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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Streitig sind die Anwendung des Freibetrages nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG auf die Veräußerung einer im Privatvermögen gehaltenen, das gesamte Nennkapital umfassenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft.
3Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
4Der Kläger wurde am (...) 1949 geboren. Er und die Klägerin gründeten am (...) die (...) GmbH (im Weiteren: GmbH), an deren Nennkapital der Kläger zu 90 % und die Klägerin zu 10 % beteiligt waren. Die Kläger hielten ihre Beteiligungen jeweils im Privatvermögen. Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Am (...) 2017 übertrug die Klägerin ihren Anteil an der GmbH unentgeltlich auf den Kläger. Die Anschaffungskosten der 100 %-igen Beteiligung betrugen insgesamt 26.000,- EUR.
5Im (...) 2017 veräußerte der Kläger seinen 100 %-Anteil an der GmbH zu einem Verkaufspreis von 165.000,- EUR. Die Veräußerungskosten betrugen insgesamt 156,97 EUR.
6Den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile erklärte der Kläger in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2017 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 16 EStG und beantragte insoweit die Gewährung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG. Bei der Ermittlung des erklärten Gewinns wendete er das Teileinkünfteverfahren an (§§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchstabe b, 3c Abs. 2 EStG).
7Mit Bescheid vom 16.01.2019 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2017 fest. Den Veräußerungsgewinn qualifizierte er als solchen nach § 17 EStG und bezog ihn – nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens – in Höhe von 83.305,- EUR in die tarifliche Besteuerung (Splittingtarif) ein. Einen Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG gewährte er nicht, ebenso wenig eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG.
8Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und führten zur Begründung aus, dass die Veräußerung der Anteile an der GmbH dem Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG unterfalle, da es sich um die Veräußerung einer 100 %-igen Beteiligung handele. Der Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG in Höhe von 138.843,- EUR sei um den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG zu kürzen und der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden.
9Am 20.02.2019 wurde der angefochtene Bescheid aus hier nicht streitgegenständlichen Gründen geändert. Der Beklagte berücksichtigte den Veräußerungsgewinn weiterhin nach § 17 EStG und gewährte weder den Freibetrag (§ 16 Abs. 4 EStG) noch den ermäßigten Steuersatz (§ 34 EStG). Das zu versteuernde Einkommen beträgt 206.274,- EUR und die festgesetzte Einkommensteuer (nach Abzug der Ermäßigung für Handwerkerleistungen von 147,- EUR) insgesamt 69.537,- EUR.
10Mit Einspruchsentscheidung vom 02.09.2019 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass die Veräußerung einer Beteiligung nur dann nach § 16 EStG zu versteuern sei, wenn die gesamte Beteiligung zum Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen gehöre. Der Kläger habe die Anteile – insoweit unstreitig – im Privatvermögen gehalten. Der Veräußerungsgewinn sei zutreffend nach § 17 EStG berücksichtigt worden.
11Am 30.09.2019 haben die Kläger gegen die Einspruchsentscheidung Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, dass sowohl nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG als auch nach der systematischen Stellung der §§ 15-17 EStG die Veräußerung einer das gesamte Nennkapital umfassenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft als Veräußerung eines Teilbetriebs nach § 16 EStG gelte, für die der Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG und die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG anzuwenden seien. Keinesfalls handele es sich um eine Veräußerung von Anteilen nach § 17 EStG, da hierin ein gänzlich anderer Sachverhalt geregelt sei. § 17 EStG regele nur die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung und nicht die einer vollunternehmerischen Beteiligung. Der Wortlaut der §§ 16, 17 EStG unterscheide nicht zwischen Betriebs- und Privatvermögen. Weder § 16 EStG noch § 17 EStG verlangten, dass es sich um im Betriebsvermögen gehaltene Anteile handeln müsse. Auch die von § 16 EStG unstreitig erfassten Mitunternehmeranteile würden regelmäßig im Privatvermögen gehalten.
12Die Anwendung des § 17 EStG führe vorliegend zu einer verfassungswidrigen Benachteiligung und sachgrundlosen Diskriminierung des Klägers. Ein Veräußerer von Kommanditanteilen erhalte weitgehende Freistellungen und Tarifermäßigungen, während ein gleich alter Veräußerer von Gesellschaftsanteilen bei gleich hohem Veräußerungsgewinn leer ausgehe. Es handele sich sowohl um eine gleich hohe Zusammenballung von Einkommen als auch um eine gleichartige finale Handlung, nämlich die Aufgabe der aktiven selbständigen Tätigkeit. Eine steuerliche Ungleichbehandlung der Veräußerungen widerspreche dem einkommensteuerlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
13Die Kläger beantragen,
14dem Beklagten aufzugeben, den Einkommensteuerbescheid 2017 so abzuändern, dass der Gewinn aus der Veräußerung der GmbH-Anteile gemäß § 16 EStG unter Anwendung von dessen Freibeträgen und der Tarifermäßigung des § 34 EStG einkommensteuerlich veranlagt wird.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt er vollumfänglich Bezug auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
18Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
19Entscheidungsgründe
20I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der GmbH zu Recht nach § 17 EStG erfasst und nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchstabe c, § 3c Abs. 2 EStG in Höhe von insgesamt 83.305,- EUR der Besteuerung zugrunde gelegt.
211. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung vom 05.04.2011 gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war.
22a) Vorliegend veräußerte der Kläger im Streitjahr die in seinem Privatvermögen gehaltenen 100 %-Anteile an der (...) GmbH. Er war damit innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung unmittelbar zu mehr als 1 %, mithin „wesentlich“ im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG beteiligt.
23b) Entgegen der Ansicht der Kläger ist weder ein Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG noch der ermäßigte Steuersatz nach § 34 EStG zu gewähren. Der Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der im Privatvermögen gehaltenen GmbH-Anteile unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 16 EStG. §§ 16, 34 EStG sind nicht auf im Privatvermögen gehaltene Anteile an einer Kapitalgesellschaft anzuwenden.
24aa) Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die erzielt werden bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs. Als Teilbetrieb gilt nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auch die das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Hat der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet oder ist er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig, so wird der Veräußerungsgewinn auf Antrag zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 45.000,- EUR übersteigt (§ 16 Abs. 4 Satz 1 EStG). Der Freibetrag ist dem Steuerpflichtigen nur einmal zu gewähren; er ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn 136.000,- EUR übersteigt (§ 16 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).
25bb) Bei einer das gesamte Nennkapital umfassenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft muss es sich insoweit insgesamt um notwendiges oder gewillkürtes (Sonder-) Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen handeln, um zur Anwendung des § 16 EStG zu gelangen. Gehört die Beteiligung dagegen ganz oder teilweise zum Privatvermögen des Steuerpflichtigen – wie vorliegend –, unterfällt der Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft dem Anwendungsbereich des § 17 EStG.
26Diese Unterscheidung des Anwendungsbereichs der Vorschriften nach der Zuordnung zum Betriebsvermögen oder Privatvermögen lässt sich zwar weder dem Wortlaut des § 16 EStG noch dem Wortlaut des § 17 EStG ausdrücklich entnehmen. Jedoch gehen sowohl die herrschende Ansicht in der Literatur (u.a.: Geissler in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 16 EStG, Rn. 167; Seer in: Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl. 2021, § 16 EStG, Rn. 53; Schmidt/Wacker, 40. Aufl. 2021 EStG § 16 Rn. 137; Brandis/Heuermann/Schallmoser, EStG § 16 Rn. 213) als auch die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 17 EStG (vgl. BT-Drucksache IV/ 2400, S. 69) und auch der Bundesfinanzhof (– BFH –, Urteil vom 22.10.2013 X R 14/11, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2014, 158, Rn. 62) davon aus, dass sich die Übertragung von im Privatvermögen gehaltenen GmbH-Anteilen nicht nach § 16 EStG, sondern ausschließlich nach § 17 EStG beurteilt. Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an.
27cc) Etwas anderes lässt sich – entgegen der Ansicht der Kläger – auch nicht aus § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG herleiten.
28Danach gilt als „Teilbetrieb“ auch eine das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Diese gesetzliche Fiktion des Teilbetriebs nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 hat ihrerseits jedoch denknotwendig zur Folge, dass der Gesamtbetrieb fiktiv aus mindestens zwei Teilbetrieben (zwei Sachgesamtheiten) bestehen muss (vgl. dazu: BFH, Urteil vom 28.05.2015 IV R 26/12, BStBl II 2015, 797, Rn. 26). Eine Teilbetriebsveräußerung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG und damit die Anwendung des § 16 EStG setzt somit begrifflich voraus, dass der Gesamtbetrieb vor der Veräußerung zumindest noch über einen weiteren (Teil)Betrieb verfügt (BFH, Urteil vom 26.09.2013 IV R 46/10, BStBl II 2014, 253, Rn. 37). Liegt dagegen insgesamt nur eine das gesamte Nennkapital umfassende Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft und kein weiterer (Teil)Betrieb vor – wie vorliegend –, sind die Voraussetzungen des § 16 EStG nicht gegeben.
29c) Die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen nach § 16 EStG und nach § 17 EStG stellt weder einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) noch gegen das Übermaßverbot (Art. 14 GG) dar.
30aa) Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) muss der Gesetzgeber wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandeln. Dies gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen.
31Der Gleichheitssatz des Art. 3 GG belässt dem Steuergesetzgeber eine weitreichende Gestaltungsbefugnis, die ihn insbesondere berechtigt, sich bei seinen Regelungen auch von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen oder sozialpolitischen Erwägungen leiten zu lassen. Es ist auch nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber für ein Problem die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. zum Vorstehenden die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG –, z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09, BFH/NV 2010, 1767, Rz 35 und 36, und vom 21.07.2010 - 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BFH/NV 2010, 1985, Rz 78 und 79, jeweils m.w.N.).
32Als besondere sachliche Gründe erkennt das BVerfG neben außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszwecken auch Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse an (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 06.07.2010 - 2 BvL 13/09, BStBl II 2011, 318). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass jede gesetzliche Regelung verallgemeinern muss. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber daher berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348). Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 08.10.1991 - 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348). Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.04.1997 - 2 BvL 77/92, BStBl II 1997, 518). Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (BVerfG, Urteil vom 09.12.2008 - 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210).
33bb) Nach diesen Maßstäben liegt für den Senat keine verfassungsrechtlich problematische Ungleichbehandlung darin, dass der Gesetzgeber für Gewinne aus der Veräußerung einer das gesamte Nennkapital umfassenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Privatvermögen – trotz Vorliegens der besonderen personenbezogenen Merkmale im Sinne des § 16 Abs. 4 EStG – lediglich den niedrigeren Freibetrag nach § 17 Abs. 3 EStG vorsieht.
34Zwar behandelt der Gesetzgeber Veräußerungsgewinne nach § 17 EStG und solche gemäß § 16 EStG u.a. in den Fällen der Veräußerung durch einen Steuerpflichtigen, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, nicht gleich. Gegen diese Differenzierung bestehen für den Senat jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
35Die frühere steuerrechtliche Gleichbehandlung von Veräußerungsgewinnen im Sinne von § 17 EStG und von § 16 EStG wurde bereits mit der Absenkung der Beteiligungsgrenze in § 17 EStG auf 1 % des Nennkapitals durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (Bundesgesetzblatt 2000 I, S. 1433) und dem Systemwechsel zum Teileinkünfteverfahren aufgehoben. Die frühere Gleichbehandlung beruhte ursprünglich auf der Vorstellung, dass das Halten und die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung wirtschaftlich dem Einzelunternehmen und der Beteiligung an einer OHG sehr nahe stehe; der wesentlich Beteiligte sollte einem Mitunternehmer gleichgestellt werden (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 21.12.1993 VIII R 69/88, BStBl II 1994, 648). Seit der Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 1 % steht jedoch nunmehr die Gleichbehandlung von Veräußerungsgewinnen aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften mit den Einkünften aus Gewinnausschüttungen im Vordergrund (vgl. u.a. BT-Drucksache 14/2683, S. 96, 120; BFH, Urteil vom 20.10.2010 IX R 56/09, BStBl II 2011, 409, und BFH, Beschluss vom 26.03.2021 IX B 45/20, BFH/NV 2021, 767, Rn. 10). Gewinnausschüttungen werden beim Anteilseigner mit dem Tarif und ohne Gewährung eines Freibetrages im Sinne des § 16 Abs. 4 EStG im Ausschüttungszeitpunkt versteuert.
36Das Besteuerungssystem von (Mit-)Unternehmern (Transparenzprinzip) unterscheidet sich auch sonst wesentlich von dem System der Besteuerung von Kapitalgesellschaften und deren Anteilseignern (Trennungsprinzip). Entsprechend unterscheiden sich auch die Wertsteigerungen, die sich in einem Betriebsvermögen bilden und mit der Veräußerung bzw. Aufgabe des Betriebes wegen Berufsunfähigkeit bzw. des Erreichens des Pensionsalters des Unternehmers von diesem aufgedeckt werden, ihrem Wesen nach von solchen Gewinnen, die sich aus der bloßen Veräußerung von Kapitalbeteiligungen – unabhängig vom Lebensalter bzw. der Berufsunfähigkeit des Steuerpflichtigen – ergeben. Es handelt sich jeweils um wesensverschiedene Sachverhalte, die einer sachgerechten Differenzierung zugänglich sind.
37Das mit dem Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG bezweckte Ziel des Gesetzgebers, Gewinne aus der Veräußerung oder Aufgabe kleinerer Betriebe bis zu einer gewissen Höhe im Hinblick auf eine Alterssicherung bzw. Absicherung im Falle einer Berufsunfähigkeit des Unternehmers steuerlich zu begünstigen (vgl. dazu BT-Drucksache IV/ 2400, S. 69; BT-Drucksache 13/1686, S. 36), stellt auch einen hinreichenden Grund für eine entsprechende steuerliche Begünstigung von Veräußerungs- oder Aufgabegewinnen nach § 16 Abs. 4 EStG gegenüber anderen Gewinnen dar. § 16 Abs. 4 EStG ist als Sozialzwecknorm Gegenstand des dem Gesetzgeber zuzubilligenden weitergehenden Ermessensrahmens. In dessen Rahmen konnte der Gesetzgeber auch davon ausgehen, dass die Altersversorgung bei (Mit-)Unternehmern typischerweise und im Rahmen der Begünstigungshöchstgrenze in größerem Umfang über den Wert des Betriebs geschaffen wird als dies bei Inhabern wesentlicher Beteiligungen der Fall ist (BFH, Urteil vom 20.10.2010 IX R 56/09, BStBl II 2011, 409, Rn. 30; zu § 34 EStG a.F.).
38cc) Vorliegend werden die Kläger mit der Besteuerung des Veräußerungsgewinns auch nicht übermäßig belastet. Ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG ist bei den konkreten Verhältnissen nicht erkennbar.
39Das zu versteuernde Einkommen der Eheleute beträgt ausweislich des angefochtenen Bescheides vom 20.02.2019 insgesamt 206.274,- EUR und die Einkommensteuer 69.597,- EUR, mithin etwa 34 %. Ausgehend von den tatsächlich die Leistungsfähigkeit erhöhenden Einkünften in Höhe von insgesamt 261.812,- EUR (= inklusive des steuerfreien Teil des Veräußerungsgewinns) beträgt die Steuerlast sogar nur etwa 27 %.
402. Der Beklagte hat den steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn von 83.305,- EUR der Höhe nach zutreffend ermittelt.
41Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Veräußerungsgewinn wird nach § 17 Abs. 3 EStG zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er den Teil von 9.060,- EUR übersteigt, der dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft entspricht. Der vorgenannte Freibetrag ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn den Teil von 36.100,- EUR übersteigt, der dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft entspricht.
42Vorliegend beträgt der Veräußerungsgewinn im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG insgesamt 138.843,- EUR (Veräußerungspreis 165.000,- EUR abzgl. Veräußerungskosten 156,97 EUR abzgl. Anschaffungskosten 26.000,- EUR). Der Veräußerungsgewinn ist gemäß §§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchstabe c, 3c Abs. 2 EStG zu 40 % steuerfrei. Aufgrund der Regelung zur Ermäßigung des Freibetrags nach § 17 Abs. 3 Satz 2 EStG ist kein Freibetrag abzuziehen.
433. Die Steuerermäßigung nach § 34 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung vom 01.11.2011 findet keine Anwendung.
44Die Anwendung des § 34 EStG setzt voraus, dass in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten sind. Gemäß § 34 Abs. 2 Halbsatz 1 EStG kommen als solche außerordentlichen Einkünfte nur die enumerativ in § 34 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 EStG aufgeführten Einkünfte in Betracht. Veräußerungsgewinne im Sinne des § 17 EStG sind dort nicht genannt. Gemeinschafts- oder verfassungsrechtliche Bedenken bestehen diesbezüglich nicht (BFH, Urteil vom 20.10.2010 IX R 56/09, BStBl II 2011, 409).
45Schließlich enthält weder § 3 Nr. 40 Satz 1 EStG noch § 17 EStG oder § 34 EStG ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen, hinsichtlich eines von ihm erzielten Veräußerungsgewinns auf die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens zu verzichten und stattdessen einen ermäßigten Steuersatz in Anspruch zu nehmen. Die teilweise Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchstabe c i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG ist gesetzlich zwingend und nicht zugunsten der Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG disponibel.
46II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
47III. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.