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Die Vollziehung des Bescheids über den Grundsteuerwert auf den 01.01.2022 vom 15.05.2023 wird ohne Sicherheitsleistung bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens insoweit ausgesetzt, als der festgestellte Grundsteuerwert einen Betrag von 382.500 € übersteigt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 34 % und der Antragsgegner zu 66 %.
Der Beschluss ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, soweit nicht die Antragstellerin zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Grundsteuerwertbescheids mit der Begründung, das Objekt sei unter Berücksichtigung seines Istzustandes als Rohbau zu bewerten und der Gesetzgeber habe den tatsächlichen Wertverhältnissen mit der Neuregelung der Vorschriften zur Bewertung des Grundbesitzes für Zwecke der Grundsteuer nicht genügend Rechnung getragen.
4Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Gewerbegrundstücks. Aufgrund eines Gesellschafterwechsels setze der Antragsgegner Grunderwerbsteuer i.H.v. 13.000 € fest. Im Übertragungsvertrag war der Wert der Immobilie mit 200.000 € angesetzt worden. Der Antragsgegner erließ im Schätzungswege einen Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwerts und stellte diesen mit 884.067 € fest.
5Nach Einreichung der Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts am 17.04.2023 stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.05.2023 den Grundsteuerwert auf 836.000 € fest. Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 17.05.2023 unter Hinweis darauf, dass die Grundsteuerbewertung vielfach erneut als verfassungswidrig angesehen werde, Einspruch ein und beantragte am 14.01.2024 die Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheids in Höhe eines Teilbetrags von 636.000 €. Der Antragsgegner hat bislang weder über den Aussetzungsantrag noch über den Einspruch entschieden.
6Am 10.03.2024 hat die Antragstellerin einen gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertfeststellungsbescheids gestellt. Es werde an der Auffassung festgehalten, dass die Grundsteuerbewertung als verfassungswidrig anzusehen sei. Das zugrunde gelegte Verfahren zur Wertermittlung, das nur auf das Alter und die Lage des Objekts abstelle, werde nicht den Grundsätzen gerecht, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgestellt habe. Der Erhaltungszustand des jeweiligen Grundbesitzes, der erhebliche Bedeutung für dessen realen Wert habe, bleibe völlig außer Ansatz. Die Antragstellerin habe das Objekt am 10.08.2016 zu einem Kaufpreis von 350.000 € aus einer Insolvenzmasse heraus erworben. In der Folge habe sich herausgestellt, dass trotz diverser Instandhaltungsmaßnahmen nur kurzfristige Vermietungen möglich gewesen seien. Es lägen erhebliche Feuchtigkeitsschäden, marode Wasserleitungen sowie eine nicht mehr einsetzbare Elektrik vor. Das Objekt müsse demzufolge völlig entkernt werden. Darüber hinaus bedürfe es einer Erneuerung der Isolierung von Feuchtigkeitsschäden, insbesondere gegen aufsteigende Feuchtigkeit aus den Kellerwänden. Die Schäden hätten, soweit damals bekannt, Einfluss auf die Kaufpreisvereinbarung genommen. Später bekannt gewordene Schäden minderten den aktuellen Wert der Immobilie. Der Istzustand der Immobilie sei aus den beigefügten Fotos ersichtlich. Das Objekt sei unter Zugrundelegung seines Zustands im Rohbau zu bewerten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG habe die Bewertung von Immobilien nach tatsächlichen Wertverhältnissen zu erfolgen. Jedenfalls habe das BVerfG festgestellt, dass das Festhalten an den Werten des Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen führe. Dieser Rechtsprechung habe der Gesetzgeber mit der Novellierung keinesfalls Rechnung getragen. Der Antragsgegner habe den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts als Grundlagenbescheid für den Grunderwerbsteuerbescheid behandelt. Die beantragte Minderung des Grundsteuerwerts führe demzufolge auch zu der beabsichtigten Minderung der Grunderwerbsteuer.
7Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
8die Vollziehung des Bescheids über die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 vom 15.05.2023 für einen Teilbetrag des festgestellten Werts i.H.v. 684.067 € ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
9Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
10den Antrag abzulehnen.
11Die Voraussetzungen von § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) seien nicht erfüllt, weil er den behördlichen Aussetzungsantrag weder ganz noch teilweise abgelehnt habe. Es drohe derzeit auch keine Vollstreckung, da eine Zahlung von Grundsteuer aufgrund der Neufeststellung erst nach Erhalt des Grundsteuerbescheids der Gemeinde erfolgen müsse, was frühestens im Jahr 2025 der Fall sei. Der mit Bescheid über die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 vom 15.05.2023 festgestellte Wert sei – entgegen den Ausführungen der Antragstellerin – nicht der Berechnung der Grunderwerbsteuer zugrunde gelegt worden, da dieser kein Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) für die Grunderwerbsteuer sei. Der Bescheid über die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 sei nur Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Grundsteuermessbetrags auf den 01.01.2025. Der Grundbesitzwert für Zwecke der Grunderwerbsteuer sei in einem separaten Verfahren festgestellt worden. Der angefochtene Bescheid über die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 entspreche der derzeitigen Rechtslage. Die Feststellung des Grundsteuerwerts sei entsprechend der am 17.04.2023 übermittelten Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts erfolgt. Besondere objektspezifische Merkmale wie der von der Antragstellerin beschriebene Zustand der aufstehenden Gebäude seien bei der Ermittlung des Grundsteuerwerts nicht gesondert zu berücksichtigen. Es bestünden somit auch keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Hinsichtlich der von der Antragstellerin geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) für Bewertung des Grundbesitzes für die Grundsteuer könne außerdem nicht festgestellt werden, dass das individuelle Interesse der Antragstellerin an der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes habe.
12II.
13Der Antrag hat teilweise Erfolg. Er ist zulässig und in dem aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
141. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 FGO erfüllt.
15Zwar hat der Antragsgegner vorliegend den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung nicht ganz oder zum Teil abgelehnt (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO). Dies war jedoch gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO auch nicht erforderlich, weil der Antragsgegner über den behördlichen Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entscheiden hat.
16Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 14.01.2024, beim Antragsgegner eingegangen am selben Tag, einen behördlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Grundsteuerwertfeststellungbescheids in Höhe eines Teilbetrags von 636.000 € gestellt. Der Antragsgegner hat nach der Antragstellung am 14.01.2024 in einem Zeitraum von fast zwei Monaten bis zur Antragstellung bei Gericht am 10.03.2024 weder über den Antrag entschieden, noch ist er in diesem Verfahren auf andere Weise tätig geworden. Eine angemessene Frist ist danach deutlich überschritten. Zureichende Gründe für die fehlende Entscheidung über den Antrag sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
172. Der Antrag ist teilweise begründet.
18Die Rechtmäßigkeit des Grundsteuerwertbescheids ist ernstlich zweifelhaft soweit die Feststellung einen Betrag von 382.500 € übersteigt. Das Gericht hat ernstliche Zweifel, dass das streitgegenständliche Grundstück zum Feststellungszeitpunkt den Begriff des bebauten Grundstücks i.S. des § 248 Satz 1 BewG erfüllt (unter a). Für eine weitergehende Aussetzung des angefochtenen Feststellungsbescheids wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften zur Bewertung des Grundbesitzes für die Grundsteuer ab 01.01.2022 fehlt es jedenfalls an einem besonderen Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (unter b).
19a) Auf Antrag soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
20aa) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 08.01.2019 II B 62/18 Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2019, 92; vom 19.03.2014 V B 14/14, BFH/NV 2014, 999 und vom 21.05.2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus den sog. präsenten Beweismitteln, dem Vortrag der Beteiligten und den Akten ergibt (BFH-Beschlüsse vom 08.01.2019 II B 62/18 BFH/NV 2019, 92; vom 19.03.2014 V B 14/14, BFH/NV 2014, 999 und vom 06.05.2008 IV B 151/07, BFH/NV 2008, 1452). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH-Beschluss vom 20.03.2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809). Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschlüsse vom 08.01.2019 II B 62/18 BFH/NV 2019, 92, vom 19.03.2014 V B 14/14, BFH/NV 2014, 999; vom 07.09.2011 I B 157/10, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2012, 590).
21bb) Es begegnet bei der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ernstlichen Zweifeln, dass die streitgegenständliche Feststellung des Grundsteuerwerts rechtmäßig ist. Für das Gericht ist unter Berücksichtigung des Akteninhalts und der präsenten Beweismittel nicht erkennbar, dass das streitgegenständliche Grundstück zum Zeitpunkt der Feststellung aufgrund des seinerzeitigen Istzustands als bebautes Grundstück i.S. des § 248 Satz 1 BewG zu bewerten ist.
22(1) Nach § 248 Satz1 BewG sind bebaute Grundstücke solche, auf denen sich benutzbare Gebäude befinden. Im Umkehrschluss sind gemäß § 246 Abs. 1 Satz 1 BewG unbebaute Grundstück solche, auf denen sich keine benutzbaren Gebäude befinden. Die Abgrenzung zwischen unbebauten und bebauten Grundstücken erfolgt nach dem Kriterium der Zumutbarkeit der bestimmungsgemäßen Gebäudenutzung zum Feststellungszeitpunkt (so auch Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 246 Rz. 4, m.w.N.). Eine Unbenutzbarkeit des Gebäudes kann auch nachträglich entstehen. Denn wird der Übergang vom Grundstück im Zustand der Bebauung – und damit letztlich vom unbebauten Grundstück – zum bebauten Grundstück an die Zumutbarkeit der Gebäudenutzung geknüpft (§ 246 Abs. 1 BewG), ist es folgerichtig, den Rückfall des bebauten Grundstücks in den Zustand eines unbebauten Grundstücks in dem Augenblick anzunehmen, ab dem eine Gebäudenutzung nicht mehr zumutbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 14.05.2003 II R 14/01 BStBl II 2003, 903 zu § 33a der Reichsbewertungsdurchführungsverordnung – RBewDV – und § 72 BewG; vom 18.12.2002 II R 20/01, BStBl II 2003, 228 zu § 33a RBewDV und § 72 BewG; Finanzgericht – FG – des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26.01.2010 4 K 877/04, Entscheidungen der FG EFG 2010, 1014 zu § 33a RBewDV).
23Als unbebautes Grundstück gilt nach § 246 Abs. 2 BewG auch ein Grundstück, auf dem infolge der Zerstörung oder des Verfalls der Gebäude auf die Dauer benutzbarer Raum nicht mehr vorhanden ist. Verfall ist gegeben, wenn erhebliche Schäden an konstruktiven Teilen des Gebäudes eingetreten sind und ein Zustand vorliegt, der aus bauordnungsrechtlicher Sicht die sofortige Räumung nach sich ziehen würde. Auch insoweit ist darauf abzustellen, zu welcher Nutzung das Gebäude und damit seine Räume bestimmt sind. Ist die Zerstörung so weit fortgeschritten, dass keine Räume mehr vorhanden sind, die einer bestimmungsgemäßen Nutzung auf Dauer zugeführt werden können, so ist ebenso wenig von einem bebauten Grundstück auszugehen, wie im Falle der Errichtung eines Gebäudes, dessen Benutzbarkeit i.S. des § 246 Abs.1 Sätze 2 und 3 BewG noch nicht hergestellt ist.
24In beiden Fällen ist es unbeachtlich, dass das äußere Erscheinungsbild des Bauwerks den Eindruck erweckt, es handle sich um ein bebautes Grundstück; entscheidend ist vielmehr, ob zur dauernden bestimmungsgemäßen Nutzung geeigneter Raum schon bzw. noch vorhanden ist (vgl. BFH-Urteile vom 14.05.2003 II R 14/01 BStBl II 2003, 90 Rz. 10; vom 24.10.1990 II R 9/88, BStBl II 1991, 60 zu § 72 BewG). Maßgebend für die Abgrenzung zwischen unbebauten und bebauten Grundstücken sind dabei jeweils die tatsächlichen Verhältnisse an dem Stichtag, auf den eine Feststellung vorzunehmen ist (vgl. BFH-Urteile vom 18.12.2002 II R 20/01, BStBl II 2003, 228; vom 24.10.1990 II R 9/88, BStBl II 1991, 60). Bei der Beurteilung des baulichen Zustands eines Gebäudes zum jeweiligen Bewertungsstichtag muss außer Betracht bleiben, ob sich dieser Zustand als Zwischenstadium zur Wiederherstellung eines benutzbaren Gebäudes darstellt (BFH-Urteil vom 14.05.2003 II R 14/01 BStBl II 2003, 903 Rz. 11). Ein Gebäude, das infolge einer Entkernung keine bestimmungsgemäß benutzbaren Räume mehr enthält, gilt als unbebaut und zwar auch dann, wenn dies nur vorübergehend der Fall ist (BFH-Urteil vom 24.10.1990 II R 9/88, BStBl II 1991, 60 zu § 72 BewG; Mannek in Stenger/Loose § 248 Rz. 34). Zu verneinen ist die Benutzbarkeit außerdem bei Bürogebäuden, deren Büroflächen sich ausschließlich in einem rohbauähnlichen Zustand befinden, da diese nicht unmittelbar einer bestimmungsgemäßen Verwendung des Gebäudes zugeführt werden (Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 246 Rz. 8; Knittel in Stenger/Loose § 246 BewG Rz. 135). Ein Gebäude, das lediglich aufgrund von Renovierungsarbeiten vorübergehend nicht benutzbar ist, bleibt ein benutzbares und damit bebautes Grundstück (BFH-Urteil vom 24.12.1994 II R 104/91, BStBl II 1995, 360)
25Für die Frage, ob eine Benutzung des Gebäudes zumutbar ist, kann nach der Rechtsprechung des BFH auf § 16 Abs. 2 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) abgestellt werden. Nach dieser Vorschrift ist Wohnraum oder anderer Raum nicht auf Dauer nutzbar, wenn ein zu seiner Nutzung erforderlicher Gebäudeteil zerstört ist oder wenn sich der Raum oder der Gebäudeteil in einem Zustand befindet, der aus bauordnungsrechtlichen Gründen eine dauernde, der Zweckbestimmung entsprechende Nutzung nicht gestattet; dabei ist es unerheblich, ob der Raum oder der Gebäudeteil tatsächlich genutzt wird. Unter dem Begriff der bauordnungsrechtlichen Gründe werden sowohl Gründe der Bau- als auch der Gesundheitsaufsicht zusammengefasst (BFH-Urteil vom 14.05.2003 II R 14/01 BStBl II 2003, 90 Rz. 13; Knittel in Stenger/Loose § 246 BewG Rz. 80). Die Unzumutbarkeit der Nutzung i.S. des § 246 Abs. 1 BewG ist somit vorrangig anhand bestimmbarer Bau- und Gesundheitsgefahren festzustellen. Eine Baugefahr ist u.a. dann gegeben, wenn aufgrund der Beschädigung der Gebäudeteile die Möglichkeit des Einsturzes besteht. Eine Gesundheitsgefahr ist anzunehmen, wenn die Gesundheit oder das Leben der sich im Gebäude aufhaltenden Personen in Gefahr gerät (Knittel in Stenger/Loose § 246 BewG Rz. 81). Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse.
26Neben unmittelbar auftretenden Bau- bzw. Gesundheitsgefahren kann sich die Unzumutbarkeit der Weiternutzung eines Gebäudes aber auch mittelbar aus weiteren Umständen, u.a. dem Alter des Gebäudes, dessen Leerstand, erheblichen, nicht lediglich altersbedingten Schäden an der Ausstattung, insb. an Heizung, Elektroinstallation, sanitären Anlagen, Fußböden und Treppen ergeben. Auch derartige behebbare Baumängel und Bauschäden sowie sog. aufgestauter Reparaturbedarf aufgrund von unterlassenen Instandsetzungs- und Reparaturarbeiten schließen, selbst wenn sie sich regelmäßig nur vorübergehend auf Art und Umfang der Gebäudenutzung auswirken, gleichwohl nach der Rechtsprechung im Einzelfall eine Bewertung als unbebautes Grundstück nicht aus (BFH-Urteil vom 14.05.2003 II R 14/01 BStBl II 2003, 906 Rz. 11). Derartige Schäden können nach Art und Ausmaß in ihrem Zusammenwirken von Feuchtigkeitsbildung im Gebäude, Fäulnis an Bauteilen, mangelnder Beheizbarkeit und Schadhaftigkeit der Stromversorgung gesundheitliche Gefahren für die sich im Gebäude aufhaltenden Personen bedeuten (BFH-Urteil vom 14.05.2003 II R 14/01 BStBl II 2003, 906 Rz. 14; Knittel in Stenger/Loose § 246 BewG Rz. 82). Eine benutzbare Bebauung ist auch dann nicht mehr gegeben, wenn die für Wohn- oder Betriebszwecke erforderliche Ausstattung nicht lediglich schadhaft ist, sondern in wesentlichen Teilen gar nicht (mehr) existiert (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26.01.2010 4 K 877/04, EFG 2010, 1014; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. 04.1992 8 K 308/89, EFG 1993, 132).
27Der Umstand einer Vermietung und der Erzielung von Einnahmen bzw. der Eigennutzung kann hingegen ein signifikantes Indiz dafür sein, dass das Kriterium der Benutzbarkeit gegeben ist (Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 246 Rz. 5; Knittel in Stenger/Loose, § 246 BewG Rz. 5)
28(2) Nach diesen Grundsätzen hält der Senat die Rechtmäßigkeit der vom Antragsgegner vorgenommenen Bewertung des streitgegenständlichen Objekts als bebautes Grundstück aufgrund der Aktenlage und präsenten Beweismittel für ernstlich zweifelhaft.
29Das Gericht hat insbesondere ernstliche Zweifel, dass das Gebäude am Bewertungsstichtag noch bestimmungsgemäß benutzbar gewesen ist. Vielmehr liegt es nahe, dass infolge von Verfall des Gebäudes auf Dauer kein benutzbarer Raum mehr vorhanden war. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin war das Gebäude am streitigen Stichtag unter Zugrundelegung eines Zustandes im Rohbau zu bewerten, da erhebliche Feuchtigkeitsschäden, marode Wasserleitungen und eine nicht mehr einsetzbare Elektrik vorlagen. Zur Glaubhaftmachung hat die Antragstellerin Fotos des Istzustandes der Immobilie vorgelegt. Auf diesen ist erkennbar, dass die Boden- und Wandbeläge (jedenfalls größtenteils) bis auf den Estrich und das Mauerwerk entfernt wurden, teilweise Löcher in den Decken vorhanden und die Wände teilweise eingerissen sind. Die vorgelegten Fotos bestätigen daher den Vortrag der Antragstellerin, dass sich die Räume größtenteils im Rohbauzustand befinden. Weiterhin lassen sich diverse Feuchtigkeitsschäden und Schimmelbildung an Wänden und Decken sowie freiliegende Leitungen und Rohre erkennen. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass sich die Immobilie – entgegen des Vortrags der Antragstellerin – zum Stichtag 01.01.2022 in einem wesentlich besseren Zustand befunden hat, sind nach Aktenlage nicht ersichtlich und auch seitens des Antragsgegners nicht vorgebracht worden. Bei dieser Sachlage ist es aus Sicht des Senats ernstlich zweifelhaft, dass sich auf dem zu bewertenden Grundstück zum Stichtag noch Gebäude befanden, die auf Dauer einer bestimmungsgemäßen Benutzung zugeführt werden konnten, ohne dass die Benutzbarkeit durch Entkernung – wie von der Antragstellerin vorgetragen – wiederhergestellt wird. Eine solche würde nach den dargestellten Grundsätzen ebenfalls eine Bewertung als unbebautes Grundstück nach sich ziehen.
30Der Annahme einer fehlenden bestimmungsgemäßen Benutzbarkeit zum Bewertungsstichtag steht im Rahmen des summarischen Verfahrens auch der Umstand nicht entgegen, dass teilweise Vermietungen stattgefunden haben. Denn nach dem unbestrittenen Vorbringen der Antragstellerin waren nach Erwerb des Grundstücks im Jahr 2016 aufgrund des Zustands des Gebäudes trotz diverser Instandhaltungsmaßnahmen nur kurzfristige Vermietungen möglich.
31Das Grundstück ist daher nach Auffassung des Senats im Rahmen der summarischen Prüfung für Aussetzungszwecke als unbebautes Grundstück i.S. von § 247 BewG zu bewerten. Der festzustellende Grundsteuerwert i.H.v. 382.500 € berechnet sich wie folgt:
32cc) Eine weitergehende Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids wegen unbilliger Härte kommt nicht in Betracht.
34Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wurde von der Antragstellerin weder dargelegt noch liegen insoweit Anhaltspunkte vor.
35b) Ob darüber hinaus nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelungen zur Feststellung des Grundsteuerwerts bestehen, muss nicht entschieden werden, da es der Antragstellerin insoweit jedenfalls an einem besonderen Aussetzungsinteresse mangelt.
36aa) Bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm setzt die Aussetzung der Vollziehung wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes nach langjähriger Rechtsprechung des BFH zusätzlich voraus, dass ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt (BFH-Beschlüsse vom 21.07.2016 V B 37/16, BStBl II 2017, 28; vom 09.03.2012 VII B 171/11, BStBl II 2012, 418; vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558). Bei der Prüfung, ob ein solch berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung der Vollziehungsaussetzung sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzugs und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an (BFH-Beschluss vom 09.03.2012 VII B 171/11, BStBl II 2012, 418, m.w.N.). Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BVerfG bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetzes ist der Vorrang einzuräumen, wenn die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes im Ergebnis zur vorläufigen Nichtanwendung eines ganzen Gesetzes führen würde, die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Einzelfall eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen als eher gering einzustufen sind und der Eingriff keine dauerhaften nachteiligen Wirkungen hat (BFH-Beschlüsse vom 09.03.2012 VII B 171/11, BStBl II 2012, 418; vom 01.04.2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558).
37Das danach für die Gewährung einer Vollziehungsaussetzung erforderliche besondere berechtigte Aussetzungsinteresse hat der BFH regelmäßig als erfüllt angesehen, wenn der BFH die vom Steuerpflichtigen als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat (BFH-Beschluss vom 22.12.2003 IX B 177/02, BStBl II 2004, 367) oder ein beim BFH anhängiges Verfahren, das für die Beantwortung von Rechtsfragen vorgreiflich ist, im Hinblick auf mehrere beim BVerfG anhängige Verfahren der konkreten Normenkontrolle ruht (BFH-Beschluss vom 21.05.2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613). Darüber hinaus hat der BFH das besondere berechtigte Aussetzungsinteresse bejaht, wenn dem Steuerpflichtigen durch den sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts irreparable Nachteile drohen (BFH-Beschlüsse vom 19.08.1994, X B 318/93, X B 319/93, BFH/NV 1995,143; vom 09.11.1992, X B 137/92, juris) oder das zu versteuernde Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer unter dem sozialhilferechtlich garantierten Existenzminimum liegt (BFH-Beschluss vom 29.10.1991 III B 83/91, BFH/NV 1992, 246) oder wenn es um das aus verfassungsrechtlichen Gründen schutzwürdige Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage (BFH-Beschluss vom 05.03.2001 IX B 90/00, BStBl II 2001, 405) oder um ausgelaufenes Recht geht (BFH-Beschlüsse vom 02.08.2007 IX B 92/07, BFH/NV 2007, 2270; vom 31.01.2007, VIII B 219/06, BFH/NV 2007, 914).
38Liegen die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Maßstäben dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen ein Vorrang vor den öffentlichen Interessen zukommt, nicht vor, kann dahinstehen, ob überhaupt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der streitentscheidenden Bestimmungen bestehen (BFH-Beschluss vom 18.01.2023 II B 53/22, BFH/NV 2023, 382 Rz. 11, m. w. N.).
39In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der BFH die Frage, ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt weiter festzuhalten ist, teilweise dahinstehen lassen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.04.2023 I B 74/22 (AdV), BFH/NV 2023, 1178; vom 09.03.2023 VI B 31/22 (AdV), juris; vom 18.12.2013 I B 85/13, BStBl II 2014, 947). Er hat aber jedenfalls in Einzelfällen weiterhin eine Aussetzung der Vollziehung mangels besonderen berechtigten Aussetzungsinteresses abgelehnt (BFH-Beschlüsse vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV) BFH/NV 2023, 382; vom 28.10.2022 VI B 15/22 (AdV), BStBl II 2023, 12; VI B 27/22 (AdV); BFH/NV 2023, 3 und VI B 35/22 (AdV), BFH/NV 2023, 10; VI B 38/22 (AdV) BFH/NV 2023, 14 und VI B 48/22, BFH/NV 2023 17; vom 09.03.2023 VI B 31/22, juris; vom 17.12.2018 VIII B 91/18, BFH/NV 2019, 306). Auch das BVerfG hat es in neuerer Zeit offengelassen, ob das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses in jeder Hinsicht mit dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vereinbar ist (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 06.05.2013 1 BvR 821/13, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2013, 639, Rz. 7 und vom 24.10.2011 1 BvR 1848/11, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 372, Rz. 4).
40In der Literatur (vgl. vor allem Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Tz. 96 f., m.w.N.; Stapperfend in Gräber, FGO § 69 Rz. 190) und vereinzelt auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (FG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 23.11.2023 4 V 1295/23, EFG 2024, 93 und 4 V 1429/23, EFG 2024, 135) wird die These vertreten, dass die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Garantie des individuellen Rechtsschutzes bei Zweifeln an der Verfassungswidrigkeit einer Norm die Aussetzung der Vollziehung des auf diese Norm gestützten Verwaltungsakts gebiete. Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass, wenn schon einfache Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts regelmäßig die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigten, dies erst recht für Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der zugrundeliegenden Rechtsnormen gelten müsse.
41bb) Vor diesem Hintergrund kommt eine weitergehende Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids im Streitfall nicht in Betracht.
42(1) Das Gericht hält am Erfordernis eines besonderen berechtigen Aussetzungsinteresses bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes trotz der hierzu in der Literatur und finanzgerichtlichen Rechtsprechung geäußerten Kritik fest. Es ist insbesondere nicht festzustellen, dass der BFH insgesamt von dem Erfordernis einer Interessenabwägung abgerückt wäre. Sowohl der II. Senat (Beschluss vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV) BFH/NV 2023, 382), VI. Senat (Beschluss vom 28.10.2022 VI B 15/22 (AdV), BStBl II 2023, 12) als auch der VIII. Senat (Beschluss vom 17.12.2018 VIII B 91/18, BFH/NV 2019, 306) haben auch in ihrer jüngeren Rechtsprechung an dieser Abwägung festgehalten und die Aussetzung der Vollziehung aus Gründen eines überwiegenden öffentlichen Interesses abgelehnt. Dem sind auch einige FG gefolgt (zuletzt FG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 01.09.2023 3 V 3080/23, EFG 2023, 1642; FG Nürnberg, Beschluss vom 08.08.2023 8 V 300/23, EFG 2023, 1477). Ebenso hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 24.10.2011 (HFR 2012, 89) die Spruchpraxis des BFH nicht verworfen, sondern unter Bestätigung der Entscheidung lediglich im Ergebnis offengelassen, ob diese Rechtsprechung in jeder Hinsicht mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist.
43Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des BFH an. Es ist nicht erkennbar, dass die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelte Begründung für das Erfordernis einer Interessenabwägung in Fallgestaltungen wie der vorliegenden, die ihren Kern im Grundsatz der Gewaltenteilung und der hieraus folgenden Verwerfungskompetenz des BVerfG hat (vgl. zu dieser Begründung zuletzt BFH-Beschluss vom 18.01.2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382), keine Geltung mehr beanspruchen könnte. Diese Interessenabwägung bietet nach Auffassung des Senats vielmehr hinreichende Möglichkeit, den berechtigten Interessen sowohl des Staates als auch dem rechtsschutzsuchenden Steuerpflichtigen gerecht zu werden. Das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses, das gegen das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts abzuwägen ist, ist außerdem kein zusätzliches, unbestimmtes Tatbestandsmerkmal, sondern eine zulässige Interpretation des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO als Sollvorschrift und verstößt nicht grundsätzlich gegen den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Schutz, zumindest solange der sofortige Vollzug des Verwaltungsakts die Ausnahme bleibt; in Ausnahmefällen können überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen (so bereits BVerfG-Beschluss vom 06.04.1988 1 BvR 146/88, juris). Zu diesen Ausnahmefällen zählt der BFH – ausweislich der zitierten Entscheidungen – vor allem die behauptete Verfassungswidrigkeit der dem auszusetzenden Verwaltungsakt zugrundeliegenden Rechtsnormen.
44(2) Die demnach gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung des streitgegenständlichen Bescheids und dem individuellen Interesse der Antragstellerin an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes fällt im Streitfall zu Lasten der Antragstellerin aus. Das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung sowie am Vollzug eines ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes überwiegt das Interesse der Antragstellerin, das allein darin besteht, die Grundsteuer ab dem 01.01.2025 nicht unter Zugrundelegung des mit Bescheid vom 15.05.2023 festgestellten Grundsteuerwerts entrichten zu müssen.
45Weder dem Vorbringen der Antragstellerin noch dem sonstigen Akteninhalt lässt sich ein besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der weitergehenden Gewährung der Vollziehungsaussetzung entnehmen. Es liegt auch keine der oben genannten Fallgruppen vor, in welchen der BFH dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen eingeräumt hat.
46Insbesondere kann im Streitfall nicht angenommen werden, dass die Feststellung des Grundsteuerwerts für die Antragstellerin zu einer derart schwerwiegenden Belastung führt, dass ihr irreparable Nachteile drohen. Anderes ist von der Antragstellerin auch weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Hierbei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Feststellung des Grundsteuerwerts als Grundlagenbescheid für die Antragstellerin nicht bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine wirtschaftliche Folge nach sich zieht, sondern eine solche erst mit Wirkung zum 01.01.2025 haben kann, da die Kommunen erst zu diesem Zeitpunkt die Grundsteuer auf der Basis der ggf. geänderten Hebesätze erheben.
47Demgegenüber besteht am Vollzug der Neuregelungen zur Bewertung des Grundbesitzes für die Grundsteuer ab dem 01.01.2022 (§§ 218 bis 263 BewG) wegen der Sicherung einer geordneten Haushaltsführung ein öffentliches Interesse. Eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung aller Bescheide über die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 würde zu einer faktischen vorläufigen Außerkraftsetzung des BewG in Bezug auf diese Vorschriften für einen nicht absehbaren Zeitraum und damit bei den hebeberechtigten Kommunen letztlich zu erheblichen Einnahmeausfällen führen. Eine exakte Bestimmung dieser Einnahmeausfälle ist bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung nicht erforderlich (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15.06.2016 II B 91/15, BStBl II 2016, 846; vom 25.11.2014 VII B 65/14, BStBl 2015, 207). Die begehrte Aussetzung der Vollziehung hätte damit eine so weitreichende Wirkung, dass sie einer temporären Vorwegnahme des Verwerfungsmonopols des BVerfG gleichkäme.
48Auch die Erwägungen des BFH im Beschluss vom 12.04.2023 I B 74/22 (AdV) (BFH/NV 2023, 1178) dahingehend, ob eine auf den öffentlichen Belang einer geordneten Haushaltsführung abzielende Aussetzungsbedingung auch dann Wirkung haben sollte, wenn für das Streitjahr keine unmittelbare finanzielle Auswirkung in Rede steht, weil es ausschließlich um eine grundlagenbescheidsbezogene Wirkung einer Feststellung für Folgezeiträume geht, sind nach Auffassung des Senats auf die streitgegenständliche Fallkonstellation nicht übertragbar (so auch FG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 01.09.2023 3 V 3080/23, EFG 2023, 1642). Zwar handelt es sich auch hier um einen Feststellungsbescheid, dessen konkrete steuerliche Auswirkungen sich erst in der Zukunft ergeben werden, weil die Grundsteuerwerte erst für die ab dem Kalenderjahr 2025 zu erhebende Grundsteuer von Bedeutung sind (§ 37 Abs. 1 Grundsteuergesetz 2025 i.d.F. vom 30.11.2019). Jedoch hängen Zeitpunkt und Höhe der steuerlichen Auswirkungen der Feststellung der Grundsteuerwerte nicht von zukünftigen Entwicklungen, wie z.B. der Höhe der Einkünfte in den Folgejahren, ab.
49c) Nachrichtlich wird darauf hingewiesen, dass der Bescheid über die Feststellung des Grundsteuerwerts keine Auswirkungen auf die Grunderwerbsteuerfestsetzung hat. Die Grunderwerbsteuer wird im Fall eines Gesellschafterwechsels vielmehr nach den Grundbesitzwerten i.S. des § 151 Abs. 1 Satz Nr. 1 i.V.m. § 157 Abs. 1 bis 3 BewG bemessen (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes).
503. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Alt. 2 FGO.
514. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 151 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO und entsprechender Anwendung des § 151 Abs. 3 FGO (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 10.01.2012 V 288/11, EFG, 2012, 955).
525. Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
53Es ist bislang höchstrichterlich nicht entschieden, ob an dem Erfordernis eines besonderen berechtigten Aussetzungsinteresses wegen möglicher Verfassungswidrigkeit der zugrundeliegenden Rechtsnormen grundsätzlich, trotz der im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG geäußerten Kritik, weiterhin festgehalten wird.
54Zudem ist die Rechtsprechung der einzelnen FG bezüglich des Erfordernisses eines besonderen berechtigten Aussetzungsinteresses in Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes betreffend die Neuregelungen zur Feststellung des Grundsteuerwerts uneinheitlich. Zwar sehen einige FG das besondere berechtigte Aussetzungsinteresse ebenfalls als erforderlich an (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.09.2023 3 V 3080/23, EFG 2023, 1642; FG Nürnberg, Beschluss vom 08.08.2023 8 V 300/23, EFG 2023, 1405), wohingegen das FG Rheinland-Pfalz mit Beschlüssen vom 23.11.2023 4 V 1295/23 (EFG 2024, 93) und 4 V 1429/23 (EFG 2024, 135) entschieden hat, dass das Erfordernis eines besonderen berechtigten Aussetzungsinteresses das Recht auf effektiven Rechtschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG unverhältnismäßig beeinträchtige.