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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Tatbestand
2Die Klägerin war im Streitjahr als ... nichtselbständig tätig. Darüber hinaus hat sie Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, aus Beteiligungseinkünften, aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen, deren Gesamtsumme sich im Streitjahr 2001 auf ... DM belief. Darüber hinaus erlitt die Klägerin wegen des Börsencrashs erhebliche Verluste (sonstige Einkünfte) aus Stillhaltergeschäften und anderen privaten Veräußerungsgeschäften. Diese wurden vom Beklagten wie folgt berücksichtigt:
3Einnahmen: |
5.... DM |
Ausgaben: |
9.... DM |
Einkünfte: |
- 4.... DM. |
Wegen der Verlustausgleichsbeschränkung gemäß 22 Nr. 3 Sätze 3 und 4 Einkommensteuergesetz (EStG) erfolgte keine Verrechnung mit den positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten; der verbleibende Verlustvortrag auf den 31.12.2001 wurde entsprechend festgestellt.
5Gegen den Einkommensteuer- und Verlustfeststellungsbescheid für das Jahr 2001 vom 18.11.2003 hatte die Klägerin rechtzeitig Einspruch eingelegt und beantragt, die Verluste mit den positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten zu verrechnen. Die gegen diese Bescheide gerichteten Einspruchsverfahren wurden zum Ruhen gebracht. Über die Einsprüche wurde noch nicht entschieden.
6Mit Schreiben vom 16.05.2015 beantragte die Klägerin für das Streitjahr 2001, aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) die Einkommen-steuer und den Solidaritätszuschlag auf 0,00 DM festzusetzen. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 12.08.2015 abgelehnt.
7Zur Begründung führte der Beklagte wie folgt aus:
8Nach § 163 Satz 2 AO könnten steuermindernde Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Die unbillige Härte könne in der Sache selbst liegen, aber auch in den persönlichen oder betrieblichen Verhältnissen der Steuerpflichtigen begründet sein. Der Zweck des § 163 AO liege darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt habe, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen ließen (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 22.10.2014 II R 4/14, BStBl II 2015, 237, m.w.N.). Sachlich unbillig sei die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspreche, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderlaufe, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheine. So verhalte es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden könne, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Eine Billigkeitsentscheidung dürfe jedoch nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Die Erhebung bzw. Einziehung eines Einkommensteueranspruchs könne sachlich unbillig sein, wenn das Zusammenwirken verschiedener Regelungen zu einer hohen Steuerschuld führe, obgleich dem kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit zu Grunde liege (BFH-Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297). Dabei müsse eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des infrage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich seien, erfolgen.
9Bis einschließlich 1998 hätten Verluste aus Stillhaltergeschäften und privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG bzw. § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG nicht mit positiven Einkünften anderer Einkunftsarten ausgeglichen bzw. nach 10d EStG abgezogen werden können. Dieser völlige Ausschluss der Verlustverrechnung sei nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 30.09.1998 (2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88) verfassungswidrig. Aus diesem Grunde habe der Gesetzgeber im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 (BGBl I 1999, 402) mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 1999 die Verlustausgleichsbeschränkungen entsprechend den Vorgaben des BVerfG geändert. Seitdem könnten verbleibende Verluste nach Maßgabe des § 10d EStG mit Gewinnen aus sonstigen Leistungen bzw. privaten Veräußerungsgeschäften im unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder den folgenden Veranlagungszeiträumen verrechnet werden (§ 22 Nr. 3 Satz 4 EStG bzw. § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG ab 2000). Der BFH habe sich bereits mit der Verfassungsmäßigkeit der geänderten Verlustausgleichsregelungen auseinandergesetzt und entschieden, dass die Verlustausgleichsbeschränkungen verfassungsgemäß seien (BFH-Urteil vom 18.09.2007 IX R 42/05, BStBl II 2008, 26 zu § 22 Abs. 3 Satz 3 EStG und BFH-Urteil vom 18.10.2006 IX R 28/05, BStBl II 2007, 259 zu § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG). Das sogenannte Nettoprinzip als eine Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips stehe dem nicht entgegen. Es gebiete zwar den Abzug von erwerbssichernden Aufwendungen, die mit der Einkünfteerzielung in einem unmittelbaren Sachzusammenhang stehen, allerdings von verfassungswegen nicht notwendigerweise in jedem einzelnen Veranlagungszeitraum. Danach werde eine Beschränkung des vertikalen Verlustausgleiches durch das allgemeine Leistungsfähigkeitsprinzip nicht grundsätzlich ausgeschlossen, solange nur tatsächlich entstandene Verluste überhaupt - gegebenenfalls in einem anderen Veranlagungszeitraum - steuerlich berücksichtigt würden. Denn Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) entfalte seine Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend und begründe allenfalls die Notwendigkeit eines uneingeschränkten vertikalen Verlustausgleiches zwischen sich in ihrer Struktur entsprechenden Einkunftsarten.
10Die in 2001 erlittenen Verluste der Klägerin aus Stillhaltergeschäften und privaten Veräußerungsgeschäften stünden jedoch in keinem unmittelbaren Sachzusammenhang mit den positiven Einkünften anderer Einkunftsarten. Der Festsetzung der Einkommensteuer liege deshalb kein atypischer Fall zu Grunde, aufgrund dessen der Gesetzgeber, sofern er ihn erkannt hätte, die Verlustausgleichsbeschränkungen nicht erlassen hätte. Die Festsetzung entspreche vielmehr den Wertungen des Gesetzgebers, der den Ausgleich von Verlusten aus risikobehafteten Stillhaltergeschäften und privaten Veräußerungsgeschäften wie vorliegend beschränken wollte. Die Besonderheiten der Einkünfte aus sonstigen Leistungen und privaten Veräußerungsgeschäften rechtfertigten nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG eine von den anderen Einkunftsarten abweichende Sonderregelung für den Verlustausgleich (BFH-Urteil vom 18.10.2006 IX R 28/056, a.a.O.). Die Nichtfestsetzung der Einkommensteuer käme einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Befreiungsvorschrift gleich. Im Übrigen sei ein Ausgleich der festgestellten Verluste weiter möglich. Diese seien auch zukünftig mit positiven Einkünften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 8 und § 22 Nr. 3 Satz 4 EStG ausgleichsfähig.
11Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde mit Entscheidung vom 15.10.2015 als unbegründet zurückgewiesen.
12Ihre dagegen gerichtete Klage begründet die Klägerin wie folgt:
13Zwar habe der BFH zuletzt in den Urteilen vom 11.02.2014 IX R 10/12, BFH NV 2014, 1020, vom 11.02.2014 IX R 46/12, BFH NV 2014, 1025 und vom 10.02.2015 IX R 8/14, BFH NV 2015, 830, die Verfassungsmäßigkeit der Verlustausgleichsbeschränkungen nach §§ 22, 23 EStG bestätigt. In den Urteilsgründen habe der BFH jedoch jeweils auf eine Verfassungspflicht für Billigkeitsmaßnahmen hingewiesen, mit welcher im Einzelfall einer Steuerschuld, der kein Zuwachs an Leistungskraft zugrunde liege, begegnet werden könne bzw. zu begegnen sei. Der BFH habe damit eindeutige Hinweise darauf gegeben, wie er die Fälle, in denen aufgrund der Anwendung der Verlustausgleichsbeschränkungen der §§ 22, 23 EStG der entstandenen Steuerschuld keine Einkünfte und damit kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit gegenüberstehe, zukünftig gelöst wissen möchte. Aufgrund dieser Ausführungen des BFH sei der hier streitige Billigkeitsantrag nach § 163 AO gestellt worden. Vorliegend bestehe die sachliche Unbilligkeit darin, dass ein Zuwachs an Einkünften und damit an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht vorgelegen habe und sie dennoch zur Einkommensteuer 2001 veranlagt worden sei.
14Gemäß § 163 AO könnten Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine Festsetzung sei aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspreche, den Wertungen des Gesetzes aber zuwiderlaufe. Dies setze voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Der Gesetzgeber könne bei wenigen Ausnahmefällen Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen, wenn hierfür Billigkeitsmaßnahmen zur Verfügung stünden, die etwaigen Ungerechtigkeiten in der Besteuerung entgegenwirken könnten. Billigkeitsmaßnahmen dienten quasi der Flankierung von Typisierungen seitens des Gesetzgebers (BFH-Urteil vom 20.09.2012, IV R 29/10, BStBl II 2013, 505).
15Auch wenn Härten, die der Gesetzgeber bei der Regelung des gesetzlichen Tatbestands bedacht und in Kauf genommen habe, gegebenenfalls keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigten, so sei eine derartige Maßnahme dennoch geboten, wenn ohne die Billigkeitsmaßnahme das Verhalten des Gesetzgebers aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden wäre. Dies sei der Fall, wenn ein Gesetz, das generell verfassungsgemäß sei, im Einzelfall aber zu Grundrechtsverstößen führe.
16Bei ihrer Veranlagung 2001 würden Steuern erhoben, denen kein Einkommen und kein Zuwachs an Leistungskraft zu Grunde liegen. Dadurch werde das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verletzt und es liege ein Verstoß gegen ein fundamentales Gerechtigkeitsprinzip und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Diesem Überhang des gesetzlichen Tatbestandes sei durch die begehrte Billigkeitsmaßnahme im Einzelfall zu begegnen, damit die steuerliche Belastung auf das vom Gesetzgeber gewollte Maß zurückgeführt werde.
17Im Urteil des BFH vom 26.10.1994 X R 104/92, a.a.O., habe bei den dortigen Klägern ebenfalls kein Zuwachs an Leistungskraft vorgelegen und diese seien dennoch zur Steuerzahlung herangezogen worden. In dieser Entscheidung habe der BFH den Klägern Billigkeitsmaßnahmen zuerkannt. Unter anderem auf diese Entscheidung verweise der BFH in seinen aktuellen Urteilen vom 11.02.2014 IX R 10/12, a.a.O., vom 11.02.2014 IX R 46/12, a.a.O. und vom 10.02.2015 IX R 8/14, a.a.O., in denen er auf die Verfassungspflicht für Billigkeitsmaßnahmen hinweise. Der Verweis lasse vermuten, dass der 9. Senat, wenn er auch über Billigkeitsmaßnahmen zu entscheiden gehabt hätte, im Sinne des 10. Senates im Urteil vom 26.10.1994 X R 104/92, a.a.O., entschieden hätte. Der Beklagte verneine die Anwendung des BFH-Urteils vom 26.10.1994 X R 104/92, a.a.O., zu Unrecht, da dort nicht entscheidungsrelevant gewesen sei, warum ein Zuwachs an Leistungskraft nicht vorhanden gewesen sei. Entscheidend sei gewesen, dass ein Zuwachs nicht vorhanden gewesen sei und eine Übermaßbesteuerung vorgelegen habe.
18Schon das Finanzgericht (FG) Düsseldorf habe mit Urteil vom 16.03.2007 18 K 12/05 E, EFG 2007, 1607 auf Billigkeitsmaßnahmen im Falle des Überhangs von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften hingewiesen. Dies decke sich ebenfalls mit der vorliegenden Einkünftekonstellation.
19Die Steuererhebung verletze auch das Gebot der Folgerichtigkeit. Verglichen mit einem Steuerpflichtigen, welcher Verluste z. B. aus Gewerbebetrieb erlitten habe, diese mit positiven Einkünften verrechnen könne und nach dieser Verrechnung Einkünfte von 0 € erzielt habe, werde sie nicht gleich behandelt. In der unterschiedlichen Steuerbelastung liege eine Ungleichbehandlung größerer Intensität, die nicht verhältnismäßig sei.
20Zudem werde durch die Belastung mit Steuern im Fall eines Realeinkommens von 0 € auch die Eigentumsfreiheit des Artikel 14 Abs. 1 GG verletzt. Letztlich habe sie im Streitjahr Steuern aus ihrem Eigentum zahlen müssen.
21Der Beklagte verweise auch zu Unrecht darauf, dass die Verluste vorliegend zeitlich unbegrenzt vorgetragen werden könnten. Abgesehen davon, dass die Verluste in den §§ 22, 23 EStG gefangen seien, könne auch diese Überlegung die Übermaßbesteuerung nicht rechtfertigen, da dadurch immer noch kein Einkommen und Zuwachs an Leistungskraft zur Steuerzahlung zur Verfügung stehe.
22Entgegen der Ansicht des Beklagten würde durch die begehrte Billigkeitsmaßnahme auch nicht die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes unterlaufen, sondern lediglich der Übermaßbesteuerung im Jahr 2001 abgeholfen. Hingegen seien die erlittenen Verluste ab 2002 weiterhin nur eingeschränkt verrechenbar.
23Der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung rechtfertige eine Übermaßbesteuerung und die Versagung einer Billigkeitsmaßnahme ebenfalls nicht.
24Die Klägerin beantragt,
25den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag nach § 163 AO unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
26Der Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Er verweist auf die Ausführungen im Ablehnungsbescheid und trägt ergänzend wie folgt vor: Entgegen der Annahme der Klägerin habe der BFH in seinem Urteil vom 10.02.2015 IX R 8/14, a.a.O., keine Entscheidung über einen Verstoß gegen das Übermaßverbot und das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit getroffen. Der hier zu beurteilende Sachverhalt könne auch nicht mit dem Urteilsfall vom 26.10.1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297 verglichen werden, in dem der BFH das Vorliegen eines atypischen Einzelfalles, der einer Korrektur im Billigkeitswege bedürfe, bejaht habe. In dem dort entschiedenen Fall sei im Streitjahr ein Gewinn der Besteuerung unterworfen worden, der sich lediglich als Folge der steuerlichen Anerkennung eines negativen Kapitalkontos des Kommanditisten in den Vorjahren ergeben habe und dem somit keine Betriebsvermögensmehrung zu Grunde gelegen habe. Der Verlust habe jedoch nicht bzw. nicht voll genutzt werden können, da der Verlustvortrag wegen der damals noch geltenden zeitlichen Begrenzung des Verlustabzuges (§ 10d Satz 4 EStG) von Gesetzes wegen ausgeschlossen gewesen sei. Dieses Ineinandergreifen verschiedener Regelungen, die in diesem Falle zu einer hohen Steuerlast geführt hätten, obgleich dem kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit zugrunde liege, sei im Fall der Klägerin nicht gegeben, da die Einkünfte aus Spekulationsgeschäften nicht in Zusammenhang mit den anderen Einkünften der Klägerin stünden. Zudem könnten die Verluste der Klägerin zeitlich unbegrenzt vorgetragen und in den folgenden Veranlagungszeiträumen mit positiven Einkünften derselben Einkunftsart ausgeglichen werden.
29Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sei das Verhalten des Gesetzgebers nicht zu beanstanden. Billigkeitsmaßnahmen dürften nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand inne wohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen. Ein solcher Überhang liege hier aber gerade nicht vor. Die Besonderheiten der Spekulationseinkünfte rechtfertigten es, für die daraus erzielten Verluste nicht die für den Verlust aus anderen Einkunftsarten geltenden Regelungen für den Verlustabzug anzuwenden (BFH-Urteil vom 18.10.2006 IX R 28/05, a.a.O. und vom 18.09.2007 IX R 42/05, a.a.O.). Entschieden sich Steuerpflichtige dazu, hochriskante Spekulationsgeschäfte am Kapitalmarkt zu tätigen, träfen sie nicht nur die Chancen dieser Geschäfte, sondern auch deren Risiken. Würden durch solche Geschäfte Verluste erzielt, die mit anderen Einkunftsarten auszugleichen wären, stellte dies einen Verstoß gegen den ebenfalls im Verfassungsrang stehenden Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dar, denn es wäre unverhältnismäßig, die Gesamtheit der Steuerpflichtigen durch die begehrte Verlustverrechnung mit positiven anderen Einkünften und somit die Reduzierung der Steuerlast tragen zu lassen. Das gleiche Ergebnis läge auch bei Gewährung der von der Klägerin begehrten abweichenden Steuerfestsetzung vor. In Abwägung der widerstreitenden Interessen müsse das im Rahmen des § 163 AO auszuübende Ermessen daher zulasten der Klägerin ausfallen.
30Das von der Klägerin angeführte Urteil des FG Düsseldorf in EFG 2007, 1607, sei nicht mit dem streitigen Lebenssachverhalt der Klägerin vergleichbar. Das FG habe eine Billigkeitsmaßnahme für erwägenswert gehalten, da die damalige Gesetzeslage in dem dortigen Einzelfall dazu geführt hätte, dass Verluste aus Spekulationsgeschäften endgültig keine Berücksichtigung gefunden hätten, da ein Verlustrücktrag/Vortrag innerhalb derselben Einkunftsart ausgeschlossen gewesen sei. Die von der Klägerin erlittenen Verluste könnten jedoch mit positiven Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auch in Zukunft verrechnet werden. In den von der Klägerin aufgeführten BFH-Urteilen vom 11.02.2014 IX R 10/12, a.a.O., vom 11.02.2014 IX R 46/12, a.a.O. und vom 10.02.2015 IX R 8/14, a.a.O., habe der BFH zwar den Hinweis aufgenommen, dass das BVerfG eine Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass festgestellt habe, wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem ungewollten Überhang führe. Dem könne allerdings nur durch einen in den jeweiligen Verfahren nicht gegenständlichen und somit nicht zu entscheidenden Billigkeitserlass begegnet werden. Die individuellen steuerlichen Verhältnisse der Steuerpflichtigen in diesen BFH-Urteilen seien jedoch nicht bekannt, so dass ein Vergleich der Lebenssachverhalte nicht möglich sei.
31Entscheidungsgründe
32Die Klage ist unbegründet. Die Entscheidung des Beklagten, die begehrte abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.
331. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
34Der Zweck des § 163 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteile vom 20.09.2012 IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505; vom 26.05.1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, und vom 04.07.1972 VII R 103/69, BFHE 106, 268, BStBl II 1972, 806).
35Die Erlassentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 FGO i.V.m. § 121 FGO grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist das Gericht befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (BFH-Urteile in BStBl II 2013, 505; vom 06.09.2011 VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269, und vom 26.10.1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297).
36Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile in BStBl II 2013, 555 und in BStBl II 1994, 833, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 12. 09.2007 X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, m.w.N.). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (BFH-Urteile vom 07.10.2010 V R 17/09, BFH/NV 2011, 865, unter II.2. der Gründe; vom 04.02.2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, jeweils m.w.N.). Eine Billigkeitsentscheidung darf zudem nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes zu unterlaufen. Sie darf nicht die Wertung des Gesetzes durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestandes abhelfen (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 2013, 505; vom 19.06.2013 II R 10/12, BFHE 241, 402, BStBl II 2013, 746, m.w.N. und vom 22.10.2014 II R 4/14, BFHE 247, 170, BStBl II 2015, 237).
37Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteile in BStBl II 2013, 505 und in BStBl II 1995, 297, m.w.N.).
382. Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Beklagten nicht aufzugeben, eine erneute Prüfung der Billigkeitsgründe vorzunehmen. Der Beklagte konnte keine andere Entscheidung treffen, da eine Unbilligkeit im Streitfall nicht vorlag.
39Die sich vorliegend ergebende zeitliche Streckung des Verlustausgleichs ist sachlich nicht unbillig. Die bisher einhellige Rechtsprechung zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der zeitlichen Streckung des Verlustausgleichs (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 12.07.2016 IX R 11/14, BFH/NV 2016, 1691, m.w.N.) lässt sich auf den Bereich der sachlichen Unbilligkeit dahingehend übertragen, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Regelungen in § 23 Abs.1 Nr. 4 EStG eine gewisse Härte, nämlich die (vorübergehende) Nichtberücksichtigung von Verlusten aus bestimmten Einkunftsarten in Kauf genommen hat. Würde in einem solchen Falle eine Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Gründen erfolgen, so würde die gesetzliche Regelung letztlich ins Leere laufen und der Gesetzeszweck verfehlt werden.
40Eine sachliche Unbilligkeit könnte daher allenfalls in dem hier nicht vorliegenden Fall anzunehmen sein, dass es nicht nur zu einer Beschränkung des Verlustausgleichs im Sinne einer zeitlichen Verschiebung kommt, sondern zu einem endgültigen Ausschluss des Verlustausgleichs aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen. Hierüber hatte das Gericht aber nicht zu befinden.
41Die Festsetzung der Einkommensteuer gegenüber der Klägerin ist zudem auch deshalb nicht unbillig, weil die Klägerin selbst entschieden hat, sich am risikoreichen Kapitalmarkt zu betätigen, sie also durch ihr eigene Initiative dazu beigetragen hat, dass ihr ein Verlust entstanden ist, der nach § 22 Nr. 3 Sätze 3 und 4 EStG nicht verrechnet werden konnte. Die Klägerin selbst hat damit die Ursache für das Eintreten ihrer Verluste und der damit greifenden Verlustausgleichsbeschränkung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste.
42Insoweit kann sich die Klägerin auch nicht auf das BFH-Urteil in BStBl II 1995, 297 und das Urteil des FG Düsseldorf in EFG 2007, 1607 berufen. Denn in dortigen Fällen war, anders als vorliegend, eine Verlustberücksichtigung letztlich ausgeschlossen.
43Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.