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Der Haftungsbescheid vom 27.12.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.1.2021 wird dahingehend geändert, dass die Haftungssumme auf 18.068,86 Euro herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 63 % und der Beklagte
zu 37 %.
Tatbestand
2Die Klägerin wendet sich mit der am 12.2.2021 erhobenen Klage gegen den Haftungsbescheid vom 27.12.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.1.2021.
3Die Klägerin wird für Steuerschulden der G. GmbH (im folgenden: G. GmbH) für die Jahre 2004 bis 2008 in Höhe der zuletzt durch die Einspruchsentscheidung festgesetzten Haftungssumme von 29.473,41 Euro in Anspruch genommen. Die Haftungssumme in dem ursprünglichen Haftungsbescheid lautete auf 384.063,00 Euro. Die Haftung der Klägerin betrifft Haftungsschulden der G. GmbH gem. § 50 a EStG. Die Inanspruchnahme der Klägerin wird auf § 69 und § 71 der Abgabenordnung (AO) gestützt.
4Die Klägerin und ihr Ehemann waren Gesellschafter zu ca. 51 % und zu ca. 49 % der 1989 gegründeten G. GmbH. Die Klägerin war deren Geschäftsführerin. Die zuletzt in F. ansässige G. GmbH vertrat bis Dezember 2014 internationale Musiker und Ensembles und organisierte innerhalb Europas Konzerte, Festivals und Veranstaltungen, wobei überwiegend ...Bands in Deutschland vermarktet wurden. Die ganz überwiegend nicht im Inland ansässigen Künstler wurden von der in den Niederlanden ansässigen T. B. V. (im folgenden: T. BV) angeworben, deren alleiniger Gesellschafter der Ehemann der Klägerin war.
5Die G. GmbH wurde insolvent. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeinleitung im Dezember 2014 war sie nicht mehr operativ tätig. Ausgangspunkt war ein Insolvenzantrag des Beklagten vom 24.09.2014 aufgrund Zahlungsunfähigkeit der G. GmbH bei bestehenden Steuerschulden. Am 18.10.2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. GmbH durch das Amtsgericht Z. (Az. N01) eröffnet.
6Die G. GmbH hatte zwischen angestellten und freien Künstlern differenziert. Über die als „angestellt“ angesehenen Künstler wurden in den Steueranmeldungen für die Streitjahre keine Angaben gemacht und kein Steuerabzug (§ 50 a EStG) vorgenommen. Die streitigen Haftungsbeträge beruhen auf dem Ergebnis einer Betriebsprüfung für die Jahre 2004 bis 2008 (Prüfungsbericht vom 30.7.2010). Während der Prüfung hatte die Klägerin erklärt, die „angestellten“ Künstler seien bei der T. BV als Arbeitnehmer behandelt worden und deshalb habe sie keinen Steuerabzug im Inland vorgenommen. Demgegenüber vertrat das Finanzamt die Auffassung, es müsse jeweils eine Freistellungsbescheinigung vorliegen, um auf den Steuerabzug verzichten zu dürfen. Die Klägerin (für die G. GmbH) stützte sich ihrerseits darauf, dass in 2001 eine Verständigung anlässlich einer Lohnsteueraußenprüfung mit dem seinerzeit (bis 2003) zuständigen Finanzamt B. getroffen worden sei. Damals sei festgehalten worden, dass Anmeldungen zum Steuerabzug nach § 50 a EStG für die von der T. BV vermittelten Künstler nicht abzugeben seien, soweit ein Anstellungsverhältnis mit der T. BV bestanden habe. Auf die Erklärung gegenüber dem Finanzamt und auf die Beantragung von Freistellungsbescheinigungen beim Bundesamt für Finanzen (später ab 1.1.2006 Bundeszentralamt für Steuern (BZSt)) für die entsprechenden Künstler habe man daher verzichten dürfen. Nach einem Aktenvermerk vom 12.6.2001 zur „Schlussbesprechung“ am 11.6.2001 waren unter Hinweis auf eine Besprechung am 17.5.2001 für die benannten Künstlergruppen keine Steueranmeldungen mehr abzugeben und weitere Freistellungsanträge entbehrlich.
7Zugleich hatten die Klägerin und ihr Ehemann für die T. BV im Rahmen einer dortigen Buchprüfung bestritten, dass die Künstler Arbeitnehmer der T. BV gewesen seien. Niederländische Lohnsteuer wurde deshalb nicht abgeführt (Mitteilung der niederländischen Finanzverwaltung an das Bundesamt für Finanzen vom 10.8.2004). Auch für spätere Veranlagungszeiträume wurden keine Unterlagen über eine in den Niederlanden vorgenommene (Lohn-) Besteuerung vorgelegt.
8Am 17.12.2010 erließ der Beklagte der Betriebsprüfung folgend gemäß § 50 a Absatz 5 EStG i. V. m. § 73 g EStDV einen Haftungsbescheid gegenüber der G. GmbH wegen bislang nicht oder zu gering angemeldeter Steuern für die Zeiträume l-IV/2004 bis l-IV/2008 i. H. v. insgesamt 384.063 Euro. Dagegen legte die GmbH Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren ruhte sodann im Hinblick auf die Einsprüche bzw. die anschließende Klage (Az. 9 K 3954/11 H) der G. GmbH wegen „Haftung (Körperschaftssteuer) I – IV/2005“. In jenem Klageverfahren (Az. 9 K 3954/11 H) erörterten der Beklagte und die G. GmbH auch den den Besprechungen in 2001 zugrundeliegenden Sachverhalt. In einem Erörterungstermin am 17.12.2012 wurde schließlich festgehalten, dass Steueranmeldungen sowohl von der G. GmbH als auch der T. BV hätten eingereicht werden müssen. Die GmbH und der Beklagte verständigten sich daraufhin mit Unterstützung der Gerichtsprüferin dahingehend, dass die G. GmbH Steueranmeldungen nach § 50 a EStG unter Berücksichtigung der Betriebsausgaben einreicht und sich der Rechtsstreit damit erledigen sollte. In einem weiteren Termin am 16.12.2013 einigten sich die GmbH, vertreten durch die Klägerin, und der Beklagte, auch für die Zeiträume I-IV/2004 und ab 2006 bis I-IV/2008 entsprechend vorzugehen.
9Nach weiterer Erörterung u. a. hinsichtlich der einzelnen zu berücksichtigenden Betriebsausgaben setzte der Beklagte die hier interessierenden Beträge für die Quartale IV/2004 sowie IV/2006, IV/2007 und IV/2008 auf insgesamt 29.473 Euro herab. Die Festsetzung in der Haftungssache der GmbH erfolgte mittels der Einspruchsentscheidung vom 10.3.2016, übersandt an den inzwischen tätig gewordenen Insolvenzverwalter am 9.6.2016, und korrigiert auf Grund einer offenbaren Unrichtigkeit am 18.7.2016. Der Insolvenzverwalter hatte zuvor auf Nachfrage des Beklagten erklärt (Schriftsatz vom 13.5.2016), dass in der Insolvenzmasse keine ausreichenden Mittel vorhanden seien, die es ihm als Unterzeichner ermöglichten, in den Rechtsstreit des Insolvenzschuldners gegen den Haftungsbescheid einzutreten. Mit einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen bzw. Steueransprüchen sei er als Insolvenzverwalter aber einverstanden.
10Zwischenzeitlich hatte der Beklagte am 27.12.2012 den nunmehr mit der Klage angefochtenen Haftungsbescheid gegen die Klägerin gestützt auf §§ 191 i. V. m. 69, 34 AO (Geschäftsführerhaftung) und auf §§ 191 i. V. m. 71 AO (Haftung des Steuerhinterziehers) erlassen (Haftungsbetrag 384.063 Euro).
11Gegen „ihren“ Haftungsbescheid legte die Klägerin rechtzeitig Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren wurde allerdings im Hinblick auf die Einsprüche bzw. das Klageverfahren der G. GmbH gemäß § 363 Absatz 2 Satz 1 AO ruhend gestellt. Erst mit Schreiben vom 10.2.2020 wurde das ruhende Einspruchsverfahren wieder aufgenommen. Unter Hinweis auf die vorerwähnte Einigung vor dem Finanzgericht in dem Klageverfahren der GmbH (Az. 9 K 3954/11 H) und die entsprechende Herabsetzung der Haftungsschulden der GmbH schlug der Beklagte vor, die Haftungssumme der Klägerin in gleichem Umfang herabzusetzen.
12Hierzu nahm die Klägerin mit Schreiben vom 23.3.2020 Stellung. Darin vertrat sie die Auffassung, für das Jahr 2004 sei Verjährung eingetreten. Darüber hinaus habe der Insolvenzverwalter für die G. GmbH in seinem Schlussbericht vom 20.2.2019 den Steueransprüchen des Beklagten in vollem Umfang widersprochen.
13Der Beklagte berief sich darauf, dass man sich seinerzeit darauf geeinigt habe, das für den Zeitraum I-IV/2005 zugrunde gelegte Berechnungsschema auch für die weiteren streitbefangenen Zeiträume anzuwenden. Der Widerspruch des Insolvenzverwalters im Schlussbericht vom 20.2.2019 führe nicht dazu, dass die Steueransprüche gegenüber der G. GmbH erloschen seien. Die Bindung des § 178 Absatz 3 der Insolvenzordnung (InsO) gelte nur für festgestellte Insolvenzforderungen. Bei widersprochenen Insolvenzforderungen habe der Beklagte erforderlichenfalls seine Forderungen durch schriftlichen Verwaltungsakt festzustellen. Ein Feststellungsbescheid nach § 251 Absatz 3 AO beträfe jedoch nicht die persönliche Haftungsschuld der Klägerin, sondern die Insolvenzforderungen des Finanzamts gegenüber der Steuerschuldnerin. Aus verwaltungsökonomischen Gründen habe der Beklagte auf den Erlass eines Feststellungsbescheides verzichtet. Ein möglicher Widerspruch des Insolvenzverwalters wäre überdies wegen des vorgenannten Vergleichs bzw. der Gesamteinigung vom 16.12.2013 vor dem Finanzgericht erfolglos geblieben. Ungeachtet unzähliger Einspruchserörterungen durch den Beklagten und Besprechungen zwischen der Klägerin und Vertretern der Oberfinanzdirektion ..., ungeachtet auch der Gesamteinigung vor dem Finanzgericht Düsseldorf und ungeachtet von durch die Klägerin beantragten Petitionsverfahren trage die Klägerin immer wieder die gleichen Sachverhalte vor.
14Entsprechend der „Gesamteinigung“ in dem Klageverfahren unter dem Az. 9 K 3954/11 H wurde schließlich auch die Haftungssumme der Klägerin auf 29.473,41 Euro gemindert (Einspruchsentscheidung vom 26.1.2021).
15Die Klägerin behauptet,
16dass ihr die in der Einspruchsentscheidung in Bezug genommenen Schreiben des Beklagten nicht zugegangen bzw. teilweise an fremde Dritte gerichtet gewesen seien. Sie wiederholt, dass für 2004 Verjährung eingetreten sei und außerdem der Insolvenzverwalter den Forderungen in seinem Schlussbericht widersprochen habe.
17Der Vorwurf einer Steuerhinterziehung sei nicht gerechtfertigt. Vielmehr sei in 2001 mit dem Finanzamt B. eine tatsächliche Verständigung getroffen worden, so dass die Klägerin von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns habe ausgehen dürfen. Es sei eine „Praktikerlösung“ gefunden worden. Auch Kontrollmitteilungen vom 23.1.2003 und vom 3.4.2006 und 14.1.2006 (an das beklagte Finanzamt Z.) seien unbeanstandet geblieben. Die Verständigung sei auch niemals zurückgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft sei ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Steuerhinterziehung nicht vorgelegen habe. Das eingeleitete Strafverfahren sei am 6.7.2016 mit Zustimmung des Amtsgerichts Z. nach § 153 Abs. 1 der Strafprozessordnung eingestellt worden. Die Voraussetzungen der in dem Bescheid genannten Haftungsnormen seien daher nicht erfüllt.
18Darüber hinaus sei auch die Höhe der Haftungsschuld unzutreffend. Der Beklagte habe zahlreiche Betriebsausgaben fälschlich nicht anerkannt und weitere Fehler gemacht. Im Insolvenzverfahren seien Steuerforderungen i.H.v. insgesamt 581.296,64 Euro angemeldet worden. Hiervon seien lediglich 2.448,81 Euro „als Restforderung“ widerspruchslos festgestellt worden. Der Rest sei auf Null Euro festgestellt. Im Übrigen habe das Amtsgericht geprüft und mit Beschluss vom 23.10.2019 den Feststellungen des Insolvenzverwalters zugstimmt. Wegen der Bindungswirkung des Tabelleneintrags nach § 178 Abs. 3 InsO, die auch im Haftungsverfahren gelte, sei die Haftung beschränkt.
19Die Klägerin beantragt,
20den Haftungsbescheid vom 27.12.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.01.2021 ersatzlos aufzuheben.
21Der Beklagte beantragt sinngemäß,
22die Klage abzuweisen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24Die Klage hat nur zum Teil Erfolg. Soweit die Klägerin für Steuerschulden der G. GmbH für das Jahr 2004 in Anspruch genommen wird („St. V. Vergütungen 4. Vj. 2004 10.810 Euro“, „Solid. Zu. KapESt 4. Vj. 2004 594.55 Euro“) ist der Haftungsbescheid rechtswidrig. Im Übrigen ist die Klage unbegründet und verletzt der Haftungsbescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten.
251. Die Klägerin wird zu Recht gem. §§ 34, 69 AO für Haftungsschulden der G. GmbH in Anspruch genommen. Als Geschäftsführerin und damit als gesetzliche Vertreterin der GmbH hatte sie deren steuerliche Pflichten zu erfüllen und insbesondere auch dafür zu sorgen, dass die Steuern der GmbH aus den Mitteln entrichtet wurden, die sie verwaltete (§ 34 Abs. 1 AO). Im Hinblick darauf haftet sie, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihr auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt wurden (§ 69 AO).
26Die Haftung der Klägerin bezieht sich auf Abzugssteuern gem. § 50 a EStG jeweils des 4. Quartals 2004, 2006, 2007 und 2008. Die betreffende (Abzugs-) Steuer entstand in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütung dem Empfänger zufloss (§ 50 a Abs. 5 Satz 1 EStG). In diesem Zeitpunkt hatte der Schuldner der Vergütung, die G. GmbH, den Steuerabzug für Rechnung des Vergütungsgläubigers (= Steuerschuldner) vorzunehmen. Die Klägerin hatte die innerhalb eines Kalendervierteljahres einzubehaltende Steuer jeweils bis zum zehnten des dem Kalendervierteljahr folgenden Monats für die GmbH bei ihrem Finanzamt (ab 18.8.2009 beim Bundeszentralamt für Steuern) anzumelden und die einbehaltene Steuer abzuführen (vgl. § 50 a Abs. 5 Satz 3 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung, § 73 e EStDV; Rüsken/Klein, Kommentar zur AO § 191 Rz. 95c). Dieser Verpflichtung ist die Klägerin grob fahrlässig und zumindest in dem Umfang der Haftungsbeträge nicht nachgekommen.
27Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass sie sich durch die mit dem Finanzamt B. in 2001 getroffene Übereinkunft in den Streitjahren entlastet wähnen durfte:
28Denn zum einen ist nicht belegt, dass seinerzeit eine tatsächliche Verständigung (vgl. zu den Voraussetzungen z.B. BFH Urteil vom 8.10.2008 I R 63/07, Der Betrieb 2009, 42) getroffen wurde. Selbst dann, wenn dies der Fall wäre, könnte eine tatsächliche Verständigung nur die verwirklichten Sachverhalte zum Gegenstand gehabt haben, denn eine tatsächliche Verständigung kann nur Tatsachen und nicht Rechtsfragen betreffen und wirkt grundsätzlich nicht für die Zukunft. Zum anderen wurde weder eine verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) für künftig zu verwirklichende geplante Sachverhalte noch eine verbindliche Zusage (§§ 204 bis 207 AO) gegeben. Beide Institute setzen zudem Schriftform voraus, die hier nicht vorliegt.
29Es dürfte allerdings mit dem Finanzamt B. ausgehend von bestimmten von den damals Beteiligten vorausgesetzten Fallkonstellationen faktisch ein Einvernehmen erzielt worden sein, das in dieser Form gesetzlich nicht vorgesehen ist. Dieses Einvernehmen hatte die Klägerin nach eigenem Bekunden als arbeitsökonomisch und vermeintlich unnötigen Formalismus vermeidend erkannt. Die mit der steuerlichen Problematik seinerzeit befasste und vertraute Klägerin durfte jedoch daraus nicht schließen, für die Zukunft und zumal gegenüber anderen künftig zuständigen Finanzämtern wie dem Beklagten von den durch § 50 a EStG und den betreffenden Vorschriften der EStDV normierten Pflichten pauschal befreit zu sein. Vielmehr bestand ihre Pflicht als Geschäftsführerin der G. GmbH fort, die einzelnen Geschäftsvorfälle auf ihre steuerliche Relevanz zu prüfen. Gegen diese Pflichten hat sie verstoßen, um sich über die Reichweite und den erkennbaren Sinn der getroffenen Abrede mit dem Finanzamt B. hinaus Umstände zu ersparen.
302. Es konnte jedoch nicht zur vollständigen Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass das Handeln bzw. das Nichthandeln der Klägerin nicht nur eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der Erfüllung offenbar als lästig empfundener steuerlicher Pflichten widerspiegelt, sondern darüber hinaus von Vorsatz getragen war. Infolgedessen greift die durch den Beklagten (auch) herangezogene Haftungsnorm des § 71 AO (Haftung des Steuerhinterziehers) nicht ein. Diese durch Restzweifel des Gerichts getragene Beurteilung ihres Verhaltens hat zu Gunsten der Klägerin zur Folge, dass die auf 10 Jahre verlängerte Festsetzungsverjährungsfrist für hinterzogene Steuerbeträge (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO) nicht zum Tragen kommt. Die Haftung für Steuern des Jahres 2004 war deshalb verjährt.
31Eine Haftungsschuld verjährt grundsätzlich nach 4 Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht wird, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 AO). Danach fallen die haftungsbegründenden Pflichtverletzungen der Klägerin für die Steuerschulden der GmbH für IV/2004, IV/2006, IV/2007 und IV/2008 in die Jahre 2005, 2007, 2008 und 2009 (Anmeldung und Bezahlung bis zum 10. des dem jeweils IV. Kalendervierteljahr folgenden Monats), was den Verjährungseintritt gemessen an der Vier-Jahres-Frist zum 31.12.2009, 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12.2013 zur Folge hat. Folglich war bei Erlass des Haftungsbescheides am 27.12.2012 die Haftung für 2004 verjährt. Für die Haftung für 2006 war bis zum 31.12.2012 noch keine Verjährung eingetreten, weil die grob fahrlässige Pflichtverletzung der Klägerin eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) impliziert und sich daher die Verjährungsfrist auf fünf Jahre bis zum 31.12.2012 verlängerte.
32Auch unter Berücksichtigung der Zusammenhänge der Festsetzungsfrist für einen Haftungsbescheid mit der Festsetzung der Steuer für die gehaftet wird, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Festsetzungsfrist für die Haftung endet nicht vor Ablauf der für die Festsetzung der Steuerschuld geltenden Festsetzungsfrist, wenn die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden ist (§ 191 Abs. 3 Satz 4 1. Halbsatz AO). Bei „Steuer“ kann es sich im Hinblick auf die Klägerin nur um die „Haftungsschuld“ der G. GmbH handeln, für die die Klägerin wiederum haftet. Allerdings wurde die Haftungsschuld gegenüber der GmbH (erstmalig) am 17.12.2010 festgesetzt, so dass stattdessen § 191 Abs. 3 Satz 4, 2. Halbsatz AO eingreift, wonach § 171 Abs. 10 AO sinngemäß gilt (vgl. BFH Urteil vom 5.10.2004 VII R 7/04, BStBl II 2006, 343 zum Verhältnis Steuerbescheid und Haftungsbescheid und § 171 Abs. 10 AO). Demzufolge hatte der Beklagte unabhängig von dem zuvor dargestellten Eintritt der (normalen) Verjährung ab dem 17.12.2010 zwei Jahre Zeit, den Haftungsbescheid gegenüber der Klägerin zu erlassen. Auch unter Berücksichtigung dieser Ablaufhemmung war aber zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides gegenüber der Klägerin am 27.12.2012 für den Zeitraum 2004 Verjährung eingetreten.
333. Die Festsetzung der Haftungsschuld ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Einwand der Klägerin, die Haftungsschuld sei unzutreffend berechnet und der Beklagte habe zahlreiche Betriebsausgaben fälschlich nicht anerkannt und weitere Fehler gemacht, entbehrt jeder Substantiierung. Zu Gunsten der G. GmbH und damit auch der Klägerin hat der Beklagte sogar die Betriebsausgaben in Abzug gebracht (Nettoprinzip), obwohl die damals geltende Gesetzesfassung noch von den Bruttoeinnahmen als Berechnungsgrundlage für den Steuerabzug ausging.
344. Der Klägerin ist nicht in ihrer Ansicht zu folgen, dass sich die Haftungsschuld wegen der Bindungswirkung des Tabelleneintrags nach § 178 Abs. 3 InsO reduziere und dies die Haftung beschränke.
35Nach § 178 InsO (Voraussetzungen und Wirkungen der Feststellung) gilt eine Forderung als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist. Das Insolvenzgericht hat dabei keine prüfende, sondern nur eine beurkundende Funktion. Die Eintragung in die Tabelle wirkt für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO). Damit wäre die Feststellung einer Forderung geeignet, die Primärschuld (der GmbH) ganz oder zum Teil zum Erlöschen zu bringen und damit einer Haftung die Grundlage zu entziehen.
36Im Falle der G. GmbH ergibt sich demgegenüber aus der Tabelle, dass die der Haftung der Klägerin zu Grunde liegenden Forderungen des Fiskus gegenüber der GmbH (seinerzeit noch in der Höhe vor der Reduzierung auf 29.473,41 Euro) vom Insolvenzverwalter „in voller Höhe bestritten“ wurden. Damit waren die Forderungen weder festgestellt noch nahmen sie an der Verteilung der Masse teil. Ein Erlöschen der Forderungen ist damit nicht verbunden. Daher hatten die Forderungen gegenüber der GmbH rechtlich weiterhin Bestand, denn eine Restschuldbefreiung sieht das Gesetz für Kapitalgesellschaften nicht vor (§ 286 InsO).
375. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung.