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Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids und der Bewilligung vom 23. März 2021, soweit hiermit die gemeinsame Lagerung von Unionswaren und Nicht-Unionswaren unter buchmäßiger Trennung nach Warenart, zollrechtlichem Status und ggf. Warenursprung versagt wurde, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. September 2021 verpflichtet, die Zolllagerbewilligung vom 23. März 2021 mit einer entsprechenden Erlaubnis zu versehen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin handelt weltweit mit Waren der chemischen Industrie. Sie beantragte mit Schreiben vom 17. Juli 2020 beim Beklagten die Bewilligung für den Betrieb von Lagerstätten zur Zolllagerung von Waren. Für ihr Warenverteilzentrum in L. (das sog. K.) begehrte sie, Nicht-Unionswaren und Unionswaren zusammen zu lagern und lediglich buchmäßig nach Art. 177 Abs. 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (UZK-DelVO) zu trennen. Zur Begründung machte sie geltend, dass eine gemeinsame Lagerung zum wirtschaftlich effizienten Betrieb des Lagers unerlässlich sei. Das Lager umfasse ca. 72.000 qm und beinhalte ca. 100.000 Palettenplätze zzgl. tausender Lagerplätze in den Kleinteilbereichen und Hochregallagern zur Abwicklung von Massengeschäften. Täglich verließen ca. 200.000 Karton das Lager. Sie wolle daher in der Lage sein, je nach Zielort der Lieferung inner- oder außerhalb des Zollgebiets, buchmäßig entsprechend auf Unions- oder Nicht-Unionswaren zurückzugreifen, ohne hierbei physisch innerhalb des Gesamtlagerbestandes der Waren nach einer Materialnummer unterscheiden zu müssen. Eine Materialnummer vergebe sie jeweils für Waren mit demselben achtstelligen KN-Code, derselben Handelsqualität und denselben technischen Merkmalen, jedoch unabhängig vom Status der Waren. Die buchmäßige Trennung erfolge anhand der EDV-Systeme. Eine physische Kennzeichnung von Nicht-Unionswaren und Unionswaren unter Zuordnung zu einzelnen Kundenaufträgen zur statuserhaltenden Lagerung würde zusätzliche Lagerfläche erfordern und zusätzliche Wegstrecken für Flurförderfahrzeuge, die zwischen den einzelnen Lagerplätzen pendeln müssten, verursachen. Um jederzeit den Status der Waren feststellen zu können, sei eine Umstellung der IT-Systeme erforderlich. Neben Kosten für externe Berater fielen hohe Testkosten an, da die Systeme zur kritischen Infrastruktur der Lagerverwaltung zählten und die Systemumstellung den Logistikablauf in Gänze beeinflussen würde.
3Der Beklagte erteilte der Klägerin mit Bescheid vom 23. März 2021 mit Wirkung ab dem Folgetag die Bewilligung für den Betrieb von Lagerstätten zur Zolllagerung von Waren, allerdings „mit der Einschränkung, dass bei einer gemeinsamen Lagerung von Nicht-Unionswaren mit Unionswaren die statuserhaltende Sicherung der Nämlichkeit gewährleistet sein muss. Ebenso muss am Lagerplatz die Unterscheidung von Nicht-Unionswaren und Unionswaren erkennbar sein.“ Dem Antrag auf Bewilligung der Verwaltung von Lagerbeständen nach dem Verfahren der buchmäßigen Trennung werde nicht entsprochen. Zur Begründung machte der Beklagte geltend: Nach Sinn und Zweck des Art. 177 UZK-DelVO komme es maßgeblich auf die Art der Ware und die damit verbundene Möglichkeit der Lagerung an. Es solle eine gemeinsame Lagerung nur solcher Waren ermöglicht werden, bei denen die Sicherung der Nämlichkeit unmöglich sei, weil die Waren sich bspw. bei der Lagerung in einem Tank/Silo vermischen oder verbinden würden oder deren Nämlichkeitssicherung durch die Errichtung eines weiteren Tanks/Silos mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden sein würde. Die vorliegend tatsächlich vorhandene Möglichkeit der Warenunterscheidung dürfe nicht zur betriebswirtschaftlichen Kostenminimierung unmöglich gemacht werden. Zudem könne die Überprüfung der zum Zolllagerverfahren angemeldeten Waren im Rahmen der zollamtlichen Überwachung nur anhand der nämlichen Ware erfolgen.
4Dem Bescheid fügte der Beklagte einen ATLAS-Ausdruck der elektronisch erteilten Bewilligung bei. Dort wurden unter Feld 7 zur „Lagerung von Unionswaren“ die Worte „Regelung zur buchmäßigen Trennung“ sowie „buchmäßige Überwachung“ durchgestrichen. In der Anlage zu Feld 20 „Nationale Bestimmungen“ heißt es: „Bei Zusammenlagerung muss der zollrechtliche Status der Ware jederzeit erkennbar sein. Es wird eine gemeinsame Lagerung von Unionswaren mit Nicht-Unionswaren bewilligt. Aber nur unter folgenden Auflagen: […] Jederzeit muss sichergestellt sein, dass der Status und die Nämlichkeit der gelagerten Waren und der Lagerplatz aufgezeigt werden kann […].“
5Gegen die Streichung der Worte „Regelung zur buchmäßigen Trennung“ sowie „buchmäßige Überwachung“ in Feld 7 der Bewilligung legte die Klägerin am 22. April 2021 Einspruch ein, mit dem sie geltend machte: Durch die Ausführungen in der Anlage zu Feld 20 sei die gemeinsame Lagerung von Unionswaren mit Nicht-Unionswaren bewilligt worden. Damit gehe zwangsläufig die Bewilligung der buchmäßigen Trennung einher, da diese gerade der in der Neufassung des Art. 177 UZK-DelVO eingefügten Legaldefinition der gemeinsamen Lagerung entspreche.
6Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 1. September 2021 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Das Einspruchsverfahren richte sich gegen die Versagung der Bewilligung zur Verwaltung der Lagerbestände nach dem Verfahren der buchmäßigen Trennung, die der Klägerin im „Begleitschreiben“ zur Bewilligung ausdrücklich mitgeteilt worden sei. Die statuserhaltende Lagerung der streitgegenständlichen Waren sei nicht unmöglich. Bei der Frage, ob eine gemeinsame Lagerung mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden sei, könnten nur Kosten berücksichtigt werden, die – anders als es vorliegend der Fall sei – unmittelbar mit der Beschaffenheit der Ware verbunden seien.
7Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend: Die Einspruchsentscheidung sei formell rechtswidrig, da ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Obwohl sie mit Schreiben vom 30. August 2021 mitgeteilt habe, von der vom Beklagten in Aussicht gestellten Möglichkeit zur Erörterung des Sach- und Streitstands nach § 364a der Abgabenordnung (AO) Gebrauch machen zu wollen, habe dieser am 1. September 2021 die Einspruchsentscheidung erlassen. Zudem sei in der ausdrücklich ausgesprochenen Bewilligung der gemeinsamen Lagerung zugleich die Bewilligung der buchmäßigen Trennung zu erblicken. Sie dürfe darauf vertrauen, dass der Beklagte die gesetzlich definierten Begriffe zutreffend verwende.
8Unbeschadet hiervon habe sie einen Anspruch auf die Verwaltung der Lagerbestände nach dem Verfahren der buchmäßigen Trennung. Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO stelle eine intensive Form der Zusammenlagerung i.S.d. Art. 237 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK) dar. Die beiden Tatbestandsvarianten von Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO stünden dem Wortlaut nach in einem Alternativverhältnis. Die jederzeitige Sicherung der Nämlichkeit und die Erkennbarkeit des zollrechtlichen Status der Waren seien ihr aufgrund der Gegebenheiten im Verteilzentrum in L. ausschließlich durch eine physische Trennung der Waren möglich, was zu einer deutlich schlechteren Effizienz des Betriebs und zu unverhältnismäßigen Zusatzkosten führe. Die Kommissionierung erfolge derzeit manuell durch Mitarbeiter, die den jeweiligen Artikel am Lagerplatz nicht auftragsbezogen, sondern für alle Auslieferungsgebiete und Aufträge gebündelt entnähmen. Hierdurch müsse der Platz nur einmal für alle Aufträge angefahren werden (sog. Bundling-Effekt). Für eine Unterscheidbarkeit zwischen Unionswaren und Nicht-Unionswaren müsse sie hingegen für jeden Artikel jeweils einen Bestand separat auf zwei unterschiedlichen Kommissionierungsplätzen lagern, wofür die derzeitige Lagerfläche praktisch verdoppelt werden und der Mitarbeiter mehr Wege zurücklegen müsse, die sich nur bei Platzierung der Waren unmittelbar nebeneinander reduzieren ließen, was allerdings nicht sichergestellt werden könne. Zudem entstehe sowohl die Gefahr von Leerflächen als auch von Platzmangel. Bei ca. 1.000 unterschiedlichen Artikeln im Lager in L. und ca. ... € Kosten pro Lagerplatz im Monat würden durch die doppelte Lagerung ca. ... € zusätzliche Lagerkosten und weitere ... € Personalkosten zur Kommissionierung anfallen. Zudem würde eine Anpassung der IT-Systeme notwendig. Auf Basis von Erfahrungswerten sei mit Kosten für die externe Entwicklung von ca. ... € sowie für interne Entwicklungen wie z.B. das Anlegen von Umbuchungsmasken und neuen Bestandskategorien von ungefähr ... € zu rechnen. Hinzu kämen Kosten für Testaufwendungen in Höhe von ca. ... €. Jedes Jahr, in dem sie von der Zolllagerbewilligung keinen Gebrauch machen könne, entgingen ihr Zolleinsparungen von ca. ... € bis ... €, da sie die gelagerten Nicht-Unionswaren trotz späterer Wiederausfuhr in den zollrechtlich freien Verkehr überführen müsse. Ein manuelles Anbringen von Kennzeichnungen oder scanbaren Codes an den Waren könne nur durch eine vollständige Umorganisation der Lagerprozesse und eine Neuprogrammierung des Lagerverwaltungssystems ermöglicht werden, wodurch noch höhere Kosten als bei einer physischen Trennung anfielen. Anhand der derzeitigen IT-Systeme sei sie in der Lage, die Warenbewegungen und Lagerplätze aufzuzeigen sowie die Bestände von Unionswaren und Nicht-Unionswaren abzubilden. Lediglich am körperlichen Standort einer Warengruppe könne sie den Status der einzelnen Waren nicht feststellen. Damit genüge sie den an sie als zugelassenem Wirtschaftsbeteiligen (AEO F) und als Zolllagerinhaber gestellten Anforderungen. Ansonsten könne einem AEO oder einem Zolllagerinhaber entgegen der gesetzgeberischen Intention niemals eine gemeinsame Lagerung unter buchmäßiger Trennung bewilligt werden. Sie werde keine Präferenzwaren zum Zolllagerverfahren anmelden, sondern überführe diese in den zollrechtlich freien Verkehr.
9Im Übrigen sei ihr bereits unter der Geltung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex – ZK) für ein Zolllager des Typs D das Verfahren der buchmäßigen Trennung bewilligt worden. Ihr Lagerverwaltungssystem habe sie im Rahmen des damaligen Bewilligungsverfahrens im Einvernehmen mit dem Beklagten selbst entwickelt. Zudem habe sich der Bewertungsmaßstab von Art. 177 UZK-DelVO im Vergleich zu demjenigen des Art. 534 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK-DVO) zugunsten des Wirtschaftsbeteiligten geändert, da ersterer um die Alternative der unverhältnismäßig hohen Kosten erweitert worden sei. Beides spreche zumindest dafür, ihr auch bzw. erst recht unter der Geltung des UZK die Bewilligung zu erteilen, da sich ihre Verhältnisse und Lagerprozesse nicht verändert hätten.
10Die Klägerin beantragt,
111. den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheids und der Bewilligung vom 23. März 2021, soweit hiermit die gemeinsame Lagerung von Unionswaren und Nicht-Unionswaren unter buchmäßiger Trennung nach Warenart, zollrechtlichem Status und ggf. Warenursprung versagt wurde, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. September 2021 zu verpflichten, die Zolllagerbewilligung vom 23. März 2021 mit einer entsprechenden Erlaubnis zu versehen;
2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16In Ergänzung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren macht er geltend: Der Klägerin sei nur die Zusammenlagerung, d.h. die Lagerung von Nicht-Unionswaren und Unionswaren an einem Ort, bewilligt worden, was sich aus dem ansonsten hierzu im Widerspruch stehenden weiteren Inhalt ergebe.
17Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO seien vorliegend nur die Kosten des Betriebs der Lagerhaltung, d.h. vorliegend für längere Kommissionierungswege und –zeiten, zu berücksichtigen, nicht jedoch Kosten, durch die eine statuserhaltende Lagerung erst ermöglicht werde. Art. 177 UZK-DelVO sehe nämlich eine Prüfungsreihenfolge der Tatbestandsmerkmale vor. Nur wenn eine statuserhaltende Lagerung der Waren unmöglich sei, komme es in einem nächsten Schritt auf die Verhältnismäßigkeit der Kosten an, die für die Schaffung der statuserhaltenden Lagerung aufgewendet werden müssten. Der Klägerin sei eine statuserhaltende Lagerung angesichts der Art und der Aufmachung der Waren allerdings nicht unmöglich.
18Eine Überprüfung der Waren im Rahmen der zollamtlichen Überwachung könne nur anhand der nämlichen Waren durchgeführt werden. Da die Klägerin auch Präferenzwaren einlagere, sei eine andere Vorgehensweise nicht denkbar. Es müsse daher sichergestellt sein, dass der zollrechtliche Status der Ware bei ihrer Entnahme bekannt und vor Ort nachprüfbar sei. Hierfür müsse eine körperliche Unterscheidung der Waren hinsichtlich ihres zollrechtlichen Status möglich sein, damit bei der buchmäßigen Reduzierung des Bestands von Nicht-Unionswaren auch tatsächlich eine solche entnommen werde. Dies könne zum Beispiel durch Kennzeichnungen an den Umverpackungen oder durch intern vergebene, scannbare Artikelnummern geschehen. Insofern werde keine physisch getrennte Lagerung – insbesondere nicht auf unmittelbar nebeneinanderliegenden Plätzen – verlangt. Die Kostenkalkulation der Klägerin basiere daher auf falschen Annahmen. Die für tatsächlich erforderliche Maßnahmen entstehenden Kosten seien auch im Hinblick auf die Größe des Zollagers jedenfalls nicht als unangemessen anzusehen. Ihm seien andere Fälle bekannt, in denen eine Nämlichkeitssicherung durch die Vergabe von unterschiedlichen Artikelnummern beim Eingang der Waren in das Zolllager ermöglicht werde. Als zugelassener Wirtschaftsbeteiligter müsse die Klägerin im Übrigen ohnehin nach Art. 39 Buchst. b UZK i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Buchst. e der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK-DVO) über ein Logistiksystem verfügen, das eine Unterscheidung zwischen Unionswaren und Nicht-Unionswaren zulasse und gegebenenfalls eine Lokalisierung ermögliche. Es sei daher nicht nachzuvollziehen, weshalb Kosten für eine Umstellung der IT-Systeme erforderlich seien.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage ist begründet.
21I. Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, die der Klägerin am 23. März 2021 erteilte Zolllagerbewilligung (Art. 211 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b UZK) mit der Erlaubnis zu versehen, im Rahmen der nach Art. 237 Abs. 3 UZK bewilligten Zusammenlagerung von Nicht-Unionswaren und Unionswaren nur buchmäßig nach Warenart, zollrechtlichem Status und gegebenenfalls Warenursprung zu trennen, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
221. Die Erlaubnis zur gemeinsamen Lagerung von Unionswaren mit Nicht-Unionswaren unter buchmäßiger Trennung nach Art. 177 UZK-DelVO ist der Klägerin nicht bereits im Rahmen der Zolllagerbewilligung vom 23. März 2021 erteilt worden. Gegenstand der vorliegenden Verpflichtungsklage ist nach § 44 Abs. 2 FGO neben dem Verpflichtungsbegehren zugleich die Anfechtung des ablehnenden Verwaltungsaktes in der Gestalt der Einspruchsentscheidung (vgl. hierzu Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 44 FGO, Rn. 65 und 311). Jedenfalls mit der Einspruchsentscheidung vom 1. September 2021 hat der Beklagte die gemeinsame Lagerung nach Art. 177 UZK-DelVO abgelehnt.
232. Soweit die Klägerin die formelle Rechtswidrigkeit der Einspruchsentscheidung geltend macht, führt die Klage nicht zum Erfolg. Eine eventuelle Verletzung ihres Anspruchs auf die Gewährung von rechtlichem Gehör durch die fehlende Erörterung des Sach- und Streitstands nach § 364a Abs. 1 Satz 1 AO ist jedenfalls nach § 126 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO im Klageverfahren geheilt worden. Im Übrigen könnte das Gericht bei einem Verstoß gegen § 364a AO allenfalls den Verwaltungsakt und die Einspruchsentscheidung nach § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, oder die Einspruchsentscheidung nach § 100 Abs. 1 FGO isoliert aufheben, wenn ein berechtigtes Interesse daran besteht (vgl. BFH, Urteil vom 11. April 2012 I R 63/11, BFHE 237, 29 Rn. 14). Es liegen weder diese Voraussetzungen vor noch entsprechen die genannten Rechtsfolgen dem Klagebegehren, das auf eine Sachentscheidung gerichtet ist.
243. Die Klägerin hat gemäß Art. 211 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b UZK i.V.m. Art. 177 UZK-DelVO einen Anspruch auf das Versehen der Zolllagerbewilligung mit der Erlaubnis, bei der Zusammenlagerung von Unionswaren mit Nicht-Unionswaren im Zolllager zwischen diesen nur buchmäßig nach Warenart, zollrechtlichem Status und gegebenenfalls Warenursprung zu trennen.
25a) Nach Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO ist hierfür Voraussetzung, dass es bei einer Lagerung von Unionswaren zusammen mit Nicht-Unionswaren in einem Zolllager unmöglich ist oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich wäre, jederzeit die Nämlichkeit jeder Warenart zu sichern (gemeinsame Lagerung).
26aa) Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass es der Klägerin im Hinblick auf die Art und die Beschaffenheit der gelagerten Waren nicht unmöglich ist, jederzeit die Nämlichkeit jeder Warenart zu sichern (Art. 177 Abs. 1 Alt. 1 UZK-DelVO).
27bb) Die jederzeitige Sicherung der Nämlichkeit jeder Warenart ist vorliegend allerdings nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglich (Art. 177 Abs. 1 Alt. 2 UZK-DelVO).
28(a) Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind sämtliche Kosten, die mit einer nämlichkeitssichernden Lagerung verbunden wären, zu berücksichtigen. Dies schließt im Streitfall neben den zusätzlichen Kosten im laufenden Lagerbetrieb auch die Kosten mit ein, die für die erstmalige Schaffung der Voraussetzungen einer nämlichkeitssichernden Zusammenlagerung anfallen würden. Die vom Beklagten angenommene Prüfungsreihenfolge, nach der die Frage, ob eine nämlichkeitssichernde Lagerung aufgrund der Beschaffenheit der Waren unmöglich ist, in Form eines Rangverhältnisses der Beurteilung der zu berücksichtigenden Kosten vorzuschalten sei, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen. Diese Prüfungsreihenfolge würde vielmehr zu einer unzulässigen Vermischung der Tatbestandsalternativen führen.
29Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO sieht dem Wortlaut nach („oder“) zwei Tatbestandsalternativen vor, die unabhängig voneinander erfüllt sein und die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge auslösen können. Jeder Tatbestandsalternative kommt hierbei ein eigenständiger Anwendungsbereich zu. Sofern die nämlichkeitssichernde Lagerung aufgrund der Warenart – wie etwa bei der Lagerung von Getreide in Silos oder Öl in Tanks aufgrund von Vermischung oder Vermengung – bereits unmöglich ist, kommt es auf die Frage der Kosten einer nämlichkeitssichernden Lagerung schon nicht mehr an. Ist die nämlichkeitssichernde Lagerung zwar theoretisch möglich, kommt es hingegen darauf an, ob diese in der tatsächlichen Umsetzung – insbesondere im Hinblick auf die Warenbeschaffenheit sowie die Lagermodalitäten – zu unverhältnismäßig hohen Kosten führen würde.
30Dafür spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift. Art. 177 UZK-DelVO dient dem Interesse der Wirtschaftsbeteiligten nach effektiver bzw. zweckmäßiger Ausnutzung von Lagerflächen (vgl. Kock in Dorsch, Zollrecht, Art. 237 UZK Rn. 23). Daher kommt eine gemeinsame Lagerung u.a. auch dann in Betracht, wenn z.B. große Mengen technischer Ersatzteile mit gleichen Artikelnummern am selben Lagerplatz gelagert werden und die jederzeitige Sicherung der Nämlichkeit aufgrund der Warenstruktur (Kleinteile) und ihrer Menge nur mit erheblichem logistischen Aufwand (wie Vergabe unterschiedlicher Artikelnummern, exakte Kennzeichnung der Waren, eingehende Unterrichtung des Personals usw.) sichergestellt werden kann (Henke in Witte, Zollkodex, 6. Auflage 2013, Art. 106 Rn. 8 zur Vorgängerreglung).
31Hierfür spricht ferner die Entstehungsgeschichte von Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO. Nach der Vorgängerregelung des Art. 534 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 ZK-DVO konnten die Zollbehörden eine gemeinsame Lagerung zulassen, sofern es nicht möglich war, jederzeit den zollrechtlichen Status jeder Warenart festzustellen. Hierunter fielen jedoch auch die Fälle, in denen die gelagerten Waren sich zwar nicht im wörtlichen Sinne vermischten oder vermengten, aber dennoch nur mit hohem Aufwand unterscheidbar waren (vgl. Henke in Witte, Zollkodex, 6. Auflage 2013, Art. 106 Rn. 8). Die Einfügung der weiteren Tatbestandsalternative in Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO, wodurch nunmehr ausdrücklich zwischen der unmöglichen und der nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten möglichen nämlichkeitssichernden Lagerung unterschieden wird, hat damit klarstellenden Charakter.
32Lediglich die von der Klägerin geltend gemachten Verluste aus den nicht erlangten Zolleinsparungen sind nicht als Kostenfaktor zu berücksichtigen, da diese nicht für eine nämlichkeitssichernde Lagerung aufgewendet werden müssten. Denn diese resultieren gerade daraus, dass die Klägerin aufgrund der bisher nicht bewilligten gemeinsamen Lagerung von der Zolllagerbewilligung keinen Gebrauch gemacht hat und sämtliche Nicht-Unionswaren in den zollrechtlich freien Verkehr überführt. Hätte die Klägerin die aus Sicht des Beklagten erforderliche nämlichkeitssichernde Lagerung ermöglicht und wäre ihr in der Folge die gemeinsame Lagerung bewilligt worden, wären die Verluste aus den nicht erlangten Zolleinsparungen vielmehr wegfallen.
33(b) Demgemäß würde vorliegend eine nämlichkeitssichernde Lagerung nach der Kalkulation der Klägerin zu höheren Lagerkosten von ca. ... € und zusätzlichen Personalkosten von im Durchschnitt ca. ... € pro Jahr führen sowie einmalige Kosten für die IT-Umstellung von ca. ... € (externe Entwicklung ... €, interne Entwicklung ... € und Testaufwendungen ... €) erfordern. Selbst vor dem Hintergrund der Größe des Zolllagers und des Unternehmens der Klägerin sind Kosten in dieser Höhe allein zur Sicherung der Nämlichkeit unverhältnismäßig. Bereits die jährlichen Mehraufwendungen von ca. ... € in jedem zukünftigen Geschäftsjahr stellen eine erhebliche wirtschaftliche Belastung dar.
34Zwar basiert die Kostenkalkulation der Klägerin zur Unterscheidung zwischen Nicht-Unionswaren und Unionswaren auf der Annahme einer doppelten Lagerfläche. Der Beklagte weist insofern zu Recht darauf hin, dass diese zur Nämlichkeitssicherung nicht erforderlich ist. Gleichwohl ist der Klägerin eine andere Art der Unterscheidung auf Grund ihrer Lagerprozesse nicht möglich. Die Klägerin betreibt ein hochspezialisiertes Verteilzentrum mit einer Lagerfläche von ca. 72.000 qm, auf der eine Vielzahl von Waren u.a. in Hochregallagern und Kleinteilbereichen gelagert werden. Aus dem Lager werden täglich bis zu 200.000 Karton versendet. Insofern wäre eine Kommissionierung bei gemeinsamer Lagerung von Nicht-Unionswaren und Unionswaren einer Warengruppe in einem Regal bzw. Fach nicht nur mit der Vergabe unterschiedlicher Artikelnummern verbunden, sondern würde zusätzlich zu einem erheblichen logistischen und zeitlichen Aufwand führen, da nunmehr am Lagerplatz und bei der Kommissionierung eine Status-Unterscheidung erforderlich wäre. Die Klägerin müsste nicht nur die IT-Systeme und deren Schnittstellen zum Teil neu programmieren, sondern letztlich ihre gesamten Lagerprozesse umstellen.
35Nichts Anderes folgt aus der vom Beklagten geltend gemachten Pauschalität der Kostenveranschlagung der Klägerin. Es handelt sich vorliegend nämlich überwiegend um eine Prognose von kalkulatorischen Kosten. Anders als der Bau eines weiteren Lagers, ist die Kalkulation von Mehraufwendungen für die Veränderung von logistischen Prozessen schwerer zu beziffern. Gleiches gilt für die Neuprogrammierung des von der Klägerin selbst entwickelten Zolllagersystems. Es kommt daher maßgeblich darauf an, dass die Klägerin ihre seit über 15 Jahren bestehenden Lagerprozesse zur Abwicklung von Massengeschäften mit erheblichem Aufwand allein zur Sicherung der Nämlichkeit umstellen müsste. Die Umstellung beträfe nicht nur die Vergabe neuer Artikelnummern und die damit zusammenhängende Programmierung der IT-Systeme, sondern sämtliche Abläufe bei der Kommissionierung sowie eine Unterrichtung und Einweisung von Mitarbeitern. Für das Ergebnis spricht ferner, dass die Klägerin seit der Ablehnung der gemeinsamen Lagerung im März 2021 ihre Lagerprozesse nicht entsprechend umgestellt hat. Wäre diese Umstellung ohne erheblichen Aufwand möglich gewesen, hätte die Klägerin die in der Zwischenzeit entstandenen Zollabgaben von fast ... € vermutlich nicht in Kauf genommen.
36Soweit der Beklagte auf andere ihm bekannte Fälle verweist, in denen eine Warenunterscheidung durch scannbare Warencodes erfolge, führt dies zu keiner anderen Beurteilung des Streitfalls. Art. 177 UZK-DelVO stellt eine Vorschrift zur Regelung von Einzelfällen dar, sodass es nicht auf die Verhältnisse in Zolllagern von anderen Bewilligungsinhabern ankommt. Insbesondere kommt es nach der zweiten Tatbestandsalternative des Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO nicht darauf an, ob anderen Bewilligungsinhabern eine nämlichkeitssichernde Lagerung möglich ist. Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, inwieweit die vom Beklagten genannten Fälle – insbesondere im Hinblick auf die vorgefundenen Lagerprozesse einschließlich der IT-Systeme, die Anzahl der ein- und ausgehenden Waren und die Lagerkapazität – mit dem Streitfall vergleichbar sind.
37(c) Die Vorschriften zur zollamtlichen Überwachung stehen der buchmäßigen Trennung nicht entgegen. Zwar unterliegen Nicht-Unionswaren nach Art. 240 Abs. 1 UZK im Zolllagerverfahren der zollamtlichen Überwachung (Art. 5 Nr. 27 UZK) und dürfen dieser nach Art. 242 Buchst. a UZK nicht entzogen werden. Zur zollamtlichen Überwachung gehört nach Art. 192 Abs. 1 Unterabs. 1 UZK auch die Sicherung der Nämlichkeit der Waren. Dies gilt allerdings nur, wenn eine solche Nämlichkeitssicherung erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass die Vorschriften für das Zollverfahren, zu dem diese Waren angemeldet wurden, erfüllt sind. Art. 177 UZK-DelVO gestaltet als Vorschrift für das Zolllagerverfahren die Pflichten des Bewilligungsinhabers entsprechend aus und legt insofern eine Ausnahme vom Nämlichkeitsprinzip fest. Könnte die zollamtliche Überwachung in jedem Fall nur anhand der nämlichen Ware erfolgen, verbliebe für Art. 177 UZK-DelVO kein Anwendungsbereich mehr. Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, dass im Hinblick auf die Lagerung von Präferenzwaren eine Ausnahme vom Nämlichkeitsprinzip nicht in Betracht komme, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sie keine Präferenzwaren lagere.
38Ob sich etwas anderes aus dem Status der Klägerin als zugelassener Wirtschaftsbeteiligter und den von Art. 39 Buchst. b UZK i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Buchst. e UZK-DVO vorgesehenen Anforderungen ergibt, kann dahinstehen. Der Status eines AEO-F ist keine Voraussetzungen für die Bewilligung der buchmäßigen Trennung nach Art. 177 Abs. 1 UZK-DelVO.
39b) Die Voraussetzungen von Art. 177 Abs. 2 UZK-DelVO sind erfüllt. Die Klägerin hat dargelegt, dass die Unionswaren, die zusammen mit Nicht-Unionswaren gelagert werden sollen, denselben achtstelligen KN-Code, dieselbe Handelsqualität und dieselben technischen Merkmale aufweisen, was auch der Beklagte nicht in Abrede stellt.
40c) Die Sache ist spruchreif. Art. 177 Abs. 1 UZK sieht auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessen der Zollbehörde, sondern eine gebundene Entscheidung vor, wenn, wie vorliegend, die Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind.
41II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1, § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.