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Auf die sofortige Beschwerde der zu 1) bis 9) beteiligten Arbeitnehmer wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bocholt vom 09.02.2016 – 1 BvGa 1/16 – abgeändert.
Der Wahlvorstand wird verpflichtet, zu der mit Wahlausschreiben vom 11.01.2016 im Betrieb der Arbeitgeberin eingeleiteten Betriebsratswahl am 23.02.2016 den Wahlvorschlag mit dem Kennwort „L/F“ zuzulassen.
Gründe
2A.
3Hinsichtlich des Tatbestandes wird verwiesen auf A. der erstinstanzlichen Entscheidung. Von einer weitergehenden Darstellung wird abgesehen (vgl. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
4B.
5Die sofortigen Beschwerden (vgl. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) der Antragsteller zu 1) bis 9) sind zulässig und begründet.
6I. Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes kann auch in ein laufendes Betriebsratswahlverfahren durch Erlass einer einstweiligen Verfügung korrigierend eingegriffen werden, wenn dem Wahlvorstand ein Fehler unterlaufen ist und dieser noch mit Wirkung für das laufende Wahlverfahren berichtigt werden kann (LAG Hamm, 03.03.2006 – 13 TaBV 18/06 – juris; Fitting, 27. Aufl., § 18 Rn. 40). In dieser Konstellation wäre es unverhältnismäßig, den Betroffenen auf das Wahlanfechtungsverfahren gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG zu verweisen, wo auch gerade in der genannten Norm die Berichtigung als weniger einschneidende Maßnahme genannt wird.
7II. Die Beteiligten zu 1) bis 9) sind im vorliegenden Verfahren antragsbefugt. Dies ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, weil die Zielsetzung in einem vorgeschalteten Kontrollverfahren vergleichbar ist mit der Situation im Anfechtungsverfahren.
8III. In der Sache ergibt sich der erforderliche Verfügungsanspruch daraus, dass die Antragsteller vom Wahlvorstand verlangen können, die fristgerecht am 25.01.2016 eingereichte Vorschlagsliste mit dem Kennwort „L/F“ zu der für den 23.02.2016 vorgesehenen Betriebsratswahl zuzulassen, indem gemäß § 10 Abs. 2 WO unter Einhaltung der einwöchigen Frist (noch heute) die erforderliche Bekanntmachung erfolgt. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist die genannte Wahlvorschlagsliste nämlich als gültig anzusehen und durfte vom Wahlvorstand nicht im Rahmen seiner Prüfpflicht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 WO, gestützt auf § 8 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 WO, zurückgewiesen werden.
91. Allerdings sind die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. der Gründe insoweit zutreffend, dass am 22.01.2016 anlässlich der Zusammenkunft fast aller Wahlbewerber (noch) keine gültige Wahlvorschlagsliste aufgestellt worden ist. Denn wenn dort – nach der bereits am 15.01.2016 unter der laufenden Nr. 1 erfolgten Eintragung der Bewerberin L – die weiteren 11 Bewerberinnen und Bewerber sich sukzessive in die Vorschlagsliste eingetragen und jeweils sofort auch Stützunterschriften abgegeben haben, obwohl die Bewerberliste noch nicht vollständig und abgeschlossen war, wurde damit den Anforderungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG nicht ausreichend Rechnung getragen. Denn nach der genannten Norm muss zunächst ein Wahlvorschlag aufgestellt werden, der dann von der erforderlichen Anzahl wahlberechtigter Arbeitnehmer zu unterzeichnen ist. Im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung muss also für jeden Arbeitnehmer in der gehörigen Form unmissverständlich klar sein, welche gemäß § 6 WO in eine Vorschlagsliste aufzunehmenden Bewerberinnen und Bewerber es zu unterstützen gilt (vgl. zuletzt BAG, 06.11.2013 – 7 ABR 65/11 – AP BetrVG 1972 § 14 Nr. 3).
102. Trotzdem ist die Wahlvorschlagsliste mit dem Kennwort „L/F“ gültig, weil nach Aufstellung des Wahlvorschlags am 22.01.2016 mit insgesamt 12 Bewerberinnen und Bewerbern in der Folgezeit noch insgesamt acht Stützunterschriften wirksam geleistet wurden und damit das gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG im konkreten Fall erforderliche Quorum von aufgerundet fünf Arbeitnehmern (1/20 von 94 Beschäftigten) erreicht worden ist.
11Dem stehen entscheidungsunerheblich gewesene Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts im Beschluss vom 18.07.2012 (7 ABR 21/11 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 62) nicht entgegen. Denn im Unterschied zum vorliegenden Fall verhalten sich die Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts zu einem Fall, in dem nach der Anbringung von Stützunterschriften weitere Kandidaten auf eine Liste gesetzt worden sind und anschließend weitere Stützunterschriften geleistet wurden. Für diese Konstellation erwägt das Bundesarbeitsgericht, die Unwirksamkeit des Wahlvorschlages anzunehmen, aber bezeichnenderweise auch nur dann, wenn die nachträgliche Ergänzung der Kandidatenliste nicht kenntlich gemacht worden ist. Daraus wird deutlich, dass nur bei Veränderungen auf Bewerberseite in der Vorschlagsliste die Wirksamkeit geleisteter Stützunterschriften infrage zu stellen ist.
12Hier hingegen lag den Unterzeichnern ab der laufenden Nr. 12 bis zur laufenden Nr. 19 bei Abgabe ihrer Unterschriften der unverändert gebliebene Wahlvorschlag mit dem Kennwort „L/F“ vor, und sie konnten sich in einem unbeeinträchtigten politischen Willensbildungsprozess dafür entscheiden, die 12 in der vorgegebenen Reihenfolge aufgestellten Kandidatinnen und Kandidaten zu unterstützen (vgl. BAG, 06.11.2013 – 7 ABR 65/11 – AP BetrVG 1972 § 14 Nr. 3).
13Hinzu kommt, dass die 11 Arbeitnehmer, die zuvor den Wahlvorschlag unterzeichnet hatten, unverändert den Willen hatten, den Wahlvorschlag zu unterstützen, auch wenn sie das nicht in der gehörigen Abfolge zum Ausdruck gebracht haben (siehe B. III. 1. der Gründe). Bei den Unterzeichnern ab der laufenden Nr. 12 konnte insoweit also kein unzutreffender Eindruck bei ihrer Willensbildung entstehen, zumal Unterzeichner namentlich in den Fällen des § 6 Abs. 5 WO und § 8 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 WO damit rechnen müssen, dass vor ihnen abgegebene Stützunterschriften später wieder entfallen können, ohne dass davon die Wirksamkeit des Wahlvorschlags berührt wird.
143. Schließlich steht dem Begehren der Antragsteller auch nicht der Einwand entgegen, die beiden beim Wahlvorstand eingereichten Blätter mit dem Wahlvorschlag einerseits und den Stützunterschriften andererseits seien nur mit einer Büroklammer und damit nicht fest verbunden gewesen. Denn nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (25.05.2005 – 7 ABR 39/04 – AP BetrVG 1972 § 14 Nr. 2) ist den Anforderungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG an eine einheitliche Urkunde auch dann Genüge getan, wenn auf den einzelnen Blättern ein einheitliches Kennwort (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 WO) angegeben ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil auf der Vorschlagsliste und auch auf der Liste mit den Stützunterschriften einheitlich das Kennwort „L/F“ Verwendung gefunden hat.
154. Der Verfügungsgrund ergibt sich daraus, dass im Zeitpunkt der zweitinstanzlichen Beschlussfassung am 15.02.2016 noch das mildere Mittel gegeben war, in die laufende Wahl korrigierend einzugreifen, statt es zur anfechtbaren Wahl eines Betriebsrates kommen zu lassen. Damit konnte dem Vorrang der Korrektur vor der Kassation Rechnung getragen werden (vgl. LAG Hamm, a.a.O.). Die damit einhergehende endgültige Befriedigung des antragstellerseitigen Begehrens ist ausnahmsweise hinzunehmen, weil nur so gewährleistet werden kann, dass das laufende Betriebsratswahlverfahren nicht unter Verstoß gegen zwingende Vorschriften zum Wahlverfahren fortgesetzt wird. Es wird damit nicht die Wahl verhindert, sondern ihre ordnungsgemäße Durchführung gesichert.