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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten über die Kindergeldberechtigung des Klägers für seine Kinder B (geb. 15.10.2006) und C (geb. 24.8.2008) im Zeitraum September 2015 bis einschließlich Mai 2017.
3Die Familie lebte zunächst in Deutschland. Eltern und Kinder sind deutsche Staatsangehörige. Die Kinder besuchten den Kindergarten und zunächst auch die Grundschule in Deutschland. Damit die Kinder die arabische Sprache lernen, sollten sie im streitbefangenen Zeitraum bei ihren Großeltern in Z-Land leben und dort zur Schule gehen. Anfang September 2015 reisten die Kinder aus Deutschland aus. Die Mutter der Kinder begleitete diese nach Z-Land. Mutter und Kinder hielten sich in diesem Zeitraum größtenteils in Z-Land auf, unterbrochen durch folgende Zeiten in Deutschland:
424.1. bis 7.2.2016
519.6. bis 22.9.2016
629.1. bis 22.2.2017
7Zum 1.9.2015 gab der Kläger die bisher mit der Familie bewohnte Wohnung „D-Str. 1“ auf und verzog an die nur etwa 200 Meter entfernte Anschrift „E-Str. 2“. Im Juni 2017 kehrten die Kinder nach Deutschland zurück und nahmen den Schulbesuch wieder auf. Die Familie zog zum 1.6.2017 in die – wiederum in unmittelbarer Nähe befindliche – Wohnung „D-Str. 1“ ein.
8Am 26.1.2016 beantragte der Kläger Kindergeld, wobei er als Adresse der Kinder die Anschrift der Großeltern in Z-Land angab. Die Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheid vom 6.10.2016 für den Zeitraum ab September 2015 unter Hinweis auf § 63 Abs. 1 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab, da der Wohnsitz der Kinder nicht in Deutschland, einem EU- oder EWR-Staat liege.
9Hiergegen legte der Kläger unter dem 8.11.2016 Einspruch ein und führte im Wesentlichen aus, dass der Aufenthalt bei den Großeltern nur vorübergehender Natur gewesen sei. Die Kinder seien regelmäßig und nicht nur in den Ferien in Deutschland gewesen und ihre endgültige Rückkehr nach Deutschland sei spätestens 2017 geplant. Es liege daher durchgängig ein Wohnsitz im Sinne des § 8 der Abgabenordnung (AO) in Deutschland vor.
10Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 24.5.2017 als unbegründet zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, dass bei längeren Auslandsaufenthalten von einer Aufgabe des inländischen Wohnsitzes auch dann auszugehen sei, wenn kurzfristige Inlandsaufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken erfolgten. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) insbesondere für minderjährige Kinder, die sich zu Ausbildungszwecken bei Verwandten im Ausland aufhielten und nur die Schulferien bei den Eltern im Inland verbrächten. Denn dabei gehe es um die Festigung der Bindung zur ursprünglichen Heimat der Familie. Die elterliche Wohnung stehe dem Kind dann nicht mehr jederzeit, sondern nur noch während der Ferienzeit zur Verfügung. Der Fall sei auch nicht mit den Fällen vergleichbar, in denen Kinder einen Ausbildungsabschnitt im Ausland, das nicht ihr Heimatland sei, absolvierten.
11Hiergegen richtet sich die Klage vom 30.6.2017 (Eingang bei Gericht am selben Tag), mit der der Kläger seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren aufrechterhält und vertieft. Zur Zulässigkeit der Klage führt er aus, dass die Einspruchsentscheidung ihm erst am 31.5.2017 zugegangen sei. In der Sache sei zu berücksichtigen, dass die Kinder durchgängig ihre Kinderzimmer in der elterlichen Wohnung gehabt und während ihrer Deutschlandaufenthalte den Kontakt zu Freunden gepflegt hätten. Ein dauerhafter Verbleib in Z-Land sei nie erwogen worden.
12Der Kläger beantragt,
13den Ablehnungsbescheid vom 6.10.2016 in Form der Einspruchsentscheidung vom 24.5.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Kinder B und C im Zeitraum von September 2015 bis Mai 2017 Kindergeld zu gewähren.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie nimmt Bezug auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, dass die Herkunft der Eltern zwar allein kein ausschlaggebendes Kriterium sei, sich jedoch aus den familiären und kulturellen Umständen am Aufenthaltsort Hinweise für das Entstehen neuer Beziehungen und die Lockerung der bisherigen Bindungen ergeben könnten. Dies sei nach der Rechtsprechung des BFH zum Beispiel bei einem mehrjährigen Schulbesuch im Ausland, für den das Kind vor Ort bei Verwandten untergebracht sei, der Fall.
17Das Gericht hat zur Frage des Zugangs der Einspruchsentscheidung Beweis erhoben durch Vernahme der Zeugin F. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
20I. Die Klage ist zulässig. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Einspruchsentscheidung dem Prozessbevollmächtigten des Klägers erst am 31.5.2017 bekanntgegeben wurde. Dies ist zwischen den Beteiligten mittlerweile auch unstreitig. Die Klagefrist endete daher gemäß § 47 Abs. 1, § 54 Abs. 1, Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und § 188 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches am 30.6.2017. An diesem Tag ist die Klage eingegangen.
21II. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Kläger hat für den Streitzeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder B und C, da die Kinder in dieser Zeit weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, hatten (§ 63 Abs. 1 Satz 6 EStG).
221. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Kinder im Streitzeitraum keinen inländischen Wohnsitz im Sinne des § 8 AO innehatten.
23a) Ein Wohnsitz setzt nach dieser Vorschrift das Innehaben einer Wohnung unter Umständen voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt wird. Hierfür ist erforderlich, dass die Wohnung dem Berechtigten objektiv wann immer er es wünscht als Bleibe zur Verfügung steht und sie subjektiv zu entsprechender Nutzung bestimmt ist (BFH, Urteil v. 22.4.1994 III R 22/92, juris Rz. 15 m.w.N.).
24Die Frage, ob ein Kind, das sich zu Ausbildungszwecken zeitweise im Ausland aufhält, einen inländischen Wohnsitz beibehält, ist nicht generell zu beantworten. Maßgebliche Kriterien im Einzelfall sind die voraussichtliche Dauer und der Zweck des Auslandsaufenthalts, die Art der Unterbringung im In- und Ausland, die persönliche Bindung im In- und Ausland sowie die Häufigkeit und Dauer der Inlandsaufenthalte (BFH, Urteil v. 25.9.2014 III R 10/14, juris Rz. 19 f.).
25Demnach liegt ein inländischer Wohnsitz in der Regel nicht mehr vor, wenn ein Kind auf unbestimmte Zeit im Heimatland der Familie bei Verwandten untergebracht ist, dort die Schule besucht und nur während der Ferienzeiten im Inland ist (BFH, Urteil v. 22.4.1994 III R 22/92, juris Rz. 19 ff.; Urteil v. 27.4.1995 III R 57/93, juris Rz. 12; Beschluss v. 10.8.1998 VI B 21/98, juris Rz. 11). Denn nach der Lebenserfahrung dient der Auslandsaufenthalt in diesen Fällen nicht vorrangig Ausbildungszwecken, sondern der Festigung der Bindung mit der Heimat der Eltern und dem Einleben in die dortigen Verhältnisse. Es kommt in der Regel zu einer Verwurzelung im Ausland und einer entsprechenden Lockerung der familiären und sozialen Bindungen im Inland. Zudem steht die elterliche Wohnung den Kindern in diesen Fällen gerade nicht jederzeit, sondern nur in der Ferienzeit zur Verfügung (BFH, Urteil v. 22.4.1994 III R 22/92, juris Rz. 20 f.).
26b) Nach diesen Maßstäben liegt ein inländischer Wohnsitz der Kinder im Streitzeitraum nicht vor.
27Die zu Beginn des Streitzeitraums erst sieben und acht Jahre alten Kinder des Klägers sind von den 21 streitgegenständlichen Monaten nur gute vier Monate in Deutschland gewesen. Diese Zeiten in Deutschland liegen bis auf einen Zeitraum von zehn Tagen im Februar 2017 innerhalb der z-ländischen Ferienzeit. Für eine – auch familiäre – Verwurzelung in Z-Land während des dortigen Aufenthalts spricht auch, dass auch die Mutter der Kinder sich über weite Strecken zeitgleich in Z-Land aufgehalten hat. Dies ergibt sich aus den vorgelegten Reisepässen der Mutter und der Kinder, die die jeweiligen Ein- und Ausreisedaten in Z-Land belegen. Dass die Mutter die meiste Zeit mit ihren Kindern in Z_Land war, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr bestritten. Bereits aus diesen Umständen ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass die noch sehr jungen Kinder in dieser Zeit Z-Land als ihre Heimat angesehen haben und die Wohnung im Inland nicht mehr beibehalten worden war.
28Hinzu kommt, dass der Kläger in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Abreise der Kinder und der Mutter der Kinder, nämlich am 1.9.2015, innerhalb Y-Stadt umgezogen ist. Wiederum in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Rückkehr der Kinder, nämlich am 1.6.2017, zog der Kläger in eine neue, dritte Wohnung.
29Die erste Wohnung, „D-Str.1“, in der die Kinder bis zur Abreise nach Z-Land lebten, scheidet als Wohnsitz im Streitzeitraum aus. Denn diese Wohnung stand der Familie im Streitzeitraum nicht mehr zur Verfügung.
30Für die „Zwischenwohnung“ („E-Str. 2“, 1.9.2015 bis 31.5.2017) ist in keiner Weise erkennbar, dass die Kinder diese unter Umständen innegehabt hätten, die darauf schließen ließen, dass die Wohnung beibehalten und benutzt würde. Nach den vorgelegten Mietverträgen ist diese zweite Wohnung deutlich kleiner als die anderen beiden: Während die ursprüngliche Wohnung („D-Str.1“, 93 qm, 514 €, Quadratmeterpreis etwa 5,53 €) und die Wohnung nach der Rückkehr der Kinder („D-Str.2“, 96 qm, 535 €, Quadratmeterpreis etwa 5,57 €) eine vergleichbare Größe und Kaltmiete aufweisen, beträgt die Kaltmiete der „Zwischenwohnung“ lediglich 255 €. Für die „Zwischenwohnung“ ergibt sich unter Zugrundelegung der Quadratmeterpreise der sich in gleicher Lage befindenden anderen beiden Wohnungen eine Größe von etwa 46 Quadratmetern. Zudem hat der Kläger die „Zwischenwohnung“ alleine angemietet, die übrigen Wohnungen gemeinsam mit seiner Frau. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger für den Zeitraum, in dem seine Frau und die Kinder nicht im Inland waren, zur Kostenersparnis in eine günstigere, kleinere Wohnung umgezogen ist. Eine hinreichend enge Bindung der Kinder zu dieser neuen Wohnung, in der sie nicht aufgewachsen sind, vermag der Senat nicht festzustellen.
31Der Umstand, dass der Kläger und die Kinder deutsche Staatsangehörige sind, kann zwar darauf hindeuten, dass die Familie ihre Zukunft in Deutschland sieht (vgl. FG Niedersachsen, Urteil v. 10.10.2000 6 K 795/98 KI, juris Rz. 23). Diese indizielle Wirkung entfällt indes, wenn – wie im Streitfall – durch lange Aufenthalte im Heimatland und die Aufgabe der bisherigen, familiengerechteren Wohnung die Gesamtumstände für eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes sprechen. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, der Aufenthalt in Z-Land sei von Anfang nur für einen begrenzten Zeitraum geplant gewesen, kommt dem wegen der festgestellten tatsächlichen Umstände kein Beweiswert zu. Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass es dem Kläger darauf ankam, die Festsetzung des Kindergeldes auch nach Fortfall der Kindergeldberechtigung zu erlangen.
322. Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland im Sinne des § 9 AO liegt im Streitzeitraum nicht vor. Dies würde voraussetzen, dass die Kinder sich im Inland unter Umständen aufhielten, die erkennen ließen, dass sie an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilten. Dies ist vom Kläger weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Vielmehr haben sich die Kinder im Streitzeitraum lediglich kurzzeitig und vorübergehend im Inland aufgehalten.
33III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 AO.