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Die Umsatzsteuerbescheide für 2012 bis 2015 vom 8.2.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.1.2019 werden dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer der Streitjahre wie folgt herabgesetzt wird: …€ für 2012, …€ für 2013, … € für 2014 und … € für 2015. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 25,45% und dem Beklagten 74,55% zu auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin ist eine GmbH. Sie ist Organträgerin mehrerer Tochtergesellschaften. Diese übernehmen für Ärzte und Krankenhäuser die Abwicklung von Privatliquidationen gegen Entgelt (nachfolgend wird gleichwohl aus Vereinfachungsgründen allein von einem Tätigwerden der Klägern ausgegangen). Die Kunden konnten verschiedene Tarifpakete wählen. Der angebotene Basistarif umfasste eine erste und zweite Mahnung durch die Klägerin an die Patienten sowie eine dritte Mahnung durch einen von der Klägerin beauftragen Anwalt. Als optionaler Zusatzbaustein war gegen Aufpreis die Möglichkeit vorgesehen, ein gerichtliches Mahnverfahren ohne Kostenrisiko durchführen zu lassen. Alternativ konnte der Kunde u.a. auch das Basistarifpaket mit einer sog. Sofortauszahlung wählen. Die in den Streitjahren von der der Klägerin verwendeten Musterverträge sahen (auszugsweise) folgende Regelungen vor:
3I. Vertragsgegenstand
4(…) Die VERRECHNUNGSSTELLE führt für den Kunden entgeltlich die Privatliquidation durch. Die weiteren Einzelheiten (…) ergeben sich aus diesem Vertrag und den …, die Bestandteil dieses Vertrages sind.
5II. Abtretung
6Der Kunde bietet der VERRECHNUNGSSTELLE die Abtretung seiner Honorarforderungen aus seinen Leistungen, die nicht über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet werden müssen, zum Zwecke der Einziehung an. Dies gilt für die bestehenden und die zukünftig entstehenden Forderungen. (…).
7Die Forderungsabtretung berechtigt die VERRECHNUNGSSTELLE, die Forderungen im eigenen Namen geltend zu machen. Der Kunde behält im Innenverhältnis das Weisungsrecht gegenüber der VERRECHNUNGSSTELLE über die Forderung. Er bestimmt die Grundsätze für das Auftreten der VERRECHNUNGSSTELLE gegenüber Patienten und Kostenträgern und entscheidet insbesondere über die Berechnung der Honorarforderung, über spätere Veränderungen der Honorarsumme - Erhöhung, Ermäßigung, Streichung –, über die Art und Weise des Mahnverfahrens sowie über die Einleitung des gerichtlichen Einzugsverfahrens. Die VERRECHNUNGSSTELLE verpflichtet sich grundsätzlich, alle schriftlichen Weisungen des Kunden zu beachten, ist jedoch berechtigt davon abzuweichen, wenn sie den Umständen nach annehmen darf, dass der Kunde bei Kenntnis der Sachlage die Abweichung billigen würde. Darüber hinaus darf die VERRECHNUNGSSTELLE Weisungen des Kunden aus wichtigem Grund ablehnen. (…).
8Der Kunde hat einen schuldrechtlichen Anspruch auf jederzeitige Auszahlung der eingegangenen Patientenzahlungen, verkürzt um die Gegenforderungen der VERRECHNUNGSSTELLE aus sämtlichen laufenden Geschäftsverbindungen (…).
9Die Herausgabepflicht der VERRECHNUNGSSTELLE im Sinne des § 667 BGB beschränkt sich auf die Auszahlung des bei der VERRECHNUNGSSTELLE eingegangenen Honorars an den Kunden. Weitergehende Herausgabeansprüche des Kunden im Sinne des § 667 BGB oder die Verzinsungspflicht im Sinne des § 668 BGB sind ausgeschlossen. Sobald der Kunde das ihm zustehende Honorar abzüglich des Entgeltanspruchs der VERRECHNUNGSSTELLE erhalten hat, bleibt es allein der VERRECHNUNGSSTELLE überlassen, noch offene Kosten (Mahnkosten, etc.) bei dem Patienten oder anderen Zahlungspflichtigen geltend zu machen.
10In einem Beiblatt mit dem Titel „…“ fanden sich u.a. folgende Hinweise:
11Forderungsmanagement
12Die VERRECHNUNGSSTELLE überwacht und verbucht alle Zahlungseingänge. Je nach Tarif und Auszahlungsmodell können dabei individuelle Zahlungsziele berücksichtigt werden. Standardmäßig ist ein Zahlungsziel von …Tagen vorgesehen.
13Mahnverfahren
14Bei Nichteinhaltung des Zahlungsziels führt die VERRECHNUNGSSTELLE zunächst ein außergerichtliches Mahnverfahren durch. Nach Versendung einer ersten und zweiten Mahnung durch die VERRECHNUNGSSTELLE erfolgt die Versendung einer Anwaltsmahnung. Darüber hinaus kann auch die Versendung einer mit dem Kunden abgestimmten Mahnung vorgenommen werden. Sollte keine Sofortfinanzierung vereinbart sein, kann der Kunde zudem vorgeben, in welchem Turnus die mit ihm abgestimmten Mahnungen versendet werden. Nach der erfolglosen Durchführung des außergerichtlichen Mahnverfahrens führt die VERRECHNUNGSSTELLE je nach gewähltem Tarif oder zu einem Aufpreis das gerichtliche Mahnverfahren durch.
15Finanzmanagement
16Im Rahmen von Verträgen, in denen keine Vorfinanzierung vereinbart ist, erfolgt die Honorarauszahlung an den Kunden, auf Wunsch auch auf von ihm benannte verschiedene Abrechnungskonten oder an von ihm benannte Dritte grundsätzlich …. Je nach Tarif können individuelle Auszahlungszeitpunkte vereinbart werden. In allen Fällen kann nach Abstimmung mit dem Kunden mit Patienten eine Ratenzahlung vereinbart werden.
17In dem Vertragsmuster „…“ war unter dem Punkt „IV. Vorfinanzierung“ folgende Vereinbarung getroffen:
18Gegenstand ist die Vorfinanzierung der in Rechnung gestellten ärztlichen Honorarforderungen durch die VERRECHNUNGSSTELLE. Der Kunde beantragt die Vorfinanzierung gemäß nachfolgenden Bedingungen. (…). Die VERRECHNUNGSSTELLE gewährt dem Kunden auf die jeweils offenstehenden Forderungen einen auf 90 Tage zeitlich begrenzten Kredit. In den ersten … Monaten nach der ersten Rechnungsbearbeitung auf der Grundlage dieses Vorfinanzierungsvertrages räumt die VERRECHNUNGSSTELLE dem Kunden einen Kreditrahmen nur bis zu einer Höhe von … € ein. Falls der Kunde einen höheren Kreditrahmen wünscht, müssen Sondervereinbarungen, z. B. über die zu stellenden Sicherheiten getroffen werden. Die Tilgung dieses im Rahmen eines unechten Factorings gewährten Kredits erfolgt in der Regel durch die Patienten bzw. anderweitige Schuldner der Honorarforderung.
19Vorfinanzierungsbedingungen:
201. Die VERRECHNUNGSSTELLE gewährt dem Kunden einen Kredit jeweils in Höhe der in Rechnung gestellten Honorarforderung. Der Kreditbetrag wird nach Verrechnung mit den jeweiligen Gegenforderungen der VERRECHNUNGSSTELLE — insbesondere den Bearbeitungsgebühren — an den Kunden oder an einen von ihm benannten Dritten ausgezahlt.
212. Die VERRECHNUNGSSTELLE berechnet für die Vorfinanzierung eine Gebühr in Höhe von … % der Honorarsumme. Diese Gebühr ist nicht umsatzsteuerpflichtig. Diese Gebühr betrifft ausschließlich das Entgelt der VERRECHNUNGSSTELLE für Vorfinanzierung und wird dem Kunden gesondert von den Gebühren für anderweitige Dienstleistungen in Rechnung gestellt.
223. Die Gebühr kann nach schriftlicher Ankündigung durch die VERRECHNUNGSSTELLE binnen eines Monats herabgesetzt oder erhöht werden.
234. Die Kreditzusage entfällt, wenn die Honorarforderung nicht … Tage nach Rechnungsstellung bezahlt ist.
245. Die Kreditzusage entfällt ferner, wenn die VERRECHNUNGSSTELLE die Honorarforderung aus folgenden Gründen aus der Bearbeitung nimmt:
25a) Die Rechnung kann nicht zugestellt werden.
26b) Die Forderung ist unmittelbar an den Kunden gezahlt worden.
27c) Die Forderung wird im Einvernehmen mit dem Kunden gestrichen.
28d) Der Rechnungsempfänger unternimmt bei drohender Zahlungsunfähigkeit den Versuch einer außergerichtlichen Schuldenbereinigung oder stellt einen Antrag auf Restschuldbefreiung bzw. auf Einleitung des Insolvenzverfahrens.
29e) Die Forderung wird von der VERRECHNUNGSSTELLE einseitig gestrichen, weil der Rechnungsempfänger zahlungsunfähig ist.
306. In den Fällen der Ziffern 4 und 5 nimmt die VERRECHNUNGSSTELLE die Rückbelastung des Kreditbetrages vor. In Höhe der Rückbelastung hat die VERRECHNUNGSSTELLE eine Forderung gegen den Kunden.
31Für die weiteren Einzelheiten wird auf die eingereichten Vertragsmuster nebst Anlagen Bezug genommen.
32In Bezug auf das Mahnwesen verhielt es sich so, dass die Klägerin den Patienten für die Erstellung der ersten und zweiten Mahnung pauschale Mahngebühren zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung stellte. Sofern die Patienten diese Mahngebühren bezahlten, verblieben sie bei der Klägerin und wurden nicht an die Kunden weitergeleitet. Die Klägerin führte die von den Patienten gezahlte Umsatzsteuer an das Finanzamt ab. Mit weiteren Mahnungen beauftragte die Klägerin im eigenen Namen und auf eigene Rechnung Rechtsanwälte. Diese stellten den Patienten aufgrund der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin die gesetzlichen Gebühren ohne Umsatzsteuer als Schadensersatz i.S.v. §§ 286, 288 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Rechnung. Die Patienten hatten die Nettohonorare an die VERRECHNUNGSSTELLE zu zahlen. Anschließend rechneten die Rechtsanwälte gegenüber der Klägerin über die gezahlten Nettohonorare zuzüglich Umsatzsteuer ab. Die Klägerin zog die von den Rechtsanwälten in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge als Vorsteuer ab.
33Für die Streitjahre 2012 bis 2015 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung … eine Betriebsprüfung (BP) durch. Auf den Teilbericht des Umsatzsteuer-Fachprüfers wird Bezug genommen. Darin kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zu Unrecht die von den Patienten gezahlten Beträge für anwaltliche Mahnungen als umsatzsteuerfrei behandelt habe. Es handele sich insoweit nicht um Schadenersatz, sondern um Entgelt für die Tätigkeit der Klägerin. Der Schadenersatz stehe dem Arzt zu. Da dieser zugunsten der Klägerin verzichte, handele es sich um zusätzliches Entgelt des Arztes für die Tätigkeit der Klägerin. Soweit die Klägerin auf Teile der einzuziehenden Forderungen eine vorzeitige Auszahlung gegen Zahlung einer Vorschussgebühr erhebe, handele es sich nicht um eine gesonderte Kreditgewährung i.S.v. § 4 Nr. 8 Buch. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Es handele sich vielmehr um eine einheitliche und damit insgesamt steuerpflichtige Leistung.
34Am 8.2.2018 erließ der Beklagte (das Finanzamt --FA--) entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.
35Dagegen legte die Klägerin Einsprüche ein, die das FA mit Einspruchsentscheidung vom 18.1.2019 als unbegründet zurückwies.
36Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin vorträgt:
37Was die umsatzsteuerliche Behandlung der anwaltlichen Mahngebühren angehe, berufe sich das FA bei seiner Auffassung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.5.1995 V R 86/93 (Bundessteuerblatt --BStBl-- 1995, 613). Der BFH komme darin über die zivilrechtliche Würdigung des Vertragsverhältnisses und des Herausgabeanspruchs der Ärzte gemäß § 667 BGB zu dem Ergebnis, dass die Mahnkosten gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG zum Entgelt für die Leistungen an seine Mitglieder durch Forderungseinzug gehörten und damit umsatzsteuerpflichtig seien. Dieses Urteil sei nicht auf den Streitfall übertragbar. In den Verträgen zwischen den Ärzten und ihr sei die Herausgabepflicht bezüglich der Mahnkosten ausdrücklich ausgeschlossen worden, so dass bereits keine Herausgabepflicht nach § 667 BGB bestanden habe. Sie erwerbe daher die Forderungen gegen die Patienten nicht aus der Geschäftsführung, sondern aus den im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erteilten Aufträgen an die Rechtsanwälte.
38Entgegen der Auffassung des FA stellten die betreffenden Beträge kein Entgelt i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG dar. Bei den von den Patienten erstatteten Nettoanwaltshonoraren handele es sich nicht um eine Gegenleistung der Ärzte bzw. Krankenhäuser für die von ihr erbrachten Leistungen, und zwar auch nicht im abgekürzten Zahlungsweg. Es handele sich auch nicht um Zahlungen Dritter für diese Leistungen. Empfänger ihrer Leistungen seien die Ärzte und Krankenhäuser, die sie beauftragt hätten. Diese honorierten ihre Leistungen durch die an sie gezahlten Bearbeitungsgebühren. Dass die Zahlungen der Patienten für die von ihr beauftragten Anwälte kein Leistungsentgelt der Ärzte an sie darstellten, folge schon daraus, dass diese Zahlungen der Patienten unmittelbar oder mittelbar ausschließlich den Anwälten zuflössen und es sich um Entgelt für deren Leistungen handele.
39Darüber hinaus verkenne das FA die Leistungsbeziehungen. Entscheidend sei, dass sie im Außenverhältnis die Rechtsanwälte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung beauftrage. Die Ärzte hätten insoweit ihr gegenüber keine Zahlungs- oder Erstattungsverpflichtungen. Das Kostenrisiko werde ausschließlich von ihr getragen. Wegen ihres Auftretens nach außen seien ihr die Leistungen als eigene zuzurechnen. Bei den Zahlungen der Patienten aufgrund der Anwaltsmahnungen handele es sich um Verzugsschadenersatz. Wegen ihrer Vorsteuerabzugsberechtigung sei die Erstattung der Anwaltshonorare daher nicht umsatzsteuerpflichtig.
40In Bezug auf die Frage, ob die Vorfinanzierung eine steuerfreie Leistung i.S.v. § 4 Nr. 8 Buch. a UStG bilde, habe der BFH mit Urteil vom 10.12.1981 V R 75/76 (BStBl II 1982, 200) entschieden, dass es sich bei dem – auch im Streitfall praktizierten – unechten Factoring um eine Mehrzahl selbständiger Leistungen handele. Die damit verbundene Dienstleistung der Kreditgewährung sei nicht als nebensächlich anzusehen. Der Factor könne daher die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 8 Buch. a UStG in Anspruch nehmen. Diese Auffassung sei seitdem nicht bestritten worden. Erst das Finanzgericht (FG) München habe in seinem Urteil vom 31.8.2016 3 K 874/14 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2016, 2089) demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die im Rahmen eines Vorfinanzierungsmodells erbrachten Leistungen eine einheitliche Leistung darstellen würden. Der BFH habe die hiergegen eingelegte Revision mit Beschluss vom 12.10.2017 V R 53/16 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH --BFH/NV-- 2018, 243) als unbegründet zurückgewiesen.
41Den Entscheidungen des FG München und des BFH liege eine Einzelfallbetrachtung der in dem entschiedenen Fall getroffenen Vereinbarungen zugrunde. Das FG München habe eine untrennbare wirtschaftliche Leistung aus Forderungseinziehung und Kreditgewährung unter anderem damit begründet, dass bereits der Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung für ein einheitliches Rechtsgeschäft mit dem Schwerpunkt des Forderungsmanagements spreche. So habe sich aus Tz. 1 des Vorfinanzierungsvertrags ein einheitlicher Vertragsgegenstand in Gestalt des Kaufs von gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen gegenüber den Patienten ergeben. Eine separate Kreditgewährung sei nicht vereinbart worden. Zudem habe die Klägerin in dem vom FG München entschiedenen Verfahren über die Kreditgewährung nicht gesondert abgerechnet.
42Bereits aus tatsächlichen Gründen lasse sich diese Entscheidung nicht auf die vertraglichen Gestaltungen der Klägerin übertragen. Diese biete ihren Kunden das unechte Factoring optional an. Die Kunden könnten wählen, ob sie sie nur mit dem Forderungseinzug oder auch mit der Vorfinanzierung der Honorarforderungen beauftragen wollten. Wie dargelegt und unter Beweis gestellt nähmen im Durchschnitt nur 18 % der Kunden die Möglichkeit einer Vorfinanzierung in Anspruch. Vor diesem Hintergrund verwende sie zwei unterschiedliche Verträge, und zwar einen Vertrag, in dem die Kunden sie nur mit der Abrechnungsdienstleistung beauftragen würden, und einen anderen Vertrag, in dem zusätzlich die Vorfinanzierung vereinbart werde.
43Im Streitzeitraum seien die dem Gericht als Anlagen überreichten Musterverträge verwendet worden. Der für die Vorfinanzierung verwendete Vertrag trenne zwischen der Abtretung der Honorarforderung zur Forderungseinziehung und der Vorfinanzierung als eigenständiger Leistung. In den Vorfinanzierungsbedingungen werde gesondert eine Gebühr in Höhe von … % der Honorarsumme vereinbart, bei der es sich gemäß den Vorfinanzierungsbedingungen ausschließlich um das Entgelt der Klägerin für die Vorfinanzierung handele und die den Kunden gesondert von den Gebühren für anderweitige Dienstleistungen in Rechnung gestellt werde.
44Eine gesonderte Abrechnung liege daher vor. Allerdings treffe es zu, dass keine Einzelabrechnungen über die Vorfinanzierungsleistungen existieren würden. Sie belaste die Bearbeitungsgebühren und die Vorfinanzierungsgebühren dem jeweiligen Kundenkonto und verrechne diese Gebühren mit den fortlaufenden Abrechnungen. Die Rechnungsausgänge würden in Rechnungsausgangslisten festgehalten. Wie aus den dem Gericht übersandten Listen ersichtlich sei, trenne sie bei der Abrechnung zwischen den Bearbeitungsgebühren und den Vorfinanzierungsgebühren. Es würden Gebühren mit Mehrwertsteuer und Vorfinanzierungsgebühren ohne Mehrwertsteuer abgerechnet. Rechtlich käme es hierauf aber nicht einmal entscheidend an. Im Rahmen der Gesamtbetrachtung, ob im Fall mehrerer Leistungen jede Leistung selbstständig zu betrachten sei oder eine einheitliche Leistung vorliege, käme selbst dem Umstand, dass ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt werde, nur eine indizielle, aber keine allein entscheidende Bedeutung zu (Hinweis auf BFH-Urteil vom 8.9.2011 V R 5/10, BStBI II 2012, 620). Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sei vielmehr von entscheidender Bedeutung, ob sich die Leistungen zu einem untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang verbänden und ob die Leistungen durch die Verflechtung nur insgesamt in Anspruch genommen werden könnten. Dies sei nach der Rechtsprechung des BFH nicht der Fall, wenn die eine Leistung optional zur anderen in Anspruch genommen werden könne (vgl. BFH-Urteil vom 13.6.2018 XI R 2/16, BStBI II 2018, 678). Allgemein lasse sich daraus schließen, dass Wahlrechte jeder Art dafür sprächen, Leistungsbestandteile als eigenständig zu betrachten. Dies müsse auch für den Streitfall gelten.
45Die Behauptung des FA, dass die Ermittlung der beiden Entgelte für die Abrechnungsdienstleistung und die Vorfinanzierung nur intern bei ihr erfolge, sei jedenfalls falsch. Richtig sei, dass sie im Interesse und auf den Wunsch der Ärzte hin keine Einzelabrechnungen darüber erstelle, weil dies angesichts der Vielzahl von Abrechnungen für die Ärzte zu einem enormen zusätzlichen Verwaltungsaufwand führen würde. Sobald sie die Rechnungen erstellt und an die Patienten versandt habe, erhielten die Ärzte aber die zu dem Vorgang gehörende Rechnungsliste als Dokumentation ihrer Tätigkeit per Post oder per E-Mail. Allerdings gebe es auch Ärzte, die darauf verzichten würden, die Rechnungslisten zu erhalten, um sich diesen Aufwand zu ersparen.
46Vor diesem Hintergrund lägen im Streitfall die Voraussetzungen einer selbständigen Leistung vor.
47Abgesehen davon stehe einer Änderung der Bescheide in dem Streitpunkt „Vorfinanzierung“ der Rechtsgrundsatz des Vertrauensschutzes gem. § 176 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) entgegen.
48Die Klägerin beantragt,
49die Umsatzsteuerbescheide 2012 bis 2015 vom 8.2.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.1.2019 aufzuheben.
50Das FA beantragt,
51die Klage abzuweisen.
52Hinsichtlich der anwaltlichen Mahnkosten hält das FA daran fest, dass diese ein zusätzliches Entgelt für die Einziehungsleistungen der Klägerin bildeten. Für die weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz des FA vom 7.4.2021 nebst Anlagen Bezug genommen.
53Hinsichtlich des Streitpunktes „Vorfinanzierung“ führt das FA ergänzend aus: Was die Problematik der Vorfinanzierung angehe, sei nur ein Mustervertrag vorgelegt worden. Es sei nicht erkennbar, ob dieser überhaupt im Prüfungszeitraum verwendet worden sei. Die Ermittlung der Auszahlungsbeträge sei im Übrigen nur bei der Klägerin getrennt nach den beiden Entgeltbestandteilen erfolgt. Eine Dokumentation der Berechnungen gegenüber den teilnehmenden Ärzten sei nicht vorgenommen worden. Es fehle daher an einer gesonderten Rechnungsstellung. Was die vorgelegten Rechnungsausgangslisten angehe, werde hieraus in keiner Weise ersichtlich, ob die Ärzte als Zahlungsempfänger aufgrund der Abrechnungen mit ihnen die einzelnen Leistungen und das Entgelt hierfür nachvollziehen könnten. Das Fehlen einer gesonderten Abrechnung und die interne Verrechnung deuteten auf ein Leistungskonvolut hin, dass als einheitliche steuerpflichtige Leistung zu bewerten sei.
54E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
55Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
56Die Umsatzsteuerbescheide für 2012 bis 2015 vom 8.2.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.1.2019 sind rechtmäßig, soweit das FA die anwaltlichen Mahnkosten als Teil der umsatzsteuerpflichtigen Gegenleistung für die von der Klägerin erbrachten Leistungen im Bereich der Forderungseinziehung behandelt hat (vgl. I.). Sie sind dagegen rechtswidrig, soweit das FA zu Unrecht die Vorfinanzierungsgebühren als steuerpflichtig angesehen hat; diese sind steuerfrei nach § 4 Nr. 8 Buch. a UStG (vgl. II.).
57I. Die Klage ist unbegründet, soweit sich die Klägerin gegen die Behandlung der anwaltlichen Mahnkosten als Teil des Entgelts wendet.
581.a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Entgelt ist gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG (in der in den Streitjahren gültigen Fassung) alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Zum Entgelt gehört auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt (§ 10 Abs. 1 Satz 3 UStG).
59Dabei muss zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen müssen, die im Rahmen eines zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger bestehenden Rechtsverhältnisses, in dem gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, erbracht wurde (vgl. BFH-Urteil vom 13.2.2019 XI R 1/17, BFH/NV 2019, 793 mit umfangreichen weiteren Hinweisen zur EuGH-Rechtsprechung). Insoweit ist in erster Linie nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu bestimmen, ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet (vgl. BFH-Urteil vom 13.2.2019 XI R 1/17, BFH/NV 2019, 793). Die Frage, ob die Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung für die Erbringung von Leistungen erfolgt, stellt insoweit eine unionsrechtliche Frage dar, die unabhängig von der Beurteilung nach nationalem Recht nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden ist (vgl. BFH-Urteil vom 13.2.2019 XI R 1/17, BFH/NV 2019, 793).
60Vom Entgelt sind abzugrenzen Entschädigungs- oder Schadensersatzleistungen. Derartige Leistungen bilden dann kein Entgelt i.S. des Umsatzsteuerrechts, wenn die Zahlung nicht für eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Zahlenden erfolgt, sondern weil der Zahlende nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat (BFH-Urteil vom 13.2.2019 XI R 1/17, BFH/NV 2019, 793).
61b) Zur Behandlung von sog. Mahnkosten durch ärztliche Verrechnungsstellen hat der BFH mit Urteil vom 11.5.1995 V R 86/93 (BStBl II 1995, 613) entschieden, dass Mahngebühren, die eine solche Verrechnungsstelle im Rahmen der treuhänderischen Einziehung der Honorare für die Ärzte von den Honorarschuldnern erhebt und behält, bei ihr zum Entgelt für die Einziehungsleistung gehören. Zur Begründung hat der BFH darauf verwiesen, dass zwischen der Verrechnungsstelle und den Ärzten ein entgeltliches Geschäftsbesorgungsverhältnis i.S. des § 675 BGB bestanden habe, dessen Vertragsgegenstand die Einziehung der Honorarforderungen einschließlich der Mahntätigkeit gewesen sei. Als Beauftragter sei die Verrechnungsstelle gemäß §§ 667, 675 BGB verpflichtet gewesen, ihren Auftraggebern alles herauszugeben, was sie aus der Geschäftsbesorgung erlangt habe. Hierzu zählten auch Schadensersatzansprüche und Schadensersatzleistungen wegen vertragswidrigen Verhaltens Dritter. Die vereinnahmten Mahnkosten stünden den Ärzten mithin selbst insoweit zu, als die Verrechnungsstelle sie auf Grund eigener Schadensersatzansprüche gegen die Patienten erhoben haben sollte.
62c) Dieser Auffassung des BFH wird in der Literatur - soweit ersichtlich – uneingeschränkt beigepflichtet. So führt etwa Nieskens (in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 1 UStG Rn. 855) aus, dass Mahngebühren, die eine privatärztliche Verrechnungsstelle im Rahmen der treuhänderischen Einziehung der Arzthonorare von den Patienten erhebt, zwar im Verhältnis Patient und Verrechnungsstelle als Schadensersatz zu beurteilen seien. Im Verhältnis des Arztes zur Verrechnungsstelle bildeten sie jedoch gem. § 10 Abs. 1 Sätze 2 und 3 UStG zusätzliches Entgelt für die gegenüber den Ärzten erbrachte Einziehungsleistung. Wäger (in Wäger, UStG, 1. Aufl. 2020, § 10 Rn. 37) weist darauf hin, dass Mahngebühren grds. das Entgelt nicht erhöhen würden. Überlasse der Unternehmer aber die Mahngebühren der von ihm beauftragten Inkassostelle, liege ein zusätzliches Entgelt für deren Leistung vor.
632. Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich bei den von der Klägerin vereinnahmten Anwaltskosten um einen Teil des umsatzsteuerlichen Entgelts. Im Streitfall besteht zwischen den Ärzten und Krankenhäusern als Leistungsempfängern und der Klägerin als Leistender aufgrund der abgeschlossenen Verträge über die Abwicklung von Privatliquidationen ein Rechtsverhältnis. Zwischen der von der Klägerin erbrachten Leistung und dem erhaltenen Gegenwert – in Gestalt der bei der Klägerin verbliebenen Anwaltshonorare – besteht des Weiteren auch ein unmittelbarer Zusammenhang.
64a) Die Klägerin hatte sich im Rahmen einer entgeltlichen Geschäftsbesorgung i.S.v. § 675 BGB gegenüber den Ärzten und Krankenhäusern - auch im Rahmen des sog. Basistarifs - vertraglich u.a. dazu verpflichtet, nach zwei erfolglosen Mahnungen eine Anwaltsmahnung zu beauftragen. Sämtliche Mahnungen gehörten daher zum von der Klägerin zu erbringenden Leistungsspektrum.
65b) Als Gegenleistung erhielt die Klägerin hierfür die mit den jeweiligen Kunden vertraglich vereinbarten Gebühren.
66c) Neben einem bestimmten „Festpreis“ umfasst das Entgelt aber auch weitere Aufwendungen des Leistungsempfängers, für die kein anderer Zuwendungsgrund ersichtlich ist (vgl. etwa BFH-Urteile vom 31.8.1992 V R 47/88, BStBl II 1992, 1046; vom 11.5.1995 V R 86/93, BStBl II 1995, 613). Dies ist hier in Bezug auf die vereinnahmten Mahn- und Anwaltsgebühren der Fall.
67Dass es sich überhaupt um „Zuwendungen“ der Ärzte bzw. Krankenhäuser an die Klägerin handelt, ergibt sich aus der unter dem Punkt „II. Abtretung“ des vorgelegten Mustervertrags getroffenen Regelung, dass ein Herausgabeanspruch der Ärzte und Krankenhäuser gegen die Klägerin nur in Höhe des Honoraranspruchs bestehen sollte. Weitere Herausgabeansprüche, die den Ärzten und Krankenhäusern nach § 667 BGB gegen die Klägerin zugestanden hätten, wurden hierdurch ausgeschlossen.
68Zwar handelt es sich bei dem Anspruch auf Zahlung der Anwaltskosten für die Mahnung, worauf die Klägerin mit Recht hinweist, um einen Schadenersatzanspruch, der ihr persönlich gegenüber den in Zahlungsrückstand geratenen Patienten zusteht. Denn durch die mit den Ärzten und Krankenhäusern vereinbarte Abtretung der Honorarforderungen ist diese alleinige Inhaberin der betreffenden Forderungen geworden. Da die Klägerin mit der Erstellung der Rechnungen beauftragt war, ist zudem davon auszugehen, dass ein Zahlungsverzug erst nach der Abtretung und mithin während des Zeitraums, in dem die Klägerin als Forderungsinhaberin anzusehen war, eintreten konnte.
69Dies steht einer Behandlung als zusätzlicher Entgeltbestandteil im Verhältnis zwischen der Klägerin auf der einen und den Ärzten und Krankenhäusern auf der anderen Seite aber nicht entgegen. Nach der gesetzlichen Grundregel der §§ 675 Abs. 1 i.V.m. 667 BGB ist der Geschäftsbesorger gegenüber seinem Auftraggeber zur Herausgabe des „Erlangten“ verpflichtet. Was ein Dritter dem Geschäftsbesorger zur Ausführung des Geschäfts überträgt, hat er dem Geschäftsherrn ebenso herauszugeben wie das, was ihm in - auftragsgemäßer oder auftragswidriger - Durchführung des Geschäfts von dritter Seite zufließt (vgl. Rieble in Staudinger, BGB, § 675 Rn. A 34). Der Herausgabepflicht unterliegen auch Ansprüche, die im Zusammenhang mit dem Auftrag in der Person des Beauftragten gegen Dritte entstanden sind, wie etwa Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche gegen Dritte (vgl. Rieble in Staudinger, BGB, § 667 Rn. 7). Als ein solcher – herausgabepflichtiger – Schadenersatzanspruch ist daher auch ein Anspruch auf Ersatz des Verzugsschadens gem. §§ 268, 288 BGB anzusehen. Gleiches muss für Zahlungen gelten, die auf einen solchen Schadenersatzanspruch geleistet werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin hätten daher den Ärzten bzw. Krankenhäusern grds. Herausgabeansprüche gegen sie zugestanden.
70Verzichtet der Geschäftsherr eines Geschäftsbesorgungsvertrags im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung mit dem Geschäftsbesorger auf den Herausgabeanspruch, der ihm aus der Geschäftsbesorgung zustünde (hier den Ärzten und Krankenhäusern), wendet er damit dem Geschäftsbesorger neben dem ohnehin zu zahlenden Honorar einen zusätzlichen Vorteil zu, dessen Zuwendungsgrund ebenfalls in dem Geschäftsbesorgungsverhältnis begründet ist. Faktisch handelt es sich dabei um die (verkappte) Vereinbarung eines zusätzlichen Entgeltbestandteils für die vom Geschäftsbesorger erbrachte Leistung, die dessen zusätzlichen Aufwand, der im Bereich des Mahnverfahrens entsteht, kompensieren soll.
71II. Die Klage ist dagegen begründet, soweit sie sich gegen die Erhöhung der Ausgangsumsätze um die Vorfinanzierungsgebühr richtet. Entgegen der Auffassung des FA ist diese kein - steuerpflichtiger - Teil der Leistung „Forderungsmanagement“. Vielmehr handelt es sich um eine selbständige Leistung, die nach § 4 Nr. 8 Buch. a UStG steuerfrei ist.
721. Enthält eine Leistung mehrere Dienstleistungselemente, stellt sich umsatzsteuerlich die Frage, ob es sich um eine einheitliche Leistung oder um ein Bündel separater Leistungen handelt.
73Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelleistungen und Handlungen umfasst, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, um zu bestimmen, ob dieser Umsatz für Zwecke der Mehrwertsteuer zwei oder mehr getrennte Leistungen oder eine einheitliche Leistung umfasst (vgl. etwa EuGH-Urteil vom 25.3.2021 C-907/19, „Q-GmbH“, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2021, 799). Grundsätzlich gelte jeder Umsatz erst einmal als eigenständige und selbständige Leistung (vgl. etwa EuGH-Urteil vom 25.3.2021 C-907/19, „Q-GmbH“, DStR 2021, 799). Allerdings dürfe ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstelle, im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb liege eine einheitliche Leistung dann vor, wenn zwei oder mehr Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden seien, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bildeten, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. EuGH-Urteil vom 25.3.2021 C-907/19, „Q-GmbH“, DStR 2021, 799). Das sei namentlich dann der Fall, wenn ein Teil oder mehrere Teile als Hauptleistung anzusehen seien, während andere Teile als eine oder mehrere Nebenleistungen einzustufen seien, die steuerlich ebenso zu behandeln seien wie die Hauptleistung. Insbesondere sei eine Leistung als Nebenleistung einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck darstelle, sondern das Mittel, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH-Urteil vom 25.3.2021 C-907/19, „Q-GmbH“, DStR 2021, 799).
74Zur Bestimmung, ob ein Umsatz, der mehrere Leistungen umfasst, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer einen einheitlichen Umsatz darstellt, soll sowohl der wirtschaftliche Zweck dieses Umsatzes als auch das Interesse der Leistungsempfänger zu berücksichtigen sein (vgl. etwa EuGH-Urteil vom 17.12.2020 C-801/19,“Franck“, HFR 2021, 328).
752. Für den Fall des Zusammentreffens von Kreditleistungen mit weiteren Leistungen hat der BFH entschieden, dass diese einen eigenständigen Charakter haben können und dann nicht als bloße Nebenleistung zur Hauptleistung anzusehen seien (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 13.11.2013 XI R 24/11, BStBl II 2017, 1147). Auch der EuGH hat zur unionsrechtlichen Vorschrift des Art. 135 Abs. 1 Buch. b MwStSystRL entschieden, dass eine wie auch immer geartete Kreditgewährung steuerfrei i.S.v. dieser Vorschrift sein kann, solange die Zinszahlung nicht Teil der Gegenleistung für die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung, sondern das Entgelt für diesen Kredit ist (vgl. EuGH-Urteile vom 18.10.2018 C-153/17, „Volkswagen Financial Services (UK)“, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2018, 1004).
763. Speziell zum im Streitfall maßgeblichen sog. unechten Factoring hat der BFH im Urteil vom 10.12.1981 V R 75/76 (BStBl II 1982, 200) ausgeführt, dass der Factor für die Kreditgewährung die Steuerfreiheit des § 4 Nr. 8 Buch. a UStG in Anspruch nehmen könne. Dieser erbringe eine Mehrheit von steuerfreien und steuerpflichtigen Leistungen, so dass die insgesamt in Rechnung gestellten Factoringgebühren aufgeteilt werden müssten. Die Tätigkeit des Factors umfasse neben der Kreditgewährung die Bonitätsprüfung der Schuldner, die Führung der Debitorenkonten, die Anfertigung von Übersichten und statistischem Material sowie das Inkasso. Zivilrechtlich betrachtet stelle das unechte Factoringgeschäft einen typengemischten Vertrag dar. Umsatzsteuerrechtlich betrachtet handele es sich um eine Mehrheit von selbständigen Hauptleistungen, da keiner der aufgeführten Leistungen ein leistungsbestimmender Charakter beizumessen sei, demgegenüber alle übrigen Leistungen als unselbständige Nebenleistungen dieser Hauptleistung zurücktreten müssten. Die mit dem unechten Factoring verbundenen Dienstleistungen des Factors, nämlich die Kreditgewährung, die Führung der Debitorenkonten sowie das Inkasso hätten alle ihr eigenes Gewicht, so dass keine im Verhältnis zu einer anderen nebensächlich sei.
774. Nach Auffassung des Senats führt die Anwendung der allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung unter Berücksichtigung der BFH-Rechtsprechung zum unechten Factoring im Streitfall dazu, dass die von der Klägerin erbrachte Vorfinanzierungsleistung als steuerfrei i.S.v. § 4 Nr. 8 Buch. a UStG anzusehen ist.
78Eine einheitliche Leistung liegt nach Auffassung des Senats schon deshalb nicht vor, weil die von der Klägerin erbrachten Leistungen nicht so ineinandergreifen, dass sie hinter einem einheitlichen Ganzen zurücktreten würden. Dagegen spricht schon, dass es sich bei der Vorfinanzierung um eine von der Klägerin zusätzlich angebotene Leistung handelt, die von den Kunden optional in Anspruch genommen werden kann. Der Umstand, dass nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin nur ein kleiner Teil der Kunden (18%) von dieser Zusatzleistung Gebrauch macht, spricht dafür, dass es sich nicht nur um ein „auf dem Papier stehendes“ Wahlrecht handelt, sondern dass es sich auch von der wirtschaftlichen Bedeutung her um ein eigenständiges Leistungsangebot handelt, das nur für einen Teil der Kunden von wirtschaftlichem Interesse ist.
79Nach Auffassung des Senats wird hieran zugleich deutlich, dass es sich auch nicht um eine bloße Nebenleistung handelt, denn offenkundig bedarf es der Wahl der Vorfinanzierung nicht, um auch im Übrigen die Leistungen der Klägerin optimal in Anspruch nehmen zu können.
80Für eine Selbständigkeit der Vorfinanzierung spricht aus Sicht des Senats des Weiteren, dass für diese in den Musterverträgen ein gesonderter „Preisbaustein“ ausgewiesen wird (vgl. Punkt „IV. Vorfinanzierung“ des entsprechenden Mustervertrags“). Für jeden Arzt und jedes Krankenhaus war daher bei Vertragsschluss klar ersichtlich, welche Leistungen gewählt werden konnten und welches Entgelt auf jede Leistung entfallen würde.
81Darüber hinaus wird von der Klägerin über die entsprechende Vorfinanzierungsleistung auch gesondert abgerechnet. Dabei spielt es keine Rolle, dass dies nur in den Rechnungsausgangslisten erfolgte, da diese den Ärzten und Krankenhäusern jederzeit zur Verfügung standen. Entgegen dem Vortrag des Beklagten vermag der Senat nicht zu erkennen, dass „die Ärzte“ auf eine gesonderte Berechnung verzichtet hätten. Dass möglicherweise einzelne Kunden der Abrechnung keine Bedeutung beigemessen haben, kann dagegen keine Bedeutung für die Qualifizierung der Leistung haben.
82Gegen eine Unselbständigkeit kann nach Meinung des Senats auch nicht angeführt werden, dass sich die Höhe der Vorfinanzierungsgebühr nach einem pauschalen Prozentsatz auf den Betrag der einzuziehenden Rechnung richtet. Entgegen der Auffassung des FA kann eine steuerfreie Kreditgewährung nicht nur bei einem Kredit über einen im Vorhinein fixierten Zeitraum zu einem festen Zinssatz vorliegen (auf dieser Linie wohl auch der BFH im Urteil vom 13.11.2013 XI R 24/11, BStBl II 2017, 1147). Entscheidend ist allein, dass Kapital zur Nutzung gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellt wird. Auch andere Formen der Gegenleistung als ein fest vereinbarter Zins werden hiervon erfasst (vgl. EuGH-Urteil vom 17.12.2020 C-801/19,“Franck“, HFR 2021, 328).
835. Der Senat vermag schließlich auch nicht zu erkennen, dass die Grundsätze, die der BFH im Urteil vom 10.12.1981 V R 75/76 (BStBl II 1982, 200) aufgestellt hat, durch die nachfolgende Rechtsprechung aufgegeben oder mit überzeugender Begründung widerlegt worden wären.
84Soweit der EuGH in seinem Urteil vom 26.6.2003 C-305/01, „MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH“, (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2003, 399) darauf hingewiesen hat, dass es keinen Grund gebe, der eine Ungleichbehandlung des echten und des unechten Factorings bei der Umsatzsteuer rechtfertigen könne, betrafen diese Ausführungen allein die Frage, ob es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit handelt und ob das Factoring der Steuerbefreiung des Art. 135 Abs. 1 Buch. d MwStSystRL unterfällt. Im Übrigen waren diese Ausführungen auch nicht entscheidungserheblich. Wie der EuGH selbst zu Beginn seiner Entscheidungsgründe hervorgehoben hat, war Gegenstand der Entscheidung allein das sog. echte Factoring, bei dem der Anschlusskunde das Ausfallrisiko übernimmt. Aus dem EuGH-Urteil vom 26.6.2003 C-305/01 (UR 2003, 399) kann daher jedenfalls keine Schlussfolgerung dergestalt abgeleitet werden, dass auch beim unechten Factoring eine Aufteilung in einen steuerfreien und steuerpflichtigen Leistungsteil obsolet sei (bei den entsprechenden Ausführungen von Wäger in UR 2003, 406, 408 handelt es sich dementsprechend auch nur um hypothetische Erwägungen). Zu hinterfragen wäre im Übrigen, ob die These des EuGH, dass eine Gleichbehandlung beider Arten des Factorings geboten ist, tatsächlich zutrifft. Hieran werden in der Literatur mit guten Gründen Zweifel geäußert (vgl. etwa Teufel, UR 2016, 413 ff.).
85Das vom FA angeführte BFH-Urteil vom 15.5.2012 XI R 28/10 (BStBl II 2015, 966) betrifft ausschließlich das echte Factoring. Die Entscheidung des BFH, dass keine steuerfreie Kreditgewährung vorliege, wenn der Factor Honorarforderungen von Ärzten unter Übernahme des Ausfallrisikos gegen sofortige Zahlung des Kaufpreises übernehme, war schon deshalb vorgezeichnet, weil sich der Factor vertraglich zur sofortigen Zahlung verpflichtet und die Vertragsparteien somit gar nicht vereinbart hatten, dass der Kaufpreis erst nach Einziehung der Forderung zu entrichten war. Soweit sich der BFH sodann hypothetisch mit der Frage befasst hat, ob in der zu entscheidenden Konstellation eine etwaige Kreditvereinbarung als eigenständige Leistung anzusehen gewesen wäre, und dies im Ergebnis verneint hat, waren hierfür die im Einzelfall maßgeblichen Verhältnisse entscheidend. Das Ergebnis dieser Gesamtbetrachtung, dass eine etwaige Kreditgewährung in der das Leistungsbündel prägenden Factoringleistung aufgehe, lässt sich nach der Auffassung des Senats weder für alle Fallkonstellationen verallgemeinern noch auf das unechte Factoring übertragen.
86Gleiches gilt für das ebenfalls vom FA herangezogene Urteil des FG München vom 31.8.2018 3 K 874/14 (EFG 2016, 2089, bestätigt durch den BFH mit Beschluss vom 12.10.2017 V R 53/16, BFH/NV 2018, 243; zustimmend Hahn in BeckOK UStG, § 4 Nr. 8 Rn. 57.5; Kessens, EFG 2016, 2092; Sterzinger, Umsatzsteuer-Berater 2016, 358), wonach die Zuwendung eines Liquiditätsvorteils gegen Zahlung einer Vorfinanzierungsgebühr keine selbständige Leistung in Form einer Kreditgewährung darstellen soll. Der Senat vermag bereits nicht zu erkennen, warum nach der Auffassung des FG München in der Zuwendung eines Liquiditätsvorteils gegen eine Vorfinanzierungsgebühr keine selbständige Leistung i.S.v. § 4 Nr. 8 Buch. a UStG liegen können soll (vgl. II.1.b)aa). Soweit das FG München in seinem nachfolgenden Ausführungen die Möglichkeit einer Kreditgewährung unterstellt (vgl. II.1.b)bb), aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis kommt, dass die Vorfinanzierung jedenfalls auch deshalb nicht als eigene steuerfreie Leistung anzusehen wäre, weil ihr umsatzsteuerlich kein eigenes Gewicht zukomme, gelangt der Senat im Streitfall anhand der hier maßgeblichen Einzelumstände zu einer gegenteiligen Würdigung (s.o.). Anders als das FG München sieht der Senat im Streitfall keinen Grund dafür, warum die Kreditgewährung aufgrund ihres optionalen Charakters in den Hintergrund treten sollte. Nach Meinung des Senats spricht es, wie unter II.4 dargestellt, eher für eine Selbständigkeit einer im Rahmen eines Leistungsbündels angebotenen Leistung, wenn dem Kunden die Wahl bleibt, ob er diese in Anspruch nehmen möchte oder nicht. Darüber hinaus sieht der Senat, anders als das FG München, die pauschale Entgeltberechnung ebenfalls nicht als ein gegen die Selbständigkeit sprechendes Indiz an (vgl. II. 4). Aus Sicht des Senats ist allein entscheidend, dass gesondert abgerechnet wird, was vorliegend der Fall ist.
87Nichts anderes ergibt sich schließlich aus dem vom FA angeführten BFH-Urteil vom 10.12.2020 V R 4/19 (abrufbar in juris). Die Entscheidung des BFH, dass kein selbständiger Umsatz im Zahlungsverkehr i.S.v. § 4 Nr. 8 Buch. d UStG vorliege, wenn ein Steuerpflichtiger ein Bündel von Leistungen an eine Bank erbringe, bei denen es sich zuvorderst um administrative, organisatorische sowie technische Dienstleistungen im Kreditkartengeschäft handele, betrifft einen Sachverhalt, der nicht mit dem hier zu entscheidenden vergleichbar ist. Dies gilt umso mehr, als nach der vom BFH bestätigten Würdigung des FG die erbrachten „Processingleistungen“ den Zahlungsverkehr ohnehin nicht zu bewirken vermochten. Anders als im Streitfall handelte es sich daher bei allen Leistungen um solche, die nicht innerhalb des Überweisungsvorgangs selbst erbracht wurden und damit ohnehin nicht die Voraussetzungen der Steuerbefreiung erfüllten.
886. Aufgrund der Steuerfreiheit der Vorfinanzierungsgebühren gem. § 4 Nr. 8 Buch. a UStG und des daraus folgenden Ausschlusses des Vorsteuerabzugs in Höhe der hierauf entfallenden Vorsteuerbeträge gem. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG ergeben sich folgende Änderungen bei den Umsatzsteuerfestsetzungen der Streitjahre:
892012 |
2013 |
2014 |
2015 |
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Festgesetzte Umsatzsteuer |
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Minderung um das Mehrergebnis für den Streitpunkt „Vorfinanzierung“ |
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Erhöhung um die vom Abzug ausgeschlossene Vorsteuer lt. tatsächlicher Verständigung |
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Neu festzusetzen |
7. Da sich der Senat in Bezug auf den Streitpunkt „Vorfinanzierung“ der Auffassung der Klägerin anschließt, bedurfte es keiner Auseinandersetzung mit der Problematik des Vertrauensschutzes gem. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO.
91III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Kosten waren nach dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zu verteilen.
92IV. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die hier streitige Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.