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1. Der Erlass eines Urteils nach Aktenlage ist unzulässig, wenn der mündlichen Verhandlung, in der die klägerische Partei säumig war, lediglich ein Gütetermin vorausgegangen ist, in dem keine Sachanträge gestellt wurden.
2. In einer unzulässigen Entscheidung nach Lage der Akten liegt kein Verfahrensmangel, der nicht in zweiter Instanz zu beheben wäre, so dass eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht nicht in Betracht kommt (entgegen LAG Hamm, Urteil vom 20.07.2011 – 2 Sa 422/11).
3. Einzelfallentscheidung zum Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung (im vorliegenden Fall verneint).
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil desArbeitsgerichts Köln vom 26.10.2016– 2 Ca 3372/16 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und Weiterbeschäftigung.
3Die am 19.10.1959 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 01.09.2006 als Verkäuferin in Teilzeit (18 Wochenstunden) tätig. Sie erzielte zuletzt ein monatliches Gehalt in Höhe von 1.014,00 EUR brutto. Im Arbeitsvertrag (Blatt 3 bis 7 der Akte) sind die gesetzlichen Kündigungsfristen vereinbart. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.
4Zwischen den Parteien wurden mehrere Vorprozesse geführt. In dem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Köln (3 Ca 2325/12) wandte sich die Klägerin erfolgreich gegen eine Kündigung der Beklagten vom 28.02.2012 und nahm nach Rechtskraft des die Unwirksamkeit der Kündigung feststellenden Urteils am 12.12.2012 ihre Tätigkeit bei der Beklagten wieder auf. Ein weiterer Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Köln (16 Ca 6074/13) hatte eine ordentliche Kündigung vom 11.07.2013 und eine fristlose Kündigung vom 02.09.2013 zum Gegenstand. Das Arbeitsgericht stellte mit Urteil vom 17.12.2013 die Unwirksamkeit beider Kündigungen fest. Das Landesarbeitsgericht Köln (10 Sa 435/14) wies die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit Urteil vom 11.09.2015 zurück. In dem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Köln (2 Ca 9076/15) machte die Klägerin entsprechende Verzugslohnansprüche nebst Zinsen ab September 2013 geltend.
5Mit Schreiben an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 28.10.2015 forderte die Beklagte die Klägerin auf, ihre Tätigkeit in der Filiale K zu im Übrigen unveränderten Vertragsbedingungen ab dem 18.11.2015 wieder aufzunehmen und teilte mit weiterem Schreiben vom 02.11.2015 die konkreten Einsatzzeiten mit. Wegen der Einzelheiten der Schreiben wird auf Blatt 82 bis 84 der Akte Bezug genommen.
6Im Antwortschreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 04.11.2015 heißt es auszugsweise wie folgt:
7„(...) Außerdem nehme ich Bezug auf mein Schreiben vom 16.09.2015, in dem die seit Ausspruch der fristlosen Kündigung im September 2013 fällig gewordenen Verzugslohnansprüche beziffert worden sind. Eine Abrechnung, geschweige denn Zahlung, konnte hier bisher nicht verzeichnet werden (...). Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass meine Mandantin angesichts der Höhe der Verzugslohnforderung ihre Arbeitsleistung erst dann erbringen kann, wenn die Forderung vollständig erfüllt ist.“
8Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 04.11.2015 wird auf Blatt 85 und 86 der Akte Bezug genommen.
9Mit email vom 18.11.2015 (Blatt 210 der Akte) teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter anderem Folgendes mit:
10„(...) Der Vorwurf, meine Mandantin habe ohne Ankündigung die Arbeitsleistung nicht aufgenommen, ist haltlos (...). Ich habe für sie das Zurückbehaltungsrecht erklärt, bis die Zahlung der rückständigen Gehälter erfolgt ist. (...)“
11In dem über die ausstehenden Verzugslöhne geführten Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Köln (2 Ca 9076/15) teilte die Beklagte mit Schriftsatz vom 09.02.2016 (Blatt 87 ff der Akte) die Abrechnung der Löhne von September 2013 bis Februar 2016 für Ende Februar 2016 mit und kündigte deren Zahlung für Ende Februar 2016 an. Dem Schriftsatz, der der Klägerin Ende Februar 2016 zuging, waren entsprechende Kopien der Abrechnungen sowie eine Personaleinsatzplanung für März 2016 beigefügt. Die Beklagte forderte die Klägerin in dem Schriftsatz darüber hinaus auf, am 09.03.2016 in der Filiale K ihre Arbeit aufzunehmen.
12Die Zahlung des abgerechneten Nettobetrages in Höhe von 6.205,49 EUR erfolgte Ende Februar; die in dem Rechtsstreit ebenfalls geltend gemachten Zinsen zahlte die Beklagte zu diesem Zeitpunkt nicht, sondern beglich diesen in Höhe von 934,73 EUR am 12.09.2016. Die tatsächliche Höhe der Zinsforderung ist im Berufungsverfahren unstreitig geworden.
13In einem Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin an den Bevollmächtigten der Beklagten vom 10.03.2016 (Blatt 144 und 145 der Akte) heißt es auszugsweise wie folgt:
14„Eine erste überschlägige Prüfung hat ergeben, dass die Zahlungen nicht vollständig sind. Zunächst ist festzuhalten, dass die geltend gemachten Zinsforderungen nicht berücksichtigt worden sind. (...) Ihre Partei wird zur Nachholung aufgefordert. Darüber hinaus ist die Abrechnung insgesamt nicht nachvollziehbar. (...) Dieser Betrag ist – vermutlich für Lohnsteuer – allein meiner Mandantin abgezogen worden. (...) Auch insoweit wird Ihre Partei aufgefordert, neu abzurechnen (...). Darüber hinaus verweise ich auf die Kostenerstattungsforderung meiner Mandantin im Hinblick auf ihr Obsiegen im Berufungsverfahren LAG Köln 10 Sa 435/14. Insoweit ergibt sich (...) eine Forderung meiner Mandantin in Höhe von € 1.883,06. Diese ist bereits zur Festsetzung und gerichtlichen Titulierung angemeldet worden. (...)“
15Laut Personaleinsatzplanung (Blatt 120 der Akte) war die Klägerin am 09.03. 10.03. 11.03. und 12.03.2016 zu Arbeit eingeteilt. Die Klägerin erschien an den genannten Tagen nicht, was die Beklagte mit Schreiben vom 15.03.2016 (Blatt 121 und 122 der Akte) als unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit abmahnte und die Klägerin aufforderte, ihre Arbeit aufzunehmen.
16Mit Schreiben vom 30.03.2016 (Blatt 123 und 124 der Akte) mahnte die Beklagte die Klägerin, die vom 16.03. bis 20.03.2016 ohne Nachricht nicht zur Arbeit erschienen war, erneut wegen unentschuldigten Fehlens ab und forderte die Klägerin auf, am 05.04.2016 zur Arbeit zu erscheinen. Mit Schreiben, ebenfalls vom 30.03.2016 (Blatt 125 der Akte), leitete die Beklagte der Klägerin die Personaleinsatzplanung für April 2016 zu.
17Mit Schreiben vom 08.04.2016 (Blatt 127 und 128 der Akte) mahnte die Beklagte die Klägerin, die am 05.04., 06.04. und 08.04.2016 ohne Nachricht nicht zur Arbeit erschienen war, ein weiteres Mal wegen unentschuldigten Fehlens an den genannten Tagen ab und forderte die Klägerin „letztmalig“ auf, am 11.04.2016 zur Arbeit zu erscheinen.
18Am 14.04.2016 leitete die Beklagte dem bei ihr gebildeten Betriebsrat ein Anhörungsschreiben zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin zum 31.07.2016 zu, wegen dessen Einzelheiten auf Blatt 130 bis 132 der Akte Bezug genommen wird. Der Betriebsrat äußerte sich nicht.
19Im Schreiben des Bevollmächtigten der Klägerin an den Bevollmächtigten der Beklagten vom 21.04.2016 (Blatt 146 und 147 der Akte) heißt es auszugsweise wie folgt:
20„(...) Abmahnung ist unwirksam. (...) Ihre Mandantin verkennt nach wie vor, dass meine Mandantin völlig zu Recht ihre Arbeitsleistung zurückhält, bis ihre berechtigten Ansprüche erfüllt sind. (...) Es geht nicht nur um ein Steuerproblem, die Abrechnungen sind unzutreffend. (...) Ihre Partei ignoriert konsequent trotz mehrfacher Erläuterung, dass die Verzugslohnansprüche zu verzinsen sind. Und zwar die Bruttobeträge. Nach überschlägiger Berechnung ergibt allein der Zinsanspruch (Stand Ende Februar 2016) eine Gesamtsumme von mindestens 1.520,00 Euro. Das sind 1,5 Bruttogehälter. Allein das würde schon das Zurückbehaltungsrecht rechtfertigen. Schließlich verkennt Ihre Partei offenbar, dass der Kostenerstattungsanspruch für das Berufungsverfahren meiner Mandantin zusteht, nicht mir. (...)
21Vor diesem Hintergrund gehen die Abmahnungen ganz offensichtlich ins Leere. Das Zurückbehaltungsrecht besteht fort.“
22Mit Schreiben vom 22.04.2016 (Blatt 8 der Akte), der Klägerin am 25.04.2016 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.07.2016.
23Mit ihrer am 28.04.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht und Weiterbeschäftigung verlangt.
24Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass sie zur Arbeitsleistung ab dem 09.03.2016 nicht verpflichtet gewesen sei, da ihr wegen der nicht erfolgten Zahlung der Zinsen sowie der Kostenerstattungsforderung aus dem Berufungsverfahren ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden habe. Die Klägerin hat darüber hinaus die fehlende ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates gerügt.
25Im Gütetermin am 03.06.2016 ist die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Nachdem eine gütliche Einigung nicht erzielt werden konnte, hat das Arbeitsgericht Kammertermin auf den 26.10.2016 anberaumt. Im Kammertermin am 26.10.2016 ist für die Klägerin niemand erschienen.
26Die Klägerin hatte folgende Anträge angekündigt,
271. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.04.2016 zum 31.07.2016 aufgelöst wird, sondern darüber hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen als Verkäuferin in ihrem Bekleidungsfachgeschäft in Köln weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
31die Klage abzuweisen und nach Lage der Akten zu entscheiden.
32Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass spätestens mit erfolgter Zahlung der Verzugslohnansprüche Ende Februar 2016 kein Zurückbehaltungsrecht der Klägerin mehr bestanden habe. Die Klägerin habe daher beharrlich und unberechtigt die Arbeitsleistung verweigert. Nach dem Ausspruch der erfolgten Abmahnungen sei die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
33Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26.10.2016 die mündliche Verhandlung geschlossen und Termin zur Verkündung einer Entscheidung am 10.11.2016 anberaumt. Im Verkündungstermin am 10.11.2016 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
34Das Arbeitsgericht hat angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten gegeben seien. Denn im Gütetermin, mit dem im arbeitsgerichtlichen Verfahren die mündliche Verhandlung beginne, sei mündlich im Sinne des § 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO verhandelt worden. In der Sache hat das Arbeitsgericht die Kündigung für wirksam gehalten, weil die Klägerin seit dem 09.03.2016 beharrlich und widerrechtlich die Erbringung ihrer Arbeitsleistung verweigert habe. Ein Zurückbehaltungsrecht habe der Klägerin ab März 2016 weder zugestanden, noch habe sie ein solches überhaupt ausgeübt. Die Zurückhaltung der Arbeitsleistung wegen der nicht geleitsteten Zinsforderung stelle sich als treuwidrig dar. Ebenso wenig begründe ein im Kostenfestsetzungsverfahren angemeldeter Kostenerstattungsanspruch ein Zurückbehaltungsrecht. Das Märzgehalt, auf dessen fehlende Zahlung die Klägerin sich ebenfalls berufen habe, stehe ihr mangels Annahmeverzug der Beklagten ohnehin nicht zu.
35Gegen das ihr am 15.11.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 08.12.2016 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.02.2017 – am 16.02.2017 begründet.
36Die Klägerin ist zunächst der Ansicht, dass eine Entscheidung nach Lage der Akten nicht habe ergehen dürfen, weil Sachanträge nicht gestellt worden seien. Sie regt vor diesem Hintergrund an, den Rechtsstreit in die erste Instanz zurückzuverweisen. In der Sache meint die Klägerin, dass das Arbeitsgericht verkannt habe, dass sie zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung wegen erheblicher Zahlungsforderungen gegenüber der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht an ihrer Arbeitsleistung gehabt habe. Dies habe sie auch durchgängig ausgeübt in ihren Schreiben vom 18.11.2015, 10.03.2016 und 21.04.2016.
37Die Klägerin meint, die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei auch nicht treuwidrig. Die Beklagte habe unstreitig die Zinsen nicht gezahlt, die sich – so behauptet die Klägerin – mindestens auf 1.520,00 EUR und damit auf 1,5 Brutto- bzw. zwei Nettogehälter beliefen. Hinzuzurechnen seien der Kostenerstattungsanspruch aus dem Berufungsverfahren und die Vergütungen für die Monate März und April 2016, die aufgrund des berechtigt ausgeübten Zurückbehaltungsrechts bis zum Ausspruch der Kündigung angefallen seien. Insgesamt seien etwa fünf Bruttogehälter offen gewesen.
38Die Klägerin beantragt,
39unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 26.10.2016 – 2 Ca 3372/16 –
401. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.04.2016 zum 31.07.2016 aufgelöst wird, sondern darüber hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen als Verkäuferin in ihrem Bekleidungsfachgeschäft in Köln weiter zu beschäftigen.
43Die Beklagte beantragt,
44die Berufung zurückzuweisen.
45Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Dabei tritt sie der erstinstanzlichen Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Wertung bei, dass die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts wegen nicht gezahlter Zinsen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße. Unabhängig davon, so meint die Beklagte, rechtfertigten die von der Klägerin geltend gemachten Beträge aber auch der Höhe nach kein Zurückbehaltungsrecht.
46Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, das erstinstanzliche Urteil sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
47E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
48Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
49A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO.
50B. Die Berufung ist unbegründet.
51Zwar leidet das erstinstanzliche Urteil an einem Verfahrensmangel, weil die Voraussetzungen für ein Urteil nach Lage der Akten nach §§ 331a, 251a Abs. 2 ZPO nicht vorlagen (dazu unter I.). Die von der Klägerin angeregte Zurückverweisung hatte dennoch zu unterbleiben und die Kammer hatte in der Sache selbst zu entscheiden (dazu unter II.). Dies führte zur Bestätigung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, denn das Arbeitsgericht hat zutreffend die soziale Rechtfertigung der Kündigung vom 22.04.2016 festgestellt (dazu unter III.)
52I. Die Voraussetzungen einer Entscheidung nach Lage der Akten lagen im erstinstanzlichen Kammertermin am 26.10.2016 nicht vor.
53Nach §§ 331a, 251a Abs. 2 Satz 1 ZPO darf ein Urteil nach Aktenlage nur dann ergehen, wenn in einem früheren Termin bereits mündlich verhandelt worden ist. In der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte wird es nicht einheitlich beurteilt, ob die Erörterung der Parteien im Gütetermin als ein "Verhandeln" in diesem Sinne aufgefasst werden kann.
54In früheren Entscheidungen wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass auch im ersten Kammertermin ein Urteil nach Aktenlage gemäß §§ 251a, 331a ZPO ergehen könne, wenn eine Güteverhandlung stattgefunden habe, in der die Sach- und Rechtslage erörtert worden sei (LAG Berlin, Urteil vom 03.02.1997 – 9 Sa 133/96 – juris (nur Leitsatz); LAG Hessen, Urteil vom 31.10.2000 – 9 Sa 2072/99 –, Rn. 25, juris; so auch Germelmann/Matthes/Prütting, 9. Aufl. 2017, § 59 ArbGG Rn. 21; Gravenhorst, jurisPR-ArbR 31/2011 Anm. 6). Dies folge aus der für das arbeitsgerichtliche Verfahren geltenden Vorschrift des § 54 Abs. 1 ArbGG, nach der die mündliche Verhandlung mit der Güteverhandlung vor dem Vorsitzenden beginne.
55Überwiegend wird der Erlass eines Urteils nach Aktenlage jedoch abgelehnt, wenn – wie im vorliegenden Fall – der mündlichen Verhandlung, in der die klägerische Partei säumig war, lediglich ein Gütetermin vorangegangen ist, in dem keine Sachanträge gestellt wurden (LAG Hessen, Urteil vom 10.11.2015 – 15 Sa 476/15 –, Rn. 32, juris; LAG Hamm, Urteil vom 04.03.2011 – 18 Sa 970/10 –, Rn. 36, juris; LAG Hamm Urteil vom 20.07.2011 – 2 Sa 422/11 –, Rn. 30, juris; LAG Bremen, Urteil vom 25.06.2003 – 2 Sa 67/03 –, Rn. 29, juris). Hier wird insbesondere auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 04.12.2002 (BAG, Urteil vom 04.12.2002 – 5 AZR 556/01 –, Rn. 20, juris) Bezug genommen. Die genannte Entscheidung hatte einen Kammertermin im Berufungsverfahren zum Gegenstand, in dem das Gericht ein kontradiktorisches Urteil erlassen hatte, nachdem es die Sach- und Rechtslage mit den Parteien zwar erörtert, die Klägerin aber keinen Antrag gestellt hatte. Das Bundesarbeitsgericht hat hier festgehalten, dass ein Verhandeln im Sinne des § 333 ZPO ohne Sachantrag nicht vorliegen könne. Gemäß §§ 137 Abs. 1, 297 ZPO beginne die mündliche Verhandlung grundsätzlich mit dem Stellen der Anträge und dies trage der aus § 308 ZPO folgenden prozessualen Notwendigkeit Rechnung, den Prozessgegenstand durch einen konkreten Antrag zu bestimmen. Eine bloß streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage erfülle diesen Zweck nicht.
56Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Das Bundesarbeitsgericht hat deutlich gemacht, dass aus Gründen der Begrenzung des Streitgegenstandes und wegen § 308 ZPO jedenfalls hinreichend klar sein muss, über welchen Antrag des Klägers entschieden werden soll. Demnach kann allenfalls auf eine ausdrückliche Antragstellung der beklagten Partei verzichtet werden, wenn zuvor die klagende Partei einen hinreichend präzisen Antrag gestellt hat. Die Kammer hält vor diesem Hintergrund die Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts zu einer Säumnissituation vor dem Berufungsgericht auf die Säumnissituation vor dem Arbeitsgericht nach vorangegangener Güteverhandlung für übertragbar (so auch LAG Hessen, Urteil vom 10.11.2015 – 15 Sa 476/15 –, Rn. 32, juris; LAG Bremen, Urteil vom 25.06.2003 – 2 Sa 67/03 –, Rn. 29, juris). Mit dieser Interpretation kommt es auch zum Gleichlauf mit der Rechtslage im Zivilprozess. Auch dort wird für eine Entscheidung nach Lage der Akten darauf abgestellt, ob zuvor Sachanträge gestellt wurden und eine vorausgegangene Güteverhandlung nach dem – durch das ZPO-RG 2002 eingeführten und § 54 ArbGG nachgebildeten – § 278 Abs. 2 ZPO nicht als ausreichend angesehen (Zöller/Greger, 32. Aufl. 2018, § 251a ZPO Rn. 4).
57Aus § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG folgt keine andere Bewertung. Zwar beginnt nach dieser Vorschrift die mündliche Verhandlung im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren mit einer Verhandlung vor dem Vorsitzenden zum Zweck der gütlichen Einigung der Parteien. Dadurch stellt die Vorschrift jedoch lediglich klar, dass – in Abgrenzung zu § 137 Abs. 1 ZPO – zu Beginn des Gütetermins keine Anträge zu stellen sind, damit eine ungehinderte Erörterung der Sache mit dem Ziel einer gütlichen Einigung erfolgen kann. Entsprechend ordnet § 54 Abs. 2 Satz 1 ArbGG an, dass die Klage bis zum Stellen der Anträge – im Kammertermin – ohne Einwilligung der beklagten Partei zurückgenommen werden kann (Germelmann/Matthes/Prütting/Germelmann/Künzl, 9. Aufl. 2017, § 54 ArbGG Rn. 37). Die Vorschrift gibt dem Arbeitsgericht jedoch nicht die Befugnis, nach vorausgegangener Güteverhandlung bei Säumnis einer Partei im Kammertermin ein Urteil nach Lage der Akten zu erlassen.
58II. Die unzulässige Entscheidung des Arbeitsgerichts nach Lage der Akten stellt einen Verfahrensfehler dar. Dieser führt jedoch nicht zur Zurückverweisung des Rechtsstreits.
59Gemäß § 68 ArbGG ist die Zurückverweisung wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichtes unzulässig. Nach dem Zweck dieser Norm soll der Verlust eines mangelfreien Verfahrens vor dem Arbeitsgericht durch die Beschleunigung des Verfahrens insgesamt aufgewogen werden. Das Zurückverweisungsverbot gilt im Interesse des für alle Parteien geltenden Beschleunigungsgrundsatzes. Das Zurückverweisungsverbot gilt nach allgemeiner Auffassung auch bei schwersten Verfahrensfehlern (BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 864/12 –, Rn. 12, juris; ErfKom/Koch, 18. Aufl. 2018, § 68 ArbGG Rn. 2; Germelmann/Matthes/Prütting/Schleusener, 9. Aufl. 2017, § 68 ArbGG Rn. 3).
60Vor diesem Hintergrund kommt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts eine Zurückverweisung an die erste Instanz neben den Fällen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 bis 7 ZPO nur ausnahmsweise und dann in Betracht, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der im Berufungsverfahren nicht mehr korrigiert werden kann (BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 864/12 –, Rn. 13, juris). Dies hat das Bundesarbeitsgericht in einem Fall angenommen, in dem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in erster Instanz Anträge gestellt wurden, was aufgrund der Unterbrechung des Verfahrens nicht wirksam möglich war.
61Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm liegt bei einer unzulässigen Entscheidung nach Lage der Akten ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor, der in der Berufungsinstanz nicht zu beheben sei. Denn die erstinstanzlich an sich richtige Versäumnisentscheidung könne im Berufungsverfahren nicht mehr nachgeholt werden. Eine Zurückverweisung habe daher in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 6 ZPO zu erfolgen (LAG Hamm, Urteil vom 04.03.2011 – 18 Sa 907/10 –, Rn. 50, juris; LAG Hamm, Urteil vom 20.07.2011 – 2 Sa 422/11 –, Rn. 40, juris).
62Nach Überzeugung der Kammer liegt in einer unzulässigen Entscheidung nach Lage der Akten kein Verfahrensmangel, der nicht in zweiter Instanz zu beheben wäre. Es besteht damit keine Veranlassung von der zwingenden Vorschrift des § 68 ArbGG ausnahmsweise abzuweichen. Denn entscheidend ist nicht, dass ein an sich anstehendes Versäumnisurteil nicht mehr nachgeholt werden kann. Entscheidend ist, ob der zwingend erforderliche wirksame Antrag der klagenden Partei nachgeholt werden kann. Die Klägerin konnte im Streitfall ihren Sachantrag im Berufungsverfahren wiederholen und hat dies auch getan. Damit war zumindest in zweiter Instanz nicht zweifelhaft, welchen Sachantrag die Klägerin stellen wollte. Darüber hinaus hatte die Klägerin im Berufungsverfahren ausreichend Gelegenheit, zur Sache vorzutragen und ihren Anspruch näher zu begründen. Einen generellen Anspruch auf zwei Instanzen gibt es nicht.
63III. Die zulässige Klage ist unbegründet.
641. Die Klage ist insgesamt zulässig. Dies gilt auch, soweit die Klägerin mit ihrem Antrag zu 1.) über den punktuellen Kündigungsschutzantrag hinaus die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht.
65Macht der Arbeitnehmer neben dem punktuellen Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 KSchG einen allgemeinen Feststellungsantrag geltend, so muss er ein rechtliches Interesse an dem hinzu tretenden weiteren Antrag dartun. Dies geschieht, indem er weitere streitige Beendigungssachverhalte oder wenigstens deren Möglichkeit in den Prozess einführt (BAG Urteil vom 23.02.2017 – 6 AZR 665/15 –, Rn. 53, juris; BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 2 AZR 682/12 –, Rn. 32, juris).
66Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin im vorliegenden Fall das für den allgemeinen Feststellungsantrag erforderliche Feststellungsinteresse dargetan. Sie hat – allerdings erstmals im Berufungsverfahren – mit dem Hinweis auf die von der Beklagten am 20.12.2016 ausgesprochene Kündigung einen weiteren Beendigungssachverhalt in den Rechtsstreit eingeführt.
67II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Kündigung vom 22.04.2016 rechtswirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.07.2016 aufgelöst hat. In der Konsequenz sind auch der allgemeine Feststellungsantrag sowie der allgemeine Weiterbeschäftigungsantrag unbegründet.
681. Die Kündigung vom 22.04.2016 ist aus verhaltensbedingten Gründen gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.
69a. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, geeignet, eine Kündigung, sogar eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die ihm angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachdrücklich nicht leisten will. Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG, Urteil vom 22.10.2015 – 2 AZR 569/14 –, Rn. 37, juris; BAG, Urteil vom 29.08.2013 –2 AZR 273/12 –, Rn. 29, 32, juris; BAG, Urteil vom 13.03.2008 – 2 AZR 88/07 –, Rn. 36, juris).
70b. Die Klägerin verweigerte seit dem 09.03.2016 die von ihr geschuldete Arbeitsleistung. Denn die Klägerin war ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, ihre Tätigkeit als Verkäuferin in der Filiale K auszuführen. Der Annahmeverzug der Beklagten, in dem sie sich nach Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 02.09.2013 befand, war beendet.
71Ist der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigungserklärung in Annahmeverzug geraten, muss er, um den Annahmeverzug zu beenden, den Arbeitnehmer zur Arbeit auffordern. Die Erledigung des Kündigungsrechtsstreits ändert daran nichts. Da der Arbeitgeber mit der unwirksamen Kündigung gegenüber dem Arbeitnehmer den entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht hat, kann der Arbeitnehmer regelmäßig eine Arbeitsaufforderung des Arbeitgebers abwarten (BAG, Urteil vom 19.01.2016 – 2 AZR 449/15 –, Rn. 34, juris; BAG, Urteil vom 12.12.2012 – 5 AZR 93/12 –, Rn. 22, juris). Nimmt der Arbeitnehmer die Arbeit trotz entsprechender Aufforderung nicht wieder auf, endet der Annahmeverzug des Arbeitgebers, weil dann regelmäßig vom Fehlen des Leistungswillens des Arbeitnehmers auszugehen ist. Hinsichtlich der Aufforderung, die Arbeit aufzunehmen, braucht der Arbeitgeber keine „Ankündigungsfrist“ einzuhalten (BAG, Urteil vom 19.01.2016 – 2 AZR 449/15 –, Rn. 35, juris).
72Die im Schriftsatz vom 09.02.2016 an die Klägerin gerichtete Aufforderung der Beklagten, am 09.03.2016 ihre Arbeit an einem konkret bezeichneten Ort zu einer konkret bezeichneten Uhrzeit wieder aufzunehmen, erfüllt die dargestellten Anforderungen. Der Schriftsatz ist der Klägerin Ende Februar 2016 zugegangen. Damit hat sie die Aufforderung, für die eine Ankündigungsfrist ohnehin nicht einzuhalten ist, sogar mit einigem Vorlauf erreicht.
73c. Die Klägerin war nicht berechtigt, die Arbeit in Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß § 273 Abs. 1 BGB zu verweigern.
74aa. § 273 Abs. 1 BGB berechtigt den Schuldner, der aus dem gleichen Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat – sofern sich aus dem Schuldverhältnis nichts anderes ergibt –, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird. Demnach kann dem Arbeitnehmer ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. Anerkannt ist, dass der Arbeitnehmer dieses Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung auch ausüben kann, wenn er einen fälligen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber erworben hat und der Arbeitgeber nicht erfüllt (BAG, Urteil vom 19.01.2016 – 2 AZR 449/15 –, Rn. 54, juris; grundlegend BAG, Urteil vom 25.10.1984 – 2 AZR 417/83 –, Rn. 23, juris mit weiteren Nachweisen). Dabei steht die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BAG, Urteil vom 25.10.1984 – 2 AZR 417/83 –, Rn. 27, juris). Der Grundsatz von Treu und Glauben verbietet es dem Arbeitnehmer, seine Arbeitsleistung wegen eines verhältnismäßig geringfügigen Lohnanspruchs zurückzuhalten. Dies folgt aus einer Analogie zu § 320 Abs. 2 BGB (grundlegend BAG, Urteil vom 25.10.1984 – 2 AZR 417/83 –, Rn. 29, juris unter Hinweis auf RGZ 61, 128). Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts kann ferner rechtsmissbräuchlich sein, wenn nur eine kurzfristige Verzögerung der Lohnzahlung zu erwarten ist.
75Aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit folgt darüber hinaus, dass der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilt, mit Blick auf welche ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung er das Recht wahrnimmt. Denn nur so hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, den möglichen Anspruch des Arbeitnehmers zu prüfen und ggf. zu erfüllen (BAG, Urteil vom 19.01.2016 – 2 AZR 449/15 –, Rn. 54, juris; BAG, Urteil vom 22.10.2015 – 2 AZR 569/14 –, Rn. 37, juris; BAG, Urteil vom 13.03.2008 – 2 AZR 88/07 –, Rn. 39 ff, juris).
76Macht der Arbeitnehmer berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, liegt keine Arbeitsverweigerung vor
77bb. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin sich – wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat – nicht wirksam auf ein ihr etwaig zustehendes Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB berufen können.
78Ein Zurückbehaltungsrecht stand ihr bereits nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zu. Im Einzelnen gilt Folgendes:
79Auf die zwischen den Prozessbevollmächtigten in der außergerichtlichen Korrespondenz diskutierte Frage der zutreffenden Abrechnung der für insgesamt 30 Monate gezahlten Verzugslöhne hat die Klägerin sich weder in erster noch in zweiter Instanz berufen.
80Ein Zurückbehaltungsrecht der Klägerin folgt nicht aus der – unstreitig – erst im September 2016 erfolgten Zinszahlung durch die Beklagte. Die Zinsforderung beläuft sich mit 943,34 EUR auf nur knapp ein Gehalt und nicht auf 1,5 Gehälter, wie die Klägerin bis zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 23.02.2018, in der der Betrag von 943,34 EUR unstreitig wurde, jedoch durchweg behauptet hat. Damit ist dieser Betrag nach Auffassung der Kammer verhältnismäßig gering und berechtigt nicht zur Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts. Dabei übersieht die Kammer nicht, dass die Klägerin mit einem monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 1.014,00 EUR über ein nur geringes Einkommen verfügt und auch die Beklagte nicht nachvollziehbar erläutert hat, warum sie Ende Februar 2016 zwar die ausstehenden Verzugslöhne, nicht aber die auf diese angefallenen Zinsen gezahlt hat.
81Ein Zurückbehaltungsrecht kommt hier dennoch nicht in Betracht, weil die Zinsforderung nur einen geringen Teil der Verzugslohnforderung darstellt. Aus der Analogie zu § 320 Abs. 2 BGB, der ein Zurückbehaltungsrecht bei erfolgter Teilleistung ausschließt, folgt mit dem Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 25.10.1984 – 2 AZR 417/83 –, Rn. 29, juris), dass dem Arbeitnehmer das Zurückhalten der Arbeitsleistung bei nur geringfügig offenem Lohnanspruch verwehrt ist. Den Lohnanspruch selbst hat die Beklagte erfüllt. Die Frage der Geringfügigkeit stellt sich daher im Verhältnis zur Gesamtforderung (Teilerfüllung) und nicht im Verhältnis zur grundsätzlich geschuldeten monatlichen Vergütung. In diesem Verhältnis stellt sich der verbleibende Zinsbetrag als geringfügig dar.
82Ein Zurückbehaltungsrecht der Klägerin folgt nicht aus dem Kostenerstattungsanspruch aus dem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht 10 Sa 435/14. Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass der Kostenerstattungsanspruch der Partei bereits mit Ausspruch der materiellen Kostenentscheidung und nicht erst mit Abschluss des Kostenfestsetzungsverfahrens fällig ist. Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig, dass der Klägerin – und nicht ihrem Prozessbevollmächtigten – der Kostenerstattungsanspruch zusteht. Ein Zurückbehaltungsrecht besteht aber deshalb nicht, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Klägerin selbst in Vorleistung getreten oder durch ihren Prozessbevollmächtigten in Anspruch genommen worden ist. Sie hat nicht vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter ihr gegenüber die Kosten für die Vertretung im Rechtsstreit geltend gemacht oder sie diese beglichen hat. Die Verletzung einer Nebenpflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin durch das Zuwarten auf den Kostenfestsetzungsbeschluss ist vor diesem Hintergrund fernliegend.
83Bestand am 09.03.2016 und für die Zeit danach kein Zurückbehaltungsrecht der Klägerin hat sie ihre Arbeitsleistung unberechtigt verweigert. Entsprechend war die Beklagte zur Lohnzahlung für die Monate März und April 2016 nicht aus § 615 Satz 1 BGB verpflichtet, weil kein Annahmeverzug bestand. Eine Forderung, die zur Ausübung des Zurückbehaltungsrechts berechtigt, bestand hierdurch nicht.
84Weil ein Zurückbehaltungsrecht in der Sache nicht bestand, kann offen bleiben, ob die Klägerin ein Zurückbehaltungsrecht überhaupt klar und eindeutig mit Blick auf eine bestimmte Forderung ausgeübt hat.
85d. Die Klägerin hat ihre geschuldete Arbeitsleistung bewusst und nachhaltig verweigert. Die Beklagte hat die Klägerin insgesamt – am 15.03.2016, 30.03.2016 und 08.04.2016 – dreimal abgemahnt und darauf hingewiesen, dass sie dies als schwerwiegenden Verstoß betrachtet, was arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Gleichwohl nahm die Klägerin die Arbeit nicht wieder auf.
86e. Die abschließend vorzunehmende Abwägung der Interessen fällt zugunsten der Beklagten aus. Ihr Beendigungsinteresse überwiegt das Bestandsschutzinteresse der Klägerin. Zugunsten der Klägerin sind eine zehnjährige Betriebszugehörigkeit und ihr Lebensalter von 56 Jahren bei Ausspruch der Kündigung zu berücksichtigen. Zugunsten der Klägerin mag weiter zu berücksichtigen sein, dass sie – aus welchen Gründen auch immer – von einem höheren offen stehenden Zinsbetrag ausgegangen ist. Dieser Aspekt ist jedoch nicht geeignet, die Pflichtverletzung der Klägerin derart in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, dass ihre Interessen das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegen könnten. Die Klägerin trägt bei Ausübung des Zurückbehaltungsrechts das Risiko des Irrtums. Sie hat sich auch nach Ausspruch der Abmahnungen nicht mit der Beklagten in Verbindung gesetzt, sondern mit dieser erst knapp zwei Wochen nach Ausspruch der letzten Abmahnung mit Schreiben vom 21.04.2016 Kontakt aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie jedoch schon über mehrere Wochen die Arbeitsleistung verweigert. Damit überwiegt das Beendigungsinteresse der Beklagten.
87f. Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen unwirksam. Gegen die durch das Arbeitsgericht festgestellte Wirksamkeit der Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs.1 BetrVG hat die Klägerin in ihrer Berufung keine Rüge erhoben.
882. Nachdem die Wirksamkeit der Kündigung feststeht, ist der allgemeine Feststellungsantrag unbegründet.
893. Infolge des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag steht der Klägerin auch nicht der geltend gemachte allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch zu.
90C. Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO waren der Klägerin die Kosten für das erfolglos eingelegte Rechtsmittel aufzuerlegen.
91D. Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zugelassen worden. Bei Beantwortung der Frage, ob eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht in Betracht kommt, wenn das Arbeitsgericht nach Lage der Akten urteilt, ohne dass zuvor in mündlicher Verhandlung Anträge gestellt worden sind, weicht die vorliegende Entscheidung von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20.07.2011 – 2 Sa 422/11 – ab.