Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Änderung einer Umsatzsteuerfestsetzung betreffend den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung hat.
3Die Klägerin ist eine GmbH. Am ... 2019 beantragte die Geschäftsführung der GmbH beim Amtsgericht Z-Stadt (Insolvenzgericht), über das Vermögen der Klägerin ein Insolvenzverfahren zu eröffnen und vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a der Insolvenzordnung (InsO) anzuordnen. Mit Beschluss vom ... 2019 ordnete das Insolvenzgericht antragsgemäß die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte einen vorläufigen Sachwalter, der damit beauftragt wurde, ein Gutachten darüber zu erstellen, ob ein Eröffnungsgrund vorliege und welche Aussichten für die Fortführung des Unternehmens der Klägerin bestünden.
4Mit Beschluss vom ... 2019 ermächtigte das Insolvenzgericht die Klägerin im Wege einer Einzelermächtigung, Verbindlichkeiten gegenüber Dienstleistern und Versorgern in einem Volumen von bis zu ... EUR im Insolvenzeröffnungsverfahren im Rang von Masseverbindlichkeiten begründen zu dürfen.
5In seinem Gutachten vom ... 2019 kam der vorläufige Sachwalter zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zahlungsunfähig und überschuldet sei. Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens bestünden aber im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens. Der vorläufige Sachwalter empfahl daher, das Insolvenzverfahren zu eröffnen und Eigenverwaltung gem. § 270 InsO anzuordnen.
6Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom ... 2019 im Verfahren 000 IN 000/19 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet und Eigenverwaltung durch die Klägerin als Gemeinschuldnerin angeordnet. Der bisherige vorläufige Sachwalter wurde zum Sachwalter bestellt. In der Folgezeit wurde ein Insolvenzplan für die Klägerin zur Prüfung, Erörterung und Abstimmung vorgelegt. Dieser sah u.a. für die ungesicherten und nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger eine Quote von 15% vor. Auf diesen Insolvenzplan in der Fassung vom ... 2019 wird Bezug genommen. Nach Eintritt der Rechtskraft des Insolvenzplans im ... 2020 hob das Insolvenzgericht mit Beschluss vom ...2020 das Insolvenzverfahren auf.
7Umsatzsteuerlich unterlag die Klägerin im Jahr 2019, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (sog. Sollbesteuerung, § 16 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buch. a des Umsatzsteuergesetzes --UStG--). Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte die Klägerin Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die angemeldete Umsatzsteuer an das FA abgeführt. Ab Insolvenzeröffnung führte der Beklagte (das Finanzamt --FA--) die Klägerin unter zwei Steuernummern, und zwar der Steuernummer 000/0000/0001 in Bezug auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung (...) sowie unter der Steuernummer 000/0000/0002 (...) für die Zeit nach Insolvenzeröffnung.
8Im Rahmen des Insolvenzverfahrens meldete das FA seine Steuerforderungen für den Zeitraum vom 1.1. bis zum ... 2019 zum Insolvenzplan an.
9Am 23.7.2020 übermittelte die Klägerin dem FA zwei Umsatzsteuererklärungen betreffend das Jahr 2019, und zwar eine unter der Steuernummer 000/0000/0001 für den Zeitraum vom 1.1. bis zum ... 2019 und eine unter der Steuernummer 000/0000/0002 für den Zeitraum ab Insolvenzeröffnung vom ... bis zum 31.12.2019. In der letztgenannten Steuererklärung machte die Klägerin folgende Angaben:
10Leistungen 19% |
... |
Umsatzsteuer hierauf |
... |
Leistungen § 13b UStG |
... |
Umsatzsteuer hierauf |
... |
Umsatzsteuer gesamt |
... |
Vorsteuer § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG |
... |
Vorsteuer § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG |
... |
Verbleibende Umsatzsteuer |
... |
Vorauszahlungen |
... |
Erstattung/Zahllast |
... |
In einem Anschreiben an das FA vom selben Tag führte sie zur Erläuterung aus: Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ... 2019 hätte eine erste Berichtigung und im Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung eine zweite Berichtigung bestimmter Umsätze erfolgen müssen. Sie habe versehentlich versäumt, insoweit eine richtige Zuordnung und Berichtigung vorzunehmen. Im Rahmen einer internen Überprüfung der gebuchten Umsätze sei dieses Versehen aufgefallen. Man habe sich entschlossen, die Berichtigungen nicht über die Voranmeldungen, sondern über die Umsatzsteuererklärungen für 2019 vorzunehmen. In der beigefügten Anlage 3 werde eine Übersicht über die Korrekturen gegeben. Für den Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung (...) ergebe sich aufgrund der Korrekturen ein Erstattungsbetrag von ... EUR und für den zweiten Zeitraum nach Insolvenzeröffnung (...) eine Zahllast von ... EUR. Es werde insoweit Verrechnung beantragt.
12In Bezug auf die Erklärung für den Zeitraum 1.1. bis ... 2019 vertrat das FA unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.10.2014 I R 39/13 die Auffassung, dass der in der Erklärungseinreichung liegende Änderungsantrag abzulehnen sei, da der Insolvenzplan, der u.a. die Umsatzsteuer für den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung zum Gegenstand habe, rechtskräftig geworden sei. Für den Massezeitraum nach Insolvenzeröffnung war das FA hingegen im Hinblick auf das BFH-Urteil vom 23.10.2018 VII R 13/17 der Ansicht, dass weiterhin eine Festsetzung nach den Regelungen der AO möglich sei. Dementsprechend lehnte das FA mit Bescheid vom 7.8.2020, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten der Begründung Bezug genommen wird, eine Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer für den Zeitraum 1.1. bis ... 2019 ab. Die von der Klägerin für den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung eingereichte Erklärung stand hingegen einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 i.V.m. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--).
13Die Klägerin reichte daraufhin am 26.8.2020 eine geänderte Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum ... bis zum 31.12.2019 ein. Danach belief sich die festzusetzende Umsatzsteuer nur noch auf ... EUR und ermittelte sich wie folgt:
14Erklärung neu |
bisher |
|
Leistungen 19% |
... |
... |
Umsatzsteuer hierauf |
... |
... |
Leistungen § 13b UStG |
... |
... |
Umsatzsteuer hierauf |
... |
... |
Umsatzsteuer gesamt |
... |
... |
Vorsteuer § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG |
... |
... |
Vorsteuer § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG |
... |
... |
Verbleibende Umsatzsteuer |
... |
... |
Vorauszahlungen |
... |
... |
Zahllast |
... |
... |
Zur Begründung ihres Änderungsantrags führte die Klägerin aus, dass aufgrund der Ablehnung des Änderungsantrags für den Zeitraum 1.1. bis ... 2019 nunmehr die Umsatzsteuer aufgrund der vorgenommenen ersten und zweiten Berichtigung doppelt erfasst sei. Aufgrund der Rechtskraft des Insolvenzplans hinsichtlich der Qualifikation der betreffenden Abgabenforderungen seien diese dem Zeitraum vom 1.1. bis zum ... 2019 und damit folgerichtig nicht mehr dem Zeitraum ab ... 2019 zuzuordnen.
16Mit Bescheid vom 30.11.2020 lehnte das FA diesen Änderungsantrag der Klägerin ab. Da nachträglich Entgelte vereinnahmt worden seien, sei eine Korrektur der Umsatzsteuer erforderlich gewesen. Diese Korrektur erfolge unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Uneinbringlichkeit eine entsprechende Korrektur stattgefunden habe. Es handele sich um getrennt zu beurteilende Sachverhalte, die eine eigenständige Korrektur nach § 17 UStG auslösen würden.
17Dagegen legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine erste Berichtigung und im Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung nach Insolvenzeröffnung eine zweite Berichtigung der vorangemeldeten Umsatzsteuer hätten erfolgen müssen. Die Klägerin habe aber eine richtige Zuordnung der Umsatzsteuer- und Vorsteuerbeträge versäumt, so dass sowohl die erste als auch die zweite Berichtigung zunächst nicht erfolgt sei. Dieses Versehen sei bei einer erneuten internen Prüfung der gebuchten Umsätze aufgefallen. Die Zuordnung und Berichtigung der Beträge sei erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens im Rahmen der Umsatzsteuererklärungen für 2019 und das Folgejahr nachgeholt worden. Nach Ablehnung des Antrags auf Änderung der Festsetzung der Umsatzsteuer für den Zeitraum 1.1. bis ... 2019 sei die Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum ... bis 31.12.2019 erneut berichtigt worden. Dabei seien die Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die eigentlich als Masseverbindlichkeiten betreffend den Zeitraum ... bis 31.12.2019 anzusehen wären, als Insolvenzforderungen behandelt worden, da sich ansonsten eine doppelte Zahllast ergäbe.
18Zu Unrecht habe das FA eine entsprechende Änderung abgelehnt. Nach dem Urteil des BFH vom 9.10.2010 V R 22/10 sei allerdings bei einem Sollversteuerer im Falle der Insolvenzeröffnung und einer späteren Vereinnahmung des Entgelts durch den Insolvenzverwalter grds. die daraus resultierende Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit anzusehen. Nach dieser Rechtsprechung habe eine erste Berichtigung des betreffenden Steuerbetrags gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG in dem Voranmeldungszeitraum zu erfolgen, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet werde. Eine zweite Berichtigung sei dann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG durchzuführen, wenn das Entgelt durch den Insolvenzverwalter vereinnahmt werde. Auf diese Weise erfolge eine Umqualifizierung einer Insolvenzforderung in eine Masseverbindlichkeit. Diese Auslegung des BFH sei indes weder mit dem Wortlaut noch dem Zweck des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG vereinbar. Dem Grunde nach handele es sich bei der Umsatzsteuerforderung, die aus der nachträglichen Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der Sollbesteuerung resultiere, um eine Insolvenzforderung. Dies folge im Unterschied zur Istbesteuerung bereits aus dem Umstand, dass der anspruchsbegründende Tatbestand bei der Sollbesteuerung bereits mit der Leistungserbringung durch den Unternehmer abgeschlossen sei.
19Da die Berichtigungsvorschrift des § 17 UStG jedoch keine formelle Verfahrensvorschrift, sondern eine Regelung mit materieller Wirkung sei, führe die aufgrund der Insolvenzeröffnung nach der Auffassung des BFH notwendige Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu einem Erlöschen der ursprünglich entstandenen Steuer. Vereinnahme der Insolvenzverwalter später das Entgelt, werde der Steueranspruch durch die erneute Berichtigung im Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts erneut begründet. Die ursprüngliche Insolvenzforderung werde daher erst durch die doppelte Berichtigung des Steuerbetrags nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 1 Sätze 1 und 7 UStG in eine Masseverbindlichkeit umqualifiziert. Im vorliegenden Fall habe aber keine doppelte Berichtigung, sondern lediglich eine doppelte Belastung mit Umsatzsteuer stattgefunden. Die in § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG vorgesehene „erneute“ Berichtigung des Steuerbetrags und des Vorsteuerabzugs setze voraus, dass die Berichtigung nach Satz 1 zuvor auch tatsächlich durchgeführt worden sei. Dies sei vorliegend aber nicht geschehen, da das FA bereits die erste Berichtigung abgelehnt habe. Für eine erneute zweite Berichtigung sei daher kein Spielraum. Die Auffassung des FA, dass die zweite Berichtigung unabhängig von der ersten Berichtigung im Zeitpunkt der Uneinbringlichkeit erfolgen könne, widerspreche dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG.
20Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 6.7.2021, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, als unbegründet zurück.
21Hiergegen richtet sich die fristgemäß erhobene Klage. Die Klägerin hält an ihrer im Einspruchsverfahren vertretenen Auffassung fest, dass die BFH-Rechtsprechung zur sog. Doppelberichtigung jedenfalls im Falle der Sollbesteuerung weder mit dem Wortlaut noch dem Zweck des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG vereinbar sei, im Übrigen aber die erneute Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG voraussetze, dass die Berichtigung nach Satz 1 zuvor auch tatsächlich durchgeführt worden sei. Im Streitfall bestehe daher mangels erster Berichtigung kein Spielraum für eine „erneute“ Berichtigung. Erst mit der „erneuten“ Berichtigung entstehe eine neue Steuerverbindlichkeit gegenüber der Finanzverwaltung. Wenn das FA im vorliegenden Fall sage, dass eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2019 aufgrund der Rechtskraft des Insolvenzplans nicht möglich sei, dann könne schon begrifflich keine Uneinbringlichkeit und damit keine Verpflichtung zur ersten Berichtigung vorliegen.
22Der Ansicht des FA, dass die zweite Berichtigung unabhängig von einer ersten Berichtigung im Zeitpunkt der Uneinbringlichkeit des Entgelts erfolgen müsse, da es sich um getrennt zu beurteilende Sachverhalte handele, sei zu widersprechen, da sie nicht mit dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG vereinbar sei. Beide Korrekturen würden vielmehr miteinander zusammenhängen. Erfolge die erste Korrektur, könne eine erneute Korrektur vorgenommen werden. Andernfalls wäre die festgesetzte Umsatzsteuer für die beiden Unternehmensteile höher als die Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen.
23Gegen die Auffassung des FA spreche schon der Umstand, dass sie im vorliegenden Fall zu einer Doppelbesteuerung führe. Dies widerspreche dem Wesen der Umsatzsteuer als Verbrauchssteuer, welche allein auf eine Belastung des Endverbrauchers und nicht des Unternehmers abziele. Der Staat bediene sich für die Vereinnahmung der Umsatzsteuer aus Gründen·der Praktikabilität des Unternehmers. Die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (SolIbesteuerung) dürfe jedoch nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unternehmers führen. Daher müsse für die Fälle, in denen es z.B. infolge einer erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Berichtigung nach § 17 UStG und einer eingetretenen Rechtskraft des Insolvenzplans (insolvenzrechtliche Sondervorschrift) - wie im vorliegenden Fall - zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Unternehmers mit der Umsatzsteuer komme, den umsatzsteuerrechtlichen Grundsätzen der Vorrang vor den insolvenzrechtlichen Grundsätzen eingeräumt werden. Im Ergebnis könne es nicht sein, dass im vorliegenden Fall das FA mehrfach begünstigt werde, indem es auf der einen Seite die Berichtigung wegen Uneinbringlichkeit nicht zulasse, aber die zweite Berichtigung aufgrund der Vereinnahmung als Masseverbindlichkeit für sich beanspruche.
24Im Übrigen stehe die Wirkung des Insolvenzplans einer nachträglichen Änderung der Steuerfestsetzung zugunsten der Klägerin nicht entgegen. Es sei nicht ersichtlich und auch nicht überzeugend, weshalb der Tabelleneintrag in Verbindung mit dem rechtskräftigen Insolvenzplan eine höhere Bestandskraft haben solle, als dies im regulären Besteuerungsverfahren für Steuerbescheide der Fall sei. Daher könne auch ein rechtskräftiger Insolvenzplan eine Änderung nicht ausschließen. Selbst ein rechtskräftiges finanzgerichtliches Urteil lasse den Vorbehalt der Nachprüfung des Steuerbescheids in der Regel unberührt. Anders ausgedrückt: Die Existenz eines rechtskräftigen Insolvenzplans, d.h. eines Vollstreckungstitels, sage nichts über seine nachträgliche·Änderbarkeit aus, sondern nur über seine Vollstreckbarkeit.
25Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den Schriftsatz vom 11.10.2021 nebst Anlagen Bezug genommen.
26Die Klägerin beantragt,
27unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 30.11.2020 und der Einspruchsentscheidung vom 6.7.2021 das FA zu verpflichten, die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Zeitraum vom ... 2019 bis 31.12.2019 von ... EUR auf ... EUR herabzusetzen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
28Das FA beantragt,
29die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
30Das FA hält an seiner im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.
31In der mündlichen Verhandlung haben sich die Beteiligten u.a. dahingehend tatsächlich verständigt, dass der Unterschiedsbetrag zwischen den Leistungen zu 19% gemäß der am 23.7.2020 und der am 26.8.2020 an das FA übermittelten Umsatzsteuererklärungen für den Zeitraum ... bis 31.12.2019 in Höhe von ... EUR auf von der Klägerin vor Insolvenzeröffnung ausgeführten Leistungen beruht, für die das Entgelt erst nach Insolvenzeröffnung bis zum 31.12.2019 gezahlt worden ist. Wegen der weiteren Einzelheiten der getroffenen tatsächlichen Verständigungen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.1.2023 Bezug genommen.
32E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
33Die zulässige Klage ist unbegründet.
34I. Die Ablehnungsbescheid vom 30.11.2020 und die Einspruchsentscheidung vom 6.7.2021 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die für den Zeitraum vom ... 2019 bis 31.12.2019 festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von ... EUR im Wege des Erlasses eines Änderungsbescheids auf ... EUR herabgesetzt wird. Der Senat folgt weder der Auffassung der Klägerin, dass die Rechtsprechung des BFH zur sog. Doppelberichtigung gegen den Wortlaut und den Sinn und Zweck des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG verstößt, noch derjenigen, dass die bei der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten umsatzsteuerlichen Auswirkungen der sog. zweiten Berichtigung rückgängig zu machen sind, weil die sog. erste Berichtigung nicht erfolgt ist.
351. Die von der Klägerin in ihrer am 23.7.2020 eingereichten Umsatzsteuererklärung zugrunde gelegten Umsätze zu 19% von ... EUR entsprechen der materiell-rechtlichen Rechtslage. Die im Wege einer Bescheidänderung begehrte Verminderung dieser Umsätze um ... EUR auf ... EUR kommt daher nicht in Betracht. Bei dem Differenzbetrag handelt es sich um die von der Klägerin nach Insolvenzeröffnung und Anordnung der Eigenverwaltung vereinnahmten Nettoentgelte für solche Leistungen, die sie vor Insolvenzeröffnung erbracht hat. Insoweit besteht eine Berichtigungspflicht nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG, die dazu führt, dass die übrigen Leistungen der Klägerin zu 19% von ... EUR um den entsprechenden Differenzbetrag zu erhöhen sind.
36a) § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG sieht vor, dass sich dann, wenn sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert hat, der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen hat. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, ebenfalls zu berichtigen. § 17 Abs. 1 UStG gilt nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG).
37b) Hat ein Unternehmer, der – wie die Klägerin – der Sollbesteuerung unterliegt, eine Leistung vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht, für die erst der Insolvenzverwalter die Gegenleistung vereinnahmt, führt die Vereinnahmung durch diesen nach der ständigen Rechtsprechung der beiden für Umsatzsteuerrecht zuständigen Senate des BFH zu einer Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 1 UStG, die insolvenzrechtlich eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet (vgl. BFH-Urteile vom 9.12.2010 V R 22/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH --BFHE-- 232, 301, Bundessteuerblatt –BStBl-- II 2011, 996; vom 24.11.2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298; vom 1.3.2016 XI R 21/14, BFHE 253, 445, BStBl II 2016, 756; ferner BFH-Beschlüsse vom 11.7.2013 XI B 41/13, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH --BFH/NV-- 2013, 1647; vom 1.3.2014 V B 61/13, BFH/NV 2014, 920; vom 6.9.2016 V B 52/16, BFH/NV 2017, 67).
38c) Der BFH hat seine Rechtsauffassung, wonach eine sog. Doppelberichtigung (oder auch eine sog. Berichtigungssequenz) erforderlich und dabei der zweite Berichtigungsanspruch als eine Masseverbindlichkeiten anzusehen ist, zunächst wie folgt begründet (vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 9.12.2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996):
39Im Insolvenzfall sei trotz Fortbestehens eines Gesamtunternehmens von mehreren eigenständigen Unternehmensteilen auszugehen. Die bei Verfahrenseröffnung noch nicht vereinnahmten Entgelte aus vor der Verfahrenseröffnung erbrachten Leistungen würden bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil aus Rechtsgründen uneinbringlich, da der Entgeltanspruch ab diesem Zeitpunkt nicht mehr durch diesen Unternehmensteil vereinnahmt werden könne. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehe gem. § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, die auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht würden, auf den Insolvenzverwalter über. Der Unternehmer sei somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da diese in die Insolvenzmasse zu leisten seien. Infolgedessen sei eine erste Berichtigung der bei Ausführung der Leistung entstandenen Umsatzsteuer nach § 17 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG geboten. Der sich hieraus ergebende erste Berichtigungsanspruch entstehe "mit" und damit eine juristische Sekunde vor der Insolvenzeröffnung, so dass es sich um einen vor der Verfahrenseröffnung begründeten Anspruch und damit um eine bei der Forderungsanmeldung nach § 174 InsO zu berücksichtigende Insolvenzforderung handele (vgl. zu Letzterem BFH-Urteil vom 24.11.2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298).
40Die spätere Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter begründe sodann eine erneute Pflicht zu einer zweiten Berichtigung der Umsatzsteuer nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Dieser Berichtigungsanspruch begründe eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Denn Masseverbindlichkeiten im Sinne dieser Vorschrift seien die Verbindlichkeiten, die "durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören". Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung i.S. von § 38 InsO oder um eine Masseverbindlichkeit handele, bestimme sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen sei. Unerheblich sei demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Welche Anforderungen im Einzelnen an die vollständige Tatbestandsverwirklichung zu stellen seien, richte sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht aber nach Insolvenzrecht. Komme es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handele es sich um eine Insolvenzforderung. Erfolge die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liege unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor. Letzteres sei hier den Fall, denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch sei, wie sich aus § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 7 UStG ergebe, erst mit der Vereinnahmung des Entgelts vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen. Insgesamt würden damit die erste Steuerberichtigung aufgrund der Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und die zweite Steuerberichtigung aufgrund der Vereinnahmung zu einer zutreffenden Besteuerung des Gesamtunternehmens führen.
41d) Diese BFH-Rechtsprechung hat hinsichtlich ihrer Fundierung und Folgen vielfach Kritik erfahren (vgl. etwa Depré/Lambert, Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung 2011, 214; Kahlert, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2011, 921; Onusseit, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 2011, 353; Welte/Friedrich-Vache, Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 740). Von einem Teil der Literatur wurde zwar das Ergebnis, nicht aber die Begründung als zutreffend erachtet (Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Anhang 2 Rn. 12 ff., 61 ff., 71 ff.; Hummels, Mehrwertsteuerrecht 2016, 721).
42e) In seinem Urteil vom 27.9.2018 V R 45/16 (BFHE 262, 214, BStBl II 2019, 356) hatte der BFH über die Frage zu entscheiden, ob die Rechtsprechung zur sog. Doppelberichtigung auch auf die Insolvenz in Eigenverwaltung übertragbar ist. Der BFH hat dies bejaht und die Pflicht zur Vornahme einer ersten und einer zweiten Berichtigung nunmehr wie folgt begründet:
43Die Insolvenzeröffnung und der sich aus § 251 Abs. 2 Satz 1 AO ergebende Vorrang des Insolvenzrechts wirke sich dergestalt auf das Steuerrecht aus, dass die insolvenzrechtlich vorgegebene Aufteilung in Insolvenzforderung (§ 38 InsO) und Masseverbindlichkeit (§ 55 InsO) zu beachten sei. Der sich für den Besteuerungszeitraum (§ 16 UStG) ergebende Steueranspruch müsse auf beide Bereiche aufgeteilt werden. Hierzu seien die Steueransprüche aus erbrachten Leistungen, die abziehbaren Vorsteuerbeträge aus bezogenen Leistungen ebenso wie die Berichtigungsansprüche und die weiteren bei der Steuerberechnung zu berücksichtigenden Besteuerungsgrundlagen den jeweiligen Bereichen der §§ 38, 55 InsO zuzuordnen, so dass sich hieraus eine Umsatzsteuerjahresinsolvenzforderung und eine Umsatzsteuerjahresmasseverbindlichkeit ergebe.
44Die Insolvenzeröffnung habe aber auch materiell-rechtliche Rechtsfolgen. Zu diesen materiellen Wirkungen gehöre das Rückgängigmachen einer wegen unterbliebener Vereinnahmung erfolglosen Sollbesteuerung. Diese beruhe auf der gesetzgeberischen Erwartung, dass der Unternehmer die Gegenleistung für die von ihm erbrachte Leistung alsbald vereinnahmen könne. Treffe dies zu, habe der Unternehmer die für seine Leistungen geschuldete Steuer aber bis zur Insolvenzeröffnung --nach Steuerberechnung (§ 16 UStG)-- nicht an das FA abgeführt, sei das FA als Insolvenzgläubiger zu behandeln, da sich hier das normale Gläubigerrisiko einer Schuldnerinsolvenz verwirkliche. Anders sei es, wenn es zu einer Überschneidung von Insolvenzbereich (§ 38 InsO) und Massebereich (§ 55 InsO) komme und erst der Insolvenzverwalter die Gegenleistung für die vor der Insolvenzeröffnung erbrachte Leistung vereinnahme. Die hier erforderliche Abgrenzung der Vermögensbereiche der §§ 38, 55 InsO zwinge zu der Entscheidung, ob es bei der Einordnung der für die Leistung geschuldeten Steuer als Insolvenzforderung bleibe oder ob es zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit komme. Letzteres sei nach der ständigen Rechtsprechung des BFH der Fall, da kein Grund bestehe, eine vom Insolvenzverwalter vereinnahmte Umsatzsteuer als Teil einer Insolvenzforderung zu behandeln. Vielmehr ergebe sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, dass auch im Rahmen der Sollbesteuerung eine vollständige Tatbestandsverwirklichung erst mit der Vereinnahmung der Gegenleistung vorliege. Dies rechtfertige die Berichtigung einer zuvor vorgenommenen Sollbesteuerung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 1 UStG, die aufgrund der Insolvenzeröffnung im Insolvenzbereich (§ 38 InsO) vorzunehmen sei, und die nachfolgende zweite Berichtigung (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 und Abs. 1 Satz 1 UStG) im Massebereich (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) bei Vereinnahmung der Gegenleistung.
45f) Von einem Teil der Literatur wird das letztgenannte Urteil dahingehend interpretiert, dass der BFH seine Dogmatik geändert habe. So heben etwa Kahlert (DStR 2021, 1505) und Keilbach (Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht 2022, 256) hervor, dass nach dieser „jüngeren“ Rechtsprechung nicht mehr die fehlende Vereinnahmung der Gegenleistung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Ausgangspunkt der ersten und zweiten Berichtigung der Umsatzsteuer gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sei. Entscheidend sei vielmehr, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Entgelt für die vor Insolvenzeröffnung ausgeführte Leistung vereinnahmt werde. Die Berichtigungssequenz der Umsatzsteuer gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG werde dementsprechend, anders als nach der früheren Rechtsprechung, nicht mehr durch eine erste Berichtigung der Umsatzsteuer gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG wegen „rechtlicher“ Uneinbringlichkeit aufgrund fehlender Vereinnahmung der Gegenleistung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern durch die Vereinnahmung der Gegenleistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Gang gesetzt. Der Umstand, dass erst durch die nachträgliche Entgeltvereinbarung eine vollständige materiell-rechtliche Tatbestandsverwirklichung der Umsatzsteuer bewirkt werde, rechtfertige die Berichtigung der zuvor vorgenommenen Sollbesteuerung und mache eine erste und eine zweite Berichtigung der Umsatzsteuer gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG erforderlich.
46g) Der Senat schließt sich der BFH-Rechtsprechung zur sog. Doppelberichtigung an, und zwar unabhängig davon, ob mit dem BFH-Urteil vom 27.9.2018 V R 45/16 (BFHE 262,214, BStBl II 2019, 356) tatsächlich eine Änderung der dogmatischen Fundierung verbunden war. Soweit die Rechtsprechung zur Doppelberichtigung im Ergebnis dazu führt, dass die Umsatzsteuer für vor Insolvenzeröffnung ausgeführte Leistungen, für die das Entgelt erst nach Insolvenzeröffnung vereinnahmt wird, zu einer Masseverbindlichkeit wird, ist dem aus Sicht des Senats uneingeschränkt zuzustimmen. Die betreffende Umsatzsteuer ist, wie der BFH bereits in seinem ersten Urteil zur Doppelberichtigung bei der Istbesteuerung aus Sicht des Senats zutreffend ausgeführt hat (vgl. BFH-Urteil vom 29.1.2009 V R 64/07, BFHE 224,24, BStBl II 2009, 683), ausschließlich zur Weiterleitung an das FA bestimmt. Es handelt sich um kein eigenes Vermögen des Unternehmers. Letzterer wird – wie es der EuGH in ständiger Rechtsprechung ausdrückt – auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, soweit es die Mehrwertsteuer auf seine Leistungen anbelangt, lediglich als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates und im Interesse der Staatskasse tätig (so der EuGH im Urteil „Netto-Supermarkt“ vom 21.2.2008 C-271/06, DStR 2008, 450). Dies gilt gleichermaßen für solvente und insolvente Unternehmer. Wird die Umsatzsteuer nach Insolvenzeröffnung vereinnahmt, handelt es sich auch insoweit um einen durchlaufenden Posten, der an das FA abzuführen ist und nicht zur Anreicherung der Insolvenzmasse zur Verfügung steht. Aus Sicht des Senats bestehen – entgegen der Auffassung der Klägerin – keine Bedenken dagegen, dieses Ergebnis durch eine entsprechende Auslegung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG umzusetzen. Eine entsprechende Auslegung verstößt nach Ansicht des Senats auch weder gegen dessen Wortsinngrenze noch gegen den zugrunde liegenden Gesetzestelos.
47h) Für den Streitfall folgt hieraus zum einen, dass in Übereinstimmung mit dem BFH-Urteil vom 27.9.2018 V R 45/16 (BFHE 262, 214, BStBl II 2019, 356) auch in der hier maßgeblichen Konstellation der Eigenverwaltung eine Pflicht zur Vornahme der ersten und zweiten Berichtigung besteht. Maßgeblicher Stichtag ist, wovon beide Beteiligte mit Recht ausgehen, der Tag der Insolvenzeröffnung am ... 2019. Der Umstand, dass im Streitfall bereits ab dem ... 2019 eine vorläufige Eigenverwaltung angeordnet war, ist dagegen ohne Belang. § 55 Abs. 2 und 4 InsO in der im Streitjahr gültigen Fassung erfasst den Fall der vorläufigen Eigenverwaltung nicht (vgl. BFH-Urteil vom 7.5.2020 V R 14/19, BFH/NV 2020, 1178). Ein Vorziehen des Zeitpunkts für die Doppelberichtigung auf den Zeitpunkt der Bestellung eines vorläufigen Sachwalters kommt daher, anders als bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, nicht in Betracht. Soweit in der Literatur eine Ausnahme für den Fall angenommen wird, dass dem vorläufigen Sachwalter eine Generalermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten erteilt wurde (so wohl Schmidt, DStR 2021, 693, 698), liegt diese Konstellation im Streitfall jedenfalls nicht vor. Dem vorläufigen Sachwalter wurde vom Insolvenzgericht lediglich eine begrenzte Einzelermächtigung zur Eingehung von Masseverbindlichkeiten erteilt.
48i) Zum anderen folgt aus der dogmatischen Verankerung der Rechtsprechung zur Doppelberichtigung im § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, dass – entgegen der Auffassung der Klägerin – die Durchführung der zweiten Berichtigung nicht von der Vornahme der ersten Berichtigung abhängt.
49Der BFH hat in seinem Urteil vom 27.9.2018 V R 45/16 (BFHE 262, 214, BStBl II 2019, 356) weiterhin daran festgehalten, dass es in der hier maßgeblichen Konstellation mit der Insolvenzeröffnung zu einer (ersten) Berichtigung der zuvor vorgenommenen Sollbesteuerung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG im Insolvenzbereich und bei Entgeltvereinnahmung zu einer nachfolgenden (zweiten) Berichtigung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG im Massebereich kommt. In diesem Zusammenhang lösen die beiden vorgenannten Vorschriften ausschließlich materiell-rechtliche Berichtigungspflichten aus (vgl. allgemein zum materiell-rechtlichen Charakter des § 17 UStG Korn in Bunjes, 21. Aufl. 2022, § 17 Rn. 15; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 17 Rn. 42). Diese Berichtigungspflichten sind nicht aneinander gekoppelt, sondern bestehen unabhängig voneinander (a.A., allerdings für den nur schwerlich vergleichbaren Bereich der „doppelten Vorsteuerberichtigung“, FG Münster, Urteil vom 20.2.2018 15 K 1514/15 U,S, EFG 2018, 697). Die im Streitfall gegebene Fallgestaltung ist insoweit nicht anders zu behandeln als andere Konstellationen im Rahmen des § 17 UStG, in denen ebenfalls korrelierende Berichtigungspflichten existieren. So ist etwa auch für den Fall, dass sich die Bemessungsgrundlage für einen Umsatz mindert und dementsprechend gem. § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG sowohl die Steuerschuld des leistenden Unternehmers als auch der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers zu berichtigen ist, allgemein anerkannt, dass beide Berichtigungspflichten in keinem Abhängigkeitsverhältnis voneinander stehen (vgl. etwa Korf in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 17 Rn. 121; Korn in Bunjes, 21. Aufl. 2022; § 17 Rn. 15; Matthes in UStG - eKommentar, § 17 Rn. 99; Pull in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 17 Rn. 34; Stadie in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 17 Rn. 33, 89, 361).
50Dem steht auch nicht der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG entgegen. Soweit darin von einer „erneuten“ Berichtigung gesprochen wird, ist dies keine Tatbestandsvoraussetzung, setzt also m.a.W. keine erste Berichtigung voraus, sondern dient lediglich der Klarstellung, dass es sich materiell-rechtlich um eine Folgeberichtigung handelt. Auch insoweit besteht eine Vergleichbarkeit zum Fall der Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG. Der im § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG verwendete Begriff „ebenfalls“ wird nach allgemeiner Auffassung gleichermaßen nicht im Sinne einer materiell-rechtlichen Abhängigkeit zwischen den beiden Berichtigungstatbeständen, sondern als bloßer Hinweis darauf verstanden, dass die „Änderung der Bemessungsgrundlage“ i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG regelmäßig sowohl eine Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags als auch des Vorsteuerabzugs mit sich bringt (so etwa Schulze in Wäger, UStG, § 17 Rn. 54.1).
51Im Streitfall ist daher in dem hier maßgeblichen Zeitraum vom ... bis zum 31.12.2019 zum Zeitpunkt der jeweiligen Entgeltvereinnahmung durch die Klägerin in ihrer Funktion als Verwalterin i.S.v. § 270 InsO eine Berichtigungspflicht nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG entstanden. Diese Berichtigungspflicht führt dazu, dass zu den übrigen Umsätzen zu 19% in Höhe von ... EUR das nachträglich vereinnahmte Nettoentgelt in Höhe von ... EUR (darauf entfallende Umsatzsteuer ... EUR) hinzuzuaddieren ist. Die der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Umsätze von ... EUR sind daher materiell-rechtlich zutreffend.
52j) Ob die hier unterbliebene erste Berichtigung für den Insolvenzbereich, die zu einer unrichtigen Steueranmeldung zum Insolvenzplan geführt hat, noch nachgeholt werden kann, ist dagegen eine rein verfahrensrechtliche Frage (vgl. all zum Verhältnis von § 17 UStG zu den Änderungsvorschriften der AO Korn in Bunjes, 21. Aufl. 2022, § 17 Rn. 15 ff.). Über diese Frage kann im Streitfall nicht entschieden werden, da sie ausschließlich die Steuerfestsetzung für den Zeitraum 1.1. bis ... 2019 betrifft, die hier nicht Klagegegenstand ist.
532. Da es zu keiner Minderung der Umsatzsteuer kommt und der Senat nicht über den Antrag der Klägerin zu ihren Ungunsten hinausgehen kann, bedarf die Frage, ob die Auffassung der Klägerin zutrifft, dass auch die auf der Basis der durchgeführten zweiten Berichtigung erklärte und in die Festsetzung eingegangene Vorsteuer von ... EUR aufgrund der fehlenden Durchführung der ersten Berichtigung auf ... EUR (Differenz ... EUR) zu mindern ist, keiner Entscheidung.
54II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
55III. Die Revision war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.