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Die Bescheide für 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 20.04.2011 und über den Gewerbesteuermessbetrag vom 05.05.2011, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 08.07.2011, werden mit der Maßgabe geändert, dass hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Besteuerung eines fiktiven Gewinns aus der Veräußerung der Aktien an der D N.V. das Halbeinkünfteverfahren zur Anwendung gelangt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Neuberechnung der danach festzusetzenden Körperschaftsteuer bzw. des danach festzusetzenden Gewerbesteuermessbetrags wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligen je zur Hälfte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Besteuerung eines Entnahmegewinns anlässlich der Überführung von im Gesamthandsvermögen der Klägerin gehaltenen Aktien in eine belgische Betriebsstätte.
3Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft mit Sitz in .... Geschäftsfeld der Klägerin war ursprünglich die ... und ... . Im Jahr 1973 gründeten die damaligen Gesellschafter der Klägerin die belgische Aktiengesellschaft D N.V. (nachfolgend „D“), welche nachfolgend die Herstellung der Produkte und deren Vertrieb außerhalb Deutschlands übernahm, während die Gesamtleitung, Forschung und Entwicklung sowie der Vertrieb der Produkte auf dem deutschen Markt bei der Klägerin verblieben. Die Anteile an der D wurden im Gesamthandsvermögen der Klägerin gehalten.
4Im Jahre 1997 gründete die Klägerin eine in Belgien belegene Betriebsstätte, welche anschließend den weltweiten Vertrieb der von der D hergestellten Produkte übernahm. Mit Wirkung zum 19.12.1998 ordnete die Klägerin die in ihrem Gesamthandsvermögen befindlichen D-Aktien kraft Funktionszusammenhangs dem Betriebsvermögen dieser belgischen Betriebsstätte zu. Die Zulässigkeit der Betriebsstättenzuordnung wurde nachfolgend durch einen als Urteil wirkenden Gerichtsbescheid des BFH vom 23.06.2008 (I R 38/07) bestätigt; diesbezüglich besteht zwischen den Beteiligten daher Einvernehmen. Die zum Zeitpunkt der Überführung in die belgische Betriebsstätte in den D-Aktien ruhenden stillen Reserven beliefen sich unstreitig auf ...Mio €.
5Ausgehend von der sog. „Theorie der finalen Entnahme“ deckte die Klägerin die stillen Reserven in den Anteilen anlässlich der Überführung in ihre belgische Betriebsstätte in ihrer Bilanz für 1998 auf und bildete in entsprechender Höhe zugleich einen passiven Ausgleichsposten gemäß Tz. 1 des BMF-Schreibens vom 12.02.1990 (IV B 2 – S 2135 – 4/90, IV C 5 – S 1300 – 21/90, BStBl. I 1990, 72) und Tz. 2.6.1 a) der sog. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze 1999 (BMF-Schreiben vom 24.12.1999, IV B 4 – S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076 ff.). Infolgedessen waren aus der Überführung in die ausländische Betriebsstätte im Jahre 1998 zunächst keine steuerlichen Folgen zu ziehen.
6Der Beklagte veranlagte die Klägerin insoweit gemäß ihrer im Jahr 2000 eingereichten Steuererklärung für 1998. In einem nachfolgenden Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 1998 vom 05.04.2009 wies er in den Erläuterungen darauf hin, dass aufgrund der Überführung der D-Aktien in die ausländische Betriebsstätte nach Verwaltungsauffassung und früherer Rechtsprechung ein Gewinn entstanden sei, der jedoch aufgrund der Billigkeitsregelung im Betriebsstättenerlass durch die Bildung eines Korrekturpostens nicht im Entstehungsjahr, sondern erst in den Folgejahren, spätestens nach zehn Jahren, zu versteuern sei. Insoweit sei davon auszugehen, dass der gebildete Korrekturposten weiterhin Gültigkeit habe. Soweit aus dem Urteil des BFH vom 17.07.2008 (I R 77/06) folge, dass die Überführung von Wirtschaftsgütern von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte nicht zu einer sofortigen Gewinnrealisation führe, habe dies im Änderungsbescheid nicht berücksichtigt werden können, da das Urteil noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden sei.
7Im Rahmen der Veranlagung für 2008 wich der Beklagte insoweit von den Steuererklärungen der Klägerin ab, als er den von der Klägerin im Zusammenhang mit der Überfügung der D-Aktien in die belgische Betriebsstätte in 1998 gebildeten passiven Ausgleichsposten entsprechend der Billigkeitsregelung in Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze auflöste und den Betrag von ... Mio € als Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterwarf. Mit Bescheid vom 20.04.2011 wurden die Besteuerungsgrundlagen für 2008 entsprechend gesondert und einheitlich gegenüber der Klägerin festgestellt. Unter dem 05.05.2011 erging ferner ein entsprechender Gewerbesteuermessbescheid für 2008.
8Hiergegen wendete sich die Klägerin jeweils mit ihren Einsprüchen vom 20.05.2011, mit welchen sie geltend machte, dass die den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegende Verwaltungsauffassung, wonach aus der Überführung der D-Aktien in die belgische Betriebsstätte ein Gewinn resultiere, welcher entsprechend der Billigkeitsregelung im Betriebsstättenerlass spätestens nach zehn Jahren – also im Streitjahr 2008 – zu versteuern sei, infolge der Aufgabe der sog. Theorie der finalen Entnahme durch den BFH mittlerweile überholt sei. In seinem Urteil vom 17.07.2008 (I R 77/06) habe der BFH festgestellt, dass die Folgen der Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter von einem Betriebsvermögen auf ein anderes für das Streitjahr 1995 nicht gesetzlich geregelt gewesen seien. Da eine entsprechende gesetzliche Regelung mit der Einfügung von § 6 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erst für alle nach dem 31.12.1998 abgeschlossenen Erwerbsvorgänge geschaffen worden sei und die Überführung von Aktien in eine ausländische Betriebsstätte desselben Unternehmens weder eine steuerpflichtige Außentransaktion noch eine Entnahme darstelle, entbehre die Versteuerung der stillen Reserven im Jahr 2008 einer gesetzlichen Grundlage.
9Mit Einspruchsentscheidungen vom 08.07.2011 wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin nachfolgend jeweils als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Die Finanzverwaltung bzw. der Gesetzgeber hätten mit dem BMF-Schreiben vom 20.05.2009 (BStBl. I 2009, 671) und dem JStG 2010 auf die mit Urteil vom 17.07.2008 (I R 77/06) geänderte Rechtsprechung des BFH reagiert. Nach dem BMF-Schreiben sei das BFH-Urteil hinsichtlich der Aufgabe der finalen Entnahmetheorie über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Durch Einfügung der Sätze 2 und 3 in § 52 Abs. 8b EStG habe der Gesetzgeber weiterhin die Möglichkeit genutzt, die Besteuerung von Zurechnungsfällen sachgerecht und zeitlich lückenlos zu regeln und die Grundsätze des Urteils des BFH vom 17.07.2008 auf den entschiedenen Einzelfall zu beschränken. Bedenken hinsichtlich einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung bestünden seitens des Gesetzgebers nicht, da die rückwirkende Regelung eine gefestigte, langjährige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis kodifiziere. Insoweit werde auf die Ausführungen in der BT-Drs. 17/3549 vom 28.10.2010 Bezug genommen. Im Übrigen enthalte die von der Klägerin angeführte gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 5 EStG eine Bewertungsregelung und diene nicht der Regelung der Folgen einer Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter von einem Betriebsvermögen in ein anderes. Als Rechtsgrundlage sei insoweit vielmehr § 4 Abs. 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes (JStG) 2010 vom 08.12.2010 (BGBl. I 2010, 1768) heranzuziehen.
10Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer am 19.07.2011 erhobenen Klage, mit welcher sie geltend macht, dass für die seitens des Beklagten vorgenommene Besteuerung der in den Aktien der D ruhenden stillen Reserven keine Rechtsgrundlage existiere. Wie der BFH in seinem Urteil vom 17.07.2008 (I R 77/06, BStBl II 2009, 468) entschieden habe, führe die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte des gleichen Unternehmens nicht zur Loslösung des bisherigen betrieblichen Funktionszusammenhangs und könne deshalb mangels Außenumsatzes nicht als Realisationstatbestand angesehen werden. Zwar habe das BMF eine Anwendung des vorgenannten Urteils über den entschiedenen Einzelfall hinaus abgelehnt, allerdings habe der BFH seine geänderte Rechtsprechung ungeachtet dieses Nichtanwendungserlasses in seinem Urteil vom 28.10.2009 (I R 99/08, BStBl II 2011, 1019) nochmals bestätigt. Die Rechtslage im Jahr der Überführung der Aktien (1998) könne somit aufgrund zweier aufeinanderfolgender BFH-Urteile als geklärt angesehen werden. Eine Rechtsgrundlage für die Besteuerung der stillen Reserven bei Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte habe danach im Jahre 1998 nicht bestanden. Folglich gehe auch die vermeintliche Verschiebung der Besteuerung aus Billigkeitsgründen gemäß den Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen ins Leere.
11Eine Besteuerung der in den Aktien ruhenden stillen Reserven im Streitjahr 2008 komme ebenso wenig in Betracht, da eine solche nicht allein aufgrund einer schlichten Verwaltungsanweisung – namentlich dem BMF-Schreiben vom 12.02.1990 – durchgeführt werden könne und eine gesetzliche Grundlage insoweit fehle. Soweit § 4 Abs. 1 Satz 1-4 EStG i.V.m. § 52 Abs. 8b EStG i.d.F. des JStG 2010 eine entsprechende Besteuerung ermöglichten, handele es sich um einen Fall der verfassungsrechtlich unzulässigen echten Rückwirkung. Eine Rechtfertigung der rückwirkenden Gesetzesanwendung aufgrund eines angeblich fehlenden Vertrauensschutzes der Steuerpflichtigen wegen Absehbarkeit einer Kodifizierung der zuvor geltenden gefestigten Rechtsprechung und Verwaltungsmeinung komme insoweit nicht in Betracht. Zum einen habe die durch § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG kodifizierte Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung durch das JStG 2010 längst nicht mehr existiert, sondern sei bereits durch zwei BFH-Urteile überholt gewesen. Ferner sei die Theorie der finalen Entnahme vom überwiegenden Schrifttum vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts immer schon entschieden kritisiert worden, so dass die Klägerin schon in 1998, jedenfalls aber im Jahre 2008 habe erwarten dürfen, dass der BFH seine Rechtsprechung ändern und die Rechtsprechungsänderung auch Bestand haben werde. Demgegenüber habe angesichts der evidenten Rechtslage kein schutzwürdiges Vertrauen der Finanzverwaltung in die Kontinuität der bisherigen Rechtsprechung bestanden, was der BFH in seinem Urteil vom 17.07.2008 auch ausdrücklich bestätigt habe.
12Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG im Beschluss vom 17.12.2013 (1 BvL 5/08) sei eine rückwirkende Klärung bzw. Änderung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ferner immer dann als unzulässige konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn der Gesetzgeber damit nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen versuche. Dies sei mit Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG im Zuge des JStG 2010 der Fall, da hierdurch der Rechtsprechung des BFH zur Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme rückwirkend die Geltung genommen worden sei. Für die Korrektur einer höchstrichterlichen Rechtsprechung sei jedoch keine Fallgruppe i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG ersichtlich, die eine echte Rückwirkung zu rechtfertigen vermöge. Im Übrigen habe das BVerfG in einer früheren Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass von der ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung sog. „Nichtanwendungsgesetze“ eine Rückausnahme für den Fall zu machen sei, dass der Steuerpflichtige auf den (Fort-) Bestand einer Rechtsprechungsänderung habe vertrauen dürfen und entsprechend disponiert habe. Vorliegend habe die Klägerin zwischen dem Zeitpunkt der Aufgabe der finalen Entnahmetheorie mit BFH-Urteil vom 17.07.2008 und der Veröffentlichung des Nichtanwendungserlasses der Finanzverwaltung vom 20.05.2009 im Vertrauen auf den Fortbestand der eingetretenen Rechtsprechungsänderung verfassungsrechtlich zu schützende Dispositionen getroffen, indem sie angesichts der kurz zuvor gefällten BFH-Entscheidung vom 17.07.2008 darauf verzichtet habe, die in die belgische Betriebsstätte überführten D-Aktien bis zum 31.12.2008 in das inländische Stammhaus zurück zu führen. Sie habe berechtigterweise darauf vertraut, dass eine Rückführung zur Vermeidung der Entstrickungsbesteuerung nicht mehr erforderlich sei, weil eine Entstrickung erst dann stattfinde, wenn die streitigen Aktien verkauft würden oder auf andere Weise eine tatsächliche Realisierung der stillen Reserven stattfände. Dieses Vertrauen sei schutzwürdig und könne frühestens mit dem Nichtanwendungserlass des BMF vom 20.05.2009 entfallen sein. Zu diesem Zeitpunkt sei die Steuerschuld für den VZ 2008 jedoch schon entstanden gewesen.
13Soweit der Beklagte das Vertrauen der Klägerin in die fehlende Verwirklichung eines Entstrickungstatbestands in Zweifel ziehe und aus der Bildung eines Merkpostens ein vermeintliches „Einverständnis“ der Klägerin mit der finalen Entnahmetheorie abzuleiten versuche, sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in Besprechungen mit der Betriebsprüfung und dem Beklagten – insbesondere nach Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 17.07.2008 – immer wieder erklärt habe, mit einer Besteuerung der in den D-Aktien zum Zeitpunkt der Überführung in die belgische Betriebsstätte ruhenden stillen Reserven vor einer „echten“ Realisierung nicht einverstanden zu sein. Im Rahmen einer am 22.10.2008 in den Räumen der OFD ... durchgeführten gemeinsamen Besprechung habe der seinerzeit federführende Gutachter auf Seiten des Beklagten die Klägerin zudem in ihrer Auffassung bestärkt, dass die Rückführung der D-Aktien in das inländische Stammhaus angesichts der geänderten BFH-Rechtsprechung zur Vermeidung einer vorgezogenen Besteuerung nicht mehr erforderlich sei. Dadurch, dass der Beklagte in derselben Besprechung Zweifel daran geäußert habe, ob die Finanzverwaltung das BFH-Urteil vom 17.07.2008 im Bundessteuerblatt veröffentlichen bzw. anwenden würde bzw. die Klägerin im Änderungsbescheid für 1998 vom 12.05.2009 nachrichtlich davon in Kenntnis gesetzt habe, dass er beabsichtige, die Gewinnrealisierung im Feststellungsbescheid für 2008 vorzunehmen, habe die Klägerin ihren Vertrauensschutz keineswegs verloren. Nach der Rechtsprechung des BVerfG werde das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Fortbestand einer geltenden Rechtslage erst mit der Einbringung eines Gesetzesentwurfs in Frage gestellt bzw. mit dem endgültigen Beschluss des Bundestages über das rückwirkende Gesetz zerstört. Die bloße Missbilligung einer BFH-Entscheidung durch die Finanzverwaltung führe keineswegs dazu, dass die Entscheidung auf Verlangen der Finanzverwaltung gewissermaßen „automatisch“ durch den Gesetzgeber wieder aufgehoben werde. Gegen die Ausführungen des Beklagten im Erläuterungsteil des geänderten Feststellungsbescheids für 1998 vom 12.05.2009 habe für die Klägerin zudem kein Rechtsbehelf bestanden. Ein Einspruch wäre mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig gewesen, so dass dem Schweigen der Klägerin zu den Ausführungen des Beklagten im Erläuterungsteil des Bescheids vom 12.05.2009 keinerlei Rechtswirkung beigemessen werden könne. Die Klägerin habe es entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht versäumt, in der am 23.04.2009 durchgeführten mündlichen Verhandlung in dem seinerzeit zwischen den Beteiligten anhängigen Gerichtsverfahren betreffend den Feststellungsbescheid für 1998 eine „Aufhebung des Korrekturpostens“ zu beantragen. Da Gegenstand des besagten Verfahrens die steuerliche Anerkennung der Überführung der streitigen Aktien in die belgische Betriebsstätte gewesen sei, habe ein Antrag auf Aufhebung des Korrekturpostens in diesem Verfahren nicht gestellt werden können bzw. wäre ein solcher Antrag bereits mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig gewesen. Für die Stellung eines derartigen Antrags habe für die Klägerin zudem kein Anlass bestanden, da sie nach dem BFH-Urteil vom 17.07.2008 darauf habe vertrauen dürfen, dass der Korrekturposten bei Rückführung der Aktien in das Inland gewinnneutral bzw. nur bei tatsächlicher Veräußerung der Aktien durch die belgische Betriebsstätte gewinnerhöhend aufgelöst werden würde. Dem Beklagten sei zudem hinlänglich bekannt gewesen, dass die Klägerin aufgrund der geänderten BFH-Rechtsprechung auf die Rückführung der Aktien verzichtet habe und sich dementsprechend selbstverständlich gegen eine spätere Versteuerung in 2008, für die es im Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 12.05.2009 allerdings keine Rechtsgrundlage gegeben habe, zur Wehr setzen würde. Folglich habe der Beklagte bei der späteren Durchführung der Besteuerung in 2008 seinerseits auch nicht auf ein entsprechendes Einverständnis der Klägerin vertrauen dürfen. Es sei geradezu abenteuerlich, wenn sich der Beklagte insoweit nunmehr auf Treu und Glauben berufe und versuche, im nicht rechtsmittelfähigen Erläuterungsteil eines Bescheides eine zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses gesetzlich nicht vorhandene Grundlage für eine spätere Versteuerung zu schaffen.
14Die mit dem JStG 2010 rückwirkend eingeführte Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG verstoße im Übrigen gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), da noch nicht realisierte stille Reserven fiktiv vorzeitig besteuert würden und somit eine Ungleichbehandlung mit reinen Inlandssachverhalten bestehe. Ferner verstoße die durch § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG gesetzlich angeordnete Entnahmefiktion als nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Niederlassungsfreiheit offenkundig gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, da der bisherige betriebliche Funktionszusammenhang erhalten bleibe und ein deutsches Besteuerungsrecht an den bis zur Überführung aufgelaufenen stillen Reserven daher fortbestehe. Die deutschen Entstrickungsvorschriften i.d.F. des JStG 2010 seien einer europarechtkonformen Auslegung nicht zugänglich, insbesondere könne die Möglichkeit einer antragsgebundenen wahlweisen zeitlich gestreckten Versteuerung der stillen Reserven keine Abhilfe schaffen. Der Klägerin sei eine Besteuerung der in den D-Aktien ruhenden stillen Reserven ohne Liquiditätszufluss zudem nicht zumutbar, insbesondere, da der Verbleib der Aktien in der belgischen Betriebsstätte durch Vorlage der Jahresabschlüsse der Klägerin eindeutig nachgewiesen werde und mit dem Nachweis somit kein erheblicher Verwaltungsaufwand verbunden sei.
15Wenn der Beklagte zudem im Jahr 2008 eine Besteuerung der bereits in 1998 vollzogenen Aktienüberführung in die belgische Betriebsstätte vornehme, so sei hilfsweise insoweit zumindest die in 2008 geltende Gesetzeslage, d.h. namentlich das zu diesem Zeitpunkt geltende Halbeinkünfteverfahren, und nicht – wie es der Beklagte tue – die Gesetzeslage 1998 zugrunde zu legen.
16Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid sei im Übrigen bereits deshalb rechtswidrig, weil sich der in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG vorausgesetzte Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts nach einhelliger Ansicht nicht auf die Gewerbesteuer beziehe. Die Entstrickungstatbestände seien im EStG und KStG angesiedelt, so dass nur eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts hinsichtlich Einkommensteuer und Körperschaftsteuer erfasst sei.
17Die Klägerin beantragt,
18das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Frage dem BVerfG vorzulegen, ob § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.V.m. § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 mit dem Grundgesetz vereinbar ist; hilfsweise, die Bescheide für 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 20.04.2011 und über den Gewerbesteuermessbetrag vom 05.05.2011, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 08.07.2011, aufzuheben; hilfsweise, die vorgenannten Bescheide mit der Maßgabe zu ändern, dass hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Besteuerung eines fiktiven Gewinns aus der Veräußerung der Aktien an der D N.V. das Halbeinkünfteverfahren zur Anwendung gelangt; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
19Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
21Er verweist zur Begründung auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend hierzu vor: In den Steuererklärungen für 1998 sei die Klägerin der damals sowohl von Rechtsprechung als auch Verwaltung vertretenen finalen Entnahmetheorie gefolgt und habe einen Merkposten (Ausgleichsposten) in Höhe der in den D-Aktien im Zeitpunkt der Überführung in die belgische Betriebsstätte ruhenden stillen Reserven gebildet. In den Tatbeständen der Urteile des FG Köln vom 29.03.2007 (10 K 4671/04) und des BFH vom 02.04.2008 (I R 38/07, BFH/NV 2009, 881) werde entsprechend ausgeführt, dass die Klägerin in ihrer Buchführung im Zusammenhang mit der Umstrukturierung einen Veräußerungsgewinn ausgewiesen habe, den sie durch Bildung eines Ausgleichspostens neutralisiert habe. Dass die Klägerin diese Beurteilung zu diesen Zeitpunkten bereits als nicht durch das EStG gedeckt angesehen habe, könne den Urteilen nicht entnommen werden. Bis zur Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 17.07.2008 habe sie in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass sie die in ihrer Steuererklärung für 1998 vorgenommene Behandlung der Überführung der Aktien in die belgische Betriebsstätte mit Ansatz eines Veräußerungsgewinns als unzutreffend erachte und der Ausgleichsposten zu Unrecht gebildet worden sei.
22Im Rahmen der am 22.10.2008 bei der OFD ... durchgeführten Besprechung sei gegenüber der Klägerin zudem darauf hingewiesen worden, dass das BFH-Urteil vom 17.07.2008 durch die Finanzverwaltung erst dann angewendet werden könne, wenn es ohne einen Nichtanwendungserlass im Bundessteuerblatt veröffentlicht werde und dass nach derzeitiger Verwaltungsauffassung der Korrekturposten für die Verbringung der Beteiligung in die belgische Betriebsstätte spätestens im VZ 2008 gewinnerhöhend aufzulösen sei. Entsprechend habe der Beklagte auch in den Erläuterungen zu den nachfolgend gegenüber der Klägerin ergangenen geänderten Feststellungsbescheiden für 1998 vom 06.04.2009 und 12.05.2009 auf die aus seiner Sicht zutreffende steuerliche Behandlung des Sachverhalts nach Ergehen des BFH-Urteils vom 17.07.2008 hingewiesen, ohne dass die Klägerin dem widersprochen bzw. einen Antrag auf Aufhebung des Korrekturpostens gestellt habe. Soweit die Klägerin sowohl darauf verzichtet habe, die Beteiligung bis zum Ablauf des VZ 2008 ins Inland zurück zu überführen, um eine Entstrickungsbesteuerung zu vermeiden, als auch versäumt habe, im damals zwischen den Beteiligten anhängigen Gerichtsverfahren betreffend den Feststellungsbescheid 1998 zu beantragen, den Korrekturposten mit Blick auf das BFH-Urteil vom 17.07.2008 aufzuheben, könne dem kein schutzwürdiges Vertrauen in die mit der BFH-Entscheidung vom 17.07.2008 geänderte Rechtsprechung zugrunde gelegen haben. Denn spätestens nach der Besprechung vom 22.10.2008 habe der Klägerin klar sein müssen, dass die Finanzverwaltung der durch das BFH-Urteil vom 17.07.2008 eingetretenen Rechtsprechungsänderung nicht unbedingt folgen würde. Auch sei offen gewesen, ob der Gesetzgeber reagieren werde. Die Klägerin habe nicht davon ausgehen dürfen, dass der Gesetzgeber die langjährige Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung nicht rückwirkend in einen Gesetzestext fassen würde. Gleichwohl sei sie jedoch sowohl hinsichtlich einer möglichen Rückführung als auch in den zwischen den Beteiligten anhängigen Finanzgerichtsverfahren untätig geblieben. Nach der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in besagtem Gerichtsverfahren (23.04.2009) noch unklaren Lage zur Entstrickungsbesteuerung hätte die Klägerin jedoch nicht auf eine Geltendmachung im Klageverfahren verzichten dürfen.
23Im VZ 2008 sei dann lediglich ein aufgrund der gewinnverwirklichenden Entnahme in 1998 im Billigkeitswege gebildeter Merkposten erfolgswirksam aufzulösen gewesen. Die Frage der Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens stelle sich insoweit nicht. Rechtsgrundlage für die Aufdeckung der stillen Reserven bei Überführung der D-Aktien in die belgische Betriebsstätte sei § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.V.m. § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG. Durch die diesbezügliche Ergänzung des § 4 Abs. 1 EStG im Zuge des JStG 2010 habe der Gesetzgeber die bis zum Urteil des BFH vom 17.07.2008 gängige höchstrichterliche Rechtsprechung in das Gesetz übernommen und hierin zu Recht keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung gesehen. Die Rückbewirkung von Rechtsfolgen auf zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume sei zulässig, wenn der Einzelne kein schutzbedürftiges Vertrauen habe entfalten können. Dementsprechend sei es dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG unter den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes erst recht nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen habe. Es widerspreche weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiere, die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein möge, deren Ergebnis er aber für nicht sachgerecht halte.
24Im Streitfall seien gegenüber der Klägerin letztlich Besteuerungsgrundlagen festgesetzt worden, mit denen sie bis zur Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 17.07.2008 habe rechnen müssen. Die Theorie der finalen Entnahme sei jahrelang gefestigte Rechtsprechung und gängige Verwaltungsauffassung gewesen. Nach Abkehr von der seit 25 Jahren praktizierten Rechtsprechungspraxis und der weiterhin vertretenen Verwaltungsmeinung durch das BFH-Urteil vom 17.07.2008 sei zwangsläufig mit einer gesetzgeberischen Klarstellung zu rechnen gewesen. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin habe durch die gesetzlichen Neuregelungen im Rahmen des JStG 2010 folglich nicht verletzt werden können. Daran vermöge auch der von ihr vorgetragene Aspekt nichts zu ändern, dass mit der Rechtsprechungsänderung schon seit langem zu rechnen gewesen sei. Das BVerfG habe ausdrücklich offen gelassen, ob ausnahmsweise in Fällen Vertrauensschutz gewährt werden könne, in denen wegen erheblicher Änderungen der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen einer gefestigten Rechtsprechung in der Weise die Grundlage entzogen worden sei, dass die Rechtsprechungsänderung offensichtlich geboten und damit berechtigterweise zu erwarten gewesen sei. Allein aufgrund der früher ablehnenden Haltung im Schrifttum gegenüber der Theorie der finalen Entnahme könne von einem solchen Fall zudem nicht ausgegangen werden, da einer Rechtsprechungsänderung regelmäßig eine Diskussion in der Literatur vorausgehe. Werde von einer jahrzehntelang gefestigten Rechtsprechung durch ein Urteil abgewichen, so könne dies nicht sogleich ein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen darauf begründen, dass die früheren Grundsätze nicht mehr angewandt würden, insbesondere nicht, wenn diese – wie die finale Entnahmetheorie – weiterhin gelebte Verwaltungspraxis sei.
25Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit einer gesetzlichen Rückwirkung sei im Übrigen die von der Klägerin vorgenommene Aktivierung der in den D-Anteilen ruhenden stillen Reserven für 1998; diese sei aber noch unter Gültigkeit der alten Rechtsprechungslage erfolgt. Die gewinnwirksame Auflösung des Merkpostens im VZ 2008 sei letztlich nur logische Konsequenz bzw. ein Rechtsreflex dieses vergangenen Vorgehens; die Besteuerung des Gewinns sei lediglich im Wege einer Billigkeitsmaßnahme zeitlich hinausgeschoben worden. In den angefochtenen Bescheiden für das Jahr 2008 sei keine Entscheidung über eine Realisierung der stillen Reserven getroffen worden. Diese Entscheidung sei vielmehr bereits in dem das Jahr 1998 betreffenden geänderten Feststellungsbescheid vom 12.05.2009 getroffen worden, ohne dass die Klägerin hiergegen jedoch vorgegangen wäre oder dem widersprochen hätte. Insofern verhalte sich die Klägerin widersprüchlich, indem sie gegen den Bescheid vom 12.05.2009 betreffend 1998 nicht vorgegangen sei, sondern sich ausschließlich gegen den „Folge“-Bescheid vom 20.04.2011 betreffend das Streitjahr 2008 wende.
26Dass die Klägerin im Vertrauen darauf, dass die finale Entnahmetheorie nicht mehr anwendbar sei, darauf verzichtet habe, die streitigen D-Anteile vor Ablauf des VZ 2008 in die deutsche Betriebsstätte zurück zu führen, werde ferner bestritten. Insofern hätte die Klägerin die weitere Entwicklung der Verwaltungspraxis abwarten müssen, ehe sie bereits innerhalb von fünf Monaten nach Aufgabe der bisherigen BFH-Rechtsprechung auf eine Rücküberführung der Aktien verzichtete. Ihr Vertrauen sei insoweit nicht schutzwürdig gewesen. Spätestens seit Bekanntgabe des geänderten Feststellungsbescheids für 1998 vom 12.05.2009 sei die Annahme eines schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin nicht mehr haltbar, da der Beklagte hierin ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass er an der alten Verwaltungsauffassung auch nach Ergehen des BFH-Urteils vom 17.07.2008 festhalte. Der Klägerin sei zumutbar gewesen, gegen die Aktivierung der stillen Reserven und Bildung des Merkpostens vorzugehen und die steuerliche Behandlung – auch für die Zukunft – mit dem Beklagten zu regeln. Da sie dies jedoch unterlassen habe, widerspräche es Treu und Glauben, wenn die Klägerin jetzt erfolgreich gegen die Bescheide vom 20.04.2011 und 05.05.2011 vorgehen könnte. Der Beklagte habe vielmehr seinerseits darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin, indem sie nicht gegen die Aktivierung der stillen Reserven und die Bildung eines passiven Merkpostens in 1998 vorgegangen sei, auch nicht gegen die entsprechende und nur folgerichtige Auflösung des Merkpostens im VZ 2008 vorgehen würde. Es könne ihm auch nicht zum Nachteil gereichen, dass die Besteuerung infolge einer Billigkeitsregelung zehn Jahre hinausgeschoben worden sei. Hätte die Klägerin im Jahr 2000 von ihrem Wahlrecht nach Tz. 2.6.1 d) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze dergestalt Gebrauch gemacht, dass die stillen Reserven der D-Aktien bereits im Zeitpunkt ihrer Überführung steuerlich berücksichtigt worden wären, so wäre unzweifelhaft und unbestritten nach der alten Rechtsprechung und Verwaltungspraxis verfahren worden und ein entsprechender Steuerbescheid wäre bestandskräftig geworden.
27Entgegen der Ansicht der Klägerin und der teilweise im Schrifttum vertretenen Auffassung verstoße die Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht. In seinen neueren Entscheidungen habe der EuGH klargestellt, dass ein Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität das Recht habe, Wertzuwächse bereits im Zeitpunkt der Überführung eines Wirtschaftsguts zu besteuern. Insoweit überwiege das mit der Entstrickungsregelung verfolgte legitime Ziel, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zu wahren, da Situationen verhindert werden sollten, die das Recht des Herkunftsstaates auf Ausübung seiner Steuerhoheit gefährden könnten. Die Entstrickungsbesteuerung sei auch nicht unverhältnismäßig. Die Bildung eines Merkpostens für fünf Jahre nach § 4g EStG bzw. zehn Jahre nach der früheren Regelung in Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze, welche im Streitfall noch zur Anwendung gelange, entspreche im Hinblick auf das verfolgte Ziel dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, indem sie die Folgen der Aufdeckung der stillen Reserven abmildere. Diese Maßnahme gehe auch nicht über das hinaus, was zur Erreichung der ausgeglichenen Wahrung der Besteuerungsbefugnisse erforderlich sei. Insbesondere stelle der Aufschub der Besteuerung bis zur tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven aufgrund des damit verbundenen administrativen Aufwands sowohl für die Behörden als auch den Steuerpflichtigen keine gleich geeignete Alternativlösung dar. Aus vorstehenden Gründen liege auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, da die Ungleichbehandlung von rein inländischen und grenzübergreifenden Sachverhalten durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei.
28Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG gelte über § 7 Satz 1 GewStG im Übrigen auch für die Gewerbesteuer. Die gewerbesteuerlichen Vorschriften der §§ 8 und 9 GewStG enthielten keine Regelung, derzufolge der sich aus der Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG ergebende, nach dem EStG ermittelte Gewinn für gewerbesteuerliche Zwecke zu mindern wäre.
29Entscheidungsgründe:
30Die zulässige Anfechtungsklage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen sind die angegriffenen Bescheide in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO).
31I. Der Beklagte hat die in den D-Aktien zum Zeitpunkt ihrer Überführung in die belgische Betriebsstätte der Klägerin ruhenden stillen Reserven im Streitjahr 2008 dem Grunde nach zu Recht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 i.V.m. Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze der Besteuerung unterworfen (dazu nachfolgend unter 1.). Die Anwendung der vorgenannten Regelungen auf den vorliegenden Fall begegnet nach Überzeugung des erkennenden Senats keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu nachfolgend unter 2.). Für eine diesbezügliche Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG bestand somit keine Veranlassung. Ebenso wenig verstößt § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.V.m. der vorliegend einschlägigen Billigkeitsregelung nach Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze gegen Gemeinschaftsrecht (dazu nachfolgend unter 3.). Gleichwohl sind die angegriffenen Bescheide jedoch rechtswidrig, soweit der Beklagte die Besteuerung nach den im Jahr der Aktienüberführung (1998) geltenden Vorschriften vorgenommen und insbesondere das Halbeinkünfteverfahren unangewendet gelassen hat (dazu nachfolgend unter 4.).
321. Die in den D-Aktien zum Zeitpunkt ihrer Überführung aus dem inländischen Gesamthandsvermögen der Klägerin in ihre belgische Betriebsstätte ruhenden stillen Reserven unterliegen im Streitjahr 2008 gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 i.V.m. Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze dem inländischen Besteuerungszugriff.
33a) Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ist Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG sind Entnahmen alle Wirtschaftsgüter (Barentnahmen, Waren, Erzeugnisse, Nutzungen und Leistungen), die der Steuerpflichtige dem Betrieb für sich, für seinen Haushalt oder „für andere betriebsfremde Zwecke“ im Laufe des Wirtschaftsjahres entnommen hat. Durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 07.12.2006 (BGBl. I 2006, 2782) ist § 4 Abs. 1 EStG zudem um einen Satz 3 ergänzt worden, demzufolge einer Entnahme „für betriebsfremde Zwecke“ der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der BRD hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleichsteht. Gemäß der Anwendungsvorschrift in § 52 Abs. 8b EStG i.d.F. des SEStEG gelangte diese Regelung erstmals für alle nach dem 31.12.2005 endenden Wirtschaftsjahre zur Anwendung. Im Zuge des JStG 2010 wurde § 4 Abs. 1 EStG ferner um einen Satz 4 erweitert, wonach ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts insbesondere dann vorliegt, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist. Die bisherige Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 8b EStG wurde gleichzeitig in § 52 Abs. 8b Satz 1 EStG gefasst und um die Sätze 2 und 3 ergänzt, wonach § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG in allen Fällen gilt, in denen auch § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG anzuwenden ist und die Anwendbarkeit von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG – und damit mittelbar auch von Satz 4 – zeitlich unbegrenzt auf sämtliche noch offenen Fälle erstreckt wurde, in denen ein bisher einer inländischen Betriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte dieses Steuerpflichtigen zuzuordnen ist, deren Einkünfte durch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) freigestellt sind. Im Ergebnis findet § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.d.F. JStG 2010 damit rückwirkend in sämtlichen, auch vor dem 31.12.2005 endenden Veranlagungszeiträumen Anwendung, mithin also auch im Jahr der Überführung der D-Aktien aus dem inländischen Stammhaus der Klägerin in ihre belgische Betriebsstätte (1998) sowie im Streitjahr des vorliegenden Verfahrens (2008).
34b) Aufgrund der im Jahr 1998 unstreitig erfolgten Überführung der im inländischen Gesamthandsvermögen der Klägerin gehaltenen D-Aktien in ihre belgische Betriebsstätte war folglich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG von einer Entnahme „für betriebsfremde Zwecke“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG auszugehen, welche nach Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze mit dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Wert der in den Aktien zum Überführungszeitpunkt ruhenden stillen Reserven durch Bildung eines Merkpostens sowie dessen gewinnerhöhende Auflösung spätestens nach Ablauf von zehn Jahren nach Überführung – hier: im Streitjahr 2008 – zu berücksichtigen war. Dabei kann es aus Sicht des erkennenden Senats letztlich dahinstehen, ob der vorliegend gegebene Fall der Überführung eines bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnenden Wirtschaftsgutes in eine ausländische Betriebsstätte in einem DBA-Staat, mit welchem die Freistellungsmethode vereinbart ist, bereits vor Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG vom Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG erfasst wurde oder nicht (vgl. zum Streitstand und der diesbezüglich bejahenden Auffassung: FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, EFG 2016, 209 (Rev. beim BFH anh. unter Az.: I R 95/15). Denn unabhängig von dieser rechtsdogmatischen Frage ist in der vorliegenden Konstellation aus Sicht des erkennenden Senats jedenfalls unzweifelhaft die rückwirkend in das Gesetz eingeführte Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG i.d.F. JStG 2010 einschlägig und führt – ob als den Inhalt der Grundnorm konkretisierende Klarstellung, gesetzliches Regelbeispiel oder aber als Fiktion – i.V.m. Satz 3 der Vorschrift zur Annahme einer zur Aufdeckung von stillen Reserven führenden Entnahme für betriebsfremde Zwecke.
35c) Über die Verweisung in § 7 Satz 1 GewStG gelangt die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG im Übrigen auch im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags und somit gemäß § 11 GewStG auch bei der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags zur Anwendung. Da § 7 Satz 1 GewStG an den nach den Vorschriften des EStG bzw. des KStG zu ermittelnden Gewinn aus Gewerbebetrieb anknüpft und hinsichtlich des Entnahmegewinns nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG keine gewerbesteuerrechtlichen Abweichungen bzw. Hinzurechnungen oder Kürzungen ersichtlich sind, geht der Entnahmegewinn anlässlich der Überführung der von der Klägerin gehaltenen D-Aktien in ihre belgische Betriebsstätte ohne Weiteres in ihren Gewerbeertrag mit ein. Nach der Funktion der Entnahme als Ersatzrealisierungstatbestand ist dabei für die Frage des Vorliegens einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts allein auf die Einkommensteuer abzustellen, nicht dagegen auf die Gewerbesteuer, weil die stillen Reserven insoweit – nach h. M. – ohnehin nur lückenhaft erfasst werden (vgl. Drüen in: Blümich, GewStG, § 7 Rz. 57 ff., 148 „Entnahme“ m.w.N.).
362. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.V.m. § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 auf die bereits in 1998 vollzogene Überführung der D-Aktien in die belgische Betriebsstätte der Klägerin und die daran anknüpfende Besteuerung des Überführungsvorgangs im Streitjahr 2008 gemäß der Billigkeitsregelung in Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze verfassungsrechtlich unbedenklich.
37a) Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot ist insoweit nicht erkennbar, da mit der rückwirkenden Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG gemäß § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 lediglich die frühere jahrzehntelange Rechtsanwendungspraxis für den Fall der Überführung eines in einem inländischen Betriebsvermögen gehaltenen Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte gesetzlich festgeschrieben wurde und sich ein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsanwender in eine hiervon abweichende Rechtslage nicht bilden konnte.
38aa) Wie vorstehend bereits ausgeführt, wurde § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG durch § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG in der durch das JStG 2010 geänderten Fassung mit Rückwirkung auch für Veranlagungszeiträume vor 2006 in Kraft gesetzt, während der mit dem SEStEG in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erstmals in das Gesetz eingeführte allgemeine Entstrickungstatbestand zuvor nur für alle nach dem 31.12.2005 endenden Wirtschaftsjahre anwendbar war. Insoweit liegt in formaler Hinsicht – zwischen den Beteiligten unstreitig – ein Fall der „echten“ Rückwirkung im Sinne einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen vor, da es im deutschen Steuerrecht vor Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG keinen allgemeinen Entstrickungstatbestand gab und die Neuregelung im Zuge des SEStEG somit entgegen der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 16/2710, 28) nicht nur klarstellenden, sondern vielmehr konstitutiven Charakter besaß (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F a.a.O., juris; Musil in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 4 Rz. 208, 209a; Bode in: Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 4 Rz. 106 m.w.N.).
39bb) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die echte Rückwirkung belastender Gesetze auf einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt grundsätzlich unzulässig. Allerdings hat es das BVerfG in seiner bisherigen Rechtsprechung in Ausnahme hierzu regelmäßig nicht beanstandet, wenn der Gesetzgeber die Änderung einer höchstrichterlich gefestigten Rechtsprechung durch ein „Nichtanwendungsgesetz“ rückgängig machte (vgl. u.a. BVerfG-Beschluss vom 21.07.2010 – 1 BvL 11/06, BVerfGE 126, 369 (zum Fremdrentengesetz); vom 02.05.2012 – 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20 (zum Ruhegehaltssatz nach dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz)).
40Hieran hat sich aus Sicht des erkennenden Senats entgegen der Auffassung der Klägerin und der teilweise im Schrifttum vertretenen Ansicht (vgl. Schönfeld/Bergmann, DStR 2015, 257) durch die neueste Entscheidung des BVerfG zur Rückwirkungsthematik (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1) nichts geändert. Auch danach besteht von dem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze im Falle der gesetzlichen Festschreibung einer früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung nach Änderung der Rechtsprechungspraxis eine Ausnahme. Das BVerfG hat den seinem Beschluss vom 17.12.2013 zugrunde liegenden Sachverhalt in seiner vorgenannten Entscheidung ausdrücklich von seinen vorherigen Beschlüssen betreffend das Fremdrentengesetz (vgl. Beschluss vom 21.07.2010 – 1 BvL 11/06, a.a.O.) und den Ruhegehaltssatz nach dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz (vgl. Beschluss vom 02.05.2012 – 2 BvL 5/10, a.a.O.) abgegrenzt, in denen es Nichtanwendungsgesetze jeweils für verfassungsgemäß gehalten hatte. Insofern handele sich – so das BVerfG – nicht um vergleichbare Fälle, da den Beschlüssen jeweils die Konstellation einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde gelegen habe, während es in der Entscheidung vom 17.12.2013 um die rückwirkend „klarstellende“ gesetzliche Festschreibung einer höchstrichterlich noch ungeklärten Rechtsfrage zugrunde lag. Dafür, dass diese Differenzierung vom BVerfG in seinen Beschluss vom 17.12.2013 nur aufgenommen wurde, um „den Anschein der Kontinuität der Rechtsprechung zu wahren“ (so Schönfeld/Bergmann, DStR 2015, 257, 260), bestehen aus Sicht des erkennenden Senats keine Anhaltspunkte (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, a.a.O. Die in den Beschlüssen des BVerfG zum Fremdrentengesetz und zum Ruhegehaltssatz nach dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz zur Fallgruppe „rückwirkender Nichtanwendungsesetze“ herausgebildeten Prinzipien dürften daher auch nach Ergehen des BVerfG-Beschlusses vom 17.12.2013 weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Davon, dass das grundsätzliche Rückwirkungsverbot in dieser Fallgruppe auch nach Ergehen des BVerfG-Beschlusses vom 17.12.2013 regelmäßig durchbrochen wird, geht im Übrigen auch der BFH aus (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.2014 – VIII R 29/12, BStBl II 2014, 998 zu § 233a AO).
41cc) Dies zugrunde gelegt bewirkt die die zeitliche Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.d.F. JStG 2010 betreffende Regelung des § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG i.d.F. JStG 2010 keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung, die das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Prinzip des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes verletzen würde, da es an einem schutzwürdigen Vertrauen des Steuerpflichtigen fehlt, welches durch die Neuregelung hätte enttäuscht werden können. Der Gesetzgeber hat durch die mit dem JStG 2010 eingeführten Regelungen lediglich die Rechtslage mit Wirkung auch für die Veranlagungszeiträume vor 2006 so geregelt, wie sie bis zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Theorie der finalen Entnahme durch das BFH-Urteil vom 17.07.2008 nach der Rechtsanwendungspraxis maßgeblich war. Ein berechtigtes Vertrauen auf eine hiervon abweichende Rechtslage konnten die Steuerpflichtigen nicht bilden; ein solches Vertrauen hatte angesichts der jahrzehntelangen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis und der sich im Zeitraum zwischen 2006 und 2010 in Gesetzgebung, Schrifttum und Verwaltungspraxis zeigenden Entwicklung weder vor noch nach der Rechtsprechungsänderung im Jahr 2008 eine Grundlage.
42(1) Festzuhalten ist insoweit zunächst, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG für die Frage des Bestehens eines schutzwürdigen Vertrauens maßgeblich auf den Zeitpunkt abzustellen ist, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wurde (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG-Beschluss vom 17.12.2013 /1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1).
43(a) Insoweit ist vorliegend dem Beklagten darin beizupflichten, dass Grundlage des Vertrauens der Klägerin grundsätzlich nur die im Zeitpunkt der Überführung der D-Aktien in die belgische Betriebsstätte geltende Rechtslage in ihrer durch die damalige Rechtsprechungspraxis vermittelten Ausprägung sein kann. Denn das Verhalten, welches nach der mit dem JStG 2010 rückwirkend in das Gesetz eingeführten Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG die Rechtsfolge einer Aufdeckung von stillen Reserven nach sich zieht, bestand in der mit Wirkung zum 19.12.1998 kraft Funktionszusammenhangs erfolgten Zuordnung der von der Klägerin gehaltenen D-Aktien zum Betriebsvermögen ihrer belgischen Betriebsstätte. Dass aus diesem Verhalten aufgrund der Billigkeitsregelung in Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze in 1998 zunächst keine steuerlichen Folgen zu ziehen waren, ist insoweit ohne Belang.
44Maßgebend für die Frage, ob die durch das JStG 2010 mit echter Rückwirkung in das EStG aufgenommenen Bestimmungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG verfassungskonforme Rechtsgrundlage für eine Aufdeckung der bei Überführung in die belgische Betriebsstätte in den D-Aktien ruhenden stillen Reserven im Veranlagungszeitraum 1998 darstellen und spätestens im Streitjahr 2008 zu deren Besteuerung führen können, ist daher, ob aus der Perspektive des Jahres 1998 berechtigterweise darauf vertraut werden konnte, dass die Überführung der Aktien nach Belgien nicht zu einer Entstrickungsbesteuerung führen würde.
45(b) Dies ist jedoch ersichtlich nicht der Fall. Im Jahre 1998 entsprach die Theorie der finalen Entnahme noch gängiger Verwaltungspraxis und gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung. Der BFH sah die Überführung eines Wirtschaftsguts aus einem inländischen Unternehmen in eine ausländische Betriebsstätte desselben Unternehmens in ständiger Rechtsprechung als eine mit dem Teilwert zu bewertende Entnahme „für betriebsfremde Zwecke“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG an, die zur Versteuerung der dadurch aufgedeckten stillen Reserven führte, wenn der Gewinn der ausländischen Betriebsstätte aufgrund eines DBA nicht der inländischen Besteuerung unterlag (vgl. BFH-Urteile vom 16.07.1969 – I 266/65, BStBl II 1970, 175; vom 28.04.1971 – I R 55/66, BStBl II 1971, 630; vom 30.05.1972 – VIII R 111/69, BStBl II 1972, 760; zuletzt aus neuerer Zeit im Rahmen eines obiter dictum: BFH-Urteil vom 16.05.2004 – VIII R 7/02, BStBl II 2004, 914). Diese Rechtsprechung beruhte auf der Annahme, dass die Erfassung der im Inland erwirtschafteten stillen Reserven bei Verbringung des Wirtschaftsgutes in eine Betriebsstätte, die in einem ausländischen Staat belegen ist, mit dem die Freistellungsmethode gemäß Art. 23 A OECD-MA vereinbart wurde, nicht mehr gewährleistet sei, da nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA allein dem ausländischen Staat, dessen Betriebsstätte das überführte Wirtschaftsgut im Veräußerungszeitpunkt zugeordnet ist, das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsgutes unabhängig von der Entstehung der stillen Reserven zustehe. Die Finanzverwaltung folgte dieser Rechtsprechung, milderte sie allerdings, da sie zur Versteuerung von noch nicht realisierten Gewinnen führte, durch die auch im vorliegenden Streitfall zur Anwendung gebrachte Billigkeitsmaßnahme in Tz. 2.6.1 a) des Betriebsstättenerlasses (Bildung eines den Entnahmegewinn neutralisierenden, spätestens nach zehn Jahren aufzulösenden Merkpostens/Ausgleichspostens) ab. Erst durch die Entscheidung des BFH vom 17.07.2008 wurde insoweit ein Rechtsprechungswandel vollzogen; bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich ein schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen jedoch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt bilden.
46(c) Insbesondere konnte ein Vertrauensschutz auch nicht etwa entstehen, weil eine Rechtsprechungsänderung aufgrund erheblicher Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen offensichtlich geboten und erwartbar gewesen wäre (vgl. hierzu BVerfG-Beschluss vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187). Zwar ist die der finalen Entnahmelehre folgende BFH-Rechtsprechung im Schrifttum bereits früh auf Ablehnung gestoßen (vgl. die Nachweise bei Musil in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG, § 4 Anm. 170 m.w.N.). Die Änderung dieser Rechtsprechung im Urteil des BFH vom 17.07.2008 war jedoch lediglich Ausdruck eines veränderten rechtlichen Verständnisses der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode. Eine „Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen“ war der durch das BFH-Urteil vom 17.07.2008 eingetretenen Rechtsprechungsänderung – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht vorausgegangen, sondern lediglich ein Wandel des Verständnisses des unverändert gebliebenen Abkommensrechts. Ein allein aufgrund der seit Entwicklung der Theorie der finalen Entnahme geäußerten kritischen Stimmen in der Literatur beruhendes schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin auf eine von der früheren ständigen Rechtsanwendungspraxis abweichende Rechtslage konnte sich im Zeitpunkt der rechtsfolgenbegründenden Überführung der D-Aktien in ihre belgische Betriebsstätte in 1998 zudem bereits deshalb nicht gebildet haben, weil sich die im Schrifttum teilweise vertretene Auffassung ersichtlich jahrzehntelang nicht gegen die einhellige Rechtsanwendungspraxis durchzusetzen vermocht hatte.
47(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man für die Beurteilung eines der rückwirkenden Anwendung von § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG entgegenstehenden schutzwürdigen Vertrauens nicht allein auf die Verhältnisse im Jahr 1998, sondern – da die Besteuerungsfolgen aus dem in 1998 vollzogenen Überführungsvorgang erst in 2008 gezogen wurden und die Klägerin darauf verzichtet hat, die D-Aktien bis zum 31.12.2008 wieder ins Inland zurück zu führen – auf die Verhältnisse im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 17.07.2008 und dem am 28.10.2010 vom Bundestag verabschiedeten und am 14.12.2010 in Kraft getretenen JStG 2010 abstellen wollte. Vertrauensschutz konnte auch in diesem Zeitraum nicht entstehen, da bei objektiver Betrachtung nicht mit einem Fortbestand der durch den BFH mit seinem Urteil vom 17.07.2008 geschaffenen Rechtslage gerechnet werden konnte.
48(a) Vorauszuschicken ist insoweit zunächst, dass die Argumentation der Klägerin zu ihrem individuell entfalteten Vertrauen in den Fortbestand der durch das BFH-Urteil vom 17.07.2008 geänderten Rechtsprechung und die fehlende Notwendigkeit einer bis zum 31.12.2008 vorzunehmenden Rückführung der Aktien ins Inland aufgrund der Aussagen eines OFD-Vertreters in der Besprechung vom 22.10.2008 aus Sicht des erkennenden Senats ins Leere geht. Unabhängig davon, ob man in der Nichtrückführung der D-Aktien in das inländische Betriebsvermögen – also einem bloßen Untätigbleiben – überhaupt eine Vertrauensdisposition zu sehen vermag oder nicht, kann die sich im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung eines rückwirkend eingeführten Nichtanwendungsgesetzes stellende Frage des Bestehens schutzwürdigen Vertrauens bzw. der Annahme einer schutzwürdigen Disposition immer nur generalisierend beantwortet werden (so auch BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1). Denn ein Gesetz ist eben nicht je nach Einzelfall verfassungswidrig oder verfassungsgemäß, sondern allgemein, d.h. mit Wirkung für alle. Für die Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG kommt es folglich nicht auf die konkrete subjektive Entscheidungs- und Vertrauenslage der Klägerin nach Ergehen des BFH-Urteils vom 17.07.2008 und Durchführung der Besprechung vom 22.10.2008 an, sondern vielmehr darauf, ob der allgemeine Rechtsanwender bei objektiver Betrachtung ein schutzwürdiges Vertrauen in die durch das BFH-Urteil vom 17.07.2008 geänderte Rechtsprechung entfalten durfte.
49(b) Vorab zu betonen ist ferner, dass für die Frage, was Grundlage eines möglicherweise schutzwürdigen Vertrauens des allgemeinen Rechtsanwenders gegenüber der rückwirkenden Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG im Rahmen des JStG 2010 ist, nicht isoliert auf das BFH-Urteil vom 17.07.2008 abgestellt und für die Prüfung des Vertrauensschutzes zeitlich erst in 2008 angesetzt werden kann, sondern vielmehr die gesamte historische Entwicklung – auch soweit diese die bereits im Vorfeld der BFH-Entscheidung vom 17.07.2008 durch den Gesetzgeber ergriffenen Schritte betrifft – betrachtet werden muss. Insoweit handelt es sich entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht der Klägerin auch nicht um eine „unnötige Verkomplizierung“, sondern vielmehr um eine notwendige vollständige Darstellung der maßgeblichen Vertrauensgrundlage. Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Kontext außerdem, dass der BFH sich mit seiner Entscheidung vom 17.07.2008 ausdrücklich nur zu der vor Inkrafttreten des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG geltenden Rechtslage geäußert hat. Bezüglich der nach Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Zuge des SEStEG geltenden Rechtslage lässt sich dem vorgenannten BFH-Urteil demgegenüber keine eindeutige Aussage entnehmen.
50(b) Dies zugrunde gelegt konnte angesichts der sich im Zeitraum zwischen 2006 und 2010 in Gesetzgebung, Schrifttum und Verwaltungspraxis zeigenden Entwicklung berechtigterweise nicht auf den Bestand der nach dem BFH-Urteil vom 17.07.2008 eingetretenen Rechtslage vertraut und davon ausgegangen werden, dass die Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische DBA-Freistellungsbetriebsstätte keine Besteuerungsfolgen nach sich ziehen würde.
51(aa) Bereits mit der Einführung des ab 2006 geltenden allgemeinen Entstrickungstatbestands des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Zuge des SEStEG wollte der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien die Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven u.a. dann gewährleisten, wenn „Wirtschaftsgüter dem deutschen Besteuerungszugriff entzogen werden“ (vgl. BT-Drucks. 16/2710, 26). Damit hat der Gesetzgeber erkennbar die bisherige ständige BFH-Rechtsprechung zum finalen Entnahmebegriff systematisch zusammenfassen, fortentwickeln und auf eine gesetzliche Grundlage stellen wollen, um eine „konsequente Sicherung deutscher Besteuerungsrechte“ zu gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 16/2710, 25). Ausweislich der Gesetzesbegründung ging der Gesetzgeber dabei ausdrücklich davon aus, dass „dem bisherigen Belegenheitsstaat des Wirtschaftsguts (…) das Recht“ zustehe, „den Wertzuwachs zu besteuern, der in dem Zeitraum entstanden ist, in dem die aus dem Besteuerungsrecht ausgeschiedenen Wirtschaftsgüter seiner Steuerhoheit unterlegen haben“ (vgl. BT-Drucks. 16/2710, 26). Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber bereits mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG beabsichtigte, einen „Gefährdungstatbestand“ zu schaffen, der unabhängig von der Auslegung der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode eine Entstrickungsbesteuerung vorsieht, wenn ein Wirtschaftsgut – z.B. durch Überführung in eine ausländische Betriebsstätte in einem DBA-Staat, mit dem die Freistellungsmethode vereinbart ist – der deutschen Steuerhoheit entzogen wird und der deutsche Besteuerungsanspruch hinsichtlich der während der Verhaftung im Inland aufgelaufenen stillen Reserven nicht mehr durchsetzbar oder die Durchsetzung gefährdet ist. Ob dem Gesetzgeber dies bereits im Zuge des SEStEG gelungen ist oder nicht (vgl. dazu bereits vorstehend), ist für die Frage des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen dabei ohne Belang. Denn selbst wenn man die Ansicht vertritt, dass die mit Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG im Jahre 2010 sodann eindeutig zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Auffassung, wonach die Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische Betriebsstätte den Hauptanwendungsfall der allgemeinen Entstrickungsnorm des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG bilden sollte, im Wortlaut der bis 2010 geltenden Fassung des § 4 Abs. 1 EStG nicht zweifelsfrei zum Ausdruck gekommen ist, so konnte der allgemeine Rechtsanwender angesichts der Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zum SEStEG und der jahrzehntelang gelebten Rechtsprechungs- und Verwaltungspraxis nach Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Jahre 2006 jedenfalls nicht darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber eine vorgezogene Besteuerung der aufgelaufenen stillen Reserven im Falle der Überführung eines Wirtschaftsgutes in eine ausländische Freistellungs-Betriebsstätte nicht – wie sodann (spätestens) mit § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 geschehen – rückwirkend explizit in einen allgemeinen gesetzlichen Entstrickungstatbestand fassen würde.
52(bb) Dies galt erst recht, nachdem der BFH – bezogen auf die Rechtslage vor Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Zuge des SEStEG – die finale Entnahmetheorie mit seinem Urteil vom 17.07.2008 ausdrücklich aufgegeben und ein gewandeltes Verständnis der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode zum Ausdruck gebracht hatte, wonach eine spätere inländische Besteuerung der bis zum Überführungszeitpunkt angesammelten stillen Reserven unberührt bleibe. Aufgrund dieser Entscheidung wurden im einschlägigen Schrifttum erhebliche Zweifel daran geäußert, ob der Fall der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Freistellungs-Betriebsstätte überhaupt vom Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG erfasst sei oder die Regelung vielmehr insoweit leerlaufe (vgl. u.a. Kahle/Franke, IStR 2009, 406, 409; Gosch, BFH/PR 2008, 499 f.; Wassermeyer, DB 2006, 1176; Ditz, IStR 2009, 115, 120 f.; Prinz, DB 2009, 807, 810). Angesichts dieser Interpretation, welche dem bereits aus den Gesetzesmaterialien zu § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG hervorgehenden gesetzgeberischen Willen zur Schaffung eines Gefährdungstatbestands klar zuwider lief, und den Auswirkungen der BFH-Entscheidung vom 17.07.2008 auf vor 2006 liegende Veranlagungszeiträume war bei objektiver Betrachtung bereits absehbar, dass der Gesetzgeber insoweit „nachbessern“ und für den Fall der Überführung eines in einem inländischen Betriebsvermögen gehaltenen Wirtschaftsgutes in eine in einem DBA-Freistellungsstaat gelegene Betriebsstätte auch für vor dem 01.01.2006 endende Wirtschaftsjahre eine der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsanwendungspraxis, welche er bereits mit Einführung des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG im Zuge des SEStEG in Gesetzesform hatte gießen wollen, entsprechende eindeutige gesetzliche Regelung schaffen würde. Hierfür sprach auch die Nichtveröffentlichung des BFH-Urteils vom 17.07.2008 im Bundessteuerblatt und der vom BMF im Rahmen des Nichtanwendungserlasses vom 20.05.2009 bereits enthaltene Hinweis auf eine bevorstehende „mögliche gesetzliche Regelung“ für „Überführungen und Übertragungen von Wirtschaftsgütern“ (vgl. BStBl. I 2009, 671 unter 3.).
53(cc) Wie zu erwarten war, reagierte der Gesetzgeber sodann auf die im Hinblick auf den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und das BFH-Urteil vom 17.07.2008 aufgeworfenen Zweifelsfragen mit der rückwirkenden Einfügung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 i.V.m. § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG im Zuge des JStG 2010. In den Gesetzesmaterialien führte er insoweit ausdrücklich aus, dass durch die Anwendungsregelung zu § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG sichergestellt werden solle, dass die Grundsätze des BFH-Urteils vom 17.07.2008 auf den entschiedenen Einzelfall beschränkt blieben und die Theorie der finalen Entnahme, wie sie in § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG gesetzlich festgeschrieben worden sei, im Interesse einer einheitlichen und kontinuierlichen Rechtsanwendung auf alle noch offenen Fälle anzuwenden sei (vgl. BT-Drucks. 17/3549, S. 21 f.).
54Vor dem Hintergrund der dargestellten Historie – namentlich der bis 2008 übereinstimmenden Rechtsauffassung in BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis, der durch den Gesetzgeber bereits mit § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. des SEStEG bezweckten gesetzlichen Festschreibung der Theorie der finalen Entnahme noch vor der sodann mit dem BFH-Urteil vom 17.07.2008 eingetretenen Rechtsprechungsänderung, dem Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung zu vorgenanntem BFH-Urteil sowie der sich daran anschließenden Diskussion im Schrifttum und schließlich der Einfügung einer expliziten gesetzlichen Regelung für den „Überführungsfall“ in § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG durch das JStG 2010 – durfte der Steuerpflichtige somit nach dem BFH-Urteil vom 17.07.2008 nicht darauf vertrauen, dass die Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Freistellungs-Betriebsstätte nicht der Entstrickungsbesteuerung unterworfen würde (i.E. ebenso: FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2015 – 8 K 3664/11 F, juris (betreffend das Streitjahr 2005); Bode in: Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 4 Rz. 108; Seiler in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rn. B 121; vgl. auch Benecke/Staats in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 12 Rz. 36a, wonach bei der vergleichbaren Regelung des § 12 KStG eine verworrene Rechtslage i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG vorliegt; a.A.: Wied in: Blümich, EStG, § 4 Rz. 486 mit aus Sicht des erkennenden Senats jedoch fehlgehender Begründung).
55b) Auch ein Verstoß der in § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG enthaltenen Regelung gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Leistungsfähigkeitsprinzip ist nicht erkennbar. Soweit die Klägerin anführt, die Regelung führe zu einer verfassungswidrigen vorzeitigen Besteuerung noch nicht realisierter stiller Reserven, so ist dem entgegen zu halten, dass die durch Art. 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG vorgeschriebene Besteuerung stiller Reserven ohne Liquiditätszufluss und ohne Umsatz am Markt grundsätzlich jeder Entnahme i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG immanent ist und kein Spezifikum des in den vorgenannten Vorschriften geregelten Entstrickungstatbestands darstellt. Zwar bedarf es vor dem Hintergrund des Leistungsfähigkeitsprinzips sowie des handelsrechtlichen Realisationsprinzips im Rahmen der Gewinnermittlung im Grundsatz stets einer Gewinnrealisierung durch einen entsprechenden Außenumsatz. In Ausnahme hierzu sieht das Gesetz in bestimmten Fällen wie z.B. im Bereich des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG jedoch eine Besteuerung ohne Liquiditätszufluss vor, ohne dass dem rechtliche Bedenken gegenüberstünden. Ein allgemeiner Rechtssatz, wonach das Leistungsfähigkeitsprinzip eine Anknüpfung der Besteuerung an wirtschaftliche Vorgänge, die nicht mit einem gleichzeitigen Mittelzufluss verbunden sind, verbiete, lässt sich weder der einfachgesetzlichen Systematik des EStG noch der Rechtsprechung des BVerfG entnehmen (so auch BFH-Beschluss vom 27.10.2015 – X R 28/12, BFH/NV 2016, 310). Wäre die Gegenauffassung zutreffend, dürfte es aus verfassungsrechtlichen Gründen weder eine Steuerpflicht von Entnahmen noch von Aufgabegewinnen i.S.d. § 16 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 EStG geben. Auch bei zahlreichen im Umwandlungssteuergesetz aufgeführten Steuertatbeständen ist nicht stets ein gleichzeitiger Mittelzufluss gewährleistet. Gleiches gilt für den bilanzsteuerrechtlichen Grundsatz, nach dem nicht erst der Mittelzufluss, sondern bereits die bloße Entstehung des Anspruchs auf die Gegenleistung selbst dann zur Gewinnrealisierung führt, wenn die Fälligkeit der erworbenen Forderung noch weit hinausgeschoben ist. Eine Rechtsprechung des BVerfG, die der Anwendung derartiger Tatbestände in Fällen eines fehlenden gleichzeitigen Mittelzuflusses entgegenstünde, ist für den erkennenden Senat nicht ersichtlich.
56c) Ebenso wenig liegt im Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung der vorliegend gegebenen Konstellation gegenüber dem reinen Inlandsfall ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vor. Soweit an die Überführung eines Wirtschaftsgutes von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen für ihn nachteilige steuerliche Folgen geknüpft werden, während die Überführung in eine andere inländische Betriebsstätte keine Besteuerung nach sich zieht, so erscheint die hierin liegende Ungleichbehandlung von rein inländischen und grenzübergreifenden Sachverhalten durch das steuerliche Territorialitätsprinzip und den Grundsatz der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten gerechtfertigt und vor dem Hintergrund der Möglichkeit der auf zehn Jahre gestaffelten Erhebung der fraglichen Steuer auch verhältnismäßig (vgl. EuGH-Urteil vom 21.05.2015 – C-657/13 („Verder LabTec“), DStR 2015, 1166).
573. Die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.V.m. der vorliegend einschlägigen Billigkeitsregelung nach Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze verstößt auch nicht gegen die in Art. 49 EUV garantierte Niederlassungsfreiheit. Der seitens der Klägerin erhobene Vorwurf der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Regelung ist nach zwischenzeitlichem Ergehen des EuGH-Urteils in der Rs. „Verder LabTec“ (Urteil vom 21.05.2015, C-657/13) mittlerweile eindeutig entkräftet. Der EuGH hat mit seiner vorgenannten Entscheidung klargestellt, dass die Entstrickungsregelungen nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.V.m. der auf zehn Jahre gestaffelten Erhebung der Steuer auf die stillen Reserven unionsrechtskonform ist. Die im Schrifttum zum Teil vertretene Ansicht, dass die Diskussion um die Europarechtswidrigkeit der Entstrickungstatbestände auch nach der vorgenannten EuGH-Entscheidung wegen diverser, sich im Hinblick auf § 4g EStG ergebenden Defizite noch nicht beendet sei (vgl. Kahle/Beinert, FR 2015, 585; Kudert/Kahlenberg, DB 2015, 1377), besitzt für den vorliegenden Streitfall keine Relevanz, da nicht § 4g EStG, sondern die in Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze enthaltene Billigkeitsregelung zur Anwendung gelangt und der EuGH sich diesbezüglich eindeutig geäußert hat.
584. Der Beklagte hat der nach alledem im Streitjahr 2008 gemäß §§ 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.d.F. JStG 2010 i.V.m. der Billigkeitsregelung in Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze vorzunehmenden Besteuerung der in den D-Aktien zum Zeitpunkt ihrer Überführung in die belgische Betriebsstätte der Klägerin ruhenden stillen Reserven jedoch zu Unrecht die im Jahr 1998 geltenden gesetzlichen Vorschriften zugrunde gelegt.
59a) Soweit ersichtlich ist die Frage, ob für die „aufgeschobene Besteuerung“ nach Maßgabe der Billigkeitsregelung der Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze der aktuelle Rechtsstand im Jahr der Auflösung des Merkpostens oder aber der historische Rechtsstand im Zeitpunkt der Überführung zugrunde zu legen ist, bislang weder durch die Rechtsprechung noch von der Finanzverwaltung noch dem einschlägigen Schrifttum beantwortet worden. Für die Zugrundelegung der in 1998 geltenden Steuergesetze könnte einerseits der Umstand sprechen, dass Rechtsfolge des § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG grundsätzlich die sofortige Besteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt der Überführung ist und diese Besteuerung gemäß Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze lediglich aus Billigkeitsgründen zeitlich hinausgeschoben wird.
60b) Andererseits führt aber die in Tz. 2.6.1 a) der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze vorgesehene Bildung eines Merkpostens im Jahre der Überführung und dessen Zwangsauflösung spätestens nach zehn Jahren dazu, dass eine Gewinnverwirklichung tatsächlich erst im Jahr der Auflösung des Merkpostens eintritt. Zu unterscheiden ist insoweit zwischen dem zur Aufdeckung der stillen Reserven führenden Vorgang (= Überführung) und dem letztlich zur Gewinnverwirklichung führenden Vorgang (= Auflösung des Merkpostens). Da die Besteuerung an den verwirklichten Gewinn anknüpft, erscheint es nach Auffassung des erkennenden Senats die zutreffendere Sichtweise, dass sich die Besteuerung an den gesetzlichen Vorschriften zu orientieren hat, welche im Zeitpunkt der Gewinnverwirklichung (vorliegend also 2008) gelten. Hierfür spricht auch die Rechtsprechung des BFH zu der Frage, welches Recht im Falle der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gegen wiederkehrende Bezüge und Wahl der Zuflussbesteuerung anzuwenden ist. Die sich in diesem Kontext stellende Frage, ob der maßgebliche Veräußerungsgewinn nach dem im Jahr des Zuflusses oder der Veräußerung geltenden Recht zu versteuern ist, hat der BFH zugunsten der erstgenannten Alternative beantwortet und dabei – ähnlich der vorstehenden Überlegung – darauf abgestellt, dass bei der Wahl der Zuflussbesteuerung der Realisationszeitpunkt hinausgeschoben werde und ein Gewinn erst sukzessive mit dem Zufluss jeder einzelnen Zahlung nach Überschreiten der Gewinnschwelle entstehe. Aus diesem Grunde sei die Besteuerung der Leibrentenzahlungen nach dem im Zeitpunkt ihres Zuflusses geltenden Recht vorzunehmen – unabhängig davon, ob sich dieses (wie im Falle des Halbeinkünfteverfahrens) zum Vorteil des Steuerpflichtigen auswirke oder sich die Rechtslage gegenüber dem Veräußerungszeitpunkt zu seinem Nachteil verändert habe (vgl. BFH-Urteil vom 18.11.2014 – IX R 4/14, BStBl II 2015, 526).
61c) Für den vorliegenden Fall folgt hieraus, dass die Besteuerung des streitigen Gewinns aus der fiktiven Veräußerung der D-Aktien anlässlich ihrer Überführung in die belgische Betriebsstätte nach der im Jahr 2008 gültigen Rechtslage, insbesondere also – seine sachliche Anwendbarkeit vorausgesetzt – nach dem Halbeinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 Buchst. a) EStG, vorzunehmen ist. Da ein nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG erzielter Entnahmegewinn auch grundsätzlich in den Anwendungsbereich des § 3 Nr. 40 Buchst. a) EStG fällt (vgl. Intemann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 3 Nr. 40 Rz. 57), war dem diesbezüglichen Hilfsantrag der Klägerin im Ergebnis stattzugeben.
62II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Ausspruch zur Übertragung der Neuberechnung der festzusetzenden Steuer bzw. des festzusetzenden Gewerbesteuermessbetrags auf den Beklagten folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
63III. Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu, da bislang – soweit ersichtlich – weder höchstrichterlich geklärt ist, ob § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 im Falle der Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen in eine ausländische (Freistellungs-)Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen einen Besteuerungszugriff ermöglicht und die durch § 52 Abs. 8b Satz 2 und 3 EStG i.d.F. des JStG vorgesehene rückwirkende Anwendung der Vorschrift auf vor dem 01.01.2006 verwirklichte Überführungsvorgänge verfassungsgemäß ist, noch ob bejahendenfalls das Halbeinkünfteverfahren zur Anwendung gelangt, wenn die Überführung in einem Jahr vor dessen Einführung verwirklicht wurde, die Besteuerung jedoch aufgrund der Billigkeitsregelung in den sog. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen in einen Veranlagungszeitraum im zeitlichen Anwendungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens hinausgeschoben wurde.
64IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.