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Unter Aufhebung der Bescheide vom 23. August 2012 (für das Streitjahr 2011) und vom 13. September 2012 (für das Streitjahr 2011) sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen jeweils vom 28. März 2013 wird der Beklagte verpflichtet, Freistellungsbescheide wie folgt zu erlassen:
für 2011:
Freistellung von Kapitalertragsteuer inkl. SolZ i.H.v. ... € (= 16,375 %; d.h. KapESt (15 %) i.H.v. ... € zzgl. SolZ i.H.v. ... €)
für 2010:
Freistellung von Kapitalertragsteuer inkl. SolZ i.H.v. ... € (= 16,375 %; d.h. KapESt (15 %) i.H.v. ... € zzgl. SolZ i.H.v. ... €)
und die Kapitalertragsteuer nebst SolZ entsprechend zu erstatten;
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruches der Klägerin abwenden, soweit der Kläger nicht zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf ... € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zusteht. Dabei sind zwei Anträge streitbefangen, die die Jahre 2010 und 2011 betreffen. Problematisch sind die rechtliche Einordnung von Zinsen aus Wandelanleihen sowie die beschränkte Steuerpflicht der Klägerin. Darüber hinaus streiten die Beteiligten über die Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG.
3Die Klägerin ist eine in Zypern ansässige Kapitalgesellschaft. Sie hat ... Stück Wandelanleihen des Typs X an der in Deutschland ansässigen K AG gezeichnet. Der Nennbetrag je Wandelschuldverschreibung beträgt 56,30 €. In gleicher Höhe wurde eine Teilschuldverschreibung durch die K AG ausgegeben. Die Wandelschuldverschreibung wird mit 5,5 % p.a. verzinst. Wegen der Einzelheiten der Wandelanleihe wird auf die Anleihebedingungen Bezug genommen (Bl. 59 ff. der e-FG-Akte). Außerdem ist die Klägerin zu 15 % an der K AG beteiligt.
4Geschäftszweck der Klägerin ist, Beteiligungen an Unternehmen der Schifffahrtsbranche für eine gewisse Dauer als strategischer oder finanzieller Investor zu erwerben und zu halten. Aufgrund des Umfangs des Investments in der K AG hielt die Klägerin im streitigen Zeitraum jedoch keine weiteren Beteiligungen. Sie ist im Hinblick auf ihre Beteiligungen nicht selbst geschäftsleitend tätig, da die Managementleistungen auf ein nahestehendes Unternehmen, die in Zypern ansässige F Co. Ltd., ausgelagert wurden. Die Klägerin verfügt über keine eigene physische Präsenz, sondern nutzt die Räumlichkeiten der F Co. Ltd.
5Die Anteile an der Klägerin werden zu 100 % von der in Liberia ansässigen R S.A. gehalten. Auch diese Gesellschaft verfügt über keine Substanz.
6Die Anteile an der R S.A. werden zu 100 % von der in Zypern ansässigen C Ltd. gehalten. Auch diese Gesellschaft verfügt über keine physische Präsenz, sondern nutzt die Räumlichkeiten ihrer Schwestergesellschaft, der F Co. Ltd. Die C Ltd. ist nicht selbst operativ tätig und verfügt über keine eigenen Arbeitnehmer. Sie ist mittelbar und unmittelbar an verschiedenen Unternehmen beteiligt und übt in geringem Umfang bestimmte Finanzierungsfunktionen aus. Sie ist gegenüber ihren Tochtergesellschaften nicht selbst geschäftsleitend tätig. Die Geschäftsleitungsfunktion in Bezug auf ihre Tochtergesellschaften hat die C Ltd. auf ihre Schwestergesellschaft, die F Co. Ltd., ausgelagert.
7Die F Co. Ltd. ist wirtschaftlich tätig. Sie verfügt über eigene Büroräume und Personal. Die Büroräume sind mit den erforderlichen Arbeitseinrichtungen und den notwendigen Kommunikationsgeräten ausgestattet.
8Anteilseigner der C Ltd. ist zu 0,01 % die in Liberia ansässige A Ltd., die über alle Stimmrechtsanteile verfügt. Der verbleibende Anteil von 99,99 % wird von der in Panama registrierten B Inc. gehalten.
9Die Struktur der Unternehmensgruppe stellt sich wie folgt dar:
10 11Die Klägerin erzielte aus den Wandelanleihen der K AG in den Streitjahren 2010 und 2011 Kapitalerträge.
12Zum ersten Zinstermin nach dem Erwerb der Wandelanleihen, dem 17. Mai 2010, wurden auf den Bruttozufluss i.H.v. ... € insgesamt ... € (= 26,375 %) Kapitalertragsteuer inklusive Solidaritätszuschlag einbehalten.
13Mit Antrag vom 26. August 2010 (Posteingangsdatum: 6. September 2010) beantragte die Klägerin gemäß § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. Art. 11 DBA-Zypern die teilweise Erstattung der deutschen im Jahr 2010 einbehaltenen Abzugsteuern vom Kapitalertrag i.H.v. ... € (= 16,375 % des Bruttozuflusses).
14Zum zweiten Zinstermin nach Limitierung der K-Wandelanleihe, dem ... Mai 2011, hielt die Klägerin noch ... Stück der Wandelanleihen. Auf diese erhielt die Klägerin zum Zinstermin 2011 Zinsen in Höhe von brutto ... €. Auf diesen Betrag wurden insgesamt ... € (= 26,375 %) Kapitalertragsteuer inklusive Solidaritätszuschlag einbehalten und abgeführt.
15Im Hinblick auf die für 2011 einbehaltenen Steuerabzugsbeträge stellte die Klägerin mit Schreiben vom 13. September „2010“ (Anm.: wohl 2011; Posteingangsdatum: 14. September 2011) einen Antrag auf teilweise Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 EStG i.H.v. ... € (= 16,375 % des Bruttozuflusses).
16Mit Bescheiden vom 13. September 2012 (für 2010) und vom 23. August 2012 (für 2011; mangels Zugangs erneute Versendung am 6. September 2012) lehnte der Beklagte die Anträge auf Erstattung für 2010 und 2011 unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG ab.
17Die gegen beide Bescheide fristgemäß eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidungen jeweils vom 28. März 2013 als unbegründet zurückgewiesen.
18Zur Begründung ihrer hiergegen fristgemäß erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, dass die streitigen Zinsen nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegen würden. Die erhaltenen Zinsen aus der Wandelanleihe der K AG stellten Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Sie könnten nur dann der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, wenn die Voraussetzungen der insoweit einzig einschlägigen Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c Doppelbuchstabe aa) EStG erfüllt wären, wenn also die dort vorgesehenen Sicherungen gegeben wären, was jedoch nicht der Fall sei.
19Selbst wenn eine beschränkte Steuerpflicht gegeben sein sollte, würde gleichwohl ein Erstattungsanspruch bestehen. Denn gemäß Art. 11 Abs. 2 des DBA-Zypern würde Deutschland ein maximaler Quellensteuerabzug i.H.v. 10 % zustehen.
20Die Erstattung der Kapitalertragsteuer sei auch nicht nach § 50d Abs. 3 EStG ausgeschlossen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1-3 EStG könnten alternativ auch durch eine Gesellschaft, die auf einer höheren Ebene beteiligt sei, erfüllt werden.
21Die Voraussetzungen der Nr. 1 seien erfüllt, da für ihre Zwischenschaltung politische Gründe vorgelegen hätten. Ihre Muttergesellschaft sei die liberianische D S.A.. Auch nach Ende des Bürgerkrieges sei die Sicherheitslage in Liberia weiterhin fragil. Sie, die Klägerin, investiere nicht nur in Wandelanleihen der K AG, man halte gleichzeitig seit ... auch 15 % des Grundkapitals der K AG. Vor dem Hintergrund der innenpolitischen Sicherheitslage in Liberia sei es 20... erforderlich gewesen, diese Investitionen in einer Rechtsform zu halten, die durch eine stabilere innenpolitische Lage geschützt sei, was zu ihrer Einschaltung in Zypern geführt habe.
22Ihre aktive wirtschaftliche Tätigkeit erbringe sie, da ihr die Management-Tätigkeit der F Co. Ltd. zuzurechnen sei, weil sie mit dieser einen Managementvertrag geschlossen habe. Insoweit nimmt sie Bezug auf das Urteil des BFH vom 24. August 2011 (I R 46/10).
23Es sei zu beachten, dass § 50d Abs. 3 EStG in der im Streitfall anzuwendenden Fassung europarechtswidrig sei. Die Merkmale der ihr übergeordneten Gesellschaften bzw. der F Co. Ltd., mit der sie einen Managementvertrag geschlossen habe, seien ihr zuzurechnen.
24Die Klägerin beantragt,
251) den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 23. August 2012 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 28. März 2013 für das Streitjahr 2011 zu verpflichten, einen Freistellungsbescheid bezüglich Kapitalertragsteuer inkl. SolZ i.H.v. ... € (= 16,375 %; d.h. KapESt (15 %) i.H.v. ... € zzgl. SolZ i.H.v. ... €) zu erlassen und die Kapitalertragsteuer nebst SolZ entsprechend zu erstatten;
262) den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2012 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 28. März 2013 für das Streitjahr 2010 zu verpflichten, einen Freistellungsbescheid bezüglich Kapitalertragsteuer inkl. SolZ i.H.v. ... € (= 16,375 %; d.h. KapESt (15 %) i.H.v. ... € zzgl. SolZ i.H.v. ... €) zu erlassen und die Kapitalertragsteuer in antragsgemäßer Höhe zu erstatten.
27Der Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Der Beklagte trägt vor, dass bezüglich der beschränkten Steuerpflicht der streitigen Einnahmen keine Zweifel bestehen würden. Diese Frage könne auch nicht im laufenden Klageverfahren behandelt werden. Denn die Entscheidungen über die beschränkte Steuerpflicht im Sinne des § 49 EStG falle nicht in seine Verantwortlichkeit.
30Die Regelung des Art. 11 Abs. 1 DBA-Zypern spreche das Besteuerungsrecht dem Ansässigkeitsstaat der Einkünfte erzielenden Person (hier: Zypern) zu. Art. 11 Abs. 2 DBA-Zypern eröffne dem Quellenstaat jedoch ebenfalls ein eingeschränktes Besteuerungsrecht in Höhe von max. 10 % des Bruttobetrages der Zinsen.
31Wegen der beschränkten Steuerpflicht der streitigen Zinszuflüsse dürfe Deutschland al so zumindest bis zu 10 % der Bruttoerträge besteuern.
32Mit Blick auf § 50d Abs. 3 EStG sei der Erstattungsanspruch indes vollständig ausgeschlossen. Anzuwenden sei dabei die Gesetzesfassung von 2012.
33Weder die Klägerin noch die ihr übergeordneten Gesellschaften würden eine eigenwirtschaftliche Aktivität im Sinne des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG erbringen. Dabei komme es für die Beurteilung einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit gemäß § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG nur auf die Verhältnisse der beantragenden Gesellschaft an. Da die Klägerin selbst davon ausgehe, ausschließlich vermögensverwaltend tätig zu sein, komme eine vom Gesetz vorgesehene Freistellung der Quote für unschädliche Erträge nicht in Betracht. Gleiches gelte für alle ihr übergeordneten Gesellschaften.
34Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe (sicherheitspolitische Erwägungen) für ihre Zwischenschaltung gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG würden nicht überzeugen. Die der Klägerin zugerechneten immateriellen Wirtschaftsgüter würden von Banken innerhalb der EU verwahrt. Der Verweis auf die Sicherheitslage in Liberia vermöge auch nicht zu erklären, aus welchem Grund der D S.A. zumindest zwei weitere Stufen mit Kapitalgesellschaften in Zypern, Liberia und Panama nachgeschaltet würden.
35Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch nicht über eine physische Präsenz gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG verfüge.
36Entscheidungsgründe
37Die Klage ist begründet.
38Die Ablehnungsbescheide vom 23. August 2012 (bzgl. 2011) und vom 13. September 2012 (bzgl. 2010) sowie die hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen jeweils vom 28. März 2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).
39Die Ablehnung des Erlasses der beiden Freistellungsbescheide und der Erstattung durch den Beklagten war rechtswidrig i.S.d. § 101 Satz 1 FGO. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erlass der begehrten Freistellungsbescheide nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung zu. Dem steht insbesondere nicht § 50d Abs. 3 EStG (2007) entgegen, da dieser im Lichte des Europarechts einschränkend auszulegen ist.
40I. Nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG ist der Schuldner der Kapitalerträge i.S.d. § 43 EStG auch dann zur Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der gesetzlich vorgesehenen Kapitalertragsteuer (§ 43 EStG) verpflichtet, wenn die Vergütung nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nicht oder nur mit einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden kann.
41II. Dies setzt indes voraus, dass die streitigen Kapitalerträge der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Besteht keine beschränkte Steuerpflicht, ist ein Erstattungsanspruch gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG ausgeschlossen.
42Im Streitfall streiten die Beteiligten über die Erstattung der Kapitalertragsteuer, die auf Erträge aus Wandelanleihen einbehalten und abgeführt wurden.
43Bezüglich dieser Erträge besteht für die streitigen Jahre 2010 und 2011 im Inland eine beschränkte Steuerpflicht. Auf diese Kapitalerträge ist § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a letzter Halbsatz EStG anzuwenden.
44Im Streitfall sind Wandelanleihen i.S.d. §§ 221 AktG, 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG begeben worden. Denn mit ihnen ist das Recht verbunden, innerhalb einer bestimmten Frist die Anleihe in eine bestimmte Anzahl von Aktien der Emittentin umzutauschen (vgl. § 6 der Anleihebedingungen). Die vor einem Wandlungsvorgang zugeflossenen Zinsen stellen Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar.
451. Die gesetzliche Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung erscheint insoweit nicht eindeutig. Im Wege der Auslegung ergibt sich die beschränkte Steuerpflicht der Erträge aus Wandelanleihen aus § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG.
46Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Steuerpflicht Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 (mit Ausnahme der Erträge aus Investmentanteilen im Sinne des § 2 des Investmentsteuergesetzes), 2, 4, 6 und 9 EStG, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat oder wenn es sich um Fälle des § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 a) bb) EStG handelt; dies gilt auch für Erträge aus Wandelanleihen und Gewinnobligationen.
47§ 49 Abs. 1 Nr. 5 c) aa) Satz 1 und 2 EStG sieht hingegen vor, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 und 7 EStG beschränkt steuerpflichtig sind, wenn das Kapitalvermögen durch inländischen Grundbesitz, durch inländische Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, oder durch Schiffe, die in ein inländisches Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert ist. Ausgenommen sind Zinsen aus Anleihen und Forderungen, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen oder über die Sammelurkunden im Sinne des § 9a des Depotgesetzes oder Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind.
482. Entgegen der Auffassung der Klägerin unterliegen Erträge aus Wandelanleihen und Gewinnobligationen, auch wenn sie an sich unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen, infolge ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG der beschränkten Steuerpflicht (so auch Gosch, in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 49 EStG Rz. 74; Strunk, in Korn, EStG, § 49 Rz. 187). § 49 Abs. 1 Nr. 5 c) aa) Satz 2 EStG findet hingegen keine Anwendung (a.A.: Hidien, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 49 Rz. H 245; Klein/Link, in H/H/R, § 49 EStG Rz. 833; Loschelder, in Schmidt, EStG, § 49 EStG Rz. 99; Jelinek, in Bordewin/Brandt, EStG, § 49 Rz. 152).
493. Die beschränkte Steuerpflicht der Wandelanleihen gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG setzt voraus, dass der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Schuldnerin, die K AG, hat ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung im Inland.
50Angesichts der ausdrücklichen Aufnahme der Wandelanleihen in § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) letzter Halbsatz EStG ist für die Erträge aus Wandelanleihen nicht zu fordern, dass der in § 49 Abs. 1 Nr. 5 c) aa) Satz 1 EStG vorgesehene Inlandsbezug hergestellt sein muss oder dass die Ausnahmeregelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 c) aa) Satz 2 EStG greift. Das den Zinszahlungen zu Grunde liegende Kapitalvermögen muss demnach nicht durch inländischen Grundbesitz etc. gesichert sein, um eine inländische Steuerpflicht zu begründen und es besteht keine Ausnahme von der Steuerpflicht wegen der Ausgabe von Teilschuldverschreibungen.
514. Für diese Auslegung spricht der Wortlaut der Vorschrift. § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG nennt Erträge aus Wandelanleihen ausdrücklich und trifft hierfür eine gesonderte Regelung, während Nr. 5 c) aa) EStG lediglich allgemein die sonstigen Einkünften aus Kapitalforderungen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG bzw. aus Teilschuldverschreibungen betrifft. Hieraus folgt, dass für Wandelanleihen in § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG eine Sonderregelung besteht, die der allgemeinen Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 c) aa) EStG vorgeht. Für Wandelanleihen ist daher – im Gegensatz zu den sonstigen Kapitalforderungen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG – bei Bestehen des Inlandsbezugs des § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG, der auf die Person des Schuldners der Kapitalerträge abstellt, die beschränkte Steuerpflicht gegeben. Diese Sonderregelung lässt den Inlandsbezug des § 49 Abs. 1 Nr. 5 c) aa), der auf die Sicherung des Kapitalvermögens abstellt, als Erfordernis für die beschränkte Steuerpflicht zurücktreten. Die Befreiungsvorschrift der Nr. 5 c) aa) Satz 2 EStG, die die beschränkte Steuerpflicht u.a. für den Fall der Ausgabe von Teilschuldbefreiungen ausschließt, gelangt aufgrund der vorrangigen Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG ebenfalls nicht zur Anwendung. Denn dieser Befreiungstatbestand steht im Zusammenhang mit der Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 c) aa) Satz 1 EStG, die jedoch zurücktritt. Damit erstreckt sich die Subsidiarität gegenüber § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG auch auf den Befreiungstatbestand.
525. Dieses Verständnis wird auch durch die Systematik des Gesetzes gestützt. So regelt auch § 43 EStG die Behandlung von Wandelanleihen gesondert und unabhängig von der für Erträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG vorgesehenen Regelung. § 43 EStG regelt die Tatbestände, in denen die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben wird. Diese Norm erfasst Zinsen aus Teilschuldverschreibungen, bei denen neben der festen Verzinsung ein Recht auf Umtausch in Gesellschaftsanteile (Wandelanleihen) oder eine Zusatzverzinsung, die sich nach der Höhe der Gewinnausschüttungen des Schuldners richtet (Gewinnobligationen), eingeräumt ist, in § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, also u. a. Zinsen aus Anleihen und Forderungen, über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind, werden hingegen von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 a) EStG erfasst. Damit unterscheidet auch § 43 EStG zwischen Wandelanleihen einerseits und dem allgemeinen Tatbestand der sonstigen Kapitalforderungen des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, der grundsätzlich die Wandelanleihen mitumfasst.
536. Die beschränkte Steuerpflicht der Wandelanleihe gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG entspricht schließlich auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber wollte die Teilschuldverschreibungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG), die nicht die Voraussetzungen der Wandelanleihen erfüllen, und die Wandelanleihen, die grundsätzlich unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen, unterschiedlich besteuern. Die Wandelanleihen sollten – zusammen mit den Gewinnobligationen – gesondert behandelt werden.
54Dies ergibt sich aus der Historie des § 49 EStG.
551934 wurde der Katalog der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte in § 49 neu gefasst (EStG vom 16. Oktober 1934, Reichsteuerblatt – RStBl – 1934, 316, 322). Seinerzeit enthielt das Gesetz noch keine Sonderregelung für Wandelanleihen und Gewinnobligationen. § 49 Nr. 5 EStG in der Fassung von 1934 regelte, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Ziffern 1 und 2 (z. B. Dividenden) beschränkt steuerpflichtig sind, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat. Für Einkünfte i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 3 und 4 (z.B. Zinsen aus sonstigen Kapitalforderungen wie Anleihen) sah die Regelung die beschränkte Steuerpflicht hingegen bei bestimmten Sicherungen vor. Ausgenommen waren dabei insoweit nach Satz 2 schon u.a. Zinsen aus Anleihen und Forderungen, über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind.
56Dies sollte sich mit der Gesetzesänderung von 1938 ändern. Der Gesetzgeber wollte hierdurch Einkünfte aus Wandelanleihen oder Gewinnobligationen ohne Rücksicht auf eine dingliche Sicherung der beschränkten Steuerpflicht immer dann unterwerfen, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat (vgl. Gesetzesbegründung, RStBl 1938, 97, 102). Angesichts dessen wurde § 49 Abs. 5 EStG der Satz angefügt, dass Einkünfte aus Teilschuldverschreibungen der beschränkten Steuerpflicht unterliegen, wenn bei ihnen neben der festen Verzinsung ein Recht auf Umtausch in Gesellschaftsanteile (Wandelanleihen) oder eine Zusatzverzinsung eingeräumt ist, die sich nach der Höhe der Gewinnausschüttungen des Schuldners richtet (Gewinnobligationen), und wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat (vgl. Gesetz zur Änderung des EStG vom 1. Februar 1938, RStBl 1938, 97, 98).
571950 enthielt § 49 Nr. 5 EStG folgende Regelung (Fassung vom 28. Dezember 1950, BStBl I 1951, 5, 19; BGBl I 1951, 1,18):
58„Inländische Einkünfte im Sinn der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 2) sind:
59Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinn des § 20 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat, und Einkünfte im Sinn des § 20 Abs. 1 Ziff. 3 und 4, wenn das Kapitalvermögen durch inländischen Grundbesitz, durch inländische Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, oder durch Schiffe, die in ein inländisches Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert ist. Ausgenommen sind Dividenden aus Vorzugsaktien der Deutschen Reichsbahn und Zinsen aus Anleihen und Forderungen, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen sind, oder über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind. Die Einkünfte aus Teilschuldverschreibungen unterliegen aber der beschränkten Steuerpflicht, wenn bei ihnen neben der festen Verzinsung ein Recht auf Umtausch in Gesellschaftsanteile (Wandelanleihen) oder eine Zusatzverzinsung eingeräumt ist, die sich nach der Höhe der Gewinnausschüttungen des Schuldners richtet (Gewinnobligationen), und wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat.“
60Hieraus ergibt sich, dass die alten Gesetzesfassungen eine beschränkte Steuerpflicht für Erträge aus Wandelanleihen – unabhängig von der Ausnahmeregelung für Teilschuldverschreibungen – statuierten. Der Gesetzgeber wollte Erträge aus Wandelanleihen, auch wenn diese in Form von Teilschuldverschreibungen begeben wurden, nicht von der inländischen Besteuerung ausnehmen. Die nachfolgenden Gesetzesänderungen haben hieran nichts geändert.
61So wurde 1965 die Regelung des § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG wie folgt geändert und dabei die beschränkte Steuerpflicht auf Zinsen auf Schuldbuchforderungen und Teilschuldverschreibungen ausgedehnt (Kuponsteuergesetz vom 25. März 1965, BStBl I 1965, 103, 104 f., BGBl I 1965, 147, 148):
62„Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, wenn der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat, und Einkünfte im Sinne des § 20 Abs. 1 Ziff. 3 und 4, wenn
63a) das Kapitalvermögen durch inländischen Grundbesitz, durch inländische Rechte, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, oder durch Schiffe, die in ein inländisches Schiffsregister eingetragen sind, unmittelbar oder mittelbar gesichert ist,
64b) das Kapitalvermögen in Anleihen und Forderungen besteht, die in ein öffentliches Schuldbuch eingetragen oder über die Teilschuldverschreibungen ausgegeben sind, und der Schuldner Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat. Das gilt nicht
65aa) für Kapitalerträge aus Anleihen, bei denen der Steuerabzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 1 Ziff. 6 letzter Satz nicht vorzunehmen ist,
66bb) für Kapitalerträge aus festverzinslichen Wertpapieren im Sinn des § 43 Abs. 1 Ziff. 3 bis 5 (ausgenommen Wandelanleihen und Gewinnobligationen) und
67cc) ...“
68Der Gesetzgeber führte im Hinblick auf die Gesetzesänderung aus, dass es sich bei den Kapitalerträgen aus festverzinslichen Wertpapieren um einen Sondertatbestand handele, für den die bisherige Rechtslage nicht zu ändern sei. In den Gesetzesmaterialen ist insoweit ausdrücklich klargestellt, dass dies bedeute, dass die einbehaltene Kapitalertragsteuer beschränkt Steuerpflichtigen wie bisher erstattet werde, sofern die Kapitalerträge nicht in einem inländischen Betrieb (Betriebsstätte) anfielen und es sich nicht um Kapitalerträge aus Wandelanleihen und Gewinnobligationen handele (BT‑Drucksache IV/2345, Seite 1, 10).
691985 wurde § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG erneut geändert (Steuerbereinigungsgesetz 1985 vom 14. Dezember 1985, BGBI I 1984, 1493, 1498 f.). § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) und 5 c) bb) (nunmehr b) aa) EStG erhielt in wesentlichen Punkten die heutige Fassung. Durch die Einfügung des Satzes „dies gilt auch für Erträge aus Wandelanleihen und Gewinnobligationen“ in § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG (vgl. erste Beschlussempfehlung des Finanzausschusses, BT-Drucksache 10/2367, Seite 10 f.) hat der Gesetzgeber eine klare Zuweisung zu § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG vorgenommen. Dafür, dass der Gesetzgeber eine abweichende Regelung schaffen wollte, sind in den Gesetzesbegründungen keine Anhaltspunkte ersichtlich. Es sollte lediglich die 1965 eingeführte (allgemeine) Kuponsteuer abgeschafft werden, um höhere Kapitalzuflüsse ausländischer Investoren zu fördern (vgl. erster Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucksache 10/2370, Seite 6, 8, 12).
704. Diese Differenzierung zwischen Wandelanleihen und sonstigen Teilschuldverschreibungen findet auch in der Sache einen Grund und erscheint nicht willkürlich, sondern durchaus nachvollziehbar. Ausschließlich mit Wandelanleihen sind nicht nur Zinsansprüche verbunden, sondern auch das Recht auf Umwandlung in Aktien, also die zusätzliche Möglichkeit, einen Anteil am Vermögen des emittierenden Unternehmens erwerben zu können (vgl. §§ 221 AktG, 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).
71III. Die Erstattung der Kapitalertragsteuer findet im Streitfall ihre Rechtsgrundlage in § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. Art. 11 DBA-Zypern.
721. Eine Steuerbefreiung gemäß § 43b EStG kommt nicht in Betracht. Erträge aus Wandelanleihen sind durch § 49 Abs. 1 Nr. 5 a) EStG gesetzlich den Einkünften des§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG lediglich gleichgestellt worden, um den notwendigen Inlandsbezug herzustellen. Ein weitergehender Regelungsgehalt ist dieser Norm nicht zu entnehmen. Insbesondere werden hierdurch die Erträge aus Wandelanleihen nicht generell den Einkünften gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, etwa den Dividenden, gleichgestellt. Hierdurch wird die grundsätzliche Einordnung der Erträge aus Wandelanleihen zu den Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht geändert.
732. Die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 1 DBA-Zypern sind erfüllt.
74a. Insbesondere stellen die streitigen Erträge Zinsen im Sinne des Art. 11 DBA-Zypern dar. Für die streitigen Wandelanleihen wurde gemäß der vertraglichen Bedingungen eine feste Verzinsung i.H.v. 5,5 % p.a. festgesetzt. Sie weisen hingegen keine Gewinnbeteiligung in dem für eine Dividende typischen Umfang aus (vgl. Art. 11 Abs. 4 DBA-Zypern). Es handelt sich um Schuldverschreibungen bzw. Forderungen jeder Art, die gemäß Art. 11 Abs. 4 DBA-Zypern als Zinsen zu qualifizieren sind.
75Aber selbst wenn man aufgrund des Entscheidungsrechts der Klägerin als Anleihegeber, ihre Anleihe in Aktien der K AG zu wandeln, eine Gewinnbeteiligung sehen wollte, würde dies kein anderes Ergebnis begründen. Denn nach Art. 11 Abs. 4 DBA-Zypern gehören Schuldverschreibungen zu den Zinsen i.S.d. Art. 11 DBA-Zypern, auch wenn sie mit einer Gewinnbeteiligung ausgestattet sind.
76b. Allerdings ergibt sich auf der Grundlage des Art. 11 DBA-Zypern grundsätzlich kein vollumfänglicher Erstattungsanspruch, da dem Quellenstaat gemäß Art. 11 Abs. 2 DBA-Zypern ein Quellenbesteuerungsrecht i.H.v. höchstens 10 % zusteht. Angesichts dessen stehen Deutschland als Quellenstaat nach Anwendung des an der Quelle einzubehaltenden Kapitalertragsteuersatzes i.H.v. 25 % unter Anwendung des DBA Kapitalertragsteuer i.H.v. 10 % zu. Im Übrigen steht der Klägerin nach dem DBA-Zypern jedoch grundsätzlich ein Erstattungsanspruch zu.
77IV. Der Erstattung steht nicht § 50d Abs. 3 EStG entgegen.
781. Im Streitfall ist § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 (vom 13. Dezember 2006, BGBl 2006, 2878) anzuwenden. § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) ist nicht anwendbar.
79Das Gesetz selbst sieht für die Anwendung der Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG keine besondere Anwendungsregelung vor. Daher ist die allgemeine Anwendungsregelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG maßgeblich. Hiernach ist das EStG in seiner aktuellen Fassung erstmals für den Veranlagungszeitraum 2012 anzuwenden, soweit in den übrigen Absätzen des § 52 EStG oder in § 52a EStG nichts anderes bestimmt ist. Weder § 52 EStG (insbesondere § 52 Abs. 59a EStG) noch § 52a EStG sehen eine besondere Anwendungsregelung für § 50d Abs. 3 EStG 2012 vor. Es ist auch im Übrigen nicht ersichtlich, dass dies nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen soll. In den Gesetzesmaterialien findet sich keine Erwägung dazu, § 50d Abs. 3 EStG 2012 auf alle offenen Fälle anzuwenden (vgl. BT-Drucks. 17/7524, Seite 13 f.). Nichts anderes ergibt sich aus dem BMF-Schreiben vom 24. Januar 2012 (BStBl I 2012, 171, Ziff. 16). Der Wille der Finanzverwaltung als Exekutive vermag nicht die gesetzliche Regelung zu ersetzen und hat auch für die Auslegung von Gesetzen keine Bedeutung. Das BMF-Schreiben kann lediglich zu einer Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung führen, von der der Beklagte jedoch im Streitfall keinen Gebrauch macht.
802. Gemäß § 50d Abs. 3 EStG (2007) hat eine ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach § 50d Abs. 1 oder Abs. 2 EStG, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und
811. für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
822. die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder
833. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.
84Maßgebend sind dabei ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes), bleiben außer Betracht (§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG).
85§ 50d Abs. 3 EStG ist indes nicht uneingeschränkt anwendbar. Nach der Rechtsprechung des EuGH verstößt die Norm gegen die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit (vgl. EuGH-Urteil vom 20.12.2017, C-504/16 und C-613/16, DStR 2018, 119; Beschluss vom 14. Juni 2018, C-440/17, GS, DStR 2018, 1479).
86Im Streitfall ist die Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Erträge aus Wandelanleihen streitig. Da diese nicht von einer Beteiligung an der emittierenden Gesellschaft abhängen, da die Wandelanleihen ungeachtet einer Beteiligung gezeichnet werden können, ist im Streitfall diesbezüglich nicht die Niederlassungsfreiheit, sondern die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EGV) einschlägig. Denn es handelt sich bei den Wandelanleihen um Geldanlagen, die erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen wird (vgl. zum Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit EuGH-Urteile vom 20. Dezember 2018, C-504/16 und C-613/16, Deister Holding, DStR 2018, 119 Rn. 78; vom 19. Juli 2012, C-31/11 – Scheunemann, Slg. 2009, I‑8591, Rn. 23).
87Die Kapitalverkehrsfreiheit ist im Streitfall tangiert, weil Kapitalgesellschaften, die Erträge aus Wandelanleihen erzielen, in Abhängigkeit von ihrem Sitz im Inland oder im Gemeinschaftsgebiet unterschiedlich behandelt werden. Die einbehaltene Kapitalertragsteuer wird bei Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland entweder auf die Körperschaftsteuerschuld angerechnet (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) oder vergütet (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG), ohne dass es – im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften mit Sitz im Gemeinschaftsgebiet – auf die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG ankommt.
88Diese Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt, da ihr spezifisches Ziel nicht ausschließlich in der Verhinderung von rein künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Konstruktionen zu verhindern, die lediglich zu dem Zweck errichtet werden, ungerechtfertigte Steuervorteile zu nutzen (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Dezember 2018, C‑504/16 und C-613/16, Deister Holding, DStR 2018, 119; s.a. EuGH-Beschluss vom 14. Juni 2017, C-440/17, GS, DStR 2018, 1479).
893. Die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EGV) führt indes nicht dazu, dass die Regelung überhaupt nicht anzuwenden ist. Vielmehr ist sie im Lichte der EU-Grundfreiheiten geltungserhaltend auszulegen.
90a. Das Recht der Europäischen Union ist gemäß Art. 23 GG, Art. 267 AEUV (ex‑Art. 249 EGV) Bestandteil des Bundesrechts und zwar mit Anwendungsvorrang vor nationalem Recht(vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juni 2000 – 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147; vom 9. Januar 2000 – 1 BvR 1036/99, NJW 2001,1267). Die Gerichte dürfen deshalb deutsche Vorschriften nicht anwenden, soweit sie Unionsrecht verletzen. Der Anwendungsvorrang des Primärrechts der EU und damit der unionsrechtlichen Grundfreiheiten vor nationalem Recht ist folglich auch mit Blick auf die Antimissbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG zu beachten.
91Allerdings ist die nationale Norm bei einem Verstoß gegen EU-Primärrecht nicht generell überhaupt nicht anwendbar. Denn der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang wirkt sich nicht prinzipiell dergestalt aus, dass von der Anwendung der EU‑rechtswidrigen Norm grundsätzlich gänzlich abzusehen ist. Die vom EuGH verbindlich formulierten gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind vielmehr in geeigneten Fällen durch die sog. „geltungserhaltenden Reduktion“ in die betreffenden Normen hineinzulesen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Oktober 2009 – I R 114/08, BFH/NV 2010, 279; vom 13. Juni 2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79; vom 3. Februar 2010 – I R 21/06, BStBl II 2010, 692). Dadurch wird im Wege richterlicher Fortbildung ein unionsrechtskonformer Zustand geschaffen.
92b. Demgemäß ist dem Steuerpflichtigen mit Blick auf § 50d Abs. 3 EStG und vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH der unionsrechtlich gebotene Gegenbeweis über einen mangelnden Regelungsmissbrauch im Einzelfall zu eröffnen (vgl. so zu §§ 7 ff. AStG BFH-Urteil vom 13. Juni 2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79).
93aa. So hat der EuGH entschieden, dass bei der Prüfung, ob ein Vorgang Steuerhinterziehung und Missbrauch als Beweggrund hat, sich die zuständigen nationalen Behörden nicht darauf beschränken können, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden; vielmehr müssen sie den Vorgang als Ganzes individuell prüfen. Eine generelle Steuervorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen automatisch vom Steuervorteil ausgenommen werden, ohne dass die Steuerbehörde auch nur einen Anfangsbeweis oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch beizubringen hätte, geht über das zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen Erforderliche hinaus (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Dezember 2018, C-504/16 und C‑613/16, Deister Holding, DStR 2018, 119, Rn. 61 f.).
94Konkret mit Blick auf § 50d Abs. 3 EStG hat der EuGH in diesem Zusammenhang festgestellt, dass diese Regelung nicht speziell bezweckt, von der Inanspruchnahme eines Steuervorteils rein künstliche Konstruktionen auszuschließen, die auf die ungerechtfertigte Nutzung dieses Vorteils ausgerichtet sind (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Dezember 2018, C-504/16 und C-613/16, Deister Holding, DStR 2018, 119, Rn. 64). § 50d Abs. 3 EStG begründet eine unwiderlegbare Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung, da sie in dem Fall, in dem eine der in ihr vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist, der gebietsfremden Gesellschaft nicht die Möglichkeit lässt, das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe zu beweisen (vgl. EuGH-Urteil vom 20. Dezember 2018, C-504/16 und C‑613/16, Deister Holding, DStR 2018, 119, Rn. 70). Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 begründen indes, einzeln oder zusammen betrachtet, keinen Missbrauch oder keine Hinterziehung (EuGH-Urteil vom 20. Dezember 2018, C-504/16 und C-613/16, Deister Holding, DStR 2018, 119, Rn. 71).
95bb. Diese vom EuGH festgestellten Grundsätze sind geeignet, in § 50d Abs. 3 EStG hineingelesen zu werden. Demgemäß ist der Klägerin jedenfalls der Gegenbeweis zu erlauben. Allein die Tatsache, dass sie nicht über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt, rechtfertigt es im Lichte der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EGV) nicht, der Klägerin die Erstattung der Kapitalertragsteuer zu versagen.
96Im Zuge des Gegenbeweises, des Motivtests, kommt im Streitfall dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass die Unternehmensgruppe, der die Klägerin angehört, im Ansässigkeitsstaat der Klägerin über eine Konzerngesellschaft verfügt, die frei von Missbrauchszweifeln ist, nämlich die F Co. Ltd. Es handelt sich hierbei um eine Gesellschaft, die insbesondere über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb verfügt und die eine aktive Wirtschaftstätigkeit ausübt.
97Bei vermögensverwaltenden Zwischengesellschaften kann nicht von einer missbräuchlichen Gestaltung ausgegangen werden, wenn aufgrund der Dauerhaftigkeit und Funktion der Gesellschaft und bei im selben Staat ansässiger aktiver Konzerngesellschaft nicht anzunehmen ist, dass der Bezug von Erträgen von einer deutschen Gesellschaft gerade bei dieser Zwischengesellschaft nur aus steuerlichen Gründen erfolgt (vgl. so zur – im übrigen „milderen“ – Vorgängerregelung des § 50d Abs. 3 EStG (2007) BFH‑Urteil vom 31. Mai 2005 – I R 74/04, sog. Hilversum II-Entscheidung, BStBI II 2006, 118).
98Angesichts dessen ist im Streitfall, im konkreten Einzelfall, widerlegt, dass eine Missbrauchsgestaltung gegeben sein könnte. Die Klägerin und die aktive, substanzhaltige F Co. Ltd. sind auf Dauer angelegt und im gleichen Staat, in Zypern, ansässig. Diese Konstellation schließt es aus, dass die Klägerin in Zypern rechtsmissbräuchlich eingeschaltet wurde, da gerade in Zypern auch eine aktive Konzerngesellschaft ansässig ist.
99Die Regelung des § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG, das sog. Verbot der Merkmalsübertragung, steht dem nicht entgegen. Denn im Lichte der europäischen Kapitalverkehrsfreiheit und der Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH ist die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG geltungserhaltend auszulegen. Das Verbot der Merkmalsübertragung i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG ist insbesondere in Konstellationen wie im Streitfall geltungserhaltend einzuschränken.
100V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
101VI. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
102VII. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 GKG.
103VIII. Die Revision wird zugelassen. Der Rechtssache kommt insbesondere im Hinblick auf die beschränkte Steuerpflicht der Erträge aus Wandelanleihen (vgl. anhängiges Revisionsverfahren I R 6/18) und die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG im Lichte der EuGH-Rechtsprechung grundlegende Bedeutung i.S.d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.