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Unter Aufhebung des Bescheides vom 9.1.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 2.8.2018 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Kindergeld in gesetzlicher Höhe für seinen Sohn A von November 2016 bis einschließlich August 2018 zu bewilligen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Der Kläger bezog zunächst fortlaufend Kindergeld für seinen Sohn A (geb. 1995). In einem Kindergeldantrag vom 26.6.2013 gab der Kläger an, sein Sohn werde eine Berufsausbildung vom 1.8.2013 bis 31.7.2016 absolvieren.
3A durchlief im Rahmen seiner Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten bei der Stadt B vom 1.8.2013 bis 16.6.2016 den Verwaltungslehrgang I. Die Ausbildung endete mit dem Bestehen der Prüfung am 16.6.2016. Der Sohn wurde mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden übernommen. Die Stadt B meldete den Sohn am 3.8.2016 zum nächstmöglichen Termin für den Verwaltungslehrgang II zum Verwaltungsfachwirt bei dem Studieninstitut () ab November 2016 an. Ausweislich einer Schulbescheinigung bietet der Lehrgang eine vertiefende Weiterbildung für Fachkräfte der Verwaltung, die als Verwaltungsfachangestellte ausgebildet worden sind, um die Teilnehmer für eine qualifizierte Sachbearbeitung und die Übernahme von Führungsaufgaben zu befähigen. Der Unterricht wird Freitags sowie jeden zweiten Samstag erteilt. Zusätzlich findet in den Herbst- und Osterferien ganztägiger Blockunterricht statt. Dieser Verwaltungslehrgang umfasst insgesamt 1050 Stunden Unterricht und wird bis voraussichtlich Juni/Juli 2019 dauern.
4Mit Bescheid vom 9.1.2018 lehnte die Familienkasse einen Antrag des Klägers vom 27.12.2017 auf Gewährung von Kindergeld ab November 2016 ab. Der hiergegen erhobene Einspruch des Klägers wurde mit Einspruchsentscheidung vom 2.8.2018 als unbegründet zurückgewiesen. Der Sohn des Klägers habe eine erstmalige Berufsausbildung im Juni 2016 abgeschlossen. Vor dem Beginne des Verwaltungslehrgangs II im November 2016 habe eine Erklärung, dass die Ausbildung noch nicht abgeschlossen sei, nicht vorgelegen. Es fehle daher an einem zeitlichen Zusammenhang der Ausbildungsabschnitte. Die Erwerbstätigkeit des Sohnes stehe daher der Gewährung von Kindergeld entgegen (§ 32 Abs.4 Satz 3 EStG). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
5Der Kläger hat am 27.8.2018 Klage erhoben und trägt im Wesentlichen vor, nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats in vergleichbaren Fällen handele es sich um eine mehraktige Ausbildung, die in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehe. Der Abschluss der Erstausbildung sei integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs im Rahmen der öffentlichen Verwaltung.
6Der Kläger beantragt,
7unter Aufhebung des Bescheides vom 9.1.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 2.8.2018 die Beklagte zu verpflichten, für den Sohn A Kindergeld ab November 2016 bis Juni 2019 zu bewilligen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen,
10und bezieht sich zunächst auf die Gründe der Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt sie unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BFH vom 11.12.2019 III R 26/18 vor, hieraus ergäbe sich, dass die Ausbildung des Sohnes bereits mit Bestehen der Prüfung zum Verwaltungsfachangestellten abgeschlossen gewesen sei und die anschließende Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt lediglich eine Weiterbildung darstelle.
11Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, dass der Berichterstatter an Stelle des Senats entscheidet.
12Das Gericht hat den Sohn des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 22.3.2019 als Zeugen gehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll Bezug genommen.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Familienkasse vorgelegten Kindergeldakten.
14Entscheidungsgründe
15Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Kindergeldanspruch für seinen Sohn für die Zeit von November 2016 bis August 2018.
16Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird. In den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i.S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind insoweit unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
17Hinsichtlich der Auslegung der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verwendeten Tatbestandsmerkmale erstmalige Berufsausbildung und Erststudium hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass das Erststudium nur einen Unterfall des Oberbegriffes erstmalige Berufsausbildung darstellt (Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 19 ff.) und der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger auszulegen ist als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird". Die den Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG begrenzenden Kriterien hat der BFH dabei vor allem in folgenden Punkten gesehen: Es muss sich um einen öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang handeln. Dieser muss auf einen Abschluss ausgerichtet sein, der in Form einer Prüfung erfolgt. Durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme muss das Kind die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbesondere eine Abgrenzung gegenüber dem Besuch einer allgemein bildendenden Schule erfolgen soll. Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese dann eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. In einem solchen Fall muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat. Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (zum Ganzen vgl. BFH Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152 ff). An einer Ausbildungseinheit fehlt es dagegen, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts eine berufspraktische Tätigkeit voraussetzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum nächstmöglichen Beginn des weiteren Ausbildungsabschnitts dient (BFH Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15, BFHE 253, 145, BStBl II 2016, 615, Rz 15). Diese Grundsätze sind nach der Rechtsprechung des BFH, von der abzuweichen keine Veranlassung besteht, für Fälle, in denen die einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist, fortzuentwickeln und zu präzisieren (vgl. hierzu und zum Folgenden: Urteil vom 11. Dezember 2018 III R 26/18 juris). Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden, für die vor allem die nachfolgenden Kriterien von Bedeutung sind. Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Ist das Beschäftigungsverhältnis dagegen bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsabschnitts befristet oder überschreitet die regelmäßige Wochenarbeitszeit die 20-Stundengrenze allenfalls geringfügig, kann dies für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen, die noch Teil einer einheitlichen Erstausbildung ist. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinander stehen. Da die Summe aus Arbeits- und Ausbildungszeit nicht selten über 40 Wochenstunden liegen wird, kann allein eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von über 20 Stunden noch nicht den Ausschlag geben. Führt das Kind etwa neben einer 22 Wochenstunden umfassenden Arbeitstätigkeit ein Vollzeitstudium an der Universität durch, kann auch weiter der Ausbildungscharakter im Vordergrund stehen (s. hierzu etwa BFH Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BFHE 251, 10, BStBl II 2016, 166). Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach Erlangung des ersten Abschlusses aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Wird z.B. ein Geselle oder Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies Indiz dafür sein, dass die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Denn ein solcher Sachverhalt spricht dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre (z.B. Aushilfstätigkeit in der Gastronomie oder im Handel) oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit (z.B. bei einem Bachelor, der während des nachfolgenden Masterstudiums mit 19 Stunden als wissenschaftliche Hilfskraft tätig ist und daneben 3 Nachhilfestunden pro Woche gibt), kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen. Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wird. Wird etwa eine Teilzeittätigkeit von regelmäßig 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist das ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung. Gleiches gilt, wenn das Kind etwa während des Semesters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, durch eine während der Semesterferien erhöhte Wochenstundenzahl aber auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt. Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur "neben der Berufstätigkeit" durchgeführt werden. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind (zum Ganzen: vgl. BFH Urteil vom 11. Dezember 2018 III R 26/18 juris).
18Gemessen an diesen Anforderungen handelt es sich bei den Ausbildungen zum Verwaltungsfachangestellten und anschließend zum Verwaltungsfachwirt um eine einheitliche Ausbildung. Angestrebtes Berufsziel des Sohns des Klägers war die Befähigung zur Ausübung einer Tätigkeit im gehobenen Dienst der Kommunalverwaltung; hierfür ist eine Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt erforderlich. Der Zeuge hat überzeugend dargelegt, dass er dieses Berufsziel noch vor Aufnahme der Ausbildung zum Verwaltungsangestellten angestrebt hat. Nach seiner Aussage, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht, war dieses Berufsziel bereits Gegenstand des Einstellungsgespräches vor Beginn der Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Dem Senat ist aus einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle bekannt, dass die Städte und Gemeinden sich aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sehen, ein duales Studium zum Erwerb des Abschlusses zum Verwaltungsfachwirt anzubieten, so dass den Interessenten an einem derartigen Beruf nur der Weg über die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten mit nachgelagerter Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt bleibt. Auch wenn der Sohn des Klägers nach Abschluss des ersten Ausbildungsabschlusses zum Verwaltungsfachangestellten eine Vollzeittätigkeit aufgenommen hat und auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt nur an bestimmten Wochentagen und als Blockunterricht in der Ferien stattgefunden hat, ist aufgrund deiner Gesamtwürdigung der Umstände davon auszugehen, dass sowohl die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt sowohl im überwiegenden Interesses des Auszubildenden wie auch der auszubildenden Kommune gestanden hat und steht. Selbst wenn das Ausbildungsverhältnis zeitlich nicht den Umfang der Berufsausübung erreicht oder überschritten hat, war das Beschäftigungsverhältnis diesem Ausbildungsverhältnis untergeordnet. Hierfür spricht insbesondere auch der Umstand, dass die Stadt B den Sohn des Klägers selbst zur Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt angemeldet hat. Dies dokumentiert deren maßgebliches Interesse an einer Weiter- und Höherqualifikation des Sohnes.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
20Die Revision war zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.