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Der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften 2015 sowie der Bescheid über Gewerbesteuermessbetrag 2015, beide datierend vom 20. November 2020 und beide in Gestalt der jeweiligen Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2022, werden dahingehend geändert, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb im Sonderbereich des Gesellschafters A (= des Beigeladenen) sowie der Gewinn aus Gewerbebetrieb bei der Ermittlung des Gewerbeertrags um 30.000 €, korrigiert um etwaige Folgewirkungen bei der Berechnung einer Gewerbesteuerrückstellung, vermindert wird.
Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderten Steuerfestsetzungen bzw. Feststellungen nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner den Klägerinnen das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und die Bescheide mit jeweils geändertem Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekanntzugeben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerinnen und des Beigeladenen vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 2015 (Klage der Klägerin zu 1.; GmbH & Co. KG) und der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Einkünften 2015 (Klage der Klägerin zu 2.; GmbH & Co. KG in Prozessstandschaft für ihre Gesellschafter) vorrangig über die Frage, ob bestandskräftige Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) zulasten des Steuerpflichtigen geändert werden durften. Nachrangig wird über die Höhe eines Entnahmegewinns eines Grundstücks aus dem Sonderbetriebsvermögen gestritten.
3Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG (nachfolgend auch „Gesellschaft“ genannt), deren Geschäftsgegenstand ausweislich des Handelsregisters die Herstellung von ... ist. Ihr alleiniger, zu 100 % am Gewinn, Verlust und Vermögen der Gesellschaft beteiligter Kommanditist ist der Beigeladene Herr A. Komplementärin ohne Kapitalbeteiligung ist die Firma B-GmbH. Die Gesellschaft ermittelt ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 Einkommensteuergesetz (EStG).
4Im Streitjahr wurde ein unbebautes Teilstück (250 m²) einer größeren (nach Angaben der Klägerinnen sowie des Beigeladenen bereits seit langer Zeit bebauten) Grundstücksfläche aus dem Sonderbetriebsvermögen des Beigeladenen entnommen, um hierauf in der Folgezeit ein Mehrfamilienhaus zu errichten. Das betreffende Grundstück liegt an der Südseite der Cstraße in D auf Höhe des E-Platzes bzw. auf Höhe eines angrenzenden Parkplatzes und Geschäften. Die Cstraße in D war und ist ausweislich öffentlich einsehbarer Kartenunterlagen eine Straße südlich der Innenstadt von D. Die nähere Umgebung weist seit langer Zeit eine Mischbebauung mit Geschäfts- und Bürogebäuden, Einzelhandelsbetrieben, Handwerksbetrieben und Wohnbebauung auf.
5Im Mai 2017 reichte die – durch Steuerberaterin F aus G fachlich beratene – Klägerin die Feststellungserklärung 2015 ein. Darin deklarierte sie u.a. einen Entnahmeverlust aus dem Sonderbetriebsvermögen des Beigeladenen durch die Grundstücksentnahme. Ausweislich der Steuerakten ist der Fall der „Risikoklasse I“ zugeordnet und unterliegt als „I-Fall“ (Intensivprüfungsfall) einem Zeichnungsvorbehalt des Sachgebietsleiters.
6Unter dem 19. Juni 2017 erließ der Beklagte einen Feststellungsbescheid (festgestellter Gesamtgewinn: 187.747 €) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) nach § 164 AO, der im Erläuterungstext ausführte:
7„Bitte reichen Sie innerhalb von vier Wochen nach Erhalt dieses Bescheides folgende Erläuterungen und Nachweise hinsichtlich der Entnahme des Teilgrundstücks Cstr. 1 aus dem Sonderbetriebsvermögen von A (sic!) ein: Wie würde (sic!) der Entnahmewert des Teilgrundstücks i.H.v. 7.500 € (Ertrag aus dem Abgaben von Anlagegegenständen) ermittelt? Wie wurde der Wert des Abgangs aus dem Anlagevermögen für das Teilgrundstück i.H.v. 12.500 € berechnet?“
8Unter dem 28. Juni 2017 (siehe Blatt – Bl. – 74 der elektronischen Gerichtsakte – eGA) erteilte der Beklagte der Klägerin – ebenfalls unter VdN – außerdem einen Gewerbesteuermessbescheid für 2015 (Messbetrag: 5.621 €).
9Mit Schreiben vom 7. August 2017 erinnerte die Veranlagungsstelle (Frau H) die Steuerberaterin der Klägerin an die Beantwortung der Fragen.
10Am 6. September 2017 ging ein (fehlerhaft auf den 29. Dezember 2016 datierendes) Schreiben der Steuerberaterin ein, mit dem sie eine Berechnung des Entnahmeverlustes, einen Ausdruck (als sog. Screenshot / Bildschirmausdruck) aus dem Bodenrichtwertsystem Nordrhein-Westfalen (BORIS NRW) sowie einen A3-Grundstücksplan vorlegte.
11In der Berechnung (siehe Anlage K1 zur Klagebegründung, Bl. 36 eGA) wurde ein Entnahmeverlust von 5.000 € ausgewiesen, der aus einer Gegenüberstellung von Anschaffungskosten von 50 € je m² und einem Entnahmewert von 30 € je m² ermittelt wurde (250 m² und 20 € Entnahmeverlust je m² = 5.000 € Gesamtverlust). Die Berechnung ist überschrieben mit „Sonderbilanz I A – Abschluss 2015“ (fett und schwarz gedruckt) sowie „Hinweis zur Entnahme Teilgrundstück Cstr. 1 für Bau Mehrfamilienhaus in ...“ (fett und blau gedruckt) und verweist auf den Grundstücksplan sowie die dort markierten Teilflächen (A1, A2 und A3) des Gesamtgrundstücks. Die entnommene Fläche (250 m²) wird aufgeteilt in eine Fläche für „Entnahme für Neubau“ (Haus: 20m x 11m = 220 m²) sowie „Entnahme für Stellplätze“ (12m x 2,4m = aufgerundet 30m²). Die Berechnung enthält diverse Anmerkungen und „Haken“, die offensichtlich von der Bearbeiterin der Veranlagungsstelle angebracht worden sind (auch mit der Angabe „korrekt“).
12Der beigelegte farbige Bildschirmausdruck („Screenshot“; siehe Feststellungsakte 2015) aus BORIS NRW enthält die Grundstücksangabe und eine markierte Teilfläche mit einem Bodenrichtwert per 1. Januar 2016 von 30 € je m². Die Nutzungsart des ausgewählten Grundstücks ist laut diesem Bildschirmausdruck „Gewerbegebiete“. Aus dem Ausdruck ist erkennbar, dass in der Nähe liegende Richtwertzonen Bodenrichtwerte zwischen 170-190 € je m² aufweisen.
13In dem ferner beigefügten A3-Grundstücksplan ist die entnommene Teilfläche markiert. Der Grundstücksplan enthält ferner handschriftliche Anmerkungen, die nach dem Vortrag des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung von diesem seinerzeit angebracht worden sind, und bei diversen Grundstücksflächen außerhalb der hier streitigen Teilfläche insbesondere mehrfach den Vermerk „privat seit 1990“ enthalten.
14Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Veranlagungsvorgang in der Feststellungsakte verwiesen.
15Unter dem 26. September 2017 (siehe Bl. 79 eGA; in Einspruchsentscheidung des Beklagten versehentlich als Bescheid vom 26.06.2017 bezeichnet) und 6. Oktober 2017 (Bl. 78 eGA) hob der Beklagte den Nachprüfungsvorbehalt sowohl im Feststellungs- als auch im Gewerbesteuermessbescheid auf. Die VdN-Aufhebungen sind ausweislich der Steuerakten von der Veranlagungsbearbeiterin sowie vom Sachgebietsleiter freigegeben (paraphiert) worden.
16Seit März 2020 führte der Beklagte bei der Klägerin eine steuerliche Betriebsprüfung (Bp) durch, deren Ergebnisse im Prüfungsbericht vom 8. Oktober 2020 dargelegt sind. Neben hier unstreitigen Feststellungen überprüften die Bp und der von ihr hinzugezogene zuständige Bausachverständige (BSV) der Finanzverwaltung den angesetzten Entnahmewert (von 30 € je m²) und führten – zusammengefasst – aus, dass der Bodenrichtwert von 30 € je m² unzutreffend sei. In den Jahren 2014 bis 2019 seien zwar für die betreffende Lage die Nutzungsart „Gewerbegebiete“ und auch ein Wert von 30 € je m² in BORIS NRW ausgewiesen gewesen. Das betreffende Grundstück sei seinerzeit der um den I liegenden Richtwertzone zugeordnet gewesen, wie eine telefonische Rückfrage bei dem zuständigen Gutachterausschuss für Grundstückswerte ergeben habe. Im Jahre 2019 sei dem Gutachterausschuss aber aufgefallen, dass der Bodenrichtwert für die Gemarkung fehlerhaft angegeben worden sei, weil das Grundstück richtigerweise – wie nahe angrenzende Grundstücke – der Nutzungsart (Gebietsart) „Mischgebiet / Kerngebiet“ zuzuordnen sei. Ab dem Jahr 2020 habe der Gutachterausschuss die Zonierung und den angegebenen Bodenrichtwert korrigiert, zum 1. Januar 2020 habe der Bodenrichtwert 235 € betragen. Aufgrund dieser korrigierten Zonierung seien frühere Bodenrichtwerte (Werte vor 2020) in dem Internetportal „BORIS NRW“ nicht mehr abrufbar gewesen. Der Flächennutzungsplan (aus April 2009) weise das Gebiet, wie nun durch das Telefonat und nähere Recherchen bekannt geworden sei, als „Mischgebiet“ und nicht als „Gewerbegebiet“ aus. Im weiteren Verfahren ermittelte der BSV unter Betrachtung verschiedener möglicher Wertansätze für Kern- und Wohngebiete in 2015 im betreffenden Bereich sowie spezifischer Abschläge für Abriss- und Erdarbeiten einen Entnahmewert von 150 € je m² (statt bisher 30 € je m²), wodurch der Gewinn um 30.000 € (250 m² x 120 € Werterhöhung je m²) erhöht wurde. Wegen der weiteren Einzelheiten, Begründung, Berechnung, der genauen baulichen Gegebenheiten und der Auskünfte des Gutachterausschusses wird auf die Bp-Akten (hier „Trennblatt 19“), den Bp-Bericht vom 9. Oktober 2020, diverse Stellungnahmen des BSV sowie die Darstellung in der Einspruchsentscheidung (Seiten 3 bis 5) verwiesen.
17Unter dem 20. November 2020 (siehe Bl. 3 ff. eGA) erließ der Beklagte auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (Gewinnfeststellung; Gewinn nun 217.747,92 €) bzw. § 35b Abs. 1 Gewerbesteuergesetz – GewStG – (Messbetrag nun 6.671 €) gestützte Änderungsbescheide, in denen er im Sonderbetriebsvermögen des Beigeladenen – neben den unstreitigen Prüfungsfeststellungen – anstelle eines bisherigen Entnahmeverlustes von 5.000 € nunmehr einen Entnahmegewinn von 25.000 € (Gewinnerhöhung daher 30.000 €) ansetzte.
18Hiergegen am 16. Dezember 2020 erhobene Einsprüche wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 15. Juni 2022 (getrennt erlassen gegen die Klägerin zu 1. betreffend den Gewerbesteuermessbetrag und der Klägerin zu 2. mit dem Zusatz „in Prozessstandschaft für ihre Gesellschafter...“ betreffend den Feststellungsbescheid) als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidungen führen – zusammengefasst – aus, dass die Voraussetzungen für eine Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vorlägen. Zwar sei der Bodenrichtwert selbst keine neue Tatsache, ebenso wenig liege in den Stellungnahmen des BSV zur Grundstücksbewertung eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel i.S.d. § 173 AO. Wertbildende Faktoren wie Größe, Lage, Erschließungssituation, Bebaubarkeit u.ä. seien aber Tatsachen im Sinne der Norm. Nach der BFH-Rechtsprechung liege eine neue Tatsache vor, wenn ein Steuerpflichtiger einen Wert angebe, „ohne die wertbildenden Eigenschaften zu erläutern“. Die spätere Erkenntnis eines abweichenden Wertes könne dann eine neue Tatsache sein (Verweis auf das BFH-Urteil vom 25. Juli 2001, VI R 82/96, BFH/NV 2001, 1533). In den eingereichten Unterlagen sei die Nutzungsart des Grundstücks als „Gewerbegebiet“ bezeichnet gewesen. Diese Kategorisierung habe sich die Klägerin zu Eigen gemacht. Hierbei habe es sich um eine unzutreffende Information zu einem wertbestimmenden Faktor gehandelt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Klägerin aber – so der Beklagte – der mangelnde Wahrheitsgehalt dieser Information angesichts der eigenen Bauplanungen bereits bekannt gewesen. Dem Beklagten sei der Fehler erst später aufgefallen.
19Eine Änderung scheide – so der Beklagte – auch nicht wegen des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals aus, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit Vorrang vor einer Korrektur habe, wenn die Finanzverwaltung die fehlerhafte Steuerfestsetzung durch die Verletzung von Aufklärungspflichten verursacht habe. Im Streitfall wiege der klägerische Verstoß bei der Abgabe vollständiger und wahrheitsgemäßer Steuererklärungen höher als ein etwaiges Ermittlungsversäumnis des Finanzamtes. Das Finanzamt sei zudem im Streitfall seiner „durch den offensichtlich eingetretenen Wertverlust des Grundstücks begründeten erhöhten Aufklärungspflichten“ durch den Abgleich mit dem maßgeblichen Bodenrichtwert angemessen nachgekommen. Angesichts des Umstandes, dass die Bodenrichtwertsammlung als „amtliche Sammlung“ für das betreffende Grundstück die Nutzungsart „Gewerbegebiete“ ausgewiesen habe und diese Angabe zum damaligen Zeitpunkt mit dem ausgewiesenen Bodenrichtwert (von 30 €/m²; Anm. des Gerichts) korrespondiert habe, habe sich dem Beklagten seinerzeit keine weitere Ermittlung aufgedrängt. Für den nicht vollständig aufgeklärten Sachverhalt habe daher der Steuerpflichtige die Verantwortung zu tragen. Der Beklagte habe der Steuererklärung nicht mit Misstrauen begegnen müssen. Da hiernach eine neue Tatsache i.S.d. § 173 AO vorliege und kein Ermittlungsversäumnis gegeben sei, erübrige sich die Prüfung, ob bzw. in welchem Umfang die Klägerin mit ihrem Erklärungs- und Mitwirkungsverhalten für den falschen Wertansatz verantwortlich gewesen sei.
20Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerseite eine Änderung der Bescheide, soweit anstatt des Entnahmeverlustes ein Entnahmegewinn angesetzt wurde. Es mangele bereits an den formellen Voraussetzungen zur Änderung der Steuerbescheide, jedenfalls sei aber ein etwaiger Entnahmegewinn geringer anzusetzen (Grundstücks-Entnahmewert mit höchstens 100 € je m² anstatt 150 € je m²). Die Steuerberaterin habe seinerzeit eine Anlage, überschrieben mit „Hinweis zur Entnahme Teilgrundstück Cstr. 1 für Bau Mehrfamilienhaus in ...“ beigefügt, die Überschrift sei fett und blau hervorgehoben worden. Die wertbildenden Faktoren seien seinerzeit mitgeteilt worden und dem Beklagten bekannt gewesen.
21Der Umstand, dass der in BORIS NRW ausgewiesene Wert zu niedrig gewesen sei, könne keine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO rechtfertigen. Dem Beklagten sei der Entnahmezweck („für Bau Mehrfamilienhaus in ...“) bekannt gewesen. Außerdem hätten alle Beteiligten, d.h. Steuerpflichtiger und Finanzbehörde, auf die Richtigkeit amtlicher Informationen vertrauen dürfen. Es sei widersprüchlich, wenn der Beklagte seinerzeit auf die Richtigkeit der übermittelten Informationen vertraut haben wolle, gleichzeitig aber der Klägerin vorwerfe, sie habe nicht vertrauen dürfen. Fehlerhaft sei auch, dass der Beklagte behaupte, die Klägerin habe sich die Kategorisierung in BORIS NRW und damit eine „unzutreffende Information zu einem wertbestimmenden Faktor“ zu Eigen gemacht, zugleich aber behaupte, der Klägerin müsse „der mangelnde Wahrheitsgehalt dieser Information angesichts der eigenen Bauplanungen bereits bekannt gewesen sein“. Den Beklagten treffe die Beweislast für diese Behauptung, außerdem habe er selbst um die tatsächliche Bebauung vor Ort gewusst und – wie die Klägerin – auf die Richtigkeit der Informationen in BORIS NRW vertraut. Der Beklagte sei durch das Schreiben der Steuerberaterin im Veranlagungsverfahren darüber informiert worden, dass der Bau eines Mehrfamilienhauses beabsichtigt gewesen sei. Dies gehe aus der Überschrift der im Veranlagungsverfahren eingereichten Anlage eindeutig hervor. Die in BORIS NRW enthaltenen Angaben seien öffentlich gemachte amtliche Mitteilungen über tatsächlich amtlich festgestellte aktuelle Grundstückswerte, anders formuliert „amtliche Tatsachen“. Auch amtliche Tatsachenmitteilungen könnten falsch sein. Die spätere Korrektur des Gutachterausschusses mache die Tatsache aber nicht neu, sondern „nur richtig“.
22Das vom Beklagten zitierte BFH-Urteil betreffe einen anderen Fall, in dem die wertbildenden Eigenschaften nicht erläutert worden seien. Vorliegend habe die Klägerin aber die wertbildenden Eigenschaften durch den Auszug aus BORIS NRW, die Berechnung (mit Bezeichnung des Entnahmezweckes „Bau eines Mehrfamilienhauses“) und den Grundstücksplan erläutert. Der in amtlicher Sphäre („Sphäre der öffentlichen Hand, also der Sphäre des Beklagten“) beim Gutachterausschuss aufgetretene Fehler sei der Klägerin nicht anzulasten. In Ausnahmefällen, etwa dem eines kollusiven Zusammenwirkens, möge dies anders sei. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor.
23Rein vorsorglich werde hilfsweise beantragt, den Entnahmewert herabzusetzen. Aufgrund baulicher Besonderheiten sei ein weiterer Abschlag geboten, der Entnahmewert sei mit höchstens 100 € je m² anzusetzen.
24Das Gericht hat den betroffenen Gesellschafter zu dem vorliegenden Klageverfahren beigeladen. Dieser hat, ebenso vertreten durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen, mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023 sowie persönlich in der mündlichen Verhandlung näher zu den örtlichen Verhältnissen des betroffenen Grundstücks sowie der Umgebungsbebauung vorgetragen. Insbesondere führt er an, dass die entnommene Teilfläche seinerzeit als gepflasterte LKW-Zufahrt genutzt worden sei und einen ... als Zugang zum Dach des bereits bestehenden ...gebäudes, auf dem u.a. ... gewesen seien, enthalten habe. Auf dem klägerischen Grundstück habe sich außerhalb der entnommenen Teilfläche bereits seit 1990 ein Mehrfamilienhaus (mit 5 Wohnungen) befunden, dies sei dem Beklagten auch aufgrund entsprechender Angaben in den Einkommensteuerakten bekannt gewesen.
25Die Klägerinnen beantragen,
26den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften 2015 sowie den Bescheid über Gewerbesteuermessbetrag 2015, beide datierend vom 20. November 2020 und beide in Gestalt der jeweiligen Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2022, dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb im Sonderbereich des Gesellschafters A sowie der Gewinn aus Gewerbebetrieb bei der Ermittlung des Gewerbeertrags um 30.000 € (von der Bp angesetzte Entnahmegewinnerhöhung bzgl. des Grundstücks „Cstr. 1, D“), ggf. korrigiert um Folgewirkungen bei der Berechnung einer Gewerbesteuerrückstellung, vermindert wird.
27Der Beigeladene beantragt,
28den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften 2015, datierend vom 20. November 2020 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 2022, dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb im Sonderbereich des Gesellschafters A (= des Beigeladenen) um 30.000 € (von der Bp angesetzte Entnahmegewinnerhöhung bzgl. des Grundstücks „Cstr. 1, D“), ggf. korrigiert um Folgewirkungen bei der Berechnung einer Gewerbesteuerrückstellung, vermindert wird.
29Der Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Er verweist auf die Einspruchsentscheidung. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagtenvertreter korrigierend und ergänzend ausgeführt, die Beklagtenseite erhebe keinen Vorwurf einer manipulierten Sachverhaltsdarstellung gegenüber der Klägerseite. Beide Beteiligten hätten damals auf die Zonierung und die in BORIS NRW angegebenen Daten und Werte, insbesondere die Angabe der Nutzungsart „Gewerbegebiet“, vertraut. Es werde auch eingestanden, dass die klägerische Berechnung seinerzeit angeführt habe, dass die Entnahme für den Bau eines Mehrfamilienhauses in ... beabsichtigt gewesen sei. Der danach aus den Akten ersichtliche beabsichtigte Verwendungszweck sei aber nicht gleichzusetzen mit der baurechtlich zulässigen Nutzungsart, die er – der Beklagte – im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nicht gekannt habe. Ebenso wenig habe der Beklagte die von der Bp und dem BSV im Betriebsprüfungsverfahren ermittelten detaillierten tatsächlichen Umstände (bspw. den Flächennutzungsplan, die genaue Bebauungssituation, weitere wertbegründende Eigenschaften der Teilfläche wie beispielsweise dessen Beschaffenheit) gekannt. Etwaige in den Einkommensteuerakten enthaltene Angaben zur vorhandenen Bebauung der übrigen Grundstücksfläche seien für das Feststellungsverfahren nicht von Bedeutung und könnten nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Angaben der Klägerin und des Beigeladenen zur angrenzenden Bebauung (mit einem Familienhaus/Mehrparteienhaus) könnten weder bestätigt noch bestritten werden. Sie seien damals jedenfalls im Veranlagungsvorgang nicht enthalten gewesen. Die Veranlagungsbearbeiterin habe dadurch seinerzeit im Veranlagungsverfahren die Vorstellung gehabt, dass eine gewerbliche Fläche entnommen worden und der Bodenrichtwert von 30 € je m² hierfür sachgerecht sei. Im Lichte der durch die Bp und den BSV aufgedeckten (weiteren) wertbegründenden Umstände habe sich diese Annahme aber als unrichtig herausgestellt. Dies ermögliche eine Änderung des Bescheids aufgrund neuer Tatsachen.
32Das Gericht hat die aktuelle Zonierung und den aktuellen Bodenrichtwert nebst Erläuterungen im Internetportal „BORIS NRW“ eingesehen und den Beteiligten übersandt. Per 1. Januar 2022 ist die Gemarkung „Cstraße 1, D“ als … Entwicklungszustand „Baureifes Land“, Nutzungsart „Mischgebiet, Kerngebiet“, Bo-denrichtwert 250 €/m² (für Misch-/Mehrgeschossige Bebauung) ausgewiesen. Die Erläuterungen des Gutachterausschusses J führen u.a. aus:
33Allgemeine Erläuterungen zu den Bodenrichtwerten (Stand 25.01.2023)
34Der Bodenrichtwert (siehe § 196 Baugesetzbuch – BauGB) ist ein vorwiegend aus Grundstückskaufpreisen abgeleiteter durchschnittlicher Lagewert für den Boden. Er ist bezogen auf den Quadratmeter Grundstücksfläche (€/m²) eines Grundstücks mit definiertem Grundstückszustand (Bodenrichtwertgrundstück). In bebauten Gebieten werden die Bodenrichtwerte mit dem Wert ermittelt, der sich ergeben würde, wenn der Boden unbebaut wäre (§ 196 Abs. 1 BauGB). Bodenrichtwerte beziehen sich auf altlastenfreie Grundstücke. Flächenhafte Auswirkungen wie z.B. bei Denkmalbereichssatzungen, Lärmzonen, Bodenbewegungsgebieten, Boden- und Grundwasserverhältnisse sind im Bodenrichtwert berücksichtigt.
35Die Bodenrichtwerte werden in Richtwertzonen ausgewiesen. Diese Zonen umfassen Gebiete, die nach Art und Maß der Nutzung weitgehend übereinstimmen.
36Jedem Bodenrichtwert ist ein beschreibender Datensatz zugeordnet, der alle wertrelevanten Merkmale wie z.B. Entwicklungszustand, Art und Maß der Nutzung, Geschosszahl, Baulandtiefe, Grundstücksfläche, spezielle Lage innerhalb der Bodenrichtwertzone enthält. Diese wertbeeinflussenden Merkmale definieren das Bodenrichtwertgrundstück.
37Das Lagemerkmal des jeweiligen Bodenrichtwertgrundstücks wird in der Regel durch die Position der Bodenrichtwertzahl visualisiert.
38Einzelne Grundstücke in einer Bodenrichtwertzone können in ihren wertrelevanten Merkmalen von der Beschreibung der Merkmale des Bodenrichtwertgrundstücks abweichen. Abweichungen des einzelnen Grundstücks von dem Bodenrichtwertgrundstück in Bezug auf die wertbestimmenden Eigenschaften bewirken Zu- oder Abschläge vom Bodenrichtwert. Diese können aus Umrechnungsvorschriften des jeweiligen Gutachterausschusses abgeleitet werden. Sie werden jedem Bodenrichtwertausdruck beigefügt.
39Die Bodenrichtwerte werden gemäß § 196 Abs. 1 BauGB und § 37 der Verordnung über die amtliche Grundstückswertermittlung Nordrhein-Westfalen (Grundstückswertermittlungsverordnung Nordrhein-Westfalen – GrundWertVO NRW) jährlich durch den jeweiligen örtlichen Gutachterausschuss für Grundstückswerte beschlossen und veröffentlicht (www.boris.nrw.de).
40Ansprüche gegenüber Genehmigungsbehörden z.B. Bauplanungs-, Baugenehmigungs- oder Landwirtschaftsbehörden können weder aus den Bodenrichtwerten, den Abgrenzungen der Bodenrichtwertzonen noch aus den sie beschreibenden Eigenschaften abgeleitet werden.
41[...]
42Bodenrichtwertdefinitionen
431. Gemäß § 193 Abs. 3 des Baugesetzbuches (BauGB)* hat der Gutachterausschuss für Grundstückswerte J die veröffentlichten Bodenrichtwerte nach den Bestimmungen des Baugesetzbuches und der Grundstückswertermittlungsverordnung Nordrhein-Westfalen (GrundWertVO NRW)* vom 8. Dezember 2020 zum Stichtag 01.01.2022 ermittelt.
442. Der Bodenrichtwert ist als zonaler Wert des Bodens für die Mehrheit von Grundstücken, für die im Wesentlichen gleiche Nutzungs- und Wertverhältnisse vorliegen, beschlossen. Er ist bezogen auf den Quadratmeter Grundstücksfläche eines Grundstücks mit dem definierten Grundstückszustand (Bodenrichtwertgrundstück). Bodenrichtwerte werden für baureifes Land, gegebenenfalls auch für Rohbauland und Bauerwartungsland sowie für landwirtschaftlich und forst-wirtschaftlich genutzte Flächen abgeleitet. Bodenrichtwerte für Rohbauland und Bauerwartungsland sind in J nicht beschlossen worden.
453. Die Bodenrichtwerte sind in bebauten Gebieten mit dem Wert zu ermitteln, der sich ergeben würde, wenn die Grundstücke unbebaut wären.
464. Abweichungen eines einzelnen Grundstücks von dem Bodenrichtwertgrundstück in den wertbeeinflussenden Merkmalen und Umständen - wie Erschließungszustand, spezielle Lage, Art und Maß der baulichen Nutzung, landwirtschaftliche Nutzung, Bodenbeschaffenheit, Hochwasserrisiko, Grundstücksgestalt, insbesondere Grundstückstiefe oder Grundstücksgröße - bewirken in der Regel entsprechende Abweichungen seines Verkehrswertes von dem Bodenrichtwert.
475. Bodenrichtwerte werden grundsätzlich für altlastenfreie Grundstücke ausgewiesen. Ortsübliche Verhältnisse in Sinne der Definitionen gemäß Absatz 2 und des Bundesbodenschutzgesetztes (BBodSchG § 2)* werden unterstellt. In weiten Bereichen J ist ... umgegangen.
486. Die Bodenrichtwerte berücksichtigen die flächenhafte Auswirkungen des Denkmalschutzes (z.B. Ensembles in historischen Altstädten), soweit sie für das Bodenrichtwertgebiet typisch sind, nicht aber das Merkmal Denkmal eines Einzelgrundstücks.
497. Die Bodenrichtwerte haben keine bindende Wirkung. Ansprüche können weder aus den Bodenrichtwerten, den Abgrenzungen der Bodenrichtwertzonen bei zonalen Bodenrichtwerten noch aus den sie beschreibenden Attributen abgeleitet werden.
508. Bodenrichtwerte sind nur innerhalb des Auswertemodells des jeweiligen Gutachterausschusses zu benutzen. Daher sind für die Umrechnungen von Bodenrichtwerten auf Bewertungsgrundstücke ausschließlich die Umrechnungstabellen des jeweiligen Gutachterausschusses zu verwenden.
51Entscheidungsgründe
52I. Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Soweit der Beklagte anstelle eines Entnahmeverlustes einen Entnahmegewinn angesetzt hat, sind die angefochtenen Bescheide verfahrensfehlerhaft ergangen. Insbesondere liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor mit der Folge, dass auch die auf § 35b GewStG gestützte Folgeänderung des Gewerbesteuermessbescheids rechtswidrig ist.
53Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Als weitere (aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben hergeleitete) ungeschriebene Voraussetzung darf ferner keine überwiegende Verletzung der Ermittlungspflicht der Finanzbehörde bei gleichzeitiger Erfüllung der Steuererklärungs- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen vorliegen.
54Im Streitfall sind dem Beklagten zwar neue steuererhöhende Tatsachen bekannt geworden (hierzu nachfolgend 1.). Diese ermöglichen aufgrund einer Ermittlungspflichtverletzung der Finanzbehörde aber keine Änderung der angefochtenen Feststellung und Festsetzung (hierzu nachfolgend 2.).
551. Im Streitfall liegen nachträglich bekannt gewordene („neue“) Tatsachen vor.
56a. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt; also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen. Schlussfolgerungen sind keine Tatsachen, dasselbe gilt für die (geänderte) steuerliche Würdigung von Tatsachen. Der Wert eines Gegenstands ist ebenfalls keine Tatsache. Er ist nur das Ergebnis von Schlussfolgerungen aus den wertbegründenden Eigenschaften (vgl. zum Ganzen Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 2, 3, 9 mit diversen Rechtsprechungsnachweisen, Stand September 2020).
57Dagegen sind die wertbildenden oder wertbegründenden Merkmale, z.B. die Beschaffenheit oder die Bebauung eines Grundstücks, Tatsachen i.S.d. § 173 AO. Hat ein Steuerpflichtiger einen Wert angesetzt, ohne die wertbegründenden Eigenschaften zu erläutern, können spätere Erkenntnisse eine Änderung des Steuerbescheides aufgrund neuer Tatsachen rechtfertigen (vgl. etwa BFH-Urteil vom 25. Juli 2001, VI R 82/96, BFH/NV 2001, 1533 mit Verweis auf BFH-Urteil vom 11. Mai 1999, IX R 72/96, BFH/NV 1999, 1446).
58Die Bezeichnung steuertatbestandsrelevanter Vorgänge durch Begriffe, die eine rechtliche Wertung umfassen, bezieht sich auf Tatsachen. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit dieser Bezeichnung, ist die Nachprüfung der Subsumtion Sachverhaltsfeststellung. Folglich kann ein Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgehoben oder geändert werden, wenn sich herausstellt, dass die aus den Angaben des Steuerpflichtigen übernommene rechtliche Beurteilung nicht zutrifft (vgl. Loose, a.a.O., § 173 AO Rn. 4 m.w.N.).
59Behördliche Erklärungen und amtliche Bescheinigungen über steuerlich relevante Vorgänge können je nach Fassung des materiellen Steuergesetzes Tatsachen, Beweismittel, Grundlagenbescheide oder rückwirkende Ereignisse sein. Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988, VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585). Sachverständigengutachten sind Beweismittel. Ein von einem der Steuerfestsetzung zugrunde gelegten Gutachten abweichendes Gutachten rechtfertigt die Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids jedoch nicht, wenn es nur zu einem anderen Ergebnis kommt, also lediglich andere Schlussfolgerungen enthält (vgl. Loose, a.a.O., § 173 AO Rn. 22 m.w.N.).
60b. Bei Übertragung der vorgenannten Grundsätze auf den Streitfall stellen weder der Entnahmewert der Grundstücksfläche (Teilwert gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) noch der in BORIS NRW seinerzeit ausgewiesene Bodenrichtwert (von 30 € je m²) eine Tatsache im vorgenannten Sinne dar. Diese Werte sind keine Tatsachen, sondern das Ergebnis von Schlussfolgerungen aus den jeweiligen wertbegründenden Eigenschaften.
61Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die seinerzeitige Zurechnung des streitigen Grundstücks zu einer mit „Gewerbegebiete“ bezeichneten Zone durch den Gutachterausschuss für Grundstückswerte nach Überzeugung des Senats weder eine (neue) Tatsache, noch ein (neues) Beweismittel. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass auch die Angabe „Gewerbegebiete“, die als eine baunutzungsrechtliche Beschreibung eines Gebietscharakters (vgl. § 8 Baunutzungsverordnung, BauNVO) eine außersteuerliche Sachverhaltswürdigung darstellt, bei einer fehlerhaften Subsumtion eine Tatsache sein kann. Ebenso wenig wird verkannt, dass die Angabe eines Bodenrichtwertes in BORIS NRW als behördliches Sachverständigengutachten ein Beweismittel darstellen kann. So könnte eine falsche Zonierung bei fehlerhafter Erfassung der tatsächlichen Gebietsmerkmale bei späteren Erkenntnissen eine (neue) Tatsache darstellen. Im Streitfall ist für den Senat aber nicht erkennbar, dass der Gutachterausschuss seinerzeit auf falscher Tatsachengrundlage „zoniert“ hat. Ein Vergleich der damaligen mit der aktuellen Zonierung zeigt vielmehr, dass der Gutachterausschuss durch eine genauere Befassung mit den tatsächlichen Gegebenheiten die „gewerbliche Zone“ (rund um den I) nunmehr trennschärfer von der umliegenden Zone (mit Mischbebauung) abgegrenzt hat. Nach den Ausführungen des Gutachterausschusses hätte – bei genauer Betrachtung – die Zonierung schon damals anders verlaufen müssen. Deshalb sind die alten Bodenrichtwerte im Internetsystem BORIS NRW nicht mehr abrufbar. Hiermit hat der Gutachterausschuss nach dem Dafürhalten des Senats aber „lediglich andere Schlussfolgerungen“ aus den bereits im Zeitpunkt der Entnahme bekannten tatsächlichen Umständen gezogen, wodurch eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel insoweit ausscheiden. Die geänderte Zonierung hat auch weder steuerliche Rückwirkung (i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO), noch hat die Zonierung die Wirkung eines Grundlagenbescheids i.S.d. §§ 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.
62(Neue) Tatsachen sind im Streitfall dagegen die einzelnen wertbegründenden Merkmale, aus denen sich der Bodenrichtwert und (mit weiteren Modifikationen, etwa durch Abrisskosten und Erdarbeiten) der Teilwert ergaben. Tatsachen sind dabei insbesondere die konkrete Beschaffenheit der streitigen Teilfläche (bspw. deren „Pflasterung“ und der bei Entnahme aufstehende ...), die tatsächliche unmittelbar angrenzende Bebauung (Bestandsbauten der Klägerin) sowie die Umgebungsbebauung.
63Einzelne vorgenannte Merkmale, insbesondere die an die streitige Teilfläche angrenzende vorhandene Bebauung sowie die weitere Umgebungsbebauung sind dem Beklagten nach Aktenlage erst nach Erteilung der VdN-Aufhebungsbescheide (die nach § 164 Abs. 3 Satz 2 AO Feststellungen bzw. Festsetzungen ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen) bekannt geworden. Ebenso sind dem Beklagten weitere Umstände zur Beschaffenheit der entnommenen Teilfläche erst nachträglich, nämlich im Rahmen der Ermittlungen des BSV, zur Kenntnis gelangt. Hierin liegen im Streitfall „neue Tatsachen“ i.S.d. § 173 AO. Diese wirkten auch insoweit steuererhöhend, als eine Zuordnung einer Grundstücksfläche zu einer „Misch- oder Kernbebauung“ unstreitig mit höheren Bodenrichtwerten zu bewerten ist als eine Zuordnung zu einem „Gewerbegebiet“. Dies ist an dem in BORIS NRW schon seinerzeit erkennbaren deutlichen Unterschied der Bodenrichtwerte für das „Gewerbegebiet I“ (Richtwert 30 € je m²) zu den umliegenden Gebieten (Richtwerte 170-190 € je m²) erkennbar.
642. Die vorgenannten Tatsachen können gleichwohl nicht berücksichtigt werden, weil die Finanzbehörde aufgrund einer erheblichen Verletzung der ihr obliegenden Amtsermittlungspflicht nach Treu und Glauben an der Durchführung der angefochtenen Änderungen gehindert ist.
65a. Für den Fall der Aufhebung oder Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen normiert § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zwar nicht ausdrücklich eine Regelung wie jene des „groben Verschuldens“ in § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Doch kann sich nach der Rechtsprechung ein rechtliches Hindernis zum einen aus § 176 AO (so BFH-Urteil vom 23. November 1987, GrS 1/86, BStBl II 1988, 180), zum anderen aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben ergeben (siehe etwa BFH-Urteil vom 11. November 1987, I R 108/85, BStBl II 1988, 115).
66Die Finanzbehörde verstößt gegen Treu und Glauben, wenn sie den Steuerbescheid aufhebt oder ändert, weil ihr nachträglich Tatsachen (oder Beweismittel) bekannt geworden sind, die sie bei gehöriger Erfüllung der ihr nach § 88 AO obliegenden Ermittlungspflicht schon vor der Steuerfestsetzung hätte feststellen können. Das beruht im Wesentlichen auf dem Grundgedanken der Vorschrift, demzufolge der Steuerpflichtige nicht darunter leiden soll, dass die Finanzbehörde ihrer Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts nicht nachgekommen ist. Voraussetzung ist aber, dass der Steuerpflichtige selbst seine Steuererklärungs- und Mitwirkungspflichten in zumutbarem Umfang voll erfüllt hat (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 26. Februar 2003, IX B 221/02, BFH/NV 2003, 1029 m.w.N.). Die Finanzbehörde braucht eindeutigen Steuererklärungen und vorgelegten Jahresabschlüssen nicht mit Misstrauen zu begegnen; sie kann regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen, ohne besondere Ermittlungen anstellen zu müssen. Sich aufdrängenden Zweifeln muss sie aber nachgehen (vgl. zum Ganzen Loose, a.a.O., § 173 AO Rn. 62, 65 mit diversen Rechtsprechungsnachweisen).
67Verzichtet das Finanzamt gegenüber dem Steuerpflichtigen ausdrücklich auf die Abgabe einer förmlichen Erklärung und fordert ihn stattdessen zu bestimmten Angaben auf, verletzt es seine Ermittlungspflicht, wenn die geforderten Angaben für die Ermittlung des für die Steuerfestsetzung maßgebenden Sachverhalts nicht ausreichen und es auch später vor Erlass des Steuerbescheids keine weiteren Fragen stellt. Erfüllt der Steuerpflichtige in einem solchen Fall seinerseits seine Mitwirkungspflichten, indem er die vom Finanzamt gestellten Fragen zutreffend und vollständig beantwortet, ist das Finanzamt nach Treu und Glauben an einer Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gehindert, wenn es später Kenntnis von steuererhöhenden Tatsachen erlangt. Der Steuerpflichtige ist nicht verpflichtet, auf der Grundlage der maßgebenden steuerrechtlichen Vorschriften zu prüfen, ob die vom Finanzamt erbetenen Angaben eine zutreffende Steuerfestsetzung ermöglichen oder ob dazu weitere Angaben erforderlich wären. Es fällt vielmehr in den Verantwortungsbereich des Finanzamts, die entscheidungserheblichen Fragen zu stellen (so zum Ganzen wörtlich BFH-Urteil vom 29. November 2017, II R 52/15, BStBl II 2018, 419).
68Bei beiderseitigen Pflichtverstößen kommt es bei einer dann gebotenen Abwägung der Pflichtverstöße darauf an, welche Ermittlungsmaßnahmen von der Finanzbehörde und welche Mitwirkungshandlungen von dem Steuerpflichtigen billigerweise verlangt werden können. Der Verstoß der Finanzbehörde muss, um eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu hindern, den Verstoß des Steuerpflichtigen deutlich überwiegen (vgl. etwa BFH-Urteil vom 21. Februar 2017, VIII R 46/13, BStBl II 2017, 745, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
69b. Im Streitfall liegt eine überwiegende Ermittlungspflichtverletzung des Beklagten vor.
70Das Gericht kann einen (wesentlichen) Steuererklärungs- oder Mitwirkungsverstoß der Klägerin nicht erkennen. Den zumutbaren Pflichten bei der Sachverhaltsaufklärung ist die Klägerin nachgekommen. Sie hat auf Aufforderung des Beklagten eine detaillierte Berechnung vorgelegt, die den beabsichtigten Nutzungszweck („Bau Mehrfamilienhaus“) – ausdrücklich und schriftbildlich durch blauen Fettdruck hervorgehoben – benannt hat. Die zu entnehmende Fläche wurde auch in Lage und Größe zutreffend bezeichnet. Unaufgeforderte Angaben zu Abrisskosten und Erdarbeiten drängten sich der Klägerseite nicht auf, weil diese den Bodenwert eher gemindert hätten, denn bei der gebotenen Bewertung mit dem Teilwert hätte ein gedachter Erwerber diese Kosten kaufpreismindernd berücksichtigt.
71Der Umstand, dass die Klägerin im Veranlagungsverfahren den Bildschirmauszug aus BORIS NRW vorgelegt hat und hier „Gewerbegebiete“ als Nutzungsart angegeben war, kann ihr nach Überzeugung des Senats nicht angelastet werden. Es war ein außersteuerliches (wohl auf Begriffen der BauNVO basierendes) beschreibendes Merkmal für einen vorherrschenden Gebietscharakter aufgrund einer Zonierung durch den Gutachterausschuss, den ein nicht im Grundstücksbewertungsrecht tätiger Steuerpflichtiger und auch dessen steuerlicher Berater nach Auffassung des Senats nicht hinterfragen musste. Die in BORIS NRW ausgewiesenen Bodenrichtwertzonen sind, wie die Erläuterungen zu den Fachinformationen zeigen, mit einer Vielzahl von Einschränkungen versehen. Der Gutachterausschuss beschreibt in den allgemeinen Erläuterungen detailliert die typisierende Betrachtung und die Bildung von Richtwertzonen, in denen „Art und Maß der Nutzung weitgehend übereinstimmen“. Die Bodenrichtwerte (vgl. § 196 Baugesetzbuch) haben hiernach keine bindende Wirkung. Insbesondere können Ansprüche weder aus den Abgrenzungen der Bodenrichtwertzonen, noch aus den sie beschreibenden Attributen abgeleitet werden. Der Bodenrichtwert unterstellt zudem ortsübliche Verhältnisse, Altlastenfreiheit sowie eine Standard-Grundstückstiefe (abweichende Grundstückstiefen sind mit einem Umrechnungskoeffizienten bei der Bewertung zu berücksichtigen). Es war aus Sicht des erkennenden Senats vertretbar, dass die Klägerin den für „ihr Grundstück“ ausgewiesenen amtlichen Wert für steuerliche Zwecke übernommen hat. Mit der Angabe des Bebauungszwecks hat die Klägerin hinreichend deutlich gemacht, dass im Gebiet keine reine gewerbliche Nutzung, sondern eine gemischte Nutzung besteht. Die tatsächliche Nachbarbebauung und die weitere Umgebungsbebauung waren – für den Senat nachvollziehbar – für die Klägerin offenkundige oder jedenfalls durch die Finanzbehörde leicht aufzuklärende Tatsachen. Überdies ist zu berücksichtigen, dass der von der Klägerin beim Beklagten eingereichte Bildschirmausdruck auch die umliegenden Richtwertzonen mit wesentlich höheren Bodenrichtwerten enthielt. Die Klägerin konnte und durfte vor diesem Hintergrund zu Recht davon ausgehen, dass der Beklagte ausreichend Informationen besaß, um in eine eigene– ggf. vom Bodenrichtwert abweichende – Bewertung einzutreten.
72Im Gegensatz dazu sieht der Senat gravierende Ermittlungspflichtverletzungen der Finanzbehörde. Der Beklagte hat, wie in der Einspruchsentscheidung selbst vorgetragen, einen Aufklärungsbedarf aufgrund der ungewöhnlichen Geltendmachung eines Entnahmeverlustes (bei einer unbebauten Grundstücks-Teilfläche) durchaus erkannt. Ein Bodenwert von nur 30 € je m² bei vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Anschaffungskosten von 50 € je m² musste ihm angesichts der allgemein bekannten Bodenwertentwicklung (auch bereits im Streitjahr 2015) ungewöhnlich erscheinen. Weitere Zweifel an dem Wert hätten sich ihm aufdrängen müssen, weil die angrenzenden Richtwertzonen mit 170-190 € je m² deutlich höhere Bodenrichtwerte aufwiesen. Zur Beseitigung dieser Zweifel hätte es für den Beklagten nahegelegen zu prüfen, ob das im Randbereich einer (vermeintlichen) Gewerbezone liegende Grundstück eher dem Richtwert der Gewerbezone oder dem Richtwert der angrenzenden Zone mit Mischbebauung zuzuordnen ist. Auch die Frage einer Interpolation der Werte hätte sich dem Beklagten aufdrängen müssen.
73Die Veranlagungsstelle hat hierauf zwar – für den Senat verständlich – mit einem VdN und einer im Steuerbescheid initiierten weiteren Sachverhaltsermittlung reagiert. Anschließend sind zudem sowohl die Veranlagungsbearbeiterin als auch der Sachgebietsleiter („Intensivprüffall“) in eine Sachverhaltsverifikation eingetreten, indem sie sich ausweislich der handschriftlich angebrachten Notizen (Haken oder Angabe „korrekt“) mit der Berechnung der Steuerberaterin befasst haben.
74Sodann hat die Veranlagungsstelle aber, was für den Senat nicht nachvollziehbar ist, auf weitere Nachfragen und eigene Ermittlungshandlungen (wie etwa die Einschaltung des BSV im Veranlagungsverfahren) verzichtet. Mit der ausdrücklich (von der Sachbearbeiterin und dem Sachgebietsleiter) freigegebenen Aufhebung des VdN hat die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen anschließend vielmehr zu verstehen gegeben, dass der Sachverhalt „geprüft und für richtig befunden“ sei. In einer solchen Konstellation stellt es sich als treuwidrig dar, wenn die Finanzbehörde später im Rahmen der Bp den nach Aktenlage bereits geprüften Sachverhaltskomplex erneut aufgreift und neue Umstände, die schon damals hätten ermittelt und gewürdigt werden können und müssen, für eine Änderung des Bescheids anführt.
75II. Die Berechnungsanordnung beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
76III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO sowie § 139 Abs. 4 FGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, insbesondere dessen Rechtsanwaltskosten sowie Auslagen, werden aus Billigkeitsgründen für erstattungsfähig erklärt, weil der Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko gem. § 135 Abs. 3 FGO ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § § 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
77IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionsgründe insbesondere nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO nicht ersichtlich sind. Der Fall beruht auf einer einzelfallbezogenen Würdigung, insbesondere von Veranlagungsabläufen und tatsächlichen Umständen.