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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
2Die Klägerin bezog Kindergeld für ihre im Oktober 1996 geborene Tochter (im folgenden: T). Nach Beendigung der Schulausbildung (Abitur im Juni 2015) hatte diese im September 2015 eine voraussichtlich 3-jährige Berufsausbildung begonnen. Die Beklagte (im folgenden: Familienkasse) gewährte deshalb weiter Kindergeld (Bescheid vom 7.08.2015). Im Juni 2018 stellte sich heraus, dass T die Ausbildung Ende August 2016 vorzeitig beendet hatte. Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für T rückwirkend ab September 2016 auf und forderte von der Klägerin Kindergeld in Höhe von 4.228 € für September 2016 bis Juni 2018 zurück (Bescheid vom 11.07.2018).
3Hiergegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage (Aktenzeichen 9 K 2688/18 Kg). Es stellte sich heraus, dass der Klägerin für T Kindergeld für den Zeitraum September 2016 bis einschließlich Januar 2017 zustand, weil diese zunächst nach dem Abbruch der ersten Berufsausbildung einen Übergangszeitraum verwirklicht hatte und ab Dezember 2016 erneut in Berufsausbildung war, allerdings nur bis Januar 2017. Für die übrigen Rückforderungsmonate (Februar 2017 bis Juni 2018) war kein Kindergeldtatbestand ersichtlich: T hatte verschiedene Arbeitsverträge abgeschlossen, Honorarvereinbarungen getroffen, und war als freie Mitarbeiterin tätig geworden, alles Tätigkeiten, die keine Berufsausbildung darstellten. Diese Tätigkeiten ließen sich auch nicht als Praktika im Hinblick auf eine konkrete Berufsausbildung interpretieren. Demgemäß wurde das Klageverfahren in der Hauptsache erledigt, nachdem die Familienkasse die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auf die Monate Februar 2017 bis Juni 2018 beschränkte, mit einem verbleibenden Rückforderungsbetrag von 3.276 € (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2019).
4Inzwischen hatte T ab Oktober 2018 (Studium) erneut einen Kindergeldtatbestand verwirklicht. Das gegenüber der Klägerin festgesetzte Kindergeld wurde auf Antrag der T im Wege der Abzweigung an T ausgezahlt; eine Aufrechnungssituation ergab sich nicht.
5Bereits im August 2018 hatte die Familienkasse gegenüber der Klägerin „Hinterziehungszinsen“ auf das Kindergeld September 2016 bis Juni 2018 festgesetzt, monatsbezogen berechnet jeweils vom Ersten des Auszahlungsmonats bis zum 11.08.2018; insgesamt ergab sich ein Betrag von 135 € (bestandskräftiger Bescheid vom 13.08.2018).
6In der Folgezeit mahnte die Familienkasse regelmäßig den Rückforderungsbetrag (damals 4.228 €) sowie den Zinsbetrag (135 €) an. Die Klägerin beantragte bei der Familienkasse, fachkundig vertreten, am 5.12.2018 und am 3.01.2019 die Aussetzung der Vollziehung der Rückstände; die Anträge wurden offenbar nicht bearbeitet. Es ergingen weiterhin Mahnungen, jeweils zuzüglich Säumniszuschlägen (auch auf den Zinsbetrag).
7Im April 2019, im Anschluss an die mündliche Verhandlung, beantragte die Klägerin neben der Neuberechnung der Rückstände deren Stundung gegen Ratenzahlung in Höhe von monatlich 50 €. Sie erklärte, sie könne keine höheren Raten zahlen, weil sie nur 28 Stunden pro Woche arbeite.
8Der Inkasso-Service lehnte den Stundungsantrag ab (Bescheid vom 6.06.2019). Zur Begründung wurde angegeben, die Rückforderung sei aufgrund einer Verletzung der Mitwirkungspflicht entstanden; es fehle an der Stundungswürdigkeit. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch, den die Familienkasse als unbegründet zurückwies (Einspruchsentscheidung vom 9.09.2019). Die Familienkasse führte näher aus, die Klägerin habe ihre Mitwirkungspflichten gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletzt und sei infolgedessen nicht stundungswürdig i.S.d. § 222 der Abgabenordnung (AO). Darüber hinaus sei nicht vorgetragen und nicht nachgewiesen, dass die Klägerin kein Vermögen und keine Finanzierungsmöglichkeiten habe. Nach ihren Angaben verfüge sie nur über ein geringes monatlich schwankendes Einkommen und lebe mit einem unterhaltsberechtigten Kind im Haushalt. Es sei davon auszugehen, dass sie nicht nur vorübergehend in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gemindert sei und nur unpfändbares Einkommen beziehe. Diese Situation bedeute eine andauernde Gefährdung der Forderung des Fiskus und lasse auch keine Stundungsbedürftigkeit der Klägerin erkennen. Über das Institut der Stundung hinaus könne keine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen werden, weil diese Möglichkeit gesetzlich nicht vorgesehen sei. Es bleibe der Klägerin unbenommen, Ratenzahlungen zur Tilgung der fälligen Forderung zu leisten. Allerdings entstünden weiterhin Säumniszuschläge; es werde auch weiterhin eine Vollstreckung stattfinden.
9Hiergegen richtet sich die „wegen Vollstreckung“ erhobene Klage. Die Klägerin wendet sich darin gegen die Stundungsablehnung und erklärt, es liege eine erhebliche Härte vor, weil sie aufgrund eines abgeschlossenen Insolvenzverfahrens mit Restschuldbefreiung (Beschluss des AG vom 17.05.2018; nicht beigefügt) aktuell keinen Kredit erhalte. Sie sei auch stundungswürdig, weil sie nichts von der Beendigung der Berufsausbildung ihrer Tochter gewusst habe und damit keine Mitwirkungspflichten verletzt habe. Sie könne zur Zeit nur 70 € monatlich ansparen; diesen Betrag habe sie im Oktober 2019 an die Familienkasse überwiesen. In der mündlichen Verhandlung nimmt die Klägerin auf ein Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 23.10.2019 (3 K 3077/19, juris) Bezug, wonach weder eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Schuldners, noch die Tatsache, dass das Einkommen des Schuldners voraussichtlich dauerhaft unter der Pfändungsfreigrenze liegt, noch die andauernde Gefährdung des Steueranspruchs einen Anspruch auf Stundung verhindern könne.
10Die Klägerin beantragt,
11die Familienkasse zu verpflichten, unter Abänderung des Ablehnungsbescheides vom 6.06.2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.09.2019 der Klägerin die Rückstände gegen eine monatliche Ratenzahlung von 50 € zu stunden.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vom Gericht beigezogenen Akten (Kindergeldakte und Inkassoakte) der Familienkasse Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
16Die Klage ist unbegründet.
17Die Familienkasse hat der Klägerin die Stundung ihrer Rückstände rechtsfehlerfrei, insbesondere ohne Ermessensfehler, versagt. Die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung sind nicht zu beanstanden.
181. Im vorliegenden Fall geht es um die gerichtliche Überprüfung einer behördlichen Ermessensentscheidung (Entscheidung über eine Stundung), die sich an § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) orientiert. Hintergrund ist das verfassungsrechtliche Gewaltenteilungsprinzip (§ 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 des Grundgesetzes): Die Verwaltung entscheidet, das Gericht überprüft – das Gericht ist keine übergelagerte Verwaltungsbehörde, sondern Rechtsschutzorgan. Hiernach ist die gerichtliche Prüfung des die Stundung ablehnenden Bescheides und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS OGB 3/70, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 1972, 603; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29.08.1991 V R 78/86, BStBl II 1991I, 906). Die Anforderungen an eine rechtmäßige Ermessensentscheidung sind in § 5 AO grundgelegt: Die Behörde hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die gerichtliche Überprüfung hat dabei grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) abzustellen (vgl. Drüen in Tipke/ Kruse, § 5 AO Rz. 77 m.w.N.).
19Dabei sind auch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften zu beachten (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 26.09.2019 V R 36/17, BFH/NV 2020, 86, Rz 22 f. und vom 31.05.2017 I R 92/15, BStBl II 2019, 14, Rz 11 ff.): Sofern diese ihrerseits die gesetzlichen Grenzen der Ermessensausübung einhalten, ist für ihre Auslegung nicht maßgeblich, wie das Gericht die Verwaltungsanweisung gerne interpretieren würde oder verstehen könnte, sondern wie die Verwaltung selbst ihre Anweisung verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das Gericht darf daher Verwaltungsanweisungen nicht nach den allgemeinen Auslegungsmethoden selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist. Im vorliegenden Fall liegt eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift vor (Abschn. V 25 der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz -- DA-KG 2019 --, BStBl I 2019 654 ff., 748 f.).
202. Im Streitfall ist die eine Stundung ablehnende Entscheidung der beklagten Familienkasse (Einspruchsentscheidung vom 9.09.2019) auf mehrere Umstände gestützt, die jeweils für sich genommen zu Recht eine Stundung ausschließen.
21a) Die Familienkasse hat dargelegt, dass die Klägerin im Rahmen des Stundungsantrags und des Einspruchsverfahrens ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht dargelegt hat. Es sei nicht vorgetragen und auch nicht nachgewiesen, dass sie sämtliche Finanzierungsmöglichkeiten ausgeschöpft habe oder dass ein unvorhergesehenes Ereignis zu einer momentanen Zahlungsunfähigkeit geführt habe. Tatsächlich hat die Klägerin über die bloße Behauptung, sie könne auf die Rückstände nicht mehr als 70 € monatlich zahlen, weil sie nur 28 Stunden pro Woche arbeite, nichts vorgetragen; sie hat keine Vermögensübersicht, keinen Liquiditätsstatus und keine Nachweise ihrer Einkünfte und Bezüge vorgelegt. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Denn der Schuldner, der eine Stundung begehrt, muss der Finanzbehörde ein zeitnahes Bild seiner wirtschaftlichen Verhältnisse verschaffen (vgl. bereits BFH-Urteil vom 13.04.1961 IV 363/58 U, BStBl III 1961, 292). Hieran fehlt es im Streitfall.
22Daran ändert auch nichts, dass die Klägerin im Klageverfahren erstmals auf ein vor dem Stundungsantrag abgeschlossenes Insolvenzverfahren Bezug genommen hat und erklärt hat, sie können inzwischen nur 50 € monatlich auf die Rückstände zahlen. Dieser Vortrag konnte zum einen in der letzten Verwaltungsentscheidung (Einspruchsentscheidung) nicht berücksichtigt werden und bedeutet zum anderen weiterhin keine hinreichende Substantiierung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin.
23b) Außerdem hat die Familienkasse bei der beantragten Stundung aus persönlichen Billigkeitsgründen das Vorliegen der Stundungswürdigkeit zutreffend für erforderlich gehalten und im Streitfall ermessensfehlerfrei verneint.
24Dabei setzt Stundungswürdigkeit (ebenso wie Erlasswürdigkeit) ein Verhalten des Steuerpflichtigen voraus, welches nicht in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt und bei dem die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen selbst beruht (grundlegend BFH-Urteil vom 14.11.1957 IV 418/56 U, BFHE 66, 398, BStBl III 1958, 153). Ein Verstoß gegen die Interessen der Allgemeinheit liegt beispielsweise vor, wenn der Steuerpflichtige bei der Entstehung der Forderung seine steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt; dies gilt auch für die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 1 AO und § 68 Abs. 1 EStG (BFH-Urteil vom 17.07.2019 III R 64/18, BFH/NV 2020, 7, Rz 18 m.w.N.).
25Die Familienkasse hat in ihrer ablehnenden Einspruchsentscheidung darauf abgestellt, dass die Klägerin gegen ihre Mitwirkungspflichten nach § 68 EStG verstoßen hat, indem sie der Familienkasse nicht zeitnah mitgeteilt hat, dass ihre Tochter die im September 2015 begonnene Berufsausbildung bereits Ende August 2016 vorzeitig beendet hatte. Angesichts dieser Mitwirkungspflichtverletzung fehle es im Fall an der Stundungswürdigkeit (vgl. DA-KG 2019, Abschn. V 25.2 Abs. 3 Satz 3). Diese Wertung ist nicht zu beanstanden. Denn erst die Verletzung dieser Mitwirkungspflicht, und nur diese, hat die Überzahlung des zurückgeforderten Kindergeldes verursacht (vgl. auch BFH-Urteil vom 17.07.2019 III R 64/18, BFH/NV 2020, 7 Rz 20).
26Die hiergegen im Klageverfahren erhobenen Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Diese hat erklärt, sie habe nichts von dem Abbruch der Berufsausbildung ihrer Tochter gewusst (Ende August 2016) und erst mit dem Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids, also im Juli 2018, davon erfahren. Diese Behauptung ist unglaubhaft – wohnte doch die Klägerin zusammen mit T bis April 2017 im gleichen Haushalt; danach mietete T eine eigene Wohnung im gleichen Haus. Dass T ab Dezember 2016 kurzfristig eine andere Berufsausbildung bis Januar 2017 angefangen hatte, dass sie verschiedene Arbeitsverträge abgeschlossen, Jobs auf Honorarbasis ausgeübt und als freie Mitarbeiterin tätig geworden war, konnte der Klägerin schwerlich entgangen sein. Abgesehen davon wäre es Sache der Klägerin gewesen, wenn sie keine eigene Kenntnis hat, bei ihrer Tochter regelmäßig nachzufragen, ob sie noch in Ausbildung ist. Schließlich wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, für den Fall, dass sie zu T keinen Kontakt mehr hat und keine Informationen erhält, wenn sie also nicht mehr gewährleisten kann, dass T einen Kindergeldtatbestand erfüllt, der Familienkasse entsprechend Bescheid zu geben.
27Bereits diese beiden Erwägungen (mangelnde Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse/ Stundungsunwürdigkeit) tragen jeweils für sich die ablehnende Entscheidung der Familienkasse.
283. Darüber hinaus sind auch die Erwägungen der Familienkasse zur Stundungsbedürftigkeit und zur Gefährdung des Steueranspruchs nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt nicht der entgegenstehenden Rechtsprechung des 3. Senats des FG Berlin-Brandenburg (Urteile vom 23.10.2019 3 K 3077/19, EFG 2020, 157 mit Anm. Weinschütz und vom 10.05.2017 3 K 3040/17, EFG 2017, 1144 mit Anm. Weinschütz).
29a) Eine Stundung i.S.d. § 222 AO dient dazu, erhebliche Härten zu verhindern, die mit der zeitnahen, ggf. zwangsweisen Einziehung einer staatlichen Forderung bei Fälligkeit verbunden sind (vgl. § 222 Satz 1 AO). Ähnlich wie im Falle des § 258 AO (Vollstreckungsaufschub) handelt es sich hierbei um momentane, besondere Härten, die in der sofortigen Beitreibung liegen bzw. durch die zeitnahe Beitreibung entstehen würden (vgl. Loose in Tipke/ Kruse, § 222 AO Rz. 22 m.w.N.). Nachteile und Unannehmlichkeiten, die mit Beitreibungsmaßnahmen üblicherweise verbunden sind (z. B. gemäß § 287 AO der Zwang, dem Vollziehungsbeamten Zutritt zur Wohnung zu ermöglichen und bei der Erstellung eines Pfandabstandsprotokolls ggf. mitzuwirken), begründen regelmäßig keine besondere Härte (so bereits BFH-Urteil vom 23.02.1077 II R 102/75, BStBl II 1977, 436).
30Ist nach Darstellung des betroffenen Bürgers die Beitreibung/ Einziehung einer Forderung bereits aus Rechtsgründen ausgeschlossen, weil er durch Pfändungsschutzvorschriften vor Vollstreckungsmaßnahmen geschützt sei, kann die Finanzbehörde nicht zu einer Stundung verpflichtet werden. Die Stundung dient nicht dazu, zu verhindern, dass sich der Fiskus als Gläubiger einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners verschafft. Lassen die festgestellten Verhältnisse sodann keine Einziehung zu, ist auch keine in der zwangsweisen Beitreibung liegende Härte zu befürchten. Damit fehlt es an der Stundungsbedürftigkeit und es besteht kein sachlicher Stundungsgrund.
31b) In solchen Fällen kann auch das Ziel einer Stundung nicht erreicht werden, durch kurzfristiges Zuwarten einerseits die anschließende vollständige Tilgung der Forderung zu ermöglichen, andererseits vorübergehende aktuelle Härten für den Schuldner zu vermeiden. So erscheint die Situation im Streitfall: die Klägerin kann die Forderung nach eigenem Bekunden beim besten Willen nicht alsbald tilgen, durch kurzfristiges Zuwarten ändert sich hieran nichts (BFH-Beschluss vom 27.04.2001 XI S 8/01, BFH/NV 2001, 1362).
32c) Darüber hinaus erscheint die Forderung gefährdet (vgl. § 222 Satz 1 AO am Ende), weil ihre Tilgung zum späteren Fälligkeitszeitpunkt nicht gesichert ist. Auch aus diesem Grund hat die Familienkasse die Stundung in Übereinstimmung mit der aktuellen Dienstanweisung (DA-KG 2019 V 25.2. Abs. 4 Satz 3, BStBl I 2019, 654, 749) versagt.
33Hintergrund ist, dass die Finanzverwaltung durch die Instrumente der Stundung (§ 222 AO) und des Vollstreckungsaufschubs (§ 258 AO) dem Steuerpflichtigen entgegenkommen kann, ohne „gutes Geld“, das sie umgehend beitreiben könnte und das in den Länderfinanzausgleich einbezogen bleibt, zu riskieren bzw. dessen spätere Einziehung zu gefährden. Demgegenüber ermöglicht die Abgabenordnung für die Fälle, bei denen die Steuerforderung (hier: Kindergeldrückforderung) von vorne herein gefährdet ist und bleibt („schlechtes Geld“), der Verwaltung die Niederschlagung (§ 261 AO) der Rückstände, die damit als verteilbare Steuereinnahmen ausscheiden.
34Dabei wird nicht verkannt, dass nach anderer Auffassung (FG Berlin-Brandenburg Urteile vom 23.10.2019 3 K 3077/19, EFG 2020, 157 und vom 10.05.2017 3 K 3040/17, EFG 2017, 1144; vgl. auch Loose in Tipke/ Kruse, § 222 AO Rz. 42) eine Stundung möglich ist, wenn die Steuerforderung von vorne herein gefährdet ist und durch eine Stundung weiterhin gleichermaßen gefährdet bliebe. Letztlich kann die Klärung dieser Rechtsfrage dahinstehen, weil die Stundungsablehnung der Familienkasse bereits aus anderen Gründen rechtmäßig ist.
354. Die derzeit ungeklärte Zuständigkeitsproblematik (vgl. Urteil des 10. Senats des FG Düsseldorf vom 14.05.2019 10 K 3317/18 AO, juris; Rev. BFH III R 36/19) führt zu keinem anderen Ergebnis. Hierin wird mit guten Gründen die Zuständigkeit des Inkasso-Service in Frage gestellt, mit der Folge, dass für Entscheidungen über einen Stundungsantrag die örtliche Familienkasse zuständig wäre. Im Streitfall wäre dies allerdings ebenfalls die beklagte Familienkasse, die die angefochtene Einspruchsentscheidung erlassen hat und damit Beklagte des Klageverfahrens ist (vgl. § 63 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
36Für das Einspruchsverfahren besteht eine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung: Die Familienkassen sind gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO Finanzbehörden, denen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) die Aufgabe der Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 31, 62 bis 78 EStG zugewiesen ist, und zwar in der Weise, dass die Bundesagentur für Arbeit dem Bundeszentralamt für Steuern zur Durchführung dieser Aufgaben ihre Dienststellen als Familienkassen zur Verfügung stellt (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 2 FVG, sog. Organleihe). Dabei kann der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG).
37Von dieser Ermächtigung hat der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit zuletzt durch Beschluss vom 14.04.2016 (15/2016, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Monatsheft Mai 2016, veröffentlicht im Internet unter www.Statistik.Arbeitsagentur.de> Statistik nach Themen>amtliche Nachrichten der BA) Gebrauch gemacht. In Ziff. 2.4 des Beschlusses ist ausdrücklich geregelt, dass die Familienkasse im Bereich des steuerlichen Kindergeldes für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen des Inkasso-Services zuständig ist. Sollte diese Regelung „in der Luft hängen“, weil der Inkasso-Service mangels wirksamer Zuständigkeitsübertragung gar nicht für Stundungsentscheidungen zuständig wäre, und damit die Übertragung auf die Familienkasse leer liefe, so wäre die Familienkasse im Streitfall jedenfalls als örtlich zuständige Familienkasse für Erstentscheidungen und (wie tatsächlich geschehen) Einspruchsentscheidungen über Stundungsbegehren zuständig.
38Durch den Erlass der Einspruchsentscheidung seitens der zuständigen Behörde wären mögliche Zuständigkeitsmängel des Ablehnungsbescheids geheilt. Denn die Ermessensausübung und Ermessensbegründung in der Einspruchsentscheidung sind für die gerichtliche Überprüfung maßgebend: für die gerichtliche Beurteilung kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung an (vgl. Drüen in Tipke/ Kruse § 5 AO Rz. 31 und 77). Ermessenserwägungen können in der Einspruchsentscheidung erstmals vorgenommen, nachgeholt, präzisiert, richtig gestellt werden – insofern überlagert und ersetzt der Verwaltungsakt „Einspruchsentscheidung“ den (aus welchen Gründen auch immer) möglicherweise rechtswidrigen Ausgangsbescheid. Nach alledem ist der Auffassung des 10. Senats (a.a.O. unter Rz. 28) nicht zuzustimmen, wonach die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, durch die Zurückweisung des Einspruchs keine eigenständige Entscheidung in der Sache trifft.
395. Soweit die Klage „wegen Vollstreckung“ erhoben worden ist, beinhaltet sie weder einen konkreten Sachvortrag noch einen entsprechenden Klageantrag. Das Gericht legt deshalb das Klagebegehren dahin aus, dass es sich von vorne herein ersichtlich nur gegen die Stundungsablehnung gerichtet hat.
406. Darüber hinaus weist das Gericht (ohne Rechtsbindung) auf Folgendes hin:
41a) Die Alternative einer sog. Ratenzahlungsvereinbarung wird von den Familienkassen nicht mehr eingeräumt. Diese Vereinbarungen betrafen Schuldner, die wegen der Schuldnerschutzvorschriften nicht zu laufenden Tilgungszahlungen verpflichtet waren, keine Vollstreckung ernstlich zu befürchten hatten, aber mit dem Staat „ins Reine kommen“ wollten. Hintergrund war die jahrzehntelange Praxis der Finanzbehörden, die allerdings nicht gesetzlich geregelt war: Wenn solche Schuldner, die über kein Vermögen verfügten und dauerhaft und nachweisbar nur ein geringes Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenzen (i. d. R. Sozialleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts) bezogen, von sich aus geringe freiwillige monatliche Zahlungen auf ihre Rückstände anboten, hatten sich die Finanzbehörden dem grundsätzlich nicht verschlossen. Denn ansonsten hätten sie auf die Rückstände gar nichts erhalten und hätten neben der Niederschlagung der Forderung nichts zu veranlassen (vgl. Abschnitte 14 ff. der Vollstreckungsanweisung).
42Nunmehr haben die Familienkassen die Dienstanweisung erhalten (vgl. DA-KG 2016 V. 24.1 Abs. 2 Satz 6; DA-KG 2019 V. 25.1. Abs. 2 Satz 6), Ratenzahlungsvereinbarungen nur noch bei Vorliegen der Stundungsvoraussetzungen vorzunehmen („Außerhalb von Stundungen ist eine Vereinbarung von Ratenzahlungen nicht zulässig“). Damit sind den Familienkasse solche Vereinbarungen seitens der vorgesetzten Dienstbehörden (BMF, BZSt) künftig untersagt.
43b) Damit dürfte aber auch die Grundlage für ein Entgegenkommen der Schuldner entfallen sein: Diese hatten sich regelmäßig damit einverstanden erklärt, obwohl sie an der Grenze ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, oft über Jahre hinweg, freiwillige Ratenzahlungen auf die Hauptschulden leisteten, einen Erlassantrag hinsichtlich der Säumniszuschläge erst nach Tilgung der Hauptschulden zu stellen. Immerhin waren die zusätzlich berechneten Säumniszuschläge oft höher als die entrichteten Raten, so dass sich die Gesamtrückstände trotz Ratenzahlungen zunächst weiter erhöhten („Schuldturmwirkung“). Nunmehr erscheint kein Grund ersichtlich, warum Schuldner, die nachweislich an der Grenze ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Raten zahlen, zur Minderung der Gesamtrückstände nicht regelmäßig den (ggf. teilweisen) Erlass der Säumniszuschläge beanspruchen können.
44c) Soweit Streit über die Höhe der Rückstände und die richtige Verbuchung der (freiwilligen) Ratenzahlungen der Klägerin besteht (vgl. näher § 225 AO) besteht die Möglichkeit, hierüber den Erlass eines Abrechnungsbescheides (§ 218 Abs. 2 AO) zu beantragen, und falls die Familienkasse darin falsche Beträge feststellt, hiergegen Einspruch zu erheben. Diese Streitigkeiten lassen sich nicht zulässigerweise in das vorliegende Klageverfahren einbeziehen.
457. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 FGO.