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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Frage, ob nach § 10 Abs. 10 Satz 2 des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) statt eines GmbH-Anteils ein geringer zu bewertender Abfindungsanspruch der Erbschaftsteuer zu unterwerfen ist.
3Der Kläger ist Erbe zu ½ nach der am 19.7.2017 verstorbenen Frau A (Erblasserin). Miterbe ist sein Bruder B.
4Die Erblasserin war mit 30 % an der C GmbH (GmbH) beteiligt. Daneben waren B und D beteiligt. In § 5 der Satzung der GmbH vom 7.11.1989 heißt es:
5„(5) Stirbt die Gesellschafterin A, so haben diejenigen Erben eines Geschäftsanteils oder Teils eines solchen Anteils daran dem Gesellschafter B ihre Beteiligung zum Erwerb anzubieten. Handelt es sich bei der anzubietenden Beteiligung um eine Gesamthandsberechtigung, so hat zuvor eine reale Teilung stattzufinden.
6(6) Macht der Gesellschafter B von der angebotenen Übernahme keinen Gebrauch, so wächst nach Ablauf der Frist von einem Monat nach Angebotsabgabe sein Recht den anderen Gesellschaftern an.
7(7) Macht kein Gesellschafter innerhalb der genannten Frist von dem Recht der Übernahme Gebrauch oder kommt der Erbe oder Vermächtnisnehmer seiner Anbietungspflicht nicht nach, so können die übrigen Gesellschafter den Geschäftsanteil gegen Zahlung eines Entgelts einziehen. Die Gesellschafter entscheiden hierüber mit einfacher Mehrheit. Das Entgelt bestimmt sich nach § 7 dieses Vertrages.“
8Weiter heißt es in § 6 Abs. 4:
9„Statt der Einziehung können die Gesellschafter auch beschließen, dass der Anteil von der Gesellschaft erworben (…) wird.“
10In § 7 Abs. 1 der Satzung heißt es dann:
11„Im Falle der zulässigen Einziehung eines Geschäftsanteils sowie einer statt der Einziehung erfolgten Abtretung hat der betroffene Gesellschafter Anspruch auf Zahlung eines Abfindungsentgeltes, das dem realen Wert seines Anteils entspricht, bewertet nach den steuerrechtlichen Bewertungsrichtlinien in der jeweils gültigen Fassung (sogenannte Anteilsbewertung nach dem Stuttgarter Verfahren).“
12Mit Gesellschafterbeschluss vom 28.2.2018 beschloss die GmbH, den auf den Kläger entfallenden Anteil zu einem Kaufpreis von 523.000 € zu erwerben. Sollte ein Kauf- und Abtretungsvertrag nicht zustande kommen, wurde die Einziehung gegen Abfindung in gleicher Höhe beschlossen. Mit Notarvertrag vom 16.3.2018 setzten sich der Kläger und sein Bruder sodann auseinander und kamen dahingehend überein, dass B eine GmbH-Beteiligung von 15 % übernehmen solle. Die übrigen 15 % sollten von der GmbH zu einem dem Kläger zustehenden Kaufpreis von 523.000 € erworben werden. Dabei wurde auf die Bewertung des Prozessbevollmächtigten des Klägers Bezug genommen, nach der der gesamte GmbH-Anteil von 30 % nach dem Stuttgarter Verfahren mit 1.046.000 € angesetzt wurde. Ein entsprechender Kauf- und Abtretungsvertrag über die Gesellschaftsanteile wurde mit weiterer notarieller Urkunde, ebenfalls vom 16.3.2018, geschlossen.
13Mit geändertem Feststellungsbescheid vom 11.11.2019 wurde der Wert der im Nachlass befindlichen Beteiligung von 30 % gesondert und einheitlich auf 1.407.862 € festgestellt, so dass auf den Kläger ein Wert von 703.931 € entfiel.
14Mit Bescheid vom 20.11.2019 setzt der Beklagte gegen den Kläger Erbschaftsteuer i.H.v. 23.188 € fest und berücksichtigte den auf den Kläger entfallenden GmbH-Anteil mit 703.931 €.
15Hiergegen legte der Kläger unter dem 26.11.2019 Einspruch ein und begehrte nach § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG den Ansatz des von der GmbH gezahlten Betrages von 523.000 € statt des festgestellten Betrages von 703.931 €.
16Nachdem die Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung vom 13.1.2020 zunächst fehlgeschlagen war, wies der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 6.3.2020 als unbegründet zurück und führte aus, § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG sei nicht einschlägig. Zwar unterschreite der gezahlte Betrag den steuerlichen Wert von 703.931 €. Dies sei allerdings dem Umstand geschuldet, dass im Zuge der Auseinandersetzung die GmbH-Satzung unzutreffend angewandt worden sei. Nach § 7 der Satzung solle ein „realer“, also tatsächlicher Wert angesetzt werden. Bereits deshalb sei eine Unterschreitung des Steuerwerts ausgeschlossen. Zudem sei nach der Satzung eine Bewertung anhand der steuerrechtlichen Bewertungsrichtlinien in der jeweils gültigen Fassung vorgesehen. Dies seien hier §§ 109 Abs. 2, 11 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG), nicht aber das Stuttgarter Verfahren.
17Mit seiner am 25.3.2020 erhobenen Klage macht der Kläger u.a. geltend, der Kauf- und Abtretungsvertrag sei auch für Zwecke des Steuerrechts maßgeblich. Man habe sich genau an den Gesellschaftsvertrag gehalten, es handele sich nicht um ein Scheingeschäft oder einen Gestaltungsmissbrauch. Die Satzungsregelung sei von Beginn an auslegungsbedürftig gewesen, da der reale Wert regelmäßig nicht dem Wert nach dem Stuttgarter Verfahren entsprechen dürfte. Die Erben hätten sich aber dahingehend verständigt, die letzte gültige Version des Stuttgarter Verfahrens anzuwenden. Auf eine Bewertung etwa nach dem IDW-S1-Standard hätten sie verzichtet, da auch überschlägige Wertermittlungen gezeigt hätten, dass der nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelte Wert nur unerheblich von den aktuellen Ertragswerten abweiche. Auch wenn der Gesetzgeber das Stuttgarter Verfahren aufgegeben habe, bleibe es für gesellschaftsrechtliche Zwecke zulässig und könne für Abfindungszwecke vertraglich festgelegt werden. Die Bewertungsmethode sei ausdrücklich in der Satzung festgelegt. Im Übrigen enthielten die aktuellen steuerlichen Bewertungsrichtlinien keine Bewertungsregeln für nicht notierte Anteile mehr.
18Der Kläger beantragt,
19den Erbschaftsteuerbescheid vom 20.11.2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.3.2020 insoweit aufzuheben, als die Erbschaftsteuer 2.094 € übersteigt.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Er führt ergänzend u.a. aus, die Berechnung nach dem Stuttgarter Verfahren widerspreche der Satzung sowohl hinsichtlich des dort benutzten Wortes „real“, als auch hinsichtlich der Vorgabe „steuerliche Bewertungsrichtlinien in der jeweils gültigen Fassung“.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
24Entscheidungsgründe:
25Die zulässige Klage ist unbegründet.
26Der angefochtene Bescheid vom 20.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6.3.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
271. Die Klage ist jedoch nicht bereits nach § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) unbegründet. Über die streitgegenständliche Frage der Anwendung von § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG ist – wovon die Beteiligten auch übereinstimmend ausgehen – im hiesigen Erbschaftsteuerfestsetzungsverfahren zu entscheiden und nicht im Feststellungsverfahren nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG. Eine gesonderte Feststellung ist für § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG, anders als etwa in §§ 13a Abs. 4, Abs. 9a, 13b Abs. 10 ErbStG, nicht ausdrücklich angeordnet. Eine solche Anordnung wäre aber nach § 179 Abs. 1 AO zur Durchführung eines Feststellungsverfahrens zwingend erforderlich (vgl. Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss v. 11.4.2005 – GrS 2/02, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2005, 679, Rn. 36 f.; BFH, Beschluss v. 13.5.2013 – I R 39/11, BStBl. II 2016, 434, Rn. 30).
282. Der Beklagte hat den GmbH-Anteil zutreffend mit dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG, § 12 Abs. 2 ErbStG festgestellten Wert in die Bereicherung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG einbezogen. Die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG greift nicht ein.
29a) Nach Satz 2 der mit dem Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 vom 24.12.2008 (Bundesgesetzblatt I 2008, 3018) eingeführten Regelung gehört nur der Abfindungsanspruch zum Vermögensanfall, wenn ein Erbe einen GmbH-Anteil unverzüglich nach dem Erwerb von Todes wegen auf Grund einer im Zeitpunkt des Erbfalls bestehenden Regelung im Gesellschaftsvertrag an die Mitgesellschafter übertragen muss oder der Anteil auf Grund einer solchen Regelung von der GmbH eingezogen wird und der Wert nach § 12 ErbStG höher ist als der Abfindungsanspruch.
30Die Regelung dient insbesondere dazu, eine Überbesteuerung des ausscheidenden Gesellschafters zu vermeiden, wenn die Abfindung (etwa um Liquiditätsabfluss zu vermeiden) zu einem Wert unter dem gemeinen Wert, etwa zum Buchwert, erfolgt und der erbschaftsteuerliche Wert deutlich höher liegt (Bundestags-Drucksache 16/11107, S. 7 f.; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 10 Rn. 274 (5/2018)). In der Differenz zwischen Abfindungswert und Buchwert ist zugleich eine Bereicherung der erwerbenden Gesellschafter i.S.d. § 7 Abs. 7 ErbStG zu sehen (Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rn. 201, 208 (11/2020)).
31b) § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG ist hier nicht einschlägig.
32Der „gesellschaftsvertraglich festgelegte Abfindungsanspruch“ i.S.d. § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG liegt nicht unter dem nach § 12 ErbStG anzusetzenden Wert der Anteile. Denn entgegen der Auffassung des Klägers hatte die Bewertung nach der Satzung der GmbH nicht nach dem Stuttgarter Verfahren, sondern nach § 12 Abs. 1, Abs. 2 ErbStG, §§ 157 Abs. 4, 11 Abs. 2 BewG mit dem gemeinen Wert zu erfolgen.
33Indes ist die Formulierung in der Satzung aus dem Jahr 1989 auslegungsbedürftig. So wird einerseits i.S. eines dynamischen Verweises auf die „jeweils gültige Fassung“ der steuerrechtlichen „Bewertungsrichtlinien“ Bezug genommen, andererseits konkret das Stuttgarter Verfahren angesprochen. Jedoch lässt sich der gesamten Formulierung entnehmen, dass es gerade nicht darum gehen sollte, zur Schonung des Betriebsvermögens bzw. der betrieblichen Liquidität eine Abfindung unter dem gemeinen Wert zu regeln. Vielmehr wird ausdrücklich ein „realer“ Wert zugrunde gelegt. Auch wenn die Klägerseite zurecht darauf hinweist, dass der Begriff „real“ in diesem Zusammenhang keine eindeutige Bewertungsmethode definiert, so ist er doch als Gegenbegriff zu einem künstlich gesenkten, liquiditätsschonenden Bewertungsansatz zu verstehen. Die untechnische Bezugnahme auf steuerliche Regeln dürfte demnach vor dem Hintergrund zu sehen sein, dass die Gesellschafter seinerzeit davon ausgingen, die steuerlichen Bewertungsregeln würden den tatsächlichen Wert widerspiegeln, wobei in einem Klammerzusatz auf das seinerzeit noch anwendbare Stuttgarter Verfahren nur konkretisierend Bezug genommen wird. Die Abweichung der vom Kläger begehrten Bewertung nach dem Stuttgarter Verfahren vom durch den Beklagten angesetzten gemeinen Wert zeigt aber, dass das Stuttgarter Verfahren gerade keinen „realen“ Wert mehr widerspiegelt. Eine realistische Bewertung bezwecken die nunmehr geltenden steuerlichen Bewertungsregeln. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat der Satzung nicht die Intention zu entnehmen, der Kläger solle zu einem unter dem gemeinen Wert liegenden Abfindungsbetrag aus der Gesellschaft ausscheiden. Vielmehr ist sie dahin auszulegen, dass bezweckt war, entsprechend der dynamischen Verweisung die aktuellen steuerrechtlichen Regelungen zur Anwendung zu bringen und so einen „realen“, nämlich gemeinen Wert anzusetzen.
34Unbeachtlich ist dabei, dass der Kläger und sein Bruder offenbar übereinstimmend von einem anderen Verständnis der Satzungsregelungen ausgegangen sind. Der Senat verkennt nicht, dass die Erbauseinandersetzung durchaus von dem Willen geprägt war, die Vorgaben der Satzung zutreffend umzusetzen. Jedoch stellt § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG auf den „gesellschaftsvertraglich festgelegten“ Abfindungsanspruch ab, nicht auf die tatsächliche Umsetzung durch die Auseinandersetzungsbeteiligten. Dies macht die Auslegung der Satzung durch den Senat erforderlich. Daher kommt es entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht darauf an, ob die tatsächliche Umsetzung etwa die Voraussetzungen eines Scheingeschäfts oder eines Gestaltungsmissbrauchs erfüllt. Ebenso ist es unerheblich, ob das Stuttgarter Verfahren als Bewertungsmethode für Zwecke des Gesellschaftsrechts weiterhin anwendbar ist.
35c) Aus diesen Gründen kann offenbleiben, ob die übrigen Voraussetzungen von § 10 Abs. 10 Satz 2 BewG erfüllt wären. Dies betrifft insbesondere die Fragen, ob die hier vorgenommene Veräußerung an die Gesellschaft aus teleologischer Sicht den im Wortlaut des § 10 Abs. 10 Satz 2 ErbStG geregelten Fällen der Übertragung an Mitgesellschafter bzw. der Einziehung durch die Gesellschaft gleichzustellen wäre (vgl. Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 10 Rn. 276 (5/2018)) und ob die Übertragung „unverzüglich“ i.S.d. Regelung erfolgte, obwohl zwischen Erbfall und dem Abschluss des Notarvertrages beinahe acht Monate lagen.
363. Schließlich scheidet auch eine Wertkorrektur nach §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 2 BewG aus. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass in vergleichbaren Fällen die Ausübung der den übrigen Gesellschaftern bzw. der Gesellschaft zukommenden Gestaltungsrechte – etwa Erwerb oder Einziehung des Anteils – eine aufschiebende Bedingung darstellt und eine Wertkorrektur auch unabhängig von § 10 Abs. 10 ErbStG erforderlich ist (vgl. Gottschalk, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 10 Rn. 275 (5/2018) und § 3 Rn. 155 (10/2014); ähnlich Jochum, in ErbStG-eKommentar, § 10 Rn. 219 (12/2020)). Ob dem zu folgen ist, kann offenbleiben. Denn auch in diesem Fall wäre der tatsächlich in der Satzung vereinbarte Abfindungsbetrag bzw. Kaufpreis maßgeblich. Die Zahlung eines Kaufpreises, der – wie dargestellt – unter dem durch die Satzung bestimmten Betrag liegt, muss auch dann unbeachtlich sein, da sie ihren Rechtsgrund nicht mehr im ursprünglichen Erbfall hat, sondern in der späteren Abrede unter den Auseinandersetzungsbeteiligten.
374. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.