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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist vorliegen.
3Der Beklagte erließ am 26.10.2017 (Donnerstag) nach einer Betriebsprüfung einen geänderten Gewerbesteuermessbescheid, und setzte – ausgehend von einem Gewerbeertrag vor Verlustabzug i.H.v. 2.682.876 € entgegen dem erklärten Gewerbeverlust i.H.v. ./. 973.567 € – einen Gewerbesteuermessbetrag i.H.v. 91.140 € fest.
4Hiergegen legte die Klägerin am 30.11.2017 Einspruch ein. Die ablehnende Einspruchsentscheidung versandte der Beklagte am 30.4.2020 an die Kanzlei A in B als damalige Bevollmächtigte der Klägerin mit einfachem Brief.
5Am 9.6.2020 hat die neue Bevollmächtigte, die C-GmbH, Klage erhoben und eine auf die C-GmbH lautende Prozessvollmacht vorgelegt. Die Klageschrift ist von Frau D (Pb. D) unterschrieben. Gleichzeitig hat die Pb. D einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die abgelaufene Klagefrist gestellt. Die Einspruchsentscheidung sei dem vorherigen Bevollmächtigtem ausweislich seines Eingangstempels erst am 8.5.2020 zugegangen, so dass die Klagefrist am 8.6.2020 abgelaufen sei.
6Sie – die Pb. D – habe in dieser Zeit ihre beiden Kinder bedingt durch die Corona-Pandemie außerhalb der Notbetreuung selbst betreuen müssen. Ihre fünfjährige Tochter habe sich in der Notbetreuung der Kindertagesstätte befunden, der Sohn in der Notbetreuung der Schule.
7Am Nachmittag des 8.6.2020 sei geplant gewesen, dass ihre Mutter (geboren am …) die Kinderbetreuung nach der Notbetreuung übernehme. Beide Kinder seien zwischen 14.15 Uhr und 15.15 Uhr heimgekommen. Ihre Mutter habe sie kurz darauf angerufen und aufgefordert, nach Hause zu kommen, da der Sohn Fieber aufzuweisen scheine. Dies sei gerade in der gegenwärtigen Zeit alarmierend gewesen. Deshalb habe sie ihren Arbeitsplatz übereilt und außerplanmäßig verlassen, sodass es ihr entgegen ihrer Planung nicht mehr möglich gewesen sei, am 8.6.2020 eine Klage einzureichen.
8Sie sei sofort nach dem Anruf aufgebrochen, da sie nicht habe ausschließen können, dass bei ihrem Sohn eine Infektion mit dem Virus Covid-19 vorliege und ihre Mutter aufgrund ihres Alters zu einer Risikogruppe gehöre. Nachdem sie zu Hause eingetroffen sei, habe sie sofort bei ihrem Sohn Fieber gemessen. Ihr Sohn habe eine Körpertemperatur von 38 Grad Celsius gehabt und sei sehr müde gewesen. Er habe fast permanent ihre Anwesenheit benötigt. Sie sei vollständig von dem fiebernden Sohn und ihrer Tochter in Anspruch genommen worden.
9Im Laufe des Nachmittags habe sich die Körpertemperatur auf 39,5 Grad Celsius erhöht. Sie habe jedoch davon abgesehen, einen Kinderarzt aufzusuchen, da bei Kindern Fieber häufiger vorkomme, ohne dass zwingend eine Erkrankung vorliege. Im Ergebnis habe sich die Situation im Laufe des Abends begeben und als harmlos herausgestellt, die Temperatur sei gesunken und am nächsten Morgen habe der Sohn keine Symptome mehr gezeigt. Dies sei aber nicht absehbar gewesen, so dass die Klageschrift ohne Verschulden verspätet eingereicht worden sei.
10Eine Klageerhebung aus dem home office sei ihr nicht möglich gewesen. Zudem habe sie bei ihrem übereilten Aufbruch ihren Laptop im Büro vergessen. Sie habe sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden, in welchem die Berücksichtigung kanzleiinterner Prozesse, wie z.B. die Organisation einer Vertretung, nicht im Vordergrund gestanden habe.
11Zur Glaubhaftmachung hat die Pb. D eidesstattliche Versicherungen von sich und ihrer Mutter vorgelegt, aus welchen sich der geschilderte Ablauf der Geschehnisse ergibt. Auf deren Inhalt wird verwiesen.
12Nachdem der Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass das Bestreiten der Drei-Tages-Vermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) nicht substantiiert genug sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 3.8.2020 eine Kopie der Einspruchsentscheidung vom 30.4.2020 mit dem Eingangsstempel der zuvor von der Klägerin mandatierten Kanzlei A vom 8.5.2020 vorgelegt, außerdem einen Ausdruck des elektronischen Fristenkontrollblatts dieser Kanzlei, Ausdrucke von Screenshots des dort verwendeten DATEV-Programms „Post, Fristen und Bescheide“ sowie der „DATEV DMS“ zur ordnungsgemäßen Posteingangs- und Fristenkontrolle.
13Die Klägerin beantragt,
14unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 30.4.2020 und Änderung des Bescheides für 2013 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 26.10.2017 den Gewerbesteuermessbetrag unter Zugrundelegung eines Gewerbeertrages von ./. 203.700 € festzusetzen.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Der Beklagte meint, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne keine Aussicht auf Erfolg haben. Die Pb. D hätte alles in ihrer Macht stehende veranlassen müssen, damit im Falle einer Verhinderung ihrer Person ein Vertreter vorhanden sei oder das Kanzleipersonal entsprechende Anweisungen umsetzen könne. Dies sei im Streitfall nicht erfolgt, obwohl hierzu ausreichend Gelegenheit bestanden habe.
18Mit Beschluss vom 1.10.2020 (Aktenzeichen (8 V 2135/20 A (G)) hat das Gericht die unter dem 25.08.2020 beantragte Aussetzung der Vollziehung des streitigen Bescheides abgelehnt.
19Entscheidungsgründe
20Die Klage ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht erhoben wurde. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Mithin ist der Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2013 vom 26.10.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30.4.2020 bestandskräftig geworden.
21I. Nach § 47 Abs. 1 FGO kann gegen eine Einspruchsentscheidung innerhalb eines Monats Anfechtungsklage erhoben werden. Dies ist hier nicht geschehen.
22Die Klagefrist beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (§ 366 AO).
23Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Inland übermittelt wird, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
24Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern behauptet er lediglich, es nicht innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Drei-Tages-Vermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische – Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post – ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Es genügt nicht schon einfaches Bestreiten, um die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstücks zu entkräften. Es müssen vielmehr Zweifel berechtigt sein, sei es nach den Umständen des Falles, sei es nach dem schlüssig oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 3.5.2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365).
25Im Streitfall wurde die Einspruchsentscheidung am 30.4.2020 als einfacher Brief zur Post aufgegeben, so dass unter Zugrundelegung der Drei-Tages-Vermutung von einer Bekanntgabe noch vor dem 8.5.2020 auszugehen wäre. Vorliegend ist es der Klägerin jedoch gelungen, ausreichende Zweifel an der Drei-Tages-Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO zu begründen. Die Klägerin reichte nicht nur eine Ausfertigung der Einspruchsentscheidung mit einem Eingangsstempel der zuvor mandatierten Kanzlei vom 8.5.2020 ein, sondern auch einen Ausdruck des dort geführten Fristenkontrollblatts sowie Ausdrucke von Screenshots aus dem Programm „Post, Fristen und Bescheide“. Alle vorgelegten Dokumente weisen den 8.5.2020 als Tag des Posteingangs aus.
26Mangels anderweitigen Nachweises des insoweit feststellungsbelasteten Beklagten, ist davon auszugehen, dass die Einspruchsentscheidung erst am 8.5.2020 bekannt gegeben worden ist.
27Die einmonatige Klagefrist endete damit am 8.6.2020 (§§ 47 Abs. 1 FGO, 54 Abs. 2 FGO, 222 der Zivilprozessordnung –ZPO– i.V.m. § 188 Abs. 2 Alt. 1 des Bürgerlichen Gesetzesbuches). Die Erhebung der Klage am 9.6.2020 erfolgte nicht fristgerecht.
28II. Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist ist der Klägerin nicht zu gewähren. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin haben nach den Gesamtumständen nicht die gebotene Sorgfalt beachtet und nicht alles Erforderliche getan, um sicherzustellen, dass am 8.6.2020 – dem letzten Tag der Klagefrist – noch rechtzeitig Klage erhoben wurde.
29Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung müssen innerhalb der in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO bestimmten Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13.9.2012 XI R 13/12, BFH/NV 2013, 60). Sie müssen ferner bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Verschuldet ist die Säumnis, wenn die gebotene, nach den besonderen Umständen zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wird. Jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Das Verschulden einer/eines Prozessbevollmächtigten wird dabei nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. 85 Abs. 2 ZPO einem Kläger wie eigenes Verschulden zugerechnet.
30Wenn eine Krankheit als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht wird, muss eine Erkrankung so schwer sein, dass die oder der Verfahrensbeteiligte selbst nicht mehr handeln kann und auch zur Beauftragung eines Dritten nicht in der Lage ist. Ist eine Sozietät beauftragt, so besteht die Pflicht, sich im Verhinderungsfall gegenseitig zu vertreten. Außerdem haben sich die Mitglieder gegenseitig zu informieren und untereinander abzustimmen. Die Angehörigen rechts- und steuerberatender Berufe müssen insbesondere für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen. Erforderlich ist die Einrichtung eines Fristenkontrollbuchs oder eines vergleichbaren Kontrollsystems. Die Einhaltung von Fristen muss arbeitstäglich kontrolliert werden. Es muss sichergestellt werden, dass Fristen im Fristenkontrollbuch erst auf Grundlage einer entsprechenden Eintragung im Postausgangsbuch oder einem vergleichbaren Kontrollsystem gelöscht werden.
31Gemessen an diesen Maßstäben war die Versäumung der Klagefrist verschuldet. Die Pb. D war unstreitig nicht selbst erkrankt, sie war daher uneingeschränkt handlungsfähig. Selbst wenn man ihr Verhalten in Anbetracht der besonderen Situation wegen der fortwährenden Pandemielage entschuldigen wollte – wofür es nach Ansicht des Gerichts bereits keinen Anlass gibt (dazu 1.) – so stünde immer noch das nicht auszuschließende Organisationsverschulden innerhalb der Kanzlei einer Wiedereinsetzung entgegen (dazu 2.).
321. Zwar stellt die fortdauernde Pandemielage insbesondere berufstätige Eltern von betreuungsbedürftigen Kindern vor hohe persönliche und organisatorische Herausforderungen. So ist es verständlich, dass die Pb. D – entgegen der öffentlich kommunizierten Empfehlungen – die Unterstützung ihrer zu einer Risikogruppe gehörenden Mutter zur Bewältigung des familiären und beruflichen Alltags angenommen hatte und beim Anzeichen eines Risikos schnellstens ihre Mutter aus einer möglichen Infektionsgefahr entfernen wollte. Ebenso ist verständlich, dass eine Mutter ihrem vermeintlich erkrankten Kind beistehen möchte.
33In einem emotionalen Ausnahmezustand – gewissermaßen wie kopflos – ohne Laptop und ohne noch irgendetwas zu veranlassen den Arbeitsplatz zu verlassen, war aber zumindest fahrlässig. Erschwerend kommt hinzu, dass die Pb. D auch im weiteren Verlauf des Tages (zumindest was ihre beruflichen Verpflichtungen anging) vollständig untätig blieb. Selbst eine unvorhersehbare, aber nur zeitweilige Verhinderung ist kein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ihr Ende noch in den Lauf der Rechtsmittelfrist fällt und die Fristwahrung zu diesem Zeitpunkt noch möglich ist (so auch BFH-Urteil vom 11.12.1986 IV R 184/84, BStBl I 1987, 303).
34Die Situation, in welcher sich die Pb. D an diesem Tag befand, war schon nicht unvorhersehbar. In Anbetracht der zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Wochen andauernden Pandemie war es nicht unwahrscheinlich, dass sich Kinder mit (schulbedingten) vielen sozialen Kontakten infizieren könnten. Dass also eine solche Situation wie im Streitfall auftreten konnte, insbesondere wenn Großeltern im Rahmen der Kinderbetreuung unterstützen, war ein vorhersehbares Risiko. Die Pb. D hätte für genau diese vorhersehbare Konstellation Vorkehrungen treffen müssen, die ihr ein schnelles Handeln ermöglichen, aber auch die Wahrnehmung ihrer beruflichen Pflichten im mindesterforderlichen Maße gewährleisteten.
35Spätestens als sich die Situation im Laufe des Abends als harmlos herausstellte, hätte die Pb. D ferner noch ausreichende Möglichkeit gehabt, eine fristwahrende, aus einem Satz bestehende Klageerhebung entweder selbst zu bewerkstelligen oder anderweitig zu arrangieren. Dafür wäre auch kein Laptop erforderlich gewesen. Die ihr an diesem Tag noch offenstehenden Reaktionsmöglichkeiten hat das Gericht im Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung vom 1.10.2020 (Aktenzeichen 8 V 2135/20 A (G), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, ausführlich dargestellt.
36Der Vortrag der Pb. D ist zudem in sich widersprüchlich. Denn einerseits sei sie nahezu panisch gewesen, andererseits führt die Pb. D aus, sie habe keinen Kinderarzt aufgesucht, da bei Kindern häufiger Fieber vorkomme, ohne dass eine Erkrankung vorliege. Sie habe die Entwicklung bis zum nächsten Morgen abwarten wollen. Dies spricht gegen einen durchgängigen emotionalen Ausnahmezustand mit panischem und deshalb unüberlegtem Handeln.
372. Die – nur ansatzweise geschilderten – Abläufe innerhalb der Kanzlei am 8.6.2020 zeigen zudem erhebliche Organisationsmängel beim Umgang mit plötzlichen Verhinderungsfällen in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten auf. Ein Organisationsverschulden ist nicht nur nicht auszuschließen, sondern nach Auffassung des Gerichts mit hoher Wahrscheinlichkeit kausal für die Versäumung der Klagefrist gewesen.
38Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem Beteiligten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO – wie bereits erwähnt – wie eigenes Verschulden grundsätzlich zuzurechnen. Dagegen wird ein Verschulden von sogenannten Hilfspersonen des Bevollmächtigten, insbesondere von Kanzleiangestellten, bei der Erledigung mechanischer Tätigkeiten untergeordneter Art nicht von § 85 Abs. 2 ZPO erfasst (sogenanntes „Büroversehen“).
39Wird ein reines Büroversehen geltend gemacht, gehört zum erforderlichen schlüssigen Vortrag des "Kerns" der Wiedereinsetzungsgründe die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also die Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen. Dazu muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass der Bevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (z.B. BFH-Beschluss vom 14.12.2011 X B 50/11, BFH/NV 2012, 440). Kann aufgrund des Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass an der Fristversäumnis ursächlich auch ein Organisationsverschulden des Bevollmächtigten mitgewirkt hat, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
40Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt die Sorgfaltspflicht des Bevollmächtigten in Fristsachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Bei der Beteiligung von rechtskundigen Bevollmächtigten kann eine Fristversäumung nur dann als entschuldigt angesehen werden, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte, der Bevollmächtigte also alle Vorkehrungen durch entsprechende Organisation seines Büros getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (BFH-Beschluss vom 19.3.2019 II R 29/17, BFH/NV 2019, 705). Zu seinen Aufgaben gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Er muss sein Büro so organisieren, dass fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig gefertigt werden und beim zuständigen Gericht eingehen.
41Der Bevollmächtigte muss darüber hinaus die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so ausgestalten, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (BGH, Beschluss vom 4.11.2014 VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253). Bei der allabendlichen Kontrolle fristgebundener Sachen ist eine nochmalige Prüfung erforderlich. Dies ergibt sich schon daraus, dass selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt.
42Vorliegend wurde bereits kein bloßes Büroversehen untergeordneter Hilfspersonen von der Klägerin geltend gemacht. Vielmehr wurde der Wiedereinsetzungsantrag maßgeblich mit dem Verhalten der Pb. D begründet. Eine nähere Darlegung und Glaubhaftmachung der kanzleiinternen Prozesse erfolgte nicht. Die Klägerin hat nicht substantiiert und in sich schlüssig dargelegt, dass der Umgang mit fristgebundenen Schriftsätzen in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten so organisiert war, dass der erforderliche gestufte Schutz gegen Fristversäumnisse gewährleistet war. Es wurde nur ausgeführt, dass die Pb. D aufgrund ihres emotionalen Ausnahmezustandes kanzleiinterne Prozesse, wie z.B. die Organisation einer Vertretung, nicht berücksichtigt habe. Wie in der Kanzlei üblicherweise mit fristgebundenen Schriftsätzen und mit Verhinderungsfällen umgegangen wird, wurde nicht geschildert. Es erfolgte lediglich eine Darstellung der Abläufe des Posteingangs beim vorherigen Steuerberater der Klägerin, um die Drei-Tages-Vermutung hinsichtlich des Fristbeginns zu erschüttern.
43Auch ohne nähere Erläuterung der kanzleiinternen Prozesse deutet der geschilderte Ablauf des 8.6.2020 aber auf nicht unerhebliche Organisationsmängel hin. Offenbar führte das übereilte Verlassen ihres Arbeitsplatzes durch die Pb. D zu dem Versäumen der Klagefrist. Entsprechend der oben ausgeführten Rechtsprechung müsste aber gerade eine funktionierende Büroorganisation dazu in der Lage sein, solche individuellen Ausfälle zu bemerken und aufzufangen. Vertretungs- und Informationsketten müssen in Verhinderungsfällen feststehen und nicht erst im Bedarfsfall und dazu auch noch ausschließlich vom Verhinderten angestoßen und organisiert werden. Wenn das Funktionieren dieser Abläufe wesentlich davon abhängt, dass der Verhinderte umsichtig und besonnen handelt, spricht einiges dafür, dass die (hier nicht näher beschriebenen) kanzleiinternen Prozesse organisatorische Schwachstellen haben.
44Die Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen und Erschwernisse des alltäglichen (Berufs-) Lebens waren im Juni 2020 zudem nicht mehr unvorhersehbar. Für die Anwaltschaft war zu diesem Zeitpunkt bereits eine gewisse Reaktionszeit gegeben, kanzleiinterne Abläufe im Hinblick auf vermehrtes Arbeiten im home office anzupassen.
45Der bloße Hinweis auf einen Verdacht der Infektion mit dem Covid-19-Virus bei der eigenen Person oder im familiären oder persönlichen Umfeld kann und darf nicht dazu führen, die Sondervorschrift des § 56 FGO auszuhöhlen. Wiedereinsetzungsanträge, die sich auf pandemie-bedingte personelle und organisatorische Schwierigkeiten berufen, müssen daher dahingehend bewertet werden, ob ausreichende Vorkehrungen zur Einhaltung gesetzlicher Fristen getroffen worden sind. Dies war aus den aufgezeigten Gründen im Streitfall gerade nicht der Fall.
46III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.