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Der Antragsgegner wird (bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache) verpflichtet, die ihm von der Antragstellerin im Rahmen der Steuererklärungen für die OSS-Regelung im Sinne des § 18j UStG übermittelten Daten für die Besteuerungszeiträume ab dem 3. Quartal 2021 bis einschließlich 4. Quartal 2022 nebst der hierauf entrichteten Steuerbeträge an die jeweiligen anderen in den jeweiligen Steuererklärungen benannten Mitgliedstaaten der Europäischen Union weiterzuleiten. Die Verpflichtung zur Weiterleitung umfasst ausdrücklich auch die Mitgliedstaaten Dänemark, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Portugal und Schweden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe:
2I.
3Bei der Antragstellerin handelt es sich um einen im Inland ansässigen internationalen Konzern in der Rechtsform einer AG.
4Die Antragstellerin nahm seit dem 1. Januar 2015 als Organträgerin am Mini-One-Stop-Shop-Verfahren (MOSS-Verfahren) teil. Unter dem 29. Juni 2021 registrierte sie sich für das ab dem 1. Juli 2021 geltende One-Stop-Shop-Verfahren (OSS-Verfahren). Die Registrierung umfasste sie als Organträgerin sowie ... Organgesellschaften (u.a. V, Z GmbH, Y AG, X GmbH, U Vertriebsgesellschaft mbH, Y1 GmbH, Y2 GmbH (Y2 GmbH)). Ebenso enthielt die Registrierung Angaben zu ... festen Niederlassungen im EU-Ausland (Frankreich, Italien, Spanien, Niederlande, Griechenland, Portugal, Polen, Dänemark, Schweden; vgl. Bl. 20ff. eFG-Akte).
5Das in § 18j UStG geregelte OSS-Verfahren ist ein besonderes Besteuerungsverfahren, das unter anderem von in der EU ansässigen Unternehmern in den Fällen genutzt werden kann, in denen sie im Staat des Verbrauchs von ihnen erbrachter sonstiger Leistungen nicht ansässig sind. Es dient insbesondere der Verfahrensvereinfachung, da die teilnehmenden Unternehmer sämtliche unter § 18j UStG fallende Leistungen in einer Erklärung zusammengefasst im Staat ihrer Registrierung erfassen und sich in den anderen EU-Mitgliedstaaten, in denen ihre Leistungen der Steuerpflicht unterliegen, weder jeweils registrieren lassen noch dort unmittelbar Steuererklärungen einreichen müssen.
6In der Folgezeit übermittelte die Antragstellerin jeweils nach Abschluss des Quartals Steuererklärungen im OSS-Verfahren (am 27. Oktober 2021 für 3. Quartal 2021; am 24. Januar 2022 für 4. Quartal 2021; am 27. April 2022 für 1. Quartal 2022; am 27. Juli 2022 für 2. Quartal 2022; am 20. Oktober 2022 für 3. Quartal 2022; am 20. Januar 2023 für 4. Quartal 2022) und zahlte die erklärten Steuerbeträge (vgl. Bl. 26ff. eFG-Akte).
7Der Antragsgegner leitete weder den Inhalt der Steuererklärungen noch die erhaltenen Steuerbeträge an die betroffenen Mitgliedsstaaten weiter. Nach seiner Auffassung sind die von der Antragstellerin abgegebenen Erklärungen im Hinblick auf § 18j Abs. 1 Satz 4 2. HS UStG inhaltlich nicht zutreffend. Aus dieser Regelung folge, dass sämtliche sonstige Leistungen an Empfänger nach § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG in Mitgliedstaaten, in denen eine Gesellschaft des Organkreises, deren Organträger die Antragstellerin sei, eine Betriebstätte unterhalte, nicht im OSS-Verfahren erklärt werden dürften (vgl. Abschn. 18j.1. Abs. 1 Satz 4 UStAE). An diese Vorgabe habe sich die Antragstellerin unstreitig nicht gehalten. Sie habe insgesamt ... feste Niederlassungen im EU-Ausland registriert und trotzdem in den Erklärungen im OSS-Verfahren auch steuerpflichtige Umsätze in den Staaten dieser Niederlassungen erklärt.
8Bereits vor Inkrafttreten der OSS-Regelung hatte sich die Antragstellerin an den Antragsgegner gewandt und insbesondere unter Verweis auf das Verständnis des OSS-Verfahrens in anderen EU-Mitgliedstaaten darauf hingewiesen, dass nach ihrer Auffassung von der in § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG enthaltenen Ausnahme nur Umsätze der Organgesellschaft betroffen sein könnten, zu der die jeweilige ausländische Betriebstätte gehöre (vgl. Schreiben vom 21. Juni 2021, Bl. 93, 131ff. eFG-Akte). Ein entsprechendes Verständnis legte sie auch ihren Erklärungen zu Grunde.
9Die seit diesem Schreiben der Antragstellerin und der ersten Erklärungsabgabe am 27. Oktober 2021 andauernden Überprüfungen sowie Rücksprachen des Antragsgegners mit dem BMF mündeten in einer E-Mail des Antragsgegners an die Antragstellerin vom 16. Januar 2023 (vgl. Bl. 199ff. eFG-Akte). Hierin schlug der Antragsgegner vor, die Erklärungen der Antragstellerin manuell insoweit zu verändern, dass sämtliche sonstige Leistungen in Mitgliedsstaaten, in denen eine feste Niederlassung einer der am Organkreis beteiligten Gesellschaften bestehe, d.h. in Dänemark, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Portugal und Schweden, herausgenommen würden und sodann die dergestalt geänderten Steuererklärungen an die Mitgliedstaaten ohne feste Niederlassung weitergeleitet würden. Die bereits gezahlten Steuern würden entsprechend weitergeleitet bzw. hinsichtlich der nunmehr als überzahlt anzusehenden Beträge zurückerstattet.
10Im Hinblick auf dieses Schreiben hat sich die Antragstellerin, nachdem sie dem Antragsgegner mit E-Mail ihres Prozessbevollmächtigten vom 23. Januar 2023 mitgeteilt hatte, hiermit nicht einverstanden zu sein, eine einvernehmliche andere Lösung anzustreben und hierzu um Kontaktaufnahme bitte, nach ausbleibender kurzfristiger Rückmeldung des Antragsgegners mit Schreiben vom 9. Februar 2023 an das Gericht gewandt und den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt.
11Der Antrag sei zulässig, da vorliegend vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 69 FGO nicht möglich sei. Die von der Antragstellerin begehrte Weiterleitung der eingereichten Steuererklärungen nebst der von ihr darauf entrichteten Steuerzahlungen seien in der Hauptsache jedenfalls nicht durch eine Anfechtungsklage zu erreichen. Selbst wenn es sich bei der Weiterleitung um einen Verwaltungsakt handele, wovon sie, die Antragstellerin, allerdings nicht ausgehe, und es sich daher in der Hauptsache um eine Verpflichtungsklage und nicht um eine Leistungsklage handele, sei einstweiliger Rechtsschutz im Wege des Antrags auf einstweilige Anordnung zu erlangen. Dieses Gesuch könne auch schon vor Erhebung des Klageverfahrens gestellt werden.
12Ihr Antrag sei auch begründet. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO könne das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheine (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag sei, dass der Antragsteller einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) und den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleite (sog. Anordnungsanspruch) schlüssig darlege und deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft mache (vgl. BFH-Beschluss, 9. Juli 2020 – VII S 23/20, HFR 2020, 764). Sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch lägen vor.
13Im Falle der Regelungsanordnung müsse sich der Anordnungsanspruch aus einem streitigen Rechtsverhältnis ergeben und sich aus dem (künftigen) Hauptsachebegehren zumindest ableiten lassen. Das Rechtsverhältnis sei dabei in der Regel dasjenige zwischen dem Antragsteller und der Finanzbehörde als Antragsgegner. Streitig sei dieses Rechtsverhältnis, wenn der Antragsteller von dem Antragsgegner die Vornahme einer bestimmten Handlung oder die Herstellung eines bestimmten Zustands begehre, was letzterer ablehne, sodass es bis zur Entscheidung des Streits im Hauptsacheverfahren einer vorläufigen Regelung bedürfe.
14Diese Voraussetzungen lägen zu ihren Gunsten vor.
15Erkläre ein Steuerpflichtiger im Mitgliedstaat der Identifizierung, dass er beabsichtige, die EU-Regelung in Anspruch zu nehmen, so gelte die betreffende Sonderregelung ab dem ersten Tag des folgenden Kalenderquartals (Art. 57d MwSt-DVO). Die Antragstellerin habe den entsprechenden Antrag am 29. Juni 2021 gestellt, so dass die betreffende Sonderregelung für sie ab dem 1. Juli 2021 gelte.
16Materiell-rechtlich lägen keine Gründe vor, die eine (auch nur teilweise) Nichtweiterleitung rechtfertigten. Lägen solche Gründe vor, bedürfe es zudem hierfür eines entsprechenden feststellenden Verwaltungsakts, § 18j Abs. 3 UStG. Ein solcher liege nicht vor. Bereits aus diesem Grund sei die Nichtweiterleitung der Steuererklärungen rechtswidrig.
17Soweit der Antragsgegner meine, dass die Sonderregelung (teilweise) nicht zur Anwendung komme, weil sie bzw. der Organkreis in diversen Mitgliedstaaten ansässig sei, stehe dies sowohl im Widerspruch zu den gemeinschaftlichen Regelungen, insbesondere zu Art. 369a MwStSystRL, als auch zu den nationalen Regelungen in § 18j UStG.
18Ein nicht im Gemeinschaftsgebiet des Verbrauchs ansässiger Steuerpflichtiger sei ein Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung in der Gemeinschaft habe, aber weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung im Gebiet des Mitgliedstaates des Verbrauchs habe, Art. 369a Nr. 1 MwStSystRL. Der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit gemäß Art. 10 MwSt-DVO befinde sich sowohl bei der Antragstellerin als auch ihren in der Registrierung angegebenen Organgesellschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Als feste Niederlassung gemäß Art. 11 MwSt-DVO würde jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit gelten, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweise, die es ihr von der personellen und technischen Ausstattung her erlaube, Dienstleistungen, die für den eigenen Bedarf dieser Niederlassung erbracht werden, zu empfangen und dort zu verwenden. Nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH begründe eine Tochtergesellschaft grundsätzlich keine feste Niederlassung der Muttergesellschaft (vgl. EuGH-Urteil vom 14. November 2019 C-547/18, Dong Yang, MwStR 2020, 613). Wenn selbst eine sich im anderen EU-Mitgliedstaat befindende Tochtergesellschaft keine feste Niederlassung der Muttergesellschaft begründen könne (vgl. EuGH vom 7. April 2022- C- 333/20, Berlin Chemie A. Menarini SRL, MwStR 2022, 426), müsse dies erst recht hinsichtlich fester Niederlassungen einer zum Organkreis gehörenden Tochtergesellschaft gelten.
19An diesem Ergebnis könne das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft nichts ändern. Unabhängig von den Streitigkeiten in Bezug auf die Voraussetzungen und Wirkungen einer umsatzsteuerlichen Organschaft sei zumindest unstreitig, dass sich die Wirkungen der Organschaft nur auf die im Inland gelegenen Unternehmensteile beziehen würden. Dies ergebe sich aus Art. 11 Satz 1 MwStSystRL sowie aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG. Dies entspräche schließlich auch der Auffassung der Finanzverwaltung in Abschnitt 2.9 UStAE. Dort heiße es unter anderem: „Im Ausland gelegene Betriebsstätten von Organgesellschaften im Inland sind zwar den jeweiligen Organgesellschaften zuzurechnen, gehören aber nicht zum Unternehmen des Organträgers (vgl. Abs. 2)“.
20Dass von Seiten der Finanzverwaltung und damit auch vom Antragsgegner der Wortlaut „Unternehmer“ im Zusammenhang mit Organschaften scheinbar beliebig ausgelegt werde, ergebe sich auch im Zusammenhang mit § 18a Abs. 1 Satz 1 UStG. Nach dieser Regelung müssten Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen eine sog. Zusammenfassende Meldung übermitteln. Nach der Denklogik des Antragsgegners betreffend § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG müsste damit der Organkreis gemeint sein, der eine gemeinsame Zusammenfassende Meldung abzugeben habe. Nach Abschn. 18a.1 Abs. 2 Satz 1 UStAE sei indes jede einzelne Organgesellschaft Unternehmer im Sinne des § 18a Abs. 1 Satz 1 UStG, d.h. jede Organgesellschaft habe eine Zusammenfassende Meldung abzugeben. Warum der Antragsgegner den Wortlaut „Unternehmer“ in der hier diskutierten Rechtsfrage im Zusammenhang mit §18j UStG anders auslege und dabei die Besonderheiten der Organschaft über die Grenze strapaziere, erschließe sich nicht.
21Indem der Antragsgegner in Abschnitt 18j.1 Abs. 1 Satz 4 UStAE bestimme, dass im Rahmen des OSS-Verfahrens jegliche Betriebsstätte einer Organgesellschaft im EU‑Ausland Auswirkungen auf den kompletten Organkreis habe, werde § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG richtlinienwidrig ausgelegt. Denn diese Auslegung stehe im krassen Widerspruch zu den bereits dargelegten europäischen und nationalen deutschen Regelungen.
22Diese Auslegung stehe auch im deutlichen Widerspruch zum “Guide to the VAT One Stop Shop“ der Europäischen Kommission aus dem März 2021 (vgl. Bl. 218f. eFG-Akte). Aus Nr. 11 „How is a VAT Group treated?“ ergebe sich zweifelsfrei, dass Leistungen der Mehrwertsteuer-Gruppe in dem Mitgliedstaat, in dem eine feste Niederlassung vorhanden ist, in der OSS-Mehrwertsteuererklärung und nicht in der lokalen Mehrwertsteuererklärung dieser festen Niederlassung zu erklären sind. Nach Auffassung des Antragsgegners wäre diese Konstellation gar nicht möglich, da sie, die Antragstellerin, sich für diese Leistungen im anderen Mitgliedstaat (demjenigen der festen Einrichtung) registrieren lassen müsse.
23Ein entsprechendes Verständnis zeige sich z.B. in den Umsatzsteuerrichtlinien von Österreich, die unter Rz. 4300b wie folgt lauteten:
24„Hat ein Mitglied einer Organschaft eine Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat, wird für Zwecke der EU-OSS-Registrierung die Betriebsstätte als eigener Unternehmer gesehen. Leistungen, die diese Betriebsstätte erbringt, können nicht in die EU-OSS-Umsatzsteuererklärung der Organschaft aufgenommen werden. Dagegen sind Leistungen, die die Organschaft im Mitgliedstaat der Betriebsstätte erbringt, in die EU-OSS-Umsatzsteuererklärung aufzunehmen und nicht in die inländische Umsatzsteuererklärung dieser Betriebsstätte.“
25Die Teilnahme am besonderen Besteuerungsverfahren gemäß § 18j UStG habe auch nicht geendet. Sie sei weder gemäß Art. 57g MwSt-DVO von ihr beendet worden, noch seien die Voraussetzungen gemäß Art. 369a Nr. 2 MwStSystRL nicht mehr erfüllt, so dass die Sonderregelung nicht gemäß Art. 57f MwSt-DVO weggefallen sei. Schließlich lägen auch keine Ausschlusskriterien gemäß Art. 58 MwSt-DVO vor.
26Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner die Stellung des Identifizierungsmitgliedstaates verkenne. Dieser sei lediglich Erklärungsstelle. Darüber, ob es zu einer Registrierung im Verbrauchsland komme oder nicht, entscheide nach den allgemeinen Grundsätzen allein der Mitgliedstaat, in dem die Leistung steuerbar sei, d. h. der Verbrauchsstaat.
27Schließlich führe die Auffassung des Antragsgegners zur Umkehr des gesetzgeberischen Willens. Denn das Ziel des OSS-Verfahrens bestehe im Wesentlichen darin, die Unternehmen von administrativen Pflichten und insbesondere der Abgabe von Mehrwertsteuererklärungen im Verbrauchsland zu entlasten.
28Zum Anordnungsgrund gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO gehöre, dass eine Regelungsanordnung nötig erscheine, um wesentliche Nachteile abzuwenden, eine drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen. Um dem verfassungsrechtlichen Gebot eines effektiven Rechtsschutzes gerecht zu werden, dürften hieran nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 114 FGO Rz. 78).
29Diese Voraussetzung liege vor, wenn das private Interesse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes überwiege und die vorläufige Maßnahme unumgänglich sei, um wesentliche Beeinträchtigungen der Rechtsposition des Antragstellers zu verhindern. Bei der somit gebotenen Interessenabwägung seien anhand der im Einzelfall gegebenen Umstände und Verhältnisse gegenüberzustellen zum einen die (voraussehbaren) Folgen, die sich bei Erlass der Regelungsanordnung im Falle des Unterliegens des Antragstellers in der Hauptsache ergeben würden und zum anderen diejenigen (voraussehbaren) Folgen die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung unterbliebe, das Begehren in der Hauptsache aber Erfolg habe.
30Vorliegend habe sie, die Antragstellerin, eine Mehrwertsteuererklärung für die Verbrauchsländer abgegeben und den Steuerbetrag an den Antragsgegner abgeführt. Das öffentliche Interesse werde hierdurch nicht gestört, sondern vielmehr gewährleistet. Erst durch das rechtswidrige Verhalten des Antragsgegners durch das Nichtweiterleiten der Erklärungen und der Gelder werde das öffentliche Interesse des Verbrauchslandes nachhaltig gestört. Würde sie in der Hauptsache unterliegen und hätte der Antragsgegner die Erklärungen und Geldbeträge an das Verbrauchsland weitergeleitet, wäre weder im Identifizierungsland noch im Verbrauchsland ein Nachteil entstanden.
31Umgekehrt entstünden ihr durch das Bestehen des Antragsgegners auf eine Registrierung einer Vielzahl von Gesellschaften im Ausland wesentliche Nachteile, ohne dies mit den Verbrauchsländern abgestimmt zu haben. Hierzu zählten vor allem der Verlust von gesetzgeberischen Vorteilen aus Wahlrechten in den Verbrauchsländern (z.B. der Verlust des Wahlrechts im Rahmen von innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften bei bestehender Registrierung im Verbrauchsland), ein erhöhter administrativer und finanzieller Mehraufwand durch Erklärungspflichten im Verbrauchsland, eine aufwändige Anpassung von Rechnungslegungssystemen für die Erstellung von Rechnungen. Zur Erfüllung von Registrierungs- und Complianceverpflichtungen bedürfe es zudem der Einschaltung von externen ausländischen Beratern. Zudem drohe sie in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten Umsatzsteuer zumindest auf Zeit zu verkürzen bzw. bereits verkürzt zu haben, wenn sich der Antragsgegner weiterhin weigere, seinen Verpflichtungen im Rahmen des OSS-Verfahrens nachzukommen.
32Ob für sie bzw. die anderen Gesellschaften im Organkreis bereits Nachteile eingetreten seien, insbesondere, weil Mitgliedstaaten an sie herangetreten seien, spiele keine Rolle. Es sei öffentlich bekannt, dass auch in anderen Ländern die verspätete Abgabe von Steuererklärungen ein strafrechtliches bzw. ordnungsrechtliches Verhalten darstelle und Sanktionen (z.B. Zinsen, Verspätungszuschläge und Bußgelder) auslöse. Ein solcher Verstoß liege – entgegen der Ausführungen des Antragsgegners – selbstredend nicht erst dann vor, wenn sie von den (anderen) betreffenden Mitgliedstaaten dahingehend kontaktiert worden sei.
33Zudem sei es unverhältnismäßig von ihr zu verlangen, „zweigleisig“ vorzugehen, da dies zu den aufgezeigten Nachteilen führen würde. Es sei schlicht unzumutbar, sie diesem Risiko in einer Vielzahl von Jurisdiktionen auszusetzen, bis in einem Hauptsacheverfahren eine finale Regelung erzielt werden könne. Zudem würden Registrierungen und Anmeldungen für sie bei positivem Ausgang des Hauptsacheverfahrens das Risiko implizieren, dass mangels einheitlicher Ausübung des Wahlrechts die Anwendung des §18j UStG für sonstige Leistungen insgesamt (d.h. auch für die unstrittigen Mitgliedstaaten) nicht zur Anwendung komme oder hilfsweise eine Rückabwicklung sämtlicher Anmeldungen zu erfolgen habe.
34Schließlich werde mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache nicht vorweggenommen. Vielmehr werde allein durch die Nichtweiterleitung der Erklärungen und Gelder die Hauptsache durch den Antragsgegner vorweggenommen. Sollten die anderen Mitgliedstaaten nach Weiterleitung der Steuererklärungen und Gelder der Auffassung sein, dass ein Ablehnungsgrund vorliege, könnte der Zustand hergestellt werden, den der Antragsgegner für sich reklamiere. Die Hauptsache würde im Übrigen nur vorweggenommen, wenn durch die einstweilige Anordnung ein Zustand geschaffen werde, der einer endgültigen Regelung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens gleichkomme. Dies sei hier nicht der Fall, da sie, die Antragstellerin, lediglich eine vorrübergehende Regelung erhalten wolle, bis final über die sich hier stellenden Rechtsfragen in einem Hauptsacheverfahren entschieden sei. Eine abschließende und der Hauptsache vorweggenommene Sachbehandlung sei weder beantragt, noch würde sie durch Erlass der einstweiligen Anordnung erzielt.
35Schließlich sei zu bedenken, dass sie entsprechende Erklärungen nach Abschluss eines Hauptsacheverfahrens nicht nachholen könne. Ihr Wahlrecht zu dem OSS-Verfahren sei verwirkt.
36Aus den beigefügten Unterlagen seien sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Selbst wenn eine solche Glaubhaftmachung nicht vorliege, sei die einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 921 Satz 1 ZPO zu erlassen, da sie mit der vollständigen Zahlung der Umsatzsteuer Sicherheit geleistet habe (vgl. hierzu Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., § 114 Rz. 93.
37Die Antragstellerin beantragt,
38den Antragsgegner (bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache) zu verpflichten, die dem Antragsgegner von der Antragstellerin übermittelten Steuererklärungen für die OSS-Regelung im Sinne des § 18j UStG für die Besteuerungszeiträume ab dem 3. Quartal 2021 bis einschließlich 4. Quartal 2022 nebst der hierauf entrichteten Steuerbeträge an die jeweiligen anderen in den jeweiligen Steuererklärungen benannten Mitgliedstaaten der Europäischen Union weiterzuleiten. Die Verpflichtung zur Weiterleitung umfasse ausdrücklich auch die Mitgliedstaaten Dänemark, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Portugal und Schweden.
39Ferner solle dem Antragsgegner untersagt werden, insoweit Steuerbeträge an die Antragstellerin zurückzuzahlen.
40Der Antragsgegner beantragt,
41den Antrag abzulehnen,
42hilfsweise die Beschwerde zuzulassen.
43Nach seiner Auffassung fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch. So habe die Antragstellerin keinen Anspruch, dass er die streitgegenständlichen Steuererklärungen nebst hierauf entrichteter Steuerbeträge an die jeweiligen dort benannten EU Mitgliedstaaten weiterleite.
44Hierfür berufe sich die Antragstellerin ausschließlich auf ihre Anmeldung zum OSS‑Verfahren. Allein die Anmeldung genüge jedoch nicht. Vielmehr müsse die Antragstellerin die gesetzlichen Voraussetzungen des § 18j UStG erfüllen, andernfalls sei sie vom OSS-Verfahren ausgeschlossen.
45§ 18j Abs. 1 Satz 4 2. HS UStG regele, dass eine Teilnahme am OSS-Verfahren dem Unternehmer nur einheitlich für alle Mitgliedstaaten der EU und alle Umsätze nach Satz 1 möglich sei; dies gelte hinsichtlich sonstiger Leistungen an Empfänger nach § 3a Abs. 5 S. 1 UStG nur für die Mitgliedstaaten der EU, in denen der Unternehmer weder einen Sitz noch eine Betriebsstätte habe. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG handele es sich bei der Antragstellerin als Organschaft um einen Unternehmer in diesem Sinne.
46Vor diesem Hintergrund sei die von der Antragstellerin geforderte Opt-in/Opt-out-Möglichkeit für einzelne Organgesellschaften nicht zulässig. Betriebsstätten der Mitglieder einer Organschaft würden dem gesamten Organkreis zugerechnet, sodass kein selektiver Ausschluss der Anwendbarkeit des vereinfachten Besteuerungsverfahrens im Rahmen der OSS- Regelung möglich sei.
47Auch das Unionsrecht sehe eine solche Möglichkeit nicht vor. Stattdessen gelte nach Art. 369b Satz 2 MwStSystRL die Sonderregelung für alle Gegenstände oder Dienstleistungen, die von den betreffenden Steuerpflichtigen in der Gemeinschaft erbracht würden.
48Die Rechtsauslegung durch die Antragstellerin verstoße gegen den klaren Wortlaut des § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG. Denn obwohl im Fall der umsatzsteuerlichen Organschaft das Wahlrecht zur Teilnahme am OSS-Verfahren nur durch den Organträger ausgeübt werden könne, sei eine Teilnahme an dem besonderen Besteuerungsverfahren dem Unternehmer nur einheitlich für alle Mitgliedstaaten der EU und alle Umsätze im Sinne des § 18j Abs. 1 Satz 1 UStG möglich. Gemäß Abschnitt 18j.1. Abs. 1 Satz 4 UStAE dürfe im Fall der umsatzsteuerlichen Organschaft der Organkreis weder einen entsprechenden Sitz noch eine Betriebsstätte haben.
49Im Hinblick auf den gerichtlichen Hinweis sei ergänzend festzustellen, dass die Auslegung des Unternehmerbegriffs des § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG aus Art. 369b MwStSystRL resultiere. Denn nach Art. 369b Abs. 1 Buchst. c) MwStSystRL würden die Mitgliedstaaten „nicht im Mitgliedstaat des Verbrauchs ansässigen Steuerpflichtigen“ die Teilnahme am besonderen Besteuerungsverfahren nach den Art. 369a ff. MwStSystRL gestatten. Als „nicht im Mitgliedstaat des Verbrauchs ansässiger Steuerpflichtiger“ gelte gemäß Art. 369a Nr. 1 MwStSystRL ein Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung in der Gemeinschaft, aber weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung im Gebiet des „Mitgliedstaat des Verbrauchs“ habe. Hieraus ergebe sich, dass eine Teilnahme am OSS‑Verfahren in den Mitgliedstaaten, in denen der Steuerpflichtige ansässig sei, nicht möglich sei, da insoweit eine Ansässigkeit im Mitgliedstaat des Verbrauchs vorliege.
50Im Falle eines Organkreises sei eine Teilnahme am OSS-Verfahren in den Mitgliedstaaten nicht möglich, in denen der Organkreis feste Niederlassungen unterhalte. Denn insoweit gelte die Organträgerin als im Mitgliedstaat des Verbrauchs ansässig.
51Die Umsetzung des Art. 11 MwStSystRL durch die nationale Organschaftsregelung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) habe zur Folge, dass die Mitglieder der Organschaft zusammen als ein Steuerpflichtiger behandelt würden. Die Verschmelzung zu einem Steuerpflichtigen schließe es aus, dass die Organgesellschaften innerhalb und außerhalb der Organschaft als Steuerpflichtige angesehen würden; allein der Organträger könne Steuerpflichtiger sein (vgl. EuGH-Urteile vom 1. Dezember 2022 – C-269/20, Finanzamt T, Rn. 39; C-141/20, Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH, Rn. 46).
52Zwar habe der EuGH bislang nicht entschieden, dass aufgrund der Verschmelzung zu einem Steuerpflichtigen die festen Niederlassungen der Mitglieder einer Organschaft diesem Steuerpflichtigen zugerechnet würden. Eine solche Zurechnung sei allerdings unionsrechtlich vertretbar.
53Überdies sei darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin jedenfalls insoweit gegen die Regelungen der Art. 369a ff. MwStSystRL verstoße, als sie im Streitfall die Umsätze der Organgesellschaft „Y3 GmbH“ (vor dem 1. April 2022 firmierend als Y1 GmbH), die in Mitgliedstaaten erbracht worden seien, in denen diese GmbH feste Niederlassungen unterhalte, nicht in ihrer OSS-Erklärung aufgenommen habe. Denn nach Art. 369b Abs. 2 MwStSystRL gelte das in Art. 369a ff. MwStSystRL geregelte besondere Besteuerungsverfahren umfassend. Dementsprechend habe der Steuerpflichtige, der dieses Besteuerungsverfahren in Anspruch nehme, eine Mehrwertsteuererklärung gemäß Art. 369f MwStSystRL abzugeben, in der er die in Art. 369g MwStSystRL genannten Angaben machen müsse. Aus diesem Grunde habe der Steuerpflichtige in seiner OSS-Erklärung sämtliche fraglichen Dienstleistungen aufzunehmen, unabhängig von festen Niederlassungen im EU-Ausland.
54Das Prüfungsrecht des Antragsgegners in der Rolle des EU-Mitgliedstaats der Registrierung vor Übermittlung der Daten im OSS-Verfahren an den Verbrauchsstaat ergebe sich aus der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (Zusammenarbeitsverordnung). Denn nach Art. 47d Abs. 1 Zusammenarbeitsverordnung müsse die Mehrwertsteuererklärung mit den in den Artikeln 365, 369g und 369t MwStSystRL genannten Angaben an den Registrierungsstaat übermittelt werden. Zudem seien nach Art. 47d Abs. 2 Zusammenarbeitsverordnung nicht etwa die Mehrwertsteuererklärung selbst, sondern konkret die in Abs. 1 genannten Angaben (u.a. zu Art. 369g MwStSystRL) vom Registrierungsstaat an den Verbrauchsstaat zu übermitteln. Um sicherzustellen, dass die erforderlichen Angaben auch an den Verbrauchsstaat übersandt würden, bedürfe es einer Vollständigkeit‑/Plausibilitätsprüfung.
55Das Prüfungsrecht des jeweiligen Registrierungsstaates ergebe sich ferner aus dem Zeitraum von 20 Tagen, innerhalb dessen die Übermittlung an den Verbrauchsstaat zu erfolgen habe (Art. 47d Abs. 2 Zusammenarbeitsverordnung). Solle der Registrierungsstaat als Poststelle die Angaben lediglich weiterleiten müssen, bedürfe es eines solch langen Zeitraums für die Übermittlung der Daten nicht.
56Für ein Prüfungsrecht im Staat der Registrierung im Hinblick auf Plausibilität und Vollständigkeit spräche im Übrigen, dass der Verbrauchsstaat lediglich die Richtigkeit der Daten prüfen können solle (Kontrolle von Umsätzen). Die Zusammenarbeitsverordnung regele mit den Artikeln 47i und 47j Maßnahmen, mit denen der Verbrauchsstaat Einsicht in die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen nehmen könne (Verweis auf die Art. 369, 369k und 369x MwStSystRL). Würde der Registrierungsstaat nicht schon eine Prüfung auf Vollständigkeit und Plausibilität vornehmen, müsste das Kontrollrecht des Verbrauchsstaats umfassender geregelt sein und sich nicht nur auf Aufzeichnungen beziehen, sondern ausdrücklich auch die Angaben aus Art. 369g MwStSystRL einschließen.
57Im Ergebnis bedeute dies in der Praxis, dass für den Registrierungsstaat eine Verpflichtung bestehe, valide Daten an die Verbrauchsstaaten zu übersenden. Es sei daher erforderlich, dass die Steuererklärungen mit den Angaben in der Registrierungsanzeige plausibel seien. Sollte der Registrierungsstaat nicht valide Steuererklärungen an die Mitgliedstaaten des Verbrauchs auf elektronischem Weg weiterleiten, müssten diese Fehlercodes an den Mitgliedstaat der Registrierung senden. In diesem Fall würden die betroffenen Mitgliedstaaten den Fehlercode 30160 an Deutschland übermitteln. Im Fall eines Versandes der Steuererklärung durch den Mitgliedstaat der Registrierung könnten die betroffenen Mitgliedstaaten die Steuererklärung nicht verarbeiten und somit auch nicht die damit verbundenen Zahlungen annehmen.
58Bei nicht validen Steuererklärungen werde der Steuerpflichtige am Folgetag nach elektronischer Übermittlung über diesen Fehler informiert, um diesen frühzeitig in die Lage zu versetzen, eine korrigierte, plausible Steuererklärung abgeben zu können, welche im Anschluss an die Mitgliedstaaten weitergeleitet werde. Sobald eine solche Steuererklärung vorliege, würden die Zahlungen mit dem ursprünglichen Wertstellungsdatum eingebucht und ebenfalls an die Mitgliedstaaten weitergeleitet. Dies verhindere die Festsetzung von Säumniszuschlägen in anderen Mitgliedstaaten.
59Die Gründe der Verzögerung der Weiterleitung der Steuererklärungen sowie der damit verbundenen Zahlungen seien aus den vorgenannten Gründen systembedingt zu verstehen. Für den zuständigen Fachbereich bestehe nach derzeitiger Sachlage in Abstimmung mit dem BMF keine Möglichkeit, die bereits eingereichten Steuererklärungen an die betroffenen Verbrauchsstaaten weiterzuleiten. Der dadurch bedingten unbestrittenermaßen monatelangen Verzögerung habe der zuständige Fachbereich schließlich mit dem Lösungsvorschlag vom 16. Januar 2023 versucht zu begegnen.
60Der Antrag sei ferner abzulehnen, weil es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO mangele. Aus dem Vortrag der Antragstellerin seien bereits keine wesentlichen Nachteile oder andere vergleichbar gewichtige Gründe ersichtlich, die eine Entscheidung im Eilverfahren rechtfertigen würden.
61Die von der Antragstellerin dargestellten Nachteile seien nicht wesentlich, sondern entsprächen dem üblichen Aufwand eines international tätigen Unternehmens. Auch der Verweis der Antragstellerin auf eine drohende Verkürzung der Umsatzsteuer in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten gehe fehl. So fehle ein konkreter Vortrag dazu, dass sie bereits von den Finanzbehörden betreffender Mitgliedstaaten dahingehend kontaktiert worden sei.
62Schließlich könne sie sich hinsichtlich der fehlenden Glaubhaftmachung auch nicht auf die Regelung des § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 921 Satz 1 ZPO berufen. Die Sicherheitsleistung ersetze lediglich die Glaubhaftmachung, nicht den Anordnungsanspruch oder ‑grund als solchen. Fehlten Anordnungsanspruch oder -grund, könne auch gegen Sicherheitsleistung keine einstweilige Anordnung ergehen (vgl. BFH vom 1. April 1982 – V B 37/81).
63Das Verfahren der einstweiligen Anordnung müsse auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Die für eine vorläufige Anordnung sprechenden Gründe müssten so schwerwiegend sein, dass sie die einstweilige Anordnung unabdingbar machten. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht sei.
64Schließlich sei zu beachten, dass bei einer im Wege einer einstweiligen Anordnung verfügten Aufforderung zur Weitergabe der Steuererklärungen und Gelder die Hauptsache vorweggenommen würde. Es sei nicht ersichtlich und auch nicht glaubhaft vorgetragen worden, welche Gründe ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen würden.
65Ihm, dem Antragsgegner, müsse es möglich sein, unter Verweis auf die gesetzlichen Regelungen im Rahmen des § 18j UStG von der Antragstellerin unter Zurückweisung der Teilnahme am OSS-Verfahren eine entsprechende steuerliche Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke in den jeweiligen betroffenen EU-Mitgliedstaaten fordern zu können.
66Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen verwiesen.
67II.
68Der Antrag ist zulässig und begründet.
691. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag ist, dass der Antragsteller einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) und den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch), schlüssig dargelegt und deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft gemacht hat. Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen, kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO, vgl. BFH-Beschluss vom 22. Juni 2022 - VII B 194/21, BFH/NV 2023, 263).
702. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund schlüssig dargelegt und die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft gemacht. Die begehrte Regelungsanordnung ist daher zu erteilen.
71a) Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Anordnungsanspruch zu. Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung ist der Antragsgegner sowohl zur Weiterleitung der ihm in den Steuererklärungen überlassenen Daten als auch der entsprechend geleisteten Steuerbeträge verpflichtet.
72Die Antragstellerin ist zur Teilnahme am besonderen Besteuerungsverfahren gemäß § 18j UStG berechtigt und hat die ihr in diesem Verfahren obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Der Antragsgegner ist zur Weiterleitung der ihm überlassenen Steuerdaten sowie Steuerbeträge verpflichtet. Bei summarischer Prüfung findet sich weder eine Rechtsgrundlage für die von ihm vorgenommene Kontrolle noch für die Nichtweiterleitung der Daten und Beträge.
73aa) Das in § 18j UStG geregelte besondere Besteuerungsverfahren für den innergemeinschaftlichen Fernverkauf, für Lieferungen innerhalb eines Mitgliedstaates über eine elektronische Schnittstelle und für von im Gemeinschaftsgebiet, nicht aber im Mitgliedstaat des Verbrauchs ansässigen Unternehmern erbrachte sonstige Leistungen setzt die Art. 369a ff. MwStSystRL um. Es wurde als sog. One-Stop-Shop-Verfahren (als Fortentwicklung des Mini-One-Stop-Shop-Verfahrens – MOSS-Verfahrens) mit dem Jahressteuergesetz 2020 vom 21. Dezember 2020 (BStBl. I 2021, 6) mit Wirkung vom 1. April 2021 (mit der Möglichkeit der Vorabregistrierung) eingeführt und trat erstmals für Umsätze ab dem 1. Juli 2021 in Kraft. Das OSS-Verfahren betreffende verfahrensrechtliche Regelungen finden sich in der Mehrwertsteuer-Durchführungsverordnung (Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 – „MwStVO“) sowie in der Durchführungsverordnung (EU) 2020/194 der Kommission vom 12. Februar 2020 (Amtsblatt der EU vom 13. Februar 2020 – „Zusammenarbeits-DVO“). Diese Regelungen sind unmittelbar geltendes Recht (vgl. Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV) und gehen § 18j UStG vor (vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, § 18j UStG, Rn. 10).
74bb) Die Teilnahme an diesem besonderen Besteuerungsverfahren ist optional (vgl. Henseler in Reiß/Kraeusel/Langer, § 18j UStG Rz. 10). Hierfür ist gemäß § 18j Abs. 1 Satz 1 UStG lediglich eine Anzeige bzw. eine Registrierung des Unternehmers erforderlich (vgl. Art. 57d Abs. 1 MwStVO). Allerdings muss die Anzeige nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung und zwar vor Beginn des Besteuerungszeitraums (§ 16 Abs. 1d Satz 1 UStG) übermittelt werden. Zuständige Behörde für die Entgegennahme der Anzeige (Registrierung) im Inland ist der Antragsgegner (§ 18j Abs. 1 Satz 2 UStG). Einer Bewilligung der Teilnahme durch den Antragsgegner bedarf es nicht, da es sich um keinen Antrag handelt. Deshalb erfolgt auch keine ausdrückliche Bescheidung (vgl. Bunjes/Heidner, 21. Aufl. 2022, UStG § 18j Rn. 16).
75Die Antragstellerin hat am 29. Juni 2021 und damit unstreitig rechtzeitig vor Beginn des ersten vorliegend relevanten Besteuerungszeitraums, des 3. Quartals 2021, die Registrierungsanzeige nach amtlich vorgeschriebenen Datensatz an den Antragsgegner als zuständige Behörde übermittelt.
76cc) Die Registrierung der Antragstellerin im OSS-Verfahren war während der gesamten vorliegend relevanten Besteuerungszeiträume gültig. Weder hat die Antragstellerin ihre Teilnahme gemäß § 18j Abs. 1 Satz 6 UStG widerrufen, noch hat der Antragsgegner ihre Teilnahme an dem besonderen Besteuerungsverfahren gemäß § 18j Abs. 3 UStG abgelehnt oder sie gemäß § 18j Abs. 6 UStG von der Teilnahme ausgeschlossen (vgl. entsprechende Regelungen in der MwStVO in Art. 57g, Art. 57f und Art. 58).
77dd) Als für die Sonderregelung registrierter Unternehmer ist die Antragstellerin gemäß § 18j Abs. 4 Satz 1 UStG verpflichtet, dem Antragsgegner innerhalb eines Monats nach Ablauf jedes Besteuerungszeitraums eine Steuererklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu ermitteln. Gemäß § 18j Abs. 4 Satz 2 UStG muss sie außerdem die Steuer selbst berechnen und gemäß § 18j Abs. 4 Satz 3 UStG an den Antragsgegner entrichten. Auch wenn es auf den ersten Blick anders scheint, handelt es sich hierbei nicht um eine Steueranmeldung im Sinne der § 150 Abs. 1 Satz 2, § 168 AO. Denn der Gesetzgeber hat diese Vorschriften der AO in § 18j Abs. 7 UStG nicht für anwendbar erklärt, so dass diese Wirkung zumindest bei Erklärungen im Inland registrierter Unternehmer nicht eintritt (vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, § 18j UStG, Rn. 106). Dass die Steuererklärung keine deutsche Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ist, bestätigt zudem Art. 61 Abs. 2 UAbs. 2 MwStVO (vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, § 18j UStG, Rn. 106).
78Den notwendigen Inhalt der Steuererklärungen legen Art. 369g MwStSystRL, Art. 59 MwStVO sowie Art. 4 i.V.m. Anhang III der Zusammenarbeits-DVO unionsweit einheitlich fest (vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, § 18j UStG, Rn. 110). Gemäß Art. 369g Abs. 1 MwStSystRL sind in der Steuererklärung die USt-IDNr. sowie - für jeden Mitgliedstaat des Verbrauchs, in dem Mehrwertsteuer geschuldet wird, gesondert - anzugeben: (1) der Gesamtbetrag ohne Mehrwertsteuer, (2) die anzuwenden Mehrwertsteuersätze, (3) der Gesamtbetrag der Mehrwertsteuer, aufgegliedert nach Steuersätzen (4) die Gesamtsteuerschuld und zwar in Bezug auf die folgenden, unter diese Sonderregelung fallenden Umsätze des Steuerzeitraums (a) innergemeinschaftliche Fernverkäufe von Gegenständen; (b) Schnittstellen-Lieferungen im selben Mitgliedstaat, (c) Erbringung von Dienstleistungen. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Zusammenarbeits-DVO sind diese Daten in der Steuererklärung im Mitgliedstaat der Registrierung (Identifizierung) zu übermitteln, wobei die in Anhang III der Zusammenarbeits-DVO festgelegte einheitliche elektronische Mitteilung zu verwenden ist.
79Darüber hinaus sieht Art. 369g Abs. 3 MwStSystRL für einen Unternehmer, der unter die Sonderregelung fallende Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten erbringt und außerhalb des Staates der Identifizierung eine oder mehrere feste Niederlassungen hat, von denen aus die Dienstleistungen erbracht werden, vor, dass in der Mehrwertsteuererklärung für jeden Mitgliedstaat, in dem er eine Niederlassung hat, auch die entsprechenden Angaben zusammen mit der jeweiligen USt-IdNr. oder Steuernummer der Niederlassung aufgeschlüsselt nach Mitgliedstaaten des Verbrauchs anzugeben sind (vgl. auch die entsprechenden Angaben gemäß Art. 4 i.V.m. Anhang III der Zusammenarbeits-DVO). Gemäß Art. 4 Abs. 3 Satz 3 Zusammenarbeits-DVO muss ein Steuerpflichtiger die von einem Mitgliedstaat der Niederlassung aus erbrachten Dienstleistungen nur dann angeben, wenn während des Steuerzeitraums von diesem Mitgliedstaat aus Dienstleistungen, die unter die EU-Regelung fallen, erbracht worden sind.
80Ihren Verpflichtungen gemäß § 18 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 UStG ist die Antragstellerin grundsätzlich nachgekommen. Sie hat für sämtliche vorliegend relevanten Quartale Steuererklärungen nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung rechtzeitig übermittelt. Gleichfalls hat sie die Steuern selbst berechnet und an den Antragsgegner entrichtet.
81ee) Nach den Maßstäben des summarischen Verfahrens für den beschließenden Senat nicht nachvollziehbar überprüft der Antragsgegner die formell ordnungsgemäß erklärten Steuerdaten der Antragstellerin in materieller Hinsicht daraufhin, ob sie sowie der gesamte Organkreis, für den sie die Erklärungen als registrierter Unternehmer/Steuerpflichtiger abgegeben hat, sonstige Leistungen in solchen Mitgliedstaaten erklärt hat, in denen eine Gesellschaft des Organkreises über eine feste Niederlassung verfügt. Gesetzliche Grundlage hierfür ist nach Auffassung des Antragsgegners § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG. Hiernach ist dem Unternehmer eine Teilnahme an dem besonderen Besteuerungsverfahren nur einheitlich für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union und alle Umsätze nach Satz 1 möglich, wobei dies hinsichtlich sonstiger Leistungen an Empfänger nach § 3a Abs. 5 Satz 1 nur für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt, in denen der Unternehmer weder einen Sitz noch eine Betriebstätte hat. Unter Bezugnahme auf Abschn. 18j.1 Abs. 1 Satz 4 UStAE gelte dies im Fall einer umsatzsteuerlichen Organschaft für solche Mitgliedstaaten, in denen der gesamte Organkreis weder einen Sitz noch eine Betriebstätte habe. Europarechtliche Grundlage sei insbesondere Art. 369b Satz 2 MwStSystRL, wonach die Sonderregelung für alle Gegenstände oder Dienstleitungen gelte, die von den betreffenden Steuerpflichtigen in der Gemeinschaft geliefert bzw. erbracht würden.
82Der beschließende Senat vermag das vom Antragsgegner für sich vorliegend reklamierte Prüfungsrecht nicht zu erkennen. Weder aus § 18j UStG unter Berücksichtigung der MwStSystRL, aus der MwStVO und der Zusammenarbeits-DVO, noch aus der Zusammenarbeitsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010) lässt sich ein solches Prüfungsrecht für den Staat der Registrierung/Identifizierung herleiten.
83Wie bereits dargestellt, gibt es in § 18j UStG - beruhend auf den Regelungen der MwStSystRL - zwar verfahrensrechtliche Regelungen zur Registrierung sowie zur Ablehnung oder zum Ausschluss der Teilnahme am OSS-Verfahren. Auch gibt es die Verpflichtung zur Erklärungsabgabe. Ein materielles Prüfungsrecht der Daten ist jedoch, ebenso wie in der MwStSystRL, zu Gunsten des Staates der Registrierung/Identifizierung nicht vorgesehen. Entsprechendes gilt für die MwStVO und die Zusammenarbeits-DVO. Auch hier finden sich Regelungen zur Registrierung (Art. 57d MwStVO), zur Beendigung/zum Ausschluss (z.B. Art. 57, 58 MwStVO) sowie zur Verpflichtung, Steuererklärungen abzugeben (z.B. Art. 59 MwStVO; Art. 4 Zusammenarbeits-DVO zum Inhalt der Erklärungen), nicht jedoch zum Prüfungsrecht und hieraus resultierender Folgen.
84Aus der Zusammenarbeitsverordnung ergibt sich, entgegen der Auffassung des Antragsgegners, ebenfalls kein materielles Prüfungsrecht. Nach Art. 47d Abs. 1 Zusammenarbeitsverordnung sehen die Mitgliedstaaten zwar vor, dass die Mehrwertsteuererklärung mit den in Art. 369g MwStSystRL genannten Angaben auf elektronischem Weg übermittelt werden muss. Außerdem sind sie gemäß Art. 47d Abs. 2 Zusammenarbeitsverordnung verpflichtet, die Angaben gemäß Absatz 1 spätestens 20 Tage nach Ablauf des Monats, in dem die Erklärung eingegangen ist, auf elektronischem Weg der zuständigen Behörde des jeweiligen Mitgliedstaats des Verbrauchs zu übermitteln. Dem Antragsgegner ist zuzugestehen, dass hieraus durchaus ein Überprüfungsrecht auf Vollständigkeit der nach Art. 369g MwStSystRL und Anhang III der Zusammenarbeits-DVO erforderlichen Angaben abgeleitet werden könnte. Dass hieraus ein Recht auf Plausibilitätsüberprüfung zur Generierung valider Daten folgen soll, ist jedoch nicht nachvollziehbar, zumal gemäß Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Zusammenarbeits-DVO Angaben zum Mitgliedstaat des Verbrauchs nur in solchen Besteuerungszeiträumen erforderlich sind, in denen tatsächlich Dienstleitungen getätigt wurden. Neben fehlender Regelungen zu einem entsprechenden Überprüfungsrecht fehlen zudem Regelungen daraus resultierender Folgen. Möglicherweise tut sich auch deshalb der Antragsgegner seit der ersten bereits im Oktober 2021 eingegangenen Steuererklärung der Antragstellerin so schwer, neben der Nichtweiterleitung der Steuerdaten und Steuerbeträge eine verbindliche und abschließende Entscheidung - in welcher Form auch immer - zu treffen. Eine Grundlage für den unter dem Datum vom 16. Januar 2023 formulierten Vorschlag der manuellen Änderung der Steuerdaten lässt sich in den zur Verfügung stehenden Regelungen jedenfalls nicht finden.
85Schließlich sehen die vorliegend relevanten Regelungen auch nur zugunsten des Verbrauchsstaats ein Recht vor, mittels der Aufzeichnungen, die der Unternehmer hinsichtlich der unter das OSS-Verfahren fallenden Leistungen verpflichtend zu führen hat, die Korrektheit der Mehrwertsteuererklärung zu überprüfen (vgl. Art. 369k Abs. 1 MwStSystRL). Um dieses Recht ausüben zu können regelt Art. 47j Zusammenarbeitsverordnung, dass der Mitgliedstaat des Verbrauchs ein Ersuchen an den Mitgliedstaat der Registrierung/Identifizierung richtet und dieser die Aufzeichnungen bei dem Steuerpflichtigen anfordert. Bei Vorliegen der Aufzeichnungen sind diese gemäß Art. 47j Abs. 4 Zusammenarbeitsverordnung unverzüglich an den Mitgliedstaat des Verbrauchs weiterzuleiten.
86ff) Zudem vermag der Senat bei summarischer Überprüfung auch nicht zu erkennen, dass eine Betriebstätte/feste Niederlassung einer Organgesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat die Erklärung unter das OSS-Verfahren fallender Umsätze für die gesamte Organschaft in diesem Mitgliedstaat ausschließt.
87Gemäß § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG gilt die Teilnahme bei unter das OSS-Verfahren fallender sonstiger Leistungen an Empfänger nach § 3a Abs. 5 Satz 1 UStG zwar nur für die Mitgliedstaaten, in denen der Unternehmer weder einen Sitz noch eine Betriebstätte hat. Auch regelt Art. 369a Nr. 1 MwStSystRL, dass ein „nicht im Mitgliedstaat des Verbrauchs ansässiger Steuerpflichtiger“ nur ein solcher sein kann, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung in der Gemeinschaft hat, aber weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung im Gebiet des Verbrauchs hat. Entsprechendes findet sich in Art. 57c MwStVO, wonach die sog. EU-Regelung, die vorliegend einschlägig ist, nicht für Dienstleistungen gilt, die in einem Mitgliedstaat erbracht werden, in dem der Steuerpflichtige den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat.
88Dass von dieser Regelung Organschaften in der vom Antragsgegner vertretenen weiten Auslegung betroffen sein sollen, ist jedoch weder mit anderen Regelungen des UStG noch mit europäischen Regelungen in Einklang zu bringen.
89Bei der Antragstellerin sowie ihren Organgesellschaften handelt es sich zwar um einen Unternehmer gemäß § 2 UStG bzw. um einen Steuerpflichtigen gemäß Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG sind die Wirkungen der Organschaft jedoch auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile sind gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG als ein Unternehmen zu behandeln. Die festen Niederlassungen bzw. Betriebstätten einzelner Organgesellschaften befinden sich im EU-Ausland, so dass gesetzlich keine Berücksichtigung im Rahmen der Organschaft vorgesehen ist.
90Aus den europarechtlichen Regelungen zum Inhalt der Mehrwertsteuererklärung im OSS-Verfahren in Art. 369g Abs. 3 MwStSystRL sowie Art. 4 i.V.m. Anhang III Zusammenarbeits-DVO wird zudem deutlich, warum eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu einem Ausschluss der in diesem Mitgliedstaat erbrachten sonstigen Leistungen im OSS-Verfahren bei dem im Inland registrierten Unternehmer führt. Infolge der mit der festen Niederlassung einhergehenden Registrierung im ausländischen EU-Mitgliedstaat besteht bereits eine steuerliche Verbindung in diesem Mitgliedstaat, sodass das im Wesentlichen aus Vereinfachungsgründen installierte OSS-Verfahren insoweit nicht benötigt wird. Gleichwohl ist der am OSS-Verfahren teilnehmende Unternehmer verpflichtet, auch die von dieser festen Niederlassung erbrachten sonstigen Leistungen in der Mehrwertsteuererklärung anzugeben. Allerdings sind diese Leistungen gemäß Art. 369g Abs. 3 MwStSystRL sowie Art. 4 i.V.m. Anhang III der Zusammenarbeits-DVO gesondert unter Angabe der entsprechenden Mehrwertsteueridentifikationsnummer oder der Steuerregistriernummer der festen Niederlassung zu erklären.
91Dieses in der MwStSystRL und in der Zusammenarbeits-DVO angelegte(Erklärungs-)System führt vor Augen, dass in Organschaftsfällen eine im EU-Ausland gelegene feste Niederlassung bei Berücksichtigung des Vereinfachungsgedankens nur schwerlich den Ausschluss sämtlicher sonstiger Leistungen des gesamten Organkreises in diesem Mitgliedstaat verursachen kann. In der Regel dürfte es keine ausreichend enge Verbindung zwischen festen Niederlassungen einzelner Organgesellschaften im EU-Ausland zu anderen inländischen Organgesellschaften geben, die eine Ausübung der sonstigen Leistung durch die feste Niederlassung erlauben würde bzw. sich wirtschaftlich sinnvoll darstellen ließe. Vorliegend führt nach den Angaben der Antragstellerin im Wesentlichen die Y1 GmbH unter das OSS-Verfahren zählende sonstige Leistungen aus, während registrierte feste Niederlassungen vor allem zur ... gehören (z.B. ... Filiale Italien, ... Filiale Spanien, ... Filiale Frankreich). Gerade in Fällen als Organschaft installierter, international tätiger Unternehmen wie der Antragstellerin und ihrer Organgesellschaften wäre der Zugang zur beabsichtigten europarechtlich gebotenen Vereinfachungsregelung im OSS-Verfahren damit weitgehend versperrt.
92Schließlich ist die vom Antragsgegner erfolgte Auslegung von § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG auch nicht in Übereinstimmung mit dem Verständnis der EU-Kommission sowie anderer Mitgliedstaaten zur Anwendbarkeit des OSS-Verfahrens in Organschaftsfällen zu bringen. Nach dem von der EU-Kommission stammenden „Guide to the VAT One Stop Shop“ aus dem März 2021 können im Fall einer Mehrwertsteuergruppe Umsätze einer im Ausland belegenen festen Niederlassung eines Gruppenmitglieds zwar nicht in der Mehrwertsteuererklärung der Gruppe im OSS-Verfahren angegeben werden. Umsätze der Mehrwertsteuergruppe im Mitgliedstaat der festen Niederlassung sind hingegen in der Erklärung der Gruppe und nicht in der im ausländischen Mitgliedstaat von der festen Niederlassung abzugebenden Steuererklärung zu berücksichtigen. Entsprechendes ist den österreichischen Umsatzsteuerrichtlinien zu entnehmen und entspricht nach dem von der Antragstellerin beauftragten Stellungnahme auch der Auffassung zahlreicher anderer Mitgliedstaaten (vgl. Bl. 168ff. eFG-Akte).
93Wie die Antragstellerin zudem zutreffend vorgetragen hat, ist die in Abschn. 18j.1 Abs. 1 Satz 4 UStAE zu findende weite Auslegung nicht mit Abschn. 2.9 UStAE, wonach ausländische Betriebstätten inländischer Organgesellschaften nicht zum Unternehmen des Organträgers gehören, und auch nicht mit Abschn. 18a.1. Abs. 2 UStAE, wonach Organgesellschaften eigene Zusammenfassende Meldungen abzugeben haben, in Übereinstimmung zu bringen.
94Dies alles berücksichtigend ist § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG bei summarischer Prüfung dergestalt auszulegen, dass nicht sämtliche sonstige Leistungen gemäß § 18j Abs. 1 Satz 1 UStG vom OSS-Verfahren auszuschließen sind, sobald im ausländischen Mitgliedstaat des Verbrauchs eine Betriebstätte/feste Niederlassung einer der am Organkreis beteiligten Organgesellschaften besteht. Ob § 18j Abs. 1 Satz 4 UStG darüber hinaus reduzierend dahingehend auszulegen sein könnte, dass nur Leistungen vom OSS-Verfahren ausgeschlossen werden sollen, die von der im Ausland belegenen Betriebstätte/festen Niederlassung aus erbracht werden, kann vorliegend offenbleiben. Denn insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Nach dem Vortrag der Antragstellerin hat sie im Hinblick auf die Regelung in Abschn. 18j.1 UStAE unter das OSS-Verfahren zu zählende Leistungen solcher Organgesellschaften, die selbst über eine feste Niederlassung/Betriebstätte im Mitgliedstaat des Verbrauchs verfügen, nicht im OSS-Verfahren, sondern unmittelbar im Mitgliedstaat des Verbrauchs erklärt.
95Soweit der Antragsgegner schließlich in seinem letzten Schriftsatz die Erklärungen der Antragstellerin im Hinblick auf Art. 369g Abs. 3 MwStSystRL als fehlerhaft vermutet, spielt dies vorliegend keine Rolle. Unabhängig von einem fehlenden materiell-rechtlichen Überprüfungsrecht des Antragsgegners erlaubt Art. 4 Abs. 3 Satz 3 Zusammenarbeits-DVO den Teilnehmern am OSS-Verfahren, keine Angaben in der Erklärung hierzu zu machen, wenn im Besteuerungszeitraum keine entsprechenden Leistungen von diesem Mitgliedstaat aus erbracht wurden.
96b) Einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin ebenfalls schlüssig vorgetragen sowie die Voraussetzungen glaubhaft gemacht.
97aa) Ein Anordnungsgrund setzt gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO voraus, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die für den Erlass einer Anordnung geltend gemachten Gründe müssen jedenfalls ähnlich gewichtig und bedeutsam sein, wie die im Gesetz ausdrücklich genannten ("wesentliche Nachteile" und "drohende Gewalt"). Sie müssen so schwerwiegend sein, dass sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen. Das gilt insbesondere, wenn nicht nur eine vorläufige Maßnahme begehrt wird, sondern die Vorwegnahme der Hauptsache. Ein solches Rechtsschutzbegehren ist nur im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gestattet und nur dann, wenn ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Entscheidung des Gerichts hat im summarischen Verfahren die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen und die Interessen des Antragstellers mit den Belangen der Öffentlichkeit abzuwägen (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2019 – V B 28/19, BFH/NV 2019, 1141).
98bb) Dies berücksichtigend ist vorliegend von einem Anordnungsgrund auszugehen. Für den beschließenden Senat glaubhaft und nachvollziehbar hat die Antragstellerin schwerwiegende Nachteile vorgebracht, die unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie der Belange der Öffentlichkeit den Anordnungsgrund begründen.
99Durch die (faktische) Ablehnung der Weiterleitung der Steuerdaten und Steuerbeträge und das Beharren des Antragsgegners auf einer Registrierung einer Vielzahl von Gesellschaften im Ausland entstehen für die Antragstellerin wesentliche Nachteile. Hierzu zählen vor allem der Verlust von gesetzgeberischen Vorteilen aus Wahlrechten in den Verbrauchsländern (z.B. der Verlust des Wahlrechts im Rahmen von innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften bei bestehender Registrierung im Verbrauchsland), ein erhöhter administrativer und finanzieller Mehraufwand durch Erklärungspflichten im Verbrauchsland sowie eine aufwändige Anpassung von Rechnungslegungssystemen für die Erstellung von Rechnungen. Zur Erfüllung von Registrierungs- und Complianceverpflichtungen wäre die Antragstellerin zudem auf die Einschaltung von externen ausländischen Beratern angewiesen. Zudem droht in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten des Verbrauchs Umsatzsteuer zumindest auf Zeit verkürzt zu werden, indem der Antragsgegner die ihm zum Teil bereits seit 18 Monaten vorliegenden Steuerdaten sowie Steuerbeträge nicht an die jeweiligen Mitgliedstaaten des Verbrauchs weiterleitet und nunmehr mit E-Mail vom 16. Januar 2023 auch zu erkennen gegeben hat, Daten und Steuerbeträge infolge manueller Veränderungen nur in deutlich reduziertem Umfang weiterleiten zu wollen.
100Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache „zweigleisig“ vorzugehen und trotz der bereits erfolgten Erklärungen im OSS-Verfahren vorsorglich Registrierungen vornehmen zu lassen sowie Steuererklärungen einzureichen, birgt darüber hinaus bei einem positivem Ausgang des Hauptsacheverfahrens für die Antragstellerin das erhebliche Risiko, dass mangels einheitlicher Ausübung des Wahlrechts die Anwendung des §18j UStG für sonstige Leistungen insgesamt (d.h. auch für die unstrittigen Mitgliedstaaten) nicht zur Anwendung kommt oder hilfsweise eine Rückabwicklung sämtlicher Anmeldungen in den ausländischen Staaten des Verbrauchs zu erfolgen hätte.
101Zudem wird durch die Weiterleitung der Steuerdaten sowie der Steuerbeträge das öffentliche Interesse nicht gestört, sondern vielmehr gewährleistet. Die Antragstellerin hat Mehrwertsteuererklärungen für die Verbrauchsländer abgegeben und die Steuerbeträge an den Antragsgegner abgeführt. Erst durch das Verhalten des Antragsgegners durch das Nichtweiterleiten der Erklärungen und der Gelder wird das öffentliche Interesse des jeweiligen Verbrauchslandes beeinträchtigt. Würde die Antragstellerin überdies in der Hauptsache unterliegen und hätte der Antragsgegner die Erklärungen und Geldbeträge an die Verbrauchsländer weitergeleitet, sind Nachteile weder im Identifizierungsland noch in den Verbrauchsländern erkennbar.
102Schließlich können entsprechende Erklärungen im OSS-Verfahren auf Grund der engen zeitlichen Fristen zur Erklärungsabgabe nach Abschluss eines Hauptsacheverfahrens nicht nachgeholt werden. Das Wahlrecht zum OSS-Verfahren wäre verwirkt.
103Selbst unter dem Aspekt der Vorwegnahme der Hauptsache ist vorliegend ausnahmsweise ein Anordnungsgrund anzunehmen. Denn zusätzlich zu den als für die Antragstellerin als schwerwiegend anzusehenden Nachteilen, den fehlenden Beeinträchtigungen öffentlicher Belange im Inland und den erheblichen Erfolgsaussichten der Antragstellerin in der Hauptsache macht der Zeitablauf seit Einreichung der ersten Steuererklärung im Oktober 2021 die einstweilige Anordnung unabweisbar. Seit diesem Zeitpunkt übermittelt der Antragsgegner weder ihm vorliegende Steuerdaten noch ihm bezahlte Steuern an die Mitgliedstaaten des Verbrauchs, obwohl er hierzu nach den Regelungen der Zusammenarbeitsverordnung in Art. 47d Abs. 2 sowie Art. 47f Abs. 1 binnen 20 Tagen nach Ablauf des Monats, in dem die Erklärungen sowie Geldbeträge eingegangen sind, verpflichtet ist. Zudem war ihm die Problematik auf Grund des Schreibens der Antragstellerin vom 21. Juni 2021 bereits im Vorfeld des Eingangs der ersten Erklärung bekannt. Mit E-Mail vom 16. Januar 2023 hat der Antragsgegner zwar einen Vorschlag unterbreitet, wie hinsichtlich der bereits eingegangenen Erklärungen weiter verfahren werden könnte. Zum einen ist die Antragstellerin hiermit jedoch nicht einverstanden, zum anderen ist dieser Vorschlag nicht als eine Entscheidung in der Hauptsache anzusehen, die daher zeitlich weiter ungewiss ist. Ein weiteres Abwarten ist daher für die Antragstellerin nicht mehr zumutbar.
1043. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
1054. Die Beschwerde wird nicht zugelassen, da keine Gründe hierfür gemäß § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO ersichtlich sind.