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Die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2015 und 2016 vom 20.07.2020 werden dahingehend geändert, dass den Messbetragsfestsetzungen folgende Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt werden:
2015 |
|
Gewinn aus Gewerbebetrieb |
- ... Euro |
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG |
... Euro |
Gewerbeertrag vor Verlustabzug |
... Euro |
2016 |
|
Gewinn aus Gewerbebetrieb |
- ... Euro |
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG |
... Euro |
Gewerbeertrag |
- ... Euro |
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob die Klägerin – in Bezug auf von ihr erbrachte Leistungen der Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP) – die Voraussetzungen der Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. e des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) für Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation erfüllt.
3Die Klägerin ist Betreiberin von Physiotherapie- und ambulanten Rehabilitationseinrichtungen …. Ihre Hauptniederlassung befindet sich in L. (Y.-straße). Im Streitzeitraum betrieb sie weitere Niederlassungen in O. und H.
4Auf Antrag der Klägerin ließ der Landesverband ... der gewerblichen Berufsgenossenschaften (LVBG) am 00.00.2006 die Einrichtung der Klägerin zur Abgabe von Leistungen der EAP zu. Die Zulassung wurde für die Einrichtungsräume Y.-straße in L. erteilt. Die ausschließlich zur Abgabe der EAP berechtigten Personen (eine Krankengymnastin, ein Masseur, ein Sportlehrer) wurden in der Zulassung namentlich benannt. Nach den „Anforderungen der Unfallversicherungsträger für die Beteiligung von Einrichtungen der Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP) in der Fassung vom 01.01.2006“, die ausweislich der Zulassung Vertragsgegenstand wurden, kann über die durch die medizinischen Rehabilitationsverfahren der Unfallversicherungsträger grundsätzlich sichergestellte umfassende Rehabilitation hinaus für spezielle Verletzungen/Berufskrankheiten eine EAP verordnet werden. Bei dieser handelt es sich um die Kombination von Behandlungselementen der krankengymnastischen Therapie, physikalischen Therapie und medizinischen Trainingstherapie.
5In den Streitjahren erbrachte die Klägerin in ihrer Hauptniederlassung neben allgemeinen physiotherapeutischen Leistungen (z.B. Krankengymnastik, manuelle Therapie, manuelle Lymphdrainage) auch Leistungen im Rahmen der EAP. Die Kosten der erbrachten EAP-Leistungen wurden im Jahr 2015 in 134 der insgesamt 171 behandelten Fälle und im Jahr 2016 in 183 der insgesamt 214 behandelten Fälle von Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung getragen und im Übrigen mit den Beihilfestellen des Bundes bzw. einem den Beihilfetarifen vergleichbaren Bundeswehrtarif abgerechnet. Der Anteil der aus den insgesamt erbrachten EAP-Leistungen erzielten Umsätze an den Gesamtumsätzen der Hauptniederlassung betrug im Jahr 2015 ca. 12,7 % und im Jahr 2016 ca. 14,5 %.
6Unter dem 30.05.2017 und dem 19.12.2017 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin Gewerbesteuermessbetragsbescheide für 2015 bzw. 2016, mit denen jeweils Messbeträge von 0 Euro festgesetzt wurden. Die Besteuerungsgrundlagen gliederten sich wie folgt auf:
72015 |
2016 |
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Gewinn aus Gewerbebetrieb |
- ... Euro |
- ... Euro |
|
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG |
... Euro |
... Euro |
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Verlustabzug laut VF-Bescheid 2015 |
- ... Euro |
- |
|
Gewerbeertrag |
0 Euro |
- ... Euro |
Gegen die Bescheide legte die Klägerin Einsprüche ein und machte zur Begründung geltend, dass sie hinsichtlich der erbrachten EAP-Leistungen der Gewerbesteuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG für Einrichtungen der ambulanten und stationären Rehabilitation unterliege. Mit Einspruchsentscheidung vom 11.07.2019 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG gemäß Satz 1 der Vorschrift nur zu gewähren sei, wenn die Behandlungskosten im Erhebungszeitraum in mindestens 40 % der Fälle ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung getragen worden seien. Die Basis des von der Klägerin betriebenen Rehabilitationszentrums seien jedoch nicht ambulante Rehabilitationsleistungen, sondern ärztlich verordnete Heilmittelleistungen nach § 32 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch (SGB V) und Leistungen zur primären Prävention nach § 20 SGB V. Der Anteil der mit den begünstigten Rehabilitationsleistungen erzielten Umsätze an den Gesamtumsätzen der Klägerin liege in den Streitjahren deutlich unter der 40 %-Grenze.
9Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der am 26.07.2019 erhobenen Klage.
10Sie macht geltend, dass sich die im Gesetz genannte 40%-Grenze nicht auf alle Behandlungsfälle der Einrichtung beziehe, sondern nur auf die ambulanten Rehabilitationsleistungen im Sinne der Befreiungsvorschrift. Hieraus folge, dass für die Gewährung der Steuerbefreiung nicht mehr als 60 % der Fälle ambulanter Rehabilitationen von privaten Versicherern getragen werden dürften, was im Streitfall zweifelsohne gegeben sei. Dass in dem von ihr – der Klägerin – betriebenen Rehabilitationszentrum überwiegend allgemeine physiotherapeutische Leistungen erbracht würden, die gewerbesteuerlich nicht begünstigt seien, sei angesichts dessen nicht von Bedeutung. Eine buchmäßige Trennung der EAP-Abteilung sei zur Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nicht erforderlich. Die EAP-Maßnahmen würden entsprechend den Anforderungen der Unfallversicherungsträger auf einer gesonderten, vom allgemeinen Geschäftsbetrieb getrennten Gesamtfläche von ... qm ausgeübt. Auch seien die zur EAP berechtigten Therapeuten in der EAP-Zulassung namentlich benannt. Nicht entscheidend sei, ob diese Therapeuten ausschließlich für diese besondere Abteilung tätig seien.
11Da die EAP-Leistungen nur in der Hauptniederlassung und nicht in den beiden weiteren Zweigniederlassungen erbracht worden seien, seien zur sachgerechten Ermittlung der gewerbesteuerfreien Beträge die wirtschaftlichen Ergebnisse der Hauptniederlassung um Kosten, die auf die anderen Filialen entfielen, zu bereinigen. Nach „Konsolidierung der jeweiligen Buchführungswerke“ sei das wirtschaftliche Ergebnis der Hauptniederlassung in Höhe des auf die EAP-Leistungen entfallenden Anteils von der Gewerbesteuer befreit. Auch seien die Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 GewStG entsprechend zu korrigieren. Es ergäben sich hiernach folgende – für den Fall der Gewährung der Steuerbefreiung zwischen den Beteiligten der Höhe nach nicht streitige – geänderte Besteuerungsgrundlagen:
122015 |
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Gewinn aus Gewerbebetrieb |
- ... Euro |
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG |
... Euro |
Gewerbeertrag vor Verlustabzug |
... Euro |
2016 |
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Gewinn aus Gewerbebetrieb |
- ... Euro |
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG |
... Euro |
Gewerbeertrag |
- ... Euro |
Im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte unter dem 20.07.2020 geänderte Gewerbesteuermessbetragsbescheide zum Zwecke der Fortführung der Verlustfeststellungen aus den Vorjahren erlassen. Eine Änderung der für den Streitfall relevanten Besteuerungsgrundlagen und der festgesetzten Gewerbesteuermessbeträge hat sich hierin nicht ergeben.
15Die Klägerin beantragt,
16die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2015 und 2016 vom 20.07.2020 dahingehend zu ändern, dass den Messbetragsfestsetzungen folgende Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegt werden:
172015 |
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Gewinn aus Gewerbebetrieb |
- ... Euro |
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG |
... Euro |
Gewerbeertrag vor Verlustabzug |
... Euro |
2016 |
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Gewinn aus Gewerbebetrieb |
- ... Euro |
Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG |
... Euro |
Gewerbeertrag |
- ... Euro |
Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen,
21für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
22Er trägt ergänzend vor, dass die 40 %-Grenze des § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG auf alle in dem Rehabilitationszentrum behandelten Personen und nicht lediglich auf die Fälle erbrachter Rehabilitationsleistungen zu beziehen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber Einrichtungen begünstigen wolle, die in einem erheblichen Umfang im Bereich der Rehabilitation tätig würden und zwar dann, wenn mindestens 40 Prozent der durchgeführten Behandlungen Rehabilitationsleistungen seien, die von einem gesetzlichen Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen würden. Dies treffe auf die Klägerin nicht zu. Zwar könne – wie sich aus R 3.20 Abs. 2 Satz 3 der Gewerbesteuerrichtlinien (GewStR) ergebe – die Befreiung auch auf einen Teil der Einrichtung bezogen werden, wenn eine räumliche oder nach der Versorgungsaufgabe besondere Abteilung der Einrichtung abgrenzbar sei. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Eine eindeutig abgrenzbare Abteilung sei innerhalb der Filiale nicht vorhanden. Die Räume und Therapeuten seien nicht ausschließlich der EAP zugeteilt. Auch eine buchmäßige Trennung sei nicht ersichtlich, was sich bereits aus den umfangreichen Berechnungen der Klägerin zur Ermittlung des Anteils der EAP-Leistungen am Gesamtgewerbeertrag ergebe.
23Sollte das Gericht hinsichtlich der Auslegung von § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG jedoch dem Grunde nach der Rechtsauffassung der Klägerin folgen, bestünden keine Bedenken, die Berechnungen der Klägerin zur Ermittlung des auf die Rehabilitationsleistungen entfallenden steuerfreien Anteils zugrunde zu legen.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
26Die Klage ist zulässig und begründet.
27A. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Gewerbesteuermessbetragsfestsetzungen der Streitjahre jeweils auf Null Euro lauten.
28Zwar fehlt es für die Anfechtung eines auf Null lautenden Steuerbescheids (Entsprechendes gilt für einen Messbescheid) regelmäßig an der für die Zulässigkeit einer Klage erforderlichen Beschwer; dies gilt aber nicht, wenn sich die Steuerfestsetzung nicht in der Konkretisierung des Steuerschuldverhältnisses erschöpft, etwa weil der zugrunde gelegte Gewinn eine verbindliche Entscheidungsgrundlage für andere Bescheide bildet (vgl. BFH, Urteil vom 06.12.2016 I R 79/15, BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173 m.w.N.).
29Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da die den Festsetzungen des Gewerbesteuermessbetrags 2015 und 2016 zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen gemäß § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG inhaltlich für die (Verlust-)Feststellungsbescheide der jeweiligen Jahre Bindungswirkung entfalten. Nach § 35b Abs. 2 Satz 2 GewStG sind bei der Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie der Festsetzung des Steuermessbetrags für den Erhebungszeitraum, auf dessen Schluss der vortragsfähige Gewerbeverlust festgestellt wird, zugrunde gelegt worden sind. Damit ist der (auch negative) Gewerbeertrag für die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den Schluss des jeweiligen Erhebungszeitraums (hier: auf den 31. Dezember der Jahre 2015 und 2016) im Sinne einer „inhaltlichen Bindung" maßgebend. Da auf dieser Grundlage eine eigenständige Prüfung im Rahmen des Feststellungsverfahrens nicht mehr stattfindet, folgt daraus eine sachliche Beschwer, die den Steuerpflichtigen auch bei Vorliegen eines Nullbescheids zur Anfechtung berechtigt (vgl. BFH, Urteil vom 06.12.2016 I R 79/15, BFHE 256, 199, BStBl II 2019, 173).
30B. Die Klage ist auch begründet.
31Die Gewerbesteuermessbetragsbescheide 2015 und 2016, jeweils vom 20.07.2020, die gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden sind, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Klägerin unterfällt mit den von ihr erbrachten EAP-Leistungen der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG.
32Gemäß § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 (Kroatien-AnpG), BGBl I 2014, 1266, der erstmals für den Erhebungszeitraum 2015 anzuwenden ist (vgl. § 36 Abs. 1 GewStG in der durch das Kroatien-AnpG geänderten Fassung), sind von der Gewerbesteuer befreit Einrichtungen zur ambulanten oder stationären Rehabilitation, wenn die Behandlungskosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind (Satz 1). Satz 1 ist nur anzuwenden, soweit die Einrichtung Leistungen im Rahmen der verordneten ambulanten oder stationären Rehabilitation im Sinne des Sozialrechts einschließlich der Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder erbringt (Satz 2).
33Die Voraussetzungen dieser Steuerbefreiung liegen im Streitfall vor, soweit die Klägerin EAP-Leistungen erbracht hat. Die Klägerin betreibt eine Einrichtung zur ambulanten Rehabilitation (hierzu unter I.). Die Behandlungskosten der in dieser Einrichtung in den Streitjahren erbrachten EAP-Leistungen wurden in mehr als 40 % der Fälle von Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung getragen (hierzu unter II.). Die auf die EAP-Leistungen entfallenden Gewinn- bzw. Verlustanteile sind hiernach gewerbesteuerbefreit und auszugrenzen. Die auf andere Leistungen der Einrichtung entfallenden Ergebnisanteile unterliegen demgegenüber der Gewerbesteuer (hierzu unter III.).
34I. Der Betrieb der Klägerin umfasste in den Streitjahren – dies ist zwischen den Beteiligten zurecht nicht streitig – eine Einrichtung zur ambulanten Rehabilitation i.S.v. § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG.
351. Zur näheren Definition der in § 3 Nr. 20 GewStG verwendeten Begriffe ist nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, auf die Begriffsbestimmungen des Sozialversicherungsrechts zurückzugreifen. Das GewStG lässt ebenso wenig wie andere steuerliche Vorschriften ein eigenes Verständnis der dem Gesundheitswesen entlehnten Begriffe dieser Norm erkennen. Vielmehr zeigen die Bezugnahmen in § 3 Nr. 20 Buchst. b bis d GewStG – im Rahmen der weiteren Voraussetzungen der Gewerbesteuerbefreiung – auf § 67 AO betreffend die Zweckbetriebseigenschaft der Krankenhäuser (Buchst. b), auf Vorschriften des SGB XII (Buchst. c) sowie auf die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe (Buchst. d und e), dass die Vorschrift sich begrifflich und strukturell an das dort maßgebende Regelwerk anlehnt (vgl. BFH, Urteil vom 09.09.2015 X R 2/13, BFHE 251, 59, BStBl II 2016, 286).
36Rehabilitationseinrichtungen im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind neben den beispielsweise in § 40 Abs. 1 und 2 SGB V genannten Einrichtungen im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung auch Einrichtungen, die Leistungen der medizinischen Rehabilitation i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 7 des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) erbringen. Die Einrichtungen, die Leistungen der Rehabilitation im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung erbringen, bestimmen die Unfallversicherungsträger gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen. Sozialversicherungsrechtlich greift ein weiter Begriff der Einrichtung. Einrichtungen freier oder gemeinnütziger Träger sind entsprechend ihrer Bedeutung für die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen zu berücksichtigen, die Vielfalt der Träger von Rehabilitationseinrichtungen sowie deren Selbständigkeit, Selbstverständnis und Unabhängigkeit sind zu beachten (Stähler in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 26 SGB VII Rn. 30).
372. Die nach § 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII vorzunehmende sozialversicherungsrechtliche Bestimmung als Rehabilitationseinrichtung durch einen gesetzlichen Unfallversicherungsträger ergibt sich im Streitfall aus der EAP-Zulassung der Klägerin vom 00.00.2006 durch den LVBG, den Landesverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, die gesetzliche Unfallversicherungsträger i.S.v. § 114 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII sind. In der Zulassung wird die „Einrichtung“ der Klägerin in den Einrichtungsräumen der Hauptniederlassung (Y.-straße in L.) zur Abgabe von Leistungen der EAP durch die namentlich benannten Personen zugelassen.
38Die zugelassenen EAP-Leistungen sind auch dem Bereich der medizinischen Rehabilitation i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII zuzuordnen (ebenso Palsherm in Luthe, Rehabilitationsrecht, 2. Aufl. 2014, Teil 3 Kapitel E, Rn. 24). Der Senat folgt insoweit der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung der EAP durch das Bundessozialgericht. Hiernach handelt es sich bei der EAP – in Abgrenzung zu ärztlich verordneten Heilmittelleistungen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 27 Abs. 1 Nr. 4 SGB VII) und der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 i.V.m § 32 SGB V) – um eine nachakute, intensivierte Therapieform mit auf die Rehabilitation bezogener Zielrichtung (vgl. BSG, Urteile vom 17.02.2010 B 1 KR 23/09 R, BSGE 105, 271, und vom 11.05.2017 B 3 KR 30/15 R, BSGE 123, 144). Hiermit korrespondiert auch die Charakterisierung der EAP in den „Anforderungen der Unfallversicherungsträger“ vom 01.01.2006, wonach die EAP eine über die durch die medizinischen Rehabilitationsverfahren der Unfallversicherungsträger grundsätzlich sichergestellte umfassende Rehabilitation hinausgehende Rehabilitationsform darstellt.
39II. Auch die weitere Voraussetzung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 20 Buchst. e Satz 1 GewStG für Einrichtungen zur ambulanten Rehabilitation ist erfüllt. Erforderlich ist insoweit, dass die Behandlungskosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Maßgebliche Bezugsgröße der 40 %-Grenze des § 3 Nr. 20 Buchst. e Satz 1 GewStG ist die Anzahl der in der Rehabilitationseinrichtung insgesamt behandelten Rehabilitationsfälle (hierzu unter 1.). Diese Grenze hat die Klägerin in den Streitjahren jeweils überschritten. Die Behandlungskosten der von ihr erbrachten EAP-Leistungen wurden in weit mehr als 40 % der Fälle von den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung getragen (hierzu unter 2.).
401. Maßgebliche Bezugsgröße der 40 %-Grenze des § 3 Nr. 20 Buchst. e Satz 1 GewStG ist die Anzahl der in der Rehabilitationseinrichtung insgesamt behandelten Rehabilitationsfälle und nicht – wie der Beklagte meint – die Anzahl sämtlicher in der Einrichtung behandelter Fälle unabhängig von ihrer Zuordnung zum Bereich der – gesetzlich begünstigten – Rehabilitation oder der „allgemeinen“ Physiotherapie.
41a) § 3 Nr. 20 GewStG zielt darauf ab, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von diesbezüglichen Aufwendungen zu entlasten (vgl. BFH, Urteil vom 22.06.2011 I R 43/10, BFHE 233, 551, BStBl II 2011, 892; Sarrazin in Lenski/Steinberg, GewStG, § 3 Nr. 20 Rn. 1).
42Durch die Einbeziehung von ambulanten und stationären Einrichtungen zur Rehabilitation in die Gewerbesteuerbefreiung erweitert Buchst. e der Vorschrift diesen Förderungszweck auf die Verbesserung der Versorgungsstruktur bei der Behandlung von ambulanten und stationären Rehabilitationspatienten und auf die Entlastung der Sozialversicherungsträger von Aufwendungen für Rehabilitationsleistungen. Waren vor Einführung von § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG allein stationäre Rehabilitationseinrichtungen als „Krankenhäuser“ im Sinne des Buchstabens b der Vorschrift steuerbefreit (vgl. BFH, Urteil vom 09.09.2015 X R 2/13, BFHE 251, 59, BStBl II 2016, 286), trägt die Regelung in Buchstabe e nun dem Umstand Rechnung, dass mehr und mehr Rehabilitationsmaßnahmen ambulant erbracht werden (BT-Drucks. 18/1529, S. 70). Dieser speziell auf eine Förderung von Rehabilitationsleistungen bezogene Gesetzeszweck ergibt sich auch aus Satz 2 der Vorschrift, wonach die Steuerbefreiung nur anzuwenden ist, soweit die Einrichtung Leistungen im Rahmen der verordneten (ambulanten oder stationären) Rehabilitation im Sinne des Sozialrechts einschließlich des Beihilferechts des Bundes und der Länder erbringt. Anderweitige medizinische Leistungen der Einrichtung außerhalb des Rehabilitationsbereichs, wie z.B. ärztlich verordnete Heilmittelleistungen nach § 32 SGB V oder Leistungen zur primären Prävention nach § 20 SGB V, werden, auch wenn die diesbezüglichen Behandlungskosten ebenfalls von Sozialversicherungsträgern getragen werden, nach der Gesetzesbegründung von der Zielrichtung der Steuerbefreiung gerade nicht erfasst (vgl. BT-Drucks. 18/1529, S. 71).
43b) Im Hinblick auf den auf die Rehabilitation und die diesbezügliche Entlastung der Sozialversicherungsträger von Rehabilitationskosten bezogenen Gesetzeszweck kann es hinsichtlich der 40 %-Grenze des § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG nach Auffassung des Senats nur darauf ankommen, ob die Behandlungskosten der in der jeweiligen Einrichtung durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen in erheblichem Umfang, nämlich in mindestens 40 % der Fälle, ganz oder überwiegend von den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung getragen werden. Bei Überschreiten dieser Grenze kann typisierend davon ausgegangen werden, dass die Steuerbefreiung spürbar zur Entlastung der Sozialversicherungsträger von Rehabilitationskosten beiträgt.
44Von vornherein auszublenden sind bei der Grenzberechnung diejenigen Fälle, in denen keine Rehabilitationsleistungen, sondern Leistungen der „allgemeinen“ Physiotherapie/Krankengymnastik erbracht wurden. Würde man demgegenüber – wie der Beklagte meint – sämtliche in der Einrichtung behandelten Fälle unabhängig von ihrer Zuordnung zum Bereich der Rehabilitation oder zur „allgemeinen“ Physiotherapie/Krankengymnastik als maßgebliche Bezugsgröße der 40 %-Grenze verstehen, stünde diese Grenzberechnung mit dem auf Rehabilitationsmaßnahmen bezogenen Förderzweck des Gesetzes in keinem relevanten Zusammenhang. Da die im Rahmen der Grenzberechnung zu betrachtenden „Fälle der Einrichtung“ nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 20 Buchst. e Satz 1 GewStG nämlich allein danach zu differenzieren sind, ob die Behandlungskosten entweder von Sozialversicherungsträgern oder in anderer Form getragen wurden, dürften entgegen der Auffassung des Beklagten für die Frage des Über- oder Unterschreitens der Grenze dann nicht nur die mit den Sozialversicherungsträgern abgerechneten Rehabilitationsfälle Berücksichtigung finden. Vielmehr müssten auch sämtliche andere Behandlungsfälle der Einrichtung außerhalb des Rehabilitationsbereichs, bei denen die Sozialversicherungsträger mit Behandlungskosten belastet wurden, in die Berechnung einbezogen werden und zum Überschreiten der Grenze führen können. Die Entlastung der Sozialversicherungsträger von solchen Behandlungskosten ist aber gerade nicht Förderungsziel der in Rede stehenden Gewerbesteuerbefreiung und kann dementsprechend auch für die Anwendbarkeit der Befreiungsvorschrift nicht maßgeblich sein.
45c) Eine isolierte Betrachtung der in der betroffenen Einrichtung behandelten Rehabilitationsfälle setzt entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht voraus, dass die Einrichtung mit ihrem von § 3 Nr. 20 Buchst. e GewStG begünstigten Leistungsbereich – der Rehabilitation – gegenüber anderen Leistungsbereichen der Einrichtung oder ihres Trägers – z.B. allgemeinen physiotherapeutischen Leistungen – räumlich oder organisatorisch verselbständigt ist. Für eine derartige Gesetzesauslegung bieten weder der Gesetzeswortlaut noch der bereits dargestellte, auf die steuerliche Förderung von Rehabilitationsleistungen bezogene Gesetzeszweck eine tragfähige Grundlage. Soweit der Beklagte entsprechende Einschränkungen aus R 3.20 Abs. 2 Satz 3 GewStR ableitet, bindet diese verwaltungsseitige Normauslegung die Gerichte nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.05.1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214).
462. In den Streitjahren hat die Klägerin die 40 %-Grenze des § 3 Nr. 20 Buchst. e Satz 1 GewStG überschritten. Der weit überwiegende Teil der von ihr erbrachten Rehabilitationsleistungen, im Jahr 2015 rund 78 % und im Jahr 2016 rund 85 %, wurde – dies hat die Klägerin durch Vorlage ihrer Abrechnungsstatistiken schlüssig dargelegt und ist zwischen den Beteiligten nicht streitig – mit den gewerblichen Berufsgenossenschaften als Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung abgerechnet. Dass die Klägerin neben den EAP-Leistungen überwiegend allgemeine physiotherapeutische Leistungen erbracht hat, ist für die Prüfung der 40 %-Grenze im Hinblick auf die unter 1. dargelegten Gründe ohne Belang.
47III. Nach § 3 Nr. 20 Buchst. e Satz 2 GewStG ist die Gewerbesteuerbefreiung des Satzes 1 allein auf die von der Klägerin erbrachten EAP-Leistungen als Leistungen der ärztlich verordneten ambulanten Rehabilitation im Sinne des Sozialrechts einschließlich der Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder anzuwenden. Soweit die Klägerin neben den EAP-Leistungen anderweitige Leistungen, insbesondere „allgemeine“ physiotherapeutische Leistungen, erbracht hat, die Leistungen der primären Prävention und Gesundheitsförderung (§ 20 SGB V) bzw. ärztlich verordnete Heilmittelleistungen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 32 SGB V) darstellen und dementsprechend nicht dem Bereich der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen sind, ist die Steuerbefreiung nicht anwendbar.
481. § 3 Nr. 20 GewStG enthält keine unbeschränkte persönliche Steuerbefreiung für den Träger der jeweils genannten Einrichtung mit seinem gesamten Gewerbeertrag. Begünstigt werden tätigkeitsbezogen vielmehr nur die aus dem Betrieb der begünstigten Einrichtung resultierenden Erträge. Denn nur insoweit entstehen für die Sozialversicherungsträger Kosten. Eine wirtschaftliche Betätigung mit anderem Gegenstand ist dagegen steuerpflichtig (vgl. BFH, Urteil vom 22.06.2011 I R 43/10, BFHE 233, 551, BStBl II 2011, 892; ähnlich, bezogen auf die Gewerbesteuerbefreiung von Bildungseinrichtungen BFH, Urteil vom 27.03.1996 I R 182/94, BFHE 180, 444, BStBl II 1997, 449). Insofern erfordert die Steuerbefreiung – wie sich aus § 3 Nr. 20 Buchst. e Satz 2 GewStG ergibt – eine Differenzierung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Tätigkeiten der Einrichtung. Erforderlich ist insofern, dass den unterschiedlichen – gewerbesteuerlich begünstigten und nicht begünstigten – Leistungsbereichen trennbare Erträge zugeordnet werden können (vgl. BFH, Urteil vom 01.09.2021 III R 20/19, BFHE 274, 208, BStBl II 2022, 83).
49Die Steuerbefreiung umfasst alle Einnahmen und Ausgaben, die mit den begünstigten Leistungen zusammenhängen (vgl. BFH, Urteil vom 22.06.2011 I R 59/10, BFH/NV 2012, 61; FG Nürnberg, Urteil vom 25.06.2013 1 K 860/12, EFG 2014, 60). Die auf die nicht begünstigten Leistungen entfallenden Gewinn- oder Verlustanteile sind – ggfs. im Schätzungswege (BFH, Urteil vom 17.03.1981 VIII R 149/76, BFHE 133, 557, BStBl II 1981, 746) – auszugrenzen (vgl. Böwing-Schmalenbrock in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 3 GewStG Rn. 107).
502. Im Streitfall ist eine Ausgrenzung des steuerbefreiten Rehabilitationsbereichs der Klägerin möglich. Den Rehabilitationsleistungen können anhand der Abrechnungsunterlagen der Klägerin ohne Weiteres trennbare Erträge zugeordnet werden. Hinsichtlich der Berechnung der auf diesen Leistungsbereich entfallenden steuerbefreiten Gewinn- und Verlustanteile sowie der geänderten Hinzurechnungsbeträge nach § 8 Nr. 1 GewStG besteht zwischen den Beteiligten Einvernehmen. Der steuerpflichtige Gewinn (Verlust) der Klägerin aus Gewerbebetrieb beträgt danach - ... Euro (2015) bzw. ‑ ... Euro (2016). Die Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 GewStG sind entsprechend dem unstreitigen Aufteilungsschlüssel zu kürzen auf ... Euro (2015) bzw. ... Euro (2016). Hierbei werden den einzelnen Hinzurechnungstatbeständen des § 8 Nr. 1 GewStG folgende Entgelte als Bemessungsgrundlagen der Hinzurechnung zugrunde gelegt:
512015 |
|
Entgelte für Schulden (§ 8 Nr. 1 Buchst. a) |
... Euro |
Miet- und Pachtzinsen (§ 8 Nr. 1 Buchst. d) |
... Euro |
Miet- und Pachtzinsen (§ 8 Nr. 1 Buchst. e) |
... Euro |
2016 |
|
Entgelte für Schulden (§ 8 Nr. 1 Buchst. a) |
... Euro |
Miet- und Pachtzinsen (§ 8 Nr. 1 Buchst. d) |
... Euro |
Miet- und Pachtzinsen (§ 8 Nr. 1 Buchst. e) |
... Euro |
C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
54D. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.