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Der angefochtene Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den MonatFebruar 2017 vom 05.09.2017 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin betrieb in L ein …. Wegen anhaltender Ertragsschwäche wurde in der Gesellschafterversammlung vom … die Liquidation der Klägerin beschlossen mit dem Ziel, nach Ausverkauf des Warenbestandes das … zum … zu schließen. Mit Schreiben vom … beantragte die Klägerin beim Amtsgericht L die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung gemäß §§ 270, 270a der Insolvenzordnung (InsO). Noch am gleichen Tag wurde durch das Amtsgericht L (… IN …) die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO angeordnet und Rechtsanwalt X zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Am … eröffnete das Amtsgericht L wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin. Zugleich wurde die Eigenverwaltung angeordnet und Rechtsanwalt X zum Sachwalter ernannt. Die Schuldnerin sollte berechtigt sein, unter der Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270 - 285 InsO).
3Für die Monate Februar bis April 2017 gab die Klägerin Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit einer Zahllast von insgesamt rund … € ab. Der Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei den Umsatzsteuern aus der vorläufigen Eigenverwaltung (01.02.2017 bis 30.04.2017) nicht um Insolvenzforderungen, sondern um Masseverbindlichkeiten handele.
4Für den Monat Februar 2017 setzte er dementsprechend gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 05.09.2017 eine Umsatzsteuer i.H.v. … € fest. In der Anlage zu dem Bescheid ist festgehalten, dass es sich um Masseverbindlichkeiten nach den§§ 270a, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 55 Abs. 4 InsO handele. Nach § 45 Abs. 1 FGO sei eine Sprungklage ohne vorherigen Einspruch möglich.
5Gegen den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Monat Februar 2017 wendete sich die Klägerin zunächst mit dem Einspruch vom 15.09.2017. Mit Schriftsatz vom 27.09.2017 hat sie gegen den streitigen Bescheid die vorliegende Sprungklage erhoben und zur Klarstellung ausgeführt, dass der für den Monat Februar 2017 vom 15.09.2017 eingelegte Einspruch nunmehr in eine Sprungklage umgewandelt werde. Die erforderliche Zustimmung des Beklagten sei in der Anlage zum angefochtenen Bescheid bereits erteilt worden. In der Sache führt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes aus:
6Bei der Umsatzsteuer für den Monat Februar 2017 handele es sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht um eine (privilegierte) Masseverbindlichkeit nach§ 55 Abs. 4 InsO, sondern um eine bloße Insolvenzforderung im Sinne von § 38InsO. Nach § 55 Abs. 4 InsO würden auch die nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens begründeten Steuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten gelten, wenn diese von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden seien. Die Existenz eines vorläufigen Insolvenzverwalters erfordere das Vorliegen einer Regelinsolvenz.Hieran fehle es im Streitfall, weil durch das Amtsgericht L keine Regelinsolvenz, sondern die Eigenverwaltung angeordnet worden sei. Für das Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO enthalte das Gesetz keine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Mithin scheide eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift aus. Ebenso wenig komme eine analoge Anwendung für die Fälle der Eigenverwaltung nach § 270a InsO in Betracht; denn es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Nichtanwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO auf den (vorläufigen) Eigenverwalter sei vom Gesetzgeber zwar erkannt worden; trotzdem habe dieser eine Änderung des Gesetzeswortlauts unterlassen. Insoweit werde auf die Stellungnahme der Bundesregierung vom 04.05.2011 (BT-Drucks. 17/5712 S. 67f) verwiesen. Es komme hinzu, dass das Eröffnungsverfahren im Rahmen der Eigenverwaltung erst zum 01.03.2012 in das Gesetz aufgenommen worden sei, und zwar mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 07.12.2011 (ESUG). Im Übrigen begründe der vorläufige Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren aufgrund von § 55 Abs. 4 InsO nicht ohne weiteres Masseverbindlichkeiten. Vielmehr bedürfe es nach der Systematik der Insolvenzordnung immer eines entsprechenden gerichtlichen Beschlusses, damit bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren Forderungen zu Masseverbindlichkeiten erhoben würden. Auch aus dem BMF-Schreiben vom 20.05.2015, welches Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO regele, ergebe sich nichts anderes. Danach finde zwar § 55 Abs. 4 InsO auf den sog. "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter Anwendung, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht nach§ 22 Abs. 1 InsO übergegangen sei. Der sog. "starke" vorläufige Insolvenzverwalter sei vom Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO jedoch nicht erfasst, da insoweit sonstige Masseverbindlichkeiten bereits nach § 55 Abs. 2 InsO begründet würden. Eine andere Beurteilung ergäbe sich auch nicht aus dem jüngst veröffentlichten Urteil des BFH vom 27.09.2018 V R 45/16. Der dort entschiedene Fall sei mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Bei dem vom BFH entschiedenen Fall sei es um die Vereinnahmung des Entgelts nach Insolvenzeröffnung für vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistungen des Insolvenzschuldners gegangen. Vorliegend liege jedoch sowohl die Leistungserbringung als auch die Vereinnahmung des Entgelts im Zeitfenster zwischen Antragstellung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Abschließend werde auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.11.2018 IX ZR 167/16 hingewiesen. Mit dieser Entscheidung habe der BGH geurteilt, dass § 55 Abs. 4 InsO weder direkt noch analog auf die vorläufige Eigenverwaltung Anwendung finde. Masseverbindlichkeiten könnten nur begründet werden, wenn der Schuldner vom Insolvenzgericht hierzu ausdrücklich ermächtigt worden sei, was vorliegend nicht der Fall sei. Dass im Streitfall von Anfang an kein Sanierungswille bestanden habe, darauf komme es nicht an. Maßgebend sei allein, dass das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet habe und damit die Vorschriften der §§ 270 ff InsO zur Anwendung kämen, selbst wenn dies aus Sicht der Finanzverwaltung unbefriedigend sei.
7Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird auf die Klageschrift vom 27.09.2017 sowie die Schriftsätze vom 12.12.2017, 13.12.2018 sowie 08.04.2019 verwiesen.
8Die Klägerin beantragt,
9den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Februar 2017 vom 05.09.2017 aufzuheben; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen; hilfsweise, die Revision zuzulassen.
12Der Beklagte hält daran fest, dass es sich bei der streitigen Umsatzsteuerforderung um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO handele. § 55 Abs. 4 InsO sei als eine allgemeine Vorschrift über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch auf das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung anzuwenden. Überdies rücke der vorläufig eigenverwaltende Insolvenzschuldner in die rechtliche Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters im Sinne des § 55 Abs. 4, 1. Alt. InsO ein. Der Gesetzgeber habe sich mit der Einführung der Insolvenzordnung (1994) erstmals zur Kodifikation eines sog. Eigenverwaltungsverfahrens entschieden. In diesem Zuge habe er § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO eingefügt, der bis heute unverändert gelte. Ein Insolvenzeröffnungsverfahren unter Anordnung der Eigenverwaltung sei erst mit dem ESUG zum 01.03.2012 in Kraft getreten. Wegen seiner systematischen Stellung zu Beginn der Eigenverwaltung im Ganzen erstrecke sich der Verweis in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO sowohl auf das eröffnete Eigenverwaltungsverfahren als auch auf das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung. Im Übrigen sei durch Auslegung zu ermitteln, an welcher Stelle die §§ 270 ff InsO abschließende Sonderregeln für die Eigenverwaltung bereithielten, die den Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften der Insolvenzordnung verbieten würden. Vorliegend sei davon auszugehen, dass § 55 InsO nicht nur hinsichtlich der Abs. 1 und 2, sondern auch hinsichtlich des Abs. 4 auf das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung anwendbar sei. Dies gelte unbestrittenermaßen zunächst für das eröffnete Verfahren nach § 270 Abs. 1 InsO, in dem der eigenverwaltende Schuldner ungeachtet eines etwaigen Zustimmungsbedürfnisses Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründe. Auch im Rahmen eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nach § 270a InsO – wie vorliegend – entspreche es der überwiegenden Meinung, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten nach § 270a i.V.m. § 55 Abs. 2 InsO begründen könne. Eine Kontroverse bestehe lediglich dahingehend, ob dies dem Schuldner schon originär nach dem Gesetz möglich sein soll oder ob es hierzu einer entsprechenden Ermächtigung durch das Insolvenzgericht bedürfe. Mithin bilde § 55 InsO eine allgemeine Vorschrift im Sinne des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO. Denn die dort verwendete Begrifflichkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters sei entsprechend auf den vorläufigen eigenverwaltenden Schuldner zu übertragen. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass es zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 270a InsO einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfe. Denn der Bundesfinanzhof (BFH) habe in seinem Urteil vom 24.09.2014 V R 48/13 für das Regelinsolvenzverfahren entschieden, dass die Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO keine Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Begründung von Masseverbindlichkeiten voraussetze. Nach dieser Entscheidung reiche es für die Einstufung von Umsatzsteuerforderungen als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO aus, wenn ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt und dem Recht zum Forderungseinzug Forderungen des Schuldners vereinnahme. Damit habe der BFH aber die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO von der Frage der Kompetenz zur Begründung von Masseverbindlichkeiten explizit entkoppelt.
13Selbst wenn man der Auffassung, wonach § 55 Abs. 4 InsO eine allgemeine Vorschrift im Sinne des § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO ist, nicht folgen wollte, sei die streitgegenständliche Umsatzsteuerforderung jedenfalls eine Masseverbindlichkeit gemäߧ 55 Abs. 4 InsO in analoger Anwendung. Denn es liege sowohl eine planwidrige Regelungslücke als auch eine vergleichbare Interessenlage vor. Der Gesetzgeber sei sich über die Nichtanwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nicht im Klaren gewesen. Hätte der Gesetzgeber bei Ablehnung des Änderungsvorschlages des Bundesrates zu § 55 Abs. 4 InsO im Jahr 2011 den heutigen § 270b Abs. 3 InsO bereits gekannt, hätte er hinsichtlich der Frage der Erweiterung des § 55 Abs. 4 InsO auf die vorläufige Eigenverwaltung anders entschieden. Er hätte die Frage der Anwendbarkeit ausdrücklich geregelt. Die Regelungslücke sei auch planwidrig. Nach Einführung von § 270b Abs. 3 InsO habe der Gesetzgeber offenbar nicht abermals über die damit zusammenhängenden Auswirkungen für die Befriedigung von Steuerverbindlichkeiten im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung reflektiert. Für die Umsatztätigkeit innerhalb der zeitlichen Phase eines Insolvenzverfahrens habe der Gesetzgeber durch Schaffung des § 55 Abs. 4 InsO deutlich gemacht, dass der Fiskus anderen Beteiligten gegenüber gleichgestellt werden solle, die im Eröffnungsverfahren Vorkehrungen gegen drohende Verluste durchsetzen könnten. Diese Risikolage drücke sich auch in dem vorliegenden Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO aus, weil der Schuldner entgegen dem Grundgedanken des § 55 Abs. 4 InsO zwar den Erlös aus seinen Ausgangsumsätzen in Höhe des Brutto-Entgelts erzielen könne, die darin enthaltene Umsatzsteuer aber ohne die Anwendung der Vorschrift wirtschaftlich nicht wie die übrigen Unternehmer an den Fiskus abführen müsse. In der Vorschrift des § 55 Abs. 4 InsO lasse sich mithin eine grundlegende Wertentscheidung erkennen, die deutlich mache, dass die beschriebene Regelungslücke planwidrig sei. Schließlich bestehe auch eine vergleichbare Interessenlage. Denn der vorläufig eigenverwaltende Schuldner sei vorläufiger Amtswalter der Interessen der Gläubigergemeinschaft mit all seinen Befugnissen und Pflichten. Er habe eine mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter vergleichbare Rechtsstellung. Ohne eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO würde der Fiskus als Gläubiger im Eigenverwaltungsverfahren schlechter gestellt, was einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) darstelle. Ferner sei die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO auf Fälle der vorläufigen Eigenverwaltung auch unionsrechtlich geboten. Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze tätigten, dürften bei der Erhebung der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden. Hiermit wäre es unvereinbar, wenn die durch den Unternehmer während der vorläufigen Eigenverwaltung begründete Umsatzsteuer – anders als bei einer vorläufigen Insolvenzverwaltung – nicht eine Masseverbindlichkeit, sondern nur eine Insolvenzforderung wäre. Denn in diesem Fall könnte der eigenverwaltende Schuldner die vereinnahmte Umsatzsteuer in voller Höhe verwenden, um die Fortführung eines Unternehmens zu finanzieren, während der Fiskus typischerweise nur einen Teilbetrag der geschuldeten Umsatzsteuer realisieren könnte. Das von der Klägerin abschließend angeführte Urteil des BGH vom 22.11.2018 IX ZR 167/16 überzeuge nicht. Es gebe gewichtige Stimmen in Rechtsprechung und Schrifttum, die betonten, dass die für das eröffnete Insolvenzverfahren bereits anerkannte Gleichstellung von Insolvenzverwalter und eigenverwaltendem Schuldner auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gelten müsse. Es verbleibe dabei, dass es zwischen Regelinsolvenzverfahren einerseits und Eigenverwaltung andererseits schlicht keinen Unterschied gebe, der es erklären könne, warum der insolvente Unternehmer in dem einen Fall die vereinnahmte Umsatzsteuer abführen müsse und sie im anderen Fall behalten dürfe. Es komme hinzu, dass die Klägerin von vorneherein nicht beabsichtigt habe, das Unternehmen zu sanieren. Vielmehr habe die Klägerin das Unternehmen liquidieren wollen. Im Eigenverwaltungsverfahren stehe jedoch die Sanierung des Insolvenzschuldners im Vordergrund. Deshalb sei es mit dem Willen des Gesetzgebers unvereinbar, wenn der Insolvenzschuldner allein durch die Entscheidung über die Art des Eröffnungsverfahrens Einfluss darauf nehmen könne, ob die von ihm begründete Umsatzsteuer zu entrichten sei oder nicht. Es dürfe nicht sein, dass die vorläufige Eigenverwaltung allein aus steuerlichen Gesichtspunkten beantragt werde.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten wird auf die Schrift-sätze vom 24.10.2017, 24.09., 21.11. und 27.12.2018 sowie vom 21.02.2019 verwiesen.
15Entscheidungsgründe
16Die Klage ist zulässig und begründet.
171. Die Klage ist als Sprungklage nach § 45 Abs. 1 FGO zulässig. Der Übergang vom ursprünglich eingelegten Einspruch zur Sprungklage ist innerhalb der Klagefrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO und damit in zulässiger Weise erfolgt (BFH-Urteil vom 11.12.1980 IV R 123/76, BStBl II 1981, 365). Auch hat der Beklagte der Sprungklage zugestimmt.
182. Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht entschieden, dass die Umsatzsteuer, die im Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung (§ 270a InsO) entstanden ist, eine Masseverbindlichkeit ist.
19Persönliche Gläubiger, die einen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben, sind grundsätzlich Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO). Hiervon abzugrenzen sind Masseverbindlichkeiten, die vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind. Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten solche Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Nach § 55 Abs. 4 InsO gilt dies auch für Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind.
20Nach § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuldner berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, wenn das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet. Für das Verfahren gelten die allgemeinen Vorschriften, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung richtet sich nach § 270a InsO. Ist der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, so soll das Gericht im Eröffnungsverfahren davon absehen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (§ 270a Abs. 1 Satz 1 InsO). Anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters wird in diesem Fall ein vorläufiger Sachwalter bestellt (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO). Ist noch keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten, besteht darüber hinaus die Möglichkeit der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270b InsO zur Vorbereitung einer Sanierung (sog. Schutzschirmverfahren). Dabei setzt das Gericht dem Schuldner eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans. Nach § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO hat das Gericht auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen darf. § 55 Abs. 2 InsO gilt insoweit entsprechend (§ 270b Abs. 3 Satz 2 InsO).
21Vorliegend hat das Insolvenzgericht nach dem Beschluss vom … die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO angeordnet. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Verbindlichkeiten, die im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO vom Schuldner oder von einem vorläufigen Sachwalter begründet werden, Masseverbindlichkeiten sind, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (zum Meinungsstand vgl. u. a. Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 270a, Rz. 25 ff sowie Weber in Zeitung für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) 2017, 67 ff). Mit Urteil vom 22.11.2018 IX ZR 167/16, Der Betrieb (DB) 2018, 3043 hat der BGH zwischenzeitlich entschieden, dass Verbindlichkeiten, die im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO begründet worden sind, nur dann Masseverbindlichkeiten sind, wenn sie auf der Grundlage einer vom Insolvenzgericht erteilten Ermächtigung begründet worden sind. Der erkennende Senat schließt sich aus den nachstehenden Gründen dieser Rechtsauffassung an.
22Der vom Beklagten vertretenen Ansicht, der Schuldner begründe im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren stets Masseverbindlichkeiten, kann nicht gefolgt werden. Eine solche Rechtsmacht folgt insbesondere nicht aus §§ 270 Abs. 1 Satz 2, 55 Abs. 2 InsO.
23Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO steht dem Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Insolvenzspezifische Befugnisse sind dem Schuldner nicht zugewiesen. Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren entspricht daher nicht der Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 1 InsO. Gegen die Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO spricht zudem in systematischer Hinsicht die gesetzliche Regelung in § 270b Abs. 3 InsO. Danach hat das Gericht im Schutzschirmverfahren auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründen darf. Nach § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO gilt in diesem Fall § 55 Abs. 2 InsO entsprechend. Die Regelung in § 270b Abs. 3 InsO stellt sich als eine von einer gerichtlichen Anordnung abhängige Privilegierung des Schuldners im Schutzschirmverfahren gegenüber dem Schuldner im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO dar. Ihr liegt ersichtlich die Annahme zugrunde, dass ein Schuldner im Verfahren nach § 270a InsO nicht wie ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 2 InsO auch ohne Anordnung des Gerichts Masseverbindlichkeiten begründen kann. Ebenso wenig lässt sich die Begründung von Masseverbindlichkeiten aus § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 275 InsO herleiten. Keine Masseverbindlichkeiten wären dann nur Verbindlichkeiten, die vom Schuldner außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs ohne Zustimmung des vorläufigen Sachwalters oder gegen dessen Widerspruch begründet wurden. Das kann nicht sein.
24Zu Recht geht hiernach der BGH in dem angeführten Urteil vom 22.11.2018 davon aus, dass dem praktischen Bedürfnis, dem Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren Masseverbindlichkeiten im erforderlichen Umfang zu möglichen, dadurch Rechnung getragen werden kann, dass das Insolvenzgericht die notwendigen Ermächtigungen anordnet, wovon im Streitfall keinen Gebrauch gemacht worden ist.
25Für das nicht auf eine Eigenverwaltung zielende Eröffnungsverfahren ist anerkannt, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter auch dann, wenn dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden ist, die Verfügungsbefugnis deshalb nicht auf den vorläufigen Verwalter übergegangen ist (§ 22 Abs. 2 InsO) und dieser deshalb von der Regelung in § 55 Abs. 2 InsO nicht erfasst wird, Masseverbindlichkeiten begründen kann, wenn er vom Insolvenzgericht im Einzelfall oder der Art nach konkret ermächtigt worden ist (BGH-Urteil vom 18.07.2002 IX ZR 195/01, DB 2002, 2100). Rechtsgrundlage einer solchen Ermächtigung ist § 22 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO. Diese Möglichkeit besteht auch im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren. Denn § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO gehört zu den allgemeinen Vorschriften, die über § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO auch im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gelten. Dies steht auch nicht in Widerspruch zu § 270b Abs. 3 InsO, der für das Schutzschirmverfahren eine Pflicht des Gerichts zu einer entsprechenden Anordnung auf Antrag des Schuldners vorsieht. Denn § 270b Abs. 3 InsO ist keine anderweitige Bestimmung im Sinne von § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Ermächtigung ist an den Schuldner zu richten, dem weiterhin die Befugnis zusteht, sein Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen.
26Masseverbindlichkeiten lassen sich entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus § 55 Abs. 4 InsO herleiten. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift scheidet bereits deshalb aus, weil im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist. Ebenso wenig kommt eine analoge Anwendung in Betracht. Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Eine Gesetzeslücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (BFH-Urteil vom 26.01.2006 III R 51/05, BStBl II 2006, 515). Vorliegend fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Zwar enthielt die Insolvenzordnung, als die Bestimmung des § 55 Abs. 4 InsO mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 vom 09.12.2010 geschaffen worden ist, noch keine Regelungen über das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren. Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum ESUG schlug der Bundesrat jedoch mit Blick auf die vorgesehenen neuen Regelungen in den §§ 270a, 270b InsO vor, die Vorschrift des § 55 Abs. 4 InsO zu ergänzen und die dort vorgesehene Rechtsfolge auch auf Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis zu erstrecken, die während eines Eröffnungsverfahrens nach § 270a InsO begründet worden sind, sei es durch den Schuldner allein, durch den Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters oder durch den vorläufigen Sachwalter. Die vorgeschlagene Ergänzung wurde von der Bundesregierung abgelehnt (BT-Drucksache 17/5712, S. 67, 68). Mithin ist bewusst darauf verzichtet worden, Steuerverbindlichkeiten, die im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründet werden, in den Regelungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO einzubeziehen mit der Folge, dass es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Auch sind die Sachverhalte nicht vergleichbar. Mit der Regelung in § 55 Abs. 4 InsO soll im Interesse des Fiskus erreicht werden, dass im Eröffnungsverfahren begründete Steuerverbindlichkeiten nach Verfahrenseröffnung nicht nur dann Masseverbindlichkeiten sind, wenn sie auf der Tätigkeit eines starken oder gesondert ermächtigten vorläufigen Insolvenzverwalters beruhen, sondern auch dann, wenn sie von einem nicht ermächtigten schwachen vorläufigen Verwalter oder vom Schuldner mit dessen Zustimmung begründet werden. Maßgeblich wird dabei auf die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters und dessen Befugnisse abgestellt. Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die allein vom Schuldner begründet werden und nicht im Zusammenhang mit einer Tätigkeit des vorläufigen Verwalters bestehen, werden hiervon nicht erfasst. Im eigenverwalteten Eröffnungsverfahren handelt der Schuldner jedoch regelmäßig autonom und unterliegt nur der Überwachung durch einen vorläufigen Sachwalter.
27Ob - wie der Beklagte meint - das gefundene Ergebnis unbefriedigend ist, weil die Klägerin zu keinem Zeitpunkt die Sanierung, sondern die Liquidation des Unternehmens betreiben wollte, darauf kommt es nicht an. Denn das Insolvenzgericht hat das eigenverwaltete Eröffnungsverfahren im Streitfall (unanfechtbar) angeordnet. Damit stellt sich nicht die Frage, ob ein unter Eigenverwaltung geführtes Liquidationsverfahren überhaupt Sinn macht. Ist die vorläufige Eigenverwaltung eröffnet worden, so bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach § 270a InsO. Im Übrigen dürfte es auch nicht zutreffen, dass die Eigenverwaltung nur zum Zweck der Sanierung angeordnet werden darf. Der gesetzlichen Regelung lässt sich dies jedenfalls nicht entnehmen. Tatsächlich werden in der Praxis auch reine Liquidationsverfahren in Eigenverwaltung durchgeführt (Schmidt/Undritz, InsO, 19. Aufl., Vor §§ 270 – 285, Rz. 8).
28Nach alledem ist der angefochtene Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
293. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtgrundlage in §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
30Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.