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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin bezüglich des Streitjahres 2008 ein Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG zusteht oder ob der Anspruch festsetzungsverjährt ist.
3Die Klägerin ist eine auf Zypern ansässige Kapitalgesellschaft. Sie wurde im Jahr ... nach dem Recht der Republik Zypern als Limited gegründet (damals unter dem Namen A Limited) und hat nach der Umwandlung im Januar ... in eine Public Company Limited im September ... ihre derzeitige Rechtsform einer SE angenommen. Die Anteile an der Klägerin wurden im streitgegenständlichen Jahr zu 95 % von der B Ltd. mit Sitz auf den Bermudas und zu 5 % von der C Ltd. mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln gehalten. Seit dem Jahr ... verfügt die Klägerin über Aktien am ... Unternehmen D AG. Im Streitjahr ... belief sich ihr Anteil auf 7,... %.
4Auf eine aus dieser Beteiligung im Jahr 2008 zugeflossene Gewinnausschüttung in Höhe von 6.005.030 € wurde Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. 1.267.061,33 € (20 % Kapitalertragsteuer i.H.v. 1.202.006 € zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag i.H.v. 66.055,33 €) einbehalten und abgeführt.
5Im Rahmen des Erstattungsverfahrens nach § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. Art. 10 DBA Deutschland-Zypern erfolgte mit Freistellungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Januar 2009 eine Teilentlastung bis zum Reststeuersatz von 15 % (Erstattung von Kapitalertragsteuer i.H.v. 300.251,50 € zzgl. 66.055,33 € Solidaritätszuschlag; vgl. Bl. 14 der Verwaltungsakte des Beklagten zum Az. ... ).
6Mit Schreiben vom 13. November 2013, eingegangen beim Beklagten am 13. November 2013, beantragte die Klägerin die Erstattung der verbliebenen Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG in Höhe von 900.75,50 €.
7Der Beklagte lehnte diesen Antrag, ebenso wie die gleichzeitig für die Jahre 2009 bis 2012 gestellten Anträge, mit Bescheid vom 3. Dezember 2015 ab.
8Das darauf folgende Einspruchsverfahren wurde vom Beklagten zunächst im Hinblick auf das beim FG Köln anhängige Verfahren mit dem Az. 2 K 283/16 ruhend gestellt und später aufgrund der angenommenen fehlenden Streiterheblichkeit auf Antrag der Klägerin fortgeführt. Mit Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2020 trennte der Beklagte den Erstattungsantrag für 2008 von den Anträgen der Jahre 2009 bis 2012 verfahrenstechnisch ab und lehnte diesen im Hinblick auf die von ihm angenommene Festsetzungsverjährung ab.
9Die Festsetzungsfrist für Erstattungsfälle nach § 32 Abs. 5 KStG richte sich nach den allgemeinen Regeln der Abgabenordnung. Gemäß § 170 Abs. 1 AO beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 EStG entstehe die Kapitalertragsteuer in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. In diesem Zeitpunkt sei durch den Schuldner der Erträge der Steuerabzug für den Gläubiger vorzunehmen. Auch bei Dividendenzahlungen gelte Entsprechendes (vgl. § 44 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Die einbehaltene Steuer sei gemäß § 44 Abs. 1 S. 5 EStG jeweils bis zum Zehnten des Folgemonats an das zuständige Finanzamt abzuführen und eine nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck entsprechende Steueranmeldung sei auf elektronischem Wege zu übermitteln (vgl. § 45a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 44 Abs. 1 EStG). Aufgrund dieser gesetzlichen Verpflichtung zur Abgabe der Kapitalertragsteueranmeldung sei zu unterstellen, dass eine ordnungsgemäße Abgabe innerhalb der genannten Frist erfolgt sei und somit die Festsetzungsfrist grundsätzlich im Jahr des Zuflusses beginne. Im vorliegenden Fall bedeute dies, dass die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2008 begonnen habe.
10Die Anlaufhemmung im Sinne des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO finde keine Anwendung. Denn vorliegend handele es sich nicht um ein Veranlagungsverfahren, sondern um ein Erstattungsverfahren. Die Klägerin sei darüber hinaus nicht gesetzlich verpflichtet, einen Erstattungsantrag beim Beklagten zu stellen. Die Festsetzungsfrist beginne somit nicht erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folge, in dem die Steuer entstanden sei.
11Gemäß § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO betrage die Festsetzungsfrist vier Jahre und ende mit Ablauf des 31. Dezember 2012. Der am 13. November 2013 eingegangene Antrag der Klägerin auf Erstattung der Kapitalertragsteuer sei somit verfristet.
12Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Erstattung des Restbetrags der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer. Nach ihrer Auffassung ist die Antragstellung vor Eintritt der Festsetzungsverjährung erfolgt.
13Der Eintritt der Festsetzungsverjährung hinsichtlich der Kapitalertragsteuer könne nicht davon abhängig sein, ob die Entlastung im Erstattungs- oder im Veranlagungsverfahren erreicht werden solle. Für Steuerpflichtige wie sie, die als beschränkt Steuerpflichtige im Inland keine Steuererklärung abgeben müssten, habe der Gesetzgeber das Erstattungsverfahren vorgesehen und hierfür § 32 Abs. 5 KStG eingeführt. Die Festsetzungsverjährung beginne hierbei grundsätzlich mit dem Ablauf des Wirtschaftsjahres des Dividendenbezugs, also vorliegend 2008 (§ 170 Abs. 1 AO). Festsetzungsverjährung wäre danach mit Ablauf des 31. Dezember 2012 eingetreten. Inländische Kapitalgesellschaften hingegen erlangten die Entlastung durch Anrechnung der Kapitalertragsteuer in der abzugebenden Steuererklärung (Veranlagungsverfahren). Hierbei greife § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ein, wonach die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Abgabejahres der Steuererklärung beginne. Dies sei üblicherweise das auf den Dividendenbezug folgende Jahr. Bei einer Abgabe der Steuererklärung 2008 im Jahr 2009 wäre die Festsetzungsfrist auch hinsichtlich der darin enthaltenen angerechneten Kapitalertragsteuer erst mit Ablauf des 31. Dezember 2013 eingetreten, weshalb inländische Kapitalgesellschaften mindestens ein volles Jahr mehr Zeit hätten, um die Entlastung bei der Kapitalertragsteuer zu erreichen.
14Es sei weder mit Gemeinschaftsrecht noch mit der vom Gesetzgeber bezweckten Beseitigung der vom EuGH festgestellten Unionsrechtswidrigkeit durch Einführung des § 32 Abs. 5 KStG vereinbar, dass die Festsetzungsverjährung im Erstattungsverfahren früher als im Veranlagungsverfahren eintrete. Es sei keine unionsrechtliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung einer vergleichbaren Situation ersichtlich. Insbesondere lägen keine erheblich unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Steuerinländern und Steuerausländern vor. Bei den unterschiedlichen Wegen (Veranlagungsverfahren einerseits und Erstattungsverfahren andererseits) handele sich um die Frage der finanzverwaltungsprozessualen Ausgestaltung. Der verfahrensrechtliche Weg sei mithin unterschiedlich, was indes, anders als nach Auffassung des Beklagten, keine erheblichen unterschiedlichen Verhältnisse begründen könne. Übereinstimmendes Ziel sei vielmehr die Entlastung von der vorliegend im Jahr 2008 einbehaltenen Kapitalertragsteuer aus derselben Dividendenausschüttung. Letztlich sei es gemeinschaftsrechtlich geboten, die Vorschriften zur Festsetzungsverjährung gemeinschaftsrechtskonform auszulegen, sodass für sie, die Klägerin, die Festsetzungsverjährung zur Entlastung von der Kapitalertragsteuer zum selben Zeitpunkt eintrete wie für inländische Steuerpflichtige, somit frühestens mit Ablauf des 31. Dezembers 2013.
15Auch nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers laut Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/11314, S. 3) zum Gesetz vom 21. März 2013 sei ihr Antrag fristgerecht gestellt worden. Dieses Gesetz setze das Urteil des EuGH vom 20. Oktober 2011 (C‑ 284/09, Kommission/Deutschland, BFH/NV 2011, 2219) um und beseitige nach den Erläuterungen in der Gesetzesbegründung – auch mit Wirkung für die Vergangenheit – den beanstandeten unionsrechtswidrigen Zustand. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle dem Gemeinschaftsrecht auch für in der Vergangenheit geflossene Dividenden Geltung verschafft werden. So habe er, trotz der Tatsache, dass er mit „doppelt und dreifach genähten Begrenzungen“ eine unionsrechtliche Minimallösung (so Gosch, § 32 Abs. 5 Rz. 33) geschaffen habe, den zeitlichen Korrekturrahmen so bemessen, dass die Erstattungsanträge beginnend ab dem Jahr 2001 in den Anwendungsbereich der Norm einbezogen worden seien (vgl. Übergangsvorschrift in § 34 Abs. 13b S. 3 und 5 KStG).
16Des Weiteren sei dem „effet utile“-Grundsatz, wonach Normen des nationalen Rechts so auszulegen und anzuwenden seien, dass die Vertragsziele der EU bestmöglich erreicht würden, Rechnung zu tragen. Diese umfassten insbesondere auch die Wahrung und die Garantie der EU-Grundfreiheiten und somit auch der Kapitalverkehrsfreiheit. Die Ablehnung der Erstattung mit dem Einwand der Verjährung verletze diesen Grundsatz. Im Hinblick auf den „effet utile“-Grundsatz könne diese Gemeinschaftsrechtsverletzung nicht hingenommen werden. Zu deren Beseitigung sei die Bewertung ihres Antrags als fristgemäß erforderlich.
17Ein anderes Ergebnis ergebe sich, anders als nach Auffassung des Beklagten, auch nicht unter Einbeziehung des angesprochenen Äquivalenz- sowie des Effektivitätsgrundsatzes. Der EuGH habe zum Äquivalenzgrundsatz ausgeführt (C-392/04 und C‑422/04), dass rechtswidrige Verwaltungsakte auch nach deren Unanfechtbarkeit zurückzunehmen seien, wenn die Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ sei, unabhängig davon, ob sich die Rechtswidrigkeit aus Verstößen gegen nationales Recht oder gegen Gemeinschaftsrecht ergebe. Durch Einspruch sowie Klageerhebung bezüglich des vorliegend relevanten Bescheids sei dessen formelle Bestandskraft und damit Unanfechtbarkeit noch gar nicht eingetreten. Daher komme es auf die Frage, ob bestandskräftige, aber unionsrechtswidrige Verwaltungsakte unter Berufung auf Unionsrecht noch geändert werden könnten oder gar müssten, nicht an. Der Effektivitätsgrundsatz besage darüber hinaus, dass die anzuwendenden Verfahren die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften. Genau dies trete indes ein, wenn ihr, der Klägerin, anknüpfend an ihre Eigenschaft als Steuerausländerin eine Festsetzungsverjährung entgegengehalten werde, während bei einem Steuerinländer zu diesem Zeitpunkt die Festsetzungsfrist dagegen noch nicht abgelaufen sei.
18Zudem hätte sie bei einer früheren gesetzlichen Umsetzung den Erstattungsantrag naturgemäß durch Anwendung der entsprechenden Regelung früher gestellt. Erst ab Umsetzung des § 32 Abs. 5 KStG im Jahr 2013 seien Zuständigkeiten und Voraussetzungen erstmals geregelt worden. Sie, die Klägerin, habe noch im gleichen Jahr den maßgeblichen Erstattungsantrag gestellt.
19Ob ihr eine Antragstellung gestützt auf das EuGH-Urteil, wie vom Beklagten behauptet, bereits früher möglich gewesen wäre, sei nicht entscheidend. Deutschland als nach dem EuGH-Urteil gemeinschaftsrechtswidrig handelnder Mitgliedstaat dürfe sich den Sanktionscharakter einer möglicherweise unmittelbaren Wirkung der EU-Judikatur nicht zu eigen machen, indem sie sie, die Klägerin, auf eine etwaige ausnahmsweise Geltung des Gemeinschaftsrechts im Jahr 2011 verweise, um dem später auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen erfolgten Antrag dann Festsetzungsverjährung entgegen zu halten.
20Davon unabhängig wäre eine Antragstellung auch in einem späteren Jahr ausreichend gewesen. Denn infolge der Gesetzesänderung im Jahr 2013 beginne der Lauf der Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres der Gesetzesänderung, also mit Ablauf des 31. Dezember 2013. Nach Anwendung der allgemeinen Dauer der Festsetzungsfrist von vier Jahren ergebe sich ein Eintritt der Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31. Dezembers 2017. Es bestehe auch kein Risiko, dass eine unbeschränkte Geltendmachung von auf Altjahre gerichteten Erstattungsansprüchen durch eine Vielzahl von Antragstellern drohe, denn mit Ablauf des Jahres 2017 trete insoweit endgültig Festsetzungsverjährung ein.
21Schließlich sei noch einmal zu betonen, dass sich die fehlende Verfristung eindeutig aus der Gesetzesbegründung und der Anwendungsvorschrift des § 34 Abs. 13b S. 4 KStG ergebe:
22„Für Kapitalerträge, die in einem Kalenderjahr vor 2013 zugeflossen sind, gilt § 32 Absatz 5 unter der Voraussetzung, dass für die Kapitalerträge im Sinne des § 32 Absatz 5 Satz 1 die Vorschriften des Vierten Teils des Körperschaftsteuergesetzes in der am 26. Juli 2001 (BGBl. I S. 1034) geltenden Fassung keine Anwendung finden.“
23Der Gesetzgeber habe hier explizit geregelt, für welche Zeiträume der Vergangenheit ein Antrag gestellt werden könne. Erstattungsfähig sei Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge im Ergebnis zurückgehend bis zur Abschaffung des Anrechnungsverfahrens im Jahr 2001 (vgl. Blümich, § 34 KStG Rn. 92a, 120. Auflage 2013). Würde dieser Satz 4 nicht den Anwendungsbereich für die Vergangenheit definieren, hätte er keinerlei Regelungscharakter und wäre überflüssig. Er schließe damit für die Jahre vor 2012 auch die vorbehaltlose Anwendung der Vorschriften über die Festsetzungsverjährung aus. Würde die allgemeine Festsetzungsfrist von vier Jahren bei Einführung des § 32 Abs. 5 KStG nach allgemeinen Grundsätzen Anwendung finden, wären im Einführungszeitpunkt am 21. März 2013 nur die Erstattungsanträge für die Kapitalerträge nach § 170 Abs. 1 AO noch nicht festsetzungsverjährt, die in den Jahren 2009 und später erzielt worden seien; 2008 und Vorjahre wären ausgeschlossen. Eine eigenständige Regelungswirkung erhalte Satz 4 daher nur, indem er in zeitlicher Hinsicht den Korrekturrahmen für Vorjahre vorgebe und insoweit den Vorschriften über die allgemeine Festsetzungsverjährung dem gesetzgeberischen Willen entsprechend als lex specialis vorgehe.
24Dem entspreche auch die Gesetzesbegründung, wonach der Antrag nach § 32 Abs. 5 KStG den allgemeinen Verjährungsvorschriften der AO unterliege. Dies solle aber nicht etwaige Festsetzungsverjährungen im Zeitpunkt der Antragstellung regeln. Vielmehr werde klargestellt, dass ein solcher Erstattungsantrag keiner Sonderbehandlung unterliege und die generellen Verjährungsvorschriften der AO Anwendung fänden. Dabei habe der Gesetzgeber Erstattungsanträge von Kapitalerträgen künftiger Jahre im Blick gehabt, nicht jedoch die Anordnung einer rückwirkenden Verjährung mit der Folge, dass rechtlich noch gar nicht existente Erstattungsansprüche bereits festsetzungsverjährt seien.
25Selbst wenn man dem nicht zustimme, sei es sachgerecht, dem Urteil des EuGH die Wirkung einer Anlaufhemmung hinsichtlich der Festsetzungsverjährung zuzugestehen, welche im Zeitpunkt der Einführung des § 32 Abs. 5 KStG ende. Eine andere Auslegung würde zu zufälligen, von der zeitlichen Umsetzung der gesetzlichen Beseitigung des Unionsrechtsverstoßes im Mitgliedstaat abhängenden Ergebnissen führen.
26Die Klägerin beantragt,
27den Beklagten unter Aufhebung des Freistellungsbescheides für das Kalenderjahr 2008 vom 03.12.2015 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27.07.2020 zu verpflichten, einen Freistellungsbescheid bezüglich Kapitalertragsteuer zu erlassen und die Kapitalertragsteuer in Höhe von EUR ... entsprechend zu erstatten;
28hilfsweise, die Revision zuzulassen.
29Der Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Ergänzend zu den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung begründet der Beklagte seine Auffassung mit der Notwendigkeit von Rechtssicherheit, die, auch nach Auffassung des EuGH, durch Ausschlussfristen gewahrt werden könne. So habe der EuGH bereits entschieden, dass es im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht vereinbar sei, angemessene Ausschlussfristen festzulegen. Sie seien auch nicht geeignet, die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte zu erschweren bzw. unmöglich zu machen (vgl. EuGH-Urteil vom 15. Dezember 2011, Banca Antoniana Popolare Veneta Az. C-427/10, juris, Rn 24). Insbesondere die nationale Festsetzungsfrist von vier Jahren gem. § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO verstoße nicht gegen das Unionsrecht (vgl. BFH-Urteil vom 28. August 2014, Az. V R 8/14, juris, Rn 18). Eine zeitlich unbegrenzte Möglichkeit der Beantragung einer Erstattung widerspreche dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wonach die steuerliche Lage eines Steuerpflichtigen bezüglich seiner Rechte und Pflichten nicht ohne Befristung offenbleiben könne (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Juni 2012, Elsacom, Az. C-294/11, Rn. 29).
32Anders als nach der Auffassung der Klägerin verletze die unterschiedliche Festsetzungsfrist für Veranlagungs- und Erstattungsverfahren auch weder die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) noch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV). Die Beschränkung einer der beiden Freiheiten setze eine vergleichbare Situation der Klägerin mit der Situation einer inländischen Gesellschaft voraus sowie eine unterschiedliche steuerliche Behandlung beider Gesellschaften, welche nicht durch erheblich unterschiedliche Verhältnisse gerechtfertigt sei (vgl. z. B. EuGH-Urteil vom 13. November 2012, Test Claimants in the Fii Group Litigation, Az. C-35/11, juris, Rn 53).
33Die Situation der Klägerin sei bereits mit der Situation inländischer Steuerpflichtiger nicht vergleichbar. So unterliege ein inländischer Steuerpflichtiger im Gegensatz zur beschränkt steuerpflichtigen Klägerin einer Veranlagungspflicht (vgl. FG Köln, Urteil vom 15. Februar 2017, Az. 2 K 803/15, juris, Rn 50). Für ausländische Muttergesellschaften sei hingegen zunächst ein Steuerabzugsverfahren und anschließend u.a. das Erstattungsverfahren nach § 32 Abs. 5 KStG vorgesehen. Die unterschiedlichen Festsetzungsfristen führten somit abhängig vom Sachverhalt auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Eine systematische Benachteiligung sei damit nicht gegeben. Vielmehr bedingten die unterschiedlichen Verfahrensausgestaltungen die differenzierte Fristenregelung.
34Die Verfahrensausgestaltung des Steuerabzugsverfahren stehe im Einklang mit Gemeinschaftsrecht (vgl. EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006, Scorpio, Az. C-290/04, juris).
35Selbst wenn man eine diskriminierende Wirkung der abweichenden Frist unterstelle, sei diese gerechtfertigt. Gemäß Art. 65 Abs. 1 lit. a AEUV und Art. 65 Abs. 3 AEUV sei insbesondere zu beachten, dass eine von der Ansässigkeit abhängige steuerliche Beschränkung nicht willkürlich sein dürfe. Sinn und Zweck der Norm sei jedoch gar nicht die Begünstigung von inländischen Steuerpflichtigen, sondern die Verhinderung einer verkürzten Bearbeitungsfrist auf Seiten der Finanzverwaltung durch verspätete Einreichung der Steuererklärung (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 2015, Az. I R 33/13, juris, Rn 26; Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 170 AO, Rn 12). Sie solle also die Handlungsfähigkeit der Finanzverwaltung schützen und Rechtssicherheit gewährleisten.
36Für diesen Zweck sei eine Fristverlängerung, wie sie für Erklärungspflichtige erforderlich sei, für Nichterklärungspflichtige entbehrlich. Dem Ziel der Rechtssicherheit liefe eine längere Frist sogar entgegen.
37Letztlich müsste die Einschränkung aber auch verhältnismäßig sein. Dem Ziel der Rechtssicherheit genüge eine grundsätzliche Frist von vier Jahren (vgl. BFH-Urteil vom 28. August 2014, Az. V R 8/14, juris, Rn 17, 18). Die Erforderlichkeit einer Fristverlängerung, wie sie inländischen Steuerpflichtigen teilweise gewährt werde, bestehe für ausländische Steuerpflichtige nicht. Daher müssten sie, zu ihren Gunsten, zur Erreichung der Rechtssicherheit von der Ausnahme des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ausgenommen werden. Vor dem Hintergrund, dass der EuGH selbst einjährige Fristen noch für unionsrechtskonform angesehen habe (vgl. EuGH-Urteil vom 16. Juli 2009, Az. C‑68/08, juris, Rn 50), scheine eine vierjährige gegenüber einer bis zu siebenjährigen Frist mit Blick auf die Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung vertretbar. Schließlich werde ausländischen Steuerpflichtigen nicht generell die Frist verkürzt, sondern diese profitierten lediglich nicht von einer Regelung, die auch Inländern nur als Ausnahme von der Regel gewährt werde. Selbst diese Ausnahme werde nicht mit dem Ziel der Besserstellung gewährt, sondern primär zur Sicherung der fiskalischen Interessen des Staates. Generell stelle die verlängerte Festsetzungsfrist jedoch eher eine Belastung dar und birge auch in diesem Fall noch das Risiko einer abweichenden nachträglichen Festsetzung. Das Verhältnis zwischen Belastung durch die Norm und ihrem legitimen Ziel sei daher als angemessen anzusehen.
38Schließlich hätte die Klägerin bei rechtzeitiger Antragstellung eine Steuerfreistellung erreichen können, da das Verfahrensrecht es nicht von vornherein ausschließe, dass die Klägerin eine einem gebietsansässigen Steuerpflichtigen entsprechende Steuerentlastung erhalte. Vorliegend scheitere die Steuererstattung lediglich an der verspäteten Antragstellung.
39Es sei auch kein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz erkennbar. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sei es, mangels einschlägiger unionsrechtlicher Verfahrensmodalitäten, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats Verfahrensvorschriften vorzusehen; sie dürften nur nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regelten (Äquivalenzgrundsatz; vgl. EuGH-Urteile vom 7. Januar 2004, Wells, Az. C-201/02, juris, 67, und vom 19. September 2006, i-21 Germany und Arcor, Az. C-392/04 und C-422/04, juris: Rn 57). Dies sei vorliegend nicht der Fall.
40Soweit sich die Klägerin darauf berufe, dass die Rechtslage vor Einführung des § 32 Abs. 5 KStG unionsrechtswidrig gewesen sei und eine Neuregelung erst am 21. März 2013 umgesetzt worden sei, führe das jedenfalls nicht zu einer Durchbrechung der Bestandskraft des Erstattungsbescheids vom 15. Januar 2009. Seit dem Ablauf der Rechtsbehelfsfrist dieses Erstattungsbescheides vom 15. Januar 2009 stehe der Klägerin kein Anspruch auf Änderung zu, auch wenn die zum Festsetzungszeitpunkt herrschende Rechtslage durch das Urteil des EuGH vom 20. Oktober 2011 (Az. 284/09) unionsrechtswidrig erklärt worden sei. Im Übrigen sei das maßgebliche Urteil des EuGH seit dem Jahr 2011 bekannt, so dass sich die Klägerin innerhalb noch offener Festsetzungsfrist gegen den Bescheid vom 15. Januar 2009 hätte wehren können.
41Letztlich sei die Umsetzung des Urteils in nationales Recht erst 2013 auch deshalb vorliegend irrelevant, weil bei rückwirkenden Gesetzesänderungen die Bestandskraft nicht grundsätzlich durchbrochen werde (vgl. FG Münster, Urteil vom 18. Januar 2012, Az. 11 K 4319/10 E, juris, Rn. 27-33.). So beschränke auch die vorliegend relevante Gesetzesbegründung die Anwendung des § 32 Abs. 5 KStG ausdrücklich auf die Fälle, die nach den allgemeinen Regelungen noch nicht festsetzungsverjährt seien (vgl. BT-Drs. 17/11314 vom 6. November 2012, S. 6).
42Eine neue vierjährige Festsetzungsfrist speziell für § 32 Abs. 5 KStG mit einem Fristende zum 31. Dezember 2017 oder eine Ablaufhemmung der allgemeinen Festsetzungsfrist bis zum Ende des Jahres, in dem das Gesetz in Kraft getreten ist, ergebe sich – entgegen der Ausführungen der Klägerin – weder aus der Gesetzesbegründung noch aus dem Gesetzestext. Insbesondere der Verweis auf § 34 Abs. 13b S. 4 KStG rechtfertige keine Ablaufhemmung der Festsetzungsverjährung für sämtliche Fälle seit Abschaffung der Anrechnungsmethode im Jahr 2001, sondern lege nur den maximalen Rückgriff auf Kapitalerträge bis zum Jahr 2001 fest, sofern dies in den Grenzen der allgemein geltenden Regelungen zur Festsetzungsverjährung möglich sei (vgl. BT-Drs. 17/11314 vom 6. November 2012, S. 6).
43Die Erstattungsanträge für die Jahre 2009 bis 2012 blieben nach der Abtrennung des Streitjahres 2008 im Einspruchsverfahren streitanhängig. Nach Vorlage sämtlicher vom Beklagten geforderter Nachweise wurde dem Einspruch hinsichtlich des Beteiligungsstranges B Ltd abgeholfen. Nach einem Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die Vorlagefrage des FG Köln zum EuGH zur generellen Vereinbarkeit der Nachweispflichten des § 32 Abs. 5 KStG bei Streubesitzdividenden mit Gemeinschaftsrecht wurde im Nachgang zur Entscheidung des EuGH auch eine Abhilfe hinsichtlich des Beteiligungsstrangs C Ltd. hinsichtlich der Jahre 2009 bis 2012 vorgenommen.
44Das vorliegende Verfahren hat ebenfalls im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats an den EuGH (C-572/20) zwischenzeitlich geruht. Durch die in diesem Verfahren vom EuGH getroffene Entscheidung (Urteil vom 16. Juni 2022) sind sich die Beteiligten inzwischen einig, dass die materiellen Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruchs auch hinsichtlich des Jahres 2008 vollständig erfüllt sind und nur noch die Frage der Festsetzungsverjährung im Streit ist.
45Entscheidungsgründe
46I. Die Klage ist unbegründet.
47Der Bescheid vom 3. Dezember 2015 betreffend das Jahr 2008 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 2020 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Erstattung von Kapitalertragsteuer für das Jahr 2008, da zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.
481. Der mit Gesetz vom 21. März 2013 eingeführte § 32 Abs. 5 KStG (Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rs. C-284/09, BGBl. I 2013, 561) sieht für beschränkt steuerpflichtige Körperschaften unter bestimmten subjektiven und materiellen Voraussetzungen eine Erstattungsmöglichkeit einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, bei denen dem Steuerabzug abgeltende Wirkung zukommt, vor. Die Erstattung der Kapitalertragsteuer erfolgt gemäß § 32 Abs. 5 Sätze 1, 6 KStG auf Antrag auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 AO.
492. Die Klägerin erfüllt zwar hinsichtlich der von ihr beantragten Kapitalertragsteuererstattung i.H.v. 900.754,50 € betreffend die unstreitig ... 2008 zugeflossene Gewinnausschüttung der D AG i.H.v. 6.005.030 € sowohl die subjektiven Voraussetzungen als auch - nach der inzwischen übereinstimmenden Ansicht der Beteiligten - die materiell-rechtlichen Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 5 KStG. Infolge des EuGH-Urteils vom 16.06.2022 (C-572/20) ist nunmehr auch § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG nicht mehr im Streit.
50Allerdings war zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung im November 2013 hinsichtlich der Gewinnausschüttung 2008 bereits Festsetzungsverjährung des sich aus § 32 Abs. 5 KStG ergebenden Erstattungsanspruchs eingetreten.
51a) Für den gemäß § 32 Abs. 5 Satz 1 KStG erforderlichen Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung gelten, mangels einer ausdrücklich geregelten Antragsfrist, die allgemeinen Verjährungsfristen gemäß §§ 169 bis 171 AO.
52aa) Anders als z.B. § 50d Abs. 1 EStG a.F. bzw. § 50c Abs. 3 EStG i.d.F. des AbzStEntlModG vom 2. Juni 2021 (BGBl I 2021, 1259) sieht § 32 Abs. 5 KStG keine Antragsfrist vor. Gleichwohl ist ein Antrag nicht unbefristet, sondern nur bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung gem. §§ 169 bis 171 AO möglich (vgl. Hendricks in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 32 KStG, Rn. 39; Werning in Brandis/Heuermann, § 32 KStG, Rz. 42; Micker in BeckOK, § 32 KStG, Rz. 216; Kögel in Gosch, § 32 KStG, Rz. 64). Denn bei einem Freistellungsbescheid gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 AO, der gemäß § 32 Abs. 5 Satz 6 KStG die Grundlage der Erstattung bildet, finden in Folge der Gleichstellung mit einem Steuerbescheid die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung gemäß §§ 169 bis 171 AO Anwendung (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 2021, I R 31/18, BFH/NV 2021, 1349 m.w.N.). Entsprechendes ergibt sich aus der Gesetzesbegründung speziell zu § 32 Abs. 5 Satz 6 KStG, wonach für den Erlass und die Korrektur des Freistellungsbescheids nach Satz 6 die allgemeinen Vorschriften der AO (insbesondere §§ 155 bis 177 AO) gelten sollen (vgl. Gesetzesbegründung zum Gesetzentwurf vom 6. November 2012, BT-Drs. 17/11314, S. 5).
53bb) Die Anwendbarkeit dieser allgemeinen Regelungen zur Festsetzungsverjährung ist nicht auf ab dem Kalenderjahr 2013 zugeflossene Kapitalerträge begrenzt. Anders, als nach Auffassung der Klägerin, enthalten die Regelungen zum zeitlichen Anwendungsbereich von § 32 Abs. 5 KStG in § 34 Abs. 13b Sätze 3 bis 5 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rs. C-284/09 (BGBl. I 2013, 561) keine derartige Einschränkung.
54In den Sätzen 3 und 4 von § 34 Abs. 13b KStG erfolgt zwar eine Differenzierung für ab dem Jahr 2013 zugeflossene Kapitalerträge und für vor dem Jahr 2013 zugeflossene Kapitalerträge und Satz 4, der die rückwirkende Anwendbarkeit statuiert, enthält nur insoweit eine Begrenzung, als dass Dividenden ausgeschlossen sind, wenn sie noch dem Anrechnungsverfahren unterfallen. Dass hiermit indes eine unbefristete rückwirkende Antragstellung unter Außer-Kraft-Setzung der Verjährungsvorschriften gemäß §§ 169 AO ff. geregelt wurde, ergeben weder Wortlaut noch Sinn und Zweck von § 34 Abs. 13b Satz 4 EStG. Aus dem Wortlaut von Satz 4 folgt lediglich, dass bei der rückwirkenden Anwendung von § 32 Abs. 5 KStG auf vor 2013 zugeflossene Kapitalerträge eine weitere Voraussetzung hinzukommt. So dürfen die maßgeblichen Kapitalerträge nicht dem sog. Anrechnungsverfahren unterfallen. Dieser Ausschluss stimmt auch mit den Aussagen des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rechtssache C-284/09 überein und fußt auf dem Systemwechsel vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfte- bzw. Teileinkünfteverfahren. Nach der Gesetzesbegründung sollen schließlich für den Erlass und die Korrektur des Freistellungsbescheids nach § 32 Abs. 5 KStG i.V.m. § 155 AO – unterschiedslos – die allgemeinen Vorschriften der AO gelten. Zudem werden § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 sowie § 170 Abs. 1 AO explizit für anwendbar erklärt (vgl. Gesetzesbegründung zum Gesetzentwurf vom 6. November 2012, BT-Drs. 17/11314, S. 5). In der Gesetzesbegründung zu § 34 Abs. 13b Sätze 3 bis 5 KStG wird darüber hinaus Folgendes ausgeführt: „Eine Erstattung nach § 32 Abs. 5 KStG ist – in den Grenzen der allgemein geltenden Regelungen zur Festsetzungsverjährung – danach für alle Dividenden, für die nach Abschaffung des Körperschaftsteuer-Vollanrechnungsverfahrens das sog. Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren gilt, möglich.“
55Schließlich sind auch bei der Anwendbarkeit der §§ 169 bis 171 AO fristgerecht gestellte Anträge für vor dem Kalenderjahr 2009 zugeflossene Kapitalerträge möglich, so dass die in § 34 Abs. 13b Satz 4 KStG enthaltene zusätzliche Voraussetzung nicht zwingend leer läuft. So konnten – und wurden nach Mitteilung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch – bereits vor In-Kraft-Treten von § 32 Abs. 5 KStG Anträge unmittelbar unter Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit, ggf. unter Bezugnahme auf § 50d Abs. 1 EStG analog, gestellt werden, die eine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 3 AO begründen konnten (vgl. hierzu ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum Gesetzentwurf vom 6. November 2012, BT-Drs. 17/11314, S. 5, 6; vgl. auch BFH-Urteil vom 13. April 2021, I R 31/18, BFH/NV 2021, 1349; Werning in Brandis/Heuermann, § 32 KStG, Rz. 42; Linn, IStR 2013, 235). Spätestens nach Ergehen des BFH-Urteils vom 11. Januar 2012 (I R 25/10, BFH/NV 2012, 871), das zumindest Klarheit hinsichtlich der Zuständigkeit für solche Anträge gebracht hatte (Zuständigkeit des nach § 20 Abs. 3 und Abs. 4 AO sachlich und örtlich zuständigen Finanzamts und nicht des Bundeszentralsamts für Steuern), wurde eine solche Antragstellung speziell im Zusammenhang mit dem EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011 und unter Hinweis auf die fehlende Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in der Literatur verstärkt diskutiert bzw. sogar ausdrücklich empfohlen (vgl. z.B. Schnitger, DB 2012, 305; Geurts/Faller, DStR 2012, 2357; Grieser/Faller, DB 2012, 1296).
56Anders als die Klägerin meint, soll mithin die Neuregelung nicht voraussetzungslos bis zum Systemwechsel rückwirkend anwendbar sein. Dies stimmt schließlich auch mit den Berechnungen zum Gesetzentwurf aus dem Jahr 2012 überein, wonach bei den Steuermindereinnahmen von einer vierjährigen rückwirkenden Erstattung ausgegangen wurde (siehe Berechnung Seite 3, BT-Drs. 17/11314: finanzielle Auswirkungen der Erstattung i.H.v. 495 Mio. € pro Jahr, rückwirkend ca. 2.000 Mio. € - 1.200 Mio. € durch Anträge 2013 und 800 Mio. € durch Anträge 2014).
57cc) Keine Anhaltspunkte vermag der erkennende Senat schließlich für die ergänzenden Überlegungen der Klägerin erkennen, dass die vierjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO erst durch den Erlass von § 32 Abs. 5 KStG im Jahr 2013 ausgelöst wurde bzw. dass das Urteil des EuGH vom 20. Oktober 2011 eine Anlaufhemmung nach sich gezogen hat. Weder im Gesetz selbst noch in der Gesetzesbegründung lassen sich hierzu Anhaltspunkte finden und auch von Seiten der Klägerin fehlen insoweit vertiefende Begründungen. Zudem spricht gegen eine durch das EuGH-Urteil verursachte Anlaufhemmung, dass sich jedenfalls Rechtsbehelfsfristen in Fällen nicht verlängern, in denen es um die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geht und auch keine Anlaufhemmung der Rechtsbehelfsfrist bis zu dem Zeitpunkt eintritt, zu dem der betreffende Steuerpflichtige Kenntnis von einer einschlägigen EuGH-Entscheidung erlangt (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2010, V R 57/09, BStBl. II 2011, 151; Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Rz 28.27).
58b) Gemäß § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 und 3 EStG entsteht die Kapitalertragsteuer in dem Zeitpunkt, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Zu den maßgeblichen Kapitalerträgen gehören auch Dividenden gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
59Vorliegend ist der Klägerin die Gewinnausschüttung unstreitig im Mai 2008 zugeflossen, so dass die Kapitalertragsteuer im Jahr 2008 entstanden ist und die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2008 begonnen hat. Diese beträgt gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre, weshalb Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2012 eingetreten ist.
60Die in § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO vorgesehene Anlaufhemmung für die Fälle, in denen Steuererklärungen oder Steueranmeldungen einzureichen sind, greift zu Gunsten der Klägerin nicht ein, weil sie als beschränkt Steuerpflichtige auf Grund der Ausgestaltung der Regelungen in § 32 Abs. 5 KStG als Erstattungsverfahren nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet war und auch keine solche abgeben konnte. Für eine von der D AG als Entrichtungsschuldnerin verspätet oder gar nicht abgegebene Steueranmeldung, die zumindest nach teilweise in der Rechtsprechung vertretener Auffassung eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO hätte verursachen können (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 2003, I R 10/02, BStBl. II 2003, 687 m.w.N.), fehlen jegliche Anhaltspunkte. § 171 Abs. 15 AO als gesetzliche Grundlage für eine Relevanz von Hemmungstatbeständen bzw. Verjährungsfristen auf Ebene der D AG als Entrichtungsschuldnerin scheidet zu Gunsten der Klägerin von vornerein aus, da maßgeblicher Stichtag für die Anwendung des § 171 Abs. 15 AO der 30. Juni 2013 ist. Dies folgt aus der zeitlichen Anwendungsbestimmung in Art. 97 § 10 Abs. 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 2021, I R 31/18, BFH/NV 2021, 1349). Festsetzungsverjährung ist gemäß §§ 169 bis 171 AO vorliegend mithin mit Ablauf des 31. Dezember 2012 eingetreten.
61c) Die aus §§ 169 bis 171 AO folgende Verjährungsregelung für das Antragsverfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG ist mit EU-Recht vereinbar. Ein Verstoß hiergegen liegt nicht vor.
62aa) Auf dem Gebiet des Verfahrensrechts fehlen unionsrechtliche Vorschriften, so dass die Ausgestaltung des Verfahrensrechts grundsätzlich Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist (Grundsatz der Verfahrensautonomie – vgl. z.B. Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 4 EUV Rz. 56; Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Rz 12.47). Diese haben nach der EuGH-Rechtsprechung allerdings den Effektivitätsgrundsatz sowie das Äquivalenzprinzip zu beachten (vgl. z.B. EuGH-Urteil Finanmadrid EFC vom 18. Februar 2016 C-49/14, EU:C:2016:98; BFH-Beschluss vom 8. September 2015, V B 5/15, BFH/NV 2016, 7; BFH-Beschluss vom 27. Februar 2018 I B 37/17, BFH/NV 2018, 841; Englisch in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Rz 12.47; Heintzen in Musil/Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2022, Einführung AO, Rz. 20; Levedag in Gräber, 9. Aufl. 2019, Anhang EU, Rz. 108).
63Der Effektivitätsgrundsatz fordert, dass die im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten die Tragweite und Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen und insbesondere die Herstellung des unionsrechtlich gebotenen Zustands nicht „praktisch unmöglich“ machen dürfen oder übermäßig erschweren (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 2015 X R 40/12, BStBl. II 2016, 117; BFH-Urteil vom 14. November 2018, I R 47/16 , BStBl. II 2019, 419; BFH-Urteil vom 13. April 2021, I R 31/18, BFH/NV 2021, 1349; Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 4 EUV Rz. 53). Das Äquivalenzprinzip verlangt, dass die Mitgliedstaaten die Rechtsschutzmöglichkeiten – z.B. verfahrensrechtliche Fristen, die zur Durchsetzung des Unionsrechts einzuhalten sind – nicht ungünstiger ausgestalten als in den nur das innerstaatliche Recht betreffenden Verfahren (vgl. BFH-Urteil vom 16. September 2010 V R 57/09, BStBl. II 2011, 151; BFH-Urteil vom 14. November 2018, I R 47/16 , BStBl. II 2019, 419; BFH-Urteil vom 13. April 2021, I R 31/18, BFH/NV 2021, 1349). Das nationale Recht soll beim Vollzug von Unionsrecht im Vergleich zu den Verfahren, in denen über rein nationale Fälle entschieden wird, „ohne Unterschied“, d.h. vor allem ebenso sorgfältig und ebenso strikt, angewandt werden (vgl. Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 4 EUV Rz. 54).
64bb) Sowohl das Äquivalenzprinzip als auch der Effektivitätsgrundsatz werden durch die Anwendbarkeit der in §§ 169 bis 171 AO geregelten allgemeinen Verjährungsregelungen im Erstattungsverfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG gewahrt.
65Insbesondere ist das Erstattungsverfahren für ausländische Gesellschaften wie die Klägerin nicht im Hinblick auf die in § 170 Abs. 2 Satz 1 AO geregelte Anlaufhemmung als ungünstiger ausgestaltet im Sinne des Äquivalenzprinzips zu betrachten. Der Klägerin ist zwar zuzugestehen, dass die Regelungen zur Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 AO mangels einer Erklärungspflicht für ausländische Antragsteller regelmäßig nicht eingreifen und dies insbesondere bei der gesetzlichen Einführung des § 32 Abs. 5 KStG im Jahr 2013 dazu führte, dass für ausländische Gesellschaften bei erstmaliger Antragstellung im Jahr 2013 die Kapitalertragsteuer für vor 2009 zugeflossene Kapitalerträge definitiv wurde, während inländische Gesellschaften infolge der Anrechnung im Veranlagungsverfahren die Abzugsteuer des Jahres 2008 bei Erklärungsabgabe 2009 noch im Rahmen einer 2013 erfolgten Steuerfestsetzung fruchtbar machen konnten.
66Allerdings ist diese regelmäßig fehlende Anlaufhemmung nicht isoliert zu betrachten, sondern in den Kontext der zu Grunde liegenden unterschiedlichen Verfahren zu stellen. So erreichen inländische Körperschaften die Berücksichtigung der Kapitalertragsteuer im Rahmen des Veranlagungsverfahrens, während für ausländische Körperschaften das Erstattungsverfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG vorgesehen ist. Das Veranlagungsverfahren verpflichtet zu einer umfassenden und damit aufwendigen Steuererklärung, während das Erstattungsverfahren in aller Regel deutlich weniger Aufwand erfordert und die Stellung eines Antrags damit kurzfristiger nach Entstehung des Erstattungsanspruchs erfolgen kann. Überdies bezweckt die Anlaufhemmung in § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO im Falle von Erklärungspflichten primär einen Schutz der Finanzverwaltung. So soll dieser auch bei Steuererklärungen, die kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist eingereicht werden, genügend Zeit für eine sachgerechte Prüfung zur Verfügung stehen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 2003, I R 10/02, BStBl. II 2003, 687; BFH-Urteil vom 15. Januar 2015, Az. I R 33/13, BFH/NV 2015, 797). Denn anders als im Erstattungsverfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG, wo die Antragstellung (durch die Anwendbarkeit von § 171 Abs. 3 AO) regelmäßig zur Fristwahrung reicht, ist für die Wahrung der Festsetzungsfrist im Veranlagungsverfahren gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO derjenige Zeitpunkt maßgeblich, in dem der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Auf den Zeitpunkt, in dem die Steuererklärung bei der Finanzbehörde eingeht, kommt es nicht an. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung führt nicht zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 3 AO, da sie nicht als Antrag im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 28. Juli 2021, X R 35/20, BFH/NV 2022, 1).
67Auch der Effektivitätsgrundsatz wird durch die Anwendung der allgemeinen Verjährungsregeln in §§ 169 bis 171 AO gewahrt, selbst wenn damit die Rückwirkung von § 32 Abs. 5 KStG eingeschränkt wird und der unionsrechtswidrige Zustand nicht vollständig für in der Vergangenheit an ausländische Gesellschafter ausgeschüttete Streubesitzdividenden beseitigt werden kann. Denn zur Wahrung des Prinzips der Rechtssicherheit erkennt der EuGH die Zulässigkeit solcher Fristen grundsätzlich an (vgl. Englisch in: Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Rz 12.48). Sie sind nach Auffassung des EuGH auch nicht geeignet, die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte zu erschweren bzw. unmöglich zu machen (vgl. EuGH-Urteil vom 15. Dezember 2011, Banca Antoniana Popolare Veneta Az. C-427/10, Slg 2011, I-13377). Insbesondere die nationale Festsetzungsfrist von vier Jahren gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO verstößt nicht gegen das Unionsrecht (vgl. BFH-Urteil vom 28. August 2014, Az. V R 8/14, BStBl. II 2015, 3). Eine zeitlich unbegrenzte Möglichkeit der Beantragung einer Erstattung widerspricht dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wonach die steuerliche Lage eines Steuerpflichtigen bezüglich seiner Rechte und Pflichten nicht ohne Befristung offenbleiben kann (vgl. EuGH-Urteil vom 21. Januar 2010, C-472/08, Alstom Power Hydro, Slg 2010, I-623; EuGH-Urteil vom 21. Juni 2012, Elsacom, Az. C-294/11, BFH/NV 2012, 1404).
68Ein sonstiger Aspekt hinsichtlich einer ungünstigeren Behandlung der Klägerin im Vergleich zu inländischen Gesellschaften oder hinsichtlich einer bedeutenden verfahrensrechtlichen Erschwerung ist nicht erkennbar. Insbesondere spielt die Bestandskraft des Freistellungs- und Erstattungsbescheids vom 15. Januar 2009 insoweit keine Rolle. In diesem Bescheid wurde zu Gunsten der Klägerin antragsgemäß über eine sich aus § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. Art. 10 DBA Deutschland-Zypern ergebende Teilentlastung bis zu einem Reststeuersatz von 15 % entschieden. Eine darüber hinausgehende Erstattung von Kapitalertragsteuer war nicht Gegenstand des Verfahrens, so dass etwaige ungünstige bzw. fehlende Rechtsschutzmöglichkeiten durch Ablauf der Einspruchsfrist sowohl vor der EuGH-Entscheidung als auch – erst recht – vor der gesetzlichen Umsetzung in § 32 Abs. 5 KStG im Hinblick auf diesen Bescheid im Zusammenhang mit der vorliegend von der Klägerin begehrten Erstattung keine Rolle spielen.
69Schließlich steht die unterschiedliche Verfahrensausgestaltung, insbesondere auch das Steuerabzugsverfahren, im Einklang mit Gemeinschaftsrecht. Gemäß dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Scorpio (vom 3. Oktober 2006, C-290/04, Slg. 2006, I-9461) sind Art. 59 und 60 EGV (jetzt: Art. 56, 57 AEUV) dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen auf die Vergütung eines Dienstleisters, der im Mitgliedstaat der Leistungserbringung nicht ansässig ist, ein Steuerabzugsverfahren Anwendung findet, während die Vergütung eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleisters diesem Verfahren nicht unterliegt, und nach denen der Dienstleistungsempfänger sogar in Haftung genommen wird, wenn er den Steuerabzug, zu dem er verpflichtet war, unterlassen hat (vgl. BFH-Urteil vom 22. August 2007, I R 46/02, BStBl. II 2008, 190; die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde durch Beschluss des BVerfG vom 5. November 2008, 2 BvR 788/08, erledigt). Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für das Kapitalertragsteuerverfahren als Steuerabzugsverfahren (vgl. FG Köln, Urteil vom 18. Januar 2017, 2 K 659/15, EFG 2017, 842).
70cc) Die allgemeine Anwendbarkeit der Verjährungsregelungen gemäß §§ 169 bis 171 AO im Erstattungsverfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG begründet auch keinen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV), auch nicht im Hinblick auf das EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011 (C-284/09).
71Indem im Erstattungsverfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG die allgemeinen Regelungen über die Festsetzungsverjährung gemäß §§ 169 bis 171 AO gelten, besteht zumindest formal betrachtet keine unterschiedliche Behandlung von ausländischen und inländischen Gesellschaften, da auch die Steuerveranlagung der inländischen Gesellschaften nur im Rahmen der Festsetzungsverjährung gemäß §§ 169 bis 171 AO möglich ist.
72Infolge der unterschiedlichen Verfahrensausgestaltung tritt jedoch bei Anwendung der §§ 169 bis 171 AO – insbesondere infolge der fehlenden Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bei ausländischen Gesellschaften – die Festsetzungsverjährung regelmäßig zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein, so dass ausländische Gesellschaften bei der Erstattung von zeitgleich einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer je nach Sachverhaltskonstellation anders, d.h. mit einem früheren Verjährungseintritt, behandelt werden als inländische Gesellschaften, die eine Berücksichtigung dieser Steuer durch Anrechnung im Veranlagungsverfahren erreichen.
73Diese verschieden langen Verjährungszeiträume sind jedoch durch die unterschiedliche Verfahrensausgestaltung bedingt und gerechtfertigt. Diese Verfahrensausgestaltung, insbesondere auch das Steuerabzugsverfahren, steht im Einklang mit Gemeinschaftsrecht (vgl. EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006, Scorpio, C-290/04, Slg. 2006, I-9461). Zudem ist das Erstattungsverfahren, das der Gesetzgeber anstelle eines ebenfalls denkbaren Veranlagungsverfahrens für beschränkt Steuerpflichtige installiert hat, regelmäßig weniger aufwendig und zeitlich kurzfristiger nach der Steuerentstehung umsetzbar. Außerdem führt die Abgabe einer Steuererklärung, anders als ein Erstattungsantrag, nicht zu einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 3 AO, so dass, insbesondere auch zum Schutz der Finanzverwaltung in Veranlagungsfällen, eine Anlaufhemmung geboten ist. So ist innerhalb der noch offenen Verjährungsfrist nicht nur der Antrag zu stellen – wie im Erstattungsverfahren –, sondern die Frist wird nur gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat (vgl. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO).
74dd) Im Übrigen entspricht diese Verjährungsregelung gemäß §§ 169 bis 171 AO für Erstattungsanträge gemäß § 32 Abs. 5 KStG im Grundsatz auch der Antragsfrist des § 50d Abs. 1 Satz 6 EStG in der 2013 geltenden Fassung, wonach die Antragsfrist vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres betrug, in dem die Kapitalerträge bezogen worden sind. Auch in Erstattungsfällen gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG war die Frist, innerhalb derer eine Erstattung möglich war, mithin – mit Ausnahme einer späteren Entrichtung gemäß § 50d Abs. 1 Satz 7 EStG in der 2013 geltenden Fassung – zeitlich kürzer als in den Fällen, in denen Steuerinländer eine Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer im Veranlagungsverfahren erreichen konnten. Gegen die Kapitalverkehrsfreiheit wurde hierdurch nicht verstoßen (vgl. FG Köln, Urteil vom 18. Januar 2017, 2 K 659/15, EFG 2017, 842).
75d) Die von der Klägerin geforderte EU-rechtskonforme Auslegung ist mangels EU-Rechtswidrigkeit nicht erforderlich.
76II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
77III. Die Revision zum Bundesfinanzhof war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.