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Der Umsatzsteuerbescheid 2011 vom 17.10.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.7.2017 wird dahingehend abgeändert, dass die Umsatzsteuer 2011 um 7.689,88 € auf -453.768,58 € herabgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 55 %, der Beklagte zu 45 %.
Die Revision wird zugelassen.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren Gesellschafter in den Streitjahren 2010 bis 2014 Frau A (zu 51 %) und Herr A1 (zu 49 %) waren. Die Klägerin war in den Streitjahren ertragsteuerlich Besitzgesellschaft einer Betriebsaufspaltung mit der A2 GmbH, einem ... verarbeitenden Betrieb. Gesellschafter der A2 GmbH waren ebenfalls Frau A (zu 51%) und Herr A1 (zu 49%). Die Klägerin verpachtete bereits vor den Streitjahren – und bis heute – das in ihrem Eigentum stehende Grundstück B-Straße a (das ursprüngliche Grundstück) an die A2 GmbH. Das Grundstück grenzte im Norden an die C-Straße, einem Zubringer zur Autobahn, und im Süden an die Straße B‑Straße.
2Mit notariellem Kaufvertrag vom ....2010 (Urkundenrolle Nr. .../2010 des beurkundenden Notars D aus E) erwarb die Klägerin die dem ursprünglichen Grundstück südlich der B-Straße gegenüberliegenden Grundstücke B-Straße b und B-Straße c (die hinzuerworbenen Grundstücke) zu einem Kaufpreis von 450.000 €. Laut Notarvertrag entfielen davon 350.000 € für das Grundstück B-Straße b. Eine Option zur Umsatzsteuer enthielt der Vertrag nicht. Auf den notariellen Vertrag nebst Anlagen wird Bezug genommen.
3Die Verkäufer hatten zuvor auf diesen Grundstücken ... hergestellt. Das Grundstück B‑Straße b war mit einem Wohngebäude bebaut. Für das Grundstück war aufgrund einer Verpflichtungserklärung vom ....1974 im Grundbuch eine Baulast in der Gestalt eingetragen, dass das auf dem Grundstück geplante Wohngebäude nur als Wohnung für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter des auf dem Grundstück betriebenen (...-) Betriebes zur Verfügung gestellt werden durfte. Die jeweiligen Eigentümer verpflichteten sich zudem, das Eigentum an dem Grundstück nur zusammen mit dem auf dem Grundstück betriebenen ...betrieb zu übertragen. Eine Teilung des Grundstücks B-Straße b war demnach unzulässig. Das Wohngebäude durfte zudem nur bei gleichzeitiger Verpachtung des Betriebs vermietet oder verpachtet werden.
4In den Streitjahren ersetzte die Klägerin die auf dem Grundstück B-Straße c befindlichen ehemaligen Betriebsgebäude des ...betriebs durch eine Lagerhalle für die A2 GmbH. Das Wohnhaus auf dem Grundstück B-Straße b renovierte die Klägerin. Seit dem Jahr 2012 nutzt die Gesellschafterin der Klägerin das Wohnhaus zu eigenen Wohnzwecken. Auf die Nutzungsvereinbarung vom ....2012 wird Bezug genommen. Für die Nutzung berücksichtigte die Klägerin ertragsteuerlich in den Streitjahren Entnahmen in Höhe eines in der Nutzungsvereinbarung festgelegten „Nutzungs-“ bzw. „Mietwerts“.
5Mit notariellem Tauschvertrag vom ....2010 (Urkundenrolle Nr. ...2010 der anstelle des Notars F aus G, beurkundenden Notariatsverwalterin H) tauschte die Klägerin mit der Stadt G Teilflächen unbebauter Grundstücke. Die Klägerin erwarb aufgrund dieses Tauschvertrages eine Teilfläche mit einer Größe von 825 m² (Teilfläche 1), die den Straßenabschnitt der Straße B-Straße umfasste, der zwischen dem ursprünglichen und den neu hinzuerworbenen Grundstücken lag. Im Gegenzug übertrug die Klägerin auf die Stadt G Teilflächen ihres ursprünglichen Grundstücks, B-Straße a, mit einer Größe von 105 m² (Teilfläche 2) bzw. 282 m² (Teilfläche 3) und verpflichtete sich zur Zahlung eines Aufgelds i.H.v. 35.040 €. Die Teilfläche 2 lag unmittelbar angrenzend an das nordwestliche Ende der Teilfläche 1. Die Teilfläche 3 lag mit einigem Abstand zur Teilfläche 1 in östlicher Richtung.
6Zudem verpflichtete sich die Klägerin unter IV. des notariellen Vertrages, alle notwendigen Straßenumbauten auf eigene Rechnung nach Maßgabe eines mit der Stadt G gesondert abzuschließenden Erschließungsvertrages zu verwirklichen, wobei beide Seiten von einem ungefähren Gesamtaufwand i.H.v. 40.000 € für die Straßenumbauten ausgingen. In dem (später abgeschlossenen) Erschließungsvertrag war zusammenfassend geregelt, dass die Klägerin in eigenem Namen und auf eigene Rechnung zwei Wendehämmer (Erschließungsanlagen) teilweise auf den bereits auf die Stadt übertragenen Teilflächen 2 und 3 bzw. teilweise auf bereits zuvor der Stadt gehörenden angrenzenden Teilflächen zu errichten habe. Im Gegenzug verpflichtete sich die Stadt G, nach Übernahme der Erschließungsanlagen keine Erschließungsbeiträge im Sinne von §§ 127 ff. BauGB von der Klägerin zu erheben. Auf den notariellen Vertrag nebst Anlagen sowie den Erschließungsvertrag (ohne Datumsangabe) wird Bezug genommen.
7Die Klägerin ließ die Wendehämmer im Jahr 2011 durch einen Dritten für 39.800 € netto zuzüglich Umsatzsteuer i.H.v. 7.562 € errichten. Zudem wendete sie für die Herstellung an die Stadtwerke G netto 673,05 € zuzüglich Umsatzsteuer i.H.v. 127,88 € sowie an die Stadt G 606,83 € auf.
8In ihren Umsatzsteuererklärungen 2010 bis 2014 erklärte die Klägerin u.a. Vorsteuern aus der Renovierung bzw. Nutzung des Wohngebäudes B-Straße b i.H.v. insgesamt 15.975,83 € (2010: 407,50 €; 2011: 7.217,40 €; 2012: 3.880,69 €; 2013: 2.693,52 €; 2014: 1.776,72 €) sowie aus der Errichtung der Wendehämmer für das Jahr 2011 i.H.v. 7.689,22 €. Für die Nutzung des Wohnhauses durch ihre Gesellschafterin erklärte sie in den Jahren 2012 (netto 11.199,60 €; darauf entfallend 2.127,92 € Umsatzsteuer), 2013 und 2014 (jeweils netto 14.932,80 €, 2.837,23 € Umsatzsteuer) unentgeltliche Wertabgaben. Zudem behandelte sie die A2 GmbH als umsatzsteuerlich unselbständige Organgesellschaft und erklärte auch deren Umsätze und Vorsteuern für die Streitjahre als ihre eigenen. Insoweit floss in die Umsatzsteuererklärung der Klägerin ein Vorsteuerüberhang i.H.v. 476.552,58 € sowie in die Umsatzsteuererklärung der Klägerin für 2013 ein Vorsteuerüberhang i.H.v. 599.106,94 € mit ein.
9Die Umsatzsteuererklärungen führten – teilweise nach erteilter Zustimmung – jeweils gemäß § 168 AO zu Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Auf die Umsatzsteuererklärungen wird Bezug genommen.
10Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 6.10.2015 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung (GKBP) K eine steuerliche Außenprüfung bei der Klägerin u.a. betreffend die hier streitige Umsatzsteuer 2010 bis 2014 durch. Der Prüfer hielt seine Feststellungen im Prüfungsbericht vom 4.8.2016 fest, auf den nebst Anlagen Bezug genommen wird.
11Darin stellte er unter anderem hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Organschaft fest, (Tz. 2.) dass aufgrund zwischenzeitlich ergangener Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die A2 GmbH in den Streitjahren nicht finanziell in die Klägerin eingegliedert gewesen sei. Aus verwaltungsökonomischen Gründen bitte er die Klägerin jedoch, erstmals ab dem Jahr 2017 gesonderte Umsatzsteuererklärungen für beide Unternehmen einzureichen.
12Hinsichtlich des Wohnhauses B-Straße b stellte er bezogen auf die Umsatzsteuer fest (Tz. 2.2), dass der steuerpflichtige Ansatz einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 9 UStG nicht möglich sei, da Wohnraum überlassen werde und die Gesellschafterin der Klägerin die Räume nichtunternehmerisch nutze (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG). Analog sei ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 4 UStG nicht möglich.
13Hinsichtlich der Herstellung der Wendehämmer stellte er bezogen auf die Umsatzsteuer fest (Tz. 2.5), dass die Klägerin mit der unentgeltlichen Übertragung der Erschließungsanlagen auf die Stadt G eine unentgeltliche Werklieferung und damit eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG erbracht habe. Nach dem BFH-Urteil vom 13.1.2011 (V R 12/08, BStBI II 2012, 61) sowie Abschnitt 15.15 Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) sei dadurch bereits der Vorsteuerabzug aus den im unmittelbaren und direkten Zusammenhang mit den Erschließungsanlagen stehenden Eingangsleistungen ausgeschlossen. Im Gegenzug entfalle gemäß § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3, Satz 2 UStG eine Wertabgabenbesteuerung.
14Der Beklagte erließ mit Datum vom 17.10.2016 dem Prüfungsbericht folgend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Die darin enthaltenen Vorbehalte der Nachprüfung hob er jeweils auf.
15Mit Schreiben vom 7.11.2016 legte die Klägerin Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2013 ein, in denen sie sich gegen die Feststellungen zu Tz. 2.2 sowie 2.5 des Prüfungsberichts wandte.
16Mit einem weiteren Schreiben vom 7.11.2016 legte sie aufgrund eines dem Betriebsprüfer unterlaufenen Rechenfehlers Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 2014 ein, dem der Beklagte mit am 16.12.2016 freigegebenem (nicht in den Akten enthaltenen) Änderungsbescheid abhalf.
17Die Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide 2010-2013 wies der Beklagte – neben anderen, hier nicht relevanten Einsprüchen betreffend Feststellungs- und Gewerbesteuermessbescheiden – mit verbundener Einspruchsentscheidung vom 18.7.2017 als unbegründet zurück. Auf die Einspruchsentscheidung wird Bezug genommen. Darin übernahm der Beklagte soweit hier relevant im Wesentlichen die Feststellungen des Betriebsprüfers zu Tz. 2.2 (Wohnhaus) und 2.5. (Wendehämmer). Hinsichtlich der Wendehämmer verwies er zusätzlich noch auf das BMF-Schreiben vom 7.6.2012 (DStR 2012, 1185, unter IV. 2.).
18Gegen diese Einspruchsentscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage, die ursprünglich unter dem Aktenzeichen 4 K .../17 geführt wurde. Mit Beschluss vom 25.10.2017 hat der 4. Senat das Verfahren betreffend die Umsatzsteuer 2010 bis 2013 abgetrennt und das hier streitige Verfahren der Zuständigkeit halber an den 8. Senat verwiesen.
19Über das Verfahren 4 K .../17 betreffend u.a. die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2010 bis 2014 ist noch nicht entschieden. Es ist im Hinblick auf den Ausgang dieses Verfahrens ausgesetzt.
20Die Klägerin trägt vor, sie habe das Wohngrundstück zwangsweise erworben, wodurch es zu ihrem Betriebsvermögen gehöre. Durch die bestehende Baulast sei es ihr nicht möglich gewesen, die für das Unternehmen betriebswirtschaftlich zwingende Erweiterung mit einer neuen Lagerhalle zur Optimierung der betrieblichen Abläufe vorzunehmen, ohne auch das Wohngebäude zu erwerben. Die Lagerflächen auf dem Grundstück B-Straße a seien knapp geworden und eine organisatorische Umstellung der Lagerprozesse sei unumgänglich gewesen. Auf dem Grundstück B-Straße c habe eine neue Lagerhalle mit fahrbaren Regalen entstehen sollen. In den ersten Verhandlungen mit dem Voreigentümer sei das Wohnhaus kein Thema gewesen, weil er dort mit seiner Ehefrau habe weiter wohnen wollen. Wie sich dann herausgestellt habe, wäre dies aufgrund der eingetragenen Baulast nicht zulässig gewesen. Sie hätten daher die Entscheidung getroffen, dass ihre Gesellschafterin in dieses Haus einziehen solle. Nach Auszug des Voreigentümers und seiner Ehefrau habe sie notwenige Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten an dem Wohnhaus vorgenommen. Sie habe das Wohnhaus aber nicht, wie im Prüfungsbericht ausgeführt, speziell für die Zwecke ihrer Gesellschafterin renoviert.
21Die Nutzung des Wohnhauses zu privaten Wohnzwecken durch ihre Gesellschafterin sei für das Unternehmen förderlich. Ihre Gesellschafterin habe ihr privates Wohnhaus verkauft und sei in das strittige Objekt eingezogen, von welchem aus sie nur wenige Meter zum im Dreischichtbetrieb sieben Tage die Woche produzierenden Betrieb gehen müsse und so bei betrieblichen Störungen schnell Entscheidungen treffen könne. Sie sei der Auffassung, dass man ggf. darüber nachdenken könne, ob die Nutzungsüberlassung zu Wohnzwecken an ihre Gesellschafterin umsatzsteuerfrei oder nicht umsatzsteuerbar sei. Ein Vorsteueranspruch bestehe aus ihrer Sicht aber auf jeden Fall, da alle Leistungen von Unternehmern an das Unternehmen geleistet worden seien.
22Hintergrund des Grundstückstauschs und des Baus der Wendehämmer sei gewesen, dass die von der A2 GmbH produzierten ... (hauptsächlich für ...) in Kartons auf Paletten verpackt würden. Zum Weitertransport auf Gabelstaplern in das – neu auf dem Grundstück B-Straße c – geplante Fertigwarenlager hätten die Gabelstapler die Straße B‑Straße überqueren müssen. Daher hätte sie bei der Stadt G angefragt, ob es nicht möglich wäre, das zwischen den Grundstücken B-Straße b, a und c liegende Stück Straße zu erwerben und für den öffentlichen Verkehr zu sperren. Die Stadt G habe dem nur unter der Auflage zugestimmt, dass an den beiden Seiten des gesperrten Straßenstücks ausreichend große Wendeflächen für den öffentlichen Verkehr erstellt würden und sie, die Klägerin, die Kosten für deren Errichtung übernehme.
23Ihr Fall sei zwar nicht eins zu eins mit dem vom EuGH in der Sache C-528/19 entschiedenen Fall vergleichbar. Nach der Auslegung des EuGH erfülle sie jedoch die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug. Sie sei von der Stadt gezwungen worden, die durch den Tausch entstandenen kleinen öffentlichen Flächen zu Wendehämmern auszubauen, damit sie das getauschte Straßenstück für ihre betrieblichen Zwecke nutzen könne. Die Arbeiten zur Erstellung der Wendehämmer seien nicht über das hinausgegangen, was erforderlich gewesen sei, um die Wendehämmer für den öffentlichen Verkehr nutzbar zu machen. Die Kosten dafür seien in die Kalkulation ihrer Produkte eingegangen, so dass sie in den getätigten Ausgangsumsätzen enthalten seien.
24Die Klägerin beantragt,
25unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 18.7.2017, soweit sie hinsichtlich der Umsatzsteuer 2010 bis 2013 ergangen ist, die Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2013 vom 17.10.2016 dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer 2010 um 407,50 €, die Umsatzsteuer 2011 um 14.907,28 € und die Umsatzsteuer 2012 um 1.752,76 € niedriger sowie die Umsatzsteuer 2013 um 143,72 € höher festgesetzt werden.
26Der Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Der Beklagte führt unter Berufung auf die Einspruchsentscheidung aus, die Klägerin habe das zu privaten Wohnzwecken ihrer Gesellschafterin genutzte Wohngebäude nicht für Zwecke ihrer besteuerten Umsätze angeschafft. Ein Vorsteuerabzug sei daher bereits nach § 15 Abs. 1 UStG ausgeschlossen, denn die erbrachten Leistungen seien nicht für das Unternehmen der Klägerin ausgeführt worden.
29Der Vortrag der Klägerin führe auch nicht dazu, dass ein etwaiges betriebliches Interesse am Bezug der Dienstwohnung das private Wohninteresse von Frau A überlagern würde. Der hier zu beurteilende Streitfall sei jedenfalls nicht vergleichbar mit der BFH-Entscheidung vom 30.3.2006 (V R 6/04), denn im dortigen Fall sei dem Geschäftsführer eine Wohnung unentgeltlich überlassen worden, die sich in einem Betriebsgebäude mit einer weiteren Hausmeisterwohnung befunden habe. Zudem habe der Geschäftsführer noch über einen weit entfernten Familienwohnsitz verfügt. Auch das FG München (Urteil vom 17.9.2014, 3 K 1122/14, EFG 2014, 2183) habe den Vorsteuerabzug für den vom Geschäftsführer und seiner Familie unentgeltlich bewohnten Teil eines Wohnhauses versagt. Vorgetragen worden sei dort, der Geschäftsführer müsse aus betrieblichen Gründen in unmittelbarer räumlicher Nähe der Geschäftsräume wohnen, weil sich die Unternehmerin gegenüber ihren Kunden zu einer 24-Stunden-Bereitschaft verpflichtet habe und dafür der Geschäftsführer sofortigen Zugriff auf die ausschließlich in den Geschäftsräumen verfügbaren Daten haben müsse.
30Hinsichtlich der Wendehämmer sei aus seiner Sicht die besondere Situation der Straße B-Straße vor Sperrung für den Durchgangsverkehr beachtlich. Autofahrer, die nach Verlassen der Autobahn (M - G) in Richtung P unterwegs gewesen seien, hätten die Straße B-Straße als „Abkürzung“ genutzt, um schneller in den Ort P zu gelangen. Dadurch sei zu Stoßzeiten während des Berufsverkehrs ein Rückstau vermieden worden, der sich in der Regel am ca. 500m entfernt liegenden Kreisverkehr P gebildet habe. An dem dortigen Kreisverkehr habe die Möglichkeit bestanden, in alle Richtungen u.a. über die L-Straße in den Ort P zu fahren. Durch die von den Autofahrern genutzte(Anlieger‑)Straße B-Straße habe sich aufgrund des Verkehrsaufkommens für den Betrieb der A2 GmbH sowie für die Klägerin ein erhöhtes Gefahrenpotential ergeben, weil die Klägerin aufgrund eines Neubaus einer Lager- und Auslieferungshalle nunmehr gezwungen gewesen sei, Produkte von der einen auf die andere Straßenseite zu bewegen. Auch die Stadt G habe sich veranlasst gesehen, Maßnahmen zu ergreifen, um den (Anlieger-)Bereich verkehrstechnisch zu beruhigen, was auch im Sinne der Klägerin gewesen sei. Erreicht worden sei dies, indem infolge des Grundstücktauschs mit der Klägerin zwei Sackgassen entstanden seien, an deren Endstellen jeweils Wendemöglichkeiten (Wendehämmer) geschaffen worden seien. Die Wendehämmer selbst brächten der Klägerin keinen weiteren Nutzen. Auf der (westlichen) Seite hin zur C-Straße habe die Klägerin ein Rolltor installiert. Auf der (östlichen) Seite hin zur L-Straße habe die Klägerin einen feststehenden Zaun errichtet.
31Er sehe Unterschiede zwischen dem Fall der Klägerin sowie dem der EuGH-Entscheidung in der Sache C-528/19 zugrunde liegenden Sachverhalt. Seiner Ansicht nach erfülle die Klägerin nicht die dort vom EuGH für einen Vorsteuerabzug aufgestellten Voraussetzungen. Aus seiner Sicht lasse sich eine unmittelbare Verbindung der Baumaßnahmen (Wendehämmer) mit dem Betrieb der Klägerin nicht herleiten. Der Betrieb der Klägerin wäre auch ohne die Wendehämmer weiterhin möglich gewesen, d.h. die Wendehämmer seien für den Betrieb nicht unerlässlich, wie es der EuGH (C‑528/19, Rn. 32) fordere. Die Errichtung der Wendehämmer sei allenfalls eine Folgeauswirkung aus dem Erwerb des Straßenabschnitts gewesen. Die Klägerin habe die Wendehämmer für die Nutzung durch die Öffentlichkeit und gerade nicht für unternehmenseigene Belange hergestellt und nutzbar gemacht.
32Dass die Kosten für die Wendehämmer auch in den Ausgangsumsätzen enthalten seien (vergl. Rn. 33 des EuGH-Urteils), wie es die Klägerin behaupte, sei fragwürdig. Es bleibe auch unklar, wie die Klägerin dies nachweisen könne. Da die Klägerin die Gebäudeteile im Rahmen einer bestehenden Betriebsaufspaltung vermiete, müssten die Kostenelemente seines Erachtens in der Kalkulation der Herstellungskosten der A2 GmbH (hier: ...) eingeflossen sein. Ob und in welcher Höhe das tatsächlich und auch nachvollziehbar erfolgt sei, habe die Klägerin nicht weitergehend erläutert.
33Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Schreiben vom 7.1.2021, 11.2.2021 und 24.2.2021 auf verschiedene Punkte, insbesondere auf Bedenken hinsichtlich der den Bescheiden zugrunde gelegten Organschaft, auf das Urteil des EuGH vom 16.9.2020 (C-528/19, UR 2020, 840), auf das Urteil des BFH vom 12.1.2011 (XI R 10/08, BFH/NV 2011, 860) hingewiesen. Auf die Schreiben wird Bezug genommen.
34Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.4.2021 wird verwiesen.
Die Klage ist teilweise zulässig und, soweit sie zulässig ist, teilweise begründet.
36I.
37Die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 ist unzulässig.
38Unabhängig davon, ob der Senat dem Begehren der Klägerin folgend den Vorsteuerabzug hinsichtlich des Wohnhauses (für 2012: 3.880,69 € und für 2013: 2.693,52 €) gewähren würde und auch unabhängig vom Ansatz einer unentgeltlichen Wertabgabe für die Nutzung des Wohnhauses zu privaten Wohnzwecken der Gesellschafterin der Klägerin wären die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 zu Lasten der Klägerin zu ändern.
39Denn der Beklagte hat die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide unter Berücksichtigung einer mangels finanzieller Eingliederung tatsächlich nicht existierenden umsatzsteuerlichen Organschaft zwischen der Klägerin als Organträgerin und der A2 GmbH als Organgesellschaft erlassen.
40Ohne die Organschaft in den Jahren 2012 bis 2013 wären der Klägerin weder die Umsätze noch die Vorsteuerbeträge der A2 GmbH zuzurechnen. Die Vorsteuerüberhänge betrugen insoweit – vor durchgeführter Betriebsprüfung – für das Jahr 2012 476.552,58 € sowie für das Jahr 2013 599.106,94 € und sind durch die Betriebsprüfung jedenfalls nicht wesentlich geschmälert worden.
41Aufgrund des im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots (vergl. Gräber/Ratschow, 9. Aufl. 2019, FGO § 96 Rn. 51) ist der Senat jedoch daran gehindert, eine höhere Steuer festzusetzen.
42II.
43Die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 ist zulässig.
44Auch insoweit liegen die Voraussetzungen für eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin und der A2 GmbH aus den unter I. 1. aufgeführten Gründen nicht vor. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – (vergl. BFH-Urteil vom 12.2.2020, XI R 24/18, BFH/NV 2020, 828 unter B.II.1.A bzw. bei juris Rz. 27 mit weiteren Nachweisen) ist der Senat insoweit jedoch an die vom Beklagten in Übereinstimmung mit der für vor dem 01.01.2012 ausgeführte Umsätze geltenden Übergangsregelung in Abschnitt 2.8 Abs. 5 des Umsatzsteuersteueranwendungserlasses (vergl. BMF-Schreiben vom 05.07.2011, BStBl I 2011, 703) getroffene Billigkeitsentscheidung gebunden.
45III.
46Die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2011 ist teilweise begründet. Die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2010 ist unbegründet.
471.
48Die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2011 ist begründet, soweit der Beklagte den Vorsteuerabzug aus den von der Klägerin im Zuge der Errichtung der Wendehämmer bezogenen Leistungen versagt hat. Im Übrigen ist die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2011 unbegründet.
49a.
50Der Unternehmer ist zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn er Eingangsleistungen für Zwecke seines Unternehmens und damit für seine wirtschaftliche Tätigkeit bezieht (BFH-Urteil vom 13.1.2011, V R 12/08, BStBl II 2012, 61).
51Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet.
52Diese Vorschriften beruhen auf Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL – (bis Ende des Jahres 2006 geregelt in Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG), wonach der Steuerpflichtige (Unternehmer), der Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt ist, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen.
53Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des BFH muss grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann. Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und sie Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (z.B. EuGH-Urteil vom 14.9.2017, C-132/16, UR 2017, 928, Iberdrola, EU:C:2017:683, Rn 28 und 29; EuGH-Urteil vom 16.9.2020 C-528/19, UR 2020, 840, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, EU:C:2020:712, Rn 26 und 27; BFH-Urteil vom 13.1.2011, V R 12/08, BStBl II 2012, 61).
54Der Unternehmer ist somit zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen und damit für seine wirtschaftlichen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen (wirtschaftliche Tätigkeiten) zu verwenden beabsichtigt (EuGH-Urteil vom 13.3.2008, C- 437/06, Securenta, EU:C:2008:166; BFH-Urteil vom 6.5.2010, V R 29/09, BStBl II 2010, 885).
55Eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug besteht nach derzeit ständiger Rechtsprechung des BFH allerdings nicht, soweit der Unternehmer bei Leistungsbezug eine Verwendung für einen unentgeltlichen Umsatz und damit für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit beabsichtigt, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt (BFH, Urteil vom 13.1.2011, V R 12/08, BStBl II 2012, 61; BFH, EuGH-Vorlage vom 13.3.2019, XI R 28/17, UR 2019, 580, Rn 28). Nach dieser BFH-Rechtsprechung wäre z.B. die Klägerin in dem vom BFH dem EuGH vorgelegten Fall nicht zum Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen zur Herstellung einer Gemeindestraße, die sie im Anschluss unentgeltlich auf die Gemeinde übertragen wollte, berechtigt (BFH, EuGH-Vorlage vom 13.3.2019, XI R 28/17, UR 2019, 580, Rn 29 ff). Der BFH hatte jedoch Zweifel, ob diese Rechtsprechung noch mit den Regelungen der MwStSystRL vereinbar ist und hat die Sache dem EuGH vorgelegt (BFH, EuGH-Vorlage vom 13.3.2019, XI R 28/17, UR 2019, 580)
56Der EuGH hat in seinem auf die EuGH-Vorlage hin ergangenen Urteil vom 16.9.2020 (C-528/19, UR 2020, 840, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, EU:C:2020:712) jedoch entschieden, dass Art. 17 Abs. 2 Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen ist, dass ein Steuerpflichtiger zumindest dann ein Recht auf Abzug der Vorsteuer für die zugunsten einer Gemeinde durchgeführten Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße hat, wenn diese Straße sowohl von diesem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch von der Öffentlichkeit benutzt wird, soweit diese Ausbauarbeiten nicht über das hinausgingen, was erforderlich war, um diesem Steuerpflichtigen zu ermöglichen, seine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben, und ihre Kosten im Preis der von diesem Steuerpflichtigen getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind.
57aa.
58Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Beklagte zu Unrecht den Vorsteuerabzug aus den mit der Errichtung der Wendehämmer in Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen i.H.v. 7.689,88 € abgelehnt.
59Abweichend von dem der EuGH-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem die Klägerin die errichtete Erschließungsanlage (Zufahrtstraße) unmittelbar für die unternehmerische Tätigkeit benutzen wollte, liegt bei der Klägerin zwar nur ein mittelbarer Bezug der errichteten Erschließungsanlage (Wendehämmer) zur unternehmerischen Tätigkeit vor. Der Senat hält die Entscheidung des EuGH (Urteil vom 16.9.2020 C‑528/19, UR 2020, 840, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, EU:C:2020:712) aber für über den entschiedenen Einzelfall hinausgehend bedeutsam (ähnlich auch Prätzler, jurisPR-SteuerR 11/2021 Anm. 5) und ist der Auffassung, dass nach den Grundsätzen der EuGH-Entscheidung auch in dem hier zu entscheidenden Fall des mittelbaren Zusammenhangs zwischen der Erschließungsmaßnahme (Wendehämmer) und der unternehmerischen Nutzung der Teilfläche 1 nach Übertragung an die Gemeinde der Vorsteuerabzug gewährt werden kann.
60Die Klägerin musste nach vom Beklagten nicht angegriffenen Vortrag ihr – aufgrund der im Streitjahr bestehenden Organschaft mit der A2 GmbH als solches zu berücksichtigendes – Fertigungsgelände aus unternehmerischen Gründen erweitern. Dies konnte sie am Standort nur durch Erwerb des über die Straße B-Straße hinweg gegenüberliegenden Grundstücks B-Straße c eines ehemaligen ...betriebs erreichen. Um das dort geplante Lagergebäude in einen reibungslosen Ablauf einzubeziehen, benötigte die Klägerin darüber hinaus die Teilfläche 1, den zwischen den beiden Grundstücken B‑Straße a und c liegenden öffentlichen Straßenabschnitt. Nur so konnte sie die beiden Grundstücke sinnvoll miteinander verbinden, was bei einem ständigen Überqueren einer durch den öffentlichen Verkehr genutzten Straße nicht möglich gewesen wäre. Die Klägerin wollte die Wendehämmer, durch die der öffentliche Verkehr auf der Teilfläche 1 abgeschnitten wurde, zwar selbst nicht nutzen, musste aber ihre Errichtung zusagen, um die Gemeinde zur Übertragung der zur unternehmerischen Nutzung gedachten und notwendigen Teilfläche 1 zu bewegen.
61Die Ausbauarbeiten der Wendehämmer gingen auch nicht über das hinaus, was erforderlich war, um der Klägerin zu ermöglichen, ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu entfalten. Denn die Aufwendungen der Klägerin hielten sich zum einen mit 39.800 € netto zzgl. Nebenkosten im Rahmen der im Vertrag mit der Stadt G vorhergesehenen Aufwendungen und waren zum anderen notwendig, um die Stadt G zum Abschluss des Tauschvertrags zu bewegen.
62Zudem sind die von der Klägerin verausgabten Kosten für die Errichtung der Wendehämmer als mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin verbundene Allgemeinkosten in die Ausgangsumsätze der Klägerin – im Streitjahr bezogen auf die Organschaft unter Einbeziehung der Ausgangsumsätze der A2 GmbH – eingeflossen.
63bb.
64Die Klägerin hat auch keine unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern.
65Nach der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 16.9.2020 C-528/19, UR 2020, 840, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, EU:C:2020:712) liegt dann keine zu versteuernde unentgeltliche Wertabgabe vor, wenn ein unversteuerter Letztverbrauch nicht zu befürchten ist. Das ist nach Randnummer 37 des EuGH-Urteils u.a. („jedenfalls“) dann der Fall, wenn die für den Ausbau der Erschließungsanlage entstandenen Kosten mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmers als Steuerpflichtiger in Verbindung gebracht werden können, so dass sich diese Ausgaben nicht auf Tätigkeiten beziehen, die von der Steuer befreit sind oder außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer liegen.
66Das ist vorliegend der Fall. Die Kosten können, wie unter III. 1. a. aa. dargelegt, mit der im Streitjahr der Klägerin zuzurechnenden wirtschaftlichen Tätigkeit der A2 GmbH in Verbindung gebracht werden.
67b.
68Der Beklagte hat rechtmäßig den in Zusammenhang mit dem Wohnhaus auf dem Grundstück B-Straße b geltend gemachten Vorsteuerabzug für 2011 abgelehnt.
69Hinsichtlich der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG wird auf die unter III. 1. a. dargelegten Grundsätze verwiesen.
70Ergänzend hat der BFH entschieden, dass ein einer Gesellschaft (im dort entschiedenen Fall einer GmbH) gehörendes Wohnhaus, das ausschließlich unentgeltlich durch die Gesellschafter zu deren privaten Wohnzwecken genutzt wird, nicht für Zwecke der besteuerten Umsätze der Gesellschaft angeschafft worden ist. Da in einem solchen Fall auch keine sogenannte gemischte Nutzung vorliegt, kann auch kein Zuordnungswahlrecht bestehen (BFH-Urteil vom 12.1.2011, XI R 10/08, BFH/NV 2011, 860 m.w.N.).
71Ausgehend von diesen Grundsätzen steht der Klägerin der im Zusammenhang mit dem Wohnhaus geltend gemachte Vorsteuerabzug i.H.v. 7.217,40 € im Streitjahr 2011 nicht zu.
72Denn die Klägerin hatte nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats von vorherein die Absicht, das Wohnhaus ihrer Gesellschafterin unentgeltlich für private Wohnzwecke zu überlassen. Die Gesellschafterin hat das Grundstück zwar erst ab 2012 tatsächlich zu privaten Wohnzwecken genutzt. In ihrem Schriftsatz vom 9.2.2021 hat die Klägerin jedoch eingeräumt, dass die Absicht zur privaten Nutzung bereits während der Vertragsverhandlungen über den Kauf der Grundstücke gefällt wurde, also bereits bei Erwerb des Objekts bestand.
73Der Senat ist sich dabei bewusst, dass sich die Klägerin – wie bei dem unter III. 1. a. aa. behandelten Bau der Wendehämmer – auch insoweit dazu gezwungen gesehen hat, für die Ermöglichung der unternehmerisch gebotenen Erweiterung auf das Grundstück B-Straße c auch das mit dem Wohnhaus bebaute Grundstück B-Straße b zu erwerben.
74Die Klägerin hat das Wohnhaus in dem einheitlichen notariellen Vertrag von den vorherigen Betreibern des ...betriebs erworben. Der Erwerb des angrenzenden Grundstücks (B-Straße c) war ihr nicht ohne das Objekt B-Straße b möglich. Auf dem Grundstück B‑Straße c hat die Klägerin eine Lagerhalle erbaut, die sie an die A2 GmbH verpachtet. Eine Trennung dieser beiden Objekte war aufgrund der im Grundbuch enthaltenen Zusatzregelung nicht ohne weiteres möglich. Theoretisch hätten die beiden Objekte zwar getrennt werden können, wenn entweder der Verkäufer bzw. die Klägerin das Wohnhaus abgerissen hätte. Da in dem Wohnhaus der wesentliche Wert der Grundstücke steckte, ist es jedoch naheliegend, dass der Verkäufer dies nicht gemacht bzw. den Verkaufspreis trotzdem nicht gemindert hätte. Für die Klägerin hätte der Abriss hohe Anschaffungskosten für relativ wenig Grund und Boden bedeutet. Es wären 350.000 € mehr Anschaffungskosten nur für das kleine Grundstück bzw. für ein etwas größeres Lagergrundstück angefallen.
75Es ergibt sich durch die Versagung des Vorsteuerabzugs kein Wertungswiderspruch. Im Falle des Wohnhauses würde der vom EuGH als Kriterium für den Ansatz einer unentgeltlichen Wertabgabe angeführte „unversteuerte Letztverbrauch“ (EuGH-Urteil vom 16.9.2020 C-528/19, UR 2020, 840, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, EU:C:2020:712, Rn. 37) in Form der Nutzung zu Wohnzwecken durch die Gesellschafterin der Klägerin drohen. Das würde auch für den Fall gelten, dass die Klägerin das Wohnhaus – gemäß § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG – umsatzsteuerfrei an ihre Gesellschafterin vermietet hätte.
76Der Umstand, dass die Gesellschafterin mit dem Wohnhaus auf dem Betriebsgelände in der Lage war bzw. sein würde, schneller bei Problemen im Produktionsablauf zu reagieren, tritt hinter dem privaten Bedürfnis zu wohnen zurück, zumal die Klägerin das Wohnhaus als alleiniges Wohnhaus nutzen wollte und das später auch getan hat. Ihr bisheriges Wohnhaus hat sie verkauft.
772.
78Die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid 2012 ist unbegründet.
79Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat den im Zusammenhang mit dem Wohnhaus auf dem Grundstück B-Straße b geltend gemachten Vorsteuerabzug i. H. v. 407,51 € zu Recht abgelehnt.
80Zur Begründung wird auf die oben unter III. 1. b. dargelegten Gründe verwiesen.
81IV.
82Die festzusetzende Umsatzsteuer 2011 berechnet sich wie folgt:
83mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.10.2016 festgesetzt - 446.078,70 €,
84zusätzliche Vorsteuer (Wendehämmer) - 7.689,88 €,
85geändert festzusetzende Umsatzsteuer 2011 - 453.768,58 €.
86Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.
87Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von der zum Zeitpunkt der Entscheidung veröffentlichten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 13.1.2011, V R 12/08, BStBl II 2012, 61) ab. In dem Verfahren, zu dem der Bundesfinanzhof das Vorabentscheidungsersuchen C – 528/19 gestellt hat (nach Aussetzung vergebenes neues Aktenzeichen XI R 26/20), ist zum Zeitpunkt des vorliegenden Urteils noch keine Entscheidung ergangen oder veröffentlicht.