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Die Beklagte wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24.08.2018 verpflichtet, im Wege der Billigkeit dem Kläger einen Betrag von 25.380 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
2Die Beteiligten streiten über die Frage, ob eine Kindergeldrückforderung aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 227 der Abgabenordnung –AO- erlassen werden kann bzw. muss.
3Mit mangels Anfechtung rechtskräftig gewordenem Urteil des hiesigen Gerichts vom 04.07.2018 (Az. 2 K 2129/17 Kg) wurde die Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 21.06.2016, geändert durch Bescheid vom 27.06.2018, abgewiesen. Mit diesem Bescheid war die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers für seine drei Kinder für den Zeitraum 01.07.2005 bis 31.12.2009 aufgehoben und der Betrag (zzgl. Nebenleistungen) von insgesamt 25.380 EUR von ihm zurückgefordert worden. Der erkennende 2. Senat führte in seinem Urteil u. a. aus, dass der Kläger – mangels wahrer Angabe einer fortdauernden Haushaltszugehörigkeit seiner Kinder - sowohl eine Steuerhinterziehung als auch eine leichtfertige Steuerverkürzung begangen habe; ob auf die Rückforderung im Hinblick auf die Weiterleitungserklärungen der Kindesmutter im Billigkeitswege verzichtet werden könne, müsse die Beklagte in einem gesonderten Verfahren entscheiden.
4Im Strafverfahren gegen den Kläger war schon zuvor, am 21.12.2016, eine Geldbuße von 300 EUR wegen (bloßer) Leichtfertigkeit festgesetzt worden; einen Vorsatz verneinte die Behörde im Hinblick auf die notariell verpflichtende und auch erfüllte Weiterleitung des Kindergeldes an die Kindesmutter.
5Bereits am 26.07.2016, mit Begründung des Einspruchs gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid, hatte der Kläger einen Antrag auf Erlass der Rückforderung aus Billigkeitsgründen gestellt. Der Kläger hatte darauf verwiesen, sich mit notarieller Urkunde vom 17.10.2003 – also noch vor Aufgabe des gemeinsamen Haushalts mit den Kindern (bis 2005 getrenntes Wohnen der Eltern im selben Haus in Z-Stadt mit jeweils gleichberechtigtem Kontakt zu den Kindern) – der Kindesmutter gegenüber verpflichtet zu haben, das an ihn gezahlte Kindergeld an sie weiterzuleiten, nebst den sonstigen Unterhaltszahlungen. Dies habe er stets erfüllt, wie seine damalige Ehefrau mit der umfassenden Weiterleitungserklärung bestätigt habe; diese sehe ihre sämtlichen Ansprüche als erfüllt an. Zudem habe die Beklagte das Auftreten der Verjährungsproblematik mitverschuldet. Obwohl er ihr am 06.05.2011 mitgeteilt habe, seine Wohnung in Y-Stadt aufgegeben zu haben und ins Ausland umgezogen zu sein, habe die Beklagte weder Fragen zu einem Wohnort in Y-Stadt gestellt (vorheriger Haushalt war in Z-Stadt) noch die laufende Kindergeldzahlung eingestellt. Mangels Entscheidung über den Erlassantrag legte der Kläger am 04.07.2018 einen Untätigkeitseinspruch ein. Daraufhin erließ die Beklagte am 24.08.2018 eine Einspruchsentscheidung, mit der sie den Einspruch als unbegründet zurückwies. Sachliche Billigkeitsgründe seien zu verneinen; die vom Kläger gerügte Nichtreaktion der Familienkasse betreffe nicht den hier streitigen Zeitraum (bis 31.12.2009). Auch persönliche Billigkeitsgründe lägen nicht vor, weil eine wirtschaftliche Existenzgefährdung schon angesichts der zeitnahen Rückzahlung der Forderung – die der Kläger unstreitig in Höhe der Klagesumme von 25.380 EUR vorgenommen hat - zu verneinen sei.
6Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte habe sich mit seinen Ausführungen in keiner Weise auseinander gesetzt, so dass ein Ermessensnichtgebrauch oder zumindest ein Ermessensfehlgebrauch vorliege; hier sei sogar eine Ermessensreduktion auf Null zu seinen Gunsten anzunehmen. In der Sache ergänzt der Kläger, in seiner Laiensphäre geglaubt zu haben, mit der notariellen Regelung zur Weiterleitung des Kindergeldes an seine damalige Frau allen Pflichten genügt zu haben. Der Gesetzgeber hätte für hier streitige Frage – wenn er sie denn gesetzlich geregelt hätte – mutmaßlich einen Erlass vorgesehen. Das Kindergeld sei den Kindern uneingeschränkt zugutegekommen. Die anspruchsberechtigte Kindesmutter habe mit der Weiterleitungserklärung die Erfüllung ihrer Forderungen bestätigt und könne schon wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung keine Ansprüche mehr geltend machen. Angesichts der notariellen Vereinbarung scheide auch eine Rückforderung des Klägers gegenüber der Empfängerin aus.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24.08.2018 zu verpflichten, dem Kläger einen Betrag von 25.380 EUR nebst Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen, und hilfsweise, die Beklagte zur Neubescheidung des Billigkeitsantrags vom 26.07.2018 zu verpflichten.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Die Beklagte nimmt Bezug auf die Einspruchsentscheidung, die ermessensfehlerfrei sei. Ohnehin hätte der Kläger das Urteil des 2. Senats anfechten können, dies aber unterlassen. Sie ergänzt, weder aus der Weiterleitungserklärung noch aus der notariellen Verpflichtung ergäben sich abweichende Gesichtspunkte. Angesichts der Weiterleitung habe die Kindesmutter ohnehin keinen Anlass gehabt, Kindergeld bei der Beklagten zurückzufordern. Die notarielle Vereinbarung habe, da privatrechtlich einzuordnen, keinen Einfluss auf die steuerrechtliche Beurteilung.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
13Der Senat entscheidet im Einvernehmen mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO-.
14Soweit sich die Klage auf die Zahlung der Prozesszinsen richtet, ist sie unzulässig.
15Da die Finanzbehörden ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen nach § 236 AO im Allgemeinen von sich aus nachkommen, besteht für ein auf Zahlung von Prozesszinsen gerichtetes gerichtliches Leistungsbegehren ein besonderer Anlass zur Prüfung, ob ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist. Der Kläger muss insoweit darlegen, dass und aus welchen Gründen das FA seiner Zinszahlungspflicht nicht nachkommen will. Derartige Umstände sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
16Die im Übrigen zulässige Klage ist mit ihrem Hauptantrag begründet.
17Die angefochtene Ermessensentscheidung der Beklagten über die Frage des Billigkeitserlasses ist ermessensfehlerhaft i. S. von §§ 101 Satz 1, 102 Satz 1 FGO – auch noch nach Ergänzung der Ermessenserwägungen gemäß § 102 Satz 2 FGO. Da zugleich ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, spricht der Senat die antragsgemäße Verpflichtung der Beklagten aus, § 101 Satz 2 FGO.
18Gemäß § 227 AO können bereits entrichtete Kindergeldrückforderungsbeträge erstattet werden, wenn die Einziehung nach Lage des Falls unbillig wäre. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Behörde, sodass sie von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann. Diese dürfen die Ermessensentscheidung nur auf Ermessensfehler hin überprüfen (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüber- oder –unterschreitung). Ein Ermessensfehler liegt etwa vor, wenn die Behörde nicht sämtliche Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt hat, die nach dem Gesetzeszweck maßgebend sind (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH- vom 19.04.2012 III R 85/09, Bundessteuerblatt –BStBl- II 2013, 19). Das ist vorliegend der Fall.
19Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen gemäß § 227 AO ist anzunehmen, wenn zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand ein Anspruch aus dem Steuerverhältnis besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist und deshalb den Wertungen des Gesetzgebers zuwider läuft (etwa BFH-Urteil vom 15.10.1998 IV R 69/97, Der Betrieb –DB- 1999, 29). In dieser Hinsicht und Bezug nehmend auf diese Rechtsprechung hat der Kläger vorgetragen, dass zwar die Voraussetzungen der Rückforderung im Hinblick auf den Wegfall der Haushaltsgemeinschaft mit den Kindern objektiv erfüllt seien – und dies (jedenfalls lt. Urteil des 2. Senats) auch in der verlängerten Verjährungsfrist. Indes laufe hier eine Rückforderung den gesetzlichen Wertungen zuwider, weil das Kindergeld den Kindern unstreitig zugutegekommen und die Zahlungsverpflichtung der Beklagten trotz Auszahlung an ihn, den Kläger, endgültig erloschen sei; die Kindesmutter habe dem Kläger gegenüber einen notariell gesicherten Anspruch und habe mit der Weiterleitungserklärung auf Kindergeldansprüche gegenüber der Beklagten ausdrücklich verzichtet.
20Mit dieser zur Frage der sachlichen Unbilligkeit einschlägigen Argumentation hat sich die Beklagte in der Einspruchsentscheidung, wie der Kläger zu Recht geltend macht, in keiner Weise auseinandergesetzt; Erwägungen hierzu fehlen gänzlich. Der dort von der Beklagten einzig aufgegriffene Punkt des ihr vorgehaltenen etwaigen eigenen Ermittlungsdefizits (keine Wohnortrecherche nach Mitteilung des Klägers vom 06.05.2011) liegt, wie sie selbst ausführt, außerhalb des Streitzeitraums.
21Die Beklagte hat die unterlassenen Ermessenserwägungen auch nicht wirksam i. S. von § 101 Satz 2 FGO mit der Klageerwiderung nachgeholt. Die Vorschrift erlaubt nur Ergänzungen, also Nachbesserungen der zuvor angestellten Ermessenserwägungen; die Behörde darf nicht etwa wesentliche Teile der Ermessensentscheidung austauschen oder nachträglich nachschieben (BFH-Urteil vom 01.07.2008 II R 2/07, BStBl II 2008, 897). Diese Grenze ist mit den Ausführungen der Beklagten in der Klageerwiderung schon deshalb überschritten, weil sie dort erstmals Ausführungen zur sachlichen Billigkeit gemacht hat (ohne die Fragen der Weiterleitung und der notariellen Vereinbarung allerdings entsprechend thematisch zuzuordnen). Ohnehin setzen sich auch diese neuen Darlegungen nicht mit dem Klagevorbringen auseinander. Dass die Kindesmutter im Nachhinein einen Anspruch nicht mehr geltend machen könne, ist gerade ein Argument des Klägers selbst, das die Beklagte hier nur aufgreift, ohne hierzu Ermessensüberlegungen anzustellen. Dass die notarielle Vereinbarung zivilrechtlicher Natur sei – so die Beklagte weiter -, ist als Tatsache zutreffend, stellt aber ebenfalls keine Erörterung der vom Kläger angesprochenen Frage der sachlichen Unbilligkeit gemäß § 227 AO dar.
22Bereits aus vorstehenden Ausführungen wäre der Hilfsantrag des Klägers auf eine Verpflichtung der Beklagten zur (erstmaligen) Ermessensausübung erfolgreich.
23Darüber hinaus ist indes nach den Gesamtumständen ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung auf Null dergestalt anzunehmen, dass allein die Erstattung des bereits vom Kläger entrichteten Rückzahlungsbetrages von 25.380 EUR ermessensgerecht ist.
24Dem steht zur Überzeugung des Senats nicht etwa von vornherein die höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen, dass Steuern, die bestandskräftig festgesetzt sind, nur dann im Billigkeitsverfahren sachlich überprüft werden können, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen deren Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (etwa BFH-Urteil vom 08.03.2001 V R 61/97, BStBl II 2004, 373). Hier war zwar die Aufhebung und Rückforderung des Kindergeldes als solche nicht etwa eindeutig unrichtig; der Kläger selbst hatte lediglich die verlängerte Verjährungsfrist in Frage gestellt, die er aber zwischenzeitlich akzeptiert. Vorliegend geht es indes nicht um diese (rechtskräftige) Aufhebung der Kindergeldfestsetzung (nebst daraus resultierender Rückforderung), sondern um die sich daran erst anschließende, also sich auf der nächsten Stufe stellende Frage, ob die Erhebung des festgesetzten Betrages aus zusätzlichen, mit der eigentlichen Kindergeldfestsetzung nicht zusammenhängend Gründen sachlich unbillig sein könnte. Zudem war dem Kläger eine Anfechtung des Urteils des 2. Senats nicht zumutbar i. S. der genannten Rechtsprechung, weil das Gericht selbst in den Entscheidungsgründen den Kläger ausdrücklich auf das Billigkeitsverfahren verwiesen hatte.
25Die Geltendmachung der Rückforderung läuft nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls den Wertungen des Gesetzgebers zuwider. Aus den vom Kläger überzeugend dargelegten Gründen ist das Ziel des Gesetzes, Betreuung und Erziehung des Kindes zu sichern sowie darüber hinaus gehend die Familie zu fördern (vgl. BFH-Beschluss vom 14.08.2012 III B 58/12, Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2012, 1977), hier uneingeschränkt und endgültig erreicht worden. Das Kindergeld ist unstreitig an die materiell anspruchsberechtigte Kindesmutter gelangt und den Kindern zugutegekommen. Im Hinblick auf die klägerseits angeführten Umstände – notarielle Vereinbarung, Weiterleitungserklärung, Verjährung etwaiger mütterlicher Ansprüche – ist dieser Zustand auch auf Dauer gewährleistet.
26Schon allein aufgrund der Weiterleitungserklärung ist die Beklagte nicht dem Risiko der doppelten Inanspruchnahme ausgesetzt; die Kindesmutter hat auf amtlichem Vordruck den Erhalt des Geldes für den gesamten streitigen Zeitraum bestätigt und die Erfüllung ihrer Ansprüche anerkannt (vgl. BFH-Urteil vom 14.05.2002 VIII R 64/00, Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV- 2002, 1425). Zwar ist es nicht Aufgabe der Familienkassen, Unterhaltsvereinbarungen und –zahlungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten zu prüfen, zu berücksichtigen und zivilrechtlich zu beurteilen. Vielmehr ist es bei Wechsel der Anspruchsberechtigung die Sache der Elternteile, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privatrechtlichem Wege auszugleichen. Es ist insoweit nicht sachwidrig, nur bei Vorlage einer sog. Weiterleitungserklärung von einer Rückforderung abzusehen (BFH a.a.O.) – die hier indes unstreitig umfassend abgegeben ist.
27Eine Erhebung des Rückforderungsbetrages beim Kläger, trotz bereits eingetretener gesetzlicher Zielerreichung, würde zudem allein die Beklagte begünstigen – die dann letztlich von ihrer unzweifelhaft bestehenden Kindergeldverpflichtung ohne eigene wirtschaftliche Belastung frei geworden wäre; der Staat hätte sich jegliche Leistung für die Kinder erspart, obwohl die Anspruchsvoraussetzungen nach §§ 62 ff. EStG vorlagen. Umgekehrt betrachtet, hat die Beklagte bei Ausspruch eines Billigkeitserlasses keinerlei eigenen Vermögensnachteil – im Unterschied etwa zu den in der Rechtsprechung vielfach diskutierten Fällen einer Billigkeitsentscheidung der Familienkasse wegen um das Kindergeld gekürzter Sozialleistungen (vgl. hierzu etwa Urteil des FG Düsseldorf vom 24.02.2011 16 K 2050/09 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG- 2011, 1489).
28Die Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem EStG (DA-KG) regelt im VII. Abschnitt V 36, dass zur Verfahrensvereinfachung bei Vorliegen einer wirksamen Weiterleitungserklärung die Rückforderung und die erneute Auszahlung des Kindergeldes unterbleiben sollen; die Vereinfachung sei eine Billigkeitsmaßnahme. Diese Verwaltungsanweisung – in Gestalt einer sog. Ermessensrichtlinie - darf wegen ihrer Rechtsform (kein Gesetzescharakter) von den Gerichten nicht selbst ausgelegt, sondern nur darauf überprüft werden, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist; die gerichtliche „Auslegung“ hat so zu erfolgen, wie die Verwaltung sie verstanden wissen will (BFH-Urteil vom 01.07.2003 VIII R 80/00, BFH/NV 2004, 23). Die Gerichte können also die Behörden nicht zwingen, etwa das Weiterleitungsverfahren auf Fälle anzuwenden, die nach deren Auffassung nicht von der Verwaltungsanweisung gedeckt sind (BFH-Beschluss vom 13.06.2012 III B 60/11, BFH/NV 2013, 517). Andererseits ist es den Finanzbehörden verwehrt, die Anwendung einer Ermessensrichtlinie in einem Fall, der von der Richtlinie gedeckt ist, ohne triftige Gründe abzulehnen. Insoweit hat der Steuerpflichtige einen auch von den Finanzgerichten zu beachtenden Rechtsanspruch, nach Maßgabe der Ermessensrichtlinie behandelt zu werden (BFH-Beschluss vom 28.11.2016 GrS 1/15, BStBl II 2017, 393 m.w.N. zu ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften). Dies gilt wegen der Bindung der Gerichte an die gesetzlichen Vorschriften und der gemäß § 102 Satz 1 FGO in jedem Fall gebotenen Rechtsprüfung allerdings nur, soweit die Ermessensrichtlinie eine ausreichende Rechtsgrundlage hat und sie der Gesetzeslage nicht widerspricht – was hier indes nach obigen Ausführungen sämtlich zu bejahen ist.
29Nach diesen Grundsätzen hat die Verwaltung mit den genannten Regelungen in der DA-KG die für den Billigkeitserlass entscheidenden Ermessenserwägungen festgeschrieben und damit deren Ermessen auf Null reduziert.
30Die Beklagte selbst hat die zitierte Verwaltungsregelung fehlerhaft gar nicht in ihre ablehnende Argumentation zur Billigkeit aufgenommen. Sie betrachtet zwar die Weiterleitungserklärung als wirksam, hat indes darauf nur - zumal erstmals im Klageverfahren - die (unstreitige und vom Kläger selbst argumentativ angeführte) Feststellung gestützt, dass die Kindesmutter keinen Anlass zur Rückforderung (gemeint vermutlich: erstmaligen Anforderung) habe.
31Die zitierte ermessenslenkende Verwaltungsanweisung sieht ermessensreduzierend indes gerade die hier vom Kläger geltend gemachte Billigkeitsregelung vor – wie auch von der Beklagten selbst für die Zeiträume der normalen vierjährigen Verjährungsfrist außergerichtlich durch Abhilfe umgesetzt. Eine Differenzierung danach, ob die Vereinfachungsregelung (abgekürzter Zahlungsweg, vgl. BFH-Urteil vom 22.09.2011 III R 82/08, BStBl II 2012, 734) Zeiträume mit normaler oder – wie hier - mit verlängerter Verjährungsfrist betrifft, enthält die DA-KG in keiner Weise. Auch der Umstand, dass der Kläger seine Mitwirkungspflichten nach § 68 EStG verletzt hat (keine zeitnahe Nachricht über die Beendigung der Haushaltsgemeinschaft mit den Kindern), steht dem Klageerfolg nicht entgegen. Dieser Gesichtspunkt hat in der Ermessensrichtlinie keinen Niederschlag gefunden.
32Die Ermessensreduzierung ist auch nicht etwa im Hinblick darauf zu verneinen, dass dem Kläger eine Steuerhinterziehung (so der 2. Senat bzw. dort letztlich offen gelassen) oder Steuerverkürzung (so die Strafbehörde) anzulasten ist und die Beklagte (gerade bzw. nur) für die Zeit der normalen Verjährungsfrist die Weiterleitungserklärung zum Anlass für einen Billigkeitserlass genommen hat. Abgesehen davon, dass dem Verschulden des Klägers mit der strafrechtlichen Entscheidung (hier: Verhängung einer Geldbuße) hinreichend Rechnung getragen ist, hat auch dieser Gesichtspunkt keinen Eingang in die DA-KG gefunden.
33Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.