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1. Der Körperschaftsteuerbescheid 2010 vom 05.11.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.09.2017 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist die Nichtanerkennung der ertragsteuerlichen Organschaft zwischen der Klägerin als Organgesellschaft und der B-GmbH als Organträgerin im Jahr 2010 (Streitjahr).
3Die Klägerin wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 28.05.2008 gegründet. Im Streitjahr entsprach ihr Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr.
4Alleingesellschafter der Klägerin war zunächst C. Dieser war zudem mit einem Anteil in Höhe von jeweils 70 % an der D-GmbH & Co. KG (D-KG) als Kommanditist sowie an deren Komplementär-GmbH als Gesellschafter beteiligt. Die übrigen 30 % an diesen beiden Gesellschaften hielt die Klägerin als Kommanditistin bzw. Gesellschafterin.
5Mit Vertrag vom 01/2010 brachte C seine Kommanditbeteiligung an der D-KG sowie seine Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH rückwirkend zum 01.01.2010, 0:00 Uhr, zu Buchwerten in die Klägerin ein. Ebenfalls mit Vertrag vom 01/2010 wurde die B-GmbH durch C gegründet. Er erbrachte die Stammeinlage durch die Einbringung seiner Geschäftsanteile an der Klägerin. Die Einbringung der Geschäftsanteile an der Klägerin erfolgte mit wirtschaftlicher Wirkung zum 01/2010 (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 von Teil B der Gründungsurkunde bzgl. der B-GmbH). Schließlich wurde ebenfalls am 01/2010 zwischen der B-GmbH und der Klägerin ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen, der in 2010 ins Handelsregister eingetragen worden ist. Nach § 3 Abs. 3 dieses Vertrages gilt die Verpflichtung zur Gewinnabführung erstmals für den gesamten Gewinn des Geschäftsjahres, in dem dieser Vertrag wirksam wird. Wegen der weiteren Regelungen des Vertrags wird auf den Gewinnabführungsvertrag Bezug genommen.
6Zwischen C und der Klägerin bestand zuvor keine Organschaft.
7Bei der Klägerin fand eine steuerliche Außenprüfung statt. Die Prüferin erkannte für das Streitjahr die Organschaft nicht an, da der maßgebliche Zeitpunkt für die Organschaft beim Anteilstausch der Beginn des auf die Einbringung folgenden Wirtschaftsjahres sei.
8Den Feststellungen der Prüferin folgend änderte der Beklagte die Körperschaftsteuerfestsetzung 2010 mit auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gestütztem Bescheid vom 05.11.2015 und setzte die Körperschaftsteuer in Höhe von 713.705 € fest. Dabei wurde die erfolgte Gewinnabführung an die B-GmbH [...] als Gewinnausschüttung qualifiziert. Zugleich wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.
9Hiergegen wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 19.09.2017 als unbegründet zurückwies. Aufgrund der erst im Kalenderjahr 2010 erfolgten Gründung der B-GmbH sei eine Begründung der erforderlichen finanziellen Eingliederung der Klägerin bereits zum 01.01.2010 unmöglich. Im Falle eines Anteilstauschs greife keine steuerliche Rückwirkung, die eine Zurechnung der Beteiligung an der Klägerin auf den 01.01.2010 begründe. Eine Organschaft zwischen der übernehmenden Gesellschaft und der erworbenen Gesellschaft könne frühestens ab dem Beginn des auf die Einbringung folgenden Wirtschaftsjahres der erworbenen Gesellschaft begründet werden, vorliegend also erst ab dem 01.01.2011 (vgl. BMF, Schreiben vom 11.11.2011, Bundessteuerblatt – BStBl – I 2011, S. 1314, „Umwandlungssteuererlass“, Org.15).
10Mit der Klage begehrt die Klägerin die Anerkennung der ertragsteuerlichen Organschaft. Die Klägerin sei trotz der erst im laufenden Kalenderjahr 2010 erfolgten Gründung der Organträgerin finanziell eingegliedert gewesen. Richtig sei, dass ein Anteilstausch nach § 21 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG) nicht mit gesetzlich statuierter Rückwirkung erfolgen könne. Darauf komme es jedoch nicht an. Entscheidend sei, dass die B-GmbH als übernehmende Gesellschaft steuerrechtlicher Rechtsnachfolger des einbringenden C geworden sei, letztlich also seine seit dem Jahr 2008 bestehende unmittelbare Beteiligung an der Klägerin als solche fortgeführt werde. Aufgrund der Rechtsnachfolge werde der B-GmbH als übernehmender Gesellschaft zum 01.01.2010 die schon bestehende tatsächliche finanzielle Eingliederung der Klägerin zu C zugerechnet. Auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Voraussetzungen bei einer unmittelbaren Organschaft und einer mittelbaren Organschaft liege im Streitfall am 01.01.2010 eine finanzielle Eingliederung der Klägerin die B-GmbH vor. Denn während § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) für den Grundfall der unmittelbaren Organschaft fordere, dass der Organträger an der Organgesellschaft von Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in dem dort genannten Ausmaß beteiligt sein müsse, fehle in dem Satz 2 der Vorschrift für die Beteiligung der vermittelnden Gesellschaft an der Organgesellschaft eine entsprechende Aussage. Bei einer mittelbaren Organschaft komme es darauf an, dass der Organträger über seine Beteiligung an der vermittelnden Gesellschaft ununterbrochen seit Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft an der Organgesellschaft beteiligt sei. Ob der Organträger seine Beteiligung an der vermittelnden Gesellschaft unterjährig erworben habe, spiele keine Rolle. Dies ermögliche – ohne Bildung eines Rumpf-Wirtschaftsjahres – eine steuerunschädliche Verlängerung oder Verkürzung der Beteiligungskette zwischen Organträger und Organgesellschaft. Es sei daher unschädlich, wenn wie im Streitfall eine unmittelbare Mehrheitsbeteiligung in eine mittelbare wechsele.
11Die Klägerin beantragt,
121. den Körperschaftsteuerbescheid 2010 vom 05.11.2015 in Gestalt der Ein-spruchsentscheidung vom 19.09.2017 aufzuheben,
132. hilfsweise, die Revision zuzulassen,
143. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig
15zu erklären.
16Der Beklagte beantragt,
171. die Klage abzuweisen,
182. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
19Die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung sei ein tatsächliches Merkmal der Organschaft. Dieses Merkmal sei einer Rückbeziehung oder Rechtsnachfolge nicht zugänglich, da es sonst rechtlich überlagert würde. Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG („vom Beginn des Wirtschaftsjahres an“) sei eindeutig. Die Aussage, dass § 12 Abs. 3 Hs 1 UmwStG für jegliche Gewinnermittlungsvorschriften und damit auch für die körperschaftsteuerlichen Organschaftsvoraussetzungen gelte, treffe nicht zu. Die Rechtsnachfolge sei bezüglich der Organschaftsvoraussetzungen, insbesondere bezüglich des Merkmals der finanziellen Eingliederung, einschränkend auszulegen. Letzteres beziehe sich auf die jeweilige Person des Eingegliederten. Es sei damit höchstpersönlich und nicht rechtsnachfolgefähig. Dies gebiete auch der Zweck des § 14 KStG. Mit dieser Vorschrift werde das für das Körperschaftsteuerrecht prägende Merkmal des Trennungsprinzips durchbrochen. Ließe man die Nachfolge in die finanzielle Eingliederung zu, gäbe man das Trennungsprinzip preis. Die Ausnahme des § 14 KStG sei damit rechtfertigungsbedürftig und als Abweichung vom gesetzgeberisch intendierten Normalfall eng auszulegen. Das Merkmal der finanziellen Eingliederung erfordere, dass der Organträger in der Organgesellschaft seinen Willen durchsetzen könne. Damit seien tatsächliche Verhältnisse ausschlaggebend. Eine fiktive Rückbeziehung sei damit nicht möglich. Die Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 7 und 8 UmwStG 1995 beim Anteilstausch gelte seit der UmwStG-Novelle durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) nicht mehr. Der Gesetzgeber habe also bewusst von einer Rückwirkung Abstand genommen. Schließlich habe die Finanzverwaltung insoweit auch ihre Auffassung geändert (UmwSt-Erlass vom 25.03.1998, BStBl I 1998, 268, Rn. Org. 08 i.V.m. Org. 04).
20Das Gericht hat die Steuerakten zum Verfahren beigezogen. Auf den übersandten Verwaltungsvorgang und auf die Schriftsätze der Beteiligten wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Die Klage ist begründet.
23Der Körperschaftsteuerbescheid 2010 vom 05.11.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.09.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zu Unrecht nimmt der Beklagte an, dass zwischen der Klägerin und der B-GmbH im Streitjahr keine Organschaft bestand.
24Zwischen den Beteiligten herrscht Einigkeit darüber, dass die Voraussetzungen für eine Organschaft mit Ausnahme der hier umstrittenen finanziellen Eingliederung erfüllt sind. Entgegen der Ansicht des Beklagten war die Klägerin auch im Streitjahr finanziell eingegliedert.
25Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG muss der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt sein, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht (finanzielle Eingliederung).
26Wird bei Umwandlung das Organschaftsverhältnis mit dem übernehmenden Rechtsträger fortgesetzt oder eine Organschaft neu begründet, ist hinsichtlich des Erfordernisses der ununterbrochen bestehenden finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft streitig, ob auch in Bezug auf den übernehmenden Rechtsträger die finanzielle Eingliederung (fort)besteht, wenn die Umwandlung während des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft erfolgt.
27Für den hier vorliegenden Fall des Anteilstausch nach § 21 UmwStG, bei dem nach dem SEStEG eine steuerliche Rückwirkung ausscheidet, weil § 21 Abs. 2 Satz 6 UmwStG nicht auch die Normen des § 20 Abs. 5 und Abs. 6 UmwStG für anwendbar erklärt, vertritt die Verwaltung die Auffassung, eine Organschaft könne bei einer unterjährigen Einbringung (und ohne Umstellung des Wirtschaftsjahres) nur im Folgejahr begründet werden [Umwandlungssteuererlass, Org. 15; ebenso:. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, UmwStG Anh. 1, Rz. 37 (Januar 2017); anders noch: Dötsch, GmbHR 2012, S. 175 (177)].
28Diese Auffassung wird von der Literatur kritisiert [vgl. Walter in: Bott/Walter, KStG, § 14 Rn. 366 (Stand: Juni 2020); Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Org. 15 (Stand: Januar 2017); Frotscher, KStG/GewStG/UmwStG, UmwStE 2011, Anm. zu Org 08; Beinert/M.Marx in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl., Rn. 12.65; Neumann in: Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 14 Rn. 159b; Blumenberg/Lechner, DB Beilage zu Heft 1/2012, S. 57 (61); Heinsen/Benzler, Ubg 2011, 442 (445 f.); Heurung/Engel/Thiedemann, Der Konzern 2012, S. 16 (20); Kröner, BB-Special 1.2011, S. 24 (26); Rödder, DStR 2011, S. 1053 (1056 f.)]. Nach Auffassung der Literatur ist auch im Rahmen eines unterjährigen Anteilstauschs eine nahtlose finanzielle Einbringung möglich. Die Literatur stützt ihre Auffassung im Kern auf zwei Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.07.2010 (I R 89/09, BStBl II 2011, 528 und I R 111/09, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV– 2011, 67). In diesen Fällen hat der BFH entschieden, dass die Ausgliederung einer Mehrheitsbeteiligung mit nachfolgender erstmaliger Begründung einer Organschaft möglich ist, wenn seit dem Beginn des Wirtschaftsjahres eine finanzielle Eingliederung zunächst zum übertragenden Rechtsträger und anschließend zum übernehmenden Rechtsträger besteht und dieses Erfordernis bis zum Ende des Wirtschaftsjahres aufrechterhalten bleibt. Grund hierfür sei § 12 Abs. 3 Satz 1 (i.V.m. § 22 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 Satz 3) UmwStG 1995, wonach im Falle der Kapitaleinbringung die übernehmende Körperschaft in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft eintritt. Das gelte für jegliche Gewinnermittlungsvorschriften und damit auch für die körperschaftsteuerlichen Organschaftsvoraussetzungen. Die Rechtsnachfolge der übernehmenden Körperschaft in die Position der übertragenden Körperschaft sei eine umfassende (sog. Fußstapfentheorie).
29Der Senat schließt sich im Ergebnis der Auffassung der Literatur an. Aus Sicht des Senats weist die Literatur zutreffend darauf hin, dass die Verwaltungsauffassung nicht mit den zuvor genannten Urteilen des BFH vereinbar ist. Denn trotz des fehlenden Bezugs in § 21 Abs. 1 UmwStG auf § 20 Abs. 5 und 6 UmwStG ist das Vorliegen der finanziellen Eingliederung ab Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft nach der Argumentation des BFH möglich, da dieser sich nicht auf die steuerliche Rückwirkung, sondern auf die umwandlungssteuerrechtliche Rechtsnachfolge des Übernehmers in die zum Überträger bestehende finanzielle Eingliederung bezieht. Die inzwischen nicht mehr mögliche steuerliche Rückwirkung des reinen Anteilstauschs selbst ändert daran nichts, da für die Einbringung unter dem gemeinen Wert § 23 Abs. 1 UmwStG auf die unverändert geltenden § 12 Abs. 3 Halbsatz 1 und § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG verweist und folglich der Übernehmer in die Rechtsstellung des Überträgers eintritt.
30Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze geht der Senat mit der Klägerin davon aus, dass der B-GmbH als übernehmende Gesellschaft und Rechtsnachfolgerin von C für die Zeit vom … .01.2010 dessen finanzielle Eingliederung zur Klägerin im Wege der Rechtsnachfolge zugerechnet wird. Folglich bestand vorliegend von Beginn bis Ende des Wirtschaftsjahres der Klägerin eine ununterbrochene finanzielle Eingliederung.
31Der Senat verkennt dabei nicht, dass sich der vorliegende Fall von den zuvor genannten BFH-Fällen in der Weise unterscheidet, dass dort (I R 89/09) die Gründung (Ausgliederung) und Einbringung der Gesellschaft mit umwandlungssteuerlicher Rückwirkung zu Beginn des Wirtschaftsjahres erfolgte bzw. (I R 111/09) die Beteiligung mit steuerlicher Rückwirkung zum Ende des Vorjahres eingebracht wurde, so dass aufgrund dieser umwandlungssteuerlichen Rückwirkung eine finanzielle Eingliederung für das gesamte Wirtschaftsjahr zu einem das ganze Jahr schon existierenden Rechtsnachfolger möglich war. Wegen der zuvor zitierten Ausführungen des BFH in den Entscheidungsgründe der beiden Urteile sieht der Senat diese tatsächlichen Unterschiede jedoch als unerheblich an, auch wenn diese Auffassung dazu führen kann, dass eine finanzielle Eingliederung zeitgleich zu mehreren Gesellschaften bzw. Personen vorliegen kann (hier in der Zeit vom 01.01-[...].01.2010: Finanzielle Eingliederung zu C als tatsächlichen Inhaber der Anteile und zugleich zu der B-GmbH als Rechtsnachfolgerin).
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
33Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
34Die Zulassung der Revision folgt aus §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.