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Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 15. März 2023 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2023 verpflichtet, Zinsen auf den Erstattungsbetrag nach § 10 StromStG für den Abrechnungszeitrum vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013 sowie auf die Erstattungsbeträge nach den §§ 9b, 10 StromStG für die Kalenderjahre 2014-2017 i.H.v. insgesamt 296.643,80 € festzusetzen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Verzinsung von nach den §§ 9b, 10 des Stromsteuergesetzes (StromStG) gewährten Steuerentlastungen auf der Grundlage des Unionsrechts.
3Der Beklagte war der Ansicht, dass die Klägerin nach der ab dem 1. August 2013 gültigen Fassung von § 15 Abs. 9 der Verordnung zur Durchführung des StromStG (Stromsteuer-Durchführungsverordnung – StromStV) kein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes mehr gewesen sei und lehnte es in der Folge ab, der Klägerin die beantragten Steuerentlastungen nach §§ 9b, 10 StromStG für die nachfolgenden Entlastungsabschnitte bzw. Abrechnungszeiträume zu gewähren. Für die Steuerentlastung nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013 wurde die Rechtsfrage nach Klageerhebung der Klägerin vom hiesigen Senat mit Urteil vom 21. Februar 2018 (4 K 2266/16 VSt) zugunsten der Klägerin entschieden. Im Revisionsverfahren bestätigte der Bundesfinanzhof (BFH) die Entscheidung mit Urteil vom 30. April 2019 (VII R 14/18, BFHE 267, 74) im Ergebnis. Den daraufhin mit Bescheid vom 15. Januar 2020 gewährten Entlastungsbetrag zahlte der Beklagte am 20. Januar 2020 an die Klägerin aus. Hierbei nahm er zugleich eine Verzinsung ab Rechtshängigkeit nach § 236 der Abgabenordnung (AO) vor. Zudem gewährte er der Klägerin in der Folge weitere Steuerentlastungen für die Zeiträume vom 1. August 2013 bis zum 31. Dezember 2019.
4Am 23. Dezember 2021 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Festsetzung von Zinsen auf die Entlastungsbeträge. In der Betreffzeile bezog sich die Klägerin auf ihren „Antrag auf Entlastung von der Stromsteuer nach § 10 StromStG für den VZ 08/2013-12/2013“ sowie auf ihre „Anträge auf Entlastung von der Stromsteuer nach §§ 9b, 10 StromStG für Kj. 2014-2019“. Die hierzu korrespondieren Erstattungsbeträge, für die die Festsetzung der Zinsen beantragt wurde, listete sie tabellarisch unter Angabe der jeweiligen Antrags- und Bescheiddaten auf. Wegen der Einzelheiten wird auf den Antrag vom 23. Dezember 2021 Bezug genommen (Anlage 2 zur Klageschrift, Bl. 7 der Gerichtsakte). Zur Begründung der Zinsansprüche machte die Klägerin geltend: In einem vergleichbaren Fall habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 9. September 2021 (C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716) entschieden, dass das Unionsrecht die Verzinsung eines wegen der falschen Anwendung einer nationalen Vorschrift, die ebenfalls auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Richtlinie 2003/96) erlassen worden sei, zu Unrecht erhobenen Stromsteuerbetrages verlange. Am 22. August 2022 reichte die Klägerin bei der vom Beklagten einbezogenen Generalzolldirektion eine Berechnung der Zinsansprüche ein, die sie auf insgesamt 298.933,50 € bezifferte. In dem Betrag enthalten war nunmehr auch die Verzinsung des zuvor im Klageweg durchgesetzten Entlastungsbetrags nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt vom 1. August 2013 bis zum 31. Dezember 2013, für den die Klägerin Zinsen bis zur Rechtshängigkeit begehrte. Im Übrigen ging die Klägerin unter Verweis auf das BFH-Urteil vom 22. Oktober 2019 (Az. VII R 24/18, BFHE 267, 90) von einer Verzinsung von 0,5% für volle Monate beginnend vier Monate und zehn Arbeitstage nach der Stellung des jeweiligen Entlastungsantrages bis zum Tag der Erstattung aus. Demgemäß ermittelte die Klägerin für die Entlastungsbeträge der Kalenderjahre 2018 und 2019 keine Zinsansprüche (vgl. die tabellarische Berechnung, vorgelegt als Anlage K3, Bl. 10 der Gerichtsakte).
5Der Beklagte lehnte die Verzinsung der Erstattungsbeträge unter Bezugnahme auf die im Antrag der Klägerin vom 23. Dezember 2021 genannten Entlastungsbeträge mit Bescheid vom 15. März 2023 ab.
6Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend: Ihr Verzinsungsbegehren erstrecke sich auch auf den Entlastungsbetrag nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt August bis Dezember 2013, auf den sie ihren Zinsantrag vom 23. Dezember 2021 im Rahmen der Berechnungen vom 22. August 2022 erweitert habe. Die ihr gewährten Entlastungsbeträge seien nach den Grundsätzen des Unionsrechts zu verzinsen. Für die unionsrechtswidrige Nichtgewährung einer obligatorischen Steuerbefreiung habe die bisherige Rechtsprechung einen Zinsanspruch auch für die Fälle anerkannt, in denen die Steuerbefreiung im Mitgliedstaat im Wege der Steuerentlastung umgesetzt worden sei (Verweis auf BFH, Urteil vom 22. Oktober 2019 VII R 24/18, BFHE 267, 90). Der EuGH habe mit Urteil vom 9. September 2021 (C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716) den Zinsanspruch unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Gleichbehandlung auf die fakultativen Begünstigungen der Richtlinie 2003/96 erstreckt. Das Urteil behandele wie der Streitfall die fehlerhafte Anwendung einer fakultativ umgesetzten Vorschrift der Richtlinie 2003/96. Für den Zinsanspruch stelle der EuGH maßgeblich auf den Ausgleich des Liquiditätsnachteils ab. Dies gelte unabhängig davon, ob der Wirtschaftsteilnehmer einem obligatorischen Normalsatz oder einem fakultativ ermäßigten Steuersatz unterliege, da beide Sätze zu ein und demselben harmonisierten Steuersystem gehörten. Die Situationen seien insofern vergleichbar. Auch die Maßnahmen, die der nationale Gesetzgeber auf der Grundlage von fakultativen Ermächtigungen ergreife, fielen daher in den Anwendungsbereich des Unionsrechts. Der BFH habe in seiner dem EuGH-Urteil C-100/20 nachfolgenden Entscheidung (Urteil vom 15. November 2022 VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1) nunmehr ausdrücklich entschieden, dass bei einer nach dem Unionsrecht zu Unrecht nicht gewährten fakultativen Steuerbegünstigung ein Anspruch auf die Verzinsung des Erstattungsbetrages bestehe.
7Den Einspruch wies der Beklagte mit Entscheidung vom 24. August 2023 für die Verzinsung sämtlicher Entlastungsbeträge als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Eine Verzinsung komme nicht in Betracht. Die Rechtsprechung des EuGH setze hierfür einen Verstoß gegen das Unionsrecht voraus, der im Streitfall nicht vorliege. Zwar dienten die §§ 9b und 10 StromStG der Umsetzung der fakultativen Steuerbegünstigung nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96. Die Entscheidung, welche Wirtschaftszweige von den Begünstigungen für energieintensive Betriebe erfasst seien, habe allerdings der nationale Gesetzgeber durch den Status als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes i.S.d. § 2 Nr. 3 StromStG i.V.m. § 15 StromStV getroffen. Die Richtlinie 2003/96 enthalte hierzu hingegen keine Vorgaben, die falsch angewendet worden sein könnten. Daher sei mit § 15 Abs. 9 StromStV lediglich eine nationale Norm, die nicht auf einer korrespondieren Vorschrift des Unionsrechts beruhe, falsch ausgelegt worden. Auch für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verlange der EuGH die vorherige Verletzung von Unionsrecht.
8Die Klägerin macht mit ihrer Klage in Ergänzung ihres Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren geltend: Der rein nationale Rechtsanwendungsfehler führe zugleich zu einer Verletzung des Unionsrechts, namentlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Zwar genieße der nationale Gesetzgeber Freiheiten bei der Umsetzung von fakultativen Regelungen. Gleichwohl gehörten diese zu dem einheitlichen harmonisierten Steuersystem der Richtlinie 2003/96. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH (Hinweis auf das Urteil vom 15. November 2022 VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1) beschränke sich der Zinslauf – anders als sie noch am 22. August 2022 angenommen habe – nicht auf volle Monate, sondern es sei der gesamte Zeitraum tagesgenau bis zur Erstattung einzubeziehen. Auf dieser Grundlage ermittelte die Klägerin für die Erstattungen der Entlastungsabschnitte bzw. Abrechnungszeiträume 2013 bis 2017 Zinsen i.H.v. insgesamt 302.119,18 €, wovon 5.475,38 € auf die Verzinsung des im Klagewege durchgesetzten Entlastungsanspruchs nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013 entfallen. Wegen der Einzelheiten der Berechnung (insbesondere auch der jeweiligen Antragsdaten als Ausgangspunkt des Zinslaufbeginns, der jeweiligen Erstattungszeitpunkte und Erstattungsbeträge) wird auf die tabellarische Ermittlung der Klägerin in der Anlage zur Klagebegründung vom 26. Oktober 2023 Bezug genommen. Ergänzend macht die Klägerin geltend: Die Ansprüche seien nicht festsetzungsverjährt, da der Ablauf der Zinsfestsetzungsfrist für sämtliche Erstattungsbeträge durch ihren Antrag vom 23. Dezember 2021 gehemmt worden sei.
9Die Klägerin beantragt sinngemäß,
101. den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 15. März 2023 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2023 zu verpflichten, Zinsen auf die Erstattungsbeträge nach den §§ 9b, 10 StromStG für die Entlastungsabschnitte bzw. Abrechnungszeiträume vom 1. August 2013 bis zum 31. Dezember 2017 i.H.v. insgesamt 302.119,18 € festzusetzen;
2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen
15und verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung.
16Die Beteiligten haben jeweils mit Schriftsatz vom 12. März 2024 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
17Entscheidungsgründe:
18I. Der Senat entscheidet nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
19II. Die Klage ist überwiegend begründet.
201. Der Bescheid vom 15. März 2023 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. August 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Beklagte die Festsetzung von Zinsen i.H.v. 296.643,80 € abgelehnt hat, § 101 Satz 1 FGO. Die Klägerin hat insoweit einen durchsetzbaren Anspruch auf die Festsetzung der Zinsen unmittelbar aus dem Unionsrecht. Soweit die Klägerin hingegen die Festsetzung von Zinsen i.H.v. 5.475,38 € auf den Entlastungsbetrag nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013 begehrt, ist die Klage unbegründet, da für diesen Anspruch Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
21a) Die Klägerin hat nach dem Unionsrecht einen Anspruch auf die Festsetzung von Zinsen i.H.v. 296.643,80 € auf die für den Abrechnungszeitraum vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013 nach § 10 StromStG sowie für die Kalenderjahre 2014 bis 2017 nach §§ 9b, 10 StromStG erstattete Stromsteuer.
22aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Einzelne, wenn ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts Abgaben erhoben hat, einen Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Abgaben, sondern auch der Beträge, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Abgabe an diesen Staat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch Zinsen auf Grund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen (EuGH, Urteile vom 18. Januar 2017 C-365/15, ECLI:EU:C:2017:19, Randnr. 37; vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 52; vom 22. Februar 2024 C-674/22, ECLI:EU:C:2024:147, Randnr. 30 f.). Diese Grundsätze sind auch anwendbar, wenn die fraglichen Geldbeträge Erstattungen entsprechen, die einem Wirtschaftsbeteiligten zunächst unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt und dann verspätet gezahlt wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 56-59). Der Verstoß gegen eine Vorschrift des Unionsrechts kann zudem von einem einzelstaatlichen Gericht festgestellt werden (EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 66).
23bb) Im Streitfall hat der BFH mit Urteil vom 30. April 2019 (VII R 14/18, BFHE 267, 74) festgestellt, dass § 2 Nr. 2a, 3 StromStG i.V.m. § 15 Abs. 9 StromStV fehlerhaft angewendet wurden und der Klägerin als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes die Steuerentlastungen nach den § 9b, 10 StromStG für die fraglichen Zeiträume zustanden.
24cc) Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt hierin auch ein Verstoß gegen das Unionsrecht, namentlich gegen den allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung.
25Das Unionsrecht begründet nach der Rechtsprechung des EuGH einen Anspruch auf die Verzinsung eines Erstattungsbetrags der Stromsteuer, die zu Unrecht erhoben wurde, auch in den Fällen, in denen eine auf der Grundlage einer den Mitgliedstaaten von der Richtlinie 2003/96 eingeräumten Möglichkeit erlassene einzelstaatliche Vorschrift fehlerhaft angewendet worden ist (EuGH, Urteil vom 9. September 2021 C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716, Randnr. 36). Es liegt nach Art. 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Natur einer Richtlinie, dass diese durch den nationalen Gesetzgeber umgesetzt und im Einklang mit den Zielen der Richtlinie ausgestaltet werden muss. Das Fehlen einer mit § 15 Abs. 9 StromStV korrespondieren Vorschrift in der Richtlinie 2003/96 ist daher Ausfluss der dem nationalen Gesetzgeber von der Richtlinie 2003/96 eingeräumten Gestaltungsfreiheit. Zwar stellt § 15 Abs. 9 StromStV eine nationale Vorschrift dar, die der Ausgestaltung einer von der Richtlinie 2003/96 vorgesehenen Möglichkeit zur Steuerbegünstigung von energieintensiven Betrieben dient. Die dem nationalen Gesetzgeber eingeräumte Gestaltungsfreiheit führt allerdings nicht dazu, dass die nationalen Vorschriften ihre Grundlage nicht mehr im Unionsrecht hätten und losgelöst von den unionsrechtlichen Anforderungen und Grundsätzen zu beurteilen wären. Denn auch die in den Artikel 5, 7, 15 bis 17 der Richtlinie 2003/96 eingeräumten Möglichkeiten zur Einführung differenzierter Steuersätze, Steuerbefreiungen oder Ermäßigungen sind Bestandteil des mit dieser Richtlinie eingeführten harmonisierten Steuersystems (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716, Randnr. 30, 35). Der Senat kann an dieser Stelle offenlassen, auf welcher Vorschrift der Richtlinie 2003/96 die §§ 9b, 10 i.V.m. § 2 Nr. 2a, 3 StromStG i.V.m. § 15 StromStV beruhen. Jedenfalls dienen diese der Umsetzung von Art. 5 Spiegelstrich 4, Art. 11 Abs. 4 und Art. 17 der Richtlinie 2003/96, die allesamt fakultative Steuerbegünstigungen beinhalten.
26Der nationale Gesetzgeber ist bei der Ausübung seines Ermessens, das ihm von der Richtlinie 2003/96 eingeräumt wurde, an die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und insbesondere an den Grundsatz der Gleichbehandlung gebunden (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716, Randnr. 31). Demgemäß besteht die Verpflichtung zur Verzinsung einer zu Unrecht nicht gewährten fakultativen Steuerermäßigung auch dann, wenn der Verstoß gegen das Unionsrecht aus einer Verkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts resultiert (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716, Randnr. 28). Der Grundsatz der Gleichbehandlung gebietet es hierbei, einem Wirtschaftsteilnehmer die Nichtverfügbarkeit eines unionsrechtswidrig gezahlten Geldbetrages unabhängig davon zu entschädigen, ob er dem Normalsatz oder einem ermäßigten Satz der Stromsteuer unterliegt (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716, Randnr. 32 f.). Es kommt somit entscheidend darauf an, dem Wirtschaftsbeteiligten den durch die Nichtverfügbarkeit eines unionrechtswidrig gezahlten Steuerbetrags entstandenen Liquiditätsnachteil auszugleichen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 C-100/20, ECLI:EU:C:2021:716, Randnr. 35). Der Klägerin wurden die fakultativen Steuerbegünstigungen für energieintensive Betriebe zu Unrecht nicht gewährt und die Stromsteuerentlastungen erst verspätet erstattet, sodass die Nichtverfügbarkeit der Erstattungsbeträge durch die Verzinsung auszugleichen ist.
27dd) Der Umstand, dass die Klägerin lediglich einen Antrag auf Erstattung der fraglichen Entlastungsbeträge gestellt und diese Ansprüche nicht im Klageweg verfolgt hat, steht ihrem Klagebegehren gleichfalls nicht entgegen. Es gibt keinen rechtfertigenden Grund dafür, den Anspruch eines Beteiligten auf Zahlung von Zinsen für unionsrechtswidrig verspätet erstattete Stromsteuern nur deshalb nicht zu erfüllen, weil der Beteiligte keine Klage erhoben hat und aus diesem Grund nach einzelstaatlichem Recht keinen Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen nach § 236 AO hat (vgl. EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 82; vgl. in diesem Sinne bereits EuGH, Urteil vom 18. Januar 2017 C-365/15 ECLI:EU:C:2017:19, Randnr. 20 ff.; vgl. auch Finanzgericht –FG– Hamburg, Urteil vom 3. November 2022 – 4 K 56/18, ZfZ 2023, 225).
28ee) Die Modalitäten für die Zahlung von Zinsen bei der Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Geldbeträgen richten sich in Ermangelung einer Unionsregelung nach dem innerstaatlichen Recht (EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 74). Demgemäß enthalten die §§ 238 und 239 AO die Vorgaben zur Höhe und zum Verfahren der Zinsfestsetzung (vgl. BFH, Beschluss vom 5. Dezember 2017 VII B 85/17, BFH/NV 2018, 321). Der Zinssatz beträgt nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO 0,5 % pro Monat. Die Pflicht zur Verzinsung erstreckt sich entgegen § 238 Abs. 1 Satz 2 AO jedoch auf den gesamten Zeitraum, in dem der Betrag dem Erstattungsberechtigten nicht zur Verfügung stand, nicht nur auf volle Zinsmonate (vgl. BFH, Urteil vom 15. November 2022 VII R 29/21 (VII R 17/18), BFHE 279, 1). Dies gebieten die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität (vgl. EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 74 f.). Der Zinslauf beginnt daher an dem Tag, an dem der Betreffende den fraglichen Geldbetrag hätte erhalten sollen und endet an dem Tag, an dem dieser an ihn entrichtet wurde (vgl. EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 75.). Für den Fall einer beantragten Energiesteuervergütung, die mangels Umsetzung einer obligatorischen Steuerbefreiung in nationales Recht zu Unrecht erhoben wurde, steht der Steuerbehörde nach der Rechtsprechung des BFH eine angemessene Frist für die Bearbeitung zu. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung hat der BFH zur Bestimmung der angemessenen Bearbeitungsfrist auf Art. 19 Abs. 2 und 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2009 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige, zurückgegriffen. Demnach stehen der Steuerbehörde insgesamt vier Monate und zehn Arbeitstage nach dem Eingang des vollständigen Entlastungsantrags zur Verfügung, um über den Erstattungsantrag zu entscheiden und den Erstattungsbetrag auszuzahlen (vgl. BFH, Urteil vom 22. Oktober 2019 VII R 24/18, BFHE 267, 90, Randnr. 26, 28, 30). Dieser Maßstab lässt sich auf den Streitfall übertragen, in dem hiermit vergleichbar über die Verzinsung von verspätet erstatteten Entlastungsbeträgen auf der Grundlage einer fakultativen Steuerbefreiung zu entscheiden ist. Der Zinslauf endet im Zeitpunkt der Erstattung, d.h. am Tag des Zahlungseingangs bei der Klägerin. Der zu verzinsende Betrag ist gemäß § 238 Abs. 2 AO abzurunden. Diesen Grundsätzen entspricht die Berechnung des von der Klägerin ermittelten Zinsbetrags, die auch der Beklagte nicht in Abrede stellt. Im Ergebnis ergeben sich für die den Zeitraum August bis Dezember 2013 (nur § 10 StromStG) und 2014 bis 2017 (§§ 9b, 10 StromStG) Zinsen i.H.v. 296.643,80 €.
29b) Die Klägerin hat hingegen keinen Anspruch auf die Verzinsung des Entlastungsbetrages nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013, da der Anspruch bereits verjährt ist. Die Klägerin hat die Festsetzung der Zinsen insofern erst mit ihrem an die Generalzolldirektion gerichteten Schreiben vom 22. August 2022 und damit nach Ablauf der Festsetzungsverjährung geltend gemacht, was sie dem Beklagten erst mit Schreiben vom 12. Mai 2023 mitgeteilt hat.
30Das Verfahren der Zinsfestsetzung richtet sich nach dem nationalen Recht (s.o.). Für die Beurteilung der Festsetzungsverjährung eines unionsrechtlichen Erstattungszinsanspruchs ist § 239 AO maßgeblich (vgl. hierzu FG Hamburg, Urteil vom 3. November 2022 – 4 K 103/21, juris). Nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO a.F. (Gesetz vom 18. Juli 2016, BGBl. I 2016, 1679) beträgt die Frist für die Festsetzung der Zinsen ein Jahr. Die Festsetzungsfrist beginnt in entsprechender Anwendung von § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer erstattet oder die Steuervergütung ausgezahlt worden ist. Da § 236 AO dem unionsrechtlichen Zinsanspruch hinsichtlich Gegenstand und Rechtsgrund sehr ähnlich ist, ist § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO entsprechend anzuwenden (so auch FG Hamburg, Urteil vom 3. November 2022 – 4 K 103/21, juris, Randnr. 13, 15). Der Erstattungsbetrag nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013 wurde der Klägerin am 20. Januar 2020 ausgezahlt. Sofern die Klägerin abweichend hiervon bezüglich des Beginns der Festsetzungsfrist auf § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 i.V.m. § 233a Abs. 2 Satz 3 AO analog abstellt, führt dies zu keinem abweichenden Ergebnis, da die Steuerfestsetzung mit Bescheid vom 15. Januar 2020 wirksam wurde. In beiden Fällen begann der Zinslauf mit Ablauf des 31. Dezembers 2020 und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2021.
31Mit ihrem Schriftsatz vom 23. Dezember 2021 hat die Klägerin den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht nach § 239 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 171 Abs. 3 AO gehemmt. Hiermit beantragte die Klägerin ausdrücklich nur die Zinsfestsetzungen für die übrigen Entlastungsbeträge, die nicht Gegenstand des vorherigen Klageverfahrens waren. So lautet die Betreffzeile bereits „Antrag auf Entlastung von der Stromsteuer nach § 10 StromStG für VZ 08/2013-12/2013; Anträge auf Entlastung von der Stromsteuer nach §§ 9b, 10 StromStG für Kj 2014-2019“. Eben auf diese Entlastungen bezieht sich die nachfolgenden Betreffzeile „Hier: Antrag auf Festsetzung der Zinsen auf Erstattungsbeträge gemäß §§ 9b, 10 StromStG“. Die Entlastung nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt vom 1. August bis zum 31. Dezember 2013 ist hingegen nicht genannt. Gleiches gilt für die nachfolgende Passage, in der die Klägerin die „Festsetzung von Zinsen, die auf durch nachfolgende Bescheide des Hauptzollamts L. festgesetzten Entlastungsbeträge angefallen sind“, beantragt. Hiermit sind gerade nicht sämtliche Zeiträume ungeachtet der Entlastungsnorm angesprochen. Vielmehr sind in der nachfolgenden Tabelle die Erstattungsbeträge, für die eine Verzinsung beantragt wird, konkret nach Entlastungsnorm und –zeitraum beziffert. Der Entlastungsbetrag nach § 9b StromStG für den Entlastungsabschnitt 2013 wird gerade nicht aufgelistet. Eine anderslautende Auslegung der eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten kommt nicht in Betracht (vgl. BFH, Urteil vom 14. Juni 2016 IX R 11/15, BFH/NV 2016, 1676, Randnr. 22). Unbeschadet hiervon ergibt auch eine Auslegung kein anderes Ergebnis, sofern das wirklich Gewollte der Klägerin zweifelhaft wäre. Zwar dürfen nach der Rechtsprechung des BFH zur verfassungsrechtlich gebotenen rechtsschutzgewährenden Auslegung von Einspruchsschriften auch nachträglich eingereichte Begründungen berücksichtigt werden. Bei nachträglich eingereichten Begründungen ist aber stets anhand objektiver Umstände zu prüfen, ob der Steuerpflichtige die Anfechtung eines bestimmten Verwaltungsaktes bereits bei der Einlegung des Einspruchs in seinen Willen aufgenommen hatte oder ob sich dieser Wille erst nachträglich gebildet hat. Die Auslegung darf mithin nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen (vgl. BFH, Urteil vom 29. Oktober 2019 IX R 4/19, BFHE 266, 126, Randnr. 12 f, 22 f.). Gemessen an diesen Maßstäben, die sich auf den Streitfall übertragen lassen, kann der Wille der Klägerin, bereits mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 die Zinsfestsetzung bzgl. des Entlastungsbetrages nach § 9b StromStG für 2013 begehrt zu haben, nicht festgestellt werden. Anders als die von der Klägerin aufgelisteten Erstattungsbeträge wurden für diesen Entlastungsbetrag bereits Prozesszinsen nach § 236 AO gezahlt, die den überwiegenden Teil des Zinszeitraums erfassen, sodass ein darüberhinausgehendes Verzinsungsbegehren nicht ohne Weiteres angenommen werden kann. Somit hat die Klägerin im Schreiben vom 22. August 2022 erstmals gegenüber der Generalzolldirektion als für die Festsetzung der Zinsen unzuständiger Behörde nur diesen nachträglich gebildeten Willen kundgetan. Im Übrigen ist die Klägerin in der Einspruchsbegründung vom 12. Mai 2023 sowie in der Klagebegründung vom 26. Oktober 2023 selbst davon ausgegangen, ihren Antrag erst am 22. August 2022 entsprechend erweitert zu haben. Allerdings handelt es sich nicht um einen einheitlichen Verzinsungsantrag für sämtliche Zeiträume, der betragsmäßig um die Verzinsung des Erstattungsbetrages nach § 9b StromStG für 2013 erweitert wurde, sondern um mehrere, eigenständige Anträge auf die Verzinsung des jeweiligen Entlastungsbetrages, für die dementsprechend eigene Verjährungsfristen gelten.
32Die Festsetzungsfrist von zwei Jahren gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO in der Neufassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12. Juli 2022 (BGBl I 2022, 1142) kommt im Streitfall nicht zur Anwendung. Nach Art. 97 § 15 Abs. 15 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung in der Fassung vom 12. Juli 2022 gilt die Neufassung von § 239 Abs. 1 Satz 1 AO in allen Fällen, in denen die Festsetzungsfrist am 21. Juli 2022 noch nicht abgelaufen ist. Vorliegend endete die Festsetzungsfrist jedoch – wie zuvor dargelegt – bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2021.
33Die nationale Festsetzungsfrist von einem Jahr führt auch nicht dazu, dass dem Betroffenen die Ausübung der durch das Unionsrecht eingeräumten Rechte, vorliegend des Anspruchs auf Verzinsung unionsrechtswidrig versagter Steuerbegünstigungen, entgegen den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität (vgl. zu dieser Anforderung EuGH, Urteil vom 28. April 2022 C-415/20, C-419/20 und C-427/20, ECLI:EU:C:2022:306, Randnr. 74 f.) praktisch unmöglich gemacht wird (vgl. hierzu FG Hamburg, Urteil vom 3. November 2022 – 4 K 103/21, juris, Randnr. 16 f.). Dies wird im Streitfall zudem dadurch deutlich, dass die Klägerin für die Verzinsung der übrigen Entlastungsbeträge einen fristgerechten Antrag gestellt hat.
342. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3, § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 711, 708 Nr. 10 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.