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Einem Entschädigungsverlangen nach dem AGG kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs u.a. auch dann entgegenstehen, wenn ein Kläger sich systematisch auf eine Vielzahl von AGG-widrig ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ im Sinne eines durch ihn weiterentwickelten Geschäftsmodells „2.0“ bewirbt, mit dem alleinigen Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG durchzusetzen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein solches fortentwickeltes Geschäftsmodell kann sich daraus ergeben, dass ein Kläger – aufgrund von verlorenen Entschädigungsprozessen in der Vergangenheit – gezielt ihm darin durch Gerichte vorgehaltene Rechtsmissbrauchsmerkmale bei zukünftigen Bewerbungen minimiert und die Bewerbungen entsprechend anpasst, die ebenfalls seitens der Gerichte konkret monierten, untauglichen Bewerbungsunterlagen aber bewusst und konstant auf niedrigem Niveau belässt, um bei der Stellenbesetzung selbst nicht berücksichtigt zu werden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 07.07.2023 - 10 Ca 640/23 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D
2Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts.
3Der im Jahr 1994 geborene, ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Kläger hat Abitur und ist ausgebildeter Industriekaufmann. Er ist wohnhaft in A bei B und bezieht aufgrund seiner Arbeitslosigkeit aktuell Bürgergeld.
4Der Kläger bewarb sich in der Vergangenheit mehrfach auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ bei diversen Unternehmen und führte im Nachgang Entschädigungsprozesse aufgrund einer etwaigen Benachteiligung wegen des Geschlechts:
5Anfang des Jahres 2021 schrieb ein Unternehmen in Schleswig-Holstein, welches eine Kfz-Werkstatt unterhält sowie gebrauchte Kfz veräußert, eine Stelle für eine „Sekretärin“ auf der Internet-Plattform eBay Kleinanzeigen aus. Der Kläger meldete sich über die Chat-Funktion von eBay Kleinanzeigen bei diesem Unternehmen wie folgt:
6„Hallo,
7ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen.
8Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die sie fordern.
9Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.
10Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau?
11In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben. Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann.
12Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
13Ich wäre ab sofort verfügbar.
14Mit freundlichen Grüßen
15Herr …“
16Das Unternehmen sagte daraufhin dem Kläger ab, unter Hinweis darauf, dass ausschließlich eine Dame gesucht werde. Mit Schreiben vom 27.05.2021 wandte sich der Kläger an das Unternehmen und machte einen Entschädigungsanspruch aufgrund einer Benachteiligung wegen seines Geschlechts geltend. Der Kläger verfolgte sodann seinen Entschädigungsanspruch in Höhe von 7.800,00 EUR vor dem Arbeitsgericht Elmshorn weiter (ArbG Elmshorn,16.12.2021 - 4 Ca 592 a/21). Das Unternehmen machte im Prozess geltend, der Kläger habe sich einzig und allein auf die Stelle beworben, um Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Das Arbeitsgericht Elmshorn wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Bewerber sei. Dies setze nach Auffassung der dort zur Entscheidung berufenen Kammer zumindest voraus, dass sich der Stellensuchende als Person konkretisiere/vorstelle, also hinsichtlich seiner Person und Qualifikation in Bezug auf die Stelle ein Mindestmaß an Informationen übermittele, die zumindest ein Bewerbungsverfahren ermöglichten. Dieses Mindestmaß sei im Falle des Klägers nicht erreicht. Es handele sich letztlich „nur“ um eine Kontaktaufnahme, im Ergebnis aber nicht um eine Bewerbung im Sinne des AGG. Dem Unternehmen hätten lediglich Informationen aus der Chat-Funktion der Internetseite, d.h. der mitgeteilte Nachname, aber keine Wohnanschrift, E-Mailadresse und weitere regelmäßige Informationen wie Alter, Familienstand, berufliche Erfahrungen, etc. vorgelegen. Unterlagen, Nachweise und eine konkrete Bewerbung seien nicht übermittelt worden. Auf die Berufung des Klägers änderte das LAG Schleswig-Holstein (21.06.2022 - 2 Sa 21/22) das Urteil ab und sprach dem Kläger eine Entschädigung von 7.800,00 EUR zu.
17Im August 2021 schrieb ein Umzugsunternehmen in Berlin über das Portal eBay Kleinanzeigen ebenfalls eine Stelle aus. Gesucht wurde explizit eine „Sekretärin“. Der Kläger meldete sich am 29.08.2021 auf eben diese Stellenanzeige auf elektronischem Wege. Nach kurzer Vorkorrespondenz bewarb sich der Kläger am 02.09.2021 per E-Mail bei dem Umzugsunternehmen entsprechend des vorstehenden zitierten Bewerbungstextes. Das Umzugsunternehmen gab daraufhin dem Kläger mit E-Mail vom 02.09.2021 eine Rückmeldung. Danach sei ausschließlich eine „Sekretärin“, also eine Frau, gesucht. Dies nahm der Kläger zum Anlass, mit seiner am 19.10.2021 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage erneut eine Entschädigung aufgrund einer Diskriminierung wegen des Geschlechts geltend zu machen. Nach Säumnis des Klägers im Gütetermin, klageabweisendem Versäumnisurteil sowie eingereichtem Einspruch von Seiten des Klägers, hielt das Arbeitsgericht Berlin mit Urteil vom 23.06.2022 (ArbG Berlin, 42 Ca 10434/21) das klageabweisende Versäumnisurteil aufrecht. Zur Begründung führte es aus, dass die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG zwar grundsätzlich vorlägen, das Entschädigungsverlangen des Klägers aber rechtsmissbräuchlich sei. Der Kammer seien – was zutrifft – binnen 15 Monaten elf Klagen aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts durch den Kläger allein vor dem Arbeitsgericht Berlin bekannt. Stets habe er sich – was ebenfalls zutrifft – auf ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ beworben und im Nachgang Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend gemacht. Dies spreche für ein systematisches, zielgerichtetes Vorgehen. Bei allen Ausschreibungen als „Sekretärin“ habe es sich um solche Ausschreibungen auf der Internet-Plattform eBay Kleinanzeigen gehandelt. Stets habe der Kläger den, auch im zu entscheidenden Verfahren maßgeblichen, vorformulierten Text als Anschreiben an die Ersteller der Anzeige versandt. Vorliegend habe der Kläger durch sein Vorgehen sowie den bereits enthaltenen Hinweis in seinem Anschreiben auf das Fehlen der für die Benachteiligung relevanten Eigenschaft (männliches Geschlecht) eine Ablehnung provoziert. Er habe insbesondere in seiner E-Mail vom 29.08.2021 ausdrücklich gefragt, ob ausschließlich eine Frau gesucht werde und gleichzeitig festgestellt, dass das Unternehmen dies so angegeben habe. Dies sei unnötig gewesen und habe lediglich darauf hinweisen sollen, dass es sich bei dem Kläger gerade um einen Mann handele. Entsprechend habe er die E-Mail auch mit „Herr …“ unterzeichnet. Dabei sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass Fragen zu Stellenanzeigen im Rahmen eines Anschreibens äußerst unüblich seien. Hinzu komme vorliegend, dass der Kläger auf den Hinweis des ArbG Berlin im Kammertermin auf die gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung bestehenden Zweifel sowie die Vermutung der Rechtsmissbräuchlichkeit nicht etwa Tatsachen dargetan habe, um diese Zweifel und die Vermutung auszuräumen. Er habe sich vielmehr auf die Rechtsprechung des BAG berufen, wonach er aus seiner Sicht einen Anspruch auf Entschädigung habe. Die Kammer sei insoweit davon überzeugt, dass sich der Kläger nur eine neue Einnahmequelle erschließen wolle und an der eigentlichen Stelle kein Interesse gehabt habe. Die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin eingelegte Berufung des Klägers wies das LAG Berlin-Brandenburg (20.01.2023 - 3 Sa 898/22) zwischenzeitlich zurück. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs rechtsmissbräuchlich sei.
18Mit wörtlich gleichem Erstanschreiben bewarb sich der Kläger zudem bei Unternehmen in C, D, E, F und G auf entsprechende Stellen als „Sekretärin“.
19Ebenfalls im August 2021 schrieb ein Unternehmen, welches Wärmekonzepte für Endverbraucher vertreibt, in F eine Stelle auf dem Portal eBay Kleinanzeigen aus, wonach eine „Pfiffige Büromanagerin/Sekretärin“ gesucht wurde. Auf diese Stellenanzeige bewarb sich der Kläger erneut über die Chat-Funktionalitäten von eBay Kleinanzeigen am 03.08.2021 mit gleichlautendem Erstanschreiben. Noch am selben Tag erwiderte das Unternehmen, dass es – wie der Kläger zutreffend erkannt habe – ausschließlich nach einer Frau zur Besetzung der Stelle suche. Mit Schreiben vom 07.09.2021 machte der Kläger gegenüber diesem Unternehmen die Zahlung einer Entschädigung geltend und unterbreitete zur gütlichen Beilegung einen ausformulierten Vergleichsvorschlag, der sich u.a. über die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 2.500,00 EUR verhielt. Mit seiner daraufhin am 11.10.2021 beim Arbeitsgericht Hagen eingegangenen Klage machte der Kläger erneut einen Anspruch auf Entschädigung aufgrund der Benachteiligung wegen seines Geschlechts geltend. Nach Säumnis des Klägers im Gütetermin, klageabweisendem Versäumnisurteil und dem daraufhin fristgemäß eingegangenen Einspruch des Klägers hielt das Arbeitsgericht Hagen mit Urteil vom 06.04.2022 (ArbG Hagen, 2 Ca 1421/21) das Versäumnisurteil aufrecht. Zur Begründung führte es an, dass der Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegenstehe. Dieser habe nur den formalen Status als Bewerber erlangen wollen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass der Kläger in seinem Bewerbungstext ausdrücklich in einem eigenen, gut sichtbaren Absatz angefragt habe, ob das Unternehmen ausschließlich eine Frau suche. Damit habe der Kläger eine Absage geradezu provoziert. Ferner ergebe sich, in subjektiver Hinsicht, der Rechtsmissbrauch daraus, dass der Kläger im Rahmen seiner äußerst kurz gehaltenen Bewerbung im Übrigen lediglich pauschal und floskelhaft von seiner Erfahrung im Büro und seiner abgeschlossenen Ausbildung als Industriekaufmann spreche, ohne dies näher – zum Beispiel durch Vorlage eines aussagekräftigen Lebenslaufs – zu untermauern. Das LAG Hamm wies im Nachgang die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil aufgrund der Rechtmissbräuchlichkeit seines Entschädigungsverlanges zurück (LAG Hamm, 23.08.2023 - 9 Sa 538/22).
20Am 17.01.2022 veröffentlichte ein weiteres Unternehmen auf dem Internet-Portal eBay Kleinanzeigen eine Stellenausschreibung für eine „Sekretärin“. Der Kläger bewarb sich hierauf erneut über die Chatfunktion von eBay Kleinanzeigen am 18.01.2022 mit gleichlautendem Bewerbungstext. Weitere Unterlagen, wie etwa einen Lebenslauf, übersandte der Kläger nicht. Das Unternehmen teilte daraufhin mit, dass ausschließlich eine Frau gesucht werde. Mit seiner daraufhin beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen eingegangenen Klage machte der Kläger wiederum einen Anspruch auf Entschädigung aufgrund der Benachteiligung wegen des Geschlechts geltend. Nach Säumnis des Klägers im Gütetermin, klageabweisendem Versäumnisurteil und dem daraufhin fristgemäß eingegangenen Einspruch hob das Arbeitsgericht Gelsenkirchen das Versäumnisurteil am 03.08.2022 (ArbG Gelsenkirchen, 2 Ca 547/22) weit überwiegend auf und gab der Klage in Höhe von 5.400,00 EUR statt. Auf die Berufung des Unternehmens gegen das Urteil änderte das LAG Hamm (23.03.2023 - 18 Sa 888/22) das Urteil ab und wies die Klage insgesamt wegen Rechtsmissbrauchs ab.
21Darüber hinaus war der Kläger auch Kläger in zahlreichen weiteren gleichgelagerten Entschädigungsverfahren. So machte der Kläger etwa mit Klage vom 05.10.2022 vor dem Arbeitsgericht Dortmund (ArbG Dortmund, 3 Ca 3087/22) einen Anspruch auf Entschädigung aufgrund einer erfolglosen Bewerbung auf eine Stellenausschreibung bei Indeed geltend. Auch dort hatte das betreffende Unternehmen ebenfalls ausdrücklich eine „Sekretärin“ gesucht. Dort nahm der Kläger allerdings die Klage zurück.
22Am 03.01.2023 bewarb sich der Kläger schließlich bei der hiesigen Beklagten mit Sitz in H auf eine auf der Website Indeed folgendermaßen ausgeschriebene Stelle:
23„Bürokauffrau/Sekretärin
24Stellenbeschreibung:
25Anstellungsart: Vollzeit, Festanstellung
26Qualifikation
27- Microsoft Office: 1 Jahr (erforderlich)
28- Lehre/Ausbildung (wünschenswert)
29Vollständige Stellenbeschreibung:
30Ihre Qualifikation:
31- sehr gute Kenntnisse in MS-Office
32- eigenverantwortliches und selbständiges Arbeiten
33- hohe Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Teamfähigkeit
34Ihr Aufgabengebiet:
35- Firmenkorrespondenz
36- Bearbeitung von Gutachten
37- Rechnungswesen“
38Dabei machte der Kläger auf der Website Indeed nur wenige Angaben zu seinem Lebenslauf. So gab er dort an, sieben Jahre Erfahrung als Sekretär und in Microsoft-Office zu haben. Konkretere zeitliche Angaben, Nachweise zur Ausbildung/Lehre sowie zu den Unternehmen, bei welchen er tätig gewesen sein will, übermittelte der Kläger nicht. Sodann übersandte der Kläger an die Beklagte per Post ein Anschreiben mit folgendem Inhalt:
39„Sehr geehrte Damen und Herren,
40mit Freude und großem Interesse habe ich ihre Stellenausschreibung auf Indeed gelesen.
41Ich suche derzeit eine neue Wohnung in ihrem Umkreis oder könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word, Excel sowie typischen Bürotätigkeiten und Gesetzen gut aus. Lieferscheine kann ich auch schreiben und Rechnungen. Ich habe Berufserfahrung in der Personalabteilung, Vertrieb und im Einkauf. Ihre Anforderungen in der Stellenausschreibung erfülle ich allesamt.
42Ich bewerbe mich hiermit auf die Stelle.
43Ich habe eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung als Industriekaufmann und suche derzeit eine neue Herausforderung.
44Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
45Ich wäre ab sofort verfügbar.
46Mit freundlichen Grüßen
47Der Kläger erhielt auf seine Bewerbung von der Beklagten keine Rückmeldung. Insbesondere wurde er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die ausgeschriebene Stelle ist mittlerweile auf der Plattform Indeed gelöscht und mit einer Frau besetzt. Das Durchschnittsgehalt pro Monat bei Bekleidung einer Vollzeitstelle als Bürokaufmann/Sekretär in H liegt bei ca. 3.000,00 EUR brutto. Der Kläger trat außergerichtlich nicht noch einmal an die Beklagte heran. Er unterbreitete insbesondere kein außergerichtliches Vergleichsangebot.
48Mit seiner am 27.02.2023 beim Arbeitsgericht Dortmund eingegangenen Klage begehrt der Kläger eine Entschädigungszahlung von der Beklagten im Hinblick auf eine Benachteiligung wegen seines Geschlechts. Im Rahmen seiner Klageschrift hat der Kläger angegeben, derzeit ein Studium zum Wirtschaftsjuristen zu absolvieren.
49Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ein Anspruch auf eine Entschädigung mit Blick auf eine Benachteiligung aufgrund seines Geschlechts zu. Die Geltendmachung des Anspruchs sei insbesondere nicht rechtsmissbräuchlich. Das BAG stelle hohe Anforderungen an das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs, welche vorliegend nicht erfüllt seien: Hierfür reiche weder eine Vielzahl von erfolglosen Bewerbungen, noch die Betreibung einer Vielzahl von Entschädigungsprozessen aus. Dies gelte grundsätzlich auch dann, wenn sich eine Person häufig auf Stellenausschreibungen bewerbe, die Anforderungen enthielten, die mittelbar oder unmittelbar auf die Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals schließen ließen. Dabei sei nämlich insbesondere zu berücksichtigen, dass derjenige, der eine Vielzahl von Prozessen führe, auch einem erheblichen Kostenrisiko ausgesetzt sei. Vor diesem Hintergrund bedürfe es zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens der Person, anhand welchem sich feststellen ließe, dass das Vorgehen auf der Erwägung beruhe, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise würde letztlich ein auskömmlicher „Gewinn“ verbleiben. Ein eben solches Vorgehen seinerseits ließe sich auf Basis des Vortrags der hiesigen Beklagten nicht feststellen. So sei er schon aufgrund der Vorgaben des Sozialgesetzbuchs I verpflichtet, Bewerbungen zu schreiben, um nicht länger von Sozialleistungen abhängig zu sein.
50Auch sei sein Wohnort kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch. Es sei nicht unüblich, dass Bewerber aufgrund eines neuen Beschäftigungsverhältnisses ihren Wohnort ändern würden. Nichts Anderes ergebe sich aus dem Verfahren vor dem LAG Schleswig-Holstein. Damals habe er – so hat er behauptet – noch Interesse gehabt, nach E zu ziehen, mittlerweile habe er aber Interesse nach H zu ziehen, zumal er regelmäßig zwischen Niedersachen und Nordrhein-Westfalen pendele.
51Eine Rechtsmissbräuchlichkeit begründe – seiner Auffassung nach – auch nicht das Bewerbungsschreiben, dass sinngemäß keine entsprechenden Merkmale enthalte. Er habe der Beklagten im Übrigen extra nach der Absage – unstreitig – erhebliche Zeit gelassen, zu reagieren und erst dann unmittelbar seine Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben.
52Eine Rechtsmissbräuchlichkeit könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass er keine Bewerbungsunterlagen beigefügt habe, solche seien – unstreitig – auf der Bewerberplattform Indeed von der Beklagten nicht gefordert worden. Im Übrigen stehe auf Basis der Rechtsprechung des BAG fest, dass der Umstand, wieviel „Mühe“ sich ein Bewerber bei dem Bewerbungsanschreiben und weiteren Unterlagen gebe und wie eindringlich und überzeugend er ein Interesse an der ausgeschriebenen Stelle geltend mache, nicht darauf schließen lasse, dass sich jemand nur bewerbe, um die formale Position des Bewerbers zu erlangen.
53Nach ordnungsgemäßer Ladung ist der Kläger im Gütetermin am 28.03.2023 vor dem Arbeitsgericht Dortmund nicht erschienen. Gegen das am selben Tag ergangene antragsgemäße klageabweisende Versäumnisurteil, welches dem Kläger am 04.04.2023 zugestellt worden ist, hat der Kläger noch mit am selben Tag beim Arbeitsgericht Dortmund eingegangenen Schriftsatz Einspruch eingelegt.
54Der Kläger hat beantragt,
55das Versäumnisurteil vom 28.03.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung nach billigem Ermessen des Gerichts, mindestens jedoch 6.000,00 EUR, zu zahlen.
56Die Beklagte hat beantragt,
57das Versäumnisurteil aufrecht zu erhalten.
58Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Die Bewerbung des Klägers sei einzig darauf gerichtet gewesen, eine Absage zu erhalten und im Nachgang einen Entschädigungsprozess zu führen. Dies folge bereits aus dem eingereichten Bewerbungsschreiben. So erfordere die Bewältigung von Aufgaben in einem Sekretariat, die Beherrschung von Rechtschreibung, Grammatik und Höflichkeitsformen. Der Kläger hingegen habe unstreitig das Possessivpronomen „Ihnen“ klein geschrieben, obwohl dies unter dem Gesichtspunkt der Höflichkeit hätte großgeschrieben werden müssen. Auch der vom Kläger im Bewerbungsanschreiben verwendete wenig ansprechende Satzbau verdeutliche, dass er sich nicht nur keine Mühe gegeben, sondern es auf eine Absage angelegt habe. Ein interessierter Bewerber hätte im Übrigen Bezüge zu den von der Beklagten geforderten Qualifikationsmerkmalen hergestellt. Dies sei vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere die Hervorhebung der Ausbildung des Klägers als Industriekaufmann stehe in keinerlei Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Stelle. Die Beklagte hat ferner behauptet, der Kläger habe keinerlei Interesse an der ausgeschriebenen Stelle gehabt. Dies ergebe sich (auch) aus der Vielzahl der von ihm geführten Verfahren.
59Mit Urteil vom 07.07.2023 hat das Arbeitsgericht Dortmund das klageabweisende Versäumnisurteil vom 28.03.2023 aufrechterhalten, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Dem Entschädigungsverlangen des Klägers stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen. Es liege ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Klägers zur ausschließlichen Erlangung eines Entschädigungsanspruchs vor. Die Beklagte habe insoweit hinreichende Indizien vorgetragen. Für ein solches Vorgehen spreche zunächst, dass der Kläger eine Vielzahl von Verfahren – gerichtet auf Entschädigungszahlungen wegen der Benachteiligung aufgrund seines Geschlechts – geführt habe. So sei der Kläger auch klagende Partei in dem Verfahren vor dem LAG Schleswig-Holstein – als bis zu dem Zeitpunkt des Urteils des Arbeitsgericht Dortmund einzig von der Beklagten eingeführtem Verfahren, welches mit Urteil endete – gewesen. Auch habe die Beklagte die Führung weiterer Entschädigungsprozesse durch den Kläger behauptet. Sie habe damit Indizien vorgetragen, dass der Kläger mehrfach durch Klagen nach § 15 Abs. 2 AGG aufgefallen sei. Diesem Vortrag sei der Kläger nicht hinreichend entgegengetreten. Zwar reiche eine Vielzahl von Prozessen grundsätzlich nicht aus, um von einem Rechtsmissbrauch auszugehen. Anderes gelte aber, wenn sich das fehlende ernsthafte Interesse an der Stelle aus anderen Umständen ableiten ließe. Dies sei vorliegend der Fall. So habe der Kläger sich auf eine Stelle in H beworben, welche ca. 170 Kilometer weit entfernt von seinem Wohnort liege. Zwar habe er angegeben, sich einen Umzug in den Umkreis der Beklagten gut vorstellen zu können. Dies decke sich aber exakt mit dem Vortrag im Fall des LAG Schleswig-Holsteins. Hierzu habe der Kläger sich nur dahingehend eingelassen, dass er vor zwei Jahren noch Interesse gehabt habe, nach E zu ziehen, mittlerweile aber Interesse habe, nach H zu ziehen und dass er regelmäßig zwischen Niedersachen und Nordrhein-Westfalen pendele. Konkrete Gründe für seinen Sinneswandel und das regelmäßige Pendeln habe er nicht vorgetragen. Vor diesem Hintergrund sei sinngemäß davon auszugehen, dass ein entsprechendes Umzugsinteresse etc. nur vorgeschoben sei. Auch habe er nicht vorgetragen, wie er ein etwaiges Pendeln bewerkstelligen wolle. Es sei kaum vorstellbar, dass ein Arbeitnehmer bereit sei, den Zeitaufwand und die Kosten für die Überbrückung einer Entfernung von 170 Kilometern zu einer Stelle, die es bei fast jedem Unternehmen im gesamten Bundesgebiet gebe, aufzuwenden. Ferner spreche gegen ein ernsthaftes Interesse an der Stelle die fehlende Erwähnung seiner Qualifikationen und Berufserfahrung in konkreter Form im Bewerbungsanschreiben. Insoweit mache der Kläger nur pauschale Angaben. Angaben zu den von ihm ausgeübten Tätigkeiten, Unterlagen, wie etwa Zeugnisse oder ein Lebenslauf, fehlten vollständig und seien auch nicht mit dem schriftlichen Bewerbungsanschreiben übermittelt worden. Selbst auf der Internetseite Indeed sei nur pauschal seine Berufserfahrung angegeben. Es fehlten jegliche konkreten Zeitangaben. Die auf der Internetseite Indeed durch den Kläger eingestellten Informationen beschränkten sich auf eine Gesamtjahreszahl, die der Kläger entsprechende Tätigkeiten ausgeübt haben wolle. Ferner sei der Kläger auf den Inhalt der Stellenanforderungen nicht hinreichend eingegangen. So habe die Beklagte etwa gefordert, dass ein Bewerber hohe Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Teamfähigkeit mitbringe, wozu sich der Kläger weder in seinem schriftlichen Anschreiben noch in den Angaben bei Indeed eingelassen habe. Ferner dürfte ein Bewerber, der sich auf die Stelle einer „Sekretärin“ bewerbe, etwaigen Höflichkeitsformen in einem Anschreiben wohl mehr Beachtung schenken. Die Kürze der Sätze sowie der wenig ansprechende Satzbau führten bei einer Gesamtbetrachtung dazu, dass der Kläger wohl auch das Possessivpronomen „Ihnen“ bewusst kleingeschrieben habe, um eine Absage zu provozieren. Im Übrigen hätte ein Bewerber mit ernsthaftem Interesse an der Stelle, wenn er schon neben der elektronischen Bewerbung noch ein schriftliches Bewerbungsschreiben verfasse, diesem Schreiben aussagekräftige Unterlagen beigefügt. Der Kläger habe demgegenüber die Beklagte noch nicht einmal wissen lassen, dass er bereit sei, auf Nachfrage entsprechende, erwünschte Unterlagen zu übersenden. Letztlich habe sich der Kläger auch nicht zu der Behauptung der Beklagten hinreichend eingelassen, nach welcher er kein Interesse am Erhalt der Stelle besessen habe. Soweit er in diesem Zusammenhang angegeben habe, er sei aufgrund sozialrechtlicher Vorgaben verpflichtet gewesen, sich zu bewerben, folge hieraus nichts Anderes. Insoweit werde gem. § 15 SGB II zwischen einer leistungsberechtigten Person und der Agentur für Arbeit ein sogenannter Kooperationsplan aufgestellt, der die Pflicht zu Bewerbungsbemühungen vorsehen könne. Der Kläger habe indes zu einem solchen Kooperationsplan nicht vorgetragen und sich auch im Übrigen zu seinem Stelleninteresse bei der Beklagten nicht eingelassen. Der Vortrag des Klägers erschöpfe sich vielmehr in dem Verweis auf die Rechtsprechung des BAG.
60Gegen das dem Kläger am 21.07.2023 zugestellte Urteil hat dieser mit am 14.08.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, welche er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.10.2023 mit an eben diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags wie folgt begründet:
61Das Arbeitsgericht sei fälschlicherweise zu dem Ergebnis gelangt, dass dem grundsätzlich vorliegenden Entschädigungsanspruch der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehe. Das Arbeitsgericht habe sämtliche Vorgaben des BAG zur Bewertung eines Rechtsmissbrauchs bei Entschädigungsklagen nach dem AGG außer Betracht gelassen.
62Im Ausgangspunkt sei maßgeblicher Zeitraum für diese Bewertung allein das Zeitfenster von der Bewerbung bis zur Absage. Dementsprechend könnten – entgegen der rechtlichen Wertung des Arbeitsgerichts – Umstände aus der Vergangenheit, die vor dem 03.01.2023 lägen, schon bereits keine Berücksichtigung finden.
63Mit Blick auf die vom Arbeitsgericht angeführte Vielzahl von AGG-Klagen habe es verkannt, dass nach der Rechtsprechung des BAG nicht schon dann auf Rechtsmissbrauch geschlossen werden könne, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt habe. Im Übrigen unterlägen die weiteren von der Beklagten in das Verfahren eingeführten Prozesse etc. insgesamt einem datenschutzrechtlichen Verwertungsverbot. Soweit sich die Beklagte nunmehr im Berufungsverfahren – abseits des Verfahrens vor dem LAG Schleswig-Holstein – auf weitere, vom Kläger geführte Prozesse berufe, sei der Vortrag insoweit nach den maßgeblichen Vorschriften des Berufungsrechts präkludiert. Es sei der Beklagten nicht gestattet, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz erstmalig vorzubringen.
64Hinsichtlich des vom Arbeitsgericht monierten Rechtschreibfehler „ihnen“ verkenne es, dass es nach der Rechtsprechung des BAG keinen Erfahrungssatz gebe, nach welchem nur derjenige, der den Anforderungen der geltenden Rechtschreibung und Grammatik genüge, ein ernsthaftes Interesse an der Stelle habe. Die entsprechenden Fehler könnten auch bei gebotener Sorgfalt jedem Bewerber im Rahmen einer Online-Bewerbung unterlaufen. Im Übrigen gebe es – auch nach der Rechtsprechung des BAG – keine „DIN-Norm“, wie sich ein Bewerber zu präsentieren habe.
65Ferner habe die Beklagte nicht, wie vom BAG für die Annahme eines substantiierten Vortrags zum Rechtsmissbrauch gefordert, dargelegt, dass auf der Internet-Platform Indeed zum Zeitpunkt seiner Bewerbung bei der Beklagten noch weitere Stellen ausgeschrieben gewesen seien, deren Inhalt keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Diskriminierung wegen des Geschlechts geboten hätten und auf welche er sich ebenfalls hätte bewerben können, dies aber unterlassen habe.
66Bezüglich eines – seinerseits – avisierten Umzugs nach H dürfte es gerichtsbekannt sein, dass der heutige Arbeitsmarkt auch eine hohe örtliche Flexibilität erfordere. Weshalb er sich gut vorstellen könne, nach H oder zuvor nach Schleswig-Holstein umzuziehen und weshalb er zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen pendeln wolle, sei allein seine Sache. Entscheidend sei die für das einstellende Unternehmen dadurch mitgeteilte Information, dass die Bereitschaft gegeben sei, in die örtliche Nähe der Arbeitsstelle zu ziehen. Im Übrigen habe er – so behauptet er – Interesse an einer Wohnung in I/J in der K straße gehabt.
67Ein Rechtsmissbrauch ließe sich auch nicht aus dem Umstand folgern, dass er sich ohne die Übermittlung von weitergehenden Unterlagen, wie Zeugnissen etc., beworben habe. Dies dokumentiere nicht sein fehlendes Interesse an der Stelle. Vielmehr sei es bei Online-Bewerbungen üblich, zunächst nur kurze gewünschte Grundinformationen zu übermitteln. Das Arbeitsgericht habe diesen Umstand einseitig zu seinen Lasten berücksichtigt.
68Im Übrigen habe er sich – so behauptet er – auch auf diverse andere Stellen im Ruhrgebiet beworben. Auf das diesbezüglich seitens des Klägers überreichte Schreiben an die Agentur für Arbeit M vom 09.12.2022, welches 17 potentielle Arbeitgeber beinhaltet, bei welchen der Kläger sich beworben haben will, wird an dieser Stelle Bezug genommen (Bl. 62 - 63 d.A. des LAG). Diese Bewerbungen im November und Dezember 2022 seien auf öffentliche Stellenanzeigen bei eBay Kleinanzeigen, StepStone, Indeed sowie von den Arbeitgebern selbst veröffentlichte Stellenausschreibungen oder auf Empfehlung der Agentur für Arbeit erfolgt. Dabei habe es sich unter anderem um veröffentlichte Stellenausschreibungen als Industriekaufmann (m/w/d), Sekretärin (m/w/d), Bürokaufmann (m/w/d) und Assistenz der Geschäftsführung gehandelt. Auf Nachfrage der Kammer im Kammertermin hat der Kläger ferner angegeben, diese Bewerbungsschreiben seien ähnlich den im hiesigen Verfahren maßgeblichen Bewerbungsschreiben aufgebaut gewesen. Trotz des entsprechenden Hinweises der Kammer hat der Kläger die entsprechenden Bewerbungsschreiben an diese potentiellen Arbeitgeber weder im Vorfeld, noch im Kammertermin vorgelegt.
69Letztlich sei er zwischenzeitlich auch einer Arbeit nachgegangen, was – nach der Rechtsprechung des BAG – ebenfalls widerlege, dass seine Bewerbung von dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs getragen gewesen sei. Im Kammertermin am 05.12.2023 hat der Kläger in diesem Zusammenhang einen Arbeitsvertrag mit der N AG & Co. Werk O vorgelegt, wonach zwischen ihm und dieser ein Arbeitsverhältnis im Zeitraum ab dem 15.03.2021 zustande gekommen sein soll. Insoweit hat er im Kammertermin am 05.12.2023 behauptet, dass dieses Arbeitsverhältnis Mitte des Jahres 2022 geendet haben soll. Den entsprechenden Arbeitsvertrag hat er am 07.12.2023 schriftsätzlich zu den Akten gereicht. Dieser Arbeitsvertrag trägt keine Unterschrift des Klägers.
70Der Kläger beantragt,
71das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 07.07.2023 - 10 Ca 640/23 - abzuändern sowie unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts Dortmund vom 28.03.2023 - 10 Ca 640/23 - die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung nach billigem Ermessen des Gerichts, mindestens jedoch 6.000,00 EUR, zu zahlen.
72Die Beklagte beantragt,
73die Berufung zurückzuweisen.
74Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Zutreffend habe das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Durchsetzung des Entschädigungsverlangens der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehe. Dabei sei insbesondere auf die Entscheidungen des LAG Hamm vom 23.03.2023 (18 Sa 888/22) sowie vom 23.08.2023 (9 Sa 538/22) sowie des LAG Berlin-Brandenburg vom 20.01.2023 (3 Sa 898/22) hinzuweisen. Diese seien – unstreitig – gegen den Kläger ergangen. Diese mache sich die Beklagte inhaltlich ebenso wie die zugehörigen erstinstanzlichen Entscheidungen vollumfänglich zu eigen. Insbesondere aus dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg ergebe sich dabei, dass der Kläger in Berlin in 15 Monaten eine Vielzahl weiterer Verfahren nach dem gleichen Schema geführt habe. Dabei sei mit Blick auf die Bewerbung des Klägers im hiesigen Verfahren insbesondere zu berücksichtigen, dass er aus vergangenen Prozessen „gelernt“ habe. Er habe sein Verhalten im hiesigen Bewerbungsverfahren sinngemäß gezielt zur Vermeidung von Merkmalen, die einen Rechtsmissbrauch begründen könnten, angepasst. So frage er nun etwa nicht mehr ausdrücklich in der Bewerbung, ob eine Frau gesucht werde. Soweit der Kläger behaupte, bei der N & Co. KG tätig gewesen zu sein, sei der Vortrag nicht hinreichend substantiiert. Es sei bereits unklar, welche Position er in diesem Unternehmen ausgefüllt habe. Im Übrigen spreche gegen eine solche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, dass der Kläger Bürgergeld bezogen habe bzw. noch beziehe.
75Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien sowie der erteilten rechtlichen Hinweise wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den übrigen Akteninhalt sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
76E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
77I. Die Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. b) ArbGG statthaft, nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG mit am 14.08.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz gegen das dem Kläger am 21.07.2023 zugestellte Urteil innerhalb der Monatsfrist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der bis zum 23.10.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist gemäß §§ 66 Abs. 1 S. 1, 5 ArbGG mit an eben diesem Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ordnungsgemäß begründet worden.
822. Die Berufung ist indes unbegründet.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht das Versäumnisurteil vom 28.03.2023 nach dem zulässigen Einspruch des Klägers (a)), welcher das Verfahren in die Lage zurückversetzt hat, in welcher es sich vor der Säumnis des Klägers befand, aufrechterhalten (b)).
85a) Zutreffend ist das Arbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, dass der Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 28.03.2023 zulässig ist. Die Kammer macht sich insoweit die Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG zu eigen und verweist auf diese.
86b) Das Arbeitsgericht hat ferner das klageabweisende Versäumnisurteil vom 28.03.2023 im Ergebnis zu Recht aufrechterhalten, § 343 S. 1 ZPO.
87Nach dieser Vorschrift ist die Entscheidung aufrecht zu erhalten, wenn die Entscheidung, die aufgrund der neuen Verhandlung zu erlassen ist, mit der in dem Versäumnisurteil enthaltenen Entscheidung übereinstimmt.
88Diese Voraussetzung liegt vor. Die Klage war und ist – nach wie vor – abzuweisen. Sie ist unbegründet.
89Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein durchsetzbarer Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 AGG zu. Dabei kann dahinstehen, ob ein solcher Anspruch dem Grunde und der Höhe nach besteht. Der Geltendmachung des Anspruchs, d.h. der Durchsetzbarkeit, steht jedenfalls der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen.
90aa) Dabei ist nach dem BAG von folgenden rechtlichen Prämissen auszugehen:
91(1) Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21, Rn. 37; LAG Hamm, 23.03.2023 - 18 Sa 888/22, Rn. 25).
92Im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG ist Rechtsmissbrauch anzunehmen, sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (so zuletzt BAG, 14.06.2023 - 8 AZR 136/22, Rn. 48; LAG Hamm, 23.08.2023 - 9 Sa 538/22, Rn. 29). Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Allerdings führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB vor (vgl. BAG, 25.10.2018 - 8 AZR 562/16, Rn. 46; LAG Hessen, 28.04.2023 - 14 Sa 1300/22, Rn. 68).
93(2) Die Feststellung eines Rechtsmissbrauchs verlangt das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingung, welche den nationalen Regelungen zugrunde liegt, das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. EuGH, 28.01.2015 - C 417/13, Starjakob, Rn. 56). Dass Missbrauchsverbot ist allerdings nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils (EuGH, 28.07.2016 - C 423/15, Kratzer, Rn. 40). Die Prüfung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer missbräuchlichen Praxis erfüllt sind, hat gemäß den Beweisregelungen des nationalen Rechts zu erfolgen. Diese Regeln dürfen jedoch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen (EuGH, 17.12.2015 - C 419/14, WebMindLicenses Kft., Rn. 65).
94(3) Im Kontext von Entschädigungsansprüchen eines Bewerbers sind sämtliche Umstände des Falls, insbesondere sämtliche Schreiben des Bewerbers und auch sein Verhalten im Zusammenhang mit seiner Bewerbung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Stellenausschreibung umfassend zu würdigen (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21, Rn. 45). Dabei sind bei der Gesamtschau nur diejenigen Umstände in zeitlicher Hinsicht zu berücksichtigen, die vor der Absage durch die Beklagte lagen (vgl. BAG, 26.01.2017 - 8 AZR 848/13, Rn. 142).
95(4) Ein Rechtsmissbrauch ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen der Person feststellen lässt, dass auf der Erwägung beruht, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein auskömmlicher „Gewinn“ verbleiben, weil der Arbeitgeber – sei es unter dem Druck einer angekündigten Entschädigungsklage oder im Verlaufe eines Entschädigungsprozesses – freiwillig die Forderung erfüllt oder sich vergleichsweise auf eine Entschädigungszahlung einlässt (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 4/15, Rn. 71).
96(5) Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regelungen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21, Rn. 39). Nach allgemeinen Grundsätzen ist die Darlegungslast jedoch auch insoweit abgestuft. Hat die beklagte Partei hinreichende Tatsachen vorgetragen, die einen rechtshindernden Einwand – wie etwa rechtsmissbräuchliches Verhalten – indizieren, so muss sich die klagende Partei hierzu substantiiert, d.h. mit näheren positiven Angaben, äußern; mit bloßem schlichten Bestreiten darf sie sich regelmäßig nicht begnügen. Steht die Darlegungspflicht der Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs, während der Prozessgegner nähere Kenntnisse der maßgeblichen Tatsachen besitzt, weil sie in seinen Wahrnehmungsbereich fallen, so bestehen für den Prozessgegner sekundäre Darlegungspflichten gem. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO (LAG Hamm, 23.03.2023 - 18 Sa 888/22, Rn. 33).
97bb) In Anwendung dieser Grundsätze steht dem Entschädigungsverlangen des Klägers der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen, auf welchen sich die Beklagte auch berufen hat.
98Auf Basis des gesamten Akteninhalts ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger systematisch und zielgerichtet vorgeht, um sich einen auskömmlichen Gewinn durch Entschädigungsansprüche „zu erarbeiten“, ohne dass er ein Interesse an der von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle gehabt hätte. Der vorliegende Sachverhalt bietet hinreichende Indizien, die auf ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers hindeuten und den Schluss auf das Vorliegen des objektiven ((1)) sowie des subjektiven Elements ((2)) einer missbräuchlichen Praxis erlauben. Dabei unterlagen die von der Beklagten eingeführten weiteren Gerichtsverfahren des Klägers weder einem datenschutzrechtlichen Verwertungsverbot ((3)), noch war die Beklagte mit ihrem Vortrag in der Berufungsinstanz präkludiert ((4)).
99(1) Das objektive Element für einen Rechtsmissbrauch durch den Kläger liegt vor.
100Aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände folgt, dass der Kläger zwar formal den Status eines benachteiligten Bewerbers für sich in Anspruch nehmen kann, dass es aber nach dem Zweck des § 15 Abs. 2 AGG nicht gerechtfertigt wäre, ihm eine Entschädigung zuzusprechen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich aus der Entfernung der Stelle vom Wohnort des Klägers ((a)), dem Inhalt sowie der Art und Weise seiner Bewerbung ((b)), der Unvereinbarkeit einer Vollzeitstelle mit einem Vollzeitstudium ((c)), sowie insbesondere und zentral der durch die Prozesshistorie belegten Entwicklung des Bewerbungsverhaltens einschließlich der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen durch den Kläger im Sinne eines Geschäftsmodells in „zweiter Generation“ ((d)).
101(a) Ein erster diesbezüglicher Anhaltspunkt ergibt sich zunächst aus dem Wohnort des Klägers, welcher in 170 Kilometer Entfernung von seiner potentiellen Tätigkeitsstelle bei der Beklagten lag. Dies spricht nach Auffassung der Kammer jedenfalls vorliegend dafür, dass eine Arbeitsaufnahme nicht beabsichtigt war.
102(aa) Dabei geht die Kammer bei Würdigung des gesamten Akteninhalts nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO zunächst davon aus, dass der Kläger nicht bereit war, ins Ruhrgebiet, nach H oder in die Nähe zu ziehen.
103Der Kläger versicherte in seiner Bewerbung „Ich suche derzeit eine neue Wohnung in ihrem Umkreis oder könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen“. Bereits die Formulierung ist in sich widersprüchlich. Der Kläger weiß, ob er nach einer Wohnung „in ihrem Umkreis“ gesucht hat oder nicht. Diesen tatsächlichen Umstand aber nun in ein Alternativverhältnis zu stellen mit der Formulierung „oder könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen“ ergibt vor diesem Hintergrund keinen Sinn. Es zeigt vielmehr, dass der Kläger tatsächlich keine Wohnung gesucht hat, da er selbst gerade als Alternative zur tatsächlichen Wohnungssuche vorgibt, sich einen Umzug vorstellen zu können, wenn er keine Wohnung gesucht hat. Auf Nachfrage der Kammer im Kammertermin, wo genau der Kläger eine Wohnung gesucht habe, teilte er im Übrigen mit, dass dies in I in der K straße der Fall gewesen sein soll. Weitere Orte oder Straßen oder gar Adressen vermochte der Kläger nicht zu benennen und versuchte er auch nicht zu benennen. Auch konkretisierte er keinerlei sonstige Angaben zu etwaigen, ins Auge gefassten Wohnungen. Schriftsätzlicher Vortrag findet sich hierzu im Übrigen überhaupt nicht. Bestärkt wird dies dadurch, dass der Kläger im Laufe des Verfahrens abstrakt behauptet hat, er habe nach H ziehen wollen. Im Kammertermin behauptete er plötzlich, I sei der Ort seiner Wahl gewesen. Die Kammer geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass eine entsprechende Wohnungssuche nicht erfolgt ist, vielmehr handelte es sich bei der vorstehenden Formulierung um eine inhaltsleere und unzutreffende Behauptung. Dies verdeutlichen auch die weiteren von der Beklagten in den hiesigen Prozess eingeführten Gerichtsverfahren. Dort gab der Kläger sowohl gegenüber Unternehmen in Schleswig-Holstein, G, F, E, D, C etc. ebenfalls an, aktuell nach Wohnungen in der Nähe zu suchen. Besonders bezeichnend ist, dass sich der Kläger im August/September 2021 sowohl in G, als auch in F bewarb und jeweils angab, gerade Wohnungen in der Nähe zu suchen. Die Entfernung beträgt von Stadtmitte zu Stadtmitte 505 Kilometer mit dem PKW.
104Es handelt sich damit nach Auffassung der Kammer lediglich um eine leere Floskel.
105(bb) Geht man davon aus, dass Kläger nicht umzugswillig war, hat er auch nicht vorgetragen, wie er das tägliche Pendeln zwischen A bei B und H habe bewerkstelligen wollen.
106Bei völlig freier Fahrtstrecke mit dem PKW erfordert die Reise pro Wegstrecke nach googlemaps ca. zwei Stunden für die ca. 170 Kilometer. Dass der Kläger eine solche tägliche Fahrtzeit von mindestens vier Stunden auf sich genommen hätte, ist schlicht abwegig. Dabei ist gedanklich auch einzubeziehen, dass eine entsprechende Anreise einen Großteil der Vergütung von ca. 3.000,00 EUR brutto aufgezehrt hätte und damit völlig unwirtschaftlich gewesen wäre. Dies gilt umso mehr, als dass sich entsprechende Stellen – wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat – in entsprechender örtlicher Nähe zum Wohnsitz des Klägers befinden dürften. Obgleich der deutlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts zu diesem Punkt hat sich der Kläger in der Berufungsbegründung – wenig überzeugend – allein darauf zurückgezogen, dass es seine Sache sei, wie er seine Tätigkeitsstelle erreiche und ob er pendeln wolle und im Übrigen Rechtsprechung zitiert.
107Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln über drei Stunden pro Wegstrecke in Anspruch nehmen würde. Dies würde allerdings nur bei einer Nutzung eines ICE gelten. Im Übrigen betragen die Anreisezeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens dreieinhalb Stunden.
108(b) Objektive Anzeichen für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers ergeben sich aus dem Inhalt sowie der Art und Weise seiner Bewerbung. Die Bewerbung des Klägers gegenüber der Beklagten um die Stelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ war nach ihrer objektiven Erscheinung darauf angelegt, eine Absage zu provozieren. Ein Interesse an der Stelle dokumentierte sie demgegenüber nicht.
109(aa) Die Bewerbung weist bereits keinerlei Bezug zur Branche oder zum Geschäft der Beklagten auf. Auch geht sie nicht detailliert auf die in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationen sowie das Aufgabengebiet der konkreten Stelle ein. Die Beklagte suchte für die vakante Stelle eine Person, die nach ihrer Qualifikation sehr gute Kenntnisse in MS-Office, ein eigenverantwortliches und selbständiges Arbeiten sowie eine hohe Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Teamfähigkeit vorweisen können sollte. Lediglich auf den Umgang mit MS-Office nimmt der Kläger kurz Bezug. Im Übrigen beschränkt er sich auf die Schilderung von Allgemeinplätzen wie „Berufserfahrung im Büro“ und „typische Bürotätigkeiten“. Ferner besitzen seine Ausführungen dahingehend, dass er sich mit Gesetzen gut auskenne und auch Lieferscheine schreiben könne, keinerlei Bezug zur Stellenausschreibung. Auch der Hinweis auf seine Berufserfahrung in der „Personalabteilung, Vertrieb und im Einkauf“ lässt sich nicht in Einklang mit den Qualifikationsanforderungen der Stellenausschreibung bringen. Woraufhin seitens des Klägers der pauschale und aus Sicht des potentiellen Arbeitgebers nichtssagende Satz folgt, „Ihre Anforderung in der Stellenausschreibung erfülle ich allesamt“. Eine derartige Bewerbung lässt auf ihre fehlende Ernsthaftigkeit schließen.
110Dabei verkennt die Kammer nicht, dass kein Erfahrungssatz des Inhalts existiert, dass jemand, der sich wenig Mühe mit seinem Bewerbungsschreiben gibt, sich nur bewirbt, um die formale Position eines Bewerbers zu erlangen, mit dem ausschließlichen Ziel Entschädigungsansprüche geltend zu machen (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21, Rn. 47). Es stellt aber nach der Rechtsprechung des BAG gleichwohl ein Indiz dafür dar, dass es dem Bewerber nicht darum ging, die Stelle tatsächlich zu erhalten, wenn er sich mit den in der Stellenbeschreibung genannten Kriterien inhaltlich nicht auseinandersetzt (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21, Rn. 50; LAG Hessen, 28.04.2023 - 14 Sa 1300/22, Rn. 95).
111(bb) Mit Blick auf seinen Lebenslauf gab der Kläger lediglich an, sieben Jahre im Büro tätig gewesen zu sein und über sieben Jahre Erfahrung im Bereich MS-Office zu verfügen. Er benannte weder vorherige Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern, noch stellte er chronologisch seinen bisherigen Ausbildungsweg bzw. seine Erwerbsbiografie dar.
112Aussagekräftige Unterlagen, wie etwa Zeugnisse etc., übersandte er zu keinem Zeitpunkt. Insbesondere auch nicht mit seiner schriftlichen Bewerbung. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte – selbst bei einem unterstellten potentiellen Interesse an einem männlichen Bewerber – völlig außer Stande, die Qualifikation bzw. die Geeignetheit des Klägers für die Besetzung der Stelle zu beurteilen. Ein Bewerber, der ernsthaft an der Stelle interessiert gewesen wäre, wie der Kläger Abitur besitzt und – wie die Schriftsätze des Klägers zeigen – auch im Übrigen äußerst eloquent ist, hätte sich ansprechender präsentiert. Er hätte sich im Übrigen, wenn er schon neben der elektronischen Bewerbung noch ein schriftliches Bewerbungsschreiben verfasst, auch der Mühe unterzogen, jedenfalls dem schriftlichen Bewerbungsschreiben aussagekräftige Unterlagen beizufügen (vgl. hierzu auch LAG Hamm, 23.03.2023 - 18 Sa 888/22, Rn. 39). Der Kläger ließ die Beklagte demgegenüber nicht einmal wissen, dass er bereit ist, entsprechende Unterlagen auf Nachfrage zu übersenden. Die Bewerbung war daher offensichtlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
113Gleichzeitig enthielt das Bewerbungsschreiben einen Hinweis darauf, dass sich der Kläger mit „Gesetzen gut aus“ (-kennt). Dies war erkennbar nicht Voraussetzung für die Tätigkeit bei der Beklagten (vgl. zu einem solchen Vorgehen als Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit: LAG Hamm, 23.08.2023 - 9 Sa 538/22, Rn. 46). Auch im Übrigen ergibt sich keinerlei Bezug zum Inhalt der Tätigkeit, so dass sich ein potentieller Arbeitgeber fragen und zwangsläufig misstrauisch werden muss, welchen Zweck ein Bewerber mit diesem Hinweis verfolgt. Dies gefährdete zusätzlich den Erfolg der Bewerbung.
114(cc) Im Übrigen sah die Stellenbeschreibung ein voraussichtliches Einstiegsdatum zum 03.10.2022 vor. Vor diesem Hintergrund zeigte sich, dass die Beklagte dringend und möglichst zeitnah eine entsprechende Kraft suchte. Die Hinweise darauf, dass der Kläger nicht über eine Wohnung im Umkreis des Geschäftssitzes der Beklagten verfügte unter gleichzeitiger Angabe seiner Adresse, welche sich ca. 170 Kilometer entfernt von dem Betrieb der Beklagten befand, musste bei der Beklagten berechtigte Zweifel auslösen, ob dem Kläger ein zeitnaher Stellenantritt überhaupt möglich sein würde.
115(dd) Entgegen der Auffassung des Klägers ist weiterhin auch die Kleinschreibung von „ihre“ und „ihrem“ in der Bewerbung ein objektiver Anhaltspunkt für das fehlende Interesse an der konkreten Stelle. Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist es wesentliche Voraussetzung für einen geeigneten Stellenbewerber auf die Stelle als „Sekretärin“, dass dieser die Gepflogenheiten der geschäftlichen Korrespondenz beherrscht. Die genutzte Kleinschreibung in diesem Zusammenhang erweist sich damit als erste negative Visitenkarte des Bewerbers. Sie würde jeden potentiellen Arbeitgeber dazu veranlassen, direkt an der Geeignetheit des Bewerbers zu zweifeln. Entsprechendes gilt für den wenig ansprechenden Satzbau („Lieferscheine kann ich auch schreiben und Rechnungen“).
116All diese Umstände in der Bewerbung lassen den objektiven Schluss zu, dass es dem Kläger nicht darum ging, die Beklagten davon zu überzeugen, dass es sich bei ihm um den bestgeeigneten Bewerber handelt, sondern der Beklagten schon bei Sichtung der Bewerbungsunterlagen durchgreifende Gründe für eine Ablehnung seiner Bewerbung zu geben (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21, Rn. 52). Der präsentierte die Ablehnung seiner Bewerbung durch die Art und Weise seiner Bewerbung damit sinnbildlich aus dem „Silbertablett“ (so treffend: vgl. LAG Hamm, 23.08.2023 – 9 Sa 538/22, Rn. 39).
117(c) Ebenfalls gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung spricht aus Sicht der Kammer, dass es sich um eine Vollzeitstelle handelte. Der Kläger absolvierte nach seinem eigenen Vortrag in der Klageschrift unstreitig ein Fernstudium im Wirtschaftsrecht. Die Kammer geht vor diesem Hintergrund nicht davon aus, dass der Kläger sein Studium zu Gunsten einer Vollzeitstelle bei der Beklagten hätte aufgeben wollen. Damit liegt ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch vor. Wie der Kläger gleichwohl die parallele Durchführung von Vollzeitstudium und Vollzeitstelle als „Bürokauffrau/Sekretärin“ habe bewerkstelligen wollen im Sinne einer sekundären Darlegungslast, hat der Kläger nicht vorgetragen, was objektiv erneut die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung dokumentiert (LAG Hessen, 28.04.2023 - 14 Sa 1300/22, Rn. 96).
118(d) Ein weiterer und entscheidender objektiver Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch liegt nach Auffassung der Kammer in der Vielzahl der gezielten Bewerbungen auf Stellen für eine „Sekretärin“ nebst im Nachgang geführten Entschädigungsprozessen und der daraus folgenden Entwicklung eines Geschäftsmodells in „zweiter Generation“.
119(aa) Dabei sind folgende Grundsätze des BAG bezüglich dieses objektiven Anhaltspunktes zu berücksichtigen:
120(aaa) Auf einen Rechtsmissbrauch kann grundsätzlich nicht bereits geschlossen werden, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt (BAG, 18.06.2015 - 8 AZR 848/13 (A), Rn. 24, BAG, 24.01.2013 - 8 AZR 429/11, Rn. 63; BAG, 13.10.2011 - 8 AZR 608/10, Rn. 56). Ein solches Verhalten lässt sich – für sich betrachtet – ebenso damit erklären, dass ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt der jeweiligen Stelle bestand und dass der Bewerber, weil er sich entgegen den Vorgaben des AGG bei der Auswahl- und Besetzungsentscheidung diskriminiert sieht, mit der Entschädigungsklage zulässigerweise seine Rechte nach dem AGG wahrnimmt (LAG Hessen, 28.04.2023 - 14 Sa 1300/22, Rn. 76).
121(bbb) Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Person sich häufig auf solche Stellenausschreibungen beworben hat, die Formulierungen, insb. Anforderungen enthalten, die mittelbar oder unmittelbar an einen der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpfen und deshalb „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, der Arbeitgeber habe die Stelle entgegen § 11 AGG, wonach ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden darf, ausgeschrieben. Dies folgt bereits daraus, dass der Bewerber auch in einem solchen Fall mit einer Entschädigungsklage grundsätzlich ein nicht unerhebliches Risiko eingeht, den Prozess zu verlieren und damit nicht nur keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu erlangen, sondern auch mit den Kosten des Rechtsstreits belastet zu werden (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 4/15, Rn. 60). So kann die unmittelbare Benachteiligung des Bewerbers nach § 8 AGG, nach § 9 AGG oder nach § 10 AGG zulässig sein und dem Arbeitgeber ist es unbenommen, Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 4/15, Rn. 65, 66).
122(ccc) Wegen dieses (Kosten-)Risikos und unter Berücksichtigung des Umstands, dass selbst dann, wenn die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aufgrund anderer erfolgloser Bewerbungen rechtsmissbräuchlich (gewesen) sein sollte, dies nicht ohne Weiteres auch für die jeweils streitgegenständliche gelten muss, sind an die Annahme des durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwands insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Es reicht daher nicht aus, dass die Entschädigungsverlangen des Klägers in den anderen von der Beklagten angeführten Verfahren dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt gewesen sind. Es müssen vielmehr Umstände vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, auch die Bewerbung des Klägers auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle und die sich an die Ablehnung anschließende Entschädigungsklage seien Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens des Klägers im Rahmen eines „Geschäftsmodells“ (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 4/15, Rn. 60).
123(bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die vorliegende Bewerbung nebst zu beurteilendem Entschädigungsverlangen als Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens des Klägers im Rahmen eines Geschäftsmodells, welches sich nunmehr in der „zweiten Generation“ befindet.
124Bei diesem Geschäftsmodell bewirbt sich der Kläger laufend und deutschlandweit auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“. Nach einer durch die Art und Weise seiner Bewerbung provozierten Absage, versucht er Entschädigungsansprüche (gerichtlich) durchzusetzen, um im Ergebnis mit dem Bezug von Bürgergeld und dem „Verdienst“ aus seinen Bewerbungsprozessen im weiteren Sinn – in doppelter Hinsicht auf Kosten anderer – seinen Lebensunterhalt zu bestreiten ((aaa)). Dabei ist sein Vorgehen indes nicht völlig statisch. Vielmehr passt er gezielt seine Bewerbungen und sein Verhalten auf Basis von in Prozessen gewonnenen Erkenntnissen an: So minimiert er „empirisch“ ermittelte Rechtsmissbrauchsmerkmale, behält aber gleichzeitig eine Bewerbung nach Form und Inhalt bei, die nicht zum Erfolg führen soll und kann. Ergebnis ist ein „Geschäftsmodell“, dass sich mittlerweile in der zweiten Generation befindet ((bbb)).
125(aaa) Unstreitig hat der Kläger sich mit weitestgehend wortgleichen Schreiben bzw. E-Mails (d.h. der ersten Generation; abseits des Bewerbungstextes im hiesigen Verfahren = zweite Generation) auf eine Vielzahl von Stellen („Sekretärin“) beworben und im Anschluss Entschädigungsprozesse geführt. Dabei hat die Kammer nur diejenigen Verfahren in demjenigen Stand – entsprechend der Rechtsprechung des BAG – berücksichtigt, die sich bis zur Bewerbung des Klägers am 03.01.2023 bzw. deren konkludenter Ablehnung zugetragen haben.
126So hat der Kläger zuletzt – nach Hinweis durch die Kammer im Kammertermin – den Vortrag der Beklagten nicht bestritten, dass er in G in 15 Monaten 11 Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin geführt hat, bei denen er sich stets zuvor auf nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen für eine „Sekretärin“ nach dem stets gleichen Schema (Standardbewerbungsschreiben für Stellenanzeigen bei eBay Kleinanzeigen) beworben hat. Hinzu kommen die gleichgelagerten Verfahren vor dem ArbG Berlin (42 Ca 10434/21) und dem LAG Schleswig-Holstein (2 Sa 21/22, zuvor ArbG Elmshorn) sowie – neben dem hiesigen Verfahren – zwei weitere Verfahren vor dem ArbG Gelsenkirchen und ArbG Hagen (2 Ca. 1421/21). Der hiesige Kläger war ferner auch Kläger vor dem Arbeitsgericht Dortmund (3 Ca 3087/22) in einem gleichgelagerten Fall, in welchem er ebenfalls auf Entschädigung nach Bewerbung auf eine „Sekretärinnen-Stelle“ klagte. Soweit die Beklagte im Übrigen vollinhaltlich auf das Urteil des LAG Hamm (18 Sa 888/22) Bezug genommen hat, ergibt sich daraus, dass die damalige Beklagte im Verfahren vor dem LAG Schleswig-Holstein vortrug, dass der Arbeitsrichter im Verfahren der ersten Instanz (ArbG Elmshorn) darauf hingewiesen haben, dass 10 bis 12 weitere AGG-Verfahren des Klägers dort gerichtbekannt gewesen seien. Mit jedenfalls wörtlich gleichem Erstanschreiben der ersten Generation bewarb sich der Kläger zudem auf ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ bei Unternehmen in C, D, E, F und G. Die Beklagte hat ferner vorgetragen, dass der Kläger eine Vielzahl von weiteren Prozessen gleicher Art führe.
127Der Kläger ist diesem Vortrag, soweit er nicht bereits unstreitig war, nicht entgegengetreten. Er hat vielmehr im Kammertermin geäußert, dass er ja wissen, dass er die Prozesse nicht bestreiten dürfe. Der Vortrag gilt damit insgesamt als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO
128(bbb) Vor dem Hintergrund dieser gleichförmigen Klagemasse treten nun Umstände im Sinne der Rechtsprechung des BAG hinzu, die den Schluss rechtfertigen, dass (auch) die Bewerbung des Klägers auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle und die sich an die (stillschweigende) Ablehnung anschließende Entschädigungsklage Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens des Klägers im Rahmen des dargestellten „Geschäftsmodells“ in zweiter Generations sind.
129Der Kläger, welcher sich systematisch bundesweit auf unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“ bewirbt, keine dieser Stellen – soweit ersichtlich – je angetreten und eine Vielzahl von Entschädigungsansprüchen aufgrund von Benachteiligungen nach dem AGG prozessual geltend gemacht hat, passt sein Bewerbungsverhalten nämlich anhand der in den geführten AGG-Prozessen gewonnenen Erkenntnissen systematisch für zukünftige Bewerbungen und Entschädigungsprozesse an.
130Bezeichnender Weise erfolgt eine Optimierung nicht – wie es von einem Stellenbewerber mit realem Interesse an der Stelle zu erwarten wäre – im Hinblick auf die Überzeugungskraft seiner Bewerbung bzw. der entsprechenden Unterlagen. Diese belässt er – nach Ansicht der Kammer bewusst – auf aussichtlosem Niveau. Umso akribischer bereinigt der Kläger auf Basis gewonnener Prozesserfahrungen seine zukünftigen Bewerbungen und sein Bewerbungsverhalten um sämtliche Aspekte, die der erfolgreichen Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder in sonstiger Weise entgegenstehen. Dies ergibt sich aus der prozessübergreifenden Prozesshistorie und rechtfertigt die Annahme eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens.
131(α) So wies das ArbG Elmshorn mit Urteil vom 16.12.2021 - 4 Ca 592 a/21 eine Entschädigungsklage des Klägers ab. Der Kläger hatte damals das beklagte Unternehmen ausschließlich per Chat-Funktion der Plattform eBay Kleinanzeigen kontaktiert. Da ArbG Elmshorn ging davon aus, dass der Kläger formell nicht Bewerber sei. Der damaligen Beklagten seien keine Wohnanschrift, E-Mailadresse und weitere regelmäßige Informationen wie Alter, Familienstand, berufliche Erfahrungen und ähnliches bekannt. Unterlagen, Nachweise und eine konkrete Bewerbung seien nicht übermittelt worden.
132Dies nahm der Kläger – wie das hiesige Verfahren zeigt – zwischenzeitlich zum Anlass, sich zusätzlich postalisch unter Nennung seiner Adresse zu bewerben. Demgegenüber sah er von der Ergänzung sämtlicher monierter fehlender Informationen zunächst insoweit ab, als diese ebenfalls seinen zukünftigen Bewerbungen zum Erfolg hinsichtlich der Stelle selbst hätten verhelfen können (Nennung von Alter und Familienstand, Nachweise über Ausbildungen etc.). Ein Bewerber mit Interesse an der Stelle hätte demgegenüber auf die ausdrückliche Rüge durch ein Arbeitsgericht zukünftig aussagekräftige Unterlagen beigefügt, um seine Bewerbungschancen zu steigern.
133(β) Das Arbeitsgericht Berlin verweigerte dem Kläger sodann mit Urteil vom 23.06.2022 (42 Ca 10434/21) einen Entschädigungsanspruch unter Hinweis auf die Rechtsmissbräuchlichkeit seines Begehens. Ein systematisches Vorgehen ergebe sich u.a. daraus, dass der Kläger sich nahezu ausschließlich auf solche Ausschreibungen auf der Internet-Plattform eBay Kleinanzeigen beworben habe. Dabei zeige bereits die Bewerbung, was das eigentliche Ansinnen des Klägers sei. So habe er insbesondere in seiner E-Mail vom 29.08.2021 ausdrücklich gefragt, ob ausschließlich eine Frau gesucht werde und gleichzeitig festgestellt, dass das Unternehmen dies so angegeben habe. Dies sei unnötig gewesen und habe lediglich darauf hinweisen sollen, dass es sich bei dem Kläger gerade um einen Mann handele. Entsprechend habe er die E-Mail auch mit „Herr …“ unterzeichnet. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass Fragen zu Stellenanzeigen im Rahmen eines Anschreibens äußerst unüblich seien.
134Ein solches Bewerbungsschreiben des Klägers der ersten Generation lag auch dem Urteil des Arbeitsgerichts Hagen (06.04.2022 - 2 Ca 1421/21) zugrunde, welches im Ergebnis ebenfalls einen Rechtsmissbrauch bejahte. Es monierte ebenfalls die vorstehende Fragestellung nach einer Frau. Ferner ergebe sich in subjektiver Hinsicht der Rechtsmissbrauch daraus, dass der Kläger im Rahmen seiner äußerst kurz gehaltenen Bewerbung im Übrigen lediglich pauschal und floskelhaft von seiner Erfahrung im Büro und seiner abgeschlossenen Ausbildung als Industriekaufmann spreche, ohne dies näher – zum Beispiel durch Vorlage eines Lebenslaufs – zu konkretisieren.
135Diese beiden Verfahren nahm der Kläger erneut zum Anlass, ausschließlich Merkmale, die eine Rechtsmissbräuchlichkeit seiner Entschädigungsverlangen begründen könnten, systematisch zu eliminieren.
136Im Eingangssatz entfernte er seinen unmittelbaren Hinweis, mit welchem er zuvor die Geschlechterdiskriminierung hervorgehoben hatte. Aus „ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen“ wurde in zweiter Generation: „mit Freude und großem Interesse habe ich ihre Stellenausschreibung auf Indeed gelesen.“ Ferner ging er dazu über, wie das vorliegende Verfahren zeigt, sich auch auf anderen Plattformen, d.h. abseits von eBay Kleinanzeigen, zu bewerben (vorliegend am 03.01.2023 auf der Plattform Indeed). Seinen weiteren Standard-Passus in der Bewerbung „Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben.“ strich er zur Vermeidung eines Rechtmissbrauchs. Auch findet sich im hiesigen Bewerbungsschreiben keine – vom Arbeitsgericht Berlin zur Begründung des Rechtsmissbräuchlichkeit angeführte – Frage mehr. Ebenso unterzeichnete er seine Bewerbung nicht mehr mit „Herr …“, sondern mit seinem vollen Namen
137Auf den Vorhalt des Arbeitsgerichts Hagen, der Passus in der Bewerbung „Ich habe Berufserfahrung im Büro …“ sei zu pauschal, was u.a. auf einen Rechtsmissbrauch hindeute, ergänzte der Kläger nunmehr in zweiter Bewerbungsgeneration den Passus: „Ich habe Berufserfahrung in der Personalabteilung, Vertrieb und im Einkauf.“, ohne dass diese andererseits vorliegend einen konkreten Bezug zur Stellen aufweisen würden, mithin dem Bewerbungserfolg selbst zuträglich sein könnten.
138Einen Angaben zum Lebenslauf machte er in zweiter Generation auf Indeed, um sich erneut insoweit des Einwands des Rechtsmissbrauchs zu erwehren. Um allerdings damit nicht gleichzeitig seine Erfolgschancen hinsichtlich der Bewerbung nicht zu steigern, war dieser Lebenslauf unstreitig nichtssagend. Er enthielt – für die Praxis völlig untypisch und unbrauchbar – lediglich allein die Angabe, dass der Kläger sieben Jahre Erfahrung als Sekretär und mit MS-Office habe, ohne aber zu konkretisieren, in welchen Zeiträumen der Kläger bei welchem Arbeitgeber tätig gewesen sein oder wann er Ausbildungsschritte durchlaufen haben will. Der Lebenslauf war damit dem Bewerbungserfolg erneut eher abträglich, als für diesen förderlich. Indes hätte jeder Bewerber mit realem Stelleninteresse, der sich fast zwei Jahre erfolglos massenhaft auf Stellen als „Sekretärin“ bewirbt, spätestens nach ausdrücklichen Hinweisen durch Gerichte (so schon das ArbG Elmshorn im Jahr 2021), einen den Gepflogenheiten entsprechenden Lebenslauf seinen Unterlagen beigefügt. Dies gilt umso mehr, als das der Kläger Abitur hat und – wie seine strukturierten Schriftsätze zeigen – offensichtlich in der Lage wäre, einen entsprechenden Lebenslauf abzufassen.
139Die Qualität seiner Bewerbung, mit Blick auf einen möglichen Erhalt einer Stelle, passte der Kläger in seiner Bewerbung in zweiter Generation – trotz ausdrücklicher diesbezüglicher Hinweise der ArbG Berlin und Hagen – auch im Übrigen nicht an. Ausdrücklich als fehlend monierte Ausbildungs- und Schulzeugnisse fügte er nicht bei, da diese die Erfolgsaussichten seiner Bewerbung erheblich gesteigert hätten, er für sein Geschäftsmodell indes eine Ablehnung seiner Bewerbung benötige.
140(γ) Die Beklagte hat ferner zur Begründung des Rechtsmissbrauchs auf Seite 10 ihrer Berufungserwiderung auf das Urteil des LAG Hamm (18 Sa 888/22) Bezug genommen, welches sich die Beklagte vollständig inhaltlich zu eigen gemacht hat. Der zitierte Passus verweist seinerseits u.a. auf das Urteil des ArbG Berlin vom 23.06.2022 (42 Ca 716/22), welches damit ebenfalls inhaltlich in Bezug genommen ist. Wie sich dem Urteil entnehmen lässt, hatte das Entschädigungsbegehren des Klägers nach der Bewerbung auf eine Stelle als „Sekretärin“ aus Gründen des Rechtsmissbrauchs keinen Erfolg. Dies begründete das Arbeitsgericht Berlin u.a. damit, dass das Vorgehen des Klägers auf der Annahme beruhe, dass ein auskömmlicher Gewinn verbleibe, weil die Beklagte bereits im Vorfeld „klein bei“ gebe. Dies ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass der Kläger der Beklagten im Vorfeld des Prozesses ein Geltendmachungsanschreiben mit einem Vergleichsangebot habe zukommen lassen. In diesem habe er erheblichen Druck erzeugt. So habe er u.a. eine Zahlung von 3.000,00 EUR an ihn angeboten, unter Hinweis darauf, dass er 5.400,00 EUR einklagen werde. Er habe u.a. auch behauptet, die Streitwerte im arbeitsgerichtlichen Verfahren seien sehr hoch und es würde erhebliche Rechtsanwaltskosten im Falle eines Prozesses anfallen. Die Aufforderung, den Betrag vollständig an ihn auszuzahlen unter Hinweis auf die steuerrechtliche Bewertung der Entschädigungszahlung, lasse aus Sicht der Kammer ebenfalls eine intensive Auseinandersetzung des Klägers mit dem zu erwartenden wirtschaftlichen Gewinn erkennen. Im hiesigen (Bewerbungs-)Verfahren hat der Kläger nach Auffassung der Kammer – im Sinne eines Lerneffekts – auf ein entsprechendes Geltendmachungsschreiben verzichtet, um ein weiteres Merkmal für einen Rechtsmissbrauch zu nivellieren. Hierfür spricht, dass der Kläger diesen Umstand (fehlende außergerichtliche Geltendmachung) im laufenden Prozess ausdrücklich, mehrfach und eigeninitiativ betonte, ohne dass die Beklagte diesen Aspekt zuvor oder im Anschluss überhaupt thematisiert hätte.
141(ccc) Auf Basis der vorstehenden Umstände sind bereits die „hohen Anforderungen“ nach der Rechtsprechung des BAG in objektiver Hinsicht erfüllt. Der Vollständigkeit halber sei aber darauf hingewiesen, dass vorliegend sogar niedrigere objektive Anforderungen an einen Rechtsmissbrauch gelten dürften.
142Die hohen Anforderungen begründet das BAG mit dem Prozesskostenrisiko, welches ein Kläger bei der klageweisen Verfolgung von Entschädigungsansprüchen nach dem AGG eingehe. Aus eben diesem soll folgen, dass nicht bereits grundsätzlich aus der Vielzahl von Entschädigungsprozessen nach erfolglosen Bewerbungen auf offensichtlich diskriminierend ausgeschriebene Stellen auf einen Rechtsmissbrauch geschlossen werden könne. Diese Erwägung des Prozesskostenrisikos greift vorliegend nur eingeschränkt.
143Das Kostenrisiko des Klägers ist aufgrund seiner Vorgehensweise beschränkt. Seine Kosten im weiteren Sinne minimiert er mit Blick auf die Anreisekosten in erster Instanz dadurch, dass er sich im Gütetermin nunmehr regelmäßig versäumen lässt. Die Gerichtskosten als Folge der Säumnis im Gütetermin sind insoweit der Höhe nach regelmäßig zu vernachlässigen. Weiterhin beauftragt er in erster Instanz keinen Anwalt. Zusätzlich bezieht er Bürgergeld, sodass stets gute Chancen bestehen, dass in erster und zweiter Instanz seine Kostenrisiken durch entsprechende Anträge auf Prozesskostenhilfe weiter gemindert werden. Auch in der Sache reduziert der Kläger durch sein Vorgehen sein Kostenrisiko erheblich. Zunächst bewirbt er sich gezielt auf Stellen, die offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschrieben sind. Die vom BAG für ein Kostenrisiko angeführte denkbare Rechtsfertigung der (Geschlechter-)Benachteiligung stellt sich bei seiner „Stellenauswahl“ faktisch nicht. Die Rechtfertigung einer Anknüpfung an das Merkmal der Geschlechtszugehörigkeit kann nicht nach §§ 9, 10 AGG, sondern nur nach § 8 AGG gegeben sein. Praktisch ist eine Rechtfertigung i.S.v. § 8 AGG nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen denkbar, wenn eine Bürokraft gesucht wird. Die Möglichkeit einer solchen Rechtfertigung – etwa bei einem Frauenhaus oder einer Beratungsstelle für Frauen und Mädchen – lässt sich durch die Auswahl des Unternehmens ausschließen, etwa durch die Bewerbung bei einem Gebrauchtwagenhandel, einer Umzugsfirma und einem Institut für Geotechnik.
144(2) Das subjektive Element für einen Rechtsmissbrauch liegt ebenfalls vor.
145Es bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Absicht verfolgte, sich einen ungerechtfertigten Vorteil dadurch zu verschaffen, dass er die Voraussetzungen für einen (formalen) Status eines Bewerbers im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG willkürlich herbeiführte.
146(a) Dies ergibt sich zunächst bereits aus den vorstehend angeführten objektiven Umständen (Entfernung zur Stelle, Unvereinbarkeit von Vollzeitstelle und Vollzeitstudium, Art und Weise der Bewerbung sowie insbesondere der Weiterentwicklung des Geschäftsmodells in die zweite Generation). Dabei zeigt insbesondere die umfassende Zitierung der Rechtsprechung des BAG zum Rechtsmissbrauch, welche der Kläger seinem Prozessbevollmächtigten etwa im 38-seitigen Schriftsatz vom 24.11.2023 vorgab, dass er vollumfängliche Kenntnis von der Rechtsprechung zu einzelnen Rechtsmissbrauchsmerkmalen besitzt. Dass es sich in weiten Teilen nicht um im Nachgang zur hiesigen Bewerbung erlangte Kenntnisse handelt, verdeutlichen die von der Beklagten in Bezug genommenen Tatbestände der weiteren Urteile, die dem Kläger sämtlich bereits vorher bekannt waren. Bereits in diesen Verfahren hat sich der Kläger erstinstanzlich, d.h. vor der für den hiesigen Rechtsstreit maßgeblichen Bewerbung, im Übrigen zu den (von ihm eliminierten) Rechtsmissbrauchsmerkmalen bzw. den Grundsätzen des BAG zum Rechtsmissbrauch eingelassen. Die Anpassung seines Bewerbungsverhaltens erfolgte damit nicht zufällig, sondern nach Auffassung der Kammer final allein zur Erlangung von Entschädigungszahlungen.
147(b) Einen zusätzlichen subjektiven Umstand sieht die Kammer darin begründet, dass der Kläger bis zuletzt nicht hinreichend vorträgt, welche anderen Motive, außer der Entschädigungszahlung, ihn zur Bewerbung auf die konkrete ausgeschriebene Stelle bewogen haben sollen.
148Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger tatsächlich einen Antritt der ausgeschriebenen Stelle überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Der Kläger hat sich pauschal darauf zurückgezogen, er sei arbeitslos und daher zum Erhalt von Soziallleistungen gesetzlich gehalten, sich auf entsprechende Stellen zu bewerben. Dieses Vorbringen weist nach Auffassung der Kammer keinen hinreichenden Fallbezug auf(vgl. hierzu: LAG Niedersachsen, 10.10.2023 - 10 Sa 57/23, Rn. 31). Es erklärt nicht, weshalb er sich auf die konkrete, von der Beklagten ausgeschriebene Stelle, für welche er überqualifiziert ist, in 170 Kilometer Entfernung beworben hat. Dies gilt umso mehr, als auch in unmittelbarer Nähe zu seinem Wohnort entsprechende Stellen vorhanden gewesen sein dürften. Die unterbliebene konkrete Schilderung der Motivation ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil der Kläger sich in den, seinem Prozessbevollmächtigten vorgegebenen oder teils selbst verfassten Schriftsätzen auf insgesamt ca. 50 Seiten allein im Berufungsverfahren zu den Grundsätzen der Rechtsprechung des BAG zum Rechtsmissbrauch verhält, aber nicht im Ansatz sein konkretes Interesse an der Stelle mit Inhalt füllt. Dieses auffällige Vermeidungsverhalten spricht dafür, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewerbung keine Absichten verfolgte, die über die bloße Verfolgung wirtschaftlicher Vorteile im Wege eines Entschädigungsprozesses hinausgingen. Insoweit verbleibt auch nicht die „gute Möglichkeit“ im Sinne der Rechtsprechung des BAG (14.06.2023 - 8 AZR 136/22, Rn. 51), dass das Verhalten des Klägers durch den möglichen Erhalt der Stelle motiviert sein könnte.
149(c) Nichts Anderes ergibt sich nach Auffassung der Kammer daraus, dass der Kläger behauptet, sich im November und Dezember 2022 auch auf andere geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen beworben zu haben.
150Diese Behauptung kann zugunsten des Klägers unterstellt werden. Hieraus folgte nicht, dass im vorliegenden Fall der Rechtsmissbrauchseinwand zu verneinen wäre. Maßgeblich ist allein, aus welchen Gründen die Bewerbung erfolgt ist, auf deren Grundlage die streitgegenständliche Entschädigung begehrt wird. Daher ist es für den vorliegenden Rechtsstreit auch ohne Bedeutung, ob sich der Kläger in anderen Fällen um Stellen beworben hat, weil er bezogen auf diese Stellen Interesse hatte, tatsächlich einen entsprechenden Arbeitsvertrag abzuschließen (LAG Berlin-Brandenburg, 20.01.2023 - 3 Sa 898/22, Rn. 48). Nach Auffassung der Kammer ist es im Übrigen kein Zufall, dass der Kläger entsprechende Bewerbungsschreiben trotz entsprechenden Hinweises der Kammer nicht vorlegt.
151Ebenso unerheblich ist daher auch, ob der Kläger zwischenzeitlich tatsächlich für einen Arbeitgeber tätig war. Zunächst handelte es sich bei dieser Tätigkeit nicht um eine Tätigkeit als „Sekretärin“. Dies hat der Kläger jedenfalls nicht vorgetragen. Dementsprechend ließe sich daraus auch nicht ableiten, dass der Kläger grundsätzliches Interesse an der Tätigkeit als „Sekretärin“ gehabt hätte. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung BAG vom 14.06.2023 - 8 AZR 136/22 unter Rn. 55. Soweit dort das BAG den Antritt einer Stelle bei einem Mitbewerber als Kriterium gegen einen Rechtsmissbrauch angesehen hat, trat der dortige Kläger diese Stelle gerade im Nachgang zeitnah zu seiner Bewerbung bei der dortigen Beklagten an. Auch wenn die Kammer die dortige Auffassung des BAG nicht teilt, dass ein solcher Sachverhalt ein Interesse an der zuvor ausgeschriebenen Stelle eines Konkurrenten verdeutlicht, liegt der Sachverhalt vorliegend insgesamt anders. Selbst nach dem streitigen Vortrag des Klägers trat dieser zunächst eine Stelle an, verlor diese wieder und bewarb sich im Nachgang bei der hiesigen Beklagten. Ein in der Vergangenheit bestehendes Arbeitsverhältnis indiziert aber – nach Auffassung der Kammer – nicht für die Zukunft ein Interesse an jedweder anderen Stelle in weiter örtlicher Entfernung. Dies liefe auf den Fehlschluss hinaus, dass die einmalige Erwerbtätigkeit in der Vergangenheit, unabhängig von ihrer Art, ihrem Inhalt und ihrem Umfang, den Einwand des Rechtsmissbrauchs widerlegen könnte.
152(3) Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass die in den vorstehenden Entscheidungsgründen berücksichtigten Verfahren/Urteile einem datenschutz- bzw. grundrechtlichen Verwertungsverbot unterliegen. Hierzu gilt, wie die 18. Kammer des LAG Hamm an anderer Stelle bereits zutreffend ausgeführt hat (LAG Hamm, 23.03.2023 - 18 Sa 888/22, Rn. 58 ff.) und die Kammer sich zu eigen macht, Folgendes:
153Zwar ist es anerkannt, dass im Gerichtsverfahren die Verwertung von grundrechtswidrig erlangten Beweismitteln und von Tatsachenvortrag, der auf einem grundrechtswidrigen Eingriff beruht (BAG, 20.10.2016 - 2 AZR 395/15, Rn. 15 ff.) unzulässig sein kann. Im Streitfall hat die Beklagte die vorgetragenen Umstände jedoch nicht durch grundrechtswidrige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Klägers erlangt. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts wird konkretisiert durch den Inhalt der Datenschutzvorschriften (BAG, 23.08.2018 - 2 AZR 133/18, Rn. 15). War eine Maßnahme zur Informationsbeschaffung nach den datenschutzrechtlichen Vorschriften zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. Ein Verwertungsverbot scheidet dann aus. Es kann zugunsten des Klägers angenommen werden, dass sein Bewerbungs- und Prozessverhalten gegenüber anderen Unternehmen unter den Schutz der personenbezogenen Daten gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO fällt. Es kann ferner angenommen werden, dass jedenfalls der Vortrag der Beklagten vor dem erkennenden Gericht eine Datenverarbeitung im Sinne des Art. 4 Nr. 2 DSGVO darstellt und dass die personenbezogenen Daten des Klägers in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen (Art. 2 Abs. 1, 4 Nr. 6 DSGVO). Die Datenverarbeitung ist jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 f DSGVO rechtmäßig. Sie ist zur Wahrung berechtigter Interessen der Beklagten erforderlich. Da die Beklagte im Rechtsstreit die Darlegungslast für das Vorliegen von Indizien trägt, die auf Rechtsmissbrauch hindeuten, ist sie insoweit auf die Beschaffung von Informationen angewiesen. Das Interesse des Klägers muss insoweit zurückstehen. Die Beklagte führte die Ermittlungen nicht mit rechtswidrigen persönlichkeitsrechtsverletzenden Maßnahmen durch – jedenfalls bestehen hierfür keine Anhaltspunkte. Eine Recherche aus allgemein zugänglichen Quellen des Internets, wie etwa juristischen Datenbanken, ist von vornherein nicht zu beanstanden. Aber auch die Nachfrage bei anderen Unternehmen, die der Kläger auf Zahlung einer Entschädigung verklagt hat, begegnete keinen rechtlichen Bedenken. Ob das Ausnutzen von Kenntnissen, die Dritte rechtswidrig erlangt haben, unzulässig wäre, kann offenbleiben (vgl. zu Nachrichten in Messengerdiensten Baade/Hagen, BB 2021, 1588 (1593); Köhler/Schürgers, DB 2018, 1013 (1016)). Auch hierfür bestehen keine Anhaltspunkte.
154(4) Die Berufung auf die weiteren Urteile durch die Beklagte, welche diese sich erst in der Berufungsinstanz zu eigen machte, war auch nicht etwa nach § 67 Abs. 2 S. 1 ArbGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür nach § 56 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ArbGG oder § 61a Abs. 3 oder 4 ArbGG gesetzten Fristen nicht vorgebracht worden sind, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
155Danach war der Vortrag zuzulassen. Der Vortrag der Beklagten war bereits unstreitig. Nachdem die Kammer im Kammertermin darauf hingewiesen hat, dass der Kläger seine Parteistellung in den von der Beklagten ins Feld geführten Verfahren nicht hinreichend bestritten habe, hat er seine Parteistellung teilweise eingeräumt und im Übrigen mitgeteilt, sich hierzu nicht zu äußern. Das damit unstreitige Vorbringen führte vorliegend nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits, sodass eine Zurückweisung ausschied (ErfK/Koch, 24. Aufl. 2024, ArbGG, § 67, Rn. 4).
156II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
157III. Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
158RECHTSMITTELBELEHRUNG
159Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
160REVISION
161eingelegt werden.
162Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.
163Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
164Bundesarbeitsgericht
165Hugo-Preuß-Platz 1
16699084 Erfurt
167Fax: 0361 2636-2000
168eingelegt werden.
169Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
170Für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse besteht ab dem 01.01.2022 gem. §§ 46g Satz 1, 72 Abs. 6 ArbGG grundsätzlich die Pflicht, die Revision ausschließlich als elektronisches Dokument einzureichen. Gleiches gilt für vertretungsberechtigte Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Abs. 4 Nr. 2 ArbGG zur Verfügung steht.
171Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten eingelegt werden. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
1721. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
177Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
178Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden sich auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
179* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.