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Der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 28.03.2017 in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung vom 14.06.2018 wird dahingehend geändert, dass bei den Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit ein Gewinn i.H.v. 124.931 Euro angesetzt wird.
Die Berechnung des festzusetzenden Steuerbetrages wird dem Beklagten übertragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist die zeitliche Zuordnung einer Umsatzsteuervorauszahlung streitig.
3Die Kläger werden im Streitjahr 2015 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S.v. § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Den Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG. Für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen und die Entrichtung der Umsatzsteuervorauszahlungen war ihm eine Dauerfristverlängerung um einen Monat gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV) gewährt worden.
4Die am 10.02.2016 fällige Umsatzsteuervorauszahlung für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2015 i.H.v. 6.598,83 Euro zahlte der Kläger am 06.01.2016 und erfasste die Zahlung in der Gewinnermittlung des Streitjahres 2015 als Betriebsausgabe.
5Im Einkommensteuerbescheid des Streitjahres vom 28.03.2017 erkannte der Beklagte die Umsatzsteuervorauszahlung für Dezember 2015 nicht als Betriebsausgabe des Streitjahres an und erhöhte den Gewinn um 6.598 Euro auf 131.529 Euro.
6Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Teileinspruchsentscheidung vom 14.06.2018) haben die Kläger am 16.07.2018 bei dem Beklagten die vorliegende Klage angebracht.
7Sie machen geltend, die Umsatzsteuervorauszahlung für Dezember 2015 sei gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG als Betriebsausgabe des Streitjahres zu berücksichtigen. Die Zahlung, die wirtschaftlich dem Jahr 2015 zuzuordnen sei, sei innerhalb kurzer Zeit, nämlich innerhalb von 10 Tagen nach Ende des Jahres 2015, gezahlt worden. Dass die Fälligkeit der Zahlung nicht innerhalb des kurzen Zeitraums gelegen habe, sei irrelevant. Dies werde gesetzlich nicht gefordert.
8Die Kläger beantragen,
9den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 28.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.06.2018 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit ein Gewinn i. H. von 124.931 Euro angesetzt wird,
10hilfsweise, die Revision zuzulassen.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen,
13hilfsweise, die Revision zuzulassen.
14Unter Einbeziehung der Ausführungen in der Teileinspruchsentscheidung macht er geltend, § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG greife nur, wenn die Zahlung innerhalb eines kurzen Zeitraums von bis zu 10 Tagen nach Ende des Kalenderjahres der wirtschaftlichen Zugehörigkeit fällig und geleistet werde. Nur bei Fälligkeitsterminen um die Jahreswende könnten sich bei kurzfristigen Zahlungsabweichungen zufällige Verschiebungen ergeben. Aufgrund der gewährten Dauerfristverlängerung handele es sich bei der Umsatzsteuervorauszahlung für Dezember 2015 um eine Ausgabe, die regelmäßig erst im Februar des nächsten Jahres abfließe und vorliegend nur ausnahmsweise bereits innerhalb kurzer Zeit nach Ablauf des Kalenderjahres geleistet worden sei.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17A. Die Klage ist begründet.
18Der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 28.03.2017 in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung vom 14.06.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
19Der Beklagte hat den Gewinn des Klägers aus selbständiger Arbeit zu Unrecht um die am 06.01.2016 geleistete Umsatzsteuervorauszahlung für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2015 erhöht. Die Vorauszahlung stellt eine Betriebsausgabe des Jahres 2015 dar.
20I. Im Rahmen der Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG sind Betriebsausgaben gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Als Ausnahme von diesem Grundsatz sieht § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG für gewisse Fälle eine periodengerechte Berücksichtigung von Ausgaben vor. Danach gelten regelmäßig wiederkehrende Ausgaben, die beim Steuerpflichtigen kurze Zeit vor oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, abgeflossen sind, als in diesem Kalenderjahr angefallen. Als "kurze Zeit" gilt ein Zeitraum von bis zu 10 Tagen (vgl. BFH, Urteil vom 11.11.2014 VIII R 34/12, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 247,432, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2015, 285).
21II. Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG für eine Zuordnung der im Januar 2016 gezahlten Umsatzsteuervorauszahlung für Dezember 2015 zum Streitjahr 2015 erfüllt.
221. Umsatzsteuervorauszahlungen sind regelmäßig wiederkehrende Ausgaben (vgl. BFH, Urteil vom 01.08.2007 XI R 48/05, BFHE 218, 372, BStBl II 2008, 282). Die streitgegenständliche Vorauszahlung für Dezember 2015 ist wirtschaftlich dem Kalenderjahr 2015 zuzuordnen. Sie beruht auf Leistungen, die der Kläger im Jahr 2015 erbracht hat, bzw. auf Zahlungen, die er im Jahr 2015 erhalten hat. Sie ist am 06.01.2016, mithin innerhalb kurzer Zeit nach Ablauf des Kalenderjahres 2015, gezahlt worden.
232. Die Zuordnung der Zahlung zum Kalenderjahr 2015 scheitert auch nicht daran, dass ihre Fälligkeit infolge der nach § 46 UStDV gewährten Dauerfristverlängerung erst am 10.02.2016 und damit außerhalb der „kurzen Zeit“ i.S.v. § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG eintrat.
24a) Seinem Wortlaut nach stellt § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG allein auf die wirtschaftliche Zuordnung der regelmäßig wiederkehrenden Ausgaben zu einem Kalenderjahr sowie auf den Zeitpunkt ihres Abflusses bei dem Steuerpflichtigen ab. Zu welchem Zeitpunkt die Zahlung fällig (geworden) ist, ist hiernach nicht relevant.
25b) Der Anwendungsbereich der Norm ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht im Wege einer teleologischen Reduktion auf die Fälle zu beschränken, in denen der Fälligkeitszeitpunkt der Zahlung innerhalb der „kurzen Zeit“ i.S.v. § 11 EStG liegt.
26aa) Eine Fälligkeit kurz vor Beginn oder nach Ende des Kalenderjahres der wirtschaftlichen Zugehörigkeit der Ausgaben wird allerdings sowohl in der Rechtsprechung als auch in der steuerrechtlichen Literatur weit überwiegend als einschränkende Voraussetzung für eine vom tatsächlichen Zahlungsjahr abweichende Zuordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG erachtet (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 24.07.1986 IV R 309/84, BFHE 147, 419, BStBl II 1987, 16; vom 01.08.2007 XI R 48/05, BFHE 218, 372, BStBl II 2008, 282; vom 11.11.2014 VIII R 34/12, BFHE 247, 432, BStBl II 2015, 285, und vom 24.08.2017 VI R 58/15, BFHE 259, 321, BStBl II 2018, 72; FG Thüringen, Urteil vom 27.01.2016 3 K 791/15, EFG 2016, 1425; FG Sachsen, Urteil vom 30.11.2016 2 K 1277/16, EFG 2017, 227; FG München, Gerichtsbescheid vom 07.03.2018 13 K 1029/16, EFG 2018, 1033; Martini in Blümich, EStG, Kommentar, § 11 Rz. 39; Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Kommentar, § 11 Anm. 81; Kube/Schomäcker in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11 Rz. B 34; Krüger in Schmidt, EStG, 38. Auflage, Kommentar, § 11 Rz. 40, 27; Korff, Deutsche Steuer-Zeitung – DStZ – 2016, 978; a.A. Steck, DStZ 2016, 652).
27Hiernach gebiete der Ausnahmecharakter der Vorschrift eine restriktive Auslegung. Es sollten lediglich Zufallsergebnisse bei kurzfristigen Zahlungsverschiebungen vermieden und nicht die Grundsätze der Bilanzaufstellung auf die Auslegung von § 11 EStG übertragen werden (vgl. hierzu BFH, Urteile vom 09.05.1974 VI R 161/72, BFHE 112, 373, BStBl II 1974, 547, und vom 24.07.1986 IV R 309/84, BFHE 147, 419, BStBl II 1987, 16).
28Das FG Köln (Urteil vom 24.09.2015 15 K 3676/13, EFG 2016, 230, betreffend regelmäßig wiederkehrende Einnahmen) und das FG Sachsen (Urteil vom 22.11.2016 3 K 1092/16, EFG 2017, 1081, unter Bezugnahme auf BFH, Urteil vom 23.09.1990 IV R 1/99, BFHE 190, 335, BStBl II 2000, 121) haben ihren Entscheidungen demgegenüber allein den Wortlaut der Norm zu Grunde gelegt. Der 10. Senat des BFH hat die Frage nach dem Fälligkeitserfordernis innerhalb des Zehn-Tages-Zeitraums zuletzt ausdrücklich dahinstehen lassen (BFH, Urteile vom 27.06.2018 X R 44/16, BFHE 262, 97, BStBl II 2018, 781, und X R 2/17, BFH/NV 2018, 1286).
29bb) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist – auch unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Vorschrift – eine den Gesetzeswortlaut einschränkende Auslegung von § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG nicht vorzunehmen.
30Dass es bei Anwendung der Vorschrift zu einer systematischen Annäherung der Einkünfteermittlung nach dem Zu- und Abflussprinzip an die Grundsätze der Bilanzaufstellung kommt, ist der gesetzlichen Regelung immanent. Einer zu weit gehenden Ausdehnung dieser Grundsätze steht aber bereits der auf Ausnahmefälle begrenzte Gesetzeswortlaut entgegen. Nur regelmäßig wiederkehrende Ausgaben und diese auch nur bei Zahlung innerhalb eines kurzen Zeitraums vor Beginn oder nach Ende des Kalenderjahres ihrer wirtschaftlichen Zugehörigkeit können gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 EStG zu einer systematischen Abkehr vom Zu- und Abflussprinzip führen.
31Eine weitergehende Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm ist nach Auffassung des Senats nicht geboten. Eine solche Notwendigkeit ergibt sich insbesondere nicht mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers, der bei Einführung der Regelung in § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG 1934 bewusst nicht mehr – wie noch zuvor in § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG 1925 – auf die Fälligkeit, sondern nur noch auf den Zu- oder Abfluss der Einnahmen bzw. Ausgaben abgestellt hat (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 23.09.1999 IV R 1/99, BFHE 190, 335, BStBl II 2000, 121; Becker, Die Grundlagen der Einkommensteuer, 1940, § 37). Insoweit ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass es dem gesetzgeberischen Willen entsprach, mit der Regelung allein kurzfristige Zahlungsabweichungen vom eigentlichen Fälligkeitstermin zu erfassen.
32B. Die Berechnung des festzusetzenden Steuerbetrages hat das Gericht dem Beklagten gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
33C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
34D. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.