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T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin stellte in ihrem Betrieb Wasserglas her. Hierzu vermischte sie zunächst Quarzsand und Natriumcarbonat. Anschließend ließ sie das Gemisch in zwei mit versteuertem Erdgas betriebenen Öfen verschmelzen. Die hierbei entstandene flüssige Substanz wurde auf einem Förderband abgeführt, wo sie erkaltete. Die beim Abfallen von dem Förderband entstandenen Klumpen wurden in einer Lagerhalle zwischengelagert. In einem zweiten Verfahrensabschnitt überführte die Klägerin die Klumpen in einem hydrothermalen Prozess unter Einsatz von Wasser und Dampf in Wasserglas. Hierbei verwendete sie kein Erdgas mehr.
3Die Klägerin beantragte am 27. Juli 2016 beim beklagten Hauptzollamt, ihr nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) Energiesteuer für die Verwendung Erdgas in dem Monat Januar 2016 zum Verschmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat in den Öfen zu vergüten. Diesen Antrag lehnte das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 15. September 2016 ab, weil die Klägerin das Erdgas nicht für die Herstellung von Glas oder Glaswaren verwendet habe. Wasserglas sei ein wasserlösliches Natrium- und Kaliumsilikat. Die Herstellung von Wasserglas sei deshalb der NACE-Klasse DG 24.13 der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 (VO Nr. 3037/90) des Rates vom 9. Oktober 1990 betreffend die statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (ABl. EG Nr. L 293/1) zuzuordnen.
4Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch trug die Klägerin vor: Sie habe das Erdgas zum Schmelzen der für die Herstellung von Glas bzw. Glaswaren verwendeten Vorprodukte Quarzsand und Natriumcarbonat verwendet. Dieser Herstellungsprozess sei der NACE-Klasse DI 26.15 zuzuordnen. Bei den hergestellten klumpen-artigen Festkörpern habe es sich um dasselbe mineralische Ausgangsmaterial wie ausgewalztes Flachglas oder geblasenes Hohlglas gehandelt. Sie hätte die Klumpen auch jederzeit zu Flachglas walzen können. Der Herstellungsprozess sei jedenfalls der NACE-Klasse 26.8 zuzuordnen. Bei den Vorprodukten Quarzsand und Natriumcarbonat habe es sich um nichtmetallische Mineralien gehandelt. Die Klägerin bezog sich unter anderem auf ein Gutachten vom 17. Mai 2007 (Bl. 26 der Rechtsbehelfsakte).
5Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 27. April 2017 zurück und führte aus: Bei den von der Klägerin hergestellten Erzeugnissen habe es sich nicht um Glas oder Glaswaren des Kapitels 70 der Kombinierten Nomenklatur (KN) gehandelt. Wasserglas sei ein Silikat im Sinne der Position 2839 KN. Entsprechendes gelte für die durch das Verschmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat entstandenen glasförmigen Klumpen. Daher sei auch dieser Herstellungsprozess der NACE-Klasse 24.13 zuzuordnen.
6Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Bei den durch das Verschmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat hergestellten Glasklumpen habe es sich um Glas im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG gehandelt. Es könne nicht darauf ankommen, welcher Verwendung dieses Glas später zugeführt worden sei. Der Anspruch auf die Steuerentlastung sei nicht dadurch nachträglich wieder erloschen, dass sie mit den Glasklumpen Wasserglas hergestellt habe. Ansonsten hätte sie die Glasklumpen auch an eine andere konzernangehörige Gesellschaft veräußern können, welche dann das Wasserglas hätte herstellen können. Nach dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG könne nicht auf die NACE-Klassen, die vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ 2003), das Harmonisierte System (HS) und die KN abgestellt werden. Unbeschadet dessen habe es sich bei den Glasklumpen um Glas oder Glaswaren des Kapitels 70 KN gehandelt. Sie habe für die Herstellung der Glasmasse nicht nur Quarzsand und Natriumcarbonat, sondern auch andere mineralische Ausgangsstoffe verwendet, auch wenn diese für die weitere Verwendung nicht von wesentlicher Bedeutung gewesen seien. Das ergebe sich aus einer am 6. November 2007 erstellten internen Analyse (Bl. 212 GA). Jedenfalls habe sie sonstige mineralische Erzeugnisse der NACE-Klasse 26.8 hergestellt. Da sich eine Steuerbefreiung beihilferechtlich nur für sämtliche mineralogische Verfahren rechtfertigen lasse, könne die Aufzählung der Produkte in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG nicht abschließend sein. Hierfür spreche auch, dass die von ihr betriebene Anlage immissionsschutzrechtlich als solche zur Herstellung von Glas zugeordnet worden sei. Das Umweltbundesamt habe ihr unter dem 7. Dezember 2011 die Zuordnung ihrer Produktionsanlagen zu der NACE-Klasse 26.15 bestätigt. Ferner habe die Europäische Kommission in einem Bericht von 13. Dezember 2017 ausgeführt, dass die Herstellung von Wasserglas und die Herstellung von Glas identisch oder zumindest sehr ähnlich seien (Bl. 250 GA).
7Die Klägerin beantragt,
81. das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung seines Bescheids vom 15. September 2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2017 zu verpflichten, eine Steuerentlastung festzusetzen;
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung trägt es vor: Das von der Klägerin durch das Verschmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat erzeugte Produkt sei ein Natriumsilikat im Sinne der Position 2839 KN und deshalb kein Glas und keine Glasware. Sie habe für die Herstellung des glasartigen Erzeugnisses nicht dasselbe mineralische Ausgangsmaterial verwendet. Die Herstellung von Glas erfordere neben der Verwendung von Quarzsand und Natriumcarbonat die Verwendung noch mindestens eines weiteren mineralischen Ausgangsmaterials. Es komme deshalb nicht mehr darauf an, in welcher Form die glasartige Masse nach dem Schmelzvorgang erkalte.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 15. September 2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Hauptzollamt hat es zu Recht abgelehnt, eine Steuerentlastung festzusetzen.
16Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG wird unter anderem auf Antrag eine Steuerentlastung für nachweislich versteuertes Erdgas gewährt, das von einem Unternehmen des Produzierenden Gewerbes für die Herstellung von Glas und Glaswaren zum Schmelzen der zu ihrer Herstellung verwendeten Vorprodukte verheizt worden ist.
17Ein Anspruch der Klägerin auf eine Steuerentlastung scheitert im Streitfall daran, dass sie durch das Schmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat in den Öfen kein Glas oder keine Glaswaren im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG hergestellt hat. Mit dieser Regelung ist Art. 2 Abs. 4 Buchstabe b 5. Anstrich der Richtlinie 2003/96/EG (RL 2003/96/EG) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. EU Nr. L 283/51) in das nationale Energiesteuerrecht umgesetzt worden. Danach gilt die Richtlinie nicht für mineralogische Verfahren, die gemäß der VO Nr. 3037/90 unter die NACE-Klasse DI 26 "Verarbeitung nichtmetallischer Mineralien" fallen. Daher sind zur Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG die NACE Rev. 1.1 und die WZ 2003 nebst deren Erläuterungen heranzuziehen (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteile vom 9. August 2011 VII R 74/10, BFHE 235, 81 sowie vom 7. August 2012 VII R 35/11, BFH/NV 2013, 382).
18Von der NACE-Klasse 26.15 wird die Herstellung, Veredelung und Bearbeitung von sonstigem Glas einschließlich von technischen Glaswaren erfasst. Die NACE-Klasse 26.15 und die WZ 2003 nebst deren Erläuterungen enthalten keine Angaben dazu, was unter Glas und Glaswaren zu verstehen ist. Nach der Vorbemerkung I. 2.3 Abs. 2 zur WZ 2003 ist es daher zulässig, zur Auslegung das HS und die KN heranzuziehen (vgl. BFH, Urteil vom 24. Februar 2015 VII R 50/13, BFHE 249, 258; im Urteil vom 9. August 2011 VII R 74/10, BFHE 235, 81 hat der BFH das noch offen gelassen).
19Das von der Klägerin durch Vermischen und anschließendes Verschmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat hergestellte Erzeugnis war kein Glas im Sinne des Kapitels 70 KN. Insbesondere handelte es sich hierbei nicht etwa um Bruchglas oder Glasmasse im Sinne der Unterposition 7001 00 KN in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 578/2002 (ABl. EG vom 13. April 2002, Nr. L 97/1) (§ 1a Nr. 2 EnergieStG).
20Glas im Sinne des Kapitels 70 KN ist ein homogenes Gemisch von unterschiedlicher Zusammensetzung aus einem Alkalisilikat (Natrium- oder Kaliumsilikat) mit einem oder mehreren Kalzium- und Bleisilikaten und daneben Barium-, Aluminium-, Mangan- oder Magnesiumsilikaten (Erläuterungen - Erl - (HS) zu Kapitel 70 Randnr. 02.0). Es kann dahinstehen, ob die von der Klägerin in der von ihr übersandten Analyse (Anlage K5, Bl. 212R GA) aufgeführten Parameter überhaupt als andere Kalzium- oder Bleisilikate, Barium-, Aluminium-, Mangan- oder Magnesiumsilikate angesehen werden könnten. Insbesondere muss der Senat nicht dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung wiederholten (B. 211 GA) Beweisantrag nachgehen, dass das von ihr hergestellte Erzeugnis auch weitere mineralische Ausgangsmaterialien enthalten gehabt haben sollte. Bei dem von der Klägerin hergestellten Erzeugnis handelte es sich jedenfalls zolltariflich nur um ein Natriumsilikat, das nicht mit einem oder anderen der vorgenannten Silikate gemischt worden ist. Natriumsilikate im Sinne der Position 2839 KN werden durch Zusammenschmelzen von Sand und Natriumcarbonat oder Natriumsulfat gewonnen (Erl (HS) zu Position 2839 Randnr. 02.1 Satz 1; dort wird ausdrücklich Wasserglas genannt). Das von der Klägerin unter Verwendung von Erdgas hergestellte Erzeugnis wurde durch das Verschmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat hergestellt. Es handelt sich daher bei dem Erzeugnis nicht um Glas im Sinne des Kapitels 70 KN, sondern um ein Natriumsilikat der Position 2839 KN. Das wird bestätigt durch die von der Klägerin im Klageverfahren übersandte interne Analyse vom 6. November 2007 (Anlage K5). Darin wurden auf Seite 2 unter „Messwerte“ die Spezifikationen der „Natriumsilikatstücke“ aufgeführt (Bl. 212 R GA).
21Nach Anmerkung 5 zu Kapitel 70 KN gelten als Glas im Sinne der KN zwar auch geschmolzener Quarz und anderes geschmolzenes Siliciumdioxid (Erl (HS) zu Kapitel 70 Randnr. 17.0). Die Klägerin hat das in Rede stehende Erzeugnis jedoch nicht nur aus geschmolzenem Quarz, sondern durch das Verschmelzen von Quarzsand und Natriumcarbonat hergestellt.
22Der Herstellungsprozess unter Verwendung des versteuerten Erdgases kann auch nicht der NACE-Klasse 26.82 zugeordnet werden. Hierunter fällt die Herstellung von sonstigen Erzeugnissen aus nichtmetallischen Mineralien anderweitig nicht genannt. Der fragliche Herstellungsprozess lässt sich keiner der in der Unterklasse 26.82.0 WZ 2003 aufgeführten Tätigkeiten zuordnen. Darüber hinaus ist die Herstellung von sonstigen anorganischen Grundstoffen und Chemikalien wie Natriumsilikate der Position 2839 KN der NACE-Klasse 24.13 zuzuordnen.
23Das von der Klägerin in einem zweiten Verfahrensabschnitt hergestellte Wasserglas ist gleichfalls ein Natriumsilikat der Position 2839 KN (Erl (HS) zu Position 2939 Randnr. 02.1 Satz 3). Unbeschadet dessen hat die Klägerin selbst vorgetragen, dass sie das Erdgas nicht mehr für die Durchführung des zweiten Verfahrensabschnittes verwendet habe.
24Anders als die Klägerin meint, gebietet das Beihilferecht der Europäischen Union (Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) es nicht, den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG entgegen seinem Wortlaut dahingehend auszulegen, dass die Begünstigung auf alle denkbaren mineralogischen Verfahren ausgedehnt wird. Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten von der durch Art. 2 Abs. 4 Buchstabe b 5. Anstrich RL 2003/96/EG eröffneten Möglichkeit zur steuerlichen Begünstigung mineralogischer Verfahren nur unter Beachtung der beihilferechtlichen Vorgaben Gebrauch machen dürfen, führt nicht dazu, dass ein Wirtschaftsbeteiligter einen unmittelbaren Anspruch auf eine in den nationalen Vorschriften ausdrücklich nicht vorgesehene Steuerentlastung hat. Falls die vom deutschen Gesetzgeber getroffene Maßnahme unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten unionsrechtswidrig sein sollte, könnte der Gesetzgeber die Regelung zur Herstellung eines unionsrechtskonformen Zustandes auch schlicht aufheben, ohne den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a EnergieStG erweitern zu müssen (BFH, Urteil vom 7. August 2012 VII R 35/11, BFH/NV 2013, 382).
25Die immissionsschutzrechtliche Beurteilung der von der Klägerin betriebenen Anlage - auch durch das Umweltbundesamt - entfaltet für die steuerrechtliche Beurteilung des Streitfalls durch den erkennenden Senat keine Bindungswirkung. Der von der Klägerin übersandte Bericht der Europäischen Kommission vom 13. Dezember 2017 bezieht sich gleichfalls nicht auf die steuerrechtliche Beurteilung des Streitfalls, sondern auf gemeinsame Maßnahmen zur Abgasbehandlung in der chemischen Industrie (Bl. 217 GA).
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.