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1. Der Bescheid über Umsatzsteuer 2010 vom 08.04.2021 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2016 in der Weise geändert, dass die Umsatzsteuer um 159.265,07 € niedriger festgesetzt wird.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.3. Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Streitig sind die umsatzsteuerlichen Folgen im Zusammenhang mit dezentral verbrauchtem Strom aus einem Blockheizkraftwerk.
3Die Klägerin, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die wegen der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens als gemeinnützig anerkannt ist, erbaute im Jahr ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Strom- und Wärmeerzeugung. Einen Vorsteuerabzug hieraus machte sie nicht geltend. Das BKHW war an das eigene Stromnetz der Klägerin auf ihrem Gelände (sog. Kundenanlage) angeschlossen. Die Kundenanlage wiederum war mit dem allgemeinen Stromversorgungsnetz des Stromnetzbetreibers A GmbH verbunden.
4Mit Vertrag vom ....03.2010, der als Pachtvertrag überschrieben war, traf sie mit ihrer Enkelgesellschaft, der B GmbH, Regelungen über den Betrieb des BHKW (vgl. Pachtvertrag vom ....03.2010, BP-Handakte Band V, Lasche BHKW). Die Einnahmen aus diesem Vertrag i.H.v. € pro Jahr („Pachtzins“, vgl. § 6 Nr. 2 des Pachtvertrags) erfasste die Klägerin im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb „Leistungen an die B GmbH“.
5Die im Jahr 2009 gegründete B GmbH hatte nach der Vereinbarung über die Übertragung des technischen und kaufmännischen Energiemanagements vom ....08.2009 und dem Energieliefervertrag (ebenfalls vom ....08.2009; vgl. BP-Handakte Band V, Lasche BHKW) die Energieversorgung für die Klägerin übernommen. Dies beinhaltete die umfassende Versorgung der Klägerin mit Strom, Fernwärme (Wärme/Kälte) sowie Gas. Die von ihr eingekaufte Energie berechnete die B GmbH der Klägerin entsprechend der Regelungen in § 5 des Energieliefervertrags in Höhe der eigenen Aufwendungen zuzüglich einer Marge. § 5 Abs. 3 enthielt darüber hinaus die Absichtserklärung, zukünftig einen wesentlichen Teil des Energiebedarfs über eigene BHKW zu decken und in der Folge die Preisabsprachen neu auszuhandeln.
6Der im BHKW erzeugte Strom wurde von der Klägerin nahezu vollständig (dezentral) selbst verbraucht. Eine Einspeisung in das Netz des Stromnetzbetreibers A GmbH erfolgte unstreitig nicht. Selbst zum Zeitpunkt der geringsten Grundlast war – nach den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung – der Strombedarf der Klägerin fast doppelt so hoch wie die durch das BHKW erzeugte Strommenge.
7An die Kundenanlage der Klägerin waren wenige Dritte wie z.B. ... zuzuordnende Gebäude angeschlossen. Die von diesen Dritten benötigten Strommengen waren vergleichsweise gering. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin durchgängig neben dem im BHKW erzeugten Strom zusätzlich eingekauften Strom (in nennenswertem Umfang) benötigte, wurde bei den Dritten eine Belieferung mit eingekauftem Strom zu Grunde gelegt (z.B. auch für Zwecke der Stromsteuer).
8Für den dezentral verbrauchten Strom stellte die Klägerin für das Streitjahr 2010 die im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) vorgesehenen Zuschläge (§ 4 Abs. 3a KWKG i.d.F.v. 25.10.2008, nachfolgend KWKG 2009) gegenüber dem Stromnetzbetreiber A GmbH in Rechnung (382.361,13 € zzgl. 72.648,61 € UStG = 455.009,74 €, vgl. Rechnung vom 16.05.2013, Band V BP-Akte). Einen zugrunde liegenden Vertrag gab es nach den Angaben der Klägerin nicht, sondern nur ein sog. Freigabeschreiben zur Rechnungsstellung (vgl. E-Mail von Herrn M vom .2012, C Einspeiserbetreuung, Band V BP-Akte, Lasche BHKW). Sonstige Abrechnungen durch die Klägerin, die B GmbH oder den Stromnetzbetreiber erfolgten nicht.
9Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung D (BP) führte u.a. für das Streitjahr 2010 eine Betriebsprüfung durch. Hinsichtlich des im BHKW erzeugten Stroms ging die BP unter Anwendung der Grundsätze in Abschn. 2.5 UStAE von fiktiven Hin- und Rücklieferungen aus (vgl. Tz. 2.10 BP-Bericht vom 02.09.2015, Band VI BP-Akte). Nach dieser Regelung im Anwendungserlass werde zunächst eine fiktive Lieferung des Stroms vom Anlagenbetreiber an den Stromnetzbetreiber unterstellt, wobei als Bemessungsgrundlage der üblicherweise anfallende Marktpreis zzgl. der im KWKG vorgesehenen Zuschläge und ggf. der sog. vermiedenen Netznutzungsentgelte (Vergütung für den Teil der Netznutzungsentgelte, der durch die dezentrale Einspeisung durch die KWK-Anlage vermieden wird) herangezogen werde. Anschließend werde eine Rücklieferung des Stroms durch den Stromnetzbetreiber an den Anlagenbetreiber unterstellt, wobei als Bemessungsgrundlage der übliche Strompreis ohne Berücksichtigung des durch den Netzbetreiber zu zahlenden KWK-Zuschlags zu Grunde gelegt werde.
10Die BP nahm eine solche fiktive Strom-Lieferung an die A GmbH als Netzbetreiber an. Ausgehend von der Strommenge, für die die Klägerin den Zuschlag abgerechnet hatte, schloss sie auf die Menge des dezentral verbrauchten Stroms in den einzelnen Jahren und unterwarf diese 2010 (sowie 2011 und 2012) der Umsatzsteuer. Als Bemessungsgrundlage zog sie die durchschnittlich an der Strombörse EEX zu zahlenden Preise sowie ersparte Netznutzungsentgelte heran. Für 2010 errechnete die BP eine Bemessungsgrundlage i.H.v. 838.237,22 €. Die Umsatzsteuer belief sich auf 159.265,07 €.
11Als fiktiv liefernden Unternehmer qualifizierte die BP die B GmbH, da diese das BHKW von der Klägerin gepachtet habe. Etwaig abzuziehende Vorsteuern aus der fiktiven Rücklieferung (soweit sie dem steuerpflichtigen Bereich zugeordnet werden könnten) berücksichtigte die BP bereits mangels entsprechender Rechnungen des Netzbetreibers nicht.
12Infolge der zwischen den Beteiligten unstreitigen Organschaft zwischen der Klägerin und der B GmbH wurden die Umsätze der B GmbH als Organgesellschaft bei der Klägerin als Organträgerin berücksichtigt.
13Der Beklagte schloss sich dieser Sichtweise an und unterwarf die von der BP im Zusammenhang mit dem BHKW errechneten zusätzlichen Umsätze im geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 16.11.2015 der Besteuerung.
14Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Entscheidung vom 11.10.2016 als unbegründet zurück. Die zivilrechtliche Lieferfiktion für nach dem KWKG geförderten, jedoch nicht ins allgemeine Stromnetz eingespeisten Stroms ergebe sich aus der Vorschrift des § 3 Abs. 3a S. 1 KWKG 2012 i.V.m. § 3 Abs. 3 S. 1 KWKG 2012. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung sei diese Lieferfiktion auch für Zwecke der Umsatzsteuer zu berücksichtigen.
15Der die Verwaltung bindende UStAE (Abschnitt 2.5 Abs. 17 S. 3, 4 UStAE) sei insoweit eindeutig.
16Soweit sich die Klägerin auf eine objektiv ungleiche umsatzsteuerliche Behandlung von Anlagenbetreibern, welche eine Förderung nach KWKG in Anspruch nähmen und Anlagenbetreibern, welche keine solche Förderung erhielten, stütze, habe sie damit keinen Erfolg. Zwar liege eine ungleiche Behandlung vor. Sie sei jedoch nicht rechtswidrig. Diesbezüglich lägen zwei ungleiche Sachverhalte vor, die sich hinsichtlich der Bezuschussung durch und die damit verbundene vorhandene Beziehung zum Netzbetreiber unterscheiden würden. Eine ungleiche Behandlung sei damit zulässig.
17Die hiergegen erhobene Klage begründet die Klägerin damit, dass es bei der Festsetzung der Umsatzsteuer auf den dezentralen Stromverbrauch an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehle.
18In Betracht käme allein der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 UStG. Danach müsse ein Unternehmer, vorliegend sie, die Klägerin, dem Leistungsempfänger willentlich die Verfügungsmacht an einem Gegenstand (Strom) verschaffen. Verschaffung der Verfügungsmacht meine in objektiver Hinsicht, dass dem Leistungsempfänger dauerhaft Substanz, Wert und Ertrag des Gegenstands zugewendet würde. Subjektiv setze die Verschaffung der Verfügungsmacht einen entsprechenden Willen zur dauerhaften Verschaffung von Substanz, Wert und Ertrag des Gegenstands voraus. Daran fehle es im hier streitigen Sachverhalt.
19Nach § 4 KWKG in der im Streitjahr geltenden Fassung bestehe zwischen Anlagenbetreiber und Netzbetreiber ein gesetzliches Schuldverhältnis. Für den Netzbetreiber ergebe sich hieraus die Pflicht, den in der KWK-Anlage erzeugten Strom vorrangig abzunehmen und den abgenommenen Strom zu vergüten. Die Vergütung umfasse auch den KWK-Zuschlag.
20Im Fall des dezentral verbrauchten Stroms werde der erzeugte Strom indes nicht in das Netz für die allgemeine Versorgung eingespeist, so dass schon objektiv keine Verschaffung der Verfügungsmacht vorliege. Sie, die Klägerin, verschaffe dem Netzbetreiber keine Zugriffsmöglichkeit auf den von ihr erzeugten und von ihr auch vollständig selbst verbrauchten Strom. Zudem habe sie keinen entsprechenden Willen, dem Netzbetreiber die Verfügungsmacht an dem Strom zu verschaffen, da sie diesen selbst verbrauchen wolle. Selbst wenn man von einer Einspeisung des Stroms ausgehen würde, würde dieser in der gleichen logischen Sekunde wieder entnommen. Ein im Zeitpunkt der Lieferung nicht mehr vorhandener Gegenstand könne im umsatzsteuerrechtlichen Sinn nicht geliefert werden.
21Im Ergebnis gehe davon auch der Beklagte aus, da er eine Lieferfiktion annehme.
22Eine Rechtsgrundlage lasse sich auch nicht aus den unionsrechtlichen Vorgaben, namentlich der MwStSystRL herleiten. Zwar enthalte Art. 14 MwStSystRL in Abs. 2 Tatbestände, in denen eine Lieferung fingiert werde. Die dort aufgeführten Tatbestände seien indes abschließend, eine Lieferfiktion im Fall des dezentralen Stromverbrauchs enthalte die Vorschrift nicht.
23Abschnitt 2.5 Abs. 17 UStAE stelle keine taugliche Rechtsgrundlage für die Besteuerung dar. Die Steuerfestsetzung verstoße daher gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung nach § 85 S. 1 AO, der für den Bereich der Abgabenverwaltung den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) konkretisiere. Danach hätten die Finanzbehörden Steuern nach Maßgabe der Gesetze festzusetzen. Gesetz sei nach § 4 AO jede Rechtsnorm. Rechtsnormen umfassten Gesetze im materiellen Sinn, d. h. formelle Gesetze, aber auch Verordnungen. Bei den Bestimmungen des UStAE handele es sich jedoch um sogenannten norminterpretierende Verwaltungsvorschriften, denen nach der Rechtsprechung des BFH keine Rechtsnormqualität zukomme und die Finanzgerichte nicht binden würden (vgl. BFH-Urteil vom 21.02.2013, V R 27/11, DStR 2013, 1081).
24Selbst wenn man von einer tauglichen Rechtsgrundlage ausginge, sei Abschnitt 2.5 Abs. 17 UStAE widersprüchlich. Denn danach seien Hin- und Rücklieferungen nur dann anzunehmen, wenn man für den dezentralen Verbrauch des Stroms einen Zuschlag nach dem KWKG erhalte. Derselbe Lebenssachverhalt werde unterschiedlich gewürdigt, in Abhängigkeit davon, ob der Anlagenbetreiber eine finanzielle Förderung nach KWKG in Anspruch nehme oder nicht. Die Besteuerung hinge damit von der Wahlmöglichkeit des Steuerpflichtigen ab, was systemwidrig sei. Die Fiktion werde zudem der Interessenlage zwischen Anlagenbetreiber und Netzbetreiber nicht gerecht, die gerade gegen eine Übertragung der Verfügungsmacht auf den Netzbetreiber und der quasi gleichzeitigen Rückübertragung der Verfügungsmacht vom Netzbetreiber auf den Anlagenbetreiber spreche. Anders als im Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG) sei zudem eine kaufmännisch-bilanzielle Einspeisung im KWKG nicht vorgesehen. Auch insoweit scheide die Annahme eines bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses im Fall von BHKW aus.
25Unzutreffend sei darüber hinaus, dass der Beklagte die fiktive Stromlieferung auf der Ebene der B GmbH annehme. Denn Betreiber des BHKW sei trotz des Pachtvertrags sie, die Klägerin. Ihr gegenüber sei der BAFA- Zulassungsbescheid für die KWK-Anlage ergangen. Die B GmbH sei als sogenannter Betriebsführer/Dienstleister anzusehen, nicht jedoch als Betreiber des BHKW. Auch aus den Formulierungen im sog. „Pachtvertrag“ ließen sich keine andere Schlussfolgerungen ziehen. Sollten die Vertragsgrundlagen sowie vom Beklagten erwähnter Schriftverkehr etwas irreführend sein, hänge dies damit zusammen, dass die beteiligten Personen juristische Laien seien.
26Die Klägerin beantragt,
27den Bescheid über Umsatzsteuer 2010 vom 08.04.2021 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 11.10.2016 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 159.265,07 € niedriger festgesetzt wird,
28hilfsweise, die Revision zuzulassen.
29Der Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen,
31hilfsweise, die Revision zuzulassen.
32Ergänzend zur Einspruchsentscheidung weist er darauf hin, dass sich die Betreiberstellung der B GmbH aus dem Pachtvertrag ergebe. Die von der B GmbH jährlich gezahlte Pacht i.H.v. € sei von der Klägerin im entsprechenden wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb als Einnahme erklärt worden. Bei der B GmbH dürften diese Zahlungen ebenso wie in den Jahren 2013 - 2015 auch im Jahr 2010 als Betriebsausgabe zum Abzug gebracht worden sein. Auch aus diversen Schreiben zwischen Herrn P (Steuerberater der Klägerin, Abteilung Rechnungswesen) und Herrn F, Mitarbeiter der B GmbH, ließe sich entnehmen, dass das BHKW von der B GmbH betrieben worden sei (vgl. BP-Handakte Band V, Lasche BHKW).
33Zudem seien zwecks Abrechnung über die KWK-Zulage gegenüber der A GmbH der Klägerin von der B GmbH die testierten Strommengen und eine Excel-Tabelle zur Verfügung gestellt worden. Ferner ergebe sich aus den Unterlagen, dass die vom BHKW erzeugte Wärme der Klägerin vollumfänglich in Rechnung gestellt worden sei.
34Der Umsatzsteuerbescheid 2010 ist mit Datum vom 08.04.2021 im Hinblick auf das vorliegende Verfahren nicht betreffende Aspekte geändert worden.
35Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die FG-Akte sowie die Akten des Beklagten und der GKBP verwiesen.
36Entscheidungsgründe
37I. Die Klage ist begründet.
38Der Umsatzsteuer-Bescheid 2010 vom 08.04.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Zu Unrecht ist der Beklagte hinsichtlich des dezentral von der Klägerin verbrauchten Stroms von umsatzsteuerlich relevanten Leistungen gegenüber dem Netzbetreiber A GmbH ausgegangen. Keine der gesetzlich geregelten Leistungsalternativen ist erfüllt, und zwar weder bei der Klägerin noch bei ihrer Organtochter B GmbH.
391. Durch die Erzeugung von Strom im BHKW und den dezentralen Verbrauch in der Kundenanlage der Klägerin erfolgt keine Lieferung von Strom an den Netzbetreiber A GmbH.
40a) Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Die Regelung setzt Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) in nationales Recht um, wonach es für die Lieferung auf die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, ankommt.
41Hiervon ist bei der Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag auszugehen, die allerdings häufig mit dem bürgerlich-rechtlichen Eigentum verbunden ist (vgl. BFH-Urteile vom 24.10.2013, V R 17/13, BStBl. II 2015, 513; vom 09.09.2015, XI R 21/13, BFH/NV 2016, 597; vom 06.04.2016, V R 12/15, BStBl. II 2017, 188; vom 11.03.2020, XI R 38/18, BFH/NV 2020, 1217; zum Begriff "Lieferung eines Gegenstands" in Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL vgl. z.B. EuGH-Urteile Shipping and Forwarding Enterprise Safe vom 08.02.1990 - C-320/88, EU:C:1990:61, UR 1991, 289, Rz 7 f.; NLB Leasing vom 02.07.2015 - C-209/14, EU:C:2015:440, HFR 2015, 819, Rz 29; PPUH Stehcemp vom 22.10.2015 - C-277/14, EU:C:2015:719, HFR 2015, 1182, Rz 44, jeweils m.w.N.).
42Ob die Verfügungsmacht in diesem Sinne übertragen wird, richtet sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Einzelfalls, d.h. den konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlicher Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten (vgl. BFH-Urteile vom 09.09.2015, XI R 21/13, BFH/NV 2016, 597; vom 06.04.2016, V R 12/15, BStBl. II 2017, 188; vom 11.03.2020, XI R 38/18, BFH/NV 2020, 1217).
43b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist nicht von einer Übertragung der Verfügungsmacht auf den Netzbetreiber A GmbH auszugehen.
44Strom ist zwar grundsätzlich ein Gegenstand, der geliefert werden kann. Denn nach der Rechtsprechung des BFH werden mit dem Wort "Gegenstand" in § 3 Abs. 1 UStG sowohl "Sachen" (körperliche Gegenstände, § 90 BGB) als auch Wirtschaftsgüter erfasst, die im Verkehr wie körperliche Sachen behandelt werden, z.B. der elektrische Strom, die Wasserkraft und der Firmenwert (Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL, vgl. nur BFH-Urteil vom 31.05.2017, XI R 2/14, BStBl. II 2017, 1024 m.w.N.).
45Auch steht einer Verschaffung der Verfügungsmacht nicht die fehlende physische Verbindung zum Netzbetreiber entgegen, da die Kundenanlage der Klägerin an das Netz der A GmbH angeschlossen ist. Außerdem besteht zwischen dem Betreiber eines BHKW (einer KWK-Anlage) und dem Netzbetreiber ein sich aus dem KWKG ergebendes gesetzliches Schuldverhältnis. Der Netzbetreiber, an den die KWK-Anlage angeschlossen ist, ist verpflichtet, den in dieser Anlage erzeugten Strom vorrangig abzunehmen und zu vergüten (§ 4 Abs. 1, 3 KWKG 2009; vgl. Salje in Hempel/Franke, Recht der Energie und Wasserversorgung, Band 2, § 4 KWKG, Rz. 45, 61).
46Allerdings wird der im BHKW erzeugte Strom vorliegend gerade nicht in das Netz der A GMBH eingespeist. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und konnte anhand der in der mündlichen Verhandlung näher erläuterten Differenz zwischen minimaler Grundlast der Klägerin (6,5 MW) und der gleichzeitig im BKHW erzeugten Strommenge (3,3 MW) nachvollziehbar dargelegt werden. Die fehlende Einspeisung des Stroms stimmt zudem mit der Systematik der vorliegend zur Anwendung gelangten Regelung in § 4 Abs. 3a KWGK 2009 überein. Anders als § 4 Abs. 3 KWKG 2009, der die Vergütung für aufgenommenen Strom enthält und in diesem Fall einen vereinbarten Preis plus Zuschlag vorsieht, ist nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 der Netzbetreiber im Fall der fehlenden Einspeisung in das Netz zur allgemeinen Stromversorgung nur zur Entrichtung des Zuschlags verpflichtet. Für den von der Klägerin dezentral verbrauchten Strom hat die A GmbH unstreitig nur den Zuschlag nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 ausgezahlt.
47Infolge der fehlenden Einspeisung des Stroms in das allgemeine Stromnetz werden weder Substanz, noch Wert oder Ertrag des im BHKW erzeugten und dezentral verbrauchten Stroms auf die A GmbH übertragen. Weder die bloße Möglichkeit, dass im BHKW erzeugter Strom infolge des Netzanschlusses eingespeist werden könnte, noch die Verpflichtung der A GmbH zur Zahlung des KWK-Zuschlags nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 ändern hieran etwas. Denn auch diese Umstände begründen keine Übertragung von Substanz, Wert oder Ertrag. Die A GmbH erhält weder auf Grund des Netzanschlusses noch auf Grund ihrer Verpflichtung zur Zahlung des Zuschlags die Befähigung, wie ein Eigentümer über den dezentral verbrauchten Strom zu verfügen. Dies wird auch bei Betrachtung der Regelung in § 4 Abs. 2 KWKG 2009 deutlich, wonach Netzbetreiber den aufgenommenen KWK-Strom verkaufen oder zur Deckung ihres eigenen Strombedarfs verwenden können. Ein solch „aufgenommener Strom“ liegt bei einem dezentralen Stromverbrauch jedoch gerade nicht vor. Dieser sog. „aufgenommene Strom“ nämlich führt zur Vergütung nach § 4 Abs. 3 KWKG 2009, während der nicht eingespeiste, d.h. dezentral verbrauchte Strom die Anwendbarkeit von § 4 Abs. 3a KWKG 2009 nach sich zieht. Aus dieser Zuschlagsregelung wird schließlich deutlich, dass der Wert des Eigenstroms beim Anlagenbetreiber verbleibt, da weder die Zahlung eines „üblichen“ Preises noch des Börsenpreises vorgesehen ist (vgl. Salje in Hempel/Franke, Recht der Energie und Wasserversorgung, Band 2, § 4 KWKG, Rz. 87).
48Schließlich ist auch unter dem Aspekt der sog. „Vertragseinspeisung“, die es in der Stromwirtschaft neben der physikalischen Einspeisung gibt (vgl. Salje in Hempel/Franke, Recht der Energie und Wasserversorgung, Band 2, § 3 KWKG, Rz. 126), vorliegend keine Verschaffung der Verfügungsmacht am dezentral verbrauchten Strom anzunehmen. Bei der sog. Vertragseinspeisung übernimmt der Netzbetreiber die Elek- trizität lediglich „nominell“, obwohl der in der KWK-Anlage erzeugte Strom selbst verbraucht oder Dritten zur Verfügung gestellt wird und damit ein messbarer Lastfluss an der Verbindung von Anschlussleitung und Netz der allgemeinen Versorgung gerade nicht stattfindet. In einer Art Kompensationsgeschäft ging man von einer Rücklieferung der Vertriebsschwester des Netzbetreibers aus. Diese Konstruktion der Vertragseinspeisung versuchte man im Zusammenhang mit dem KWKG fruchtbar zu machen, um Zuschläge nach §§ 7, 5, 4 KWKG a.F. zahlen zu können. Allerdings wurde dies auf Grund der fehlenden Einspeisung als Umgehungsfall angesehen, Zuschläge sollten nicht gezahlt werden dürfen (vgl. Salje in Hempel/Franke, Recht der Energie und Wasserversorgung, Band 2, § 3 KWKG, Rz. 126 m.w.N.). Seit Einführung der Zuschlagsregelung in § 4 Abs. 3a KWKG 2009 kommt es auf diese Wertung nicht mehr an (vgl. Salje in Hempel/Franke, Recht der Energie und Wasserversorgung, Band 2, § 3 KWKG, Rz. 126). Die fehlende Akzeptanz einer Lieferfiktion im Fall der sog. Vertragseinspeisung bei Anwendung des KWKG 2002, die durch die Einführung von § 4 Abs. 3a KWKG 2009 mit einem eigenen Tatbestand behoben wurde, passt dazu, dass bei dem eingefügten Tatbestand ebenfalls umsatzsteuerlich eine Lieferung abgelehnt wird.
49Ein anderes Ergebnis lässt sich letztendlich auch nicht aus der Rechtsprechung des EuGH (Urteil Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr vom 20.06.2013 - Rs. C-219/12, ECLI:EU:C:2013:413) herleiten. In diesem Fall nahm der EuGH zwar eine Lieferung zwischen Anlagenbetreiber und Netzbetreiber an, obwohl der eigene Strombedarf des Anlagenbetreibers größer war als die Menge des selbsterzeugten Stroms. Allerdings handelte es sich um eine sog. netzgeführte Stromerzeugungsanlage (Photovoltaikanlage), bei der der produzierte Strom tatsächlich in das Netz eingespeist wurde und der verbrauchte Strom vom Betreiber des Netzes gekauft wurde (vgl. Wäger, UR 2014, 81 ff.; siehe auch Anm. Sterzinger, UR 2013, 620, 623 ff.).
50Soweit Entscheidungen des BFH im Zusammenhang mit BHKW ergangen sind, lagen – soweit erkennbar – bei den dortigen Sachverhalten tatsächliche Stromlieferungen zu Grunde (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31.05.2017, XI R 2/14, BStBl. II 2017, 1024, im zweiten Rechtszug anhängig unter XI R 17/20, zu KWK-Bonus nach § 8 Abs. 3 EEG 2004) oder das Streitjahr lag vor 2009, so dass sämtliche Beteiligte inklusive der Finanzverwaltung mangels einer Zuschlagszahlung nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 beim dezentralen Stromverbrauch von einer Entnahme ausgingen (vgl. BFH-Urteil vom 12.12.2012, XI R 3/10, BStBl. II 2014, 809; vgl. auch BFH-Urteil vom 18.12.2008, V R 80/07, BStBl. II 2011, 292).
51c) Schließlich ändert auch die Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 14.03.2011 (UR 2011, 325) sowie in Abschn. 2.5 Abs. 7 Satz 3 UStAE (vom 01.10.2010 mit Stand zum 31.12.2011), wonach bei dezentralem Verbrauch von KWK-Strom generell eine Lieferung des Stroms vom Anlagenbetreiber an den Netzbetreiber (und sodann eine Rücklieferung des Netzbetreibers an den Anlagenbetreiber) erfolgt, nichts an diesem Ergebnis. Der erkennende Senat ist weder formell hieran gebunden (aa), noch ändert sich durch ihre Berücksichtigung etwas an der materiellen Auslegung der zu Grunde zu legenden Rechtsnormen (bb).
52aa) Verwaltungsanweisungen (vorliegend o.g. BMF-Schreiben sowie Abschn. 2.5 UStAE) sind grundsätzlich nur mit Innenwirkung für die Verwaltung ausgestaltet. Soweit sie ein Gesetz auslegen, stehen sie Ausführungen in der Fachliteratur gleich (vgl. Drüen in: Tipke/Kruse, AO, FGO, § 4 AO, Rn. 84). Sie sind keine Rechtsnormen i.S. eines Gesetzes, wie dies § 4 AO versteht, sondern vielmehr sog. norminterpretierende Verwaltungsanweisungen (vgl. BFH-Urteil vom 26.04.1995, XI R 81/93, BStBl. II 1995, 754, BFH-Beschluss vom 04.12.2008, XI B 250/07, BFH/NV 2009, 394; BFH-Urteil vom 21.02.2013, V R 27/11, DStR 2013, 1081; Drüen in: Tipke/Kruse, AO, FGO, § 4 AO, Rn. 84; Nöcker, jurisPR-SteuerR 10/2009 Anm. 6). Mangels Rechtsnormqualität binden sie Gerichte nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 04.12.2008, XI B 250/07, BFH/NV 2009, 394). Sie stehen unter dem Vorbehalt einer abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung, der allein es obliegt zu entscheiden, ob die Auslegung der Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat (vgl. nur BFH-Urteil vom 28.11.2019, IV R 28/19, BFH/NV 2020, 412 m.w.N.).
53Angesichts der durch den erkennenden Senat unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung des Lieferungsbegriffs unter a) und b) kann die Auffassung der Finanzverwaltung, dass im Fall des dezentralen Stromverbrauchs - vorliegend durch die Klägerin - eine Lieferung an den Netzbetreiber -vorliegend die A GmbH - angenommen wird, keinen Bestand haben.
54bb) Hieran ändern auch weder Hintergründe und Entstehungsgeschichte der im BMF-Schreiben und im Anwendungserlass manifestierten Auffassung der Finanzverwaltung etwas, noch der Umstand, dass diese Auslegung Steuerpflichtigen durchaus (steuerlich) zum Vorteil gereicht, falls es sich nicht um hoheitlich oder gemeinnützig tätige Personen handelt.
55Ursprünglich sahen das EEG für Photovoltaikanlagen und das KWKG für KWK-Anlagen wie z.B. BHKW Vergütungen bzw. Preiszuschläge nur für den in die allgemeinen Stromnetze eingespeisten Strom vor (vgl. z.B. § 11 EEG 2004 i.d.F. vom 21.07.2004 sowie § 4 Abs. 3 KWKG 2002 i.d.F. vom 19.03.2002). Umsatzsteuerlich waren Betreiber einer unter § 3 EEG oder unter § 5 KWKG fallender Anlage zur Stromgewinnung, die den erzeugten Strom ganz oder teilweise, regelmäßig und nicht nur gelegentlich in das allgemeine Stromnetz eingespeist haben, allein durch den Betrieb der Anlage unternehmerisch tätig (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.2008, V R 80/07, BStBl. II 2011, 292; Abschn. 2.5 Abs. 1 S. 1 UStAE vom 01.10.2010 mit Stand zum 31.12.2011, so zuvor bereits für Anlagen nach §§ 3 ff. EEG Abschn. 18 Abs. 5 Sätze 1, 2 UStR 2008). Sie konnten mithin unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 15 UStG die Vorsteuer aus der Errichtung (und dem Betrieb) der Anlage geltend machen (BFH-Urteil vom 18.12.2008, V R 80/07, BStBl. II 2011, 292).
56Sofern hingegen nur gelegentlich Strom in das allgemeine Stromnetz abgegeben wurde, galt der Anlagenbetreiber nach ursprünglicher Auffassung der Finanzverwaltung nicht als Unternehmer (vgl. Abschn. 18 Abs. 5 Satz 3 UStR 2008). Zudem wurde eine Unternehmerschaft abgelehnt, sofern eine physische Einspeisung z.B. auf Grund unterschiedlicher Netzspannungen technisch von vornherein ausschied (vgl. Abschn. 18 Abs. 5 Satz 4 UStR 2008).
57Zum 01.01.2009 wurde in § 33 Abs. 2 EEG (i. d. F. vom 25.10.2008) sowie in § 4 Abs. 3a KWKG (i. d. F. vom 25.10.2008) eine Vergütungs- bzw. Zuschlagsregelung auch für dezentral verbrauchten Strom eingeführt. Mit dieser erweiterten Förderung sollte zum einen der dezentrale Verbrauch zur Entlastung der allgemeinen Stromnetze attraktiver gestaltet werden (§ 33 Abs. 2 EEG, vgl. BMF-Schreiben vom 01.04.2009, BStBl. I 2009, 523) und zum anderen im Interesse der Energieeinsparung und des Klimaschutzes ein wirtschaftlicher Anreiz zur Errichtung von KWK-Anlagen auch für (weitgehende) Eigenverbraucher geschaffen werden (§ 4 Abs. 3a KWKG, vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28.02.2008, Drucksache 16/8305, S. 1, 26, 27). Trotz der bereits eingeführten Fördermaßnahmen war die Errichtung von KWK-Anlagen deutlich hinter den Erwartungen der Politik zurück geblieben und es gab keinen Grund, generell dezentral verbrauchten Strom weniger zu fördern als solchen, der nach einer Einspeisung in allgemeine Stromnetze verbraucht wurde (vgl. Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf, Drucksache 16/8305, Anlage 3 sowie Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, Drucksache 16/9469 vom 04.06.2008, S. 13).
58In der Folge änderte die Finanzverwaltung ihre insbesondere in Satz 3 von Abschn. 18 Abs. 5 Satz 3 UStR zum Ausdruck gekommene Auffassung und nahm eine Unternehmerschaft bereits dann an, wenn die zu fördernden Anlagen unmittelbar oder mittelbar mit dem Netz zur allgemeinen Stromversorgung verbunden sind (Abschn. 2.5 Abs. 1 Satz 3 UStAE 01.10.2010, BStBl. I 2010, S. 884). Darüber hinaus bestimmte sie (zunächst für Photovoltaikanlagen), dass umsatzsteuerrechtlich die gesamte vom Anlagenbetreiber aus solarer Strahlungsenergie erzeugte Elektrizität an den Netzbetreiber geliefert wird, unabhängig davon, wo die Elektrizität tatsächlich verbraucht wird und ob eine Vergütung nach § 33 Abs. 1 EEG i. d. F. vom 25.10.2008 oder § 33 Abs. 2 EEG i. d. F. vom 25.10.2008 erfolgt (Abschn. 2.5 Abs. 4 Sätze 1, 2 UStAE 01.10.2010, BStBl. I 2010, S. 885, BMF-Schreiben vom 01.04.2009, BStBl. I 2009, 523). Im Fall des dezentralen Verbrauchs und der Inanspruchnahme der Vergütung nach § 33 Abs. 2 EEG i. d. F. vom 25.10.2008 ging die Finanzverwaltung umsatzsteuerrechtlich von einer(Rück-)Lieferung aus (Abschn. 2.5 Abs. 4 Satz 4 UStAE 01.10.2010, BStBl. I 2010, S. 885; BMF-Schreiben vom 01.04.2009, BStBl. I 2009, 523). Schließlich regelte sie ausdrücklich, dass sämtliche unter Abschn. 2.5 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 UStAE fallende Photovoltaikanlagen vollständig dem Unternehmen zuzuordnen waren und unter den Voraussetzungen von § 15 UStG aus der Errichtung und dem Betrieb ein Vorsteuerabzug gegeben war. Der dezentrale Verbrauch für nichtunternehmerische Zwecke konnte durch die Versagung des Vorsteuerabzugs aus der Rücklieferung abgebildet werden. Eine unentgeltliche Wertabgabe schloss die Finanzverwaltung insoweit hinsichtlich des dezentral verbrauchten Stroms aus (vgl. im einzelnen Abschn. 2.5 Abs. 6 UStAE vom 01.10.2010, BMF-Schreiben vom 01.04.2009, BStBl. I 2009, 523).
59Die Finanzverwaltung ermöglichte damit den entsprechenden Anlagenbetreibern nach EEG flächendeckend, unabhängig von der konkreten technischen Ausgestaltung (z.B. netzgeführte Anlage wie im Fall des EuGH-Urteils Finanzamt Freistadt Rohrbach Urfahr vom 20.06.2013 - Rs. C-219/12, ECLI:EU:C:2013:413) und der tatsächlichen Höhe des dezentral verbrauchten Stroms, als Unternehmer den Vorsteuerabzug aus der Errichtung und dem Betrieb der Anlage geltend zu machen und nachlaufend eine Versteuerung des nichtunternehmerisch verwandten Stroms vorzunehmen.
60Die gleichen Grundsätze entwickelte die Finanzverwaltung für förderungswürdige KWK-Anlagen wie z.B. BHKW und fügte mit Schreiben vom 14.03.2011 (BMF-Schreiben vom 14.03.2011, UR 2011, 325) entsprechende Regelungen in den UStAE – im Wesentlichen durch Bezugnahme auf die Regelungen zu Photovoltaikanlagen in Abschn. 2.5 Abs. 4, 5 - ein (Abschn. 2.5 Abs. 7, 8 UStAE 01.10.2010, Stand zum 31.12.2011). Erläuternd wird festgehalten, dass die Hin- und Rücklieferungen im Fall des dezentralen Verbrauchs nur angenommen werden, wenn der Anlagenbetreiber hierfür eine Vergütung nach dem EEG oder einen Zuschlag nach dem KWKG in Anspruch genommen hat. Außerdem sind die Hin- und Rücklieferungen nur für Zwecke der Umsatzsteuer anzunehmen (Abschn. 2.5 Abs. 7 S. 4, 5 UStAE 01.10.2011, Stand 31.12.2011).
61Auch bei BHKW ermöglichte die Finanzverwaltung mit Hilfe der Annahme genereller Lieferungen im Fall des dezentralen Verbrauchs, dass Vorsteuer aus der Errichtung und dem Betrieb grundsätzlich abgezogen werden konnte und eine nichtunternehmerische Verwendung des Stroms jeweils über die Versagung des Vorsteuerabzugs aus der Rücklieferung abgebildet werden konnte.
62Die Konstruktion der Finanzverwaltung mit unterstellten Hin- und Rücklieferungen mag daher zwar nachvollziehbare Gründe haben und insbesondere im Bereich von Photovoltaikanlagen und BHKW im privaten Bereich - wie z.B. bei Einfamilienhäusern - einfach handhabbar und zudem vorteilhaft für die Anlagenbetreiber sein.
63Diese Gründe und Vorteile gelten jedoch nicht gleichermaßen für juristische Personen des öffentlichen Rechts als Anlagenbetreiber, die hoheitlich oder - wie die Klägerin - im gemeinnützigen Bereich tätig sind. Bei hoheitlich tätigen Anlagenbetreibern z.B. im Bereich der Abwasser- oder Abfallbeseitigung, die ihre BHKW mit Klärgas oder Deponiegas befeuern, wird die nach dem Anwendungserlass eigentlich anzunehmende Stromlieferung regelmäßig als Hilfstätigkeit zur hoheitlichen Tätigkeit angesehen (vgl. Baldauf, DStZ 2011, 374, 377; OFD Karlsruhe, Verfügung vom 31.01.2017, MwStR 2017, 801), mit der Folge, dass weder ein steuerbarer Umsatz vorliegt noch ein Vorsteuerabzug aus der Errichtung der Anlage gewährt wird. Infolge der nach dem UStAE gleichwohl anzunehmenden Rücklieferung wird Umsatzsteuer ausgewiesen, die der Anlagenbetreiber ebenfalls nicht abziehen kann. Auch bei der Klägerin, die keine Vorsteuer aus der Errichtung des BHKW geltend gemacht hat, würde die unterstellte Hin- und Rücklieferung des von ihr dezentral verbrauchten Stroms zu einer zusätzlichen wirtschaftlichen Belastung führen, da sie auf Grund des dezentralen Stromverbrauchs im ... Bereich keinen Vorsteuerabzug aus der Rücklieferung geltend machen könnte.
64Mithin führen weder die Entstehungsgeschichte noch die sonstigen Hintergründe inklusive Sinn und Zweck der Regelungen im UStAE dazu, vorliegend im Wege der Auslegung eine Lieferung i.S.v. § 3 Abs. 1 UStG anzunehmen.
65d) Irrelevant für die Auslegung im vorliegenden Fall sind schließlich die Fallkonstellationen, in denen eine kaufmännisch-bilanzielle Einspeisung erfolgt. Nach § 8 Abs. 2 EEG i.d.F. vom 25.10.2008 bestand für Netzbetreiber die Verpflichtung zur Abnahme, Übertragung und Verteilung des Stroms aus Erneuerbaren Energien gem. § 8 Abs. 1 EEG i. d. F. vom 25.10.2008 auch dann, wenn die EEG-Anlage an das Netz des Anlagenbetreibers oder das Netz eines Dritten, der kein Netzbetreiber eines Netzes zur allgemeinen Stromversorgung ist, angeschlossen ist und der Strom mittels kaufmännisch-bilanzieller Weitergabe durch dieses Netz angeboten wurde.
66Auch in diesem Fall sieht Abschn. 2.5 Abs. 2 UStAE bei einer Vergütung des Netzbetreibers nach § 16 EEG i.d.F. vom 25.10.2008 eine Stromlieferung des Anlagenbetreibers an den Netzbetreiber vor, selbst wenn der Strom nicht in einem Netz der allgemeinen Stromversorgung verbraucht wurde. Von dieser Lieferung ging die Verwaltung bereits im Rahmen der UStR 2008 aus, vgl. Abschn. 18 Abs. 5 Satz 5 i.V.m. Abschn. 42n UStR 2008. Im Zusammenhang mit der Bestimmung des Ortes von Stromlieferungen nach § 3g UStG (eingeführt durch das EURLUmsG, BGBl. I 2004, 3310, mit Wirkung zum 01.01.2005) war bereits zuvor bei kaufmännisch-bilanzieller Einspeisung von einer Lieferung an den Netzbetreiber auszugehen (vgl. Abschn. 42n Abs. 1 Satz 3 UStR 2008).
67Da vorliegend jedoch gerade keine sog. kaufmännisch-bilanzielle Einspeisung vorliegt, spielt diese Fallkonstellation bei der Auslegung des Lieferbegriffs des von der Klägerin dezentral verbrauchten Stroms keine Rolle.
68e) Da dem Netzbetreiber A GmbH am dezentral verbrauchten Strom keine Verfügungsmacht verschafft wurde, ihm mithin kein Strom geliefert wurde, kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin oder die B GmbH als Leistende anzusehen gewesen wäre. Im Übrigen spielt es im Hinblick auf die Organschaft zwischen der Klägerin als Organträgerin und der B GmbH als Organgesellschaft im Ergebnis keine Rolle, da es auf die Umsatzsteuerfestsetzung bei der Klägerin ohne Auswirkung bleibt.
692. Durch den dezentralen Stromverbrauch wird auch kein anderer Leistungstatbestand, weder im Umsatzsteuergesetz noch in der MwStSystRL, erfüllt.
70In Art. 14 Abs. 2 MwStSystRL werden zwar Umsätze als Lieferungen fingiert; hiervon kommt indes vorliegend keine Alternative in Betracht. Anhaltspunkte für eine sonstige Leistung gem. § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG bzw. eine Dienstleistung gem. Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL, d.h. eine Leistung, die keine Lieferung ist, sind ebenfalls weder erkennbar noch von den Beteiligten vorgetragen.
71Ob der Zahlung der Zuschläge nach § 4 Abs. 3a KWKG 2009 eine Leistung von Seiten der Klägerin (oder der B GmbH) gegenübersteht, kann offen bleiben. Denn die Beteiligten haben insoweit bereits einen Umsatz angenommen und ihn der Umsatzbesteuerung zu Grunde gelegt.
723. Schließlich liegt auch kein sonstiger umsatzsteuerlich relevanter Umsatz im Zusammenhang mit dem im BHKW erzeugten Strom vor.
73Zwar ist zwischen den Beteiligten umstritten, ob die B GmbH den Strom an die Klägerin geliefert hat, wofür nach Auffassung des Beklagten der Pachtvertrag, diverse Regelungen im Energieliefervertrag vom ...08.2009 sowie die Lieferung der im BHKW erzeugten Wärme an die Klägerin sprechen. Die Klägerin geht hingegen von einer Betreiberstellung der Klägerin insbesondere im Hinblick auf den BAFA-Bescheid und die Abrechnung des KWK-Zuschlags gegenüber dem Netzbetreiber aus, während es sich bei der B GmbH um den Betriebsführer handele. Allerdings kann auch dies dahingestellt bleiben, da selbst eine Belieferung der Klägerin mit dem Strom aus dem BHKW infolge der Organschaft ein nichtsteuerbarer Innenumsatz wäre.
74Soweit schließlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass an die Kundenanlage der Klägerin angeschlossene Dritte zumindest physisch im BHKW erzeugten Strom erhalten haben, ist ebenfalls kein weiterer Umsatz gegeben. Denn nach dem nachvollziehbaren Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erfolgte gegenüber diesen Dritten bereits eine Abrechnung des Stroms zzgl. Umsatzsteuer. Die Klägerin unterstellte in Folge des Vergleichs der minimalen Grundlast und der im BHKW erzeugbaren Strommenge sowie der sog. Viertelstunden-Messung, dass die Dritten zumindest rechnerisch mit eingekauftem Strom versorgt wurden. Insoweit machte die Klägerin aus dem Einkauf des Stroms (durch die B GmbH) auch Vorsteuer geltend. Hieraus ergibt sich jedenfalls, dass keine unversteuerte Stromlieferung vorliegt, die bei einer Änderung des angefochtenen Steuerbescheids gem. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO zu berücksichtigen wäre.
75II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
76III. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).