Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Der Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 wird bezüglich des Jahres 2006 betreffend Umsatzsteuer aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 95% und der Beklagte zu 5%.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für Steuerrückstände der Firma I. A. GmbH (in Liquidation) --I.--.
3Gegenstand der am 02.01.2002 gegründeten I. war der Transport von ...Gütern sowie der Baustoffgroßhandel. Der Kläger war mit Vertrag vom 00.00.2003 zum Geschäftsführer der I. bestellt worden.
4Wie in den Vorjahren wurden in den Jahren 2006 bis 2011 für die I. keine Steuererklärungen abgegeben. Der Beklagte nahm deshalb Vollschätzungen der Besteuerungsgrundlagen vor. Die Bescheide ergingen jeweils gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung --AO-- unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
5VZ |
Bescheid |
Datum |
Festgesetzt in € |
Leistungsgebot unter Anrechnung bereits gezahlter Beträge |
2006 |
Umsatzsteuer |
09.01.2009 |
23.400,00 € |
12.896,61 € |
Zinsen zur USt |
578,00 € |
578,00 € |
||
2007 |
Umsatzsteuer |
28.04.2011 |
-33.650,00 € |
4.980,03 € |
Zinsen zur USt |
618,00 € |
618,00 € |
||
2008 |
Umsatzsteuer |
02.03.2012 |
95.000,00 € |
5.683,16 € |
Zinsen zur USt |
649,00 € |
649,00 € |
||
2009 |
Umsatzsteuer |
02.03.2012 |
135.500,00 € |
4.458,30 € |
Zinsen zur USt |
244,00 € |
244,00 € |
||
2010 |
Umsatzsteuer |
02.03.2012 |
68.000,00 € |
4.301,53 € |
Körperschaft-steuer |
02.03.2012 |
3.000,00 € |
3.000,00 € |
|
Solidaritätszuschlag |
165,00 € |
165,00 € |
||
2011 |
Umsatzsteuer |
30.10.2014 |
104.296,20 € |
447,26 € |
Zinsen zur USt |
30.10.2014 |
38,00 € |
38,00 € |
In den Erläuterungen zu den Bescheiden wurde wie in den Vorjahren jeweils auf die fortbestehende Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen hingewiesen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass trotz der Schätzung eine Steuerstraftat / Steuerordnungswidrigkeit vorliegen könne.
7Die ordnungsgemäßen Bilanzen wurden zu folgenden Zeitpunkten erstellt:
82006 |
20.06.2008 |
2007 |
19.08.2009 |
2008 |
28.10.2011 |
2009 |
28.10.2011 |
2010 |
21.12.2011 |
2011 |
23.05.2013 |
Die Verbindlichkeiten aus Steuern betrugen zum 31.12.2006 nach dem Jahresabschluss 115.710,45 €.
10Der Jahresabschluss 2007 wurde unter anderem vom Kläger am 21.08.2009 festgestellt. Die Verbindlichkeiten aus Steuern betrugen danach zum 31.12.2007 368.070,49 €.
11Der Jahresabschluss 2008 wurde unter anderem vom Kläger am 03.11.2011 festgestellt. Die Verbindlichkeiten aus Steuern betrugen danach zum 31.12.2008 417.900,29 €.
12Der Jahresabschluss 2009 wurde unter anderem vom Kläger am 03.11.2011 festgestellt. Die Verbindlichkeiten aus Steuern betrugen danach zum 31.12.2009 332.928,28 €.
13Der Jahresabschluss 2010 wurde unter anderem vom Kläger am 28.12.2011 festgestellt. Die Verbindlichkeiten aus Steuern betrugen danach zum 31.12.2010 408.038,02 €.
14Der Jahresabschluss 2011 wurde unter anderem vom Kläger am 29.05.2013 festgestellt. Die Verbindlichkeiten aus Steuern betrugen danach zum 31.12.2011 447.220,19 €.
15Am 07.10.2014 leitete das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung K. gegen den Kläger wegen der Nichtabgabe von Erklärungen ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer der Jahre 2007 bis 2012 ein.
16Unter dem 30.10.2014 ordnete der Beklagte gegenüber der I. eine steuerliche Außenprüfung für die Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer für die Jahre 2006 bis 2012 an. Am Tag des Prüfungsbeginns, dem 26.01.2015 reichte die I. ordnungsgemäße Steuererklärungen für die bislang geschätzten Veranlagungszeiträume ein. Die Schlussbesprechung der steuerlichen Außenprüfung erfolgte am 29.01.2015.
17Der Beklagte änderte daraufhin die Bescheide gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
18VZ |
Bescheid |
Datum |
Festgesetzt in € |
Leistungsgebot unter Anrechnung bereits gezahlter Beträge |
2006 |
Umsatzsteuer |
20.02.2015 |
42.638,34€ |
19.238,34 € |
Zinsen zur USt |
8.450,00 € |
7.872,00 € |
||
2007 |
Umsatzsteuer |
03.03.2015 |
145.857,59 € |
179.507,59 € |
Zinsen zur USt |
64.340,00 € |
63.722,00 € |
||
2008 |
Umsatzsteuer |
03.03.2015 |
95.174,03 € |
174,03 € |
Zinsen zur USt |
693,00 € |
44,00 € |
||
2009 |
Umsatzsteuer |
03.03.2015 |
124.257,39 € |
- 11.242,61 € |
Zinsen zur USt |
-2.343,00 € |
- 2.587,00 € |
||
2010 |
Umsatzsteuer |
03.03.2015 |
113.299,30 € |
45.299,30 € |
Zinsen zur USt |
7.918,00 € |
7.918,00 € |
||
Körperschaftsteuer |
20.02.2015 |
14.870,00 € |
11.870,00 € |
|
Zinsen zur KSt |
2.014,00 € |
2.014,00 € |
||
Solidaritätszuschlag |
817,85 € |
652,85 € |
||
2011 |
Umsatzsteuer |
20.02.2015 |
197.413,79 € |
93.576,85 € |
Zinsen zur USt |
10.279,00 € |
10.279,00 € |
Der Beklagte erließ am 10.03.2015 gegenüber der I. einen Bescheid über die Festsetzung einer Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das Kalenderjahr 2015 in Höhe von 1.701 €.
20Durch Beschluss des Amtsgerichts Z. (Az.: N01 IN N02) vom 00.00.2015 wurde über das Vermögen der I. das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Gläubigerversammlung vom 00.00.2015 gab der Insolvenzverwalter an, dass mit einer Insolvenzquote von 14,85 % zu rechnen sei.
21Mit Schreiben vom 10.06.2015 gab der Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich seiner möglichen Haftungsinanspruchnahme gemäß § 69 AO als Geschäftsführer der I.. Insbesondere forderte der Beklagte den Kläger zur Stellungnahme dazu auf, warum er als Geschäftsführer die Erklärungspflichten der I. unter anderem für Körperschaft- und Umsatzsteuer 2006 bis 2012 sowie Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung 2015 nicht erfüllt habe und warum bestimmte, unter anderem nachfolgend aufgeführte Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht getilgt worden seien.
22VZ |
Bescheid |
Ausstehende Forderung |
2006 |
Umsatzsteuer |
18.716,02 € |
Zinsen zur Umsatzsteuer |
7.872,00 € |
|
2007 |
Umsatzsteuer |
179.507,59 € |
Zinsen zur Umsatzsteuer |
63.722,00 € |
|
2008 |
Umsatzsteuer |
174,03 € |
Zinsen zur Umsatzsteuer |
44,00 € |
|
2010 |
Umsatzsteuer |
45.299,30 € |
Zinsen zur Umsatzsteuer |
7.918,00 € |
|
2011 |
Umsatzsteuer |
92.400,33 € |
Zinsen zur Umsatzsteuer |
10.241,00 € |
|
2015 |
Umsatzsteuer Sondervorauszahlung |
1.701,00 € |
2010 |
Körperschaftsteuer |
11.870,00 € |
Zinsen zur Körperschaftsteuer |
2.014,00 € |
|
Solidaritätszuschlag |
652,85 € |
|
Summe |
442.132,12 €. |
Nachdem der Kläger, der während des gesamten weiteren Verfahrens durch einen Steuerberater vertreten wurde, trotz mehrfacher Fristverlängerung keine Stellungnahme abgab, erließ der Beklagte am 13.04.2016 gegen den Kläger einen Haftungsbescheid über die vorbenannten Steuerschulden. Als Haftungszeitraum gab er den 31.01.2008 bis 09.04.2015 an. Zur Begründung des auf § 69 AO gestützten Haftungsbescheids führte der Beklagte an, dass es der Kläger als Geschäftsführer und damit gesetzlicher Vertreter der I. zumindest grob fahrlässig unterlassen habe, Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen bis zum 31.12. des Folgejahres einzureichen. Ferner habe er es zumindest grob fahrlässig unterlassen, die von der I. geschuldeten Steuern zum Fälligkeitstag zu entrichten. Dadurch habe er adäquat-kausal den Steuerausfall der I. verursacht.
24Hiergegen legte der Kläger am 17.05.2016 Einspruch ein. Der Kläger meinte im dortigen Verfahren, dass bezüglich der Umsatzsteuer 2006 bis 2010 sowie der Körperschaftsteuer 2010 und Solidaritätszuschlags 2010 bereits vor Erlass des Haftungsbescheids Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Ferner bestehe nach § 69 Satz 2 AO eine Haftung nur für Säumniszuschläge, nicht aber sonstige steuerliche Nebenleistungen, insbesondere nicht für Zinsen.
25Bezüglich der Umsatzsteuer 2011 und 2015 fehle es jedenfalls an den Erhebungsvoraussetzungen gemäß § 219 AO, da eine Vollstreckung bei der I. nach Auskunft des Insolvenzverwalters voraussichtlich nicht erfolglos bleiben werde.
26Durch Strafbefehl vom 09.01.2017, rechtskräftig seit dem 27.01.2017 hat das Amtsgerichts Z. (Az.: N03 Cs N04) gegen den Kläger eine Freiheitstrafe von 9 Monaten festgesetzt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
27Nach den Feststellungen des Strafbefehls hat sich der Kläger durch die vorsätzlich verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2007 bis 2012 der Steuerhinterziehung für diese Veranlagungszeiträume strafbar gemacht.
28Ausweislich eines Aktenvermerks des Beklagten über ein Telefonat mit dem Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung K. wurde der Veranlagungszeitraum 2006 nicht aufgenommen, da bezüglich dieser Tat bereits nach § 78 Abs. 1 Strafgesetzbuch Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Bezüglich der Körperschaftsteuer 2007 bis 2009 sei eine Einstellung wegen Geringfügigkeit erfolgt. Die Körperschaftsteuer 2010 sei vergessen worden.
29Mit Bescheid vom 07.04.2017 wurden gegenüber der I. Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 2011 i.H.v. 1.824 € festgesetzt. Ferner wurden Zinsen im Sinne von § 235 Abs. 4 i.V.m. § 233a AO in Höhe von 10.279 € festgesetzt.
30Der Beklagte vermerkte in der Steuerakte am 26.10.2017, dass es sich empfehle, „den Haftungsbescheid nach § 69 AO ersatzlos nach § 130 Abs. 1 AO aufzuheben […] und einen neuen Haftungsbescheid nach § 71 zu erlassen“. Der Vermerk wurde dem Kläger nicht übermittelt.
31Daraufhin erließ der Beklagte am 30.10.2017 folgenden Bescheid: „[…] der vorgenannte Haftungsbescheid [Anm.: gegen den Kläger vom 13.04.2016] wird hiermit gemäß § 130 Abs. 1 AO zurückgenommen. Hiermit erledigt sich Ihr Einspruch vom 17.05.2016.“
32Am 07.05.2018 erließ der Beklagte einen neuen Haftungsbescheid gegen den Kläger für Steuerschulden der I. in Höhe von 350.314,54 €, welcher ihm am 08.05.2018 zugestellt wurde. Die Haftungssumme setzt sich wie folgt zusammen:
33VZ |
Steuerart |
Betrag |
2006 |
Umsatzsteuer |
18.716,02 € |
2007 |
Umsatzsteuer |
179.507,59 € |
2008 |
Umsatzsteuer |
174,03 € |
2010 |
Umsatzsteuer |
45.299,30 € |
Körperschaftsteuer |
11.870,00 € |
|
Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer |
652,85 € |
|
2011 |
Umsatzsteuer |
92.400,33 € |
Zinsen § 235 AO 14 % von 1.824 € |
255,36 € |
|
Zinsen § 235 Abs. 4 AO 14 % von 10.279 € |
1.439,06 € |
Als Rechtsgrundlage gab der Beklagte § 71 AO an. Der Kläger habe das für die I. zuständige Finanzamt durch die Nichtabgabe von Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2006 bis 2011 sowie der Körperschaftsteuererklärung 2010 pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen. Durch die verspätete Abgabe von Steuererklärungen und die darauf basierende verspätete Festsetzung von Umsatzsteuer 2006 bis 2011 und Körperschaftsteuer 2010 sei es zu einer Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO in Form der Steuerverkürzung auf Zeit gekommen. Dem Kläger sei als Unternehmer die Abgabepflicht auch hinreichend bekannt gewesen, so dass auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt sei. Bezüglich der Umsatzsteuer für die Jahre 2007 bis 2011 werde auf den Strafbefehl des Amtsgerichts Z. verwiesen.
35Bei fristgerechter Abgabe und Zahlung hätten die Steuern bei dann noch bestehender Zahlungsfähigkeit entrichtet werden können. Bezüglich der Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO unter Anrechnung von Zinsen gemäß § 233a AO in Höhe von insgesamt 12.103 € sei von einer anteiligen Haftungsquote in Höhe der Verteilungsquote aus dem Insolvenzverfahren auszugehen.
36Im Fall der Haftung wegen Steuerhinterziehung sei das Ermessen in der Weise vorgeprägt, dass die Inanspruchnahme die Regel sei. Gründe, die ausnahmsweise dagegen sprächen, seien vorliegend nicht ersichtlich.
37Hiergegen legte der Kläger am 28.05.2018 Einspruch ein.
38Zur Begründung führte er aus, dass er bereits durch den Haftungsbescheid vom 13.04.2016 für die gleichen Steuerschulden in Anspruch genommen worden sei. Nach dessen Rücknahme durch Bescheid vom 30.10.2017 dürfe ein neuer Bescheid nur unter den Voraussetzungen des § 131 Abs. 2 AO ergehen, welche hier nicht vorlägen. Der Lebenssachverhalt, nämlich die in der Nichtabgabe von Steuererklärungen liegende Pflichtverletzung, sei derselbe. Der Bescheid unterscheide sich allein durch die herangezogene Haftungsnorm. Mangels Vorbehalt oder Ankündigung eines neuen Haftungsbescheids habe er auch darauf vertrauen dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
39Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung 06.12.2018 als unbegründet zurück.
40Die Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 71 AO lägen für den streitigen Zeitraum vor, insoweit werde auf die Ausführungen im Haftungsbescheid Bezug genommen. Ergänzend mache er sich die Ausführungen im Strafbefehl des Amtsgerichts Z. zu eigen, welche ebenso auf die Umsatzsteuer 2006 und die Körperschaftsteuer 2010 übertragbar seien.
41Auch habe ein erneuter Haftungsbescheid ergehen dürfen, da die Aufhebung vom 30.10.2017 keine allgemeine Haftungsfreistellung enthalte, sondern nur eine schlichte Rücknahme des Bescheids vom 13.04.2016. Ein Vertrauenstatbestand sei bei einer Steuerhinterziehung ohnehin nicht gegeben.
42Der Kläger hat am 08.01.2019 Klage erhoben.
43Ergänzend zum Vortrag aus dem Einspruchsverfahren meint der Kläger, dass der Bescheid vom 30.10.2017 rechtmäßig gewesen sei. Die Voraussetzungen für einen Rücknahme nach § 130 Abs. 2 bzw. einen Widerruf nach § 131 Abs. 2 AO lägen nicht vor. Eine etwaige Rechtswidrigkeit sei ihm weder bekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt gewesen. Er behauptet, dass er den Bescheid nicht durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien.
44Auf Grundlage der Gesamtumstände, insbesondere des Aktenvermerks des Beklagten, habe er darauf vertrauen dürfen, dass er für die Steuerschulden der I. nicht mehr in Haftung genommen werde. Der Aktenvermerk zeige, dass auch der Beklagte von einer „ersatzlosen“ Aufhebung des Haftungsbescheids ausgegangen sei, auch wenn dies im Bescheid vom 30.10.2017 nicht mehr zum Ausdruck gekommen sei. Dies gelte auch deshalb, weil zwischen dem Erlass des Aufhebungsbescheids vom 30.10.2017 und dem angefochtenen Haftungsbescheid vom 07.05.2018 sieben Monate lägen.
45Am 02.07.2020 hat der Kläger mitgeteilt, der Insolvenzverwalter habe darauf hingewiesen, dass an die Gläubiger eine Quote in Höhe von 21 % gezahlt worden sei.
46Mit Bescheid vom 30.07.2020 hat der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 07.05.2018 teilweise widerrufen und den Haftungsbetrag auf 219.960,41 € herabgesetzt. Die Haftungssumme sei entsprechend der im Insolvenzverfahren realisierten Steueransprüchen herabgesetzt worden. In der Anlage Kontoauszug wurde die „Quote“ mit 21,87 % angegeben. Die Haftungssumme wurde danach wie folgt berechnet:
47„348.620,12 € + 2.646,93 € = 351.267,05 € abzüglich Quotenzahlung 131.306,64 € = 219.960,41 €“.
48Mit Bescheid vom 25.08.2021 hat der Beklagte den Bescheid vom 30.07.2020 teilweise gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO zurückgenommen, soweit die Haftungssumme darin um 31.670,52 € zu viel reduziert wurde. Der korrekte Haftungsbetrag betrage 251.630,93 € [350.244,54 € * (1- 28,17 %)].
49Dem Kläger sei die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 30.07.2020 bekannt gewesen oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt gewesen. Insbesondere habe er bzw. sein Prozessbevollmächtigter bereits in der Klagebegründung vom 02.07.2020 darauf hingewiesen, dass die Insolvenzquote 21 % betrage. Eine Reduzierung auf 219.960,41 € würde einer Insolvenzquote von fast 38 % entsprechen.
50Der Kläger hat ursprünglich beantragt, den Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 aufzuheben.
51Der Kläger beantragt nunmehr,
52den Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 aufzuheben, soweit er noch in Höhe von 251.630,93 € in Anspruch genommen wird,
53hilfsweise, die Revision zuzulassen.
54Der Beklagte beantragt,
55die Klage abzuweisen,
56hilfsweise, die Revision zuzulassen.
57Der Beklagte meint, bezüglich der Umsatzsteuer 2006 sei noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. In der Rechtsprechung des BFH sei nicht geklärt, ob eine Anlaufhemmung auch dann bestehe, wenn nur der Steuerschuldner erklärungspflichtig sei.
58Ein etwaiges Vertrauen des Klägers in den Rücknahmebescheid vom 30.10.2017 sei zudem jedenfalls nicht schutzwürdig. Durch die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung habe der Kläger gewusst, dass er Steuern verkürzt habe und folglich in Haftung genommen werde. Jedenfalls habe der Kläger bei der ihm zuzumutenden Sorgfalt nicht auf die Rechtmäßigkeit vertrauen dürfen.
59Ferner meint er, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid nicht um denselben Sachverhalt handeln würde. Zwar handele es sich um dieselben Steuerschulden. Entscheidend sei aber, dass die haftungsbegründenden Tatsachen unterschiedlich seien. So habe beim ersten Haftungsbescheid noch nicht der Tatbestand der Steuerhinterziehung vorgelegen, welcher erst mit dem Strafbefehl vom 09.01.2017 vorgelegen habe.
60Entscheidungsgründe
61I. Der Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung --FGO--), soweit der Kläger für die Umsatzsteuerschulden 2006 der I. in Haftung genommen wird. Im Übrigen ist die Haftungsinanspruchnahme rechtmäßig.
62Streitgegenstand ist der Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018. Insbesondere liegt kein Fall des § 68 FGO vor. Nach dieser Vorschrift wird im Fall der Änderung oder Ersetzung des angefochtenen Verwaltungsakts nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens.
63Hingegen handelt es sich um einen Teilwiderruf im Sinne des § 131 Abs.1 AO, wenn die Haftungssumme durch Bescheid herabgesetzt wird, weil nach Erlass der Einspruchsentscheidung Zahlungen auf die Steuerschuld geleistet werden (Bundesfinanzhof --BFH-- Beschluss vom 27.10.2014 VII B 192/13, BFH/NV 2015, 155, Rz 8). Der Bestand des ursprünglichen Haftungsbescheides in dem von dem Teilwiderruf nicht betroffenen Umfang wird dadurch nicht berührt (§ 124 Abs. 2 AO). Zur Fortführung eines gegen den ursprünglichen Haftungsbescheid eingeleiteten Klageverfahrens bedarf es deshalb keines Antrages nach § 68 FGO (BFH-Urteil vom 28.01.1982 V R 100/80, BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292; vom 06.08.1996 VII R 77/95, BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79).
64Soweit der Teilwiderruf vom 30.07.2020 durch den Bescheid vom 25.08.2021 zurückgenommen wurde, entfaltet der ursprüngliche Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Form der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2018 wieder seine Wirksamkeit (BFH-Urteil vom 28.01.1982 V R 100/80, BFHE 135, 27, BStBl II 1982, 292). Ein Einspruch gegen diese Teilrücknahme ist weder erforderlich noch möglich (BFH-Urteil vom 14.01.1992 VII R 112/89, BFH/NV 1992, 365).
65II. Der Kläger haftet für die Steuerschulden der I. (dazu 1.) mit Ausnahme der Umsatzsteuer 2006 (dazu 2.) nach Maßgabe des Haftungsbescheids und der Einspruchsentscheidung sowie der Bescheide vom 30.07.2020 und 25.08.2021 (dazu 3.). Der Beklagte hat sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt (dazu 4.) und war am Erlass des Bescheids vom 07.05.2018 weder durch eine positive Rechtsnorm noch aus Gründen des Vertrauensschutzes gehindert (dazu 5.).
661. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 20.09.2016 X R 36/15, BFH/NV 2017, 593, Rz 12 m.w.N.). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob die Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllen. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob und wen es als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Abs. 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.
67Nach § 71 AO haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 AO, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt.
68Das Verhalten des Kläger erfüllt bezogen auf die vom Haftungsbescheid erfassten Steuerschulden den Tatbestand einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
69Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt. Gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO sind Steuern unter anderem dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
70Das Finanzgericht ist bei Vorgängen, die sowohl in strafrechtlicher als auch in abgabenrechtlicher Hinsicht zu ermitteln und zu würdigen sind, an die tatsächlichen Feststellungen einer vorangegangenen strafgerichtlichen Entscheidung nicht gebunden. Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 27.08.1991 VIII R 84/89, BStBl II 1992, 9). Unerheblich ist damit, dass der Kläger bezüglich der Hinterziehung der Umsatzsteuer 2006, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 2010 nicht verurteilt wurde.
71Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts ‑ hier des § 370 AO ‑ bei der Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften ‑ hier § 71 AO ‑ von den Finanzbehörden und den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit festzustellen, sind verfahrensrechtlich die Vorschriften der AO und der FGO maßgebend und nicht die Strafprozessordnung (StPO). Indessen ist auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren der strafverfahrensrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 05.03.1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Dies lässt sich daraus ableiten, dass die Finanzbehörde (der Steuergläubiger) im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für steueranspruchsbegründende Tatsachen trägt. Es ist bezüglich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung indes kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil vom 07.11.2006 VIII R 81/04, BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364).
72Daran gemessen ist das Gericht von der Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch den Kläger überzeugt.
73Die I. schuldete die dem Haftungsbescheid und der Einspruchsentscheidung nach Maßgabe der Bescheide vom 30.07.2020 und 25.08.2021 zugrundeliegende Umsatz- und Körperschaftsteuer sowie die Hinterziehungszinsen zur Umsatzsteuer 2011. Die jeweiligen Bescheide entsprechen den Steuererklärungen bzw. Steueranmeldungen der I. und sind bestandskräftig. Der Kläger war bis zum Ablauf der Einspruchsfrist gegen die Änderungsbescheide Geschäftsführer der I. und hat auch im hiesigen Klageverfahren keine Einwände gegen die Höhe der Steuerfestsetzung erhoben.
74Der Kläger hat den Beklagten hierüber pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen.
75Die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen haben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AO deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Als Geschäftsführer der I. hatte der Kläger insbesondere dafür zu sorgen, dass für diese Steuererklärungen innerhalb der gesetzlichen Frist nach §§ 34, 149 AO i.V.m. § 18 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz --UStG--, § 31 Abs. 1 Satz 1 Körperschaftsteuergesetz i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz beim Beklagten eingereicht werden.
76Die gesetzliche Abgabefrist für die Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuerjahreserklärung endete gem. § 149 Abs. 2 AO in der in den Streitjahren geltenden Fassung (Art. 97 § 10a Abs. 4 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung) am 31.05. des Folgejahres.
77Sind bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen die Taten nicht bereits zuvor vollendet, so tritt mit der Bekanntgabe des Schätzungsbescheides, in dem die Steuer zu niedrig festgesetzt wird, Tatvollendung ein (Bundesgerichtshof --BGH-- Beschluss vom 22.08.2012 1 StR 317/12, BFH/NV 2013, 175, Rz 14).
78Indem der Kläger für die I. keine Körperschaftsteuererklärung 2010 abgab, wurde die Steuerhinterziehung bezüglich der Körperschaftsteuer 2010 mit Bekanntgabe des Bescheids für 2010 über Körperschaftsteuer vom 02.03.2012 gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am 05.03.2012 vollendet.
79Mit Ablauf der Voranmeldefrist wurde ferner die Umsatzsteuer verkürzt, weil die Umsatzsteuerjahreserklärung als Steueranmeldung (§ 18 Abs. 3 UStG i. V. mit § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO).
80Damit war die vom Kläger verwirklichte Steuerhinterziehung bezüglich der Umsatzsteuer in den Jahren 2006 bis 2008 sowie 2010 und 2011 durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) mit Verstreichenlassen des Abgabezeitpunkts am 31.05 des Folgejahres vollendet und zugleich auch beendet (vgl. dazu BGH-Beschluss vom 08.12.2016 1 StR 389/16, NStZ-RR 2017, 82, 83 m.w.N.).
81Auf die Fälligkeit der sich aus einer ordnungsgemäßen Steueranmeldung bzw. erklärung ergebenden Steuern kommt es im Rahmen von § 370 Abs. 4 und § 71 AO - anders als bei § 69 AO (vgl. hierzu beispielsweise BFH-Beschluss vom 04.09.2002 I B 145/01. BStBl II 2003, 223) ‑ nicht an. Haftungsbegründender Tatbestand ist allein das pflichtwidrige in Unkenntnis lassen des Beklagten, nicht aber die Nichtentrichtung der Steuern.
82Die Frist zur Erklärungsabgabe hatte sich auch nicht gemäß § 109 Abs. 1 AO bis zum 31.12. der Folgejahre verlängert, da die I. nicht vor Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist einen Steuerberater mit der Erstellung der Steuererklärungen beauftragt hat.
83Die Voraussetzungen für eine allgemeine Fristverlängerung bis zum 31.12. des Folgejahres für den Fall, dass die Steuererklärung durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe i.S.v. §§ 3 und 4 StBerG angefertigt wird (vgl. für das Jahr 2006 Oberste Finanzbehörden der Länder, Gleichlautender Erlass betr. Steuererklärungsfristen vom 02.01.2007, BStBl I 2007, 89; BFH-Beschluss vom 19.08.2010 VIII B 58/10, BFH/NV 2010, 2232; BFH-Urteil vom 28.06.2000 X R 24/95, BFHE 192, 32), lagen nicht vor.
84Die allgemeine Fristverlängerung bis zum 31.12. des Folgejahres gilt nur, wenn der jeweilige Steuerpflichtige tatsächlich einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe einen Auftrag zur Anfertigung der Steuererklärung erteilt hat. Für die Umsatzsteuer 2006 konnte keine konkrete Beauftragung bis zum 31.05.2007 festgestellt werden. Sie ist auch nicht naheliegend, da der Jahresabschluss erst 13 Monate nach der gesetzlichen Abgabefrist erstellt wurde. Die Bestellung eines Steuerberaters als Empfangsbevollmächtigten der I. gegenüber dem Beklagten erfüllt die Voraussetzungen zur Fristverlängerung nicht.
85Der Kläger handelte auch vorsätzlich. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will (BGH-Urteile vom 08.09.2011 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, Rz 21 und vom 24.01.2018 1 StR 331/17, NStZ-RR 2018, 180, 182 mit weiteren Nachweisen). Es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz). Der Hinterziehungsvorsatz setzt keine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus (vgl. BGH-Urteil vom 08.09.2011 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, Rz 21, 24). Für bedingten Vorsatz reicht es aus, dass der Täter anhand einer laienhaften Bewertung der Umstände erkennt, dass ein Steueranspruch existiert, auf den er einwirkt, sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“ (vgl. auch BFH-Urteil vom 21.02.1992 VI R 141/88, BStBl II 1992, 565, 568 mit weiteren Nachweisen).
86Dem Kläger war auf Grund der früheren steuerlichen Außenprüfungen (Berichte vom 24.01.2005, 03.03.2006 und 23.06.2008) bewusst, dass er zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten verpflichtet war. Auch wurde er zur Abgabe der Steuererklärung für alle Streitjahre aufgefordert. Schließlich wurde er bereits in den Erläuterungstexten zu den Vollschätzungen zur Umsatzsteuer 2004 und 2005 sowie Körperschaftsteuer 2005 darauf hingewiesen, dass er zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet war. Insbesondere wurde er ausdrücklich auch in den Schätzungsbescheiden auf die Möglichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung hingewiesen. Auch war dem Kläger als Geschäftsführer der I. bewusst, dass diese erhebliche Umsätze erzielte und über steigende Barmittel aus den Überschüssen verfügte.
87Zugunsten des Klägers geht der Senat davon aus, dass der subjektive Tatbestand bereits vor Erlass der Schätzungsbescheide verwirklicht war. Andernfalls wäre er jedenfalls mit Bekanntgabe der Schätzungsbescheide verwirklicht, was sich indes wegen der später beginnenden Festsetzungsfrist bezüglich der Umsatzsteuer 2006 zu seinem Nachteil auswirken würde (dazu sogleich unter 2.).
88Dem Kläger war in allen Streitjahren als Geschäftsführer bewusst, dass für die I. Bilanzen erstellt wurden, die erhebliche Steuerverbindlichkeiten auswiesen. Diese wurden ferner stets vor Erlass der Schätzungsbescheide fertiggestellt und von ihm ab dem Jahr 2008 als Gesellschafter festgestellt.
89Spätestens mit Bekanntgabe der Schätzungsbescheide erkannte er damit, dass in diesen die Steuern zu niedrig festgesetzt wurden. Denn die entsprechenden Schätzungsbescheide enthielten schließlich stets Hinweise zur fortbestehenden Erklärungspflicht.
90Soweit danach durch nach dem 31.05. ergangenen Schätzungsbescheid die Umsatzsteuer 2006 zu niedrig festgesetzt wurde, handelt es sich um eine mitbestrafte Nachtat, die keine (erneute) Haftung (und damit erneuten Beginn der Festsetzungsfrist dazu 2.) auslöst (Schmitz/Wulf, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 370 AO Rz 578 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
912. Der Haftungsbescheid vom 07.05.2018 ist, mit Ausnahme der Haftung für die Umsatzsteuer 2006, innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen. Bezüglich der Umsatzsteuer 2006 war im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids die Festsetzungsfrist abgelaufen (§ 191 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO).
92Nach § 191 Abs. 3 Satz 1 AO sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Gem. § 191 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 AO beträgt die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheids in den Fällen des § 71 AO zehn Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO).
93Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 AO sinngemäß (§ 191 Abs. 3 Satz 4 AO). Danach endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung.
94Unter Berücksichtigung der zuvor dargestellten Grundsätze wurden die Taten bezüglich der Umsatzsteuerjahreserklärungen jeweils mit Ablauf des 31.05. des Folgejahres beendet. Die Festsetzungsfrist begann mithin mit Ablauf des 31.12. des Folgejahres.
95Die Festsetzungsfrist bezüglich der Haftung für die Umsatzsteuer 2006 begann damit am 01.01.2008 und endete am 31.12.2017.
96Der Beginn der Festsetzungsfrist ist auch nicht gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt.
97Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH beginnt die Festsetzungsfrist für eine Haftung eines sogenannten Entrichtungsschuldners, wenn der haftungsbegründende Pflichtenverstoß darin begründet ist, dass eine Steueranmeldung (Entrichtungssteuer) nicht abgegeben wurde, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (BFH-Urteil vom 15.01.2015 I R 33/13, BFH/NV 2015, 797, Rz 15 mit weiteren Nachweisen; siehe auch Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 11.2021, 168. Lieferung, § 170 AO Rz 15 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
98Der Anlauf der Festsetzungsfrist ist nur gegenüber demjenigen Steuerpflichtigen gehemmt, der gesetzlich verpflichtet ist, eine Steuererklärung abzugeben. Infolgedessen ist die Festsetzungsfrist nicht gegenüber dem Haftungsschuldner gehemmt, wenn der Steuerschuldner nicht die gesetzlich vorgeschriebene Steuererklärung abgibt (Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 11.2021, 168. Lieferung, § 170 AO Rz 15; Rüsken, in: Klein, 15. Aufl. 2020, AO § 191 Rz 95d).
99Entrichtungsschuldner der Umsatzsteuer 2006 war indes allein die I., sie allein war zur Steueranmeldung gemäß § 150 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG verpflichtet.
100Auch die Ablaufhemmung des § 191 Abs. 3 Satz 4 Hs. 1 AO findet keine Anwendung. Danach endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist, wenn die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden ist. Die Umsatzsteuer 2006, für welche der Kläger in Haftung genommen wird, wurde durch den Schätzungsbescheid vom 09.01.2009 und Änderungsbescheid vom 20.02.2015 festgesetzt.
101Die Ablaufhemmung des § 191 Abs. 3 Satz 4 Hs. 2 AO ist ebenfalls nicht einschlägig. Danach ist nach der Steuerfestsetzung § 171 Abs. 10 AO sinngemäß anzuwenden. Die Zwei-Jahres-Frist war seit Erlass des Schätzungsbescheids im Jahr 2009 bereits vor Erlass des Haftungsbescheids abgelaufen. Dabei kann offen bleiben, ob die sinngemäße Anwendung des § 171 Abs. 10 AO dazu führt, dass eine Ablaufhemmung der Frist für den Erlass eines Haftungsbescheids auch bei einer Änderung der Steuerfestsetzung eintritt (so Finanzgericht Berlin-Brandenburg vom 17.12.2019 4 K 4241/16, Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 1029, Rz 61 rkr.). Denn auch die Zwei-Jahres-Frist seit Erlass des Änderungsbescheids war bei Erlass des Haftungsbescheids bereits abgelaufen (BFH-Urteil vom 05.10.2004 VII R 7/04, BFHE 209, 392, BStBl II 2006, 343).
102Der Ablauf der Festsetzungsfrist war auch nicht gemäß § 171 Abs. 3a Satz 3 AO durch die Aufhebung des Haftungsbescheids vom 13.04.2016 mit Bescheid vom 30.10.2017 gehemmt. Die Vorschrift verlängert die Ablaufhemmung ausdrücklich nur für den Fall der gerichtlichen Kassation gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO, nicht für den Fall, dass der Beklagte den Bescheid selbst aufhebt (BFH-Urteil vom 05.10.2004 VII R 77/03, BFHE 207, 504, BStBl II 2005, 122; Rüsken, in: Klein, 15. Aufl. 2020, § 191 AO Rz 96 m.w.N).
103Bezüglich der übrigen Steuerschulden war die zehnjährige Festsetzungsfrist hingegen bei Erlass des Haftungsbescheids vom 07.05.2018 noch nicht abgelaufen.
1043. Der angefochtene Haftungsbescheid ist auch in der im Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 festgesetzten Höhe zutreffend.
105a) Der haftungsbegründende ursächliche Zusammenhang zwischen der Verletzung der Steuererklärungspflicht durch den Geschäftsführer der GmbH und dem eingetretenen Steuerausfall (Haftungsschaden) wird dadurch begründet, dass durch die zunächst unterlassene und erst wesentlich später erfolgte Steueranmeldung bzw. Steuererklärung aussichtsreiche Vollstreckungsmöglichkeiten des Beklagten vereitelt worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 05.03.1991 VII R 93/88, BStBl II 1991, 678).
106In den Fällen, in denen der Haftungstatbestand des § 71 AO erfüllt ist, trägt der Haftungsschuldner, der sich auf eine Haftungsbeschränkung nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung beruft, für die hierfür maßgeblichen Tatsachen die Feststellungslast (BFH-Urteil vom 26.08.1992 VII R 50/91, BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 05.2019, 252. Lieferung, § 71 AO Rz 30).
107Die I. hat in den Jahren 2010 mit über 131.570 € sowie in 2011 mit 22.335 € hohe Steuerbilanzgewinne erzielt. Anhaltspunkte dafür, dass sie nur zur anteiligen Befriedigung ihrer Gläubiger in der Lage gewesen wäre sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
108b) Die nach Ergehen der Einspruchsentscheidung geleisteten Tilgungsleistungen berühren die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 nicht.
109Zahlungen, die erst während des Klageverfahrens auf die Steuerschuld geleistet werden, berühren weder den Bestand noch die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides (BFH-Urteil vom 24.01.1992 VI R 177/88, BFHE 167, 359, BStBl II 1992, 696, 699 m.w.N.). Sie führen insbesondere nicht zur Herabsetzung des Haftungsbetrages durch das Gericht. Denn Gegenstand einer gegen den Haftungsbescheid gerichteten Klage ist allein die Frage, ob der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung rechtmäßig ist (§ 44 Abs. 2 FGO). Für dieses Verfahren beschränkt sich die für die Einspruchsentscheidung des Finanzamts unbeschränkte Ermessensnachprüfung des Gerichts (§ 102 FGO) auf die Rechtmäßigkeit des erlassenen Verwaltungsakts im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung.
110c) In der Reduzierung der Haftungssumme mit Bescheid vom 30.07.2020 liegt ein rechtlich zulässiger Teilwiderruf i.S. des § 131 Abs. 1 AO.
111Danach kann ein rechtmäßiger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, außer wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste oder aus anderen Gründen ein Widerruf unzulässig ist.
112Gemäß § 132 Satz 1 AO gelten die Vorschriften über Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten auch während eines finanzgerichtlichen Verfahrens.
113Zahlungen auf die Steuerschulden, die nach der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bezüglich eines Haftungsbescheides auf die Steuerschuld geleistet werden, führen zu einer Reduzierung der Haftungsschuld (BFH-Beschluss vom 27.10.2014 VII B 192/13, BFH/NV 2015, 155 Rz 8). In Höhe der Quotenzahlung auf die Steuerschulden der I. durch den Insolvenzverwalter war der Haftungsbescheid vom 07.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.12.2018 daher in einem eigenständigen Verfahren und Verwaltungsakt zu widerrufen.
114Der Bestand des ursprünglichen Haftungsbescheides in dem von dem Teilwiderruf nicht betroffenen Umfang wird dadurch indes nicht berührt (§ 124 Abs. 2 AO, vgl. BFH-Beschlüsse vom 04.11.2003 VII B 34/03, BFH/NV 2004, 460, unter II.2; vom 08.02.2008 VII B 156/07, BFH/NV 2008, 967, unter II.2.b).
115Der Beklagte hat den Bescheid vom 30.07.2020 auch zu Recht gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO zurückgenommen, soweit die Haftungssumme darin über die Quotenzahlung hinaus um 31.670,52 € reduziert wurde.
116Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), nur dann zurückgenommen werden, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.
117Hierfür genügt es nicht, dass der Begünstigte die Umstände kennt, die die Rechtswidrigkeit zur Folge haben. Er muss das - wenn auch laienhafte - Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst haben (BFH-Urteil vom 16.06.1994 IV R 48/93, BFHE 175, 109, BStBl II 1996, 82, 85).
118Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Für den Kläger, der selbst im Schreiben vom 02.07.2020 eine Quote von 21 % angegeben hatte, war auf Grund der angegebenen Berechnungsformel klar erkennbar, dass dem Beklagten ein Rechenfehler unterlaufen war. Aus der Anlage zum Bescheid ergibt sich, dass der Beklagte die Haftungssumme ausdrücklich nur in Höhe der Quotenzahlung reduzieren wollte. Die tatsächliche Herabsetzung würde, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, zu einer Haftungsreduzierung in Höhe von 38 % führen.
119Unabhängig von den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO liegen außerdem in jedem Fall die Voraussetzungen des § 129 Satz 1 AO vor. Danach kann die Finanzbehörde Rechenfehler, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Aus der in der Anlage zum Bescheid angegeben Rechenformel ergibt sich eindeutig, dass sich der Beklagte bei der Reduzierung im Rahmen Prozentrechnung (hierzu als Rechenfehler ausdrücklich Bundestagsdrucksache 18/7457, 87) geirrt hat.
1204. Die Ermessensausübung hält der gerichtlichen Überprüfung stand.
121Hat jemand als Täter oder Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen, so ist es nach der Rechtsprechung des BFH im Regelfall billig und gerecht, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt. Sie würde vielmehr ermessensfehlerhaft handeln, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme freistellen würde. Die Ermessensentscheidung ist im Fall vorsätzlicher Steuerstraftaten derart vorgeprägt, dass es einer besonderen Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf (BFH-Urteil vom 02.12.2003 VII R 17/03, BFH/NV 2004, 597 m.w.N.).
122Der Beklagte hat auf die vorgenannte Rechtsprechung ausdrücklich Bezug genommen und bereits dadurch sein Entschließungsermessen ordnungsgemäß ausgeübt.
123Die Ausübung des Auswahlermessens ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
124Das Auswahlermessen der Finanzbehörde ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH im Falle einer vorsätzlich begangenen Steuerstraftat ebenfalls in der Weise vorgeprägt, dass die Abgaben gegen den Steuerstraftäter festzusetzen sind und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensentscheidung nicht bedarf (BFH-Beschluss vom 08.06.2007 VII B 280/06, BFH/NV 2007, 1822).
1255. Der Haftungsbescheid vom 07.05.2018 verstößt schließlich nicht gegen Treu und Glauben und durfte auch unabhängig von den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO ergehen.
126Die Bindungswirkung einer Aufhebungsverfügung - gleichgültig, ob sie mit dem Grundsatz von Treu und Glauben oder mit der eingeschränkten Rücknehmbarkeit begünstigender Verwaltungsakte nach § 130 Abs. 2 AO 1977 begründet wird - knüpft an einen beim Haftungsschuldner begründeten Vertrauenstatbestand an (BFH-Beschluss vom 18.02.1992 VII B 237/91, BFH/NV 1992, 639).
127Durch den Haftungsbescheid werden Verbindlichkeiten gegen den Haftungsschuldner festgesetzt, die sich daraus ergeben, dass der Haftungsschuldner einen bestimmten haftungsbegründenden Sachverhalt erfüllt hat und deshalb für die Steuerschuld eines bestimmten Steuerschuldners für einen bestimmten Besteuerungszeitraum in Anspruch genommen werden kann. Entscheidend für die Zulässigkeit eines neben einen bereits bestehenden Haftungsbescheid gegenüber einem bestimmten Haftungsschuldner tretenden weiteren Haftungsbescheides ist, ob dieser den gleichen Gegenstand regelt wie der bereits ergangene Haftungsbescheid oder ob die Haftungsinanspruchnahme für verschiedene Sachverhalte oder zu verschiedenen Zeiten entstandene Haftungstatbestände erfolgen soll (BFH-Urteile vom 22.01.1985 VII R 112/81, BFHE 143, 203, BStBl II 1985, 562; und vom 25.05.2004 VII R 29/02, BFHE 205, 539, BStBl II 2005, 3, 5).
128In erstem Fall soll die Rücknahmeverfügung nach der Rechtsprechung nur dann zurückgenommen und durch einen erneuten Haftungsbescheid für denselben Sachverhalt ersetzt werden dürfen, wenn die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO, der die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte regelt, gegeben sind.
129Daran gemessen regeln die Haftungsbescheide vom 13.04.2016 einerseits und vom 07.05.2018 andererseits nicht denselben Sachverhalt. Haftungsbegründender Sachverhalt im ersten Bescheid war allein die grob fahrlässig unterlassene Erfüllung steuerlicher Pflichten, während der zweite Bescheid ausdrücklich auf die vorsätzliche Steuerhinterziehung gestützt wurde. Der im Haftungsbescheid vom 13.04.2016 geschilderte Sachverhalt enthält keinerlei Ausführungen dazu, dass der Kläger die Abgabe der Steuererklärungen mit dem Vorsatz unterließ, Steuern zu verkürzen.
130Der Hinweis des Klägers, dass in diesem Bescheid die Pflichtverletzung „als zumindest grob fahrlässig“ bezeichnet wurde, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn für die Haftung nach § 69 AO ist es unerheblich, ob der Haftungsschuldner bezüglich der Folgen der Tat, den Eintritt des Vermögensschadens, vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (siehe Jatzke, in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand 01.12.2016, § 71 AO Rz. 14), während § 71 i.V.m. § 370 AO auch insoweit zumindest bedingten Vorsatz erfordert. Insofern gibt der subjektive Tatbestand im Vergleich zum ursprünglichen Sachverhalt dem Geschehen ein neues Gepräge.
131Anders als der Kläger meint, kommt es deshalb auch nicht darauf an, dass der aufgehobene Bescheid bereits Ausführungen zur pflichtwidrigen Nichtabgabe von Steuererklärungen und Nichtabführung der festgesetzten Beträge enthält. Entscheidend ist allein, dass der angefochtene Bescheid neue, im früheren Haftungsbescheid nicht enthaltene Feststellungen zur Steuerverkürzungen und des diesbezüglichen subjektiven Tatbestands enthält (vgl. BFH-Beschluss vom 18.02.1992 VII B 237/91, BFH/NV 1992, 639). Damit liegt nicht bloß eine andere rechtliche Bewertung desselben haftungsrechtlich erheblichen Vorgangs vor (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 08.11.1994 VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657, unter Entscheidungsgründe 1.c)).
132Soweit sich der Kläger auf das Urteil des BFH vom 25.05.2004 (VII R 29/02, BFHE 205, 539, BStBl II 2005, 3) beruft, übersieht er, dass dort der haftungsbegründende Umstand in beiden Fällen derselbe war (zivilrechtliche Gesellschafterstellung und Geschäftsführertätigkeit gemäß § 69 AO im ersten Bescheid sowie § 128 Handelsgesetzbuch im zweiten Bescheid).
133Der Beklagte war schließlich auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben am Erlass des Bescheids gehindert. Durch das Verhalten der Behörde wurde bereits kein Vertrauenstatbestand begründet. Ein etwaiges Vertrauen wäre auch nicht schutzwürdig.
134Nach der in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz statuierten Bindung von Exekutive (Verwaltung) und Judikative (Rechtsprechung) an Gesetz und Recht - das Rechtsstaatsgebot - verpflichtet dieses Hoheitsträger nicht nur zur Wahrung des Prinzips der materiellen Gerechtigkeit ("Rechtsrichtigkeit"), sondern ebenso und gleichrangig zur Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Beide genannten Subprinzipien des Rechtsstaatsgebots stehen in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander und müssen vom Rechtsanwender im Wege der Konkretisierung und Abwägung zum Ausgleich (zu einer "praktischen Konkordanz"; vgl. hierzu I. A. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1972, S. 142 f., Rz 317 ff.) geführt werden (BFH-Beschluss vom 17.12.2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608).
135Zwar kann ein Aufhebungsbescheid ein geeigneter Gegenstand für ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen sein. Ein solches Vertrauen setzt jedoch außer einer adäquaten Vertrauensbetätigung des Klägers und der Schutzwürdigkeit dieser Vertrauensbetätigung voraus, dass im Zuge der bei Vorliegen dieser Voraussetzungen gebotenen Abwägung der Interessen die Interessen des Betroffenen die Interessen der Allgemeinheit überwiegen (Bundesverwaltungsgericht-Urteil vom 26.01.1996 8 C 14/94, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report --NVwZ-RR-- 1996, 465, 466 m.w.N; BFH-Urteil vom 27.11.1984 VIII R 376/83, BFH/NV 1985, 13). Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
136Nach dem Urteil des VI. Senats des BFH vom 25.07.1986 (VI R 216/83, BFH 147, 215, BStBl II 1986, 779) ist das Finanzamt grundsätzlich befugt, an die Stelle eines Haftungsbescheids, den es wegen (angenommener) Fehlerhaftigkeit aufgehoben hat, einen neuen fehlerfreien Haftungsbescheid (mit den gleichen Haftungsbeträgen) zu setzen. Von einer solchen Möglichkeit soll das Finanzamt jedoch dann keinen Gebrauch machen können, wenn es vorher dem Betroffenen mitgeteilt hat, es werde von der weiteren Geltendmachung des Haftungsanspruchs absehen; letzteres hat der VI. Senat für den Urteilsfall angenommen, in dem der Haftungsbescheid "ersatzlos" aufgehoben worden wurde und die Gründe für die Aufhebung für den Kläger nicht erkennbar waren (vgl. auch von Wedelstädt in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand 01.02.2019, § 130 Rz 74; Nacke in: Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 4. Auflage 2017, Rz 11.17 f.).
137Von gleichen Grundsätzen ist die Rechtsprechung auch in Fällen ausgegangen, in denen die Behörde während eines Einspruchs- oder Klageverfahrens den angefochtenen Steuerbescheid wegen Rechtswidrigkeit aufhebt. Nach den Ausführungen des VIII. Senats des BFH im Urteil vom 27.11.1984 (VIII R 376/83, BFH/NV 1985, 13) ist das Finanzamt zum Erlass neuer Steuerbescheide bei Rücknahme der ursprünglichen Steuerbescheide lediglich dann nicht berechtigt, wenn in dieser Rücknahme ein Freistellungsbescheid i.S. des § 155 Abs.1 Satz 3 AO zu sehen ist (so auch Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 05.2021, 166. Lieferung, § 191 AO Rz 123). Ein Freistellungsbescheid in diesem Sinne ist ein Bescheid, durch den das Finanzamt zum Ausdruck bringt, dass keine Steuer mehr geschuldet werde. Einen Vertrauensschutz, durch den das Finanzamt auch ohne Erlass von Freistellungsbescheiden gehindert werde, neue Bescheide zu erlassen, hat der VIII. Senat nur angenommen, wenn man aus Umständen im Zusammenhang mit der Aufhebung der ursprünglichen Bescheide schließen kann, das Finanzamt werde für die Streitjahre keine Gewinne mehr feststellen bzw. festsetzen.
138Der Bescheid vom 30.10.2017 enthielt bereits keinen Zusatz, wonach der Bescheid „ersatzlos“ aufgehoben wird. Erst recht kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass der Beklagte in einem Aktenvermerk vor Erlass des Bescheids vom 30.10.2017 die „ersatzlose“ Aufhebung vorgeschlagen hat.
139Nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO wird der Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Damit kommt es für den durch Auslegung zu ermittelnden Gehalt des Bescheids nicht auf eine Verfügung (hierzu ausdrücklich BFH-Urteil vom 27.06.1986 VI R 23/83, BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832 unter Entscheidungsgründe, 1.a).) und erst Recht nicht auf einen Vermerk an.
140Der tatsächlich bekanntgegebene Bescheid enthielt einen solchen Hinweis gerade nicht. Der Aktenvermerk, der dem Kläger erst im Rahmen der Akteneinsicht vom 09.03.2022 bekannt wurde, kann damit nicht zur Bestimmung des objektiven Empfängerhorizonts bei Erhalt des Bescheids vom 30.10.2017 herangezogen werden. Abgesehen davon lautete der Vermerk dahingehend, den Haftungsbescheid „..ersatzlos .. aufzuheben und einen neuen Haftungsbescheid nach § 71 zu erlassen“.
141Zudem ist nach dem im dortigen Einspruchsverfahrens geführten Schriftverkehr eindeutig erkennbar, dass der Beklagte nur davon ausging, dass Haftungsansprüche wegen der Verletzung steuerlicher Pflichten gemäß § 69 AO vor Erlass des Haftungsbescheids verjährt waren und bezüglich des Leistungsgebots bezogen auf den unverjährten Zeitraum jedenfalls vorrangige Vollstreckungsmaßnahmen bei der I. erforderlich sind.
142Dies gilt jedenfalls für den fachkundigen früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers, dem die Aufhebungsverfügung bekannt gegeben worden war (vgl. hierzu bei der Bestimmung des objektiven Empfängerhorizonts BFH-Beschluss vom 18.02.1992 VII B 237/91, BFH/NV 1992, 639, unter Entscheidungsgründe 3.).
143Nach dem insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont war danach nicht erkennbar, dass der Beklagte den Kläger insgesamt aus der Haftung für die Steuerschulden der I. entlassen wollte. Soweit der Haftungsschuldner jedoch aus dem Aufhebungsbescheid oder den Begleitumständen nicht entnehmen konnte, er werde nicht erneut in Anspruch genommen, besteht kein Vertrauensschutz (Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 05.2021, 166. Lieferung, § 191 AO Rz 125).
144Der während des gesamten Verfahrens rechtlich beratene Kläger kann sich auch deshalb nicht auf einen Vertrauensschutz berufen, weil der angefochtene Bescheid auf Rechtsgrundsätzen beruht, die bereits vor den Streitjahren durch die Rechtsprechung aufgestellt wurden. Der Kläger konnte allenfalls davon ausgehen, nicht allein wegen der Verletzung seiner steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer der I. nach § 69 AO in Anspruch genommen zu werden. Angesichts dessen kann offen bleiben, ob sich der nach § 71 AO wegen Steuerhinterziehung in Haftung genommene Kläger überhaupt auf die Schutzwürdigkeit eines etwaigen Vertrauenstatbestands berufen kann (in diesem Sinne ablehnend jedenfalls dann, wenn die zu niedrige Haftungsinanspruchnahme durch den Haftungsschuldner verursacht wurde: BFH-Urteil vom 15.02.2011 VII R 66/10, BFHE 232, 313, BStBl II 2011, 534 Rz 17).
145Dem Umstand, dass der neue Haftungsbescheid sechs Monate und acht Tage nach der Aufhebung des ersten Haftungsbescheids erlassen wurde, kommt demgegenüber kein Gewicht zu. Zum einen reicht ein reines Zeitmoment für die Begründung von Vertrauensschutz ohnehin nicht aus. Im Übrigen hat der Gesetzgeber den Vertrauensschutz durch Zeitablauf im Fall der Steuerhinterziehung durch die Erhöhung der Verjährungsfrist von vier auf zehn Jahre gemäß § 169 Abs. 2 AO derart eingeschränkt, dass es keinem Zweifel unterliegen kann, dass sich der Kläger wegen der hier verstrichenen Zeit nicht auf Vertrauensschutz berufen kann.
146Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung am 30.10.2017 bereits Kenntnis vom strafrechtlichen Verhalten des Klägers hatte. Dieser Tatvorwurf war unstreitig nicht Gegenstand und relevanter Lebenssachverhalt des ersten Haftungsbescheids.
147Der BFH hat insofern im Beschluss vom 18.02.1992 (VII B 237/91, BFH/NV 1992, 639 unter Entscheidungsgründe, 4.) mit selbständig tragender Begründung entschieden, dass das Finanzamt im Fall der Aufhebung nicht zum gleichzeitigen Erlass eines neuen Haftungsbescheids verpflichtet ist, wenn der neue Haftungsbescheid auf einen abweichenden Sachverhalt gestützt wird. Ebenso wie im dort entschiedenen Sachverhalt hatte das Finanzamt seinen ursprünglichen Haftungsbescheid auf § 69 AO gestützt und bei Aufhebung Kenntnis von den die Haftung nach § 71 AO begründenden Umständen.
148Maßgeblich ist allein, dass in der Begründung des ursprünglichen Bescheids dem Kläger nur vorgeworfen wurde, seiner Verpflichtung als Geschäftsführer Steuererklärungen einzureichen und die fälligen Steuern zu entrichten, nicht in dem erforderlichen Maße nachgekommen zu sein (§ 34 Abs.1, § 69 AO). Die Haftung wegen Steuerhinterziehung (§ 71 AO) in dem hier wie dort angefochtenen Haftungsbescheid wird dagegen damit begründet, dass er den Beklagten bewusst pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat. Das Beklagte war aber weder durch eine positive Rechtsnorm noch durch allgemeine Rechtsgrundsätze daran gehindert, nach Aufhebung des ursprünglichen Haftungsbescheids für einen ganz anderen Sachverhalt auf Grund neuer Feststellungen (hier: Verurteilung des Klägers wegen Steuerhinterziehung durch das Amtsgericht) erneut einen Haftungsbescheid zu erlassen.
149Soweit der Kläger schließlich meint, dass Abhilfebescheide wegen des durch sie begründeten Vertrauens des Steuerpflichtigen allgemein und ohne weitere Voraussetzung einer erhöhten Bestandsgarantie unterlägen, ist diese Aussage und die vom Kläger hierzu zitierte Rechtsprechung bereits ausdrücklich durch das Urteil des BFH vom 22.03.1988 (VII R 8/84, BFHE 152, 430, BStBl II 1988, 517) überholt. Richtigerweise wird Vertrauensschutz nur in den vorgenannten, von der Rechtsprechung präzisierten Fallgruppen gewährt, welche hier nicht vorliegen.
150Soweit der Kläger demgegenüber meint, der Beklagte hätte unabhängig davon zur Vermeidung eines Vertrauenstatbestand zeitgleich einen neuen Haftungsbescheid erlassen müssen, überträgt er Aspekte der Zweckmäßigkeit (vgl. zum Beispiel Jatzke, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand: 01.05.2019, § 191 AO Rz 50) auf die Voraussetzung der Rechtmäßigkeit. Die Rechtsprechung ist wie dargestellt einen anderen Weg gegangen. Hieran ist festzuhalten.
151Aus dem vom Kläger zuletzt zitierten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28.10.1999 (2 N 9/99, NVwZ-RR 2000, 649) folgt nichts anders. Insbesondere enthält der Beschluss entgegen der Behauptung des Klägers keine Ausführungen dazu, dass aus dem Grundsatz der Verwaltungseffektivität ein subjektiver Anspruch des Adressaten folgen würde, wonach mehraktige Verwaltungsschritte von Anfang an erkennbar sein müssten.
152III. Da die Klage hiernach - soweit über sie noch zu entscheiden war - nur bezüglich der Haftung für die Umsatzsteuer 2006 Erfolg hat, waren die Kosten des Verfahrens insoweit verhältnismäßig zu teilen (§ 136 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 FGO).
153Der Kläger hatte zunächst die Aufhebung des Haftungsbescheids insgesamt in Höhe von 350.314,54 € beantragt. Nachdem der Beklagte durch die Teilaufhebungsbescheide vom 30.07.2021 bzw. 25.08.2021 dem Klagebegehren teilweise abgeholfen hat, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage dahin eingeschränkt, den Haftungsbescheid insoweit aufzuheben, als das er noch in Höhe von 251.630,93 € in Haftung genommen wird. Die Einschränkung des Klageantrags wirkt kostenrechtlich wie ein teilweises Unterliegen (vgl. Brandis, in: Tipke/Kruse AO/FGO, 8.2019, 157. Lieferung, § 136 FGO Rz 12).
154Gegenüber dem anwaltlich vertretenen Kläger bedurfte es insofern auch keines Hinweises auf die Möglichkeit einer teilweisen Erledigungserklärung. Im Übrigen hätte er auch in diesem Fall nach billigem Ermessen die Kosten insoweit getragen, da der Haftungsbescheid im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung insoweit rechtmäßig und die Klage insoweit unbegründet war (§ 138 Abs. 1 Satz 1 FGO). Es liegt auch kein Fall von § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO vor, da die Norm nur bei unveränderter Sach- und Rechtslage Anwendung findet, nicht aber wie im Streitfall bei einer während des Klageverfahrens erfolgten Zahlung des Insolvenzverwalters.
155IV. Es liegen keine Gründe vor, die die Zulassung der Revision rechtfertigen.
156Soweit der Kläger die Frage aufgeworfen hat, ob dem Erlass eines neuen Haftungsbescheids im konkreten Fall nach dem Ablauf von sechs Monaten und sieben Tagen seit Aufhebung des ersten Haftungsbescheids ein schutzwürdiges Vertrauen entgegensteht, ist die Revision nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Var. 1 FGO). Dies ist eine Frage des Einzelfalls und kann nicht allgemein in einem Revisionsverfahren entschieden werden.
157Es liegt auch keine Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 FGO vor. Der Senat hat in seiner Entscheidung keinen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von den tragenden abstrakten Rechtsausführungen einer Divergenzentscheidung abweicht.
158Soweit der Beklagte die Frage aufgeworfen hat, ob die Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch für den Kläger als Haftungsschuldner der Umsatzsteuer 2006 gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 AO Anwendung findet, war die Revision nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Var. 1 FGO). Die verneinende Antwort ergibt sich aus dem Gesetz und entspricht der gefestigten Rechtsprechung.