veröffentlicht im Bundesgesetzblatt 1990 Teil I Nr. 18, Seite 701 ff.

ausgegeben zu Bonn am 12. April 1990

 

Deutsches Gesetz

zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25.Oktober 1980

über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung

 

und

 

des Europäischen Übereinkommens vom 20.Mai 1980

über die Anerkennung und Vollstreckung von

Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder

und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses

(Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz - SorgeRÜbkAG)

 

vom 5. April 1990

 

(zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Februar 2001, BGBl. 2001 I S. 288)

 

 

Erster Teil. Zentrale Behörde

 

§ 1

 

Bestimmung

 

Die Aufgaben der zentralen Behörde (Artikel 6 des Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 [BGBl. 1990 II S. 206, 207] - im folgenden: Haager Übereinkommen -, Artikel 2 des Übereinkommens vom 20. Mai 1980 [BGBl. 1990 II S. 206, 220] - im folgenden: Europäisches Übereinkommen -) nimmt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof wahr. Er verkehrt unmittelbar mit den im Geltungsbereich dieses Gesetzes zuständigen Gerichten und Behörden.

 

 

§ 2

 

Übersetzung bei eingehenden Ersuchen

 

(1) Die zentrale Behörde, bei der ein Antrag aus einem anderen Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens eingeht, kann es ablehnen, tätig zu werden, solange Mitteilungen oder beizufügende Schriftstücke nicht in deutscher Sprache abgefasst oder von einer Übersetzung in diese Sprache begleitet sind (Artikel 6 Abs. 1 und 3, Artikel 13 Abs. 2 des Übereinkommens).

 

(2) Ist ein Schriftstück nach Artikel 24 Abs. 1 des Haager Übereinkommens ausnahmsweise nicht von einer deutschen Übersetzung begleitet, so veranlasst die zentrale Behörde die Übersetzung.

 

 

§ 3

 

Maßnahmen der zentralen Behörde

 

(1) Die zentrale Behörde trifft alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Einschaltung von Polizeibehörden, um den Aufenthaltsort des Kindes zu ermitteln, wenn dieser sich nicht aus dem Antrag ergibt. Unter den Voraussetzungen des Satzes 1 kann die zentrale Behörde auch die Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung durch das Bundeskriminalamt veranlassen.

 

(2) Im übrigen leitet die zentrale Behörde unverzüglich Anträge aus einem anderen Vertragsstaat an das Gericht weiter, das nach den ihr vorliegenden Unterlagen zuständig ist, und unterrichtet es über bereits veranlasste Maßnahmen.

 

(3) Die zentrale Behörde gilt als bevollmächtigt, im Namen des Antragstellers zum Zweck der Rückgabe des Kindes selbst oder im Weg der Untervollmacht durch Vertreter gerichtlich oder außergerichtlich tätig zu werden. Ihre Befugnis, zur Sicherung der Einhaltung der Übereinkommen im eigenen Namen entsprechend zu handeln, bleibt unberührt.

 

 

§ 4

 

Anrufung des Oberlandesgerichts

 

(1) Nimmt die zentrale Behörde einen Antrag unter Berufung auf Artikel 27 des Haager Übereinkommens nicht an oder lehnt sie es nach Artikel 4 Abs. 4 des Europäischen Übereinkommens oder aus anderen Gründen ab, tätig zu werden, so kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts beantragt werden.

 

(2) Das Oberlandesgericht entscheidet im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Zuständig ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die zentrale Behörde ihren Sitz hat. § 21 Abs. 2, die §§ 23 und 24 Abs. 3, die §§ 25 und 28 Abs. 2, 3, § 30 Abs. 1 Satz 1 sowie § 199 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten sinngemäß. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist nicht anfechtbar.

 

 

Zweiter Teil. Gerichtliches Verfahren

 

§ 5

 

Örtliche Zuständigkeit; Zuständigkeitskonzentration

 

(1) Das Familiengericht, in dessen Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, entscheidet für den Bezirk dieses Oberlandesgerichts

 

1. über gerichtliche Anordnungen in Bezug auf die Rückgabe des Kindes oder die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses und in Bezug auf das Recht zum persönlichen Umgang sowie

 

2. über die Vollstreckbarerklärung oder eine gesonderte Feststellung der Anerkennung von Entscheidungen aus anderen Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens.

 

Die Landesregierungen werden ermächtigt, diese Zuständigkeit durch Rechtsverordnung abweichend von Satz 1 einem Familiengericht des Oberlandesgerichtsbezirks oder, wenn in einem Land mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, einem Familiengericht für die Bezirke aller oder mehrerer Oberlandesgerichte zuzuweisen. Sie können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltung übertragen.

 

(2) Örtlich zuständig ist das Familiengericht, in dessen Zuständigkeitsbereich nach Absatz 1

 

1. sich das Kind beim Eingang des Antrags bei der zentralen Behörde aufgehalten hat oder,

 

2. bei Fehlen einer Zuständigkeit nach Nummer 1, das Bedürfnis der Fürsorge besteht.

 

 

§ 6

 

Allgemeine Verfahrensvorschriften

 

(1) Das Gericht entscheidet über die in § 5 genannten Angelegenheiten als Familiensachen im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; § 621 a Abs. 1, § 621 c und § 6213 f der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Das Gericht kann das Jugendamt mit geeigneten Maßnahmen betrauen, insbesondere

 

1. Auskunft über die soziale Lage des Kindes zu geben,

 

2. Anordnungen über den Umgang mit dem Kind auszuführen oder

 

3. Vorkehrungen zur Gewährleistung der sicheren Rückgabe des Kindes zu treffen.

 

(2) Das Gericht kann auf Antrag oder von Amts wegen einstweilige Anordnungen treffen, um Gefahren von dem Kind abzuwenden oder eine Beeinträchtigung der Interessen der Beteiligten zu vermeiden. Die Entscheidungen nach Satz 1 sind nicht anfechtbar. Im übrigen gelten die §§ 620 a, 620 b und 620 d bis 620 g der Zivilprozessordnung sinngemäß.

 

 

§ 7

Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach dem Europäischen Übereinkommen

 

 

(1) Ein Titel, insbesondere auf Herausgabe des Kindes, der aus einem anderen Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens stammt und dort vollstreckbar ist, wird dadurch zur Zwangsvollstreckung zugelassen, dass er auf Antrag mit einer Vollstreckungsklausel versehen wird.

 

(2) Liegt ein vollstreckungsfähiger Titel nach Absatz 1 nicht vor, so wird festgestellt, dass eine Sorgerechtsentscheidung oder eine von der zuständigen Behörde genehmigte Sorgerechtsvereinbarung aus einem anderen Vertragsstaat anzuerkennen ist, und auf Antrag zur Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses angeordnet, dass der Antragsgegner das Kind herauszugeben hat.

 

(3) Auf Antrag kann gesondert festgestellt werden, dass eine Sorgerechtsentscheidung aus einem anderen Vertragsstaat anzuerkennen ist.

 

(4) Die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung aus einem anderen Vertragsstaat ist auch in den Fällen der Artikel 8 und 9 des Europäischen Übereinkommens ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des Artikels 10 Abs. 1 Buchstabe a oder b des Übereinkommens vorliegen, insbesondere wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den Grundrechten des Kindes oder eines Sorgeberechtigten unvereinbar wären.

 

 

§ 8

 

Wirksamkeit der Entscheidung; Rechtsmittel

 

(1) Eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes in einen anderen Vertragsstaat verpflichtet, wird erst mit Eintritt der Rechtskraft wirksam. Das Gericht kann die sofortige Vollziehung der Entscheidung anordnen.

 

(2) Gegen eine im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung findet nur das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zum Oberlandesgericht nach § 22 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit statt; § 28 Abs. 2 und 3 dieses Gesetzes gilt sinngemäß. Ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung, die zur Rückgabe des Kindes verpflichtet, steht nur dem Antragsgegner, dem mindestens 14 Jahre alten Kind persönlich und dem beteiligten Jugendamt zu. Eine weitere Beschwerde findet nicht statt.

 

 

Dritter Teil. Ausgehende Ersuchen

 

§ 9

 

Besondere Vorschriften für Entscheidungen,

die in einem anderen Vertragsstaat geltend gemacht werden sollen

 

Sorgerechtsentscheidungen und Herausgabeentscheidungen einschließlich einstweiliger Anordnungen, die in einem anderen Vertragsstaat geltend gemacht werden sollen, sind zu begründen und, wenn auf ihrer Grundlage die Zwangsvollstreckung in einem anderen Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens betrieben werden soll, mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen. Entscheidungen können auf Antrag zu diesen Zwecken auch nachträglich vervollständigt werden; § 30 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 19. Februar 2001 (BGBl. I S. 288) gilt sinngemäß.

 

 

§ 10

 

Bescheinigung über Widerrechtlichkeit

 

Über einen Antrag, die Widerrechtlichkeit des Verbringens oder des Zurückhaltens eines Kindes festzustellen (Artikel 15 Satz 1 des Haager Übereinkommens), entscheidet das nach den allgemein geltenden Vorschriften sachlich zuständige Gericht,

 

1. bei dem die Sorgerechtsangelegenheit oder Ehesache im ersten Rechtszug anhängig ist oder war, sonst

 

2. in dessen Bezirk das Kind seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte, hilfsweise

 

3. in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge auftritt.

 

Die Entscheidung ist zu begründen.

 

 

§ 11

 

Einreichung von Anträgen

 

(1)  Ein Antrag, der in einem anderen Vertragsstaat zu erledigen ist, kann auch bei dem Amtsgericht als Justizverwaltungsbehörde eingereicht werden, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder, mangels eines solchen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, seinen Aufenthalt hat. Das Gericht übermittelt den Antrag nach Prüfung der förmlichen Voraussetzungen unverzüglich der zentralen Behörde, die ihn an den anderen Vertragsstaat weiterleitet.

 

(2) Erforderliche Übersetzungen veranlasst die Zentrale Behörde auf Kosten des Antragstellers. Das in Absatz 1 bezeichnete Gericht kann auf Antrag von einer Erstattungspflicht einstweilen befreien, wenn der Antragsteller die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ohne einen eigenen Beitrag zu den Kosten nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung erfüllt.

 

(3) Für die Tätigkeit des Amtsgerichts und der zentralen Behörde bei der Entgegennahme und Weiterleitung von Anträgen werden im übrigen Kosten nicht erhoben.

 

 

Vierter Teil. Allgemeine Vorschriften

 

§ 12

 

Anwendbarkeit beider Übereinkommen

 

Kommt im Einzelfall die Rückgabe des Kindes nach dem Haager und dem Europäischen Übereinkommen in Betracht, so sind zunächst die Bestimmungen des Haager Übereinkommens anzuwenden, sofern der Antragsteller nicht ausdrücklich die Anwendung des Europäischen Übereinkommens begehrt.

 

 

§ 13

 

Prozesskosten- und Beratungshilfe

 

Abweichend von Artikel 26 Abs. 2 des Haager Übereinkommens findet eine Befreiung von gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten bei Verfahren nach diesem Übereinkommen nur nach Maßgabe der Vorschriften über die Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe statt.

 

 

§ 14

 

Mitwirkung des Jugendamtes

 

(1) Das Jugendamt unterstützt die Gerichte und die zentrale Behörde bei allen Maßnahmen nach diesem Gesetz. Insbesondere gibt es auf Anfrage Auskunft über die soziale Lage des Kindes und wirkt in geeigneten Fällen bei der Rückgabe des Kindes und der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen mit. Solange die zentrale Behörde oder ein Gericht mit einem Rückführungsantrag oder mit der Vollstreckung einer Rückführungs- oder Herausgabeentscheidung befasst ist, ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich sich das Kind tatsächlich aufhält. In den übrigen Fällen ist das Jugendamt zuständig, in dessen Bereich sich das Kind gewöhnlich aufhält. § 86 Abs. 4 Satz 2 und § 86 d des Achten Buches Sozialgesetzbuch finden entsprechende Anwendung.

 

(2) Das Gericht unterrichtet das nach Absatz 1 Satz 3 bis 5 zuständige Jugendamt über Entscheidungen nach den §§  5 bis 8 auch dann, wenn das Jugendamt am Verfahren nicht beteiligt war.

 

(3) Ergänzend gelten die Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch.

 

 

Auf den Abdruck der Änderungsvorschriften zu anderen Gesetzen

(Artikel 2 - 7) wurde verzichtet.

 

 

Artikel 8

 

Inkrafttreten

 

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

 

 

Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und

wird im Bundesgesetzblatt verkündet.

 

Bonn, den 5. April 1990

Der Bundespräsident

Weizsäcker

 

Der Bundeskanzler

Dr. Helmut Kohl

 

Der Bundesminister der Justiz

Engelhard