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Der Steuerbescheid vom 20. Oktober 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2016 wird aufgehoben, soweit mehr als 254,04 € Branntweinsteuer festgesetzt worden ist.
Der Steuerbescheid vom 11. Februar 2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2016 wird aufgehoben, soweit mehr als 354,05 € Branntweinsteuer festgesetzt worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin betreibt eine Verschlussbrennerei. Das beklagte Hauptzollamt erteilte ihr eine Erlaubnis, in dem von ihr betriebenen Steuerlager Obstbranntwein herzustellen und unter Steueraussetzung zu lagern.
3Die Klägerin teilte dem beklagten Hauptzollamt mit Schreiben vom 16. Januar 1999 mit, dass sie in ihrer Obstbrennerei im Betriebsjahr 1998/1999 nicht mehr als 4 hl Alkohol erzeugen werde. In dem Zeitraum vom 20. Januar bis zum 26. April 1999 stellte die Klägerin Apfelbranntwein her, der insgesamt 62,9 Liter Alkohol enthielt. Im Betriebsjahr 2000/2001 stellte sie Pflaumenbranntwein her, der insgesamt 60,9 Liter Alkohol enthielt. Den Apfel- und Pflaumenbranntwein übernahm die Klägerin in ihr Steuerlager, wo er zunächst verblieb. Die Mengen des von der Klägerin hergestellten Branntweins wurden vom Hauptzollamt amtlich festgestellt.
4Im September 2015 entnahm die Klägerin von dem im Betriebsjahr 1998/1999 hergestellten Apfelbranntwein 34,8 Liter Alkohol aus ihrem Steuerlager. Hierüber gab sie beim beklagten Hauptzollamt am 9. Oktober 2015 eine Steueranmeldung ab, in der sie unter Anwendung eines Steuersatzes von 730 € je hl Alkohol eine Branntweinsteuer von 254,04 € errechnete. Das beklagte Hauptzollamt setzte die Steuer hiervon abweichend mit Bescheid vom 20. Oktober 2015 auf 453,44 € fest. Dabei wendete es eine Steuersatz von 1.303 € je hl Alkohol an.
5Im Januar 2016 entnahm die Klägerin von dem im Betriebsjahr 2000/2001 hergestellten Pflaumenbranntwein 48,5 Liter Alkohol aus ihrem Steuerlager. Hierüber gab sie beim beklagten Hauptzollamt am 4. Februar 2016 eine Steueranmeldung ab, in der sei unter Anwendung eines Steuersatzes von 730 € je hl Alkohol eine Branntweinsteuer von 354,05 € errechnete. Das beklagte Hauptzollamt setzte die Steuer hiervon abweichend mit Bescheid vom 11. Februar 2016 auf 631,96 € fest. Dabei wendete es eine Steuersatz von 1.303 € je hl Alkohol an.
6Die Klägerin trug mit ihren gegen beide Steuerbescheide eingelegten Einsprüchen vor: Sie habe den Obstbranntwein in der von ihr betriebenen Verschlussbrennerei hergestellt. Sie habe in den fraglichen Betriebsjahren weniger als 4 hl Alkohol hergestellt. Deshalb könne sie den ermäßigten Steuersatz des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (BranntwMonG) beanspruchen.
7Das beklagte Hauptzollamt wies die Einsprüche mit Entscheidung vom 20. April 2016 zurück und führte aus: Die fraglichen Erzeugnisse hätten sich vor der Entstehung der Steuer in einem Steuerlager befunden. Deshalb könne der ermäßigte Steuersatz des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BranntwMonG nicht angewendet werden.
8Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Der ermäßigte Steuersatz des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BranntwMonG sei nicht nur dann anzuwenden, wenn der Branntwein direkt im Anschluss an seine Erzeugung in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werde. Hierfür gebe es keine gesetzliche Grundlage. Sie habe im Vergleich zu Abfindungsbrennereien auch keinen Wettbewerbsvorteil. Sie habe überdies für in den Jahren 2001 und 2004 aus dem Steuerlager entnommenen Alkohol, den sie in der Obstbrennerei hergestellt habe, den ermäßigten Steuersatz in Anspruch genommen, ohne dass das beklagte Hauptzollamt dies beanstandet habe.
9Die Klägerin beantragt,
101. den Steuerbescheid vom 20. Oktober 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2016 aufzuheben, soweit mehr als 254,04 € Branntweinsteuer festgesetzt worden ist;
2. den Steuerbescheid vom 11. Februar 2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2016 aufzuheben, soweit mehr als 354,05 € Branntweinsteuer festgesetzt worden ist.
Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung trägt es vor: Der ermäßigte Steuersatz könne nur im Anschluss an die Abnahme des Branntweins durch die Entnahme des Alkohols in den steuerrechtlich freien Verkehr in Anspruch genommen werden. Werde in einer Verschlusskleinbrennerei gewonnener Alkohol nach der Abnahme in einem Steuerlager unter Steueraussetzung gelagert, könne der ermäßigte Steuersatz nicht angewendet werden, weil der Inhaber des Steuerlagers hierüber monatlich eine Steueranmeldung abzugeben habe. Da die Steuer bei der Gewinnung von Branntwein in Abfindungsbrennereien nach § 143 Abs. 5 BranntwMonG unverzüglich entstehe, wären Verschlusskleinbrennereien erheblich bessergestellt, wenn diese den Alkohol zeitlich unbegrenzt in ein Steuerlager aufnehmen könnten und bei der Entnahme nur der ermäßigte Steuersatz angewendet würde. Deshalb sei die Frist für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach dem Ende des Betriebsjahres abgelaufen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
17Die Klage ist begründet. Der Steuerbescheid vom 20. Oktober 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit mehr als 254,04 € Branntweinsteuer festgesetzt worden ist. Der Steuerbescheid vom 11. Februar 2016 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. April 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit mehr als 354,05 € Branntweinsteuer festgesetzt worden ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
18Die Steuer ist im Streitfall in der Person der Klägerin nach § 143 Abs. 1 und 2 Nr. 1 und Abs. 6 Nr. 1 BranntwMonG, das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2010 (BGBl. I, 2221) geändert worden ist, in den Monaten September 2015 und Januar 2016 durch die Entnahme des Branntweins aus dem Steuerlager entstanden. Die Steuer ist nicht schon mit der Gewinnung des Branntweins in den Betriebsjahren 1998/1999 und 2000/2001 entstanden. § 136 Abs. 2 BranntwMonG, das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 26. Mai 1998 (BGBl. I, 1121) geändert worden ist (BranntwMonG a.F.), gilt hier nicht. Der in Rede stehende Branntwein wurde nicht unter Abfindung (§ 57 BranntwMonG) gewonnen. Der Branntwein wurde vielmehr in der Verschlussbrennerei (§ 34 BranntwMonG) der Klägerin gewonnen.
19Die Klägerin kann die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BranntwMonG beanspruchen. Nach dieser Bestimmung ermäßigt sich die Steuer zum Ausgleich der in einer Abfindungsbrennerei zulässigen steuerfreien Überausbeute für Branntwein, der in einer Verschlusskleinbrennerei (§ 34 BranntwMonG) mit einer Jahreserzeugung bis 4 hl Alkohol gewonnen ist, auf 730 € je hl Alkohol. Der in Rede stehende Branntwein ist unstreitig in der von der Klägerin betriebenen Verschlussbrennerei gewonnen worden. Dies ergibt sich auch aus dem Vermerk eines Beamten des Hauptzollamts A-Stadt über eine bei der Klägerin am 29. März 2016 durchgeführte Steueraufsichtsmaßnahme (Bl. 40 der Verwaltungsakte). Die Klägerin hat zudem unstreitig jeweils weniger als 4 hl Alkohol jährlich erzeugt. Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 131 Abs. 2 Satz 2 BranntwMonG für die Steuerermäßigung des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BranntwMonG liegen gleichfalls vor. Danach ist die Steuerermäßigung insbesondere auf den Erzeuger beschränkt. Die Klägerin als Steuerschuldnerin (§ 143 Abs. 6 Nr. 1 BranntwMonG) hat den fraglichen Branntwein in der von ihr betriebenen Obstbrennerei selbst hergestellt.
20Die vom beklagten Hauptzollamt vertretene Auffassung, der ermäßigte Steuersatz könne nur im Anschluss an die Abnahme des Branntweins durch die Entnahme des Alkohols in den steuerrechtlich freien Verkehr und nicht auch im Anschluss an die Entnahme aus einem Steuerlager in Anspruch genommen werden, findet im Gesetz keine Grundlage. Eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs des ermäßigten Steuersatzes lässt sich § 131 Abs. 2 BranntwMonG nicht entnehmen. Insbesondere kann eine derartige Einschränkung nicht aus dem in § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BranntwMonG vorhandenen Zusatz abgeleitet werden, dass der ermäßigte Steuersatz „zum Ausgleich der in einer Abfindungsbrennerei zulässigen steuerfreien Überausbeute“ gewährt wird. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Hinweis des Gesetzgebers auf seine Beweggründe für die Gewährung der Steuerermäßigung des § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BranntwMonG.
21§ 144 BranntwMonG (§§ 137, 138 BranntwMonG a.F.) enthält lediglich Regelungen über die Steueranmeldung, die Steuerfestsetzung und die Fälligkeit der Steuer. Den Bestimmungen dieser Vorschrift lassen sich daher gleichfalls keine Einschränkungen des Anwendungsbereichs des ermäßigten Steuersatzes des § 131 Abs. 2 BranntwMonG entnehmen.
22In der Dienstvorschrift der Bundesfinanzverwaltung zum Alkoholsteuerrecht (VSF V 22 01-1) wird zwar unter Randnr. 3.1.3.4 die Auffassung vertreten, dass der ermäßigte Steuersatz von dem Erzeuger nur bei der unmittelbaren Entnahme des Alkohols aus der Verschlusskleinbrennerei in den steuerrechtlich freien Verkehr in Anspruch genommen werden könne. Eine gesetzliche Grundlage hierfür ist indes nicht ersichtlich.
23Aus Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. EG Nr. L 316/21) ergibt sich nichts anderes. Danach können die Mitgliedstaaten Regelungen vorsehen, wonach der Alkohol von kleinen Erzeugern - sofern diese selbst kein innergemeinschaftliches Geschäft tätigen - schon mit seiner Gewinnung außerhalb des Steuerlagerverfahrens in den freien Verkehr tritt und abschließend einer Pauschalbesteuerung unterworfen wird. Unbeschadet dessen, dass der deutsche Gesetzgeber jedenfalls für den Streitfall hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, ist der in Rede stehende Branntwein nicht außerhalb eines Steuerlagerverfahrens in den freien Verkehr getreten.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.