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Auf die Klage der Klägerinnen zu 1)-3) wird der geänderte Bescheid für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes vom 02.12.2019 aufgehoben.
Auf die Klage der Klägerin zu 4) wird der geänderte Gewerbesteuermessbescheid 2014 vom 25.11.2019 aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig ist, ob eine im Streitjahr (2014) gezahlte Entschädigung für die Nicht-Inanspruchnahme eines Kredites unter die Zinsschranke fällt.
3Die Klägerinnen zu 1) bis 3) waren Kommanditistinnen der E. (im Folgenden: E.). Die E. wurde im Wege des Formwechsels in eine GmbH umgewandelt, die Klägerin zu 4). Die Umwandlung erfolgte mit steuerlicher Wirkung zum 31.12.2014.
4Die Klägerin zu 1), damals noch unter der Firma L. GmbH, hielt 94,8 % der Kommanditanteile. Die Komplementärin, die C. GmbH (später X. GmbH), war am Betriebsvermögen der E. nicht beteiligt und wurde später als übertragender Rechtsträger mit der Klägerin zu 1) verschmolzen.
5Die E. erwarb im Jahr 2011 Grundstücke in B., auf denen u.a. ein neues Shoppingcenter („Z.“) errichtet wurde. Zur Finanzierung des Bauvorhabens schloss sie zunächst einen Kreditvertrag über eine Zwischenfinanzierung ab. Die Laufzeit der Kredite über insg. ... EUR war befristet bis zum 30.06.2014. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte das Bauvorhaben abgeschlossen sein.
6Außerdem schloss sie mit der I. AG (später: A. AG, im Folgenden: Bank) 2011 einen Kreditvertrag in Höhe von ... EUR zur Ablösung der Zwischenfinanzierung. Der Kredit sollte zum 01.04.2014 ausgezahlt werden. Die Laufzeit war befristet bis zum 30.04.2019. Sollte die E. den Kredit nicht oder nicht in voller Höhe am 30.04.2014 abgenommen haben, so war sie zur Zahlung einer Bereitstellungsprovision in Höhe von 3 % p.a. verpflichtet. Darüber hinaus war sie in diesem Fall zum Ersatz des durch die Nichtabnahme entstandenen Schadens verpflichtet.
7Im Jahr 2012 übernahm die K. die O.-Unternehmensgruppe, zu der die E. gehörte. Die Finanzierung des Projekts sollte infolgedessen künftig konzernintern erfolgen. Die E. nahm daher den Kredit der Bank nicht in Anspruch. Sie zahlte an die Bank im Streitjahr ... EUR. Darin enthalten waren Bereitstellungszinsen für die Zeit vom 01.-02.12.2014 in Höhe von ... EUR und eine Nichtabnahmeentschädigung in Höhe von ... EUR. Wegen der Einzelheiten der Berechnung der Entschädigung wird auf Bl. 54 d.A. Bezug genommen. Die unstreitig im Rahmen des § 4h des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigenden Zinsaufwendungen betrugen ... EUR, die Zinserträge ... EUR. Sie erzielte insgesamt einen Verlust in Höhe von ... EUR. Das steuerliche EBITDA betrug ... EUR.
8Die E. kam zu dem Ergebnis, dass die Zinsaufwendungen im Streitjahr gem. § 4h EStG (Zinsschranke) abziehbar seien. Denn der Betrag der Zinsaufwendungen, soweit er den Betrag der Zinserträge übersteige, betrage weniger als 3 Millionen EUR. Insoweit ging sie davon aus, dass (u.a.) die Bereitstellungszinsen und die Nichtabnahmeentschädigung für die Berechnung der Zinsschranke nicht relevant seien. Außerdem nahm sie für die Nichtabnahmeentschädigung keine Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 1 Buchstabe a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) vor.
9Die Einkünfte der Gesellschafter der E. aus Gewerbebetrieb wurden gesondert und einheitlich festgestellt. Das beklagte Finanzamt (FA) stellte die Einkünfte für das Streitjahr zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Den Gewerbesteuermessbetrag setzte es unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 0 EUR fest.
10Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung Y. führte 2019 eine Außenprüfung bei der E. u.a. wegen Feststellung und Gewerbesteuer 2011-2014 durch. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, die Nichtabnahmeentschädigung stelle Zinsaufwand gem. § 4h EStG dar und müsse außerbilanziell dem Gewinn hinzugerechnet werden. Zur Begründung führte er aus, die Bank habe der E. über drei Jahre ein Darlehen zur Verfügung gestellt, für das die E. Bereitstellungszinsen gezahlt habe. Die Nichtabnahmeentschädigung sei wie eine Vorfälligkeitsentschädigung zu behandeln. Er nahm eine außerbilanzielle Hinzurechnung in Höhe von ... EUR vor. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf Bl. 152 f. d.A. Bezug genommen.
11Das FA folgte den Feststellungen des Prüfers und stellte mit Änderungsbescheid vom 02.12.2019 statt eines Verlustes in Höhe von -... EUR einen Gewinn in Höhe von ... EUR sowie die sich daraus ergebenden Zinsvorträge fest. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob es auf. Der Gewerbesteuermessbetrag wurde auf ... EUR unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung heraufgesetzt. Dabei nahm es eine Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG in Höhe der nach seiner Berechnung gem. § 4h EStG abzugsfähigen Zinsaufwendungen, nämlich i.H.v. ... EUR, vor. Der Feststellungsbescheid wurde den ehemaligen Gesellschaftern einzeln bekanntgegeben.
12Gegen die Änderungsbescheide legten die Klägerinnen am 27.12.2019 Einspruch ein. Sie vertraten die Auffassung, die Nichtabnahmeentschädigung falle wie Bereitstellungszinsen, Kreditvermittlungsprovisionen u.ä. nicht unter die Zinsschranke. Das FA hat über die Einsprüche bislang nicht entschieden. Die Klägerin zu 4) kündigte mit Schreiben vom 06.02.2023 und 22.03.2023 an, Untätigkeitsklage zu erheben, falls das FA nicht über die Einsprüche entscheide.
13Die Klägerinnen erhoben am 21.06.2023 eine Untätigkeitsklage. Die Klage richtet sich hins. der Klägerinnen zu 1) – 3) gegen den Feststellungsbescheid, hinsichtlich der Klägerin zu 4) gegen den Gewerbesteuermessbescheid.
14Die Klägerinnen sind der Auffassung, die Untätigkeitsklage sei zulässig. Das FA habe sie zwar nach der Einspruchseinlegung informiert, es müsse der Oberfinanzdirektion bzw. dem Finanzministerium berichten, seitdem seien jedoch Jahre vergangen. Auf die Mahnung der Klägerinnen vom 22.03.2023 habe das FA nicht reagiert. Die rechtliche Bewertung im Streitfall sei nicht abhängig von dem Ausgang des Normenkontrollverfahrens betreffend die Verfassungsmäßigkeit des § 4h EStG (Az. des Bundesverfassungsgerichts: 2 BvL 1/16).
15Sie tragen in der Sache vor, bei der Nichtabnahmeentschädigung handele es sich nicht um eine Vergütung für Fremdkapital im Sinne des § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG. Diese Vorschrift solle nach den Gesetzgebungsmaterialien (Bundestags-Drucksache 16/4841) nur Vergütungen erfassen, die als Gegenleistungen für die Überlassung des Fremdkapitals gewährt würden. Keine Vergütungen für Fremdkapital seien dagegen Gebühren für die Vermittlung eines Kredits, Avalprovisionen, Bereitstellungszinsen oder Schadensersatzleistungen für die Nichtinanspruchnahme eines Kredits.
16Zwar sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Vorfälligkeitsentschädigung als Entgelt für Dauerschulden nach § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG zu behandeln. Die gezahlte Entschädigung könne aber nicht mit einer Vorfälligkeitsentschädigung verglichen werden, weil im Streitfall die Darlehensvaluta niemals zur Auszahlung gelangt sei. Es fehle insoweit an der Überlassung des Fremdkapitals.
17Im Streitfall sei mangels Auszahlung der Darlehensvaluta kein Fremdkapital gegeben gewesen. Vielmehr habe ein nicht zu bilanzierendes schwebendes Geschäft vorgelegen und es sei keine Darlehensverbindlichkeit zu passivieren gewesen. Anders als das FA annehme, begründe nicht bereits der Abschluss eines Darlehensvertrages, sondern erst die Bereitstellung der Valuta Fremdkapital.
18Die Entschädigung sei mit Bereitstellungszinsen vergleichbar, die kein Entgelt für Dauerschulden nach § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG darstellten. Bereitstellungszinsen würden vom Darlehensgeber erhoben, wenn der vertraglich vorgesehene und zum Abruf bereitgestellte Darlehensbetrag vom Darlehensnehmer erst später oder nur teilweise abgerufen werde. Die Nichtabnahmeentschädigung werde gleichfalls für den Nichtabruf des Darlehensbetrags geleistet.
19Die Rechtsprechungsgrundsätze betreffend § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG müssten trotz der unterschiedlichen Termini – „Entgelte für Schulden“ einerseits, „Vergütungen für Fremdkapital“ andererseits – auch zur Auslegung des § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG herangezogen werden.
20Die Gesetzgebungsmaterialien zu § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. sprächen für diese Auslegung des Gesetzes. Eine Anpassung der nationalen Regelung sei notwendig gewesen, weil die bisherige (engere) Definition der Zinsaufwendungen hinter den Vorgaben der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie der EU (ATAD) zurückgeblieben sei. Die neue Fassung erfasse nun auch andere wirtschaftlich mit Zinsen vergleichbare Aufwendungen sowie Aufwendungen für die Beschaffung von Fremdkapital.
21Die Klägerinnen zu 1) bis 3) beantragen,
22den geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2014 und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a EStG auf den 31.12.2014 vom 02.12.2019 aufzuheben;
23hilfsweise, die Verfahrensruhe bis zur Entscheidung über die Normenkontrolle 2 BvL 1/16 anzuordnen;
24hilfsweise, die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Normenkontrolle 2 BvL 1/16 anzuordnen;
25hilfsweise, die Revision zuzulassen.
26Die Klägerin zu 4) beantragt,
27den geänderten Gewerbesteuermessbescheid 2014 vom 25.11.2019 aufzuheben;
28hilfsweise, die Verfahrensruhe bis zum Abschluss des Normenkontrollverfahrens 2 BvL 1/16 anzuordnen;
29hilfsweise, die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung in dem Normenkontrollverfahren 2 BvL 1/16 anzuordnen;
30hilfsweise, die Revision zuzulassen.
31Der Beklagte beantragt,
32die Klagen abzuweisen;
33hilfsweise, jeweils die Revision zuzulassen.
34Das FA ist der Auffassung, die Nichtabnahmeentschädigung unterliege der Zinsschranke. Es bestehe ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang mit Fremdkapital. Die Aufwendungen stünden bei einer wirtschaftlichen Betrachtung für die Zinsen, die die Bank erhalten hätte, denn ihre Berechnung stütze sich auf die dieser entgangenen Zinsen. Insoweit müssten sie wie die Zinsen der Zinsschranke unterliegen. Sie seien mit einer Vorfälligkeitsentschädigung vergleichbar, die unstreitig der Zinsschranke unterliege.
35Auch die Gesetzesmaterialien sprächen für diese Auslegung des Gesetzes. Die Nutzung von Fremdkapital beziehe sich nicht nur auf die eigentliche Nutzungsüberlassung an sich. Deshalb seien Entschädigungszahlungen und Bereitstellungszinsen als Zinsaufwendungen zu qualifizieren. Der zeitliche Aspekt der Nutzungsüberlassung werde durch die Bereitstellungszinsen und Entschädigungszahlungen als Entgelt für das Fremdkapital quasi „erkauft“. Dass im vorliegenden Fall die Inanspruchnahme des Fremdkapitals letztlich nicht erfolgt sei, dürfe (steuerlich) keinen Unterschied machen.
36Die E. sei gem. § 488 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verpflichtet gewesen, das Darlehen abzunehmen. Das Darlehen sei zwar als schwebendes Geschäft noch nicht zu bilanzieren gewesen. Dessen ungeachtet sei das Darlehen als Fremdkapital zu qualifizieren.
37Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Hinzurechnung von Bereitstellungszinsen nach § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG lasse sich nicht auf § 4h EStG übertragen. Die Begrifflichkeiten „Entgelte für Schulden“ und „Vergütungen für Fremdkapital“ seien zwar ähnlich, dennoch unterschieden sie sich. Dies sei auch der Grund, warum die Rechtsprechung zu Entgelten für Schulden nicht uneingeschränkt auf den Begriff der Zinsaufwendungen im Sinne des § 4h EStG übertragen werden könne.
38Außerdem seien Bereitstellungszinsen und die gezahlte Nichtabnahmevergütung nicht vergleichbar, was schon daraus folge, dass diese (im Streitfall) separat in Rechnung gestellt worden seien. Bereitstellungszinsen vergüteten nicht die Fremdkapitalüberlassung, sondern die vorherige Bereithaltung des zukünftig zu überlassenden Kapitals. Sinn und Zweck der Bereitstellungszinsen und der Nichtabnahmeentschädigung fielen auseinander.
39Die Gesetzesmaterialien zu § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. dürften nicht zur Auslegung der auf das Streitjahr anzuwendenden Fassung des Gesetzes herangezogen werden.
40Das FA hat dem hilfsweise von den Klägerinnen gestellten Antrag, das Verfahren im Hinblick auf das Normenkontrollverfahren 2 BvL 1/16 beim Bundesverfassungsgericht zum Ruhen zu bringen, nicht zugestimmt.
41Entscheidungsgründe
421. Die Untätigkeitsklage ist zulässig (§ 46 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Über die Einsprüche der Klägerinnen hat das FA ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist nicht entschieden. Der Umstand, dass das FA der Oberfinanzdirektion bzw. dem Finanzministerium berichten musste, kann ein jahrelanges Abwarten nicht rechtfertigen. Auch das laufende Normenkontrollverfahren zu § 4h EStG rechtfertigt kein Abwarten, weil der Streitfall in erster Linie die einfachgesetzliche Anwendung der Norm betrifft.
432. Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Änderungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Änderungsbescheide sind mit der Maßgabe aufzuheben, dass es bei der ursprünglichen Gewinnfeststellung bzw. dem ursprünglichen Gewerbesteuermessbescheid verbleibt, die rechtmäßig waren.
44a) Das FA hat den Feststellungsbescheid zu Unrecht geändert. Die Gewinnfeststellung in dem ursprünglichen Feststellungsbescheid war rechtmäßig.
45Zinsaufwendungen sind gem. § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 22.12.2009 (§ 4h EStG a.F.) unter näher bestimmten Voraussetzungen nur beschränkt abziehbar. Dies ist gem. § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchstabe a EStG nicht der Fall, wenn der Betrag der Zinsaufwendungen, soweit er den Betrag der Zinserträge übersteigt, weniger als drei Millionen EUR beträgt (Freigrenze). Die Zinsaufwendungen der E. überschritten diese Freigrenze nicht, denn die Nichtabnahmeentschädigung stellte keine Zinsaufwendungen im Sinne des § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG a.F. dar. Die übrigen Zinsaufwendungen überschritten die Freigrenze nicht.
46aa) § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG a.F. definiert Zinsaufwendungen als Vergütungen für Fremdkapital, die den maßgeblichen Gewinn gemindert haben. § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. in der Fassung des Art. 20 des Kreditzweitmarktförderungsgesetzes vom 22.12.2023 nimmt nunmehr auf die Definition der Zinsaufwendungen in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.07.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts (Anti-Steuervermeidungsrichtlinie – ATAD) Bezug, die einen deutlich detaillierteren Katalog der Kosten enthält, die als Zinsaufwendungen anzusehen sind. Diese Richtlinie legt ein „Mindestschutzniveau“ für körperschaftsteuerpflichtige Steuerpflichtige fest (Art. 1 und 3), zu dem auch eine Zinsschranke gem. Art. 4 gehört. Die neue Fassung des § 4h EStG ist gem. § 52 Abs. 8b EStG erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 14.12.2023 beginnen und nicht vor dem 01.01.2024 enden. Die neue und vermutlich umfassendere Definition der Zinsaufwendungen ist daher auf den Streitfall nicht anzuwenden.
47bb) Eine Nichtabnahmeentschädigung ist keine Vergütung für Fremdkapital (so auch Pohl in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 4h EStG, Rn. 68; Förster in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, 4. A. 2020, § 8a Rn. 272; Häuselmann, FR 2009, 401, 408; a.A. Möhlenbrock/ Pung in Dötsch/ Pung/ Möhlenbrock, Körperschaftsteuergesetz, § 8a Rn. 218). Sie stellt wie die Vorfälligkeitsentschädigung zivilrechtlich keinen Zins im Rechtssinne, sondern Schadensersatz wegen Nichterfüllung dar (§§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB; vgl. z.B. Omlor in Staudinger (2021), BGB, § 246 Rn. 38 m.w.N.). Allerdings unterfallen § 4h EStG nicht nur Zinsen im eigentlichen Sinne, sondern auch andere Vergütungen für Fremdkapital. Es handelt sich bei der Nichtabnahmeentschädigung jedoch auch nicht um eine andere Vergütung für Fremdkapital.
48Der Senat legt § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG a.F. dahin aus, dass eine Nichtabnahmeentschädigung keine Vergütung für Fremdkapital darstellt:
49(1) Gegen die Annahme, es handele sich um eine Vergütung für Fremdkapital, spricht bereits der Wortlaut der Norm. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird man nicht sagen können, dass Schadensersatz für die Nichtabnahme des Kredits eine Vergütung „für“ Fremdkapital darstellt, denn Fremdkapital wird in dieser Konstellation nicht aufgenommen, der Kredit kommt gerade nicht zur Auszahlung. Die Nichtabnahmeentschädigung wird gerade dafür gezahlt, dass der Steuerpflichtige kein Fremdkapital aufnehmen muss. Sie wird somit nicht „für“ Fremdkapital, sondern allenfalls „anstelle“ der Zinsen gewährt, die bei der Durchführung des Kreditvertrages „für“ die Möglichkeit der Nutzung des Fremdkapitals angefallen wären.
50Unerheblich ist, dass die E. eine Pflicht zur Abnahme des Darlehens traf (vgl. dazu Freitag in Staudinger (2015), BGB, § 488, Rn. 217 f.; K.P. Berger in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, § 488 Rn. 67 f.). Die vertragliche Verpflichtung zur Abnahme eines Darlehens führt jedenfalls nicht dazu, dass bereits vor der Auszahlung des Darlehens Fremdkapital vorläge. Die Bedeutung einer entsprechenden Verpflichtung besteht darin, dass bei einer Vertragsverletzung durch Nichtabnahme des Darlehens Schadenersatz zu leisten ist.
51Ein bloß sachlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag genügt nach dem Wortlaut der Norm in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung für die Annahme von Zinsaufwendungen nicht. Ein solcher Zusammenhang bestünde allerdings ohne weiteres: Das FA weist insoweit zutreffend darauf hin, dass sich die Höhe der Nichtabnahmeentschädigung an den entgangenen Zinsen orientiert, die bei Durchführung des Kreditvertrages hätten gezahlt werden müssen. Außerdem ist der (Schadensersatz-) Anspruch ausdrücklich in dem Kreditvertrag geregelt.
52§ 4h Abs. 3 Satz 2 EStG a.F. stellt, anders als möglicherweise die neue Fassung der Definition der Zinsaufwendungen, nicht bloß auf einen rein sachlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Fremdkapitalaufnahme, sondern darauf ab, ob es sich um eine Vergütung für Fremdkapital handelt. Nicht jede in einem sachlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Darlehensvertrag entstandene Aufwendung ist zugleich eine Vergütung für Fremdkapital. Denn eine Vergütung setzt begrifflich, anders als der Schadensersatz, etwas Empfangenes voraus.
53(2) Gegen die Annahme, es handele sich bei einer Nichtabnahmeentschädigung um Zinsaufwendungen, spricht auch ein Vergleich mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 8 Nr. 1 Buchstabe a Satz 1 GewStG. Danach wird ein Viertel der Summe der Entgelte für Schulden dem Gewinn hinzugerechnet. Diesbezüglich ist geklärt, dass Bereitstellungszinsen nicht, dafür jedoch Vorfälligkeitsentschädigungen als Entgelte für Schulden anzusehen sind (siehe BFH-Urteil vom 10.07.1996 I R 12/96, BStBl. II 1997, 253 und BFH-Urteil vom 25.02.1999 IV R 55/97, BStBl. II 1999, 473). R 8.1 Abs. 1 Satz 9 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009 und H 8.1 Abs. 1 des Gewerbesteuer-Handbuchs 2016 folgen insoweit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
54Der ähnliche Wortlaut der Vorschriften des § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG („Vergütungen für Fremdkapital“) und § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG („Entgelte für Schulden“) legt jedenfalls für die von Kreditinstituten üblicherweise verlangten Entgelte ein übereinstimmendes Verständnis nahe. Die zu § 8 Nr. 1 Buchstabe a Satz 1 GewStG ergangene Rechtsprechung kann daher grundsätzlich auch für die Auslegung des § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG herangezogen werden (BFH-Beschluss vom 22.03.2023 XI R 45/19, BFHE 280, 208).
55Der BFH hat zu § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG entschieden, dass eine Vorfälligkeitsentschädigung wirtschaftlich als Entgelt für den abgelösten Kredit anzusehen ist. Dabei hat er entscheidend darauf abgestellt, dass der Kreditvertrag nicht aufgehoben werde und es sich insoweit um einen Anspruch aus dem Darlehensvertrag handele (BFH-Urteil vom 25.02.1999 IV R 55/97, BStBl. II 1999, 473). Gewissermaßen betrachtet der BFH die Vorfälligkeitsentschädigung als ein zusätzliches Entgelt für die Möglichkeit der Nutzung des Fremdkapitals (ablehnend Köhler/ Hahne, DStR 2008, 1505, 1508; Korn in Korn, EStG, § 4h Rn. 147; Tschesche in Bordewin/Brandt, EStG, § 4h Rn. 143; Förster in Gosch, KStG, § 8a Rn. 272).
56Diese Argumentation lässt sich nicht auf eine Sachverhaltskonstellation übertragen, in der es erst gar nicht zur Auszahlung der Darlehensvaluta kommt. Der IV. Senat führt selbst aus, seine Rechtsprechung zur Vorfälligkeitsentschädigung widerspreche nicht der Entscheidung des I. Senats zu den Bereitstellungszinsen, weil im Fall der Bereitstellungszinsen eine Dauerschuld noch nicht existiere (a.a.O. Rn. 17). Wird eine Nichtabnahmeentschädigung gezahlt, existiert eine solche Dauerschuld ebenso wenig, so dass die Nichtabnahmeentschädigung wie die Bereitstellungszinsen weder ein Entgelt für Schulden im Sinne des § 8 Nr. 1 Buchstabe a Satz 1 GewStG noch eine Vergütung für Fremdkapital im Sinne des § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG darstellt.
57(3) Auch die Gesetzgebungsmaterialien sprechen für diese engere Auslegung der gesetzlichen Definition des Begriffs der Zinsaufwendungen in der für das Streitjahr anzuwendenden Fassung. Dem Gesetzesentwurf zum Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 (Bundestags-Drucksache 16/4841, S. 31), mit dem § 4h EStG eingeführt wurde, ist zu entnehmen, dass die Zinsschranke gegen eine übermäßige Fremdkapitalfinanzierung gerichtet sein und verhindern soll, dass allein aus Gründen der Steueroptimierung – etwa über eine konzerninterne Fremdkapitalfinanzierung – eine hohe Fremdkapitalquote angestrebt wird. Weiterhin soll verhindert werden, dass sich Konzerne gezielt über ihre deutschen Tochtergesellschaften auf dem Kapitalmarkt verschulden und über die Zinsen ihre Steuerbemessungsgrundlage in Deutschland vermindern.
58Berücksichtigt man diese gesetzgeberischen Motive für die Einführung der Zinsschranke, so ist kein Grund ersichtlich, warum eine Nichtabnahmeentschädigung der Zinsschranke unterfallen sollte. Sie führt gerade nicht zu einer Erhöhung der Fremdkapitalquote. Auch unter dem Gesichtspunkt der Steuergestaltung oder Steueroptimierung ist der vorliegende Sachverhalt denkbar ungeeignet, da letztlich der E. bzw. dem Konzern ein beträchtlicher Nachteil im Vergleich mit einer rein konzerninternen Finanzierung entstanden ist. Der streitgegenständliche Sachverhalt kann vor diesem Hintergrund ohnehin nur im Hinblick auf den Aufkauf der O.-Gruppe durch den K. Konzern verstanden werden.
59Zu der Definition der Zinsaufwendungen findet sich in den Gesetzgebungsmaterialien weiterhin der Hinweis, dass die Zinsschranke nur „Zinserträge und Zinsaufwendungen im engeren Sinne“, d.h. aus der vorübergehenden Überlassung von Geldkapital, erfasse (a.a.O. S. 49). Dies spricht zumindest tendenziell für eine engere Auslegung der gesetzlichen Definition.
60Die Gesetzesmaterialien zum Kreditzweitmarktförderungsgesetz (insb. Bundestags-Drucksache 20/9782, S. 193) sprechen ebenfalls dafür, dass die ursprüngliche Definition des Begriffs der Zinsaufwendungen, die auf den Streitfall anzuwenden ist, enger als § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG n.F. zu verstehen ist. So wurde die Anpassung der Definition des Begriffs der Zinsaufwendungen deshalb als notwendig erachtet, weil der bisherige Begriff der Zinsaufwendungen insoweit hinter den Vorgaben der ATAD zurückbleibe, als von der Zinsschranke bislang ausschließlich Vergütungen für Fremdkapital erfasst würden, wohingegen nach der ATAD neben Zinsaufwendungen für alle Arten von Forderungen auch andere wirtschaftlich mit Zinsen vergleichbare Aufwendungen sowie – anhand eines nicht als abschließend zu verstehenden Katalogs näher beschriebene – Aufwendungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Fremdkapital („expenses incurred in connection with the raising of finance“) dem Abzugsverbot zu unterwerfen seien. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sein muss, dass nach § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG a.F. ein (bloßer) sachlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang der Aufwendungen mit der Beschaffung von Fremdkapital nicht ausreichte.
61b) Die Änderung des Gewerbesteuermessbescheids war ebenfalls rechtswidrig. Der ursprüngliche Gewerbesteuermessbescheid war dagegen rechtmäßig: Die Zinsschranke gem. § 4h EStG hat aus den vorgenannten Gründen keine Auswirkung auf den Gewerbeertrag (§§ 6, 7 Satz 1 GewStG). Die abzugsfähigen Zinsen in Höhe von ... EUR sind nach der Maßgabe des § 8 Nr. 1 Buchstabe a Satz 1 GewStG zum Gewinn hinzuzurechnen. Die Nichtabnahmeentschädigung stellt kein Entgelt für Schulden im Sinne des § 8 Nr. 1 Buchstabe a Satz 1 GewStG dar. Sie ist insoweit, wie bereits ausgeführt, mit Bereitstellungszinsen vergleichbar, die kein Entgelt für Schulden im Sinne des § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG darstellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 10.07.1996 I R 12/96, BStBl. II 1997, 253). Entscheidend ist sowohl bei den Bereitstellungszinsen als auch bei der Nichtabnahmeentschädigung, dass mangels Auszahlung der Darlehensvaluta keine Rückzahlungsschuld im Sinne des § 8 Nr. 1 Buchstabe a Satz 1 GewStG vorliegt.
623. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.