.9.2012 – B 8 SO 4/11 R, BeckRS 2012, 75420, Rn. 24). In dem Fall stand es dem Mieter frei, nach Rücksprache mit dem Vermieter Gegenstände auszutauschen oder eigenständig weitere Gegenstände anzuschaffen. In einer zentral verwalteten Gemeinschaftsunterkunft mit wechselnden Bewohnern bestehen keine vergleichbaren Gestaltungsspielräume.
41Ebenfalls von der vorliegenden Konstellation zu unterscheiden sind Wohnheime für Wohnungslose, in denen lediglich ein Bett zur Verfügung steht. Hier setzt der vollständige Abzug der Strompauschale voraus, dass der gesamte Bedarf an Strom ermittelt wird und nachweislich anderweitig gedeckt ist. Dies ist nicht plausibel, wenn in der Unterkunft nicht gekocht oder gewaschen werden kann (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 01. November 2011, L 8 SO 308/11 B ER, Rn. 14, juris; SG Berlin, Urteil vom 9. Januar 2007, S 61 AS 7910/07, Rn. 34, juris).
42Der Kläger lebt hingegen in einer möblierten Wohneinheit mit Koch- und Waschgelegenheiten und ist hinsichtlich seines Bedarfs an Möbel- und Einrichtungsgegenständen, Teppichen und elastischen Bodenbelägen, Kühl- und Gefriermöbeln, sonstigen größeren Haushaltsgeräten und Dienstleistungen für die Haushaltsführung nicht auf zusätzliche finanzielle Mittel angewiesen.
43Es handelt sich bei den Abzügen auch nicht um hypothetische Bedarfe, die für den Kläger möglicherweise nicht entstanden wären (vgl. dazu BSG Urt. V. 20.9.2012, B 8 SO 4/11 R, BeckRS 2012, 75420, Rn. 24; Gebhardt in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht, Edition 28d, § 27a SGB XII, Rn. 26). Vielmehr ist eine fortlaufende Versorgung mit Möbeln und Haushaltsgeräten ein zwingender Bedarf des physischen Existenzminimums, den der Kläger andernfalls anderweitig hätte finanzieren müssen.
44Nicht gerechtfertigt sind hingegen die Abzüge für kleine elektrische Geräte, Heimtextilien, sonstige Gebrauchsgüter für die Haushaltsführung und Verbrauchsgüter für die Haushaltsführung, denn insoweit ist der monatliche Regelbedarf nicht anderweitig gedeckt. Die Ausstattung in der Unterkunft beschränkt sich auf Möbel und essentielle größere Geräte wie Kühlschrank, Backofen, Herd und Waschmaschine. Die Anschaffung und ggf. Reparatur von Heimtextilien wie Handtücher, Bettwäsche, kleinere elektrische Geräte wie beispielsweise Toaster, Haartrockner, Mixer sowie sonstiger Gebrauchs- und Verbrauchsgüter der Haushaltsführung liegt in der Verantwortung der Bewohner*innen selbst. Ob einzelne dieser Posten in der Grundausstattung der Unterkunft bereits vorhanden waren, kann hier dahinstehen. Denn bezüglich dieser Bedarfe, die sich individuell stark unterscheiden, muss es dem Kläger überlassen bleiben, ob er neben den vorhandenen Textilien, Geräte und Gebrauchsgütern weitere anschaffen oder existierende Gegenstände ersetzen will. Insoweit kommt es hier auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Leistungsberechtigten an, der über die Verwendung des Regelbedarfs eigenverantwortlich entscheiden kann (vgl. § 27a Abs. 3 S. 2 SGB XII).
45In der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 ergibt sich für die Gruppe der Alleinstehenden mit Nettoeinkommen unter 900 EUR, dass die Bedarfe für kleine Elektrische Geräte, Heimtextilien, sonstige Gebrauchsgüter für die Haushaltsführung und Verbrauchsgüter für die Haushaltsführung die Hälfte der durchschnittlichen monatlichen Ausgaben in Höhe von 23 EUR in EVS-Abteilung 5 ausmachen. Die andere Hälfte entfällt auf Einrichtungsgegenstände, Teppiche und elastische Bodenbeläge, Kühl- und Gefriermöbel, sonstige größere Haushaltsgeräte und Dienstleistungen für die Haushaltsführung (Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Heft 7, EVS 2013, S. 140). Reduziert man die um 10 Prozent gekürzten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben in der Abteilung 5 der EVS 2013 in Höhe von 21,91 um die Hälfte, ergibt sich ein Abzug von 10,95 EUR. Lediglich in dieser Höhe war der Regelbedarf abzusenken.
Es ist keine verfassungskonforme Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG möglich, die zur Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 führt. In § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG kann kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des tatsächlichen gemeinsamen Wirtschaftens hineingelesen werden (dazu a)). Auch eine teleologische Reduktion des Tatbestandes auf Wohnsituationen in denen ein gemeinsames Wirtschaften möglich und zumutbar ist, scheidet aus (dazu b)). Der Tatbestand ist auch nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass er lediglich bei nahen Familienangehörigen ein gemeinsames Wirtschaften vermutet (dazu c)). Eine unterlassene Belehrung über die Obliegenheit, gemeinsam zu wirtschaften, führt nicht zur Unanwendbarkeit der Norm (dazu d)).
Eine verfassungskonforme Auslegung, nach der die Regelbedarfsstufe 2 nur dann zur Anwendung kommt, wenn der Leistungsberechtigte tatsächlich und nachweisbar mit anderen Bewohner*innen der Sammelunterkunft gemeinsam wirtschaftet, ist nicht möglich.
48Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden (vgl. BVerfGE 119, 247 (274); 138, 64 (93)). Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung vereinbare Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt, so ist diese geboten (vgl. BVerfGE 88, 145 (166); 119, 247 (274)). Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung endet jedoch dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Normgebers in Widerspruch träte (vgl. BVerfGE 95, 64 (93); 99, 341 (358); 101, 312 (329) m.w.N.; 138, 64 (94); stRspr). Anderenfalls könnten die Gerichte der rechtspolitischen Entscheidung des demokratisch legitimierten Normgebers vorgreifen oder diese unterlaufen (vgl. BVerfGE 8, 71 (78 f.); 112, 164 (183). Das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung muss demnach nicht nur vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt sein, sondern auch die prinzipielle Zielsetzung des Normgebers wahren (vgl. BVerfGE 86, 288 (320); 119, 247 (274)). Das gesetzgeberische Ziel darf nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht werden (vgl. BVerfGE 119, 247 (274) m.w.N.; 138, 64 (94) ). Die Gerichte sind demnach daran gehindert, sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz zu begeben und sich damit der aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenen Bindung an Recht und Gesetz zu entziehen. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass der Richter seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt (BVerfGE 128, 193 (209) f. m.w.N., so auch BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015, B 4 AS 55/15 R, Rn. 20; SG Berlin, Urteil vom 11. Dezember 2015, S 149 AS 7191/13, zur Rechtsanwendung durch Richter auch Flint, Selbstverständnis Sozialrichter, NZS 3/2016, S. 82).
49Gemessen daran ist es nicht möglich, § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen und nachweisbaren gemeinschaftlichen Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in der Gemeinschaftsunterkunft untergebrachten Personen zu ergänzen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. März 2020, L 15 AY 2/20 B ER, Rn. 25, juris; a.A. SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20; SG Landshut, Beschluss vom 23. Januar 2020, S 11 AY 79/19 ER; SG Landshut, Beschluss vom 28. Januar 2020, S 11 AY 3/20 ER, Rn. 40 f., juris; SG München, Beschluss vom 10. Februar 2020, S 42 AY 82/19 ER; SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019, S 53 AY 107/19 ER; in Betracht ziehend LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Juli 2020, L 9 AY 22/19 B ER; Frerichs in: Schlegel/Voelzke, JurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3a AsylbLG, Rn. 44).
50Es fehlt bereits an einer normativen Grundlage, die Anlass und Anknüpfungspunkt für eine solche verfassungskonforme Auslegung sein könnte. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ist vielmehr eindeutig und lässt eine Deutung, nach der ein tatsächliches und nachweisbares gemeinsames Wirtschaften für die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 erforderlich ist, nicht zu. Die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 setzt dem Wortlaut nach lediglich die Unterbringung in einer Sammelunterkunft voraus.
51Die verfassungskonforme Auslegung wäre allenfalls im Wege einer teleologischen Reduktion möglich. Unabhängig von der Frage, ob eine solche Auslegung gegen den Wortlaut methodisch vertretbar ist, liegen ihre Voraussetzungen nicht vor. Denn es entspricht erkennbar dem Willen des Gesetzgebers, dass die Unterbringung in einer Sammelunterkunft zur Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 führt, unabhängig davon, ob tatsächlich gemeinsam gewirtschaftet wird. Der Gesetzgeber erwartet nicht nur (empirisch) ein gemeinsames Wirtschaften, sondern er verlangt dies auch (normativ). In der Gesetzesbegründung kommt dies etwa darin zum Ausdruck, dass das gemeinsame Wirtschaften als „möglich und zumutbar“ bezeichnet wird und eine „Obliegenheit, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um miteinander in der Sammelunterkunft auszukommen“, angenommen wird (BT-Drs. 19/10052, S. 24).
52Vor diesem Hintergrund vermag die Auffassung des SG Landshut nicht überzeugen, dem gesetzgeberischen Willen werde durch eine teleologische Reduktion auf tatsächliches und nachweisbares gemeinsames Wirtschaften, ausreichend Rechnung getragen. Zur Begründung führt das SG Landshut aus, der Gesetzgeber unterstelle ausweislich der Gesetzesbegründung selbst ein tatsächliches gemeinsames Wirtschaften und habe somit ohnehin gerade diese Konstellation regeln wollte (SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39-20-1, Rn. 49, juris). Dabei ignoriert das Gericht die vom Gesetzgeber formulierte Erwartungshaltung. Zudem verkennt das Gericht, dass der Gesetzgeber die Regelungssystematik der Regelbedarfsstufen in Paarhaushalten auf Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften übertragen wollte. Dies kommt in der Gesetzesbegründung deutlich zum Ausdruck, wonach Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften „zukünftig – wie Leistungsberechtigte in Paarhaushalten – ebenfalls der Bedarfsstufe 2 zugeordnet“ werden (BT-Drs. 19/10052, S. 23). Der Gesetzgeber geht bei Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften ebenso wie bei Leistungsberechtigten in Paarhaushalten von Einspareffekten aus, eine tatsächliche Umsetzung dieser Einsparmöglichkeiten geschweige denn ein Nachweis im Einzelfall ist hier wie dort nicht vorgesehen.
53In anderen Konstellationen hat sich der Gesetzgeber bewusst anders entschieden. Erwachsene, die in einer Wohnung zusammenleben, jedoch nicht in einem Paarverhältnis zueinanderstehen, werden im Regelungssystem des SGB II und XII dem Regelbedarfssatz 1 zuordnet, da sich der Minderbedarf aufgrund gemeinsamen Wirtschaftens bei zusammenlebenden Erwachsenen nicht ohne weiteres quantifizieren lasse (BT-Drs. 18/9984, S. 84).
54Bei einem Zusammenleben in Sammelunterkünften hat sich der Gesetzgeber in Kenntnis der verschiedenen Regelungsmöglichkeiten hingegen dafür entschieden, einen Minderbedarf anzunehmen, der quantitativ dem Minderbedarf in Paarhaushalten entspricht. Die einzige Fallkonstellation, für die der Gesetzgeber kein gemeinsames Wirtschaften annimmt, ist in § 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b AsylbLG ausdrücklich geregelt. Bei nur kurzfristigen Unterbringungen in Pensionen, Wohnheimen oder in Notunterkünften könne „von einer entsprechenden Solidarisierung in der Gemeinschaftsunterbringung und sich daraus ergebenden Synergie- und Einspareffekten nicht ausgegangen werden“ (BT-Drs. 19/10052, S. 25). In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bestätigte die Bundesregierung, dass die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 in Sammelunterkünften selbst während der aktuellen Covid-19-Pandemie fortgelte. Eine „teleologische Reduktion des § 3a Absatz 1 Nummer 2b sowie Absatz 2 Nummer 2b AsylbLG“ sei nur in „Ausnahmefällen“ für möglich, wenn „aus Gründen des Infektionsschutzes erforderliche Maßnahmen ergriffen wurden, die die Möglichkeit eines gemeinsamen Wirtschaftens in erheblichem Umfang einschränken“.
55Anders als vom SG Landshut unterstellt (SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020, S 11 AY 39/20, Rn. 49, juris), blieben bei einer darüber hinausgehenden teleologischen Reduktion des Tatbestands auf Konstellationen, in denen tatsächlich und nachweisbar gemeinsam gewirtschaftet wird, auch kaum Anwendungsfälle für den § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG. In dem Fall bedürfte es einer „Prüfung im Einzelfall, ob eine tatsächliche und nachweisbare finanzielle Beteiligung an der (gemeinsamen) Haushaltsführung vorliegt“ (so auch SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020, S 11 AY 39/20, Rn. 32, juris; Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3a AsylbLG, Rn. 44). Die objektive Beweislast läge beim Leistungsträger. Dieser müsste gemeinsame Einkäufe, gemeinsame Essenszubereitung, die gemeinsame Anschaffung von Büchern, Filmen, Apps, Sportartikeln und anderen Gebrauchsgegenständen nachweisen. Zweifel gingen zu seinen Lasten. Wegen der fehlenden Plausibilität der Einspareffekte (dazu unter III 1b (2)) ist davon auszugehen, dass entsprechende Nachweisversuche in der Praxis scheitern würde. Die fehlende Praktikabilität einer solchen Nachweispflicht im Bewilligungsverfahren hätte in der Praxis voraussichtlich im Regelfall die Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 zur Folge.
56Die Annahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals des tatsächlichen gemeinsamen Wirtschaftens würde somit nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem gesetzgeberischen Ziel zuwiderlaufen.
Ebenso wenig kann § 2 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG dahingehend ausgelegt werden, dass die Regelbedarfsstufe 2 nur angewendet werden soll, wenn ein gemeinsames Wirtschaften möglich und zumutbar ist (vgl. SG Berlin, Beschluss vom 19. Mai 2020 – S 90 AY 57/20 ER –, Rn. 29 ff., juris; SG Kassel, Beschluss vom 13.07.2020 – S 12 AY 20/20 ER).
58Diese Auslegung wäre weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck der Norm gedeckt und würde gegen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verstoßen.
59Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG lässt keinen Raum für zusätzliche Voraussetzungen. Die Regelbedarfsstufe 2 soll dem Wortlaut nach immer dann Anwendung finden, wenn ein Leistungsberechtigter nach §§ 1, 2 AsylbLG in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Abs. 1 AsylG oder in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 AsylG untergebracht ist.
60Der Gesetzgeber hat sich erkennbar die Einschätzung der Bundesregierung zu Eigen gemacht, „dass es den Bewohnern einer Sammelunterkunft durch gemeinsames Wirtschaften möglich und zumutbar ist, die dargestellten Einspareffekte zu erzielen, die mit denen von Paarhaushalten vergleichbar sind“ und dass „ein Zusammenwirtschaften über die bloße Teilung von unterkunftsbezogenen Leistungen hinaus […] von den Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, die in Sammelunterkünften untergebracht sind, erwartet werden“ kann (BT-Drs. 19/10052, S. 24).
61Auf eine Sonderkonstellation, nämlich auftretende Konflikte in der Sammelunterkunft, geht der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung selbst ein und hält ein gemeinsames Wirtschaften auch dann noch für zumutbar:
62„Sofern die in einer Sammelunterkunft untergebrachten Personen wegen auftretender Konflikte nicht mehr zumutbar zusammen wirtschaften können, ermöglicht die Sammelunterkunft Lösungen innerhalb des Hauses oder gemeinsam mit einer anderen Sammelunterkunft, ohne die grundsätzliche Möglichkeit von Einsparanstrengungen für alle Leistungsberechtigten in Frage zu stellen“ (BT-Drs. 19/10052, S. 24).
63Der Gesetzgeber berücksichtigt für Leistungsberechtigte gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b AsylbLG auch die Sonderkonstellation, dass Menschen in Pensionen, Wohnheimen oder in Notunterkünften untergebracht sind. Auch hier soll die Regelbedarfsstufe 2 in der Regel zur Anwendung kommen. Nur bei kurzfristigen Unterbringungen, könne „von einer entsprechenden Solidarisierung in der Gemeinschaftsunterbringung und sich daraus ergebenden Synergie- und Einspareffekten nicht ausgegangen werden“ (BT-Drs. 19/10052, S. 25).
64Der Gesetzgeber geht mithin davon aus, dass selbst in den beschriebenen Sonderfällen ein gemeinsames Wirtschaften in aller Regel möglich und zumutbar ist. In Bezug auf die übliche vom Gesetzgeber ins Auge gefasste Wohnsituationen in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft widerspricht es daher ersichtlich dem gesetzgeberischen Willen, eine individuelle Prüfung der Möglichkeit und Zumutbarkeit des gemeinsamen Wirtschaftens vorzunehmen.
65Allenfalls bliebe Raum für eine verfassungskonforme Auslegung in atypischen Konstellationen, die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen hat. Es ist etwa methodisch vertretbar, höhere Leistungen zuzusprechen, wenn die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie ein gemeinsames Wirtschaften unmöglich oder unzumutbar gemacht haben. Unter den Abstandsregeln kann ein gemeinsames Wirtschaften im Rahmen der Unterbringung in einer Sammelunterkunft nicht pauschal verlangt werden, da die Bewohner*innen aufgrund der erhöhten Infektionswahrscheinlichkeit zu besonderer Vorsicht und Wahrung der Hygienemaßnahmen und Abstandsregeln gehalten sind (vgl. SG Berlin, Beschluss vom 19. Mai 2020 – S 90 AY 57/20 ER –, Rn. 29 ff., juris; a.A. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Mai 2020 – L 15 AY 14/20 B ER –, Rn. 20, juris; SG Kassel, Beschluss vom 13.07.2020 – S 12 AY 20/20 ER). Dies räumt auch die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 30. Juli 2020 auf eine kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein und hält eine „teleologische Reduktion des § 3a Absatz 1 Nummer 2b sowie Absatz 2 Nummer 2b AsylbLG“ in „Ausnahmefällen“ für möglich, „wenn unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles, insbesondere der spezifischen räumlichen und organisatorischen Umstände in den einzelnen Sammelunterkünften, aus Gründen des Infektionsschutzes erforderliche Maßnahmen ergriffen wurden, die die Möglichkeit eines gemeinsamen Wirtschaftens in erheblichem Umfang einschränken“ (BT-Drs. 19/20984, S. 4).
66Hier liegt jedoch kein entsprechender Ausnahmefall vor. Der in Frage stehende Bewilligungszeitraum von November 2019 bis Februar 2020 liegt vor Beginn der Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie.
Eine atypische Konstellation, in der eine verfassungskonforme Auslegung methodisch vertretbar wäre, läge darüber hinaus vor, wenn alle anderen in der Sammelunterkunft lebenden Menschen gekürzte Leistungen nach § 1a AsylbLG erhielten. Hier könnte der Gedanke der „gemischten Bedarfsgemeinschaft“ zur Anwendung kommen.
68Als „gemischte Bedarfsgemeinschaft“ wird eine Bedarfsgemeinschaft zwischen Personen bezeichnet, die unterschiedlichen Leistungsregimen unterliegen. So hat das BSG zur alten Rechtslage nach § 3 Regelsatzverordnung in der bis zum 31.12.2006 geltenden Fassung entschieden, dass im Fall einer so genannten „gemischten Bedarfsgemeinschaft”, bei der eine Person nach dem SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende – und die andere nach dem SGB XII – Sozialhilfe – leistungsberechtigt ist, der Partner der Bedarfsgemeinschaft, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und nach dem SGB XII leistungsberechtigt ist, Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 90 von Hundert des Eckregelsatzes erhält (BSG, Urteil vom 16. Oktober 2007 – B 8/9b SO 2/06 R –, BSGE 99, 131-137, SozR 4-3500 § 28 Nr 1). Damit wurden Wertungswidersprüche zu einheitlichen Bedarfsgemeinschaften (nur SGB II oder nur SGB XII) vermieden.
69Für die „gemischte Bedarfsgemeinschaft“ zwischen einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II und einem Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG hat das BSG 2011 entschieden, dass bei dem Leistungsberechtigten nach dem SGB II der ungekürzte Regelbedarf zu berücksichtigen ist. Begründet wurde dies mit der (damals) fehlenden Vergleichbarkeit der Leistungen nach dem SGB II und dem AsylbLG (BSG, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 171/10 R –, BSGE 109, 176-182, SozR 4-4200 § 20 Nr 16, Rn. 23).
702017 entschied das BSG, dass die angehobenen Leistungen nach dem AsylbLG nunmehr mit denen nach dem SGB II vergleichbar sind, ließ jedoch offen, ob dies auch noch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 gilt (BSG, Urteil vom 12. Oktober 2017 – B 4 AS 37/16 R –, SozR 4-4200 § 20 Nr 22, juris).
71In den Entscheidungen des BSG war die Frage nach der passenden Regelbedarfsstufe in gemischten Bedarfsgemeinschaften bislang nur dann relevant, wenn der*die andere Partner*in erheblich niedrigere Leistungen erhalten hat. Denn in diesem Fall hielt das BSG die wirtschaftliche Situation des finanziell besser gestellten Leistungsberechtigten mit derjenigen eines Leistungsberechtigten vergleichbar, der alleinstehend ist und damit folgerichtig die Regelbedarfsstufe 1 für anwendbar (BSG, Urteil vom 06. Oktober 2011 – B 14 AS 171/10 R –, BSGE 109, 176-182).
72Übertragen auf die Wohnsituation in Sammelunterkünften bedeutet das, dass allenfalls dann eine Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 nach den Grundsätzen der gemischten Bedarfsgemeinschaft in Betracht kommt, wenn alle Mitbewohner in der Wohneinheit gekürzte Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG erhalten. In diesem Fall ist zweifelhaft, ob ein gemeinsames Wirtschaften mit Einspareffekten tatsächlich möglich ist (vgl. SG Landshut, Beschluss vom 23. Januar 2020 – S 11 AY 79/19 ER –, Rn. 47, juris). Denn die Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG decken nur den Bedarf an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege. Insbesondere bei den Bedarfspositionen der EVS-Abteilungen 8 (Nachrichtenübermittlung) und 9 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur), die für die Einsparungen relevant sind, kommt daher ein gemeinsames Wirtschaften nicht in Betracht.
73Hier lebt der Kläger mit zwei Mitbewohnern zusammen, die ebenfalls Leistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG erhalten. Mindestens ein weiterer Mitbewohner erhält Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 nach dem SGB II. Die anderen Mitbewohner verdienen ihren Lebensunterhalt selbst und verfügen mindestens über finanzielle Mittel in Höhe des Regelbedarfs nach dem SGB II und XII.
74Allenfalls in Bezug auf die Mitbewohner, die keine Sozialleistungen erhalten, könnten die Grundsätze der gemischten Bedarfsgemeinschaft übertragbar sein. Diese Mitbewohner verfügen möglicherweise über höhere finanzielle Mittel, die sie in die Hausgemeinschaft einbringen können. Gleichzeitig haben sie angesichts ihrer finanziellen Spielräume keinerlei Anlass oder Obliegenheit, durch gemeinsames Wirtschaften Einspareffekte zu erzielen. Ob die Grundsätze der gemischten Bedarfsgemeinschaft auch bei einer erheblichen Abweichung der Leistungen nach unten zu tragen kommen, kann jedoch dahinstehen, da drei Mitbewohner vergleichbare Leistungen beziehen. Jedenfalls in Bezug auf diese Mitbewohner wird ein gemeinsames Wirtschaften vom Gesetzgeber erwartet und es bleibt kein Raum für eine verfassungskonforme Reduktion des Tatbestands.
Auch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass die Regelbedarfsstufe 2 nur angewendet wird, wenn enge Familienangehörige gemeinsam untergebracht sind, ist nicht möglich (vgl. zu § 39 SGB XII LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.12.2015 – L 8 AY 55/15 B ER; jurisPK-SGB XII/Becker, § 39, Rn. 25 f.).
76Eine Begrenzung des Tatbestands auf die gemeinsame Unterbringung mit engen Familienangehörigen widerspricht sowohl dem Wortlaut als auch dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ist unmissverständlich und erkennt für „jede erwachsene Person“ in einer Gemeinschaftsunterkunft oder Aufnahmeeinrichtung einen Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 an. Davon sind nicht nur Ehegatten oder Lebenspartner bzw. ehe- oder lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften erfasst, sondern auch alleinstehende Erwachsene. Auch in der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass der Gesetzgeber unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen und einer möglichen Verwandtschaft ein gemeinsames Wirtschaften der jeweiligen Bewohner*innen erwartet. Der Gesetzgeber geht davon aus, „dass es den Bewohnern einer Sammelunterkunft durch gemeinsames Wirtschaften möglich und zumutbar ist, die dargestellten Einspareffekte zu erzielen, die mit denen von Paarhaushalten vergleichbar sind“. Diese Annahme knüpft nicht an ein potenzielles Verwandtschafts- oder Näheverhältnis an, sondern der Gesetzgeber sieht die Leistungsberechtigten „ungeachtet ihrer Herkunft in derselben Lebenssituation“ und als Teil einer „Schicksalsgemeinschaft“ (BT-Drs. 19/10052, S. 24).
77Daher entspräche es auch hier – nach den oben dargestellten Erwägungen – einer unzulässigen richterlichen Rechtsfortbildung, wenn der Tatbestand bewusst dahingehend missverstanden würde, dass erstens eine widerlegbare gesetzliche Vermutung entstünde und zweitens diese Vermutung nur dann entstehen würde, wenn enge Familienangehörige zusammen untergebracht wären.
Schließlich besteht auch keine Möglichkeit, ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einzuführen, wonach eine Belehrung durch die Leistungsbehörde darüber zu erfolgen hat, dass und wie gemeinsam zu wirtschaften ist.
79Eine solche Belehrung könnte nur dann erforderlich sein, wenn sie ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben wäre, was hier nicht der Fall ist. § 13 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gelten für die Anwendung des AsylbLG nicht. § 9 AsylbLG erklärt ausschließlich §§ 60-67 SGB I für entsprechend anwendbar. Für leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 AsylbLG sind zudem das SGB XII und Teil 2 des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) entsprechend anwendbar.
80Doch selbst bei analoger Anwendung ergäbe sich aus §§ 13 ff. SGB I keine Belehrungspflicht. § 13 SGB I verpflichtet zur Aufklärung über Rechte und Pflichten. Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften sind nicht verpflichtet gemeinsam zu wirtschaften. Vielmehr geht der Gesetzgeber von einer „Obliegenheit“ aus, „alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um miteinander in der Sammelunterkunft auszukommen“ (BT-Drucksache 19/10052, S. 24). Eine Belehrungspflicht ergibt sich auch nicht aus § 15 Abs. 1 SGB I. Danach sind die zuständigen Stellen verpflichtet über alle sozialen Angelegenheiten nach diesem Gesetzbuch Auskünfte zu erteilen. Eine Auskunftspflicht besteht erst auf Verlangen und beinhaltet keine proaktive Informationspflicht.
81Eine Beratungspflicht der Leistungsbehörde könnte sich allenfalls aus § 25 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) ergeben. Die Regelung passt jedoch schon von ihrem Anwendungsbereich nicht zu § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG. Eine behördliche Beratungspflicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 VwVfG besteht nur in Bezug auf Fehler und Unzulänglichkeiten in den von Verfahrensbeteiligten abgegebenen Erklärungen bzw. den gestellten Anträgen. Eine allgemeine Beratungspflicht in Bezug auf die gesetzgeberischen Erwartungen an den Umgang mit den Leistungen zur Grundsicherung nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ergibt sich aus § 25 Abs. 1 Satz 2 VwVfG nicht. Eine Auskunftspflicht nach § 25 Abs. 1 Satz 2 VwVfG besteht zudem nur auf Verlangen (BeckOK VwVfG/Herrmann, 48. Ed. 1.7.2020, VwVfG § 25 Rn. 12).
82Im Ergebnis besteht also schon keine gesetzliche Pflicht, die Leistungsberechtigten zu belehren, dass und wie sie gemeinsam wirtschaften müssen. Eine verfassungskonforme Auslegung, wonach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG keine Anwendung finden darf, wenn keine behördliche Belehrung erfolgt ist, ist nicht vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Mit einer solchen Interpretation des Normgefüges würde sich das Gericht in unzulässiger Weise aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und sich damit der aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenen Bindung an Recht und Gesetz entziehen.
Ein Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 ergibt sich auch nicht aus der Übergangsregelung des § 15 AsylbLG. Diese Übergangsregelung für Leistungsberechtigte, die zum 21. August 2019 bereits nach § 2 Abs. 1 AsylbLG leistungsberechtigt waren, bezieht sich ausschließlich auf die am 21. August 2019 durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht in Kraft getretene Verlängerung der Wartefrist von 15 auf 18 Monate. Die durch das durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zum 01. September 2019 in Kraft getretene Anpassung der Regelbedarfsstufen in § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG ist von der Übergangsregelung nicht erfasst (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Februar 2020 – L 7 AY 4273/19 ER-B –, Rn. 14, juris; Oppermann in: jurisPK-SGB XII 3. Aufl., § 15 AsylbLG, Rn. 13; Oppermann/Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 2 AsylbLG, Rn. 14).
84Die Wartefrist in § 2 Abs. 1 AsylbLG wurde durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019 mit Wirkung zum 21. August 2019 von 15 auf 18 Monate heraufgesetzt. Durch das gleiche Gesetz wurde in § 15 AsylbLG eine statuswahrende Vertrauensschutzregelung geschaffen, damit Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, die sich am 21. August 2019 bereits 15 Monate ohne wesentliche Unterbrechungen im Bundesgebiet aufgehalten haben, nicht der bereits entstandene Anspruch auf Analogleistungen genommen wird (Leopold in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, Sozialhilfe 7. Auflage 2020, § 15, Rn. 3). Zu diesem Zweck ordnet § 15 AsylbLG für Leistungsberechtigte, auf die bis zum 21. August 2019 § 2 Abs. 1 AsylbLG anzuwenden war, die Fortgeltung des § 2 Abs. 1 AsylbLG in seiner bis zum 21.8.2019 geltenden Fassung an.
85Nach einer weiten, einzig am Wortlaut der Norm orientierten Auslegung wäre die Übergangsregelung nicht auf die Wartepflicht in § 2 Abs. 1 AsylbLG beschränkt, sondern würde auch die mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes zum 01. September 2019 in Kraft getretene Anpassung der Regelbedarfsstufen in § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG umfassen (so SG Freiburg, Urteil vom 11. August 2020 – S 9 AY 1173/20 –, juris; SG Freiburg, Urteil vom 25. September 2020 – S 7 AY 668/20; SG Freiburg, Beschluss vom 3. Dezember 2019 – S 9 AY 4605/19 ER; SG Freiburg, Beschluss vom 20. Januar 2020, S 7 AY 5235/19 ER).
86So verstanden, wäre die Übergangsregelung auch auf den Kläger anwendbar, der sich zum 21. August 2019 bereits länger als fünf Jahre in Deutschland aufhielt und zum Inkrafttreten der Änderung bereits Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG a. F. erhielt. Bei Fortgeltung des § 2 Abs. 1 AsylbLG in seiner bis zum 21. August geltenden Fassung wäre der Kläger mithin weiterhin der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen.
87Bei näherer Betrachtung, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik, der Gesetzeshistorie und dem Sinn und Zweck der Norm liegt eine derart weite Auslegung des Anwendungsbereichs des § 15 AsylbLG trotz des unpräzisen Wortlauts fern (Oppermann in: jurisPK-SGB XII 3. Aufl., § 15 AsylbLG, Rn. 13; Oppermann/Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 2 AsylbLG, Rn. 14).
88Schon die Überschrift des § 15 AsylbLG („Übergangsregelung zum Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“) bringt deutlich zum Ausdruck, dass die Übergangsregelung allein die Änderungen betrifft, die durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht in Kraft getretenen sind. Die Verlängerung der Wartefrist für Analogleistungen von 15 auf 18 Monate ist die einzige Änderung im Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, die § 2 Abs. 1 AsylbLG betrifft. Der unmittelbare Zusammenhang ergibt sich auch daraus, dass die Geltung der Übergangsregelung für Leistungsberechtigte, die bis zum 21. August 2019 bereits Analogleistungen bezogen, sich terminlich mit dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht am 21. August 2019 deckt (Oppermann in: jurisPK-SGB XII 3. Aufl., § 15 AsylbLG, Rn. 13; Oppermann/Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 2 AsylbLG, Rn. 14).
89Auch eine Zusammenschau mit den anderen Regelungen im AsylbLG spricht gegen eine weite Auslegung des § 15 AsylbLG. Die Neuordnung der Regelbedarfsstufen im Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes betrifft alle alleinstehenden Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften, unabhängig davon, ob sie Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten oder Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b AsylbLG. Dieser Regelungssystematik würde es widersprechen, nur für die Bezieher*innen von Analogleistungen einen Bestandsschutz zu schaffen, während allen anderen alleinstehenden Bewohner*innen von Sammelunterkünften eine Umstellung auf niedrigere Leistungen zugemutet wird.
90Eine Beschränkung der Übergangsregelung auf die verlängerte Wartefrist ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm. Die Bundesregierung sah weder im Gesetzesentwurf zum Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht noch im Gesetzesentwurf zum Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes eine Übergangsregelung vor (BT-Drs. 19/10047, BT-Drs. 19/10052). Erst in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat zum Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht findet sich in Art. 5 Nr. 8 die Übergangsregelung des § 15 AsylbLG mit der schlichten Begründung, die Regelung sei „erforderlich für die Personen, die nach bisher geltender Rechtslage bereits nach 15 Monaten Analogleistungen entsprechend des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erhalten“ (BT- Drs. 19/10706, 11, 18).
91Das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes wurde hingegen im Ausschuss für Arbeit und Soziales und im Haushaltsausschuss beraten. Eine Übergangsvorschrift aufgrund der Anpassung der Regelbedarfsstufen wurde dort nicht erwogen.
92Es kann auch nicht allein wegen der zeitlichen Nähe der Ausfertigungen beider Gesetze angenommen werden, dass die Auswirkungen der Übergangsvorschrift im Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht (ausgefertigt am 15. August 2019) auf das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (ausgefertigt am 13. August 2019) bedacht wurden (so aber SG Freiburg, Urteil vom 11. August 2020 – S 9 AY 1173/20 –, juris, Rn. 21).
93Für das Verständnis des § 15 AsylbLG sind die vielen und wechselhaften Gesetzesänderungen der zuletzt als Wartefrist ausgestalteten zeitlichen Voraussetzung in § 2 Abs. 1 AsylbLG von Bedeutung (Oppermann in: jurisPK-SGB XII 3. Aufl., § 15 AsylbLG, Rn. 13).
94Mit der Verkürzung der zeitlichen Dauer von 48 auf 15 Monate wurde diese Zeitspanne als eine reine Wartefrist ausgestaltet, die nur an den tatsächlichen Aufenthalt anknüpfte, während die vorherige Regelung an den zeitlichen Leistungsbezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG anknüpfte. Diese Anpassung des Zeitraums war übergangslos geregelt und führte zu einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten (klärend BSG, Urteil vom 28. Mai 2015 - B 7 AY 4/12 R).
95Auch dieser historische Hintergrund deutet darauf hin, dass § 15 AsylbLG nur die Wartefrist betrifft. Die Norm dient der Rechtsklarheit und einer vereinfachten Rechtsanwendung. Rechtsstreitigkeiten über die zeitlichen Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG sollen dadurch vermieden werden (Oppermann in: jurisPK-SGB XII 3. Aufl., § 15 AsylbLG, Rn. 22).
96Eine Anwendung des § 15 AsylbLG auf die Neuordnung der Regelbedarfsstufen in § 2 Abs. Satz 4 AsylbLG lässt sich auch nicht mit verfassungsrechtlichen Erwägungen begründen. So argumentiert das SG Freiburg, dass die Betroffenen Zeit bräuchten, sich auf die veränderte Rechtslage einzustellen und ihre Einkaufs- und Haushaltsgewohnheiten auf die gesetzgeberischen Erwartungen umzustellen. Ließe der Gesetzgeber den Betroffenen dafür nur wenige Tage Zeit, wie dies bei Fehlen einer entsprechenden Übergangsregelung der Fall wäre, widerliefe dies dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip und wäre unverhältnismäßig (SG Freiburg, Urteil vom 11. August 2020 – S 9 AY 1173/20 –, juris, Rn. 22 ff.).
97Hier geht der Gesetzgeber jedoch in Sammelunterkünften per se von einem niedrigeren Bedarf aus, denn er überträgt die für Paarhaushalte ermittelten Einspareffekte auf die Wohngemeinschaften in Sammelunterkünften (BT-Drs. 19/10052, S. 23). Da der Regelbedarf nach diesem Verständnis vorher schlicht zu hoch angesetzt war, braucht es auch keine Übergangsregelung. Doch selbst wenn man mit dem SG Freiburg davon ausginge, dass die neue Regelbedarfsstufe eine Verhaltensänderung der Leistungsberechtigten erfordert, um existenzsichernd zu sein, so bedürfen diese Umstellungen keiner langen Vorlaufzeit. Weder gemeinsame Einkäufe noch gemeinsames Kochen erfordern aufwendige oder langfristige Absprachen.
Dem Kläger stehen die für die Monate November 2019 bis Februar 2020 begehrten höheren Leistungen in Höhe der ungekürzten Regelbedarfsstufe 1 auch nicht in analoger Anwendung des § 27a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 SGB XII zu, denn es handelt sich bei den begehrten Leistungen nicht um laufende Bedarfe atypischer, überdurchschnittlicher Art. Nach § 27a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 SGB XII kann der Regelsatz abweichend von der maßgeblichen Regelbedarfsstufe festgesetzt werden, wenn ein Bedarf für eine Dauer von voraussichtlich mehr als einem Monat unausweichlich in mehr als geringem Umfang oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegt und die dadurch bedingten Mehraufwendungen begründbar nicht anderweitig ausgeglichen werden können. Diese Öffnungsklausel für laufende besondere Bedarfe ist zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unverzichtbar und ergänzt die Anspruchsgrundlagen zur Bewilligung von Mehrbedarfen (§ 30 SGB XII) und einmaliger Beihilfen (§ 31 SGB XII). So monierte das Bundesverfassungsgericht in der Hartz-IV-Entscheidung das Fehlen einer entsprechenden Öffnungsklausel im damaligen SGB II (BVerfGE 125, 175 (252 ff.)). Gleichzeitig bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf das soziokulturelle Existenzminimum zuvörderst durch die Regelleistungen Rechnung getragen wird und durchschnittliche Bedarfe davon abgedeckt sind. Lediglich für laufende, atypische Bedarfe, die erheblich von der Gesamtsumme der Regelleistungen abweichen, sah das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit einer Öffnungsklausel im SGB II. Das Bundesverfassungsgericht wies darauf hin, dass dieser zusätzliche Anspruch im SGB II angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen entstehen dürfte (BVerfGE 125, 175 (254 f.)). Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen sind auf das System der Regelleistungen und Sonderbedarfe im SGB XII übertragbar.
99§ 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ist eine Ausnahmevorschrift und kann folglich nur bei atypischen dauerhaften Bedarfen herangezogen werden, um die Regelleistungen aufzustocken (Wrackmeyer-Schoene in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 27a SGB XII, Rn. 55) Eine Erhöhung des Regelsatzes nach Abs. 4 S. 1 Nr. 2 ist nicht gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber entsprechende Aufwendungen ausdrücklich mit dem Regelsatz abgegolten wissen will (Krauß in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht 8- 6. Auflage 2019, § 27a SGB XII, Rn. 10; Gutzler in: JurisPK-SGB XII 3. Aufl., § 27a SGB XII, Rn. 87 ff.). Auch in der Gesetzesbegründung kommt der Ausnahmecharakter der Vorschrift zum Ausdruck. Zur Veranschaulichung eines überdurchschnittlichen Bedarfs nennt der Gesetzgeber teure Über- oder Untergrößen und verdeutlicht damit, dass § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII atypische Sonderbedarfe erfassen soll, die mit den pauschalen auf den typischen Regelfall zielenden Leistungen nach § 28 SGB XII nicht erbracht werden können (BT-Drs. 15/1514, S. 59).
100Vorliegend fehlt es hinsichtlich der beantragten Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 an der erforderlichen Atypik und der Darlegung eines individuellen Sonderbedarfs. Denn eine Erhöhung des Regelbedarfs nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 erfordert einen überdurchschnittlichen Bedarf im konkreten Einzelfall, der über allgemeine strukturelle Defizite in den Regelleistungen hinausgeht (Krauß in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Auflage 2019, § 27a SGB XII, Rn. 10). Die Substantiierungs- und Beweislast für den überdurchschnittlichen Bedarf liegt bei dem Leistungsberechtigten, weil normativ bestimmt ist, dass die Regelleistung den Bedarf zu decken vermag (Wrackmeyer-Schoene in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Auflage 2020, § 27a SGB XII, Rn. 64; Gutzler in: jurisPK-SGB XII 3. Aufl., § 27a SGB XII, Rn. 106; zu § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Februar 2007 – L 7 SO 4267/05, Rn. 20, juris).
101Der Kläger hat jedoch nicht dargelegt, dass sein individueller Bedarf erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweicht. Der Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ausdrücklich geregelt, dass erwachsene Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften der Bedarfsstufe 2 zugeordnet sind. Dieser Zuordnung liegt die gesetzgeberische Erwägung zugrunde, dass diese Leistungsberechtigten aufgrund von Einspareffekten in der Sammelunterkunft einen geringeren Bedarf haben. Der Gesetzgeber hält es für möglich und zumutbar in Sammelunterkünften Einspareffekte zu erzielen (BT-Drs. 19/10052, S. 24). Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er die durchschnittlichen Aufwendungen, die Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften entstehen, durch die Regelbedarfsstufe 2 abgegolten wissen will. Macht der Kläger hier geltend, die Regelbedarfsstufe 2 reiche vorliegend nicht aus, um seine Bedarfe zu decken, weil er mit seinen Mitbewohnern nicht gemeinsam wirtschaftet, so legt er damit keinen individuellen besonderen Bedarf dar, sondern weist auf ein etwaiges strukturelles Defizit im System der Regelleistungen hin, welches alle Leistungsempfänger nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG gleichermaßen betrifft. § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ist jedoch als Ausnahmebestimmung für den atypischen Bedarfsfall konzipiert und daher nicht geeignet, strukturelle Leistungsdefizite im Regelbedarf des § 2 AsylbLG zu kompensieren. Das SG Freiburg zieht eine abweichende Regelbedarfsfestsetzung in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 analog § 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ausnahmsweise in Betracht, wenn der Leistungsberechtigte aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls die der Regelbedarfsstufe 2 zugrunde gelegten Einspareffekte objektiv nicht erzielen kann (SG Freiburg, Urteil vom 11. August 2020 – S 9 AY 1173/20 –, juris, Rn. 25). Hier hat der Kläger jedoch lediglich vorgetragen, dass er mit seinen Mitbewohnern nicht gemeinsam wirtschafte und dies auch nicht für zumutbar hält. Er hat jedoch keine besonderen, atypischen Umstände dargelegt, aus dem sich in seinem konkreten Einzelfall eine spezifische Unmöglichkeit des gemeinsamen Wirtschaftens ergibt.
102Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus der Kombination der Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 und der Abzüge in den Abteilungen 4 und 5. Es ist der Regelfall, dass die Bedarfe der EVS-Abteilungen 4 und 5 bei Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften nicht Teil der Geldleistungen sind und zumindest teilweise abgezogen werden. Von den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG werden die Bedarfe der EVS-Abteilungen 4 und 5 von vornherein nicht abgedeckt. Bei Leistungsberechtigten nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG erfolgt der Abzug regelmäßig – wie auch hier - gemäß § 27a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, weil diese Bedarfe zumindest zum Teil von der Einrichtung abgedeckt werden und bereits über die jeweiligen Benutzungspauschalen abgegolten werden. Insofern ist es seit Neuordnung der Regelbedarfsstufen für alleinstehende Erwachsene in Sammelunterkünften der Normalfall, dass von den Geldleistungen sowohl bestimmte EVS-Abteilungen (zumindest teilweise) abgezogen werden als auch eine Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 erfolgt. Entsprechend finden die EVS-Abteilungen 5 und 6 in der Gesetzesbegründung keine Erwähnung, stattdessen verweist der Gesetzgeber bei der Erläuterung der Einspareffekte auf die EVS-Abteilungen 1 und 9.
103Insoweit kann auch die Kombination der Abzüge in den EVS-Abteilungen 4 und 5 und der Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 für sich allein genommen keinen überdurchschnittlichen Bedarf begründen, ist dies doch der vom Gesetzgeber vorgesehene Regelbedarf in Sammelunterkünften. Der Kläger hat nicht dargelegt, von diesen Abzügen überdurchschnittlich in seiner Grundsicherung betroffen zu sein, sondern beanstandet, dass die gesetzlich vorgesehenen Leistungen generell nicht ausreichend seien. Dem kann nicht über § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII abgeholfen werden.
Wäre § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG verfassungswidrig und nichtig oder jedenfalls unanwendbar, so wäre die Klage insoweit begründet, als der Kläger in dem Fall einen Anspruch auf die begehrten Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 hätte. Denn in diesem Fall wäre die Leistungshöhe gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend § 28 SGB XII zu bestimmen.
105Bei Nichtigkeit oder Unanwendbarkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG sind alleinstehende Erwachsene in Sammelunterkünften ebenso wie vor Einführung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Regelbedarfsstufe 1 gemäß § 8 RBEG und die Anlage zu § 28 SGB XII für Erwachsene Personen gilt, die in Wohnungen nach § 42a Absatz 2 Satz 2 leben.
106Zunächst ist zu beachten, dass die Begriffe „Wohnung“ einerseits und „Gemeinschaftsunterkunft“ andererseits nicht in einem Alternativverhältnis zueinanderstehen. So argumentiert Frerichs, dass bei einer Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft begrifflich auch ein Leben in einer Wohnung im Sinne von § 8 RBEG vorliegen könne. Das sei ins-besondere dann der Fall, wenn, wie hier, in einer Gemeinschaftsunterkunft eine abgeschlossene Wohneinheit bewohnt wird, die über sämtliche Gegenstände zur selbstständigen Haushaltsführung verfügt (Frerichs in: Schle-gel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3a AsylbLG, Stand: 12.06.2020, Rn. 34). Letztlich kann aber dahinstehen, ob die Gemeinschaftsunterkunft des Klägers als Wohnung bezeichnet werden kann. Die Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 folgt hier bereits daraus, dass für ihn keine der anderen Regelbedarfsstufen nach § 8 RBEG und der Anlage zu § 28 SGB XII anwendbar ist.
107Die Regelbedarfsstufe 2 gilt gemäß § 8 RBEG sowie der Anlage zu § 28 SGB XII ausschließlich für Paarhaushalte und seit dem 1. Januar 2020 zudem für Erwachsene, die in der durch das BTHG einzuführenden neuen Wohnform leben, sofern ihnen persönlicher Wohnraum und zusätzliche Räumlichkeiten zur gemeinsamen Nutzung überlassen werden und in dieser Wohnform Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX erbracht werden. Diese Anpassung begründete der Gesetzgeber damit, dass den Bewohnern der neuen Wohnform "aufgrund der Nutzungsüberlassung ein vertraglicher Anspruch auf eine bestimmte Ausstattung sowie deren Erhalt zur Seite“ steht, „ohne dass hierfür (zusätzliche) Aufwendungen aus dem Regelbedarf einzusetzen sind“ und dadurch eine Ersparnis entsteht, „da entsprechende Bedarfe anderweitig gedeckt sind“ (BT-Drs. 18/9984, S. 88.).
108Diese Regelung ist nicht auf die Bewohner*innen von Sammelunterkünften übertragbar. Vielmehr war für die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 auf alleinstehende Erwachsene in Sammelunterkünften die Spezialvorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG erforderlich.
109Ebenso wie vor Einführung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ist bei dessen Nichtigkeit oder Unanwendbarkeit auf die im Regelfall anwendbare Regelbedarfsstufe 1 zurückzugreifen.
Die Kammer hält die einfachrechtlich anzuwendende Norm des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG insoweit für verfassungswidrig, als sie sich auf alleinstehende Leistungsberechtigte erstreckt. Der in § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG normierte Leistungsumfang für alleinstehende Erwachsene ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar (dazu 1.). § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG verletzt zudem den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG (dazu 2.)
§ 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (dazu a)) werden durch § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG verfehlt (dazu b)).
Das Grundgesetz enthält ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (dazu aa)). Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch ist vom Gesetzgeber auszugestalten (dazu bb)), womit eine eingeschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle einhergeht (dazu cc)). Eine Unterscheidung nach Personengruppen (dazu dd)) und eine Kürzung bei „Wirtschaften aus einem Topf“ (dazu ee)) sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
Das Grundgesetz garantiert mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch; das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich zu sichern (BVerfGE 125, 175 (222); 132, 134 (159); 137, 34 (72); BVerfGE 142, 353, (369 f.); BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 118).
114Als Menschenrecht steht dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu (BVerfGE 132, 134 (159)).
115Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel als einheitliche Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (vgl. BVerfGE 125, 175 (223); 132, 134 (172); 137, 34 (72); 142, 353 (370); BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 119, juris).
116Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert hat; insbesondere lässt sich die Gewährleistung aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht in einen "Kernbereich" der physischen und einen "Randbereich" der sozialen Existenz aufspalten. Der Gesetzgeber kann auch weder für einen internen Ausgleich noch zur Rechtfertigung einer Leistungsminderung auf die Summen verweisen, die in der pauschalen Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die soziokulturellen Bedarfe veranschlagt werden, denn die physische und soziokulturelle Existenz werden durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt (BVerfG, Urteil vom 05. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, Rn. 119, juris).
Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein. Ein*e Hilfebedürftige*r darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des*r Hilfebedürftigen gewährleistet ist. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes*r individuellen Grundrechtsträgers*in deckt. Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkommt, ist das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (vgl. BVerfGE 125, 175 (223 f); BVerfGE 132, 134 (160)).
118Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu ermitteln (BVerfGE 132, 134, 3. LS; mit Bezug auf: BVerfGE 125, 175 (225) m.w.N.). Hierzu hat er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen (BVerfGE 125, 175 (225)).
119Dem Gesetzgeber kommt ein Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung von Art und Höhe der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Er hat einen Entscheidungsspielraum bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfs, muss seine Entscheidung jedoch an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichten. Die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs müssen tragfähig, also durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründet werden können.
120Die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, dürfen im Ergebnis nicht verfehlt werden (BVerfGE 132, 134 (162 f.); 142, 153 (379)).
121Das Grundgesetz schreibt insofern auch keine bestimmte Methode vor, wodurch der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum begrenzt würde. Vielmehr darf der Gesetzgeber die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auswählen (vgl. BVerfGE 125, 175 (225)). Abweichungen von der gewählten Methode bedürfen allerdings der sachlichen Rechtfertigung (BVerfGE 125, 175 (225)).
Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht eine zurückhaltende Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht.
123Da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgibt, beschränkt sich die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind. Diese Kontrolle bezieht sich im Wege einer Gesamtschau auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente. Evident unzureichend sind Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich ist, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen können, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist (BVerfGE 137, 34 (75)).
124Jenseits dieser Evidenzkontrolle überprüft das Bundesverfassungsgericht, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sind. Lassen sich die Leistungen nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stehen sie mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfGE 137, 34 (73)).
125Die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung der Höhe existenzsichernder Leistungen müssen sachlich vertretbar sein. Auch ein politisch ausgehandelter Kompromiss darf nicht zu sachlich nicht begründbaren Ergebnissen führen. Schlicht gegriffene Zahlen ebenso wie Schätzungen ins Blaue hinein genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht (BVerfGE 137, 34 (75)).
126Die Art und die Höhe der Leistungen müssen sich mit einer Methode erklären lassen, nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich die Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens im Rahmen des Vertretbaren bewegen. Die Berechnung des Existenzminimums anhand eines Warenkorbes notwendiger Güter und Dienstleistungen mit anschließender Ermittlung und Bewertung der dafür zu entrichtenden Preise ist in gleicher Weise wie der Einsatz einer Verbrauchsstatistik für die Berechnung der Leistungshöhe zulässig (vgl. BVerfGE 125, 175 (234 f.)).
Werden hinsichtlich bestimmter Personengruppen unterschiedliche Methoden zugrunde gelegt, muss dies sachlich zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfGE 125, 175 (225)). Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Methode zur Ermittlung von Bedarfen und zur Bestimmung von Leistungshöhen verändert nicht die grundrechtlichen Maßstäbe; diese sind in jedem Fall gleichermaßen zu beachten. Daher darf bei der Bestimmung der konkreten Leistungen zur Existenzsicherung keine Methode gewählt werden, die Bedarfe von vornherein ausblendet, wenn diese ansonsten als existenzsichernd anerkannt worden sind (BVerfGE 132, 134 (163)).
128Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will (vgl. BVerfGE 116, 229 (239)), darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann (BVerfGE 132, 134 (164)).
Es ist von Verfassungswegen nicht zu beanstanden, zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz anerkannte Sozialleistungen in Orientierung an der Bedürftigkeit der Betroffenen pauschal um Einsparungen zu kürzen, die im familiären häuslichen Zusammenleben typisch sind (vgl. BVerfGE 125, 175 (230 f.); BVerfGE 137, 34 (83); BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353-388, Rn. 52).
130Der Gesetzgeber darf sich von der plausiblen Annahme leiten lassen, dass eine verwandtschaftliche Bindung in der Kernfamilie, also zwischen Eltern und Kindern, grundsätzlich so eng ist, dass ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann und regelmäßig „aus einem Topf“ gewirtschaftet wird (vgl. BVerfGE 75, 382 (394); 87, 234 (265); Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353-388, Rn. 65). Das hat zur Folge, dass zwei in einem solchen Näheverhältnis zusammenlebende Personen einen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs einer alleinwirtschaftenden Person liegt (vgl. BVerfGE 75, 382 (394); 87, 234 (256)). Daher kann die familiäre Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft durchaus Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen sein, sofern damit keine Benachteiligung von Ehe oder Familie einhergeht, die mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar wäre (vgl. BVerfGE 17, 210 (217); 28, 324 (347); 69, 188 (205 f.); 75, 382 (393)). Eine solche Absenkung der Regelleistung aufgrund des gemeinsamen Wirtschaftens in häuslicher Gemeinschaft ist als Orientierung von Sozialleistungen an der Bedürftigkeit auch im Sinne des sozialen Rechtsstaats gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 9, 20 (35); 22, 100 (105); BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353-388, Rn. 53).
Nach diesen Grundsätzen genügt die vorgelegte Vorschrift den Vorgaben von Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht.
132Die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 auf alleinstehende Leistungsberechtigte, die in einer Sammelunterkunft untergebracht sind, lässt sich nicht nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen.
133Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es durch die gemeinsame Nutzung von Räumlichkeiten zu Einspareffekten kommt. Der Gesetzgeber hat weder empirische Erhebungen vorgenommen, die eine solche These tragen würden (dazu aa)), noch tragfähige Annahmen vorgebracht, die ein solches gemeinsames Wirtschaften mit Einspareffekten nahelegen könnten (dazu bb)). Schließlich kann die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 auch nicht mit der Annahme einer Obliegenheit zum gemeinsamen Wirtschaften begründet werden (dazu cc)).
Es fehlen empirische Erhebungen, die nachweisen, dass sich aus dem Zusammenleben in der Sammelunterkunft ein gemeinsames Wirtschaften ergibt, das die bei Paarhaushalten nachgewiesenen Einspar- und Synergieeffekte produziert (so auch SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20 –, Rn. 41, juris; SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 - S 11 AY 64/19 ER - Asylmagazin 12/2019, S. 432 f. - asyl.net: M27766; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.06.2020 – L 9 AY 22/19 B ER–, juris, Rn. 17 ff.; SG Freiburg, Beschluss vom 03.12.2019 - S 9 AY 4605/19 ER - asyl.net: M27903; SG Hannover, Beschluss vom 20.12.2019 – S 53 AY 107/19 –, juris, Rn. 31; SG Leipzig, Beschluss vom 8.1.2020 – S 10 AY 40/19 – www.saechsischer-fluechtlingsrat.de; LSG Sachsen, Beschluss vom 23.03.03. 2020 – L 8 AY 4/20 B ER –, juris, Rn. 38; SG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14.01.2020 - S 30 AY 26/19 ER - asyl.net: M28040; vgl. SG Freiburg, Beschluss vom 20.01.2020 - S 7 AY 5235/19 ER - Asylmagazin 3/2020, s. 99 f. - asyl.net: M28016; SG München, Beschluss vom 10. Februar 2020 – S 42 AY 82/19 ER –, juris; LSG Sachsen, Beschluss vom 23.03.2020 - L 8 AY 4/20 B ER - asyl.net: M28323; SG Bremen, Beschluss vom 03.07.2020 – S 39 AY 55/20 ER; SG Berlin, Beschluss vom 19. Mai 2020 – S 90 AY 57/20 ER –, juris; sich anschließend: SG Dresden, Beschluss vom 4.2.2020 – S 20 AY 86/19 ER – Kurzlink: https://is.gd/RD2gJy).
135Der Bedarfsermittlung des Regelbedarfs nach § 2 AsylbLG liegt die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 zugrunde. Für die Ermittlung des Bedarfs der Regelbedarfsstufe 2 wurde ein Abschlag von 10 % vom Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 1 vorgenommen.
136Bei Paarhaushalten kann sich der Gesetzgeber auf verschiedene Studien berufen, die Einspareffekte von etwa 10 % pro Person nahelegen (BT-Drs. 18/9984, S. 85 f.).
137Historisch beruht dieser Abschlag auf einer modifizierten Differenzrechnung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, die der Regelung des § 2 Abs. 3 Regelsatzverordnung 1990 zugrunde lag. Der Deutsche Verein hat diesen Wert ermittelt, indem er als Referenzgruppe Ehegatten ohne Kinder mit einem verfügbaren Nettoeinkommen über der Sozialhilfeschwelle gewählt, für sie den regelleistungsrelevanten Verbrauch entsprechend dem Verfahren wie bei einem Alleinstehenden bestimmt, d.h. nur die einzelnen Ausgabepositionen in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe berücksichtigt hat, die auch bei einem Alleinstehenden berücksichtigt wurden, und anschließend die Differenz zwischen den Beträgen für Ehegatten und für Alleinstehende gebildet hat (vgl. BVerfGE 125, 175 (245>).
138Der rechnerisch für die Regelbedarfsstufe 2 gegenüber einer alleinstehenden Person angesetzte zusätzliche Bedarf von 80 Prozent für eine zweite erwachsene Person im Haushalt wurde auf Basis der EVS 2008 von Wissenschaftler*innen der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen eines Forschungsauftrags für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales analysiert und bestätigt (Dudel, Christian; Garbuszus, Marvin; Ott, Notburga; Werding, Martin: Überprüfung der bestehenden und Entwicklung neuer Verteilungsschlüssel zur Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008, Bochum 2013). Untersucht wurde dabei, ob die unterschiedlichen Regelbedarfe für Partner in Paarhaushalten und Alleinlebenden zueinander in einem plausiblen Verhältnis stehen und welche praktikablen und sachgerechten Berechnungsmethoden möglich sind (vgl. BT-Drs. 18/9984, S. 85 f.).
139Zusätzlich hat die Bundesregierung anlässlich des Entwurfs eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (BT-Drs. 18/9984) beim Statistischen Bundesamt eine Strukturanalyse des regelsatzrelevanten Verbrauchs von Zweipersonenhaushalten in Auftrag gegeben. Hierbei wurde aus der EVS 2013 eine Gruppe von Zweipersonenhaushalten gebildet. Die Summe des regelbedarfsrelevanten Verbrauchs dieser Zweipersonenhaushalte betrug nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 699,04 EUR und lag somit um 77 Prozent über der Summe des regelbedarfsrelevanten Verbrauchs der Referenzgruppe der Einpersonenhaushalte (vgl. BT-Drs. 18/9984, S. 85 f.).
140Die genannten Studien vermögen bestenfalls einen Einspareffekt bei Ehegatten (so bei der Studie des Vereins für öffentliche und private Fürsorge), bei Paarhaushalten (so die Studie der Ruhr-Universität Bochum) oder allgemein bei Zweipersonenhaushalten (so die Strukturanalyse des Statistischen Bundesamtes) zu belegen. Eine entsprechende Studie zu Einspareffekten in Sammelunterkünften wurde nicht durchgeführt (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 24, wo lediglich auf die Gesetzesbegründung zum BREG Bezug genommen wird).
Eine Übertragung der empirischen Befunde aus den genannten Studien auf die Situation in Sammelunterkünften ist nicht möglich, da es an einer hinreichenden Plausibilität fehlt (so auch SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20 –, Rn. 43 f., juris; SG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14. Januar 2020 - S 30 AY 26/19 ER - asyl.net: M28040, S. 5; SG Freiburg, Beschluss vom 20. Januar 2020 - S 7 AY 5235/19 ER - Asylmagazin 3/2020, s. 99 f. - asyl.net: M28016, S. 8; SG Landshut, Beschluss vom 23. Januar 2020 – S 11 AY 79/19 ER –, Rn. 41 und 45, juris; SG München, Beschluss vom 10. Februar 2020 – S 42 AY 82/19 ER –, Rn. 57, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Juni 2020 – L 9 AY 22/19 B ER–, juris, Rn. 17 ff.; LSG Sachsen, Beschluss vom 23. März 2020 – L 8 AY 4/20 B ER; SG Bremen, Beschluss vom 03. Juli 2020 – S 39 AY 55/20 ER; SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – S 53 AY 107/19 ER; SG Leipzig, Beschluss vom 08. Januar 2020 – S 10 AY 40/19; SG München, richterlicher Hinweis vom 31. Januar 2020 – S 42 AY 4/20 ER;SG Berlin, Beschluss vom 19. Mai 2020 – S 90 AY 57/20 ER –, juris; sich anschließend: SG Dresden, Beschluss vom 04. Februar 2020 – S 20 AY 86/19 ER).
142Bei näherem Hinschauen wird deutlich, dass schon rechnerisch kein Einsparpotenzial in Höhe von 10 % existiert, weil die Ausgabeposten mit Einspareffekten in der Regel größtenteils im Regelbedarf nicht enthalten sind (dazu (1)), die Situation in den Sammelunterkünften Einspareffekte ausschließt (dazu (2)) und es zudem an dem für das gemeinsame Wirtschaften erforderlichen Näheverhältnis fehlt (dazu (3)).
Es besteht in der Regel kein Einsparpotenzial in Höhe von 10 %. Dies liegt zum einen daran, dass die behaupteten Einspareffekte sich größtenteils auf Bedarfspositionen beziehen, die Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften als Sachleistung erhalten bzw. die in ihrem Regelbedarf nicht enthalten sind.
144Einspareffekte bei gemeinsamen Wirtschaften treten nicht bei allen regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben gleichermaßen ein.
145Laut Gesetzesbegründung betreffen die Einspareffekte die persönlichen Bedarfe an Mediennutzung, da Festnetz- oder Internetanschlüsse in Sammelunterkünften regelmäßig zur gemeinschaftlichen Nutzung bereitgestellt werden (EVS-Abteilung 8). Weitere Einsparungen würden sich durch die Möglichkeit zur gemeinsamen Nutzung oder zum Austausch bei den Bedarfen an Freizeit, Unterhaltung und Kultur ergeben (Abteilung 9 der EVS 2013). Bei einer Unterbringung in Sammelunterkünften bestünden zudem Einspareffekte beim notwendigen Bedarf an Nahrung (Abteilung 1 der EVS 2013), etwa indem Lebensmittel oder zumindest der Küchengrundbedarf in größeren Mengen gemeinsam eingekauft und in den Gemeinschaftsküchen gemeinsam genutzt werden.
146Diese potenziellen Einsparungen sind nicht tragfähig begründet. Die Einspareffekte durch gemeinsames Wirtschaften bei Verbrauchsausgaben der EVS-Abteilung 1 dürften allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Es ist davon auszugehen, dass die Leistungsberechtigten in der Regel keinen Zugang zum Großhandel haben. Im Einzelhandel sind hingegen die Einspareffekte etwa durch den Kauf von Vorteilspackungen minimal. Zudem ist davon auszugehen, dass einkommensschwache Personen ohnehin möglichst günstig einkaufen und daher (zumindest bei nicht schnell verderblichen Konsumgütern) auch ohne gemeinsames Wirtschaften Mengenrabatte in Anspruch nehmen (vgl. Gutachten von Martens, zitiert in Hessisches LSG, Vorlagebeschluss vom 29. Oktober 2008 – L 6 AS 336/07 –, Rn. 111, juris).
147Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht in seinem Bericht nach § 10 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) über die Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden Methodik plausibel davon aus, dass sich bei Ausgaben in den EVS-Abteilungen 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung), 5 (Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände), 8 (Nachrichtenübermittlung) und 9 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur) relative Einsparungen ergeben, während in den EVS-Abteilungen 1 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke), 3 (Bekleidung und Schuhe), 6 (Gesundheitspflege), 7 (Verkehr), 10 (Bildung), 11 (Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen) und 12 (Andere Waren und Dienstleistungen und Mitgliedsbeiträge) alle Personen den vollen Bedarf haben (BT-Drs. 17/14282, S. 26).
148Von den Geldleistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG werden die Pauschalen der EVS-Abteilungen 4 und 5 in der Regel gemäß § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 SGB XII abgezogen. Denn bei einer Unterbringung in einer Sammelunterkunft werden die von den EVS-Abteilungen 4 und 5 erfassten Leistungen in der Regel überwiegend als Sachleistungen erbracht. Der vorliegende Fall veranschaulicht dies. Das in diesen Pauschalen angelegte Einsparpotenzial fällt in den meisten Fällen daher entweder vollständig oder anteilig weg.
149Geht man mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales davon aus, dass sich der Gesamt-Einspareffekt von 10 % pro Person aus den regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der EVS-Abteilungen 4, 5, 8 und 9 ergibt, dann ist unter den genannten Umständen von einem geringeren Einsparpotenzial auszugehen. Das verbleibende Einsparpotenzial aus den Abteilungen 8 und 9 beträgt nicht mehr 10 %, sondern 6,5 %.
150Dem liegen folgende Berechnungen zugrunde (vgl. Tabellen 2 und 4, abrufbar unter
151https://freiheitsrechte.org/home/wp-content/uploads/2021/03/2021-3-23_Einsparpotenzial_Tabelle_2_3_4.pdf): Die nach dem RBEG leistungssatzrelevanten Verbrauchsausgaben nach der EVS 2013 betragen insgesamt 394,84 EUR. Die leistungssatzrelevanten Verbrauchsausgaben der Regelbedarfsstufe 2 betragen insgesamt 90 % davon, also 355,36 EUR. In absoluten Zahlen beträgt die Einsparung somit 39,48 EUR. Teilt man diesen Betrag durch die leistungssatzrelevanten Ausgaben in den EVS-Abteilungen 4, 5, 8 und 9 (insgesamt 132,54 EUR), erhält man in diesen EVS-Abteilungen einen Einspareffekt von 29,79 %.
152Wendet man diesen Faktor in einem zweiten Schritt auf die leistungssatzrelevanten Verbrauchsausgaben an, wie sie typischerweise bei Leistungsempfänger*innen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 zugrunde gelegt werden, so erhalten wir folgende Ergebnisse: Da die EVS-Abteilungen 4 und 5 in der Regel nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 SGB XII gekürzt werden, sind hier keine Einsparungen zu verzeichnen. Die leistungssatzrelevanten Ausgaben der EVS-Abteilung 8 betragen 35,31 EUR. Der Einspareffekt von 29,79 % beträgt in dieser Abteilung somit 10,52 EUR. Die leistungssatzrelevanten Ausgaben der EVS-Abteilung 9 betragen 37,88 EUR. Der Einspareffekt von 29,79 % beträgt somit in absoluten Zahlen 11,28 EUR. Die absoluten Einsparungen betragen somit zusammengerechnet nur 21,80 EUR. Teilt man diesen Betrag durch die gesamten leistungssatzrelevanten Verbrauchsausgaben unter Abzug der Anteile der EVS-Abteilungen 4 und 5 in Höhe von 335,49 EUR, so ergibt sich ein relativer Gesamteinspareffekt von 6,5 %.
153Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Betroffenen oft mit Personen zusammenleben, die Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten. Bei diesen ist das Einsparpotenzial noch niedriger. Dies wirkt sich mittelbar auch auf das Einsparpotenzial der Personen aus, von denen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ein gemeinsames Wirtschaften verlangt wird.
154Von den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG werden die Bedarfe der EVS-Abteilungen 4 und 5 gar nicht, die Bedarfe der EVS-Abteilung 9 nur teilweise abgedeckt. Aus den einsparungsrelevanten Abteilungen 4, 5, 8 und 9 der EVS 2013 sind lediglich 35,31 EUR für Nachrichtenübermittlung (Abteilung 8) und 31,49 EUR für Freizeit, Unterhaltung, Kultur (Abteilung 9) als nach dem AsylbLG leistungssatzrelevant anerkannt (vgl. Schwabe, ZfF 2020, 25, 27).
155Geht man mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales davon aus, dass sich der Gesamt-Einspareffekt von 10 % pro Person aus den regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der EVS-Abteilungen 4, 5, 8 und 9 ergibt, dann ist für den notwendigen persönlichen Bedarf nach dem AsylbLG kein Einspareffekt zu verzeichnen. Denn die EVS-Abteilungen 4 und 5 sind gar nicht im Regelbedarf nach § 3 AsylbLG enthalten.
156Betrachtet man den notwendigen und den notwendigen persönlichen Bedarf zusammen, ist von einem signifikant niedrigerem Einspareffekt auszugehen. Unterstellt man, dass sich der Gesamt-Einspareffekt in Höhe von 10 % vom sozialhilferechtlichen Regelsatz sich gleichmäßig aus den EVS-Abteilungen 4, 5, 8 und 9 ergibt, so ist (entsprechend der oben durchgeführten Berechnungen) für den Grundbedarf nach dem AsylbLG (notwendiger und notwendiger persönlicher Bedarf zusammen) von einem Einspareffekt von lediglich 6,20 % auszugehen (vgl. Tabellen 2 und 3, abrufbar unter https://freiheitsrechte.org/home/wp-content/uploads/2020/09/Tabelle-23-Einsparpotenzial.pdf).
Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales angenommenen Einspareffekte in den EVS-Abteilungen 8 und 9 lassen sich ebenfalls nicht ohne Weiteres auf das Zusammenleben in einer Sammelunterkunft übertragen.
158Die EVS-Abteilung 8 sieht Leistungen für die folgenden Kategorien vor: Kauf und Reparatur von Festnetz- und Mobiltelefonen sowie anderen Kommunikationsgeräten, Post- und Paketdienstleistungen, private Brief- und Paketzustelldienste, Gebühren und Entgelte, Versandkosten und Kommunikationsdienstleistungen – Doppelflatrate Festnetztelefon und Internet. Ein Einsparpotenzial in Sammelunterkünften sieht der Gesetzgeber beim persönlichen Bedarfe an Mediennutzung, da Festnetz- oder Internetanschlüsse in Sammelunterkünften regelmäßig zur gemeinschaftlichen Nutzung bereitgestellt würden (BT-Drs.19/10052, S. 24).
159In der Praxis haben die Leistungsberechtigten jedoch im Regelfall nicht einen verminderten, sondern einen höheren Telekommunikationsbedarf, der von den nach §§ 2, 3, 3a AsylbLG gewährten Leistungen nicht hinreichend gedeckt werden kann (Anja Lederer, Gutachtliche Stellungnahme zum Anspruch auf kostenfreien Zugang zum Internet in Unterkünften für Geflüchtete, 27. April 2020, S. 4). Schutzsuchenden bleibt aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus oftmals der Zugang zu längerfristigen und damit preisgünstigeren Telekommunikationsverträgen verschlossen bzw. ihnen stehen lediglich teure Prepaid-Datentarife offen (ebd., S. 4). Gruppentarife gibt es in der Regel nur für Familien und sie sind darüber hinaus in der Regel mit einer langen Laufzeit versehen, sodass sie für Personen in Sammelunterkünften mit hoher Fluktuation ungeeignet sind.
160In den meisten Sammelunterkünften steht kein Internetanschluss oder WLAN-Zugang zur Verfügung, so auch im vorliegenden Fall.
161Selbst wenn in einzelnen Unterkünften ein WLAN-Zugang als Sachleistung bereitgestellt wird, so ist nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ein Abzug von Leistungen rechtswidrig, da durch die Bereitstellung von WLAN nicht alle Positionen der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für Nachrichtenübermittlung (Abteilung 8) abgedeckt werden (SG Landshut, Urteil vom 16. Dezember 2016 – S 11 AY 74/16 –, juris, Rn. 25 f., 42).
162Ebenso wenig schlüssig sind die angenommenen Einsparpotenziale in der EVS-Abteilung 9. Die Gesetzesbegründung verweist bezüglich der EVS-Abteilung 9 pauschal auf die Möglichkeit zur gemeinsamen Nutzung oder zum Austausch bei den Bedarfen an Freizeit, Unterhaltung und Kultur (BT-Drs. 19/10052, S. 24). Die EVS-Abteilung 9 umfasst die Unterkategorien Tonempfangs-, aufnahme- und Wiedergabegeräte; Bild-, Daten- und Tonträger (einschließlich Downloads und Apps); Spielwaren (einschließlich Computerspiele, Downloads und Apps); Sportartikel; Miete/Leihgebühren für Sport- und Campingartikel; Besuch von Sport- und Freizeitveranstaltungen bzw. -einrichtungen; Dienstleistungen von Fotografen, Fotolabors o.Ä.; Besuch von Kulturveranstaltungen bzw. -einrichtungen; Sonstige Freizeit- und Kulturdienstleistungen; Bücher und Broschüren (einschließlich Downloads und Apps); Miete/Leihgebühren für Bücher und Zeitschriften; Zeitungen und Zeitschriften, Landkarten (einschließlich Downloads und Apps); Sonstige Gebrauchsgüter für Schule, Büro, Unterhaltung und Freizeit; Sonstige Verbrauchsgüter (Schreibwaren, Zeichenmaterial u.Ä.); Reparaturen von Geräten für Empfang, Aufnahme und Wiedergabe von Ton und Bild, von Foto- und Filmausrüstungen und von Geräten der Datenverarbeitung). Viele dieser Gebrauchsgüter und Freizeitkosten eignen sich schon ihrer Natur nach nicht zur gemeinsamen Nutzung. Downloads und Apps lassen sich untereinander nicht austauschen und teilen, gleiches gilt für die Verbrauchsgüter wie Schreibwaren und Zeichenmaterial. Auch der gemeinsame Besuch von Freizeit- und Sportveranstaltungen birgt kein Einsparpotenzial, da Gruppenrabatte allenfalls für sehr große Gruppen wie beispielsweise Schulklassen greifen.
163Gegen die gemeinsame Anschaffung und Nutzung von Gebrauchsgütern wie Bücher oder Sportartikel spricht neben dem fehlenden Näheverhältnis (dazu sogleich (cc)) auch die Praktikabilität, da die Betroffenen unterschiedlich lange zusammen in einer Sammelunterkunft wohnen und nach Auszug nicht weiter zusammenleben.
164Insofern ergeben sich selbst in den EVS-Abteilungen 8 und 9 keine plausiblen Einsparpotenziale, die eine Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 mit der damit verbundenen Kürzung in Höhe von 10 % pro Person begründen können.
Doch selbst unterstellt, es gäbe das vom Gesetzgeber angenommene Einsparpotenzial, ist ein gemeinsames Wirtschaften dennoch nicht hinreichend plausibel, da es an dem erforderlichen Näheverhältnis fehlt. Es mag plausibel sein, dass „in einem Haushalt zusammenlebende Familienangehörige“ in einem solchen „Näheverhältnis“ zueinanderstehen, dass sie umfassend „aus einem Topf“ wirtschaften (vgl. BVerfGE 75, 382 (394); 87, 234 (256); BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353-388, Rn. 53). Leben erwachsene Kinder mit ihren Eltern zusammen, ist der freiwillige Verbleib im Elternhaus als Indiz für die dort erfahrene finanzielle Unterstützung zu werten (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353-388, Rn. 67). Doch selbst hier kann es an einem gemeinsamen Haushalt und damit auch an der Voraussetzung einer Bedarfsgemeinschaft fehlen, wenn sich Eltern ernsthaft weigern, für ihre nicht unterhaltsberechtigten Kinder einzustehen (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353-388, Rn. 65).
166Ohne ein solches (familiäres) Näheverhältnis ist ein gemeinsames Wirtschaften nicht hinreichend plausibel. Davon geht auch die Bundesregierung aus: Nach der Begründung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuchs ist zwar bei Erwachsenen, die nicht allein leben, aufgrund des Zusammenlebens mit anderen ein Minderbedarf zu vermuten. Ihnen wird jedoch trotzdem der Regelbedarf für Alleinlebende zugeordnet, „weil der Minderbedarf nicht für alle denkbaren Fallkonstellationen hinreichend fundiert quantifiziert werden kann“. Eine Ausnahme hiervon bildeten Paare, bei denen das Zusammenleben von gemeinsamem Wirtschaften geprägt sei, weshalb eine Haushaltsersparnis auch in der allgemeinen Betrachtung zu unterstellen sei (BT-Drs. 18/9984).
167Auch bei einem Zusammenleben in Sammelunterkünften kann ein Minderbedarf nicht hinreichend fundiert quantifiziert werden. Ein mit Paaren oder Familien vergleichbares Näheverhältnis ist nicht gegeben. Hinzu kommen spezifische für Sammelunterkünfte geltende Umstände, die ein gemeinsames Wirtschaften äußerst unplausibel erscheinen lassen.
168Anders als zusammenlebende Personen in einer Paarbeziehung oder volljährige Kinder, die mit ihren Eltern zusammenleben, haben Leistungsberechtigte, die in einer Sammelunterkunft leben, sich nicht freiwillig dazu entschieden, mit anderen Personen zusammenzuleben. Die Leistungsberechtigten werden durch die zuständige Behörde einer bestimmten Sammelunterkunft und ggf. innerhalb der Sammelunterkunft (durch den Betreiber) einer konkreten Wohneinheit zugewiesen. Die Zuweisung steht im Ermessen der Behörde bzw. des Betreibers. Bestenfalls erfolgt sie nach Herkunftsländern oder -regionen, ein Anspruch hierauf besteht jedoch nicht. Bei der landesinternen und länderübergreifenden Verteilung sind nach § 50 Abs. 4 S. 5 AsylG und § 51 Abs. 1 AsylG lediglich die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen. Die sonstigen humanitären Gründe werden eng verstanden und umfassen insbesondere nicht den Wunsch, mit einer vertrauten oder befreundeten Person zusammenzuleben (vgl. Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 50 Rn. 29 m.w.N.).
169Weitere Vorgaben ergeben sich aus dem Landesrecht, das den Behörden aber ebenfalls ein weites Ermessen einräumt und den Betroffenen insbesondere kein Mitspracherecht bei der Auswahl der „Mitbewohner*innen“ einräumt. In manchen Ländern ist es den Betroffenen unter bestimmten Bedingungen erlaubt aus der Sammelunterkunft auszuziehen, was jedoch stets voraussetzt, dass sie auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung finden (vgl. zur komplexen Rechtslage in den Ländern: Aumüller, Jutta/Daphi, Priska/Biesenkamp, Celine (2015): Die Aufnahme von Flüchtlingen in den Bundesländern und Kommunen. Behördliche Praxis und zivilgesellschaftliches Engagement, Stuttgart: Robert Bosch Stiftung).
170Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Personen, die seitens der zuständigen Behörde bzw. des Betreibers einer Sammelunterkunft verpflichtet werden, bestimmte Räumlichkeiten gemeinsam zu nutzen, ein Näheverhältnis entwickeln, das ein gemeinsames Wirtschaften „aus einem Topf“ ermöglicht (SG Leipzig, Beschluss vom 8.1.2020 – S 10 AY 40/19 – www.saechsischer-fluechtlingsrat.de; LSG Sachsen, Beschluss vom 23.03.2020 – L 8 AY 4/20 B ER –, juris, Rn. 38; SG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14.01.2020 - S 30 AY 26/19 ER - asyl.net: M28040; SG Bremen, Beschluss vom 03.07.2020 – S 39 AY 55/20 ER; SG München, Beschluss vom 10. Februar 2020 – S 42 AY 82/19 ER –, juris). Große Teile der Rechtsprechung halten ein gemeinsames Wirtschaften nichtverwandter Personen sogar für gänzlich ausgeschlossen (SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 - S 11 AY 64/19 ER - Asylmagazin 12/2019, S. 432 f. - asyl.net: M27766; SG Freiburg, Beschluss vom 03.12.2019 - S 9 AY 4605/19 ER - asyl.net: M27903; SG Landshut, Beschluss vom 23. Januar 2020 – S 11 AY 79/19 ER –, juris; SG Hannover, Beschluss vom 20. 12. 2019 – S 53 AY 107/19 –, juris; sich anschließend: SG Dresden, Beschluss vom 4.2.2020 – S 20 AY 86/19 ER – Kurzlink: https://is.gd/RD2gJy; SG Freiburg, Beschluss vom 20.01.2020 - S 7 AY 5235/19 ER - Asylmagazin 3/2020, s. 99 f. - asyl.net: M28016).
171Ein solches Näheverhältnis ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass die Betroffenen „sich im Asylverfahren ungeachtet ihrer Herkunft in derselben Lebenssituation“ befinden und „der Sache nach eine Schicksalsgemeinschaft“ bilden, wie in der Gesetzesbegründung behauptet wird (BT-Drs. 19/10052, S. 24). Unzutreffend ist bereits die Annahme, dass sich die in Sammelunterkünften lebenden Personen in derselben Lebenssituation befinden (vgl. SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20 –, Rn. 44, juris; SG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14. Januar 2020 - S 30 AY 26/19 ER - asyl.net: M28040; SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – S 53 AY 107/19 –, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Juni 2020 – L 9 AY 22/19 B ER–, juris, Rn. 17 ff.; sich anschließend: SG Dresden, Beschluss vom 4. Februar 2020 – S 20 AY 86/19 ER – Kurzlink: https://is.gd/RD2gJy). Von der in Rede stehenden Regelung sind nicht nur Asylsuchende, sondern auch sonstige Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG betroffen, insbesondere Geduldete. In Sammelunterkünften leben oft Personen mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus (Asylbewerber*innen i.d.R. mit einer Aufenthaltsgestattung, abgelehnte Asylbewerber*innen i.d.R. mit einer Duldung, teilweise auch Anerkannte mit einer Aufenthaltserlaubnis, die noch keine Wohnung gefunden haben), unterschiedlicher Bleibeperspektive (abhängig u.a. von individueller Verfolgungsgeschichte, Herkunftsland, Ausbildung etc.) und unterschiedlicher sozialrechtlicher Situation (z.B. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG, Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG, eigenes Einkommen). Der vorliegende Fall veranschaulicht dies. In der Wohneinheit des Klägers leben Bewohner, die sich noch im Asylverfahren befinden, während andere Bewohner bereits ein gesichertes Bleiberecht haben. Einige der Mitbewohner des Klägers erhalten Sozialleistungen, andere verdienen ihren Lebensunterhalt selbst.
172Es ist nicht ersichtlich, weshalb Fremde, die sich rein zufällig in einer Unterkunft befinden, gemeinsam wirtschaften sollten (vgl. SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20 –, Rn. 44, juris; SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – S 53 AY 107/19 –, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Juni 2020 – L 9 AY 22/19 B ER–, juris, Rn. 17 ff.).
173Wie der Deutsche Caritasverband, der bundesweit seit vielen Jahren Flüchtlingsunterkünfte betreibt, plausibel ausführt, verhindert üblicherweise schon die Fluktuation in Sammelunterkünften den Aufbau eines Näheverhältnisses. Dass Bewohner*innen regelmäßig aus unterschiedlichen Herkunftsregionen und Kulturen stammen, woraus sich Verständigungsschwierigkeiten und zum Teil sogar Konflikte ergeben können, steht als weiterer Faktor einem gemeinsamen Wirtschaften entgegen (Deutscher Caritasverband, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, 29.3.2019, S. 6, Kurzlink: https://is.gd/Ib1C6G; sich anschließend: SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – S 53 AY 107/19 –, Rn. 10, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.06.2020 – L 9 AY 22/19 B ER–, juris, Rn. 17 ff.).
174In der Literatur wird ein erhebliches Konfliktpotenzial in Sammelunterkünften beschrieben, das sich u.a. aus dem Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen kulturellen oder religiösen Hintergründen, verschiedenen Lebens- und Ernährungsweisen, Hygienestandards, Tagesabläufen und Umgangsformen ergibt (Isabella Bauer: Unterbringung von Flüchtlingen in deutschen Kommunen: Konfliktmediation und lokale Beteiligung, State-of-Research Papier 10, Verbundprojekt ‚Flucht: Forschung und Transfer’, Osnabrück: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück / Bonn: Internationales Konversionszentrum Bonn (BICC), Juli 2017, S. 9 f. m.w.N.).
175Die Annahme, dass bei Konflikten die „Sammelunterkunft Lösungen innerhalb des Hauses oder gemeinsam mit einer anderen Sammelunterkunft“ ermögliche, sodass die grundsätzliche Möglichkeit von Einsparanstrengungen für alle Leistungsberechtigten nicht in Frage gestellt sei (BT-Drucksache 19/10052, S. 24), geht erkennbar an der Realität vorbei. Eine Änderung der Unterbringungssituation ist regelmäßig erst dann zu erwarten, wenn es zu handfesten Gewalttätigkeiten kommt (vgl. Grube/Wahrendorf/Wahrendorf, 6. Aufl. 2018, AsylbLG § 3 Rn. 55). Ein gemeinsames Wirtschaften setzt jedoch nicht nur die Abwesenheit gewalthafter Konflikte, sondern ein besonderes Näheverhältnis voraus, das in Sammelunterkünften regelmäßig nicht gegeben ist.
Die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 kann auch nicht damit begründet werden, dass es Leistungsberechtigten „möglich und zumutbar“ ist, die „dargestellten Einspareffekte zu erzielen“ und „ein Zusammenwirtschaften“ von ihnen „erwartet“ werde. Diese vom Gesetzgeber angenommene „Obliegenheit, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um miteinander in der Sammelunterkunft auszukommen“ (BT-Drucksache 19/10052, S. 24), ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.
177Der im Grundsatz nach dem Statistikmodell ermittelte Bedarf für individuelles Wirtschaften (Bedarfsstufe 1) ist als existenzsichernd anerkannt worden. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die leistungsberechtigte Person mit anderen Personen eine Wohn- oder Haushaltsgemeinschaft bildet. So ist die Regelbedarfsstufe 1 nach dem AsylbLG auch anzuwenden, wenn mehrere Leistungsberechtigte in einer Wohnung leben (Mehrpersonenkonstellationen), es sei denn es handelt sich um Partner (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 23).
178Auch nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 RBEG und nach der Anlage zu § 28 SGB XII ist die Regelbedarfsstufe 2 nur dann anzuwenden, wenn die erwachsene Person in einer Wohnung mit einem Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner zusammenlebt. Auch hier sind Leistungsberechtigte, die in Mehrpersonenkonstellation in einer Wohnung leben, ohne Partner zu sein, der Regelbedarfsstufe 1 zugeordnet (vgl. BT-Drs. 18/9984, S. 84 f.). Die besondere Stellung von Partnerschaften beruht nicht allein auf der Annahme der gemeinsamen Haushaltsführung, sondern auf der typisierenden Annahme eines Einstandswillens in dieser Partnerschaft, der darauf schließen lässt, dass nicht nur aus einem Topf gewirtschaftet wird, sondern das Ausgabeverhalten auch erkennen lässt, dass der Partner zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellt, bevor die Mittel für eigene Bedürfnisse eingesetzt werden (vgl. BSG Urt. v. 23.7.2014 – B 8 SO 14/13 R, BeckRS 2014, 74524 Rn. 27, beck-online; kritisch zur Benachteiligung von Partnerschaften nach neuem Recht: Greiner, NZS 2017, 130).
179Die neue Regelbedarfsstufe 2b nach § 8 Abs. 1 S. 2 RBEG und Anlage zu § 28 SGB XII bezieht sich ausschließlich auf die neuen Wohnformen nach dem Bundesteilhabegesetz (BT-Drs. 18/9984, 25 f., 85, 88; Wrackmeyer-Schoene, info also 2020, 61, 63; BeckOK SozR/Gebhardt, 56. Ed. 1.3.2020, SGB XII § 27a Rn. 17). Zwar wird vereinzelt erwogen, diese auch auf ähnliche Wohnformen, wie zum Beispiel klassische Wohngemeinschaften, anzuwenden (BeckOK SozR/Becker, 56. Ed. 1.3.2020, RBEG § 8 Rn. 16). Dies widerspricht jedoch sowohl dem Wortlaut der Norm, die ein „Überlassen“ von Wohnraum voraussetzt, als auch der gesetzgeberischen Intention (BT-Drs. 18/9984, S. 84 f.; BT-Drs. 18/9522, S. 335). In der neuen Regelbedarfsstufe 2b kann somit keinesfalls eine Abkehr von der gesetzgeberischen Wertung gesehen werden, dass der Bedarf für individuelles Wirtschaften auch dann existenznotwendig ist, wenn eine Wohn- oder Haushaltsgemeinschaft mit anderen Menschen besteht. Sie ist vielmehr ihrerseits verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (LPK-SGB XII/Anne Lenze, 11. Aufl. 2018, RBEG § 8 Rn. 7; Stellungnahmeder Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zum Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, S. 6).
180Ist folglich der Bedarf für individuelles Wirtschaften trotz Zusammenwohnens grundsätzlich als existenzsichernd anerkannt, kann er bei Personen, die in einer Sammelunterkunft untergebracht sind, nicht im Wege einer wertenden Entscheidung unberücksichtigt bleiben. Dass die Unterbringung in einer Sammelunterkunft anders als etwa bei gewöhnlichen Wohngemeinschaften nicht freiwillig erfolgt, spricht sogar dagegen, von den Betroffenen zu erwarten, gemeinsam zu wirtschaften. Die abweichende Bedarfsfestsetzung kann auch nicht damit begründet werden, dass das Kernanliegen der Leistungsempfänger*innen das Durchlaufen des Asylverfahrens sei, sodass Einschränkungen zumutbar seien (so aber Deibel ZfSH/SGB 2019, 541, 543). Abgesehen davon, dass nicht alle Leistungsberechtigten ein Asylverfahren durchlaufen, handelt es sich nicht um ein bedarfsbezogenes Kriterium. Die Asylantragstellung ist darüber hinaus grundrechtlich verbrieft und muss daher auch nicht durch Einschränkungen bei der Existenzsicherung „erkauft“ werden.
181Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen auch nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren (BVerfGE 132, 134 (173)).
182Die mit einer Obliegenheit zum gemeinsamen Wirtschaften einhergehende Nichtanerkennung des Bedarfs für individuelles Wirtschaften ist darüber hinaus auch deshalb nicht tragfähig begründet, weil es der einzelnen Person nicht möglich ist, die Obliegenheit von sich aus zu erfüllen. Er ist vielmehr auf die Mitwirkung der anderen in der Sammelunterkunft lebenden Menschen angewiesen, um die Einspareffekte tatsächlich zu erzielen, ohne einen Rechtsanspruch auf eine solche Mitwirkung gegen sie zu haben (vgl. SG Landshut, Urteil vom 14. Oktober 2020 – S 11 AY 39/20 –, Rn. 45, juris; SG Hannover, Beschluss vom 20. 12. 2019 – S 53 AY 107/19 –, Rn. 19, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10.06.2020 – L 9 AY 22/19 B ER–, juris, Rn. 17 ff.; SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 - S 11 AY 64/19 ER - Asylmagazin 12/2019, S. 432 f. - asyl.net: M27766; SG Freiburg, Beschluss vom 03.12.2019 - S 9 AY 4605/19 ER - asyl.net: M27903, https://www.asyl.net/rsdb/m27903/; sich anschließend: SG Dresden, Beschluss vom 4.2.2020 – S 20 AY 86/19 ER – Kurzlink: https://is.gd/RD2gJy). Auch insofern besteht ein Unterschied zu Personen, die in einer Paarbeziehung leben und Minderjährigen, die bei ihren Eltern wohnen. Denn diese haben jedenfalls die Möglichkeit, die Gemeinschaft zu verlassen und dadurch die Anwendbarkeit der Regelbedarfsstufe 1 herbeizuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 371/11 –, BVerfGE 142, 353-388, Rn. 64 ff. zur Gefahr der Unterdeckung durch die Anrechnung des elterlichen Einkommens und Vermögens). Diese Möglichkeit haben Leistungsberechtigte, die zwangsweise in einer Sammelunterkunft untergebracht sind, nicht.
§ 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG verletzt auch den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Verletzung folgt zunächst aus der Ungleichbehandlung mit Leistungsberechtigten, die nicht in einer Sammelunterkunft leben (dazu a)) und aus der Gleichbehandlung mit (Ehe-)Paaren in Sammelunterkünften (dazu b)). Auch die Ungleichbehandlung mit Leistungsberechtigten nach dem SGB II und dem SGB XII (dazu c)) und mit Bewohner*innen von Wohngemeinschaften (dazu d)) sowie die Gleichbehandlung aller Bewohner*innen von Sammelunterkünften trotz unterschiedlicher Unterbringungsformen (dazu e)) verstoßen gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.
Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG wird durch § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG verletzt, da die Ungleichbehandlung gegenüber Leistungsberechtigten nach § 2 Abs. 1 S. 1 AsylbLG nicht gerechtfertigt ist.
185Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 116, 164 (180); 122, 210 (230); stRspr). Das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 112, 368 (401); stRspr). Wegen der Auswirkungen auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (ausführlich unter III.1)) unterliegen Differenzierungen im AsylbLG strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen. (vgl. BVerfGE 112, 164 (174); 122, 210 (230)).
Durch die Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG werden zwei wesentlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich behandelt. Alleinstehende Leistungsberechtigte, die in einer Wohnung leben, erhalten gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG Leistungen nach der Bedarfsstufe 1 während Leistungsberechtigte, die in einer Sammelunterkunft leben, gem. § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG gekürzte Leistungen nach der Bedarfsstufe 2 erhalten. In beiden Fällen handelt es sich um alleinstehende Leistungsberechtigte nach §§ 1, 2 AsylbLG. Die unterschiedliche Wohnform stellt kein wesentliches Differenzierungsmerkmal dar, weil es für den Bedarf an existenzsichernden Leistungen entscheidend auf die Eigenschaft als „Alleinstehend“ ankommt. Soweit der Gesetzgeber eine Differenzierung nach der Wohnform annimmt, kann diese die unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen, da ein abweichender Bedarf nicht hinreichend begründet wurde.
187Die vermuteten Einspareffekte in Sammelunterkünften beruhen nicht auf einer empirischen Grundlage. Es gibt keine Erhebungen zum spezifischen Bedarf von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, die in Sammelunterkünften wohnen. Die Annahme eines Einsparpotenzials in Höhe von 10 % pro Person ist nicht tragfähig begründet. Die seitens der Bundesregierung behaupteten Einspareffekte beziehen sich größtenteils auf Bedarfspositionen, die in Sammelunterkünften aufgrund entsprechender Sachleistungen dem Regelbedarf nach § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG abgezogen werden und im Regelbedarf des § 3a AsylbLG nicht enthalten sind bzw. in Sammelunterkünften kein Einsparpotenzial bieten. Selbst wenn man ein Einsparpotenzial unterstellt, mangelt es auch deshalb an Plausibilität, weil es am erforderlichen Näheverhältnis zwischen Bewohner*innen von Sammelunterkünften fehlt. Ein gemeinsames Wirtschaften "aus einem Topf" setzt entsprechende Absprachen zwischen den (Lebens-) Partner*innen und ein gefestigtes gegenseitiges Vertrauen voraus. Diese Voraussetzung ist bei Personen, deren einzige Verbindung es ist, vorübergehend und zufällig gemeinsam in einer Sammelunterkunft leben zu müssen, nicht gegeben (dazu ausführlich unter III. 1. b)).
Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG wird durch die Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG auf alleinstehende Erwachsene verletzt, da die Gleichbehandlung mit Leistungsberechtigten in einer ehelichen oder eheähnlichen Lebensgemeinschaft nicht gerechtfertigt ist (vgl. SG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14.01.2020 - S 30 AY 26/19 ER - asyl.net: M28040, https://www.asyl.net/rsdb/m28040/; SG Dresden, Beschluss vom 4.2.2020 – S 20 AY 86/19 ER – Kurzlink: https://is.gd/RD2gJy; SG Berlin, Beschluss vom 19. Mai 2020 – S 90 AY 57/20 ER –, juris).
189Alleinstehende Leistungsberechtigte, die in einer Sammelunterkunft leben, werden wie Leistungsberechtigte in einer ehelichen oder eheähnlichen Lebensgemeinschaft behandelt. Beide erhalten gekürzte Leistungen nach der Bedarfsstufe 2.
190Diese beiden Personengruppen sind aber wesentlich ungleich, da die Bedarfslage der alleinstehenden Bewohner*innen von Sammelunterkünften mit derjenigen von Ehepartnern*innen bzw. Personen in eheähnlichen Lebensgemeinschaften nicht vergleichbar ist. Sinn und Zweck für die differenzierte Behandlung von Personen in einer ehelichen/eheähnlichen Lebensgemeinschaft ist nicht die Wohnform, sondern die Lebensform.
191Leistungsberechtigte, die in einer Ehe oder eheähnlichen Gemeinschaft leben, wirtschaften gemeinsam aus einem Topf und haben dadurch Einspar- bzw. Synergieeffekte. Dies hat der Gesetzgeber durch verschiedene Studien belegt, die Einspareffekte von etwa 10 % pro Person nahelegen Ähnliche Einspareffekte für alleinstehende Leistungsberechtigte, die in Sammelunterkünften leben, hat der Gesetzgeber weder durch empirische Erhebungen belegt noch durch tragfähige Annahmen begründet (dazu ausführlich unter III. 1. b)).
Eine Ungleichbehandlung der Leistungsempfänger*innen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG findet gegenüber denjenigen Bewohner*innen statt, die ihren Lebensunterhalt nicht (mehr) durch Leistungen nach dem AsylbLG bestreiten, sondern durch Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II oder im Falle von Alter, Behinderung oder chronischer Krankheit durch Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII (vgl. SG Freiburg, Beschluss vom 20.01.2020 - S 7 AY 5235/19 ER - Asylmagazin 3/2020, s. 99 f. - asyl.net: M28016). Es handelt sich hierbei beispielsweise um Schutzberechtigte, die gemäß § 53 Abs. 2 AsylG nicht mehr verpflichtet sind, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, aber mangels Alternative weiterhin dort wohnen.
193Diese Personen erhalten, soweit sie alleinstehend sind, trotz ihrer Wohnsituation in der Gemeinschaftsunterkunft die volle Regelleistung für Alleinstehende, ohne dass der Gesetzgeber Synergieeffekte unterstellt. Anschaulich wird diese Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall. Mindestens ein Mitbewohner des Klägers erhält als anerkannter Asylbewerber Leistungen nach dem SGB II und ist dort der Regelbedarfsstufe 1 zugeordnet.
194Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich (so auch SG Freiburg, Beschluss vom 20. Januar 2020, Az.: S 7 AY 5235/19, Rn. 45, juris). Insbesondere hat der Gesetzgeber nicht plausibel begründet, warum Bewohner*innen von Sammelunterkünften, die Leistungen nach SGB II oder SGB XII beziehen, im Unterschied zu Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, keine Einspareffekte durch gemeinsames Wirtschaften erzielen können.
195Soweit der Gesetzgeber für die unterschiedliche Behandlung auf das unterschiedliche Leistungsregime (SGB II, SGB XII) abstellt, vermag dies nicht zu überzeugen. Unterschiede in der Leistungshöhe müssen durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein, beispielsweise durch einen abweichenden Bedarf.
196Der verfestigte Aufenthaltsstatus oder der Wegfall der Verpflichtung, in einer Unterkunft zu leben, können ihrerseits wiederum keine höheren Leistungen rechtfertigen. Diese Umstände wirken sich nicht auf die vom Gesetzgeber unterstellten Synergieeffekte aus. Die Gesetzesbegründung zu §§ 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1, 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b, Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b AsylbLG stellt zwar darauf ab, dass sich die Leistungsberechtigten im Asylverfahren in derselben Lebenssituation befänden, da ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland noch nicht abschließend geklärt ist (BT-Drs. 19/10052, S. 24). Abgesehen davon, dass die vom Gesetzgeber angenommene „Schicksalsgemeinschaft“ an sich schon nicht überzeugt (dazu ausführlich unter III. 1. b) bb) (3)) ist nicht plausibel dargelegt, warum diese Schicksalsgemeinschaft mit Änderung des Leistungsbezugs abrupt enden sollte. Es ist davon auszugehen, dass die Personen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII erhalten, auch schon zu Zeiten des Leistungsbezugs nach dem AsylbLG in der Unterkunft untergebracht waren und sich der Wechsel des Leistungsregimes nicht auf die Möglichkeiten des gemeinsamen Wirtschaftens auswirkt.
Eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Leistungsempfänger*innen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG erfolgt auch gegenüber Leistungsberechtigten gemäß SGB II oder SGB XII, die in einer freiwillig gewählten Wohngemeinschaft innerhalb einer Wohnung leben. Letztere erhalten auch dann Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1, wenn sie mit anderen Leistungsempfänger*innen in einer Wohngemeinschaft leben. Der Regelbedarfssatz 2 findet gemäß § 27a Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit der Anlage zu § 28 SGB XII bzw. § 20 Abs. 1a SGB II in Verbindung mit § 8 RBEG nur Anwendung für Ehegatten oder Lebenspartner bzw. eheähnliche oder lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften oder erwachsene Personen, die nicht in einer Wohnung leben, sondern denen allein oder mit einer weiteren Person ein persönlicher Wohnraum und mit weiteren Personen zusätzliche Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung überlassen sind.
198Die besondere Behandlung von Partnerschaften ist sachgerecht, denn sie beruht nicht allein auf der Annahme der gemeinsamen Haushaltsführung, sondern auf der typisierenden Annahme eines Einstandswillens in dieser Partnerschaft, der darauf schließen lässt, dass nicht nur aus einem Topf gewirtschaftet wird, sondern das Ausgabeverhalten auch erkennen lässt, dass der Partner zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellt, bevor die Mittel für eigene Bedürfnisse eingesetzt werden (vgl. BSG Urt. v. 23.7.2014 – B 8 SO 14/13 R, BeckRS 2014, 74524 Rn. 27, beck-online; kritisch zur Benachteiligung von Partnerschaften nach neuem Recht: Greiner, NZS 2017, 130). Dieser Einstandswille wird bei Erwachsenen, die in einer Wohnung leben, ohne in einer Partnerschaft zu leben, zu Recht nicht pauschal unterstellt.
199Wenn jedoch schon der freiwillige Zusammenschluss mehrerer Erwachsener zu einer Wohngemeinschaft mit Gemeinschaftsräumen nicht zur Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 im SGB II bzw. XII führt, so lässt sich erst recht nicht plausibel begründen, dass die gesetzlich verpflichtende Wohngemeinschaft zwischen sich völlig fremden Menschen in Sammelunterkünften die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 zur Folge hat.
Schließlich wird der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG auch dadurch verletzt, dass alle Bewohner*innen von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes, Gemeinschaftsunterkünften im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes gemäß § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG gleichermaßen Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 erhalten, obwohl die Unterkünfte sich in Bezug auf die Unterbringungsform und die Möglichkeiten gemeinsamen Wirtschaftens stark unterscheiden (vgl. SG Freiburg, Beschluss vom 20.01.2020 - S 7 AY 5235/19 ER - Asylmagazin 3/2020, s. 99 f. - asyl.net: M28016).
201In manchen Unterkünften ist eine heimtypische Organisationsstruktur vorzufinden, in der die Essensversorgung vom Betreiber der Unterkunft gestellt wird und keine gemeinschaftlich genutzte Küche vorhanden ist. Ob neben einer geteilten Küche weitere Gemeinschaftsräume vorhanden sind, die für die gemeinsame Mediennutzung oder Freizeitgestaltung zur Verfügung stehen, ist ebenfalls je nach Unterkunft sehr unterschiedlich. In manchen Unterkünften existieren wiederum in sich abgeschlossene Wohnbereiche mit eigener Küche ohne Gemeinschaftsräume, die mit anderem Bewohner*innen geteilt werden. Ein gemeinsames Wirtschaften „aus einem Topf“ in Sammelunterkünften ist unabhängig von der jeweiligen Unterbringungsform nicht plausibel begründet (dazu ausführlich unter I. 1. b) bb)). Folgt man jedoch der Gesetzesbegründung, wonach sich die Synergieeffekte daraus ergeben, dass die Leistungsberechtigten „in Sammelunterkünften bestimmte Räumlichkeiten (Küche, Sanitär- und Aufenthaltsräume etc.) gemeinsam nutzen“ (BT-Drs. 19/10052, S. 24), dann muss zwischen den unterschiedlichen Unterbringungsformen differenziert werden. In Sammelunterkünften ohne gemeinschaftlich genutzte Räume und damit ohne Überschneidungspunkte mit den übrigen Bewohner*innen sind diese Synergieeffekte unmöglich. Eine Gleichbehandlung dieser Gruppe mit den Bewohner*innen, die in einer Unterkunft mit einer gemeinsam genutzten Küche und weiteren Gemeinschaftsräumen leben, ist nicht nachvollziehbar begründet (so auch SG Freiburg, Beschluss vom 20. Januar 2020, Az.: S 7 AY 5235/19, juris, Rn. 44).
Vorzulegen ist § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG, soweit von der Norm auch alleinstehende Leistungsberechtigte erfasst sind. Denn die Norm verletzt insoweit das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und den Allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG.
203Soweit sich die Norm auf Ehegatten oder Lebenspartner oder Paare, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft in einer Sammelunterkunft leben, bezieht, ist eine Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 verfassungskonform.
204Da die Vorlagefrage, wie ausführlich dargelegt, auch nicht durch verfassungskonforme Auslegung beantwortet werden kann und die Rechtsgültigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG entscheidungserheblich ist, musste der Rechtstreit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG ausgesetzt und dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt werden.