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Der Bescheid vom 18.1.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.2.2023 wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass der Klägerin für das Jahr 2017 eine Entlastung nach § 9b StromStG i.H.v. ... Euro, nach § 10 StromStG i.H.v. ... Euro, nach § 54 EnergieStG i.H.v... Euro und nach § 55 EnergieStG i.H.v. ... Euro gewährt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin im Jahr 2017 als Unternehmen in Schwierigkeiten anzusehen war.
3Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft, die in D. ... herstellt. Komplementärin war im Jahr 2017 die M.-GmbH, Kommanditistin mit einer im Handelsregister eingetragenen Haftsumme und Kommanditeinlage von ... Euro war die T. GmbH.
4Die Klägerin stellte am 21.12.2017 einen Entlastungsantrag nach §§ 9b, 10 des Stromsteuergesetzes (StromStG) und nach §§ 54, 55 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) für den Zeitraum 1.1.-31.3.2017 und am 23.4.2018 für den Zeitraum 1.4.-31.12.2017. In den jeweils beigefügten Selbsterklärungen gab sie an, kein Unternehmen in Schwierigkeiten zu sein. Mit Bescheiden vom 15.1.2018 und vom 7.5.2018 gewährte der Beklagte eine Entlastung nach § 9b StromStG i.H.v. ... Euro, nach § 10 StromStG i.H.v. ... Euro, nach § 54 EnergieStG i.H.v. ... Euro und nach § 55 EnergieStG i.H.v. ... Euro.
5In ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2016 wies die Klägerin das Kapitalkonto I der Kommanditistin mit ... Euro, das Verlustvortragskonto der Kommanditistin mit -... Euro sowie (als Saldo beider Beträge) einen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Verlustanteil der Kommanditistin von ... Euro aus. Zum 30.6.2017 legte die Kommanditistin ... Euro in die Klägerin ein. Für das Jahr 2017 wies die Klägerin ursprünglich einen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Verlustanteil der Kommanditistin von rd. ... Euro aus.
6Das Hauptzollamt U. führte für das Jahr 2017 eine Außenprüfung bei der Klägerin durch. Der Prüfungsbericht vom 17.3.2020 kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im Jahr 2017 nur für einzelne Monate als Unternehmen in Schwierigkeiten einzustufen sei. Die Schwierigkeiten hätten nur im Zeitraum von Dezember 2016 bis zum 30.6.2017 und ab November 2017 bestanden. Da diese Zeiträume jeweils weniger als zwölf Monate betrügen, habe die beantragte Entlastung gewährt werden dürfen. Die Entlastung nach § 10 StromStG sei um ... Euro zu reduzieren, im Übrigen seien die Entlastungsbeträge nicht zu beanstanden.
7Mit Schreiben vom 26.9.2020 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass die Steuerentlastungen für das Jahr 2017 zu Unrecht gewährt worden seien, da sie ein Unternehmen in Schwierigkeiten gewesen sei. Soweit sie sich im Rahmen der Außenprüfung auf konzernintern gewährte Kreditlinien berufen habe, handele es sich um Fremdkapital, da die Kreditlinien verzinslich seien und sich nicht von einem gewöhnlichen Bankkredit unterschieden. Soweit Gesellschafter gegenüber der K. Aktiengesellschaft eine Kreditbesicherungsgarantie übernommen hätten, begründe auch diese keine Eigenmittel und sei betragsmäßig zudem unzureichend, um eine andere Einschätzung zu rechtfertigen. Für den Zeitraum der Schwierigkeiten sei auf die Bilanzstichtage abzustellen, so dass die am 30.6.2017 geleistete Einlage erst zum 31.12.2017 zu berücksichtigen sei. Zudem sei durchgängig und auch im Monat Juni 2017 mehr als die Hälfte der ausgewiesenen Eigenmittel infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen gewesen. Das Vorliegen eines positiven Eigenkapitals sei alleine nicht ausreichend.
8Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 20.11.2020 und machte insbesondere geltend, kein Unternehmen in Schwierigkeiten gewesen zu sein.
9Mit Bescheid vom 18.1.2021 änderte der Beklagte die Festsetzungen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) und forderte die an die Klägerin ausgezahlten Entlastungsbeträge i.H.v. ... Euro zurück.
10Hiergegen legte die Klägerin unter dem 28.1.2021 Einspruch ein. Sie machte im Einspruchsverfahren u.a. geltend: Der Beklagte könne sich nicht auf § 2a StromStG und § 3b EnergieStG stützen, da diese Regelungen im Jahr 2017 noch nicht in Kraft getreten gewesen seien. Es sei am 31.12.2017 auch nicht mehr als die Hälfte der Eigenmittel verlorengegangen. Diese hätten sich unter Berücksichtigung aktiver latenter Steuern auf einen positiven Betrag von ... Euro belaufen. Zwar sei von dem Recht zur Aktivierung latenter Steuern nach § 274 Abs. 1 Satz 2 des Handelsgesetzbuches (HGB) kein Gebrauch gemacht worden. Allerdings könne die Handelsbilanz erforderlichenfalls noch geändert und übersandt werden. Maßgeblich seien aber ohnehin die International Financial Reporting Standards (IFRS), auf die sich auch die Kommission in der Praxis stütze. Ferner sei – wie auch bei insolvenzgefährdeten Unternehmen – auch ein unterjähriger Nachweis möglich.
11Den Begriff der Eigenmittel reduziere der Beklagte zu Unrecht auf das Eigenkapital gemäß § 266 Abs. 3 HGB. Fremdmittel, auf die im Rahmen der Liquiditätsplanung frei zugegriffen werden könne, müssten berücksichtigt werden. Anders als etwa in Anhang 1 Art. 3 der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17.6.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung – AGVO –) sei in Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO bewusst gerade nicht von Eigenkapital die Rede. Auch bei den sogenannten Basel-III-Entscheidungen und den hierauf gestützten Rechtsakten zählten hybride Kapitalbestandteile zu den Eigenmitteln. In der Literatur würden wegen des Telos von Art. 107 AEUV auch Fremdmittel in die Prüfung einbezogen (Hinweis auf Grabitz/Hilf, Art. 107 AEUV Rn. 236). Als Eigenmittel seien daher auch die von ihrer Konzernschwester zur Verfügung gestellten Darlehen sowie die von der T. GmbH abgegebene Garantieerklärung zu berücksichtigen.
12Im Hinblick auf die Einlage vom 30.6.2017 sei sie allenfalls vom Dezember 2016 bis Juni 2017 und von Dezember 2017 bis März 2018 in Schwierigkeiten gewesen, also jedenfalls keine zwölf Monate am Stück.
13Der Begriff des Unternehmens in Art. 2 Nr. 18 AGVO sei weit auszulegen und erfasse die wirtschaftliche Einheit des Konzernverbundes. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass für Zwecke der AGVO auf die einzelne Gesellschaft, für Zwecke der Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen aber auf den gesamten Konzern abgestellt werde. Beihilferechtlich werde stets der ganze Konzern als wirtschaftliche Einheit betrachtet.
14Selbst wenn man annähme, dass Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO greife und die AGVO damit nicht anwendbar sei, sei nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StromStG und § 3b Abs. 2 Satz 1 EnergieStG auf die Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (2014/C 249/01) (Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien – RuU-LL –) abzustellen. Danach sei sie nicht in Schwierigkeiten gewesen, da keine negative Fortführungsprognose bestanden habe und auf den Gesamtkonzern abzustellen sei.
15Selbst wenn man sie aber als Unternehmen in Schwierigkeiten einstufen wollte, bestehe keine Pflicht des Beklagten zur Rückforderung der Entlastungen. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV beinhalte im Lichte des Effektivitätsgrundsatzes kein Rückforderungsgebot bei nur formell rechtswidrigen Beihilfen. Ohne entsprechenden Kommissionsbeschluss stelle die Regelung auch keine Rechtsgrundlage für die endgültige Nichtgewährung einer Beihilfe dar.
16Mit Entscheidung vom 14.2.2023, zugestellt am 22.2.2023, wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er wiederholte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Schreiben vom 26.9.2020 und machte ergänzend u.a. geltend: § 2a StromStG und § 3b EnergieStG seien für den Zeitraum 1.4.2017 bis 31.12.2017 anzuwenden, da nach dem Wortlaut auf die Antragstellung abzustellen sei, die hier nach dem 1.1.2018 liege. Für den Zeitraum bis zum 31.3.2017 gelte das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV. Maßgebend sei die AGVO. Auf die RuU-LL sei nicht abzustellen, da die beantragten Steuerentlastungen nach der AGVO angezeigt worden seien. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Verfahren VII R 28/19 zwischenzeitlich entschieden, dass bei der Prüfung des Art. 2 Nr. 18 Buchst. a) AGVO auf die einzelne Gesellschaft abzustellen sei.
17Die Klägerin hat am 21.3.2023 Klage erhoben, mit der sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und ergänzend u.a. geltend macht: Sie habe ihren Jahresabschluss auf den 31.12.2017 am 7.8.2023 geändert und aktive latente Steuern i.H.v. ... Euro aktiviert. Die Bilanz weise ein Eigenkapital von ... Euro aus, das demnach über dem haftenden Eigenkapital von ... Euro liege. Für die Änderung habe ein wirtschaftlich erheblicher Grund bestanden, da der Beklagte die Entlastung an den Kapitalausweis im Jahresabschluss knüpfe. Steuerrechtliche Gründe seien allgemein als wichtige Gründe anerkannt. Die Klägerin hat im Klageverfahren eine monatliche Übersicht über die Entwicklung ihrer Bilanzpositionen von November 2016 bis April 2018 vorgelegt.
18Die Klägerin beantragt,
191. den Bescheid vom 18.1.2021 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.2.2023 mit der Maßgabe aufzuheben, dass ihr für das Jahr 2017 eine Entlastung nach § 9b StromStG i.H.v. ... Euro, nach § 10 StromStG i.H.v. ... Euro, nach § 54 EnergieStG i.H.v. ... Euro und nach § 55 EnergieStG i.H.v. ... Euro gewährt wird;
2. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und macht ergänzend u.a. geltend: Die Klägerin habe von ihrem Wahlrecht zur Aktivierung latenter Steuern ursprünglich keinen Gebrauch gemacht. Die Änderung des unstreitig nicht fehlerhaften Jahresabschlusses sei unzulässig, da hierfür keine hinreichenden Gründe vorgelegen hätten. Zudem würde auch die Aktivierung der latenten Steuern die Voraussetzungen von Art. 2 Nr. 18 AGVO nicht entfallen lassen, da die Verlustvorträge weiterhin mehr als 50 % der Kapitalkonten zuzüglich latenter Steuern betrügen. Es könne auch nicht auf Zwischen- oder Monatsbilanzen abgestellt werden, da diese nur eine Momentaufnahme darstellten und nicht nach § 317 HGB geprüft worden seien. Auch eine unterjährige Berücksichtigung von Einlagen sei nicht vorgesehen.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Klägerin stehen die begehrten Steuerentlastungen nach §§ 9b, 10 StromStG und §§ 54, 55 EnergieStG im Jahr 2017 zu.
27I. Die Voraussetzungen der §§ 9b, 10 StromStG bzw. §§ 54, 55 EnergieStG liegen unstreitig vor. Dies entspricht insbesondere den Feststellungen des Prüfungsberichts vom 17.3.2020 (Verwaltungsakte Heft 1, Bl. 14 ff.).
28II. § 2a StromStG und § 3b EnergieStG stehen der Gewährung der Entlastungen nicht entgegen. Die Vorschriften sind gemäß Art. 1 Nr. 6 und Art. 3 Nr. 2 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes vom 27.8.2017 (BGBl. I 2017, 3299) erst mit Wirkung zum 1.1.2018 in Kraft getreten. Hinsichtlich ihrer zeitlichen Anwendbarkeit ist nach der jüngeren Rechtsprechung des BFH nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf das Streitjahr abzustellen (BFH, Urteil v. 19.1.2022 – VII R 28/19, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2022, 869, Rn. 17; anders zuvor noch Senat, Urteil v. 10.3.2021 – 4 K 2265/19 VSt, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 2021, 346, Rn. 20). Da die Klägerin Entlastungen für das Jahr 2017 begehrt, sind § 2a StromStG und § 3b EnergieStG nicht anwendbar.
29Unbeschadet dessen würde eine Anwendung der Neuregelungen nicht zu anderen Ergebnissen führen, da die in Betracht kommenden Beihilfen sämtlich nach der AGVO angezeigt worden sind (vgl. § 9b Abs. 4 StromStG, § 10 Abs. 8 StromStG, § 54 Abs. 5 EnergieStG, § 55 Abs. 9 EnergieStG; Schröer-Schallenberg, in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG / StromStG, § 2a StromStG Rn. 29 (1/2023) und § 3b EnergieStG Rn. 9 (1/2023)) und daher auch in diesem Fall die Regelung des Art. 2 Nr. 18 AGVO ausschlaggebend wäre (siehe hierzu unten).
30III. Auch Art. 107 Abs. 1, Art. 108 Abs. 3 AEUV stehen der Gewährung der Entlastungen nicht entgegen.
311. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind, soweit in dem AEUV und in dem Vertrag über die Europäische Union nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten obliegt die Prüfung, ob eine Steuerbegünstigung als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen ist, den einzelstaatlichen Gerichten (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH –, Urteil vom 9.10.2014 – C-522/13, Rn. 55).
32Nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV wird die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. Nach Art. 108 Abs. 4 AEUV kann die Kommission Verordnungen zu den Arten von staatlichen Beihilfen erlassen, für die der Rat nach Art. 109 AEUV festgelegt hat, dass sie von dem Verfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen werden können. Mit der AGVO hat die Kommission Regelungen geschaffen, die Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen allgemeingültig zulassen, ohne dass dafür im Einzelfall ein Beschluss im Sinne des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV erforderlich ist. Nach Art. 3 AGVO sind Beihilferegelungen, Einzelbeihilfen auf der Grundlage von Beihilferegelungen und Ad-hoc-Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 2 oder Abs. 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt, sofern diese Beihilfen unter anderem alle Voraussetzungen des Kapitels I der AGVO erfüllen. Die AGVO gilt nicht für Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten, ausgenommen Beihilferegelungen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen (Art. 1 Abs. 4 Buchst. c) AGVO).
332. Die Klägerin unterfällt als Kommanditgesellschaft Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO. Satz 2 der Regelung verweist insoweit auf Anhang II der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, der deutsche Kommanditgesellschaften ausdrücklich aufzählt.
343. Der Anwendung von Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO ist der von der Klägerin geänderte Jahresabschluss zum 31.12.2017 zugrunde zu legen.
35a) Zwar ist bei der Anfechtungsklage nach allgemeinen Grundsätzen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen (Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 100 FGO Rn. 6 (11/2022)). Anderes gilt aber etwa bei rückwirkenden Ereignissen i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (BFH, Urteil v. 28.7.2005 – III R 68/04, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2008, 350, Rn. 21; BFH, Urteil v. 3.9.2009 – IV R 17/07, BStBl. II 2010, 631, Rn. 49). Die von der Klägerin vorgenommene Bilanzänderung stellt ein rückwirkendes Ereignis dar, da Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO ausdrücklich an die in den Geschäftsbüchern ausgewiesenen Eigenmittel anknüpft (vgl. aus ertragsteuerlicher Sicht BFH, Urteil v. 30.6.2005 – IV R 11/04, BStBl. II 2005, 809, Rn. 28 ff., m.w.N.). Mit der Änderung der Handelsbilanz hat sich der Ausweis in den Geschäftsbüchern im maßgeblichen Zeitraum des Jahres 2017 nachträglich geändert.
36b) Die Änderung des Jahresabschlusses ist auch wirksam. Hierfür sind zwar gewichtige Gründe erforderlich, als solche kommen aber auch steuerrechtliche Gründe – wie hier der mögliche Erhalt der Entlastungen nach dem StromStG und dem EnergieStG – in Betracht, zumal angesichts des geschlossenen Gesellschafterkreises der Klägerin kein Anhaltspunkt für eine mögliche Gesellschafterbenachteiligung oder für ein Überwiegen des Vertrauensschutzes der Gesellschafter besteht (vgl. etwa Hennrichs in Petersen/Zwirner, Handbuch Bilanzrecht, 2. Aufl. 2018, III. Rn. 27 f.; Schubert in Beck’scher Bilanzkommentar, § 253 HGB Rn. 835 f.). Der Jahresabschluss wurde von der Wirtschaftsprüferin einer Nachtragsprüfung nach § 316 Abs. 3 HGB unterzogen; ein Bestätigungsvermerk wurde erteilt. Von der Pflicht zur Publikation des Jahresabschlusses ist die Klägerin nach § 264b HGB befreit, weil sie in den am 19.11.2018 im Bundesanzeiger veröffentlichten Konzernabschluss der L. GmbH mit Sitz in Z. einbezogen ist. Die Änderung des Jahresabschlusses bedurfte, anders als die Feststellung gemäß § 121 HGB, keines Gesellschafterbeschlusses.
37c) Maßgeblich für das Streitjahr 2017 ist der Abschluss zum 31.12.2017. Der auf den 31.12.2016 erstellte Abschluss ist nicht geeignet, das Verhältnis des Vermögens und der Schulden (§ 242 Abs. 1 Satz 1 HGB) im Jahr 2017 darzustellen. Zwar sind die Abschlüsse stichtagsbezogen, sie können aber notwendigerweise nur vergangene und keine zukünftigen Entwicklungen abbilden.
38d) Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob, wie die Klägerin geltend macht, statt nationalrechtlicher Handelsbilanzgrundsätze die IFRS zur Anwendung zu bringen sein könnten. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass eine Anwendung der IFRS zu einem anderen Ergebnis führen würde als die von der Klägerin geänderte Handelsbilanz.
394. Unter Berücksichtigung des geänderten Jahresabschlusses zum 31.12.2107 war die Klägerin im Jahr 2017 kein Unternehmen in Schwierigkeiten i.S.d. Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO.
40a) Nach dieser Regelung sind Unternehmen in Schwierigkeiten u.a. Kommanditgesellschaften, bei denen mehr als die Hälfte der in den Geschäftsbüchern ausgewiesenen Eigenmittel infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen ist.
41b) Die Eigenmittel in diesem Sinne bestehen aus der ursprünglichen Pflichteinlage der T. GmbH von ... Euro. Das zum 31.12.2017 ausgewiesene Eigenkapital beträgt ... Euro, so dass nicht mehr als die Hälfte der in den Geschäftsbüchern ausgewiesenen Eigenmittel infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen ist.
42Soweit die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung darauf abgestellt haben, dass die Klägerin im Jahr 2017 einen Jahresfehlbetrag von ... Euro ausgewiesen hat, führt dies zu keiner anderen Einschätzung. Der genannte Betrag ist auf dem Verlustvortragskonto der Kommanditistin erfasst worden, das sich vom 31.12.2016 zum 31.12.2017 entsprechend erhöht hat. Das Verlustvortragskonto ist wiederum Teil des Eigenkapitals, das mit ... Euro ausgewiesen ist. Es bleibt daher dabei, dass nicht mehr als die Hälfte der Eigenmittel von ... Euro verlorengegangen ist.
43c) Die erfolgte Einlage von ... Euro ist dem Betrag von ... Euro zur Ermittlung der maßgeblichen Eigenmittelgrenze nicht hinzuzurechnen. Aufgrund des Erfordernisses einer autonom unionsrechtlichen Auslegung (vgl. zu Art. 2 Nr. 18 Buchst. a) AGVO EuGH, Urteil v. 27.1.2022 – C-347/20, Rn. 38 ff.) stünde dem zwar grundsätzlich nicht entgegen, dass die Einlagen auf dem Kapitalkonto II der Kommanditistin erfasst wurden, das nach nationalem Verständnis dem Fremdkapital zuzurechnen ist (vgl. Hennrichs/Pöschke, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, III. Rn. 92 ff. (7/2019)). Maßgeblich gegen eine solche Ermittlung spricht jedoch der Sinn und Zweck der Regelung. Nach dem 14. Erwägungsgrund der AGVO sollen eindeutige Kriterien festgelegt werden, um Rechtssicherheit hinsichtlich der Frage zu schaffen, ob ein Unternehmen als Unternehmen in Schwierigkeiten gilt, die auch ohne eine detaillierte Untersuchung der besonderen Lage eines Unternehmens überprüfbar sind (vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin S. im Verfahren C-347/20, Rn. 46). Nähmen nachträgliche eigenkapitalrelevante Vorgänge Einfluss auf die nach Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO maßgebliche Grenze der Hälfte der Eigenmittel, müssten hierbei sämtliche Einlage- und Entnahmevorgänge sowie sämtliche Jahresergebnisse seit Gründung der Gesellschaft betrachtet werden. Wie derartige Vorgänge in der Vergangenheit buchhalterisch erfasst wurden, lässt sich dem maßgeblichen Jahresabschluss der Klägerin zum 31.12.2017 nicht entnehmen. Dies gilt erst Recht für die Fälle, in denen Personengesellschaften je Gesellschafter entweder nur ein Kapitalkonto oder je ein festes und ein variables Kapitalkonto führen und Entnahmen, Einlagen, Gewinne und Verluste auf diesem (variablen) Kapitalkonto gebucht werden (vgl. Hennrichs/Pöschke, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann, Handbuch des Jahresabschlusses, III. Rn. 55 ff., Rn. 63 ff. (7/2019)). Vorzugswürdig ist es daher, als Eigenmittel i.S.d. Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO nur auf die erstmalige (Gründungs-) Einlage abzustellen, die in der Regel auf einem gesellschafterbezogenen festen Kapitalkonto gebucht wird oder sich erforderlichenfalls aus dem Gesellschaftsvertrag ablesen lässt. Auch die Formulierung „aufgelaufene Verluste“ des Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO spricht dafür, Einlagen – wie die im Jahr 2017 von der T. GmbH geleistete Einlage von ... Euro – in voller Höhe mit etwaigen Verlusten zu verrechnen mit dem Ergebnis, dass diese für Zwecke des Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO unbeachtlich sind.
44d) Dieses Ergebnis entspricht dem Zweck des Art. 2 Nr. 18 AGVO auch insoweit, als die Regelung nach der Rechtsprechung des EuGH darauf abzielt, zu beurteilen, ob die betreffende Gesellschaft in der Lage ist, ihre Geschäftstätigkeiten auf kurze oder mittlere Sicht fortzusetzen (EuGH v. 27.1.2022 – C-347/20, Rn. 49 zu Art. 2 Nr. 18 Buchst. a) AGVO). Die Klägerin hat unwidersprochen geltend gemacht, dass eine solche positive Fortführungsprognose besteht (Bl. 72 der Gerichtsakte – GA –). Der Senat muss nicht beurteilen, welche Bedeutung einer positiven Fortführungsprognose nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH beizumessen ist, wenn das betroffene Unternehmen – anders als im vorliegenden Fall – nach den sogenannten „harten“ Kriterien des Art. 2 Nr. 18 AGVO gleichwohl als Unternehmen in Schwierigkeiten anzusehen wäre.
45e) Offenbleiben kann, ob das Eigenkapital von ... Euro – wie die Klägerin ursprünglich geltend gemacht hat – ferner unter Berücksichtigung der Garantieerklärung der T. GmbH und der Darlehen der Konzernschwester zu erhöhen ist.
46f) Der Klägerin sind die beantragten Entlastungen ungeachtet des Umstands zu gewähren sein, dass sie nach ihrer eigenen Aufstellung (Bl. 173 f. GA) in den Monaten Januar bis Mai 2017 sowie im November 2017 über Eigenmittel verfügte, die weniger als die Hälfe der ursprünglichen Einlage von ... Euro ausmachten.
47Zwar kann die Klägerin sich nicht auf § 1e Abs. 2 Satz 4 der Stromsteuer-Durchführungsverordnung (StromStV) und § 11c Abs. 2 Satz 4 der Energiesteuer-Durchführungsverordnung (EnergieStV) berufen, da diese Regelungen nach Art. 13 Abs. 1 der Dritten Verordnung zur Änderung der EnergieStV und der StromStV vom 2.1.2018 (BGBl. I 2018, 84) ebenfalls erst zum 1.1.2018 in Kraft getreten sind und damit nicht für den Streitzeitraum gelten. Allerdings ist die Klägerin auch ohne diese (nach der Entwurfsbegründung klarstellenden, vgl. Bundesministerium der Finanzen, Referentenentwurf vom 6.10.2017, S. 40, S. 52) Regelungen für den gesamten Zeitraum 2017 nicht als Unternehmen in Schwierigkeiten anzusehen. Zwar hat die Klägerin abweichend von der in den jeweiligen Durchführungsverordnungen vorgesehenen Grundregel nicht das Kalenderjahr, sondern das Kalendervierteljahr als Entlastungsabschnitt gewählt (§ 17b Abs. 2 Satz 2 StromStV, § 100 Abs. 2 Satz 2 EnergieStV). Jedoch sind nach Art. 2 Nr. 18 Buchst. b) AGVO die „in den Geschäftsbüchern ausgewiesenen“ Eigenmittel maßgeblich. Dies spricht maßgeblich dafür, im deutschen Recht auf den der Prüfungspflicht nach §§ 316 ff. HGB unterliegenden Jahresabschluss abzustellen, nicht aber auf die von der Klägerin erstellten monatsweisen Aufstellungen, die auch der Beklagte in anderem Zusammenhang als „punktuelle Momentaufnahme“ bezeichnet (Bl. 202 GA).
48Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung § 1e Abs. 2 Satz 4 StromStV und § 11c Abs. 2 Satz 4 EnergieStV für anwendbar hielte, folgte hieraus kein anderes Ergebnis, da die Klägerin unter Zugrundelegung der Ermittlungen auf Bl. 173 f. GA im Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung nicht in Schwierigkeiten war und der Zeitraum der Schwierigkeiten zwölf Monate nicht überschritten hat.
49IV. Gegen die Berechnung der Entlastungen hat der Beklagte nichts eingewandt. Auch der Prüfungsdienst hat die ermittelten Beträge im Wesentlichen bestätigt. Soweit im Prüfungsbericht vom 17.3.2020 festgestellt wird, dass die Entlastung nach § 10 StromStG um ... Euro zu reduzieren ist, hat die Klägerin einen entsprechend reduzierten Antrag gestellt.
50V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 FGO zu.