Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Der Einfuhrabgabenbescheid vom 20. Dezember 2019 (AT/S/N01) in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2021 wird aufgehoben, soweit nicht Zoll für die Einfuhren vom 22. Januar, 30. Januar und 26. Februar 2017 (NEE Positionen 23, 42, 96) i.H.v. ... € erstattet wurde.
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 3. September 2021 und unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Oktober 2021 jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 2021 verpflichtet, der Klägerin Zoll i.H.v. ... € zu erstatten.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Zinsen für einen Betrag von ... € ab dem 2. Januar 2020 sowie für einen weiteren Betrag von ... € ab dem 8. Januar 2020 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit am 3. Mai 2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 15,63 % und der Beklagte zu 84,37 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die zolltarifliche Einreihung von Röntgen-Flachbilddetektoren.
3Die Klägerin führte aus dem Ausland im Zeitraum vom 6. Januar bis zum 28. Februar 2017 in 98 Fällen verschiedene Modelle von Röntgen-Flachbilddetektoren ein. Diese meldete sie zum Teil unter den Unterpositionen 9022 12 00 („Röntgenapparate für die Computertomographie“), 9022 19 00 („Röntgenapparate für andere Zwecke“) und 9022 90 20 („Teile und Zubehör für Röntgenapparate“) der Kombinierten Nomenklatur (KN) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2016/1821 der Kommission vom 6. Oktober 2016 (ABl. EU Nr. L 294/1) zollfrei zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an. In den übrigen Einfuhrfällen meldete die Klägerin die Waren unter der Unterposition 9022 90 80 KN („andere“ Waren der Position 9022 KN) zur Überlassung zum zollrechtlich freien Verkehr an und entrichtete bei einem Drittlandszollsatz von 2,1 % Zoll i.H.v. ... €.
4Die Röntgen-Flachbilddetektoren werden zu medizinischen oder industriellen Zwecken eingesetzt, um von einer externen Quelle erzeugte Röntgenstrahlung nach dem Durchtritt durch einen Patienten oder ein Untersuchungsobjekt in digitale Bilddaten umzuwandeln. Sie enthalten insbesondere eine überwiegend aus Cäsiumjodid bestehende Szintillationsschicht (Szintillator), die auf einer Anordnung von Dünnschichttransistoren und Fotodioden (Thin-Film-Transistors and Photodiode Array - TFT-Panel -) aufgetragen ist. Das TFT-Panel ist wiederum mit einer Bildgebungselektronik (u.a. sog. gedruckten Schaltungen) verbunden. Der Szintillator absorbiert die Energie der einfallenden Röntgenstrahlung, die in Abhängigkeit der Dichte der durchstrahlten Materie abgeschwächt wurde, und emittiert diese in Form von Licht im Inneren des Detektors. Die Lichtstrahlen werden vom lichtempfindlichen TFT-Panel als analoge elektrische Signale gespeichert, die von den gedruckten Schaltungen in digitale Bilddaten umgewandelt werden. In Abhängigkeit von der empfangenen Intensität der Röntgenstrahlen ergibt sich ein zu betrachtendes Graustufenbild. Am lichtundurchlässigen Außengehäuse, über dessen aktive Fläche die Röntgenstrahlung durchdringen kann, befinden sich ein Stromanschluss und eine Schnittstelle zum Datenaustausch, über die die erzeugten Bilddaten an einen externen Computer zur Bilddarstellung weitergegeben werden. Die in drei Vorgängen eingeführten Röntgen-Flachbilddetektoren vom Modell „D.“ verfügen außerdem über eine interne Bildspeichervorrichtung in Form einer Speicherkarte sowie ein WLAN-Modul zur drahtlosen Datenübertragung.
5Im Rahmen einer Zollprüfung reihte der Beklagte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 20. Dezember 2019 (AT/S/N01) die in 95 Vorgängen eingeführten Modelle ohne Speicherfunktion abweichend zu den Zollanmeldungen in die Unterposition 8525 80 19 KN („andere Fernsehkameras“) ein und berechnete bei einem Drittlandszollsatz von 4,1 % Zoll i.H.v. ... €. Nach Anrechnung des für diese Einfuhren bereits gezahlten Zolls von ... € ergab sich ein nacherhobener Betrag von ... €. Das Modell „D.“ mit Speicherfunktion (Einfuhren vom 22. Januar, 30. Januar und 26. Februar 2017, im Bescheid NEE Positionen 23, 42, 96) reihte er hingegen in die zollfreie Unterposition 8525 80 30 KN („digitale Fotoapparate“) ein. Da die Klägerin dieses Modell zuvor unter der Unterposition 9022 90 80 KN zu einem Drittlandszollsatz von 2,1 % angemeldet hatte, ergab sich insoweit ein Erstattungsbetrag von ... €, den der Beklagte mit dem nacherhobenen Betrag verrechnete. Den verbleibenden, am 2. Januar 2020 fälligen Zoll i.H.v. ... € zahlte die Klägerin am 8. Januar 2020.
6Gegen den Nacherhebungsbescheid legte die Klägerin am 3. Januar 2020 Einspruch ein und beantragte zugleich die Erstattung „der aufgrund des Bescheides zu viel gezahlten Einfuhrabgaben gemäß den Art. 116 Abs. 1 Buchst. a-d, 117, 118, 119 und 120“ der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK) zzgl. Zinsen. Mit ihrer Einspruchs- und Antragsbegründung vom 2. November 2020 gab sie an, dass sich der Erstattungsantrag auf den gesamten Zoll i.H.v. ... € beziehe.
7Am 3. Mai 2021 hat die Klägerin Untätigkeitsklage bzgl. ihres Einspruchs gegen den Nacherhebungsbescheid erhoben (Az. 4 K 1080/21 Z).
8Zudem legte sie beim Beklagten am 10. Mai 2021 im Hinblick auf ihr Erstattungsbegehren Untätigkeitseinspruch ein.
9Mit Bescheid vom 3. September 2021 lehnte der Beklagte das Erstattungsbegehren der Klägerin unter Prüfung sämtlicher Erstattungsgründe der Art. 117-120 UZK ab, soweit dieses über den Streitgegenstand des Anfechtungsverfahrens (Az. 4 K 1080/21 Z) hinausgehe, „mithin über das Erstattungsbegehren der (erstmalig) buchmäßig erfassten Einfuhrabgaben ZOLLEU von ... €“.
10Hiergegen legte die Klägerin am 21. September 2021 Einspruch ein.
11Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2021 wies der Beklagte den Einspruch vom 3. Januar 2020 gegen den Einfuhrabgabenbescheid vom 20. Dezember 2019 als unbegründet zurück. Hierbei lehnte er unter Prüfung der Gründe der Art. 117 und 119 UZK zugleich den Erstattungsanspruch im Umfang des Nacherhebungsbetrags von ... € ab.
12Der Berichterstatter des Senats wies die Beteiligten mit Schreiben vom 19. Oktober 2021 darauf hin, dass unter der Geltung des UZK die Entscheidung über den Erstattungsgrund nach Art. 119 UZK in der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2021 einen Erstbescheid darstelle. Daraufhin legte die Klägerin am 27. Oktober 2021 gegen die abgelehnte Erstattung der Einfuhrabgaben Einspruch ein.
13Mit Entscheidung vom 22. Dezember 2021 wies der Beklagte die Einsprüche vom 3. September 2021 und vom 27. Oktober 2021 gegen die Ablehnungen der Erstattung als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte u.a. aus, der Erstattungsantrag der Klägerin vom 3. Januar 2020 beziehe sich nur auf den nachgeforderten Zoll i.H.v. ... €. Das Schreiben vom 2. November 2020 stelle hingegen einen weitergehenden, eigenständigen Antrag auf Erstattung der angemeldeten Einfuhrabgaben von ... € dar, der jedoch außerhalb der Antragsfrist gestellt worden sei.
14Hiergegen hat die Klägerin am 21. Januar 2022 Klage (Az. 4 K 119/22 Z) erhoben.
15Im Klageverfahren macht die Klägerin unter Einbeziehung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen geltend:
16Sämtliche Modelle der Röntgen-Flachbilddetektoren seien aufgrund ihrer Röntgenaufnahme-Funktion, ihrer stofflichen Beschaffenheit und ihres Verwendungszwecks als Röntgenapparate in die Unterpositionen 9022 12 00, 9022 14 00 oder 9022 19 00 KN einzureihen. Die für die Tarifierung maßgeblichen objektiven Merkmale seien bei allen Modellen insbesondere der Szintillator sowie das TFT-Panel und die elektronischen Schaltungen. Die einheitliche Funktion der Detektoren bestehe darin, unsichtbare Röntgenstrahlung in Bilder umzuwandeln. Für diese Einreihung spreche ferner der bis zum 31. Dezember 2016 für TFT-Panel samt Szintillator gültige TARIC-Code 9022 90 00 10, der den Detektor als Röntgengerät beschreibe. Nunmehr habe die Weltzollorganisation (WZO) mit einem am 30. April 2020 veröffentlichten Avis zum Harmonisierten System (HS) ein TFT-Panel für einen digitalen Röntgendetektor als Teil eines Röntgengeräts der Unterposition 9022 90 HS zugewiesen. Wenn ein TFT-Panel für einen Röntgendetektor als Teil eines Röntgengeräts gelte, sei der Röntgendetektor selbst als Hauptware, d.h. als Röntgenaufnahme-Gerät i.S.d. Erläuterungen zum HS - Erl(HS) - zu Position 9022 Rz 0.5 einzureihen.
17Weder der Positionswortlaut noch die Erl(HS) zu Position 9022 KN verlangten, dass ein Röntgengerät über eine integrierte Strahlenquelle verfügen müsse. Hierfür spreche zudem der Wortlaut der englischen Fassung der Position 9022 KN, wonach es ausreichend sei, dass das Gerät Röntgenstrahlung verwende („apparatus based on the use of X-rays […] radiation [...]"). Auch die französischsprachige Fassung stelle nur darauf ab, dass es sich um Geräte für Röntgenstrahlen handele („... X"). Die in dem WZO-Avis und dem ehemaligen TARIC-Code beschriebenen TFT-Panels seien ebenfalls für vergleichbare Röntgen-Flachbilddetektoren ohne integrierte Strahlenquelle bestimmt gewesen, was sich aus den Sitzungsprotokollen des HS-Ausschusses ergebe. Hierfür spreche auch, dass die Detektoren sich durch die Strahlenbelastung abnutzten und dementsprechend regelmäßig ausgetauscht würden. Ein fester Einbau der Detektoren bzw. des TFT-Panels in einem kompletten Röntgensystem sei aus wirtschaftlichen Gründen unüblich.
18Der Wortlaut „Fernsehkameras oder digitale Fotoapparate“ der Position 8525 KN erfasse die Röntgen-Flachbilddetektoren weder in stofflicher Hinsicht noch der Funktion oder dem Verwendungszweck nach. Die Erl(HS) zur Position 8525 Rz 08.0-11.0 seien insofern schon nicht maßgeblich. Im Übrigen müssten Fernsehkameras ein für den Menschen sichtbares Licht aufnehmen und in digitale Bilder umwandeln. Dies sei aber keine gesonderte Funktion der Röntgen-Flachbilddetektoren, sondern nur ein für die Erzeugung von digitalen Röntgenbildern erforderliches technisches Merkmal (Verweis auf den Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH -, Urteil vom 17. März 2016 C-84/15, ECLI:EU:C:2016:184, Randnr. 39). Es werde nur das zuvor durch den Szintillator selbst erzeugte Licht verarbeitet. Gegenüber analogen Röntgenaufnahmegeräten stelle die Umwandlung von Röntgen- in Lichtstrahlen allenfalls eine technologische Innovation dar. Eine Fernsehkamera dürfe nicht darauf reduziert werden, jegliche Arten von Strahlung in digitale Bilder umzuwandeln. Darüber hinaus sei bei einer Fernsehkamera der Einsatz zur Übertragung von TV-Bildern zu verlangen, für den die Detektoren gerade ungeeignet seien. Es bestehe auch keine Ähnlichkeit im Hinblick auf die technischen Komponenten, da insbesondere ein Szintillator, aber keine Linsen oder Blenden eingebaut worden seien. Schließlich könne eine unterstellte Positionskonkurrenz zwischen der Anmerkung 1 Buchst. m zu Abschnitt XVI und der Anmerkung 1 Buchst. h zu Kapitel 90 der KN durch die Allgemeine Vorschrift für die Auslegung der KN (AV) 3 aufgelöst werden, da die Position 9022 KN die streitgegenständlichen Waren genauer beschreibe als die Position 8525 KN.
19Sofern es sich bei den Detektoren nicht um eigenständige Waren handele, seien diese nach Anmerkung 2 Buchst. a, hilfsweise nach Anmerkung 2 Buchst. b zu Kapitel 90 der KN als Teile oder Zubehör in die ebenfalls zollfreie Unterposition 9022 90 20 KN einzureihen (Verweis auf EuGH, Urteil vom 16. Mai 2019 C-138/18, ECLI:EU:C:2019:419).
20Hilfsweise seien die Geräte in die zollfreie Unterposition 9030 10 00 KN als „Apparate und Geräte zum Messen oder zum Nachweis von [...] Röntgenstrahlen“ einzureihen. Äußerst hilfsweise sei eine Einreihung in die zollfreie Unterposition 9018 19 90 KN als „andere elektromedizinische Apparate und Geräte“ vorzunehmen.
21Zum Erstattungsanspruch macht die Klägerin geltend: Selbst, wenn sie erst mit Schreiben vom 2. November 2021 die Erstattung des aufgrund der Zollanmeldungen mitgeteilten Abgabenbetrages beantragt habe, sei dies noch innerhalb der Antragsfrist geschehen. Sie habe mit dem Einspruch vom 3. Januar 2021 und der Klage vom 3. Mai 2021 gegen den Nacherhebungsbescheid die Abgabenfestsetzung in voller Höhe, d.h. i.H.v. ... € angefochten. Die ggf. beschränkt zu verstehende Formulierung des Erstattungsantrags vom 3. Januar 2020 beziehe sich nicht auf den Einspruch. Insofern setze auch der im Hinblick auf die ursprüngliche Festsetzung verspätet eingelegte Einspruch die Erstattungsfrist gemäß Art. 121 Abs. 3 UZK aus. Im Übrigen sei die Zollschuld durch den Bescheid vom 20. Dezember 2019 insgesamt neu mitgeteilt worden, wodurch die Erstattungsfrist neu zu laufen begonnen habe. Gegenstand der Abgabenfestsetzung und Mitteilung nach Art. 102 Abs. 1 Unterabs. 1 UZK i.V.m. § 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) sei nach dem objektiven Empfängerhorizont eine Zollschuld von ... €. Der Betrag der Zahlungsaufforderung ergebe sich erst aus der Differenz der festgesetzten Abgaben zu den bereits gezahlten Abgaben, wie der Beklagte sie auch in einer separaten Spalte des Abgabenbescheids ermittelt habe. Hierbei handele es sich um die Anrechnung bereits geleisteter Zahlungen, die nicht Gegenstand des Abgabenbescheids, sondern des selbständigen Erhebungsverfahrens nach § 218 AO sei. Dementsprechend beziehe sich auch ihr Erstattungsantrag vom 3. Januar 2020 auf den gesamten Betrag von ... €, was sich auch durch eine Auslegung des Antrags ergebe. Sie habe bereits während der Zollprüfung gegenüber dem Beklagten geäußert, dass die Waren zollfrei in das Kapitel 90 der KN einzureihen seien. Hierfür spreche auch die Formulierung, der Antrag werde „vorsorglich“ gestellt. Weiterhin habe sie dem Einspruch bzw. Erstattungsantrag vom 3. Januar 2020 den Abgabenbescheid angefügt. Das nunmehr vertretene Verständnis des Beklagten verletzte Art. 121 Abs. 2 UZK und das Gebot einer rechtsschutzgewährenden Auslegung. Hierdurch werde der Erstattungsantrag unnatürlich aufgespalten, obwohl er sich auf ein einheitliches Begehren – die Erstattung zu viel gezahlter Einfuhrabgaben – beziehe. Es sei auch nicht ersichtlich, wie der Beklagte sein Verständnis in einem geänderten Abgabenbescheid umsetzen wolle. Dort müssten letztlich ... € Zoll festgesetzt werden, obwohl – im Falle der Einreihung im Sinne ihres Klagebegehrens – tatsächlich keine Einfuhrabgaben anfielen.
22Hilfsweise für den Fall, dass die Einreihung des Beklagten zutreffe, stehe ihr ein Erstattungsanspruch nach Art. 119 UZK von ... € zu.
23Der Zinsanspruch folge aus dem Unionsrecht aufgrund der unionsrechtswidrigen Abgabenerhebung.
24Die Klägerin beantragt,
251. den Einfuhrabgabenbescheid vom 20. Dezember 2019 (AT/S/N01) in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2021 aufzuheben, soweit nicht Zoll für die Einfuhren vom 22. Januar, 30. Januar und 26. Februar 2017 (NEE Positionen 23, 42, 96) i.H.v. ... € erstattet wurde;
2. den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 3. September 2021 und vom 4. Oktober 2021 jeweils in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 2021 zu verpflichten, ihr Zoll i.H.v. insgesamt ... € zu erstatten;
3. den Beklagten zu verurteilen, ihr Zinsen für einen Betrag von ... € ab dem 2. Januar 2020 sowie für einen weiteren Betrag von ... € ab dem 8. Januar 2020 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit am 3. Mai 2021 zu zahlen;
4. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Der Beklagte macht unter Einbeziehung seines Vorbringens in den Einspruchsentscheidungen geltend: Die Detektoren seien zutreffend als Fernsehkameras im Einklang mit den AV 1 und 6 in die Unterposition 8525 80 19 KN eingereiht worden, da der Wortlaut der Position 8525 KN einzig auf die Funktion der Ware abstelle. Die Funktion der Detektoren sei – wie es die Erl(HS) zu Position 8525 Rz 08.0-11.0 für Kameras beschrieben – die Aufnahme von Bildern, um diese nach Umwandlung in elektronische Signale an einem Ort außerhalb der Kamera zu betrachten. Weitere Anforderungen seien an Waren der Unterposition 8525 80 KN nicht zu stellen. Der Szintillator stelle bloß eine technische Komponente dar. Die Verwendung zur Fernsehaufzeichnung sei ebenso wie die Aufnahme von sichtbarer Strahlung nicht erforderlich. Hierfür sprächen die Erläuterungen zur KN - Erl(KN)- zu Position 8525 Rz 00.5, nach denen von der Position 8525 KN auch Infrarotkameras erfasst seien. Geräte der Position 8525 KN müssten schließlich nicht zwingend optische Linsen oder optische Sucher enthalten. Im Hinblick auf die englisch- und französischsprachigen Fassungen der Erl(HS) zu Position 8525 Rz 12.0 seien Abweichungen von den typischen Bestandteilen nicht ausgeschlossen. Zwar seien die hier streitgegenständlichen Waren nicht Gegenstand der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1109/2012 der Kommission vom 23. November 2012 (vgl. Einzelentscheidung - EE - zu Position 8529 KN Rz 91.0 ff.), mit der CCD-Chips mit Szintillator zur Verwendung in Röntgenkameras als Teile von Fernsehkameras der Unterposition 8525 80 19 KN in die Unterposition 8529 90 92 KN eingereiht worden seien. Aufgrund der vergleichbaren Funktion ergebe sich gleichwohl, dass sich das gefundene Ergebnis in die Einreihungssystematik einfüge.
33Für eine Einreihung als Ware in die Position 9022 KN mangele es an einer integrierten Strahlenquelle, die den Hauptbestandteil eines Röntgengerätes darstelle. Es genüge nicht, dass die Detektoren nur mit einer externen Strahlenquelle sinnvoll verwendet werden könnten (Verweis auf Finanzgericht - FG - Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 4 V 143/17, juris).
34Sofern die Detektoren grundsätzlich von der Position 9022 KN als Teil eines Röntgenapparates erfasst sein könnten, erfolge eine Ausweisung nach Anmerkung 2 Buchst. a zu Kapitel 90 der KN. Zudem sei Anmerkung 1 Buchst. m zu Abschnitt XVI der KN nicht einschlägig, da die Detektoren keine eigenständigen Waren des Kapitels 90 der KN seien. Die Detektoren enthielten vielmehr eine eigene Elektronik zur Bildgebung, sodass sie nicht als erkennbares Teil eines Röntgengerätes, sondern als Maschine mit eigener Funktion i.S.d. Position 8525 KN zu betrachten seien. In die Unterposition 9022 90 20 KN („Teile und Zubehör für Röntgenapparate“) könnten nach Anmerkung 2 zu Kapitel 90 der KN nur Waren eingereiht werden, die erkennbar für ein Röntgengerät mit Strahlenquelle bestimmt seien. Daher müssten auch das TFT-Panel des WZO-Avis sowie das des früheren TARIC-Codes als Teile für ein Röntgengerät mit eigener Strahlenquelle bestimmt gewesen sein.
35Zum Erstattungsantrag führt der Beklagte aus: Wegen der Art und Weise der Antragstellung am 3. Januar 2020 im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einspruch gegen den Nacherhebungsbescheid habe er den Erstattungsantrag – bis zum Schreiben der Klägerin vom 2. November 2020 – nur so verstehen können, dass sich die begehrte Erstattung ausschließlich auf den nacherhobenen Differenzbetrag von ... € bezogen habe. Gegenstand der Nacherhebung sei auch nur diese Verböserung im Vergleich zu den ursprünglichen Abgabenfestsetzungen auf der Grundlage der Zollanmeldungen. Die Erstattungsfrist sei nicht verlängert worden, da die Klägerin gegen die ursprünglichen Abgabenfestsetzungen keinen Einspruch eingelegt habe.
36Das Gericht hat die Verfahren 4 K 1080/21 Z und 4 K 119/22 Z mit Beschluss vom 7. Februar 2024 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (fortgeführtes Az. 4 K 1080/21 Z).
37Entscheidungsgründe:
38Die Klage hat mit den Klageanträgen zu 1. und zu 3. Erfolg, mit dem Klageantrag zu 2. hat sie nur teilweise Erfolg.
39I. Der zulässige Klageantrag zu 1. ist begründet. Der Einfuhrabgabenbescheid vom 20. Dezember 2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat die nachträglich buchmäßig erfassten Einfuhrabgaben (Art. 105 Abs. 4 UZK) zu Unrecht festgesetzt und der Klägerin mitgeteilt, Art. 101 Abs. 1 und 102 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 3 Unterabs. 1 UZK.
40Die in 95 Vorgängen eingeführten Röntgen-Flachbilddetektoren sind nicht in die Unterposition 8525 80 19 KN zu einem Drittlandszollsatz von 4,1 % einzureihen. Die Detektoren sind auch nicht in die von der Klägerin begehrten Unterpositionen 9022 12 00, 9022 14 00 oder 9022 19 00 KN, sondern vielmehr in die – im Sinne des Klagebegehrens ebenfalls zollfreie – Unterposition 9022 90 20 KN einzureihen.
411. Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (EuGH, Urteile vom 12. Juli 2012 C-291/11, ECLI:EU:C:2012:459, Randnr. 30; vom 28. Oktober 2021 C-197/20 und C-216/20, ECLI:EU:C:2021:892, Randnr. 31). Der Verwendungszweck einer Ware kann ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er der Ware innewohnt, was sich anhand ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften beurteilen lässt (EuGH, Urteile vom 22. September 2016 C-91/15, ECLI:EU:C:2016:716, Randnr. 56; vom 28. Oktober 2021 C-197/20 und C-216/20, ECLI:EU:C:2021:892, Randnr. 31).
42Nach den AV 1 und 6 Satz 1 sind maßgebend für die Einreihung von Waren der Wortlaut der Positionen und Unterpositionen sowie die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln der Nomenklatur, die rechtsverbindlich sind (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Juli 2012 C-291/11, ECLI:EU:C:2012:459, Randnr. 31). Außerdem sind die Erläuterungen der Kommission zur KN und die Erläuterungen der WZO zum HS ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Ermittlung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (EuGH, Urteile vom 12. Juli 2012 C-291/11, ECLI:EU:C:2012:459, Randnr. 32; vom 28. Oktober 2021 C-197/20 und C-216/20, ECLI:EU:C:2021:892, Randnr. 32).
432. Gegen eine Einreihung in die Unterpositionen 9022 12 00, 9022 14 00 und 9022 19 00 KN spricht entscheidend, dass die Röntgen-Flachbilddetektoren nicht über eine integrierte Strahlenquelle verfügen (so auch FG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 4 V 143/17, juris, Randnr. 12). Die Unterpositionen 9022 12 00, 9022 14 00 und 9022 19 00 KN erfassen ihrem Wortlaut nach „Röntgenapparate und -geräte, auch für medizinische, chirurgische, zahnärztliche oder tierärztliche Zwecke, einschließlich Apparate und Geräte für Schirmbildfotografie oder Strahlentherapie“. Eine konkrete Definition des Begriffs „Röntgengerät“ enthalten dabei weder der Positionswortlaut noch die Anmerkungen zu Kapitel 90 der KN. Dem Wortlaut der Position bzw. der Unterpositionen lassen sich allenfalls Anhaltspunkte für die Anforderungen an die objektiven Merkmale eines Röntgengerätes entnehmen. Soweit der Wortlaut der Position 9022 zwischen Röntgengeräten und Röntgenröhren unterscheidet und sich dementsprechend die Unterposition 9022 30 00 KN ausdrücklich auf Röntgenröhren bezieht, könnte dies zwar dafür sprechen, dass Röntgengeräte keine integrierte Strahlenquelle aufweisen müssen. Allerdings ist unter einem Röntgengerät unter Rückgriff auf die Erläuterungen zum HS als Erkenntnisquelle ein Gerät zu verstehen, in dem solche Vorrichtungen zur Erzeugung von Röntgenstrahlen zumindest eingebaut werden können. So ist nach den Erl(HS) zu Position 9022 Rz 02.0 der Hauptbestandteil eines Röntgengerätes das Gehäuse, das die Röhre oder die Röhren enthält, welche die Röntgenstrahlen erzeugen. Hierfür spricht ferner, dass ein Röntgengerät seinen Zweck, auf den der Begriff selbst Bezug nimmt, nur erfüllen kann, wenn es Röntgenstrahlen erzeugen und – je nach seinem Verwendungszweck i.S.d. Unterpositionen 9022 12, 9022 14 und 9022 19 HS – auf einen Patienten oder ein Untersuchungsobjekt richten kann. Die Strahlenquelle stellt sich daher als wesentliches Beschaffenheitsmerkmal eines Röntgengerätes dar. Soweit nach den Erl(HS) zu Position 9022 Rz 02.0 die Bauart von Röntgengeräten je nach ihrem Verwendungszweck verschieden sein kann, wird hiermit lediglich dem Umstand Rechnung getragen, dass in Abhängigkeit vom zu durchstrahlenden Objekt unterschiedliche Anordnungen erforderlich sein können. Den unterschiedlichen Aufbau von Röntgensystemen je nach ihrem Verwendungszweck zeigt auch die Klägerin auf (vgl. Anlage K9 S. 23 ff. – Bl. 478 ff. der Gerichtsakte). Ob es bei Waren der Unterpositionen 9022 12 00, 9022 14 00 und 9022 19 00 KN erforderlich ist, dass eine Strahlenquelle tatsächlich eingebaut worden ist oder ob ein Einbau lediglich theoretisch möglich bzw. vorgesehen ist, kann dahinstehen. In den streitgegenständlichen Röntgen-Flachbilddetektoren ist aufgrund ihrer Bauweise und ihres Einsatzes gerade als Gegenstück zur Röntgenquelle schon der theoretische Einbau einer Strahlenquelle ausgeschlossen.
44Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Erl(HS) zu Position 9022 Rz 05.0. Hiernach gehören zur Position 9022 HS insbesondere Röntgenaufnahme-Geräte, bei denen die Strahlen beim Austritt aus dem aufgenommenen Körperteil auf eine fotografische Platte oder einen Film auftreffen und diese belichten. Ohne eine aus dem Röntgengerät austretende Röntgenstrahlung ist eine Belichtung des Films oder der fotografischen Platte schon nicht möglich. Es wird zudem gerade zwischen dem Röntgenaufnahme-Gerät und dem Film bzw. der fotografischen Platte unterschieden. Die streitgegenständlichen Röntgen-Flachbilddetektoren übernehmen letztlich die Funktion des Films bzw. der fotografischen Platte.
45Schließlich rechtfertigen die englisch- und französischsprachigen Fassungen der Position 9022 HS kein anderes Ergebnis. Diese beschreiben die Waren der Unterposition 9022 12 HS zwar vermeintlich abweichend von der deutschen Formulierung als Geräte, die auf der Verwendung von Röntgenstrahlung basieren bzw. als Geräte für Röntgenstrahlung. Gleichwohl lässt sich auch hier keine Begriffsdefinition entnehmen. Ob das Gerät die Röntgentechnologie derart verwenden muss, dass es die Strahlen selbst erzeugen kann, oder aber die bloße Verwertung von extern erzeugten Röntgenstrahlen ausreicht, ist auch in diesen Fassungen offen. Insofern ergibt sich das zuvor gefundene Auslegungsergebnis.
463. Die Röntgen-Flachbilddetektoren sind als Teile oder Zubehör für Röntgengeräte von der Unterposition 9022 90 20 KN erfasst. Der Begriff „Teile“ setzt nach der Rechtsprechung des EuGH voraus, dass es ein Ganzes gibt, für dessen Funktionieren diese Teile unabdingbar sind (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 C-450/12, ECLI:EU:C:2013:824, Randnr. 36). Vorliegend sind die Röntgen-Flachbilddetektoren speziell für die Röntgendiagnostik gefertigt, bei der Röntgengeräte ohne entsprechende Detektoren nicht zur Bildgebung in der Lage sind. Erst durch die Integration des Detektors in das Röntgensystem wird ein Bildgebungsprozess ermöglicht. Herkömmliche Filme oder fotografische Platten werden in modernen Röntgenaufnahme-Geräten hingegen nicht mehr eingesetzt. Auch der Beklagte stellt nicht in Abrede, dass die streitgegenständlichen Geräte Teile für ein Röntgengerät darstellen können. Es kann dahinstehen, ob sich etwas Anderes daraus ergibt, dass ein Röntgengerät zwar ohne die Detektoren nicht mehr als Röntgenaufnahme-Gerät eingesetzt werden kann, allerdings für sich genommen mechanisch und elektronisch weiterhin voll funktionsfähig, d.h. zur Erzeugung von Röntgenstrahlung in der Lage ist (vgl. zu dieser Anforderung EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 C-450/12, ECLI:EU:C:2013:824, Randnr. 36). Die Unterposition 9022 90 20 KN differenziert nämlich nicht zwischen Teilen und Zubehör für Röntgengeräte und die Röntgen-Flachbilddetektoren stellen jedenfalls Zubehör für ein Röntgengerät dar. Der Begriff „Zubehör“ erfasst eine auswechselbare Vorrichtung, die ein Gerät für die Ausführung einer bestimmten Arbeit geeignet macht, seine Verwendungsmöglichkeiten erweitert oder es in die Lage versetzt, eine im Zusammenhang mit seiner Hauptfunktion stehende Sonderarbeit auszuführen (EuGH, Urteile vom 19. Juli 2012 C-336/11, ECLI:EU:C:2012:500, Randnr. 34; vom 4. März 2015 C-547/13, ECLI:EU:C:2015:139, Randnr. 69). Die Detektoren werden vorliegend als funktionell eigenständiges Gerät in ein Röntgensystem eingebaut und nach Abnutzung wieder ausgetauscht, stellen mithin eine auswechselbare Vorrichtung dar. Erst durch den Detektor kann das Röntgengerät neben der eigentlichen Strahlenerzeugung zur Bildgebung genutzt werden, sodass die Detektoren die Röntgengeräte zur Bildgebung und damit zur Röntgendiagnostik geeignet machen. Die Verwendungsmöglichkeiten in der Röntgendiagnostik werden zudem durch die nunmehr digital zur Verfügung stehenden Bilddaten erweitert. So kann bei der Computertomographie aus einer Vielzahl durch den Detektor aufgenommener Einzelbilder ein Schnittbild erzeugt werden, wodurch eine detailliertere Diagnostik im Vergleich zu herkömmlichen Röntgengeräten ermöglicht wird. Soweit Teile und Zubehör der Position 9022 KN ihrer Beschaffenheit nach ausschließlich oder hauptsächlich für Geräte des Kapitels 90 bestimmt sein müssen (vgl. Anmerkung 2 Buchst. b zu Kapitel 90 und Erl(HS) zu Position 9022 Rz 32), ist auch dies hier der Fall. Wenn der Zolltarif – wie vorliegend – keine besondere Regelung trifft, genügt es für die Erkennbarkeit, dass ein Sachverständiger mit den ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware ihre Zweckbestimmung im Zeitpunkt der Zollabfertigung erkennen kann (vgl. BFH, Urteil vom 23. Oktober 2018 VII R 19/17, BFHE 262, 478). Eine sachkundige Person kann – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – aufgrund des eingebauten Szintillators und des TFT-Panels ohne weiteres erkennen, dass die Detektoren ausschließlich zur Bildgebung in Röntgenaufnahmegeräten verwendet werden können.
47Darüber hinaus spricht der Verwendungszweck für die Einreihung in die Unterposition 9022 90 20 KN. Die objektiven Merkmale der Röntgen-Flachbilddetektoren wie insbesondere der auf ein TFT-Panel aufgetragene Szintillator sowie die aktive Fläche des Außengehäuses weisen auf eine Verwendung ausschließlich für Röntgengeräte hin. Auch zwischen den Beteiligten ist insoweit unstreitig, dass die Detektoren nur für die Röntgen-Bildgebung eingesetzt werden können.
48Gestützt wird das Ergebnis durch den von der WZO am 30. April 2020 veröffentlichten Avis zum HS (vgl. Avis zum HS zu Position 9022 Rz 01.0-05.0), der ein TFT-Panel als Bauteil eines Röntgendetektors unter Anwendung der Anmerkung 2 Buchst. b zu Kapitel 90 der KN der für den Detektor maßgeblichen Unterposition 9022 90 HS zuweist. Dies spricht aber anders als die Klägerin meint nicht dafür, den Detektor als Hauptware in die Unterposition 9022 12 00, 9022 14 00 oder 9022 19 00 KN, sondern vielmehr dafür, den Röntgendetektor ebenfalls in die Unterposition 9022 90 KN einzureihen. Denn nach Anmerkung 2 Buchst. b zu Kapitel 90 sowie den Erl(HS) zu Position 9022 Rz 32.0 sind Teile und Zubehör grundsätzlich genauso einzureihen wie die Waren, für die sie bestimmt sind. Die in dem WZO-Avis behandelten Detektoren sind nach der Überzeugung des Senats auch mit den von der Klägerin eingeführten Modellen vergleichbar. Insbesondere ist den Detektoren gemein, dass sie keine eigene Strahlenquelle enthalten. Die Klägerin hat hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass Detektoren durch die technische Abnutzung beim Gebrauch regelmäßig ausgetauscht werden müssen und daher in bestehende Röntgensysteme integriert werden. Korrespondierend hierzu spricht der bis zum 31. Dezember 2016 gültige TARIC-Code 9022 90 00 10 für die Einreihung in die Unterposition 9022 90 20 KN.
49Etwas Anderes ergibt sich nicht aus den Erl(HS) zu Position 9022 Rz 05.0 und Rz 40.0, nach denen ein fotografischer Film bzw. eine fotografische Platte, die durch Röntgenstrahlen belichtet werden, nicht als Teil oder Zubehör eines Röntgenapparats der Position 9022 KN zuzuweisen sind. Die streitgegenständlichen Detektoren weisen im Gegensatz hierzu durch ihre Bauteile andere objektive Merkmale und Eigenschaften auf und unterscheiden sich deutlich in ihrer technischen Komplexität.
504. Die Unterposition 8525 80 19 KN erfasst die Röntgen-Flachbilddetektoren unter Anwendung der AV 3 Buchst. a hingegen nicht so genau wie die Unterposition 9022 90 20 KN.
51a) Zur Anwendung der – gemäß der AV 1 der AV 3 grundsätzlich vorgehenden – Anmerkungen ist zunächst festzustellen, dass weder Anmerkung 1 Buchst. m zu Abschnitt XVI noch Anmerkung 1 Buchst. h zu Kapitel 90 Anhaltspunkte dafür bieten, nach welchen Kriterien die Röntgen-Flachbilddetektoren vorrangig der Position 9022 oder der Position 8525 KN zuzuweisen sind. Aus diesen Anmerkungen folgt lediglich, dass eine Ware, wenn sie unter Kapitel 90 oder 85 der KN fällt, nicht zugleich unter das jeweils andere Kapitel fallen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Mai 2019 C-138/18, ECLI:EU:C:2019:419, Randnr. 71 ff.).
52Entsprechendes gilt für Anmerkung 2 Buchst. a zu Kapitel 90. Nach dieser Anmerkung sind Teile und Zubehör, die sich als Waren einer Position des Kapitels 90 oder des Kapitels 85 (ausgenommen der Position 8548) darstellen, dieser Position zuzuweisen, ohne Rücksicht darauf, für welche Maschinen, Apparate, Geräte oder Instrumente sie bestimmt sind. Die Wendung, „Teile und Zubehör, die sich als Waren einer Position des Kapitels 90 oder des Kapitels 85 darstellen“, bezieht sich zwar nur auf die vierstellige Position dieser Kapitel (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Mai 2019 C-138/18, ECLI:EU:C:2019:419, Randnr. 48). Die Position 9022 KN erfasst ihrem Wortlaut nach auch nur „Röntgengeräte“. Allerdings bezieht sich der Wortlaut der Unterposition 9022 90 20 KN ausdrücklich auf „Teile und Zubehör für Röntgengeräte“. Zudem nennen auch die Überschriften des Abschnitts XVIII und des Kapitels 90 der KN explizit „Teile und Zubehör für diese Instrumente, Apparate und Geräte“. Hierdurch wird deutlich, dass die Position 9022 KN auch Teile und Zubehör für Röntgengeräte einschließt (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Mai 2019 C-138/18, ECLI:EU:C:2019:419, Randnr. 60). Die Prüfung, ob die Röntgen-Flachbilddetektoren vorrangig der Position 8525 KN oder – auch als Teil oder Zubehör – der Position 9022 zuzuweisen sind, wird durch Anmerkung 2 Buchst. a zu Kapitel 90 daher nicht entbehrlich (a.A. FG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2017 – 4 V 143/17, juris, Randnr. 15, 20).
53b) Nach der AV 3 Buchst. a geht die Position mit der genaueren Warenbeschreibung jedoch der Position mit der allgemeineren Warenbezeichnung vor, sofern für die Einreihung zwei Positionen in Betracht kommen.
54Die Unterposition 8525 80 KN bezieht sich dem Wortlaut nach auf „Fernsehkameras, digitale Fotoapparate und Videokameraaufnahmegeräte“. Aus dem Wortlaut selbst sowie den dazugehörigen Erläuterungen ergibt sich, dass die Funktion der betreffenden Ware maßgebend für die Einreihung in die Position 8525 ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 C-84/15, ECLI:EU:C:2016:184, Randnr. 35). Nach den Erl(HS) zu Position 8525 Rz 08.0 ff. gehören zu dieser Gruppe Kameras, die ein Bild aufnehmen und in ein elektrisches Signal umwandeln, das entweder 1) als Videobild zu einem Ort außerhalb der Kamera gesendet wird, um es zu betrachten oder aufzuzeichnen (z.B. Fernsehkamera) oder das 2) in der Kamera als Einzelbild oder Bewegtbild aufgezeichnet wird (z.B. digitale Fotoapparate und Videokameraaufnahmegeräte). Insoweit ist dem Beklagten zwar zuzugeben, dass die Röntgen-Flachbilddetektoren durchaus ein Bild aufnehmen und nach Umwandlung in digitaler Form an einen Computer, d.h. einen Ort außerhalb der Kamera zur Betrachtung oder Aufzeichnung senden. Gleichwohl erfasst die Position 8525 KN nicht die spezifische Funktion der Detektoren zur Bildgebung in Röntgen-Systemen, die genauer von der Position 9022 erfasst ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH gehört zu den Kriterien, mit denen einfache oder gewöhnliche Waren von solchen unterschieden werden können, die eine medizinische Funktion i.S.d. Position 9021 KN erfüllen, insbesondere das Kriterium der Art der Herstellung der betreffenden Ware sowie das Kriterium der spezifischen Funktion dieser Ware (vgl. EuGH, Urteil vom 26. April 2017 C-51/16, ECLI:EU:C:2017:298, Randnr. 51). Dies lässt sich auf Waren, die eine Funktion im Zusammenhang mit Röntgenstrahlung i.S.d. Position 9022 KN innehaben, übertragen. Die Röntgen-Flachbilddetektoren haben ausschließlich die Funktion, Bilder bei der Röntgen-Bildgebung zu erzeugen. Sie sind zudem durch ihre Bauteile, insbesondere das Außengehäuse, das nur über die aktive Fläche Röntgenstrahlung durchlässt, und den Szintillator spezifisch auf die Aufnahme von Röntgenbildern zugeschnitten.
55Dementsprechend beschreiben die Erläuterungen zu Position 8525 die streitgegenständlichen Detektoren nur lückenhaft. So fehlen den Röntgen-Flachbilddetektoren die in Kameras – im Hinblick auf die englischsprachige Fassung der Erl(HS) zu Position 8525 Rz 12.0 Satz 2 und 3 zumindest typischerweise – eingebauten optischen Linsen und Blenden zum Fokussieren von Lichtstrahlen. Auch hierdurch wird deutlich, dass sich die Detektoren von einer herkömmlichen Kamera unterscheiden. Zudem ist allen in den Erläuterungen genannten Fernsehkameras gemein, dass sie – wie für die Aufzeichnung bzw. Übertragung einer TV-Übertragung oder die anderen in den Erl(HS) zu Position 8525 Rz 14.0 genannten Zwecke erforderlich – ein Videobild zu einem Ort außerhalb der Kamera senden (vgl. Erl(HS) zu Position 8525 Rz 10.0). Ein Videobild kann nur entstehen, wenn mehrere Bilder aufgenommen und als Film – regelmäßig als bewegtes Bild – aneinandergereiht dargestellt werden (vgl. zum Begriff des Videos die Erl(KN) zu Position 8525 Rz 11.7). Der überwiegende Teil der hier streitgegenständlichen Modelle der Röntgen-Flachbilddetektoren leiten jedoch kein Videobild, sondern nur ein Einzelbild weiter. Da diese Geräte darüber hinaus keine Speicherfunktion haben, scheidet auch eine Erfassung als Digitalkamera aus.
56Die Frage, ob von der Position 8525 KN nur Kameras erfasst werden, die für das menschliche Auge sichtbares Licht aufnehmen können, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Gleiches gilt für die Frage, ob die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1109/2012 der Kommission vom 23. November 2012 (- Einreihungsverordnung -, vgl. Erl(Einzelentscheidung) zu Position 8529 Rz 97.0 ff.) mit höherrangigem Unionsrecht vereinbar ist. Die Einreihungsverordnung behandelt unstreitig andere als die streitgegenständlichen Geräte. Auch eine entsprechende Anwendung der Einreihungsverordnung kommt nicht in Betracht, da die dort behandelten CCD-Chips zum Einbau in Röntgenkameras bestimmt sind und damit den streitgegenständlichen Detektoren nicht hinreichend ähneln (vgl. EuGH, Urteil vom 22. September 2016 C-91/15, ECLI:EU:C:2016:716, Randnr. 39 m.w.N.).
575. Auf die Frage der hilfsweisen Einreihung in die Unterpositionen 9030 10 00 KN oder 9018 19 90 KN kommt es nicht mehr an.
586. Die Rechtswidrigkeit führt zur Aufhebung des Bescheids vom 20. Dezember 2019 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2021, soweit dieser als Sammelbescheid für die Klägerin nachteilige Einzelentscheidungen erfasst. Der Nacherhebungsbetrag umfasst insgesamt eine Zollschuld i.H.v. ... € (siehe zum Umfang/Gegenstand des Abgabenbescheids noch unter II.2.b)cc)). Unerheblich ist es hierbei, dass nach der Verrechnung mit dem Erstattungsbetrag für die unter den NEE Positionen 23, 42 und 96 erfassten Einfuhren i.H.v. ... € ein Nachzahlungsbetrag von tatsächlich nur ... € verbleibt.
59II. Der Klageantrag zu 2. ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
601. Der Klageantrag zu 2. ist zulässig.
61a) Der Zulässigkeit steht zunächst keine anderweitige Rechtshängigkeit (§ 66 FGO) nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes durch die bereits erhobene Anfechtungsklage gegen den Abgabenbescheid entgegen. Die beiden Klagen haben nicht denselben Streitgegenstand, da es sich zum einen um eine auf Aufhebung des Bescheids gerichtete Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 Var. 1 FGO) und zum anderen um eine auf Erlass eines abgelehnten Erstattungsbescheids gerichtete Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Var. 2 FGO) handelt. Im Übrigen wäre eine doppele Rechtshängigkeit jedenfalls durch die Verbindung der Verfahren gemäß § 73 FGO durch Gerichtsbeschluss vom 7. Februar 2024 beseitigt worden (vgl. BFH, Urteil vom 8. Juni 2021 II R 15/20, BFH/NV 2022, 34).
62b) Die Klägerin hat zudem ein Rechtsschutzbedürfnis für die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs. Dies gilt auch für die Erstattung des nacherhobenen Zolls von ... €, obwohl die Klägerin den betreffenden Abgabenbescheid zeitgleich angefochten hat. Das Anfechtungsverfahren bietet der Klägerin keinen einfacheren, ebenso rechtschutzintensiven Weg zur Verfolgung der Rückzahlung. Zwar führt das auf Aufhebung des Abgabenbescheids gerichtete Anfechtungsbegehren durch die regelmäßig von Amts wegen vorzunehmende Vollzugsfolgenbeseitigung (§ 100 Abs. 1 Satz 2 FGO) ebenso zur Rückzahlung des aufgrund des Abgabenbescheids gezahlten Zolls wie eine Erstattung nach den Art. 116 ff. UZK. Allerdings ist der Prüfungsumfang im Erstattungsverfahren weitreichender. Anders als noch unter der Geltung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften - ZK -, der in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK die nachträgliche buchmäßige Erfassung im Falle eines Irrtums der Zollbehörden ausschloss, sind diese Fälle nunmehr über Art. 119 UZK ausschließlich in das Erstattungsverfahren verlagert worden. Eine Prüfung des Erstattungsgrundes auf der Grundlage des Art. 119 UZK ist im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Abgabenbescheid unter der Geltung des UZK damit nicht mehr möglich (vgl. zur alten Rechtslage EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2017 C-407/16, ECLI:EU:C:2017:817, Randnr. 45; FG München, Urteil vom 23. November 2006 – 14 K 3616/03, juris). Nach Art. 121 Abs. 2 UZK ist im Erstattungsverfahren nunmehr einheitlich über sämtliche Gründe der Art. 116 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 117-120 UZK zu entscheiden (vgl. Deimel in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Art. 121 UZK Randnr. 61).
63c) Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht durch die Stattgabe des Klageantrages zu 1. insoweit nachträglich entfallen. Ein Anspruch auf Rückzahlung nach einer Aufhebung des Abgabenbescheids entsteht nämlich gemäß § 151 Abs. 3 FGO erst mit Rechtskraft des Urteils (vgl. BFH, Urteil vom 16. Juli 1980 VII R 24/77, BFHE 131, 158, Randnr. 35; Rauda in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 100 FGO Randnr. 150).
642. Der Klageantrag zu 2. ist aber nur teilweise begründet. Die Ablehnungsbescheide vom 3. September 2021 und vom 4. Oktober 2021 in der jeweiligen Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 2021 sind nur insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, als der Beklagte es abgelehnt hat, der Klägerin die mit Einfuhrabgabenbescheid vom 20. Dezember 2019 mitgeteilte Zollschuld i.H.v. ... € zu erstatten (§ 101 Satz 1 FGO). Hingegen hat es der Beklagte mit dem Bescheid vom 3. September 2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 2021 zu Recht abgelehnt, der Klägerin den auf der Grundlage der Zollanmeldungen mitgeteilten Zoll i.H.v. ... € zu erstatten.
65a) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung des Zolls nach Art. 116 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 117 Abs. 1 UZK i.H.v. ... €. Der Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 20. Dezember 2019 die Zollschuld zu hoch mitgeteilt, da er die eingeführten Röntgen-Flachbilddetektoren unzutreffend tarifiert und mit Zoll belegt hat (siehe oben zu Klageantrag zu 1.). Die Klägerin hat am 3. Januar 2020 einen insoweit fristgerechten Erstattungsantrag nach Art. 121 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a UZK gestellt und die Zollschuld am 2. und 8. Januar 2020 entrichtet.
66b) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung eines darüberhinausgehenden Zollbetrags von ... €, da der Antrag hierfür nicht fristgerecht gestellt wurde.
67aa) Die dreijährige Antragsfrist war für die Zollschuld i.H.v. ... €, die der Klägerin auf der Grundlage ihrer Zollanmeldungen für die streitgegenständlichen Einfuhren im Zeitraum vom 6. Januar bis zum 28. Februar 2017 mitgeteilt worden war, nach Art. 121 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a UZK im Zeitpunkt der Antragstellung am 2. November 2020 bereits abgelaufen. Erst mit Schreiben vom 2. November 2020 hat die Klägerin den Umfang ihres Erstattungsbegehrens auf die aus den Zollanmeldungen herrührende Zollschuld erstreckt.
68bb) Durch den Erstattungsantrag vom 3. Januar 2020 wurde die Antragsfrist für diese Zollschuld nicht gewahrt. Der Antrag bezieht sich lediglich auf die mit dem Bescheid vom 20. Dezember 2019 nacherhobene Zollschuld i.H.v. ... €. Die Erklärung der Klägerin im Schreiben vom 3. Januar 2020 kann nicht dahin ausgelegt werden, dass auch die Erstattung der aus den Zollanmeldungen vom 6. Januar bis zum 28. Februar 2017 herrührenden Zollschulden beantragt wurde.
69(1) Die Erklärung der Klägerin ist schon nicht auslegungsbedürftig. Sowohl außerprozessuale als auch prozessuale Rechtsbehelfe sind in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen (BFH, Urteil vom 29. Oktober 2019 IX R 4/19, BFHE 266, 126, Randnr. 13). Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten, hat die Behörde bzw. das Finanzgericht den wirklichen Willen des Abgabenpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärung zu ermitteln. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen. Hat eine Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt, kommt eine Auslegung hingegen nicht Betracht (vgl. BFH, Urteil vom 14. Juni 2016 IX R 11/15, BFH/NV 2016, 1676, Randnr. 22).
70Die Formulierung der Klägerin, sie beantrage die Erstattung der aufgrund des Bescheids vom 20. Dezember 2019 zu viel gezahlten Einfuhrabgaben, umschreibt den Umfang des Erstattungsbegehrens hierbei eindeutig. Das bezweckte Erstattungsbegehren bezieht sich ausdrücklich nur auf die Einfuhrabgaben des – mit ATS-Nummer und Datum konkret benannten – Bescheides. Dieser Bescheid fordert von der Klägerin aber nur die Zahlung der nachträglich erhobenen Abgaben i.H.v. ... €.
71(2) Unbeschadet hiervon ergibt eine Auslegung kein anderes Ergebnis, sofern das wirklich Gewollte der Klägerin zweifelhaft wäre. Bei der Auslegung einer Einspruchsschrift dürfen nach der Rechtsprechung des BFH auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden. Im Hinblick auf den Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung können hierzu auch spätere Begründungen herangezogen werden, wobei es in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich keine Beschränkungen gibt. Bei nachträglich eingereichten Begründungen ist aber stets anhand objektiver Umstände zu prüfen, ob der Steuerpflichtige die Anfechtung eines bestimmten Verwaltungsakts bereits bei Erhebung des Einspruchs in seinen Willen aufgenommen hatte oder ob sich dieser Wille erst nachträglich gebildet hat. Spätere Erklärungen können insofern bei der Auslegung herangezogen werden, soweit sie (sei es wegen ihres Inhalts oder aufgrund weiterer Indizien) einen Schluss auf den ursprünglichen Willen des Einspruchsführers zulassen (BFH, Urteil vom 29. Oktober 2019 IX R 4/19, BFHE 266, 126, Randnr. 22 f.). Diese Maßstäbe können auf die Auslegung eines Erstattungsantrags i.S.d. Art. 116 ff. UZK übertragen werden.
72Gemessen hieran lässt sich der Wille der Klägerin, bereits mit Schreiben vom 3. Januar 2020 und damit innerhalb der Antragsfrist des Art. 121 Abs. 1 UZK die Erstattung des zunächst erhobenen Zolls i.H.v. ... € begehrt zu haben, aus den Umständen der Antragstellung nicht feststellen. Vielmehr hat die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 2. November 2020 erstmals nur diesen nachträglich gebildeten Willen kundgetan.
73Zunächst ergibt sich dieser Wille nicht aus der von der Klägerin verwendeten Formulierung, der Antrag werde vorsorglich gestellt. Ein Bezug zum Erstattungsumfang und zur angemeldeten Zollschuld ist hierin nicht zu erkennen. Diese Formulierung ist vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Einspruchseinlegung zu sehen. Zum einen resultiert die vorsorgliche Beantragung der Erstattung zusätzlich zur Einspruchseinlegung noch aus der alten Rechtslage, in der die Rechtsbehelfseinlegung keine Auswirkung auf den Ablauf der Erstattungsfrist hatte. Durch Art. 121 Abs. 3 UZK erübrigt sich nunmehr die bisher übliche vorsorgliche Antragstellung (vgl. Alexander in Witte, UZK, 8. Aufl. 2022, Art. 121 Randnr. 6). Zum anderen sieht der UZK eine parallele Existenz des Rechtsbehelfsverfahrens nach Art. 44 UZK i.V.m. den nationalen Vorschriften und des Erstattungsverfahrens nach den Art. 116 ff. UZK vor. Mit einem Einspruch gegen einen Abgabenbescheid kann der Rechtsbehelfsführer seine Rechte regelmäßig umfassender wahren als im Erstattungsverfahren (vgl. Alexander in Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Vor Art. 116 Randnr. 18), was die Klägerin ebenfalls mit der Betonung der vorsorglichen Antragstellung deutlich macht.
74Soweit die Klägerin weiterhin darauf hinweist, dass sie dem Einspruch bzw. Erstattungsantrag den angefochtenen ATS-Bescheid beigefügt habe, folgt hieraus nichts Anderes. Der Bescheid teilt gerade nur den Nacherhebungsbetrag und nicht den gesamten Zollbetrag mit (siehe sogleich unter II.2.b)cc)).
75Zudem lässt das Vorbringen der Klägerin, sie habe bereits während der Zollprüfung ihre abweichende Tarifierungsansicht gegenüber dem Beklagten erklärt, keinen Rückschluss auf den Umfang des Erstattungsbegehrens zu. Dem Prüfungsbericht (vgl. Tz. 6) zufolge hat die Klägerin ihre Tarifierungsansicht maßgeblich auf den WZO-Avis gestützt, der jedoch erst am 30. April 2020 und damit nach der Stellung des Erstattungsantrages veröffentlich wurde. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin zur Beantragung der Erstattung der ursprünglich angemeldeten Zollschuld das Ergehen eines Nacherhebungsbescheids im Rahmen einer erst am 4. November 2019 begonnenen Außenprüfung hätte abwarten sollen. Insofern ist es ebenfalls denkbar, dass sie an ihrer den Zollanmeldungen zugrunde gelegten Tarifierung festhalten wollte. Allein die Äußerung einer abweichenden Tarifierungsansicht ersetzt im Übrigen nicht die Beantragung der Erstattung des zu hoch mitgeteilten Zolls. In der Erklärung vom 3. Januar 2020 selbst finden sich hierfür jedoch keine Anhaltspunkte. Die Erklärung kann daher auch nicht mit dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung entsprechend korrigiert werden (vgl. BFH, Urteil vom 29. Oktober 2019 IX R 4/19, BFHE 266, 126, Randnr. 13).
76Zudem liegt die von der Klägerin gerügte Verletzung von Art. 121 Abs. 2 UZK nicht vor. Die Vorschrift verpflichtet die Zollbehörde zwar, einen Erstattungsantrag unabhängig vom angegebenen Rechtsgrund auf alle Erstattungsgründe zu prüfen, die nach dem Vorbringen des Antragstellers einschlägig sein könnten (vgl. BFH, Beschluss vom 21. September 2007 VII B 81/07, BFH/NV, 2008, 126). Eine betragsmäßige Beschränkung, insbesondere bei mehreren Abgabenmitteilungen, ist hingegen nicht ausgeschlossen.
77cc) Die Antragsfrist wurde für diese Zollschuld auch nicht nach Art. 121 Abs. 3 UZK ausgesetzt. Nach dieser Vorschrift wird, wenn nach Art. 44 UZK ein Rechtsbehelf gegen die Mitteilung der Zollschuld eingelegt worden ist, die Antragsfrist des Art. 121 Abs. 1 Unterabs. 1 UZK ab dem Tag der Einlegung des Rechtsbehelfs für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens ausgesetzt. Der Festsetzung und Mitteilung der Zollschuld i.H.v. ... € auf der Grundlage der Zollanmeldungen (Art. 77, 101 Abs. 1, 102 Abs. 1 Unterabs. 1 UZK) wurde jedoch formell bestandskräftig, nachdem die Klägerin innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nach Art. 44 UZK i.V.m. § 355 ff. AO hiergegen keinen Einspruch eingelegt hatte.
78Die Antragsfrist wurde auch nicht durch die Einlegung des Einspruchs am 3. Januar 2020 und die Klageerhebung am 3. Mai 2021 gegen den Nacherhebungsbescheid ausgesetzt. Ausgesetzt wurde die Antragsfrist hierdurch nämlich nur im Umfang der mit dem angefochtenen Nacherhebungsbescheid vom 20. Dezember 2019 mitgeteilten Zollschuld. Mit dem Nacherhebungsbescheid wurde jedoch nicht der gesamte Abgabenbetrag i.H.v. ... €, sondern lediglich die nachträglich buchmäßig erfasste Zollschuld i.H.v. ... € gegenüber der Klägerin festgesetzt und mitgeteilt. Eine Änderung oder Ersetzung eines bestandskräftigen Einfuhrabgabenbescheids ist im UZK nicht vorgesehen (vgl. Alexander in Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Vor Art. 27 und 28 Randnr. 3, Art. 44 Randnr. 46). Anders als die AO, in deren Geltungsbereich die jeweilige Steuer für einen Besteuerungszeitraum in einem einzigen Bescheid festzusetzen ist, sieht Art. 105 Abs. 4 UZK vielmehr die Möglichkeit eines Ergänzungs- oder Nachforderungsbescheids vor (vgl. BFH, Urteil vom 18. April 2023 VII R 59/20, BFHE 280, 373). Die Festsetzung i.S.d. Art. 102 Abs. 3 Unterabs. 1 und Abs. 1 UZK beinhaltet dabei lediglich die Ermittlung des zu entrichtenden Abgabenbetrages durch die Zollbehörden, nicht aber, dass dieser im Sinne des deutschen Rechts mit Bescheid festgesetzt wird (vgl. Deimel in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Art. 101 UZK Randnr. 24; Alexander in Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 102 Randnr. 8). Lediglich die Mitteilung der Zollschuld erfolgt gemäß Art. 102 Abs. 1 Unterabs. 1 UZK nach §§ 155 ff. AO. Die Zollschuld ist nach Art. 5 Nr. 18 UZK die Verpflichtung einer Person, den aufgrund der geltenden zollrechtlichen Vorschriften für eine bestimmte Ware vorgesehenen Betrag der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben zu entrichten. Der Begriff des zu entrichtenden Betrages ist dahin auszulegen, dass dieser Begriff Bezug nimmt auf die Voraussetzungen der Entstehungstatbestände einer Zollschuld (vgl. Gellert in Dorsch, Zollrecht, Art. 101 UZK Randnr. 6). Vorliegend war die durch den Beklagten ermittelte (Gesamt-)Zollschuld i.H.v. ... € durch die Entrichtung des Abgabenbetrags im Rahmen der Zollanmeldungen i.H.v. ... € nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. b UZK bereits erloschen. Als Zollschuld verblieb damit der Nacherhebungsbetrag i.H.v. ... €. Im Übrigen ging auch die Klägerin im Zeitpunkt der Klageerhebung noch davon aus, dass sich die Anfechtungsklage (sogar nur) auf den tatsächlichen Nachzahlungsbetrag von ... € erstreckte, da sie in der Klageschrift den Streitwert in dieser Höhe beziffert hat.
79Die Aufhebung des angefochtenen Nacherhebungsbescheids (vgl. Klageantrag zu 1.) führt daher auch nicht dazu, dass ein Änderungsbescheid mit einer Zollschuld über ... € ergehen müsste, obwohl durch die Einreihung in eine zollfreie Unterposition tatsächlich keine Einfuhrabgaben angefallen wären. Vielmehr bleiben die ursprünglichen Zollmitteilungen auf der Grundlage der Zollanmeldungen Rechtsgrund für die Zahlung dieses Abgabenbetrages (vgl. Art. 22 Abs. 4 und 5 i.V.m. Art. 29 UZK).
80III. Die Klage ist mit dem Klageantrag zu 3. zulässig und begründet.
811. Der Klageantrag zu 3. ist in Verbindung mit dem Klageantrag zu 1. in direkter, in Verbindung mit dem Klageantrag zu 2. in entsprechender Anwendung des § 100 Abs. 4 FGO zulässig (vgl. Holle in Gosch, AO/FGO, § 100 FGO Randnr. 95). Soweit die Klägerin eine Verzinsung von dem Zeitpunkt der Entrichtung des Zolls durch sie am 2. Januar bzw. 8. Januar 2020 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit der zuerst erhobenen Anfechtungsklage am 3. Mai 2021 begehrt, liegt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. Insoweit fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für den Zinsanspruch (§ 233 Satz 1 AO). Die Zollverwaltung lehnt eine Verzinsung auf Grund des unionsrechtlichen Erstattungsanspruchs immer noch ab (vgl. Senatsurteil vom 23. August 2023 – 4 K 2640/22 VE, juris, Randnr. 21; FG Hamburg, Urteil vom 3. November 2022 – 4 K 56/18, ZfZ 2023, 225).
822. Der Klageantrag zu 3. ist auch begründet. Das Unionsrecht begründet nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nur einen Anspruch auf Erstattung eines Zolls, zu dem der Betreffende von einer nationalen Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurde, sondern auch einen Anspruch auf die Verzinsung des Geldbetrages, um die Nichtverfügbarkeit des Geldbetrages auszugleichen (vgl. EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 51 f. m.w.N.). Dies gilt auch, wenn sich der Unionsrechtsverstoß aus der Entscheidung eines nationalen Gerichts ergibt (vgl. EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 66 ff.). Vorliegend hat der Beklagte die Einfuhrwaren fehlerhaft in die KN als Teil des Gemeinsamen Zolltarifs i.S.d. Art. 56 UZK eingereiht und mit Einfuhrabgaben belegt, die von der Klägerin entrichtet wurden.
83Die Höhe und das Verfahren der Festsetzung der Zinsen richten sich mangels unionsrechtlicher Vorschriften nach den §§ 238 f. AO (BFH, Beschluss vom 5. Dezember 2017 VII B 85/17, BFH/NV 2018, 321). Demgemäß beträgt der Zinssatz 0,5 % pro Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Zinslauf beginnt mit der Entrichtung der Einfuhrabgaben und endet mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit i.S.d. § 66 Satz 1 FGO am 3. Mai 2021, ab dem sich der Zinsanspruch unmittelbar aus § 236 AO ergibt. Die Pflicht zur Verzinsung erstreckt sich auf den gesamten Zeitraum, in dem die Beträge der Zollschuldnerin nicht zur Verfügung standen, nicht nur auf volle Zinsmonate gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO (vgl. BFH, Urteil vom 15. November 2022 VII R 29/21, BFHE 279, 1). Zu verzinsen ist vorliegend der mit Bescheid vom 20. Dezember 2019 nachgeforderte Betrag in Höhe von ... €, den die Klägerin zum einen durch Überweisung in Höhe von ... € am 8. Januar 2020 und zum anderen durch Verrechnung mit ihrem Erstattungsanspruch von ... € mit Fälligkeit des Nacherhebungsbetrags gemäß § 238 Abs. 1 Satz 3 AO am 2. Januar 2020 entrichtet hat. Der zu verzinsende Betrag ist gemäß § 238 Abs. 2 AO abzurunden.
84IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Klageanträge zu 1. und zu 2. sind dabei unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 45 Abs. 1 Satz 3 des Gerichtskostengesetzes bis zur Höhe des Nacherhebungsbetrages von ... € nicht zu addieren, da sie insoweit wirtschaftlich denselben Gegenstand betreffen (vgl. BFH, Beschluss vom 5. September 2023 X E 4/23, BFH/NV 2023, 1330, Randnr. 5 ff.). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.