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Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2016 vom 20.11.2017 wird bis einen Monat nach Beendigung des Klageverfahrens gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 412,42 Euro ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
2I.
3Der Antragsteller wurde am 24.08.2015 durch das Amtsgericht in dem Zwangsverwaltungsverfahren über ein Grundstück zum Zwangsverwalter bestellt.
4Mit Bescheid vom 20.11.2017 setzte der Antragsgegner die anteilige Einkommensteuer 2016 gegenüber dem Antragsteller „als Zwangsverwalter des Grundstücks (Grundstückseigentümerin: Frau U)“ fest. Die Einkommensteuer wurde dabei auf der Grundlage einer entsprechenden Erklärung des Antragstellers i.H.v. 360,19 €, der Solidaritätszuschlag i.H.v. 19,81 € und Kirchensteuer i.H.v. 32,42 € festgesetzt. Der Antragsgegner stützte sich dabei auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10.2.2015 (IX R 23/14, Bundessteuerblatt – BStBl. – 2017, 367) und das BMF-Schreiben vom 3.5.2017 (IV A 3-S 0550/15/10028, BStBl. I 2017, 718).
5Der Antragsteller legte gegen den Bescheid am 18.12.2017 Einspruch ein und begründete diesen damit, dass er in einem ähnlichen Fall vom Amtsgericht angewiesen worden sei, keine Zahlung auf die private Einkommensteuer des Schuldners zu leisten. Der Antragsteller beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung.
6Der Antragsgegner erklärte mit Schreiben vom 22.12.2017 gegenüber dem Antragsteller, dass der Einspruch unzutreffend begründet sei und lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab.
7Mit Schreiben vom 16.1.2018 übersandte der Antragsteller dem Antragsgegner einen Beschluss des Amtsgerichts vom 8.1.2018, mit dem der Antragsteller angewiesen worden war, keine Zahlungen auf die Einkommensteuerschuld der Vollstreckungsschuldnerin zu leisten. Das BMF-Schreiben vom 3.5.2017 stehe im Widerspruch zu § 11 der Zwangsverwalterverordnung (ZwVwV) i.V.m. §§ 155 Abs. 1, 156 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) und sei daher im Zwangsverwaltungsverfahren nicht zu berücksichtigen.
8Mit Schreiben vom 18.1.2018 erklärte der Antragsgegner, dass der angefochtene Bescheid in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergangen sei und der Beschluss des Amtsgerichts keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung habe. Der Antragsteller könne sich nicht auf eine Bindungswirkung des Beschlusses berufen, denn die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts sei für den Antragsteller erkennbar, so dass es ihm obliege, gegebenenfalls Rechtsmittel gegen den Beschluss einzulegen. Zudem sei die Einkommensteuerforderung bereits am 27.12.2017 fällig und bereits vor Ergehen des Beschlusses des Amtsgerichts an die Finanzbehörde zu entrichten gewesen. Bei fristgerechter Zahlung wäre er nicht in die Pflichtenkollision geraten. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner erneut ab.
9Mit Schreiben vom 31.1.2018 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass es sich bei dem Beschluss des Amtsgerichts um eine zivilrechtliche Weisung nach dem ZVG handele. Ihm seien mehrere gleich gelagerte Fälle bekannt, weshalb es sich weder um einen Einzelfall noch um einen erkennbar rechtswidrigen Beschluss handeln könne. Der Antragsteller beantragte beim Antragsgegner erneut die Aussetzung der Vollziehung. Diesen erneuten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung legte der Antragsgegner als Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags zum 18.1.2018 aus.
10Der Einspruch des Antragstellers gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 wurde vom Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 23.3.2018 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen legte der Antragsteller fristgerecht Klage ein, welche unter dem Aktenzeichen 3 K 1129/18 anhängig und über die noch nicht entschieden worden ist.
11Der Antragsteller begehrt nunmehr die Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzgericht gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
12Er trägt vor, dass der angefochtene Einkommensteuerbescheid zwar im Einklang mit dem BFH-Urteil vom 10.2.2015 stehe, jedoch sei die vom BFH gewählte Argumentation kritisch zu sehen. Die Pflichten des Zwangsverwalters würden sich nämlich aus den zivilrechtlichen Bestimmungen des ZVG sowie der Zwangsverwalterverordnung ergeben. Nach § 156 Abs. 1 ZVG habe er die laufenden Beträge der öffentlichen Lasten zu entrichten. Bei der Einkommensteuerpflicht handele es sich aber nicht um eine solche öffentliche Last, die vom Bundesgerichtshof (BGH) als Abgabeverpflichtung für eine Sache definiert werde. Das vom BFH angeführte Argument, der Gesetzgeber hätte in § 156 ZVG weder positiv noch negativ geregelt, welche Steuern zu entrichten seien, überzeuge in keiner Hinsicht. Genau an diesem würden die Amtsgerichte ansetzen. Er als Zwangsverwalter habe einer gerichtlichen Weisung nach § 153 ZVG, wie sie das Amtsgericht im vorliegenden Fall erteilt habe, zwingend Folge zu leisten. Ihm stünde kein Rechtsmittel gegen diese Weisung zu. Eine Missachtung könne zu Schadensersatz, Zwangsgeld und Entlassung führen. Es sei entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht ersichtlich, dass der Beschluss des Amtsgerichts nichtig sei. Es handele sich auch nicht um einen Einzelfall. Unterschiedliche Gerichte seien hier zum gleichen Ergebnis gekommen.
13Der Antragsteller beantragt,
14die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2016 vom 20.11.2017 auszusetzen.
15Der Antragsgegner beantragt,
16den Antrag abzulehnen;
17hilfsweise, die Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheit in Höhe des auszusetzenden Betrages zu gewähren sowie die Beschwerde zuzulassen.
18Nach seiner Auffassung fehle es an ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, da der angefochtene Einkommensteuerbescheid den Vorgaben des BFH entspräche. Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH bestehe ebenfalls nicht, vielmehr habe dieser in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 19.10.2017 IX ZR 289/14 sogar ausdrücklich anerkannt, dass der Zwangsverwalter die Einkommensteuer des Vollstreckungsschuldners zu entrichten habe.
19Diverse Amtsgerichte in NRW versuchten die Rechtsprechung des BFH faktisch dadurch außer Kraft zu setzen, dass sie den Zwangsverwaltern die Zahlung der Einkommensteuer mittels Beschlusses untersagten. Diese Beschlüsse seien nichtig. Öffentlich-rechtliche Verpflichtungen könnten schon gar nicht durch zivilrechtliche Vereinbarungen bzw. Beschlüsse abbedungen werden. Der Beschluss des Amtsgerichts komme überdies einem Vollstreckungsverbot gleich. Ein solches könne jedoch weder gegen die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung noch gegen das damit verbundene Leistungsgebot vorgebracht werden.
20Hilfsweise sei die Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren. Bei einer längeren Dauer des Verfahrens bestünde die latente Gefahr einer Aufhebung der Zwangsverwaltung, ohne dass der Zwangsverwalter hierauf Einfluss nehmen könnte. Mit Aufhebung der Zwangsverwaltung ende jedoch die Beschlagnahme und damit auch die Verwaltungsbefugnis des Antragstellers. Ab diesem Zeitpunkt seien öffentliche Lasten und Zahlungen an Berechtigte nicht mehr zu leisten. Im Übrigen sei auch zu berücksichtigen, dass aus dem zwangsverwalteten Grundstück im Jahr 2016 nur ein geringer Überschuss habe erzielt werden können. Insoweit stehe zu befürchten, dass zukünftig die Kosten die erzielten Einnahmen übersteigen könnten mit der Folge, dass die liquiden Mittel zur Steuertilgung nicht mehr ausreichten.
21II.
221. Der zulässige Antrag ist begründet.
23Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, sofern ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder – was vorliegend nicht in Betracht kommt und vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht wird – seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des unstreitigen Sachverhaltes, der gerichtsbekannten Tatsachen und der präsenten Beweismittel erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen kann (Beschlüsse des BFH vom 26. September 2007 I B 53, 54/07, BStBl II 2008, 415; vom 30. Oktober 2008 II B 58/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2009, 418).
24Nach Maßgabe dieser Grundsätze bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des an den Antragsteller als Zwangsverwalter adressierten Einkommensteuerbescheides.
25Ernstlich zweifelhaft ist eine Rechtsfrage nach allgemeiner Auffassung dann, wenn sie von zwei obersten Bundesgerichte unterschiedlich beurteilt worden ist, wenn zwei Senate des BFH dieselbe Rechtsfrage verschieden beantwortet haben oder wenn zwei Instanzgerichte zu einer höchstrichterlich bisher nicht geprüften Frage eine unterschiedliche Rechtsauffassung vertreten (Koch in Gräber, FGO, § 69 Rn. 87 mit entsprechenden Nachweisen).
26Nach Auffassung des Senats muss dies auch gelten, wenn seitens der Zivilgerichte eine Rechtsfrage, auch wenn sie vom BGH noch nicht abschließend beurteilt worden ist, anders beantwortet wird als vom BFH. Dies gilt vor dem Hintergrund der Einheit der Rechtsordnung insbesondere dann, wenn eine Rechtsfrage (hier: ob der Zwangsverwalter die steuerlichen Pflichten des Schuldners als eigene zu erfüllen hat) von den Zivilgerichten in Form von Weisungen flächendeckend anders beurteilt wird als vom BFH. Im vorliegenden Fall trägt nicht nur der Antragsteller, sondern auch der Antragsgegner vor, dass sich bereits diverse Amtsgerichte in NRW gegen das Urteil des IX. Senats des BFH vom 10.2.2015 (IX R 23/14, BStBl. II 2017, 367) gewandt hätten. Im Streitfall ist der Antragsteller sogar durch Beschluss des Amtsgerichts vom 8.1.2018 angewiesen worden, keine Zahlungen auf die Einkommensteuer zu leisten. Dieser Beschluss ist entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht erkennbar nichtig. Unabhängig davon, wie der Senat die im Hauptsacheverfahren zu entscheidende Rechtsfrage beurteilt, ist damit bereits vom Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides im Sinne des § 69 FGO auszugehen.
272. Der Senat hält es im Streitfall für ermessensgerecht, die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung in Höhe des insgesamt ausgesetzten Betrages abhängig zu machen. Es erscheint unter den gegebenen Umständen fraglich, ob die Steuerschuld zu einem späteren Zeitpunkt beim Antragsteller noch realisiert werden kann. Dies ergibt sich daraus, dass auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des IX. Senats des BFH die Rechte und Pflichten des Zwangsverwalters zeitlich durch die Dauer des Verfahrens begrenzt sind und sich der Anspruch des Fiskus auch nur gegen das liquide Verwaltungsvermögen richtet (BFH, Urteil vom 10.2.2015 IX R 23/14, BStBl. II 2017, 367 unter II.1.a)bb) und II.1.a)cc)). Insofern war sowohl zu berücksichtigen, dass die Dauer der Zwangsverwaltung nicht absehbar ist als auch, dass sich aus der Verwaltung der Immobilie nur im geringen Umfang liquide Mittel ergeben.
283. Die Kosten des Verfahrens fallen gem. § 135 Abs. 1 FGO dem Antragsgegner zur Last. Für die Kostenentscheidung liegt trotz Aussetzung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung kein Teilunterliegen des Antragstellers vor (Koch in Gräber, FGO, § 69 Rn. 161 m.w.N.).
294. Der Senat lässt die Beschwerde gegen diesen Beschluss nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO zu.
30Die Beschwerde ist gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO in Verbindung mit § 115 Abs. 2 FGO u. a. zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert. Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs vom 28.11.1977 (GrS 4/77, BStBl. II 1978, 229) ist die Beschwerde auch dann zuzulassen, wenn sich die maßgebliche Rechtsfrage nicht auf die Auslegung des § 69 FGO (also auf die Frage, ob vorliegend ernsthafte rechtliche Zweifel gegeben sind), sondern auf die zugrunde liegende Rechtsfrage bezieht, derentwegen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden. Vor diesem Hintergrund ist die Beschwerde zuzulassen. Der Frage, ob ein Zwangsverwalter die Einkommensteuer des Schuldners zu entrichten hat, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.