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Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die am 27. April 2020 auf dem – mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juli 2015 gepfändeten – Pfändungsschutzkonto des Antragstellers bei der Sparkasse Z (IBAN: 1) gutgeschriebene Corona-Soforthilfe in Höhe von 9.000 € unverzüglich in voller Höhe freizugeben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller begehrt im vorläufigen Rechtsschutz eine Kontenpfändung des Antragsgegners dergestalt einzuschränken, dass ihm eine auf seinem Pfändungsschutzkonto eingegangene Soforthilfe nach dem Soforthilfeprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen („NRW-Soforthilfe 2020“) gemäß § 53 Landeshaushaltsordnung i. V. m. dem Bundesprogramm „Soforthilfen für Kleinunternehmer und Soloselbständige“ (im Folgenden: Corona-Soforthilfe“) i.H.v. 9.000 € ausgezahlt werden kann.
4Der Antragsteller beantragte am ... März 2020 als selbständiger Unternehmer (Kurierdienstfahrer) bei der Bezirksregierung Köln eine Corona-Soforthilfe, die ihm mit Bescheid vom gleichen Tag als einmalige Pauschale gewährt und am 27. April 2020 auf sein als Pfändungsschutzkonto gemäß § 850k der Zivilprozessordnung (ZPO) geführtes Girokonto 1 bei der Sparkasse Z überwiesen wurde. Der Bewilligungsbescheid enthält u.a. die folgenden Ausführungen:
5„[…]
62. Aufrechnungsverbot
7Für die bewilligte Soforthilfe gilt ein direktes Verrechnungs- bzw. Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe darf es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Die bewilligte Soforthilfe muss vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. Ihnen als Empfänger/-in obliegt die Entscheidung, welche Forderungen mit höchster Relevanz für die Existenzsicherung ausgestattet sind (bspw. Mietforderungen, Lieferantenforderungen) und daher vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollen.
83. Zweckbindung
9Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für drei Monate. Die Soforthilfe dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01. März 2020 in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 01. März 2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe.
10II. Nebenbestimmungen
11Die Soforthilfe wird unter folgenden Nebenbestimmungen gewährt:
12[…]
135.
14Ich behalte mir im Einzelfall eine Prüfung der Verwendung der Soforthilfe vor.
15In diesem Fall ist die Bewilligungsbehörde berechtigt, Bücher, Belege und sonstige Geschäftsunterlagen anzufordern sowie die Verwendung der Soforthilfe durch örtliche Erhebungen zu prüfen oder durch Beauftragte prüfen zu lassen. Sie haben die erforderlichen Unterlagen bereitzuhalten und die notwendigen Auskünfte zu erteilen. Die Bewilligungsbehörde, Ihr zuständiges Finanzamt, der Landesrechnungshof NRW sowie die nachgeordneten Behörden (vgl. § 91 LHO), der Bundesrechnungshof, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und die Europäische Kommission sind ebenfalls berechtigt, Prüfungen vorzunehmen.“
16Die dem Antragsteller gegen die Sparkasse Z aus der vorgenannten Kontoverbindung zustehenden Ansprüche hatte der Antragsgegner bereits mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juli 2015 gemäß §§ 309, 314 der Abgabenordnung (AO) gepfändet und eingezogen. Der Pfändungsverfügung liegen rückständige Einkommensteuern der Jahre 2009 bis 2011 inkl. steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von ca. 138.000 € zugrunde.
17Ausweislich des Kontoauszugs 4/2020 hat die Sparkasse Z am 30. April 2020 von einem „separierten Betrag“ einen Teilbetrag i.H.v. 806,40 € „wg. Freibetrag April“ freigegeben, diesen Betrag auf dem Konto des Antragstellers gutgeschrieben und diesem mit Schreiben vom gleichen Tag hierzu mitgeteilt, dass ein Teilbetrag der Corona-Soforthilfe auf einem internen Konto separiert worden sei. Der Gesetzgeber habe keine spezialgesetzliche Regelung zur Unpfändbarkeit der Corona-Soforthilfen getroffen, so dass sie verpflichtet sei, die gesicherten Beträge an die Gläubiger auszuzahlen. Der Antragsteller habe die Möglichkeit, beim Antragsgegner einen Freigabebeschluss gemäß § 850k Abs. 4 ZPO zu beantragen, sofern es sich bei seinem Konto um ein Pfändungsschutzkonto handele. Jedenfalls könne er eine Auszahlung der gesamten Corona-Soforthilfe ermöglichen, indem sämtliche Gläubiger auf ihre durch die Pfändung und Überweisung erworbenen Rechte hieran unbeschadet ihres Anspruchs verzichteten. Sofern bis zum 29. Mai 2020 keine Freigabe der Gläubiger und kein Freigabebeschluss vorliege, werde die Sparkasse Z die gesicherten Beträge an die Pfändungsgläubiger auszahlen.
18Die Frist hat die Sparkasse Z bis zum 27. Juni 2020 verlängert.
19Der Antragsteller wandte sich zunächst telefonisch und dann mit E-Mail vom 2. Juni 2020 an den Antragsgegner. Er schilderte den Sachverhalt und bat um Freigabe/Verzichtserklärung gegenüber der Sparkasse Z, damit ihm der Restbetrag gutgeschrieben werden könne. Er habe aktuell finanzielle Engpässe und sei auf die Corona-Soforthilfe stark angewiesen, um seine Selbständigkeit und Existenz fortführen zu können. Er wies auf den Beschluss des 1. Senats des Finanzgerichts Münster vom 13. Mai 2020 (1 V 1286/20 AO) und verschiedene Artikel im Internet hin.
20Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 4. Juni 2020 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) mit, dass seinem Antrag auf Freigabe des sich auf dem Konto derzeit und zukünftig befindlichen Guthabens nicht entsprochen werden könne. Es bleibe ihm unbenommen, unter Vorlage entsprechender Nachweise (Kontoauszüge, Kostenaufstellung etc.) einen Antrag auf Pfändungsschutz nach § 319 AO i. V. m. §§ 850 ff. ZPO für bestimmte Beträge zu stellen. Die vom Antragsteller benannten Urteile seien über die entschiedenen Einzelfälle hinaus nicht anzuwenden.
21Mit Schriftsatz an das Finanzgericht Köln vom 10. Juni 2020 schilderte der Antragsteller den Sachverhalt und bat um Erlass einer einstweiligen Anordnung.
22Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
23den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die am 27. April 2020 auf seinem mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juli 2015 gepfändeten Pfändungsschutzkonto bei der Sparkasse Z 1 gutgeschriebene Corona-Soforthilfe in Höhe von 9.000 € in voller Höhe freizugeben.
24Der Antragsgegner beantragt,
25den Antrag abzulehnen.
26In Fällen wie dem vorliegenden, in denen ein Liquiditätsengpass bereits vor dem 1. März 2020 bestanden habe, könnten die aufgrund des BMF-Schreibens vom 19. März 2020 vorgesehenen Erleichterungen beim Vollstreckungsschutz (hier nach § 319 AO i. V. m. §§ 850k ff. ZPO) und damit eine Freigabe der Corona-Soforthilfe nicht gewährt werden. Der Antragsteller sei aufgefordert worden, Nachweise für den Vollstreckungsschutz zu erbringen; dies habe er bis heute nicht getan. Freistellungen für Lebenshaltungskosten seien in den Sockelbeträgen bereits enthalten.
27Mangels Zweckbindung sei davon auszugehen, dass die Corona-Soforthilfe nicht unpfändbar sei.
28Für den Fall, dass dem Antrag stattzugeben sei, komme aber allenfalls eine Freigabe der Corona-Soforthilfe in Betracht, keine vollständige Aufhebung der Pfändung, da der Antragsgegner andernfalls seinen Pfändungsrang für vollstreckbare Steuerforderungen in Höhe von rd. 138.000 € verliere.
29II.
30Der Antrag ist als Antrag auf einstweilige Einschränkung oder Beschränkung der Vollstreckung aus Billigkeitsgründen im Sinne des § 258 AO auszulegen. Der so verstandene Antrag hat in der Sache Erfolg.
31Der Antragsgegner war danach zu verpflichten, die am 27. April 2020 auf dem mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juli 2015 gepfändeten Pfändungsschutzkonto bei der Sparkasse Z 1 gutgeschriebene Corona-Soforthilfe gemäß § 258 AO in voller Höhe freizugeben.
321. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist zulässig.
33a) Welcher Rechtsbehelf im einstweiligen Rechtsschutz gegen Pfändungsmaßnahmen statthaft ist, richtet sich nach dem Inhalt der Rechtsverletzung, die der Antragsteller gegen die Pfändungsverfügung geltend macht. Rügt er die Unbilligkeit der sofortigen Vollstreckung und begehrt Vollstreckungsaufschub (§ 258 AO) oder zeitweilige Aussetzung der Verwertung (§ 297 AO), so ist die einstweilige Anordnung der richtige Rechtsbehelf. Rügt er die Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügung, die einen Verwaltungsakt darstellt, so kommt lediglich ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO in Betracht (BFH-Beschluss vom 26. Juni 1990 VII B 161/89, BFH/NV 1991, 393).
34Vorliegend rügt der Antragsteller die Unbilligkeit der durch den Antragsgegner bewirkten Kontenpfändung und begehrt insoweit Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO, er wendet sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Demzufolge ist die einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) der richtige Rechtsbehelf.
35b) Im Übrigen liegt auch ein Rechtsschutzbedürfnis vor.
36Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Antrag gemäß § 319 AO i. V. m. § 850k Abs. 4 ZPO ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf einstweilige Anordnung für Zwecke des Vollstreckungsschutzes gemäß § 258 AO entfallen lässt (so für den zivilprozessualen Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO im Verhältnis zum Antrag nach § 850k ZPO BGH-Beschluss vom 4. Juli 2007 VII ZB 15/07, NJW 2007, 2703). Denn im Streitfall liegen die Voraussetzungen für einen Antrag nach § 319 AO i. V. m. § 850k Abs. 4 ZPO – jedenfalls unmittelbar – nicht vor.
37aa) Gemäß § 319 AO gelten Beschränkungen und Verbote, die nach §§ 850 bis 852 ZPO und anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, sinngemäß. Der demzufolge sinngemäß geltende § 850k ZPO ermöglicht einem Vollstreckungsschuldner Schuldnerschutz bei Pfändung eines Girokonto-Guthabens durch ein Pfändungsschutzkonto. Das Guthaben ist in der Weise geschützt, dass der Vollstreckungsschuldner jeweils bis zum Ende des Kalendermonats jedenfalls in Höhe des vollen Sockelfreibetrags (§ 850c Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 850c Abs. 2a ZPO) verfügen kann. Der dem Vollstreckungsschuldner zustehende Freibetrag kann gemäß § 850k Abs. 2 f. ZPO erhöht bzw. modifiziert werden. Außerdem kann das Vollstreckungsgericht gemäß § 850k Abs. 4 Satz 1 ZPO einen von § 850k Abs. 1 bis 3 ZPO abweichenden pfändungsfreien Betrag festsetzen. Gemäß § 850k Abs. 4 Satz 2 ZPO sind die §§ 850a, 850b, 850c, 850d Abs. 1 und 2 ZPO, die §§ 850e, 850f, 850g und 850i ZPO sowie die §§ 851c und 851d ZPO sowie § 54 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1, 2 und 3, Abs. 4 und 5 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch, § 17 Abs. 1 Satz 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und § 76 des Einkommensteuergesetzes entsprechend anzuwenden.
38bb) Mit § 850k Abs. 4 ZPO soll sichergestellt werden, dass das Vollstreckungsgericht in den bislang vom Gesetz für den allgemeinen Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen und gleichgestellten Einkünften vorgesehenen Fällen auch bei der Kontopfändung einen anderen pfändungsfreien Betrag – sei es zugunsten des Schuldners durch Erhöhung, sei es auch zugunsten des Gläubigers durch Herabsetzung – festlegen kann (BeckOK ZPO/Riedel, 36. Ed. 1. März 2020, ZPO § 850k Rn. 28). Mithin ist die Möglichkeit zu einer abweichenden Festsetzung des Freibetrags gemäß § 850k Abs. 4 ZPO auf die in Satz 2 dieser Vorschrift genannten Beträge beschränkt.
39Der hier streitgegenständliche Billigkeitszuschuss, die Corona-Soforthilfe, wird nicht von den in § 850k Abs. 4 Satz 2 ZPO genannten Beträgen erfasst. Insbesondere handelt es sich bei der Corona-Soforthilfe nicht um sonstige Einkünfte i. S. v. § 850i ZPO. § 850i ZPO ermöglicht Pfändungsschutz für nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste oder sonstige – eigenständig erwirtschaftete – Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind. Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich weder um eine Vergütung für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste noch um eigenständig erwirtschaftete Einkünfte. Insoweit teilt der beschließende Senat die Auffassung des LG Köln (Beschluss vom 23. April 2020 39 T 57/20, rkr., juris) und des FG Münster (Beschluss vom 13. Mai 2020 1 V 1286/20, juris).
40cc) Gleiches gilt im Ergebnis im Hinblick auf § 309 Abs. 3 Satz 2 AO i. V. m. § 850l ZPO. Danach kann der Vollstreckungsschuldner beim Vollstreckungsgericht beantragen, anzuordnen, dass das Guthaben auf dem Pfändungsschutzkonto für die Dauer von bis zu zwölf Monaten der Pfändung nicht unterworfen ist, wenn der Schuldner nachweist, dass dem Konto in den letzten sechs Monaten vor Antragstellung ganz überwiegend nur unpfändbare Beträge gutgeschrieben worden sind, und er glaubhaft macht, dass auch innerhalb der nächsten zwölf Monate nur ganz überwiegend nicht pfändbare Beträge zu erwarten sind. § 850l ZPO ergänzt § 850k ZPO und die danach unpfändbaren Beträge. Nur unpfändbare Beträge i. S. v. § 850l ZPO können zu erwarten sein, wenn der Schuldner berufsunfähig und eine Besserung seiner gesundheitlichen Beschwerden kurz- oder mittelfristig nicht zu erwarten ist oder er sich als Empfänger nicht pfändbarer Sozialleistungen schon länger erfolglos um einen Arbeitsplatz bemüht hat (vgl. dazu Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 850l ZPO, Rn. 4b). Eine derartige Konstellation steht hier nicht zur Entscheidung (vgl. auch FG Münster, a.a.O.).
412. Der Antrag ist auch begründet.
42Der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 FGO setzt voraus, dass ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden, § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO. Dies ist im Streitfall erfolgt. Der beschließende Senat folgt dabei in der Begründung den zutreffenden Ausführungen des FG Münster im Beschluss vom 13. Mai 2020 1 V 1286/20 AO (juris).
43Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
44a) Im Streitfall ergibt sich der erforderliche Anordnungsanspruch aus § 258 AO. Hiernach kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist.
45aa) Im Einzelfall ist die Vollstreckung unbillig, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringt, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden kann (BFH-Beschluss vom 15. Januar 2003 V S 17/02, BFH/NV 2003, 738).
46Im Streitfall führt die Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juli 2015 ohne Freigabe der Corona-Soforthilfe zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsteller. Denn ohne die Freigabe zahlt der Drittschuldner, die Sparkasse Z, dem Antragsteller den ihm gewährten Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Soforthilfe aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügung nicht aus. Da ohne Freigabe der Corona-Soforthilfe deren Zweck nicht erfüllt werden kann, stellt sich die Freigabe der Corona-Soforthilfe als allein ermessensgerechte Entscheidung im Sinne des § 258 AO dar.
47bb) Die Corona-Soforthilfe ist an den Antragsteller auszuzahlen. Sie ist eine nicht der Pfändung unterworfene Forderung i. S. d. § 851 Abs. 1 ZPO (so auch ausdrücklich BeckOK ZPO/Riedel, 36. Ed. 1. März 2020, ZPO § 851 Rn. 10; LG Köln, a.a.O.; FG Münster, a.a.O.). Gemäß § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften nur insoweit der Pfändung unterworfen, als sie übertragbar ist. Zweckgebundene Forderungen sind grundsätzlich nicht übertragbar und damit unpfändbar, soweit durch die Abtretung oder Pfändung der Forderung deren Zweckbindung beeinträchtigt wird. Das ist dann nicht der Fall, wenn mit der Abtretung oder Pfändung der vorgegebene Zweck erreicht wird, wenn also etwa die Pfändung durch den Anlassgläubiger erfolgt (BeckOK ZPO/Riedel, 36. Ed. 1. März 2020, ZPO § 851 Rn. 9 m. w. N.).
48In dem vorliegenden Fall wird durch eine Pfändung des Girokonto-Guthabens, das durch den Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Soforthilfe erhöht wurde, die Zweckbindung dieses Billigkeitszuschusses beeinträchtigt. Die Corona-Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 1. März 2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe. Sollte die Corona-Soforthilfe von der Pfändung des Girokonto-Guthabens erfasst sein, könnte ihr Zweck nicht erfüllt werden. Sie dient nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen, die vor dem 1. März 2020 entstanden sind, sondern nur solchen, die seit dem 1. März 2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Im Ergebnis dient die Corona-Soforthilfe somit nicht dem Zweck, die vor dem 1. März 2020 entstandenen Ansprüche des Antragsgegners zu befriedigen.
49cc) Der Antragsgegner ist auch kein Anlassgläubiger, der von der Zweckgebundenheit der Corona-Soforthilfe geschützt wäre. Die bewilligte Soforthilfe soll vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. Dem jeweiligen Empfänger soll die Entscheidung obliegen, welche Forderungen mit höchster Relevanz für die Existenzsicherung ausgestattet sind (bspw. Mietforderungen, Lieferantenforderungen) und daher vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollen. Die Soforthilfe soll für die Deckung der laufenden Betriebskosten des Unternehmens eingesetzt werden. So könnte der Anspruch auf Corona-Soforthilfe etwa zugunsten von aktuellen Vermietern, Leasinggebern oder Lieferanten des Schuldners gepfändet werden. Altgläubiger aus der Zeit vor der Corona-Pandemie – so wie im vorliegenden Fall der Antragsgegner – können auf die Corona-Soforthilfe hingegen nicht im Wege der Forderungspfändung zugreifen (vgl. LG Köln, a.a.O.; FG Münster, a.a.O.).
50Im Übrigen wird in dem Bewilligungsbescheid für die Corona-Soforthilfe auch ein Aufrechnungsverbot ausgesprochen. Hiernach gelte für die bewilligte Soforthilfe ein direktes Verrechnungs- beziehungsweise Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe dürfe es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Allein dem Empfänger bzw. der Empfängerin stehe die Entscheidung zu, welche Forderungen vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollten. Der Sinn und Zweck dieses Aufrechnungsverbots könnte nicht erreicht werden, wenn die bewilligte Corona-Soforthilfe – ohne vorherige Entscheidung des Empfängers bzw. der Empfängerin – zur Befriedigung von Gläubigeransprüchen verwendet werden würde, die vor dem 1. März 2020 und somit nicht im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entstanden sind. Dies gilt aber nicht nur für eine Aufrechnung mit bereits bestehenden Kreditlinien bei dem jeweiligen Kreditinstitut, sondern auch für jede Einziehung aufgrund einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung.
51dd) Schließlich steht der Unbilligkeit der Vollstreckung auch nicht entgegen, dass im Rahmen der von dem Antragsteller ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit möglicherweise bereits vor der COVID-19-Pandemie ein Liquiditätsengpass bestanden hat, und demzufolge nach Auffassung des Antragsgegners möglicherweise ein Anspruch auf Corona-Soforthilfe nicht bestand.
52Zum einen beruhen die der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners zugrundeliegenden Steuerforderungen auf einer anderen Tätigkeit des Antragstellers in der Vergangenheit.
53Zum anderen ist die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die Corona-Soforthilfe hat und, falls nicht, diese an das Land Nordrhein-Westfalen zurückzuzahlen ist, nicht vom Finanzamt oder dem Finanzgericht, sondern von der diesen Zuschuss bewilligenden Bezirksregierung zu prüfen. Ob und in welchem Umfang eine solche Prüfung erfolgt ist, ist zwar zweifelhaft, da sowohl im vorliegenden als auch in dem vom FG Münster (a.a.O.) entschiedenen Verfahren der Bewilligungsbescheid der jeweiligen Bezirksregierung bereits am Tage der Antragstellung ergangen ist und die Landesregierung NRW eine „schnelle und unbürokratische Hilfe“ versprochen hatte (vgl. z.B. Pressemitteilung des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie und des Ministeriums der Finanzen vom 2. April 2020: „Nordrhein-Westfalen hilft mittelständischer Wirtschaft schnell, unbürokratisch und wirksam“).
54Eine Überprüfung der materiellen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Hilfe im Verfahren betreffend eine finanzbehördliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist indes nicht möglich. Hinsichtlich der Finanzverwaltung ist lediglich vorgesehen, dass die Bezieher der Corona-Soforthilfe diese in ihrer Steuererklärung für 2020 als steuerpflichtige Einnahmen erklären. Das zuständige Finanzamt hat so die Möglichkeit, die Plausibilität der Inanspruchnahme im Nachhinein zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, dass der Antragsteller möglicherweise keinen Anspruch auf die Corona-Soforthilfe habe und demzufolge im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geprüft werden soll, ob dem Antragsteller diese Hilfe auch wirklich zugestanden hat. Die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Corona-Soforthilfe ist im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 258 AO nicht entscheidungserheblich und kann im Finanzgerichtsverfahren nicht geprüft werden. Der Frage, ob nach den Erkenntnissen des Antragsgegners gegebenenfalls ein strafrechtlicher Anfangsverdacht wegen Falschangaben im Antragsverfahren, die den Tatbestand eines Subventionsbetrugs (§ 264 Strafgesetzbuch) erfüllen, besteht, ist im vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht weiter nachzugehen. Maßgeblich ist vorliegend der Umstand, dass die Corona-Soforthilfe aufgrund ihrer Zweckbindung und dem flankierenden Aufrechnungsverbot nicht der Befriedigung von – bereits vor der Corona-Pandemie geltend gemachten – Steueransprüchen des Fiskus dient. Daher kann der Antragsgegner die zweckgebundene Corona-Soforthilfe nicht im Wege der Vollstreckung und der uneingeschränkten Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juli 2015 für sich beanspruchen und mit diesem Zuschuss die Rückstände aus den Einkommensteuerschulden gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen befriedigen.
55b) Weiter liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn die Vollstreckung mit schwerwiegenden Nachteilen für den Vollstreckungsschuldner verbunden ist, z. B. seine persönliche oder wirtschaftliche Existenz dadurch bedroht wird (BFH-Beschluss vom 15. Januar 2003 V S 17/02, BFH/NV 2003, 738). Begehrt der Antragsteller die Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen unter Hinweis auf § 258 AO, besteht ein Anordnungsgrund regelmäßig nur bei außergewöhnlichen Umständen, z. B. einer drohenden Existenzvernichtung oder konkreter und unmittelbarer Gesundheitsgefährdungen (vgl. FG des Saarlandes, Beschluss vom 3. Februar 2006 2 V 44/06, EFG 2006, 546; FG Köln, Beschluss vom 1. Februar 2018 11 V 3169/17, juris). Diese Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind (vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 159. Lieferung 01.2020, § 114 FGO, Rn. 29).
56Hierzu hat der Antragsteller geltend gemacht, dass durch die drohende Vollstreckung und die daraus resultierende Sperre gegen die Auszahlung der Corona-Soforthilfe die Existenz seines Geschäftsbetriebs bedroht ist. Ohne die bewilligte Corona-Soforthilfe könne er die laufenden Kosten (Miete, Strom, Fahrzeugkosten und andere laufende Betriebskosten) nicht decken.
57Einer weiteren Glaubhaftmachung der einzelnen Kostenpositionen zur Glaubhaftmachung bedarf es im Streitfall nicht. Der Umstand, dass der Antragsteller etwaige laufende Kosten des Geschäftsbetriebs ohne Zugriff auf die Corona-Soforthilfe nicht befriedigen kann, ist unstreitig.
58Dies entspricht auch den in dem Bewilligungsbescheid aufgeführten Nebenbestimmungen. Hiernach soll der Nachweis der Verwendung der Soforthilfe unter Zuhilfenahme eines Vordrucks im Internet auf https://soforthilfe-corona.nrw.de bei dem zuständigen Finanzamt erfolgen und der nächsten Steuererklärung beigefügt werden. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung findet sich auf der angegebenen Internetseite kein Vordruck für einen Verwendungsnachweis. Demzufolge ist es für den Antragsteller zu diesem Zeitpunkt faktisch unmöglich, die Verwendung der Corona-Soforthilfe in einer den Anforderungen der bewilligenden Bezirksregierung entsprechenden Art und Weise zu erbringen. Im Übrigen weist die Internetseite des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen zur NRW-Soforthilfe 2020 zum Entscheidungszeitpunkt auf die Frage „Muss nachgewiesen werden wofür der Zuschuss eingesetzt wird?“ die Antwort aus: „Am Ende des Bewilligungszeitraums werden alle Soforthilfeempfänger angeschrieben und gebeten, zu überprüfen, ob eine Überkompensation vorgelegen hat. Der Nachweis der Verwendung der Soforthilfe erfolgt unter Zuhilfenahme eines Vordrucks, den alle Zuschussempfänger in einem gesonderten Schreiben (inkl. Ausfüll-Anleitung) rechtzeitig erhalten. Dazugehörige Unterlagen sind 10 Jahre lang aufzubewahren.“ (https://www.wirtschaft.nrw/nrw-soforthilfe-2020; zum Zeitpunkt der Antragstellung und Bewilligung – ... März 2020 – lautete die Antwort noch: „Nein, ein solcher Nachweis muss nicht erbracht werden.“). Vor diesem Hintergrund erscheint es erst recht im einstweiligen Rechtsschutz nicht verhältnismäßig, dem Antragsteller vor Ende des Bewilligungszeitraums – hier der 27. Juni 2020 – eine Nachweispflicht hinsichtlich der Zuschussverwendung aufzuerlegen.
59c) Allerdings folgt der beschließende Senat dem FG Münster (a.a.O.) nicht in der Auffassung, dass der gebotene Vollstreckungsschutz allein durch die vollständige Aufhebung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung erreicht werden könne. Das FG Münster verweist zwar insoweit zutreffend darauf, dass eine rangwahrende Beschränkung der Vollstreckung im Sinne einer Freigabe des Kontos in Höhe der ausgezahlten Corona-Soforthilfe im Rahmen der Pfändung von Geldforderungen i. S. v. § 309 Abs. 1 AO grundsätzlich nicht möglich, und der Umstand, dass das Finanzamt durch die Aufhebung der Pfändung den Rang gegenüber anderen Pfandrechtsgläubigern verliert, der gesetzlichen Konzeption immanent sei (Verweis auf BFH-Urteil vom 16. Mai 2017 VII R 5/16, BStBl. II 2018, 735).
60Dies hätte allerdings zur Folge, dass in allen Fällen, in denen die Corona-Soforthilfe auf ein von der Finanzverwaltung gepfändetes Konto überwiesen wird, die Finanzverwaltung ihren Pfändungsrang aufgeben müsste bzw. verlieren würde, unabhängig von der Höhe der zu vollstreckenden Forderung und der Dauer der Pfändungsmaßnahme. Dies erscheint dem beschließenden Senat nicht gerechtfertigt. Es wäre eine unangemessene Benachteiligung des Fiskus in seiner Position als Pfändungsgläubiger, wenn der vorläufige Rechtsschutz nur dadurch gewährt werden könnte, dass die Pfändung- und Einziehung der Ansprüche aus der Kontoverbindung nur vollständig und damit unter Verlust des Pfändungsrangs aufgehoben werden.
61Aus diesem Grund war der Antragsgegner lediglich zu verpflichten, gemäß § 258 AO die auf dem gepfändeten Pfändungsschutzkonto des Antragstellers gutgeschriebene Corona-Soforthilfe freizugeben. Zwar liegen die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des § 850k ZPO nicht vor (s.o.). In den nicht von § 850k Abs. 4 ZPO erfassten Fällen lässt sich allerdings für die zivilprozessuale Vollstreckung über eine Anwendung von § 765a ZPO erreichen, dass ein Schuldner nicht allein schon deswegen schlechter gestellt wird, weil sein Konto gepfändet ist und nicht der unpfändbare Anspruch selbst. Auch der Bundesgerichtshof billigt etwa eine Freigabe „entsprechend dem Rechtsgedanken des § 850k ZPO“ von Guthaben, die sich aus zweckgebundenen und damit nach § 851 ZPO unpfändbaren Beträgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2006 VII ZB 31/05, sowie die weiteren Nachweise im Beschluss des LG Köln, a.a.O.). Während es geboten ist, im Rahmen der zivilprozessualen Vollstreckung, entsprechende Defizite des Instituts des Pfändungsschutzkontos unter Heranziehung des § 765a ZPO im vorliegenden Fall zu korrigieren (vgl. wiederum den Beschluss des LG Köln, a.a.O.), ist nach Auffassung des beschließenden Senats die gleiche Korrektur über § 258 AO auch im Rahmen der Vollstreckung nach der Abgabenordnung durch die Finanzbehörden herbeizuführen.
62d) Soweit durch die Entscheidung eine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgt, ist dies erforderlich, um unbillige, unzumutbare Nachteile für den Antragsteller zu vermeiden und effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Im Übrigen liegt eine besondere Intensität des Anordnungsgrundes vor. Die sofortige Einstellung der Vollstreckung ist notwendig, da eine Entscheidung in der Hauptsache zu spät kommen würde, um mit der Corona-Soforthilfe die unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe zu kompensieren.
633. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.