Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Vollziehung des Bescheids des Finanzamts O zu Steuernummer 1 über Einkommensteuer für 2009 vom September 2014, der zu einer am 27.10.2014 fälligen Einkommensteuernachforderung in Höhe von ... € geführt haben soll, wird in derselben Höhe ausgesetzt. Die Anordnung wird befristet bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über die unter dem Aktenzeichen 3 K 2472/22 anhängige Klage bzw. nach anderweitiger Erledigung dieses Verfahrens. Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
2I.
3Die Beteiligten streiten in tatsächlicher Hinsicht darüber, ob das Finanzamt O im September 2014 den seinerzeit dort wohnhaften Antragstellern einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 (Streitjahr) mit einer Nachforderung bekanntgegeben hat.
4Die 19... und 19... geborenen Antragsteller sind Eheleute. Bis 2006 lebten sie in W. Danach wurde der Antragsgegner erstmals für sie zuständig. Für das Streitjahr ging der Antragsgegner beim Antragsteller mangels inländischen Wohnsitzes nur von beschränkter Einkommensteuerpflicht aus. Durch Bescheid vom 6.3.2012 unterwarf er unter der Steuernummer 2 ... € inländische Einkünfte des Antragstellers aus Vermietung und Verpachtung der Einkommensteuer nach dem Grundtarif und setzte diese unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf ... € fest. Der Bescheid war an den Antragsteller unter einer Adresse in T (Belgien) adressiert. Gegen den Bescheid wurde am 19.3.2012 Einspruch eingelegt und die Nachforderung mit Wirkung ab Fälligkeit von der Vollziehung ausgesetzt. Im Hinblick auf einen neuen Wohnsitz des Antragstellers in O gab der Antragsgegner den Steuerfall an das Finanzamt O ab. Es gibt Indizien für einen weiteren Bescheid vom 6.3.2012, den der Antragsgegner möglicherweise gegenüber der Antragstellerin erlassen hat. Er befindet sich aber nicht in der übersandten Steuerakte.
5Mit Schreiben vom 24.1.2014 teilte das Finanzamt O, unter den Steuernummern 3 sowie 4 den beiden Antragstellern unter ihrer gemeinsamen Adresse Z-Straße ... in O mit, dass es infolge des Wohnsitzwechsels die Bearbeitung der Einkommensteuer für das Streitjahr übernommen habe. Der Antragsgegner habe nur Festsetzungen zur beschränkten Einkommensteuer durchgeführt, weil die Antragsteller nach Aktenlage im Streitjahr keinen Wohnsitz im Inland gehabt hätten. Hiergegen hätten beide Antragsteller Einspruch eingelegt. Nach nochmaliger Überprüfung seien die vorliegenden Unterlagen ausreichend, um für das Streitjahr von einem Wohnsitz im Inland auszugehen. Daher würden die beiden Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr zur beschränkten Steuerpflicht in Kürze aufgehoben. Die von den Antragstellern außerdem eingereichte Einkommensteuererklärung für das Streitjahr werde an die für die unbeschränkte Einkommensteuer zuständige des Finanzamts O zur Steuernummer 1 weitergeleitet, die eine Festsetzung durchführen werde. Durch Bescheid vom 17.2.2014 hob das Finanzamt O, unter der Steuernummer 3 gegenüber der Antragstellerin „den Bescheid vom 06.03.2012“ nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf und setzte ihre Einkommensteuer auf 0 € fest. Es führte weiter aus, dass sich durch den Bescheid der Einspruch/Antrag der Antragstellerin vom 8.3.2012 erledige. Ein entsprechender Bescheid für den Antragsteller zu der Steuernummer 4 liegt dem Gericht nicht vor.
6Im elektronischen Steuerkonto der Antragsteller für die Steuernummer 1 wurde für das Streitjahr eine Einkommensteuerforderung über ... €, eine Zinsforderung nach § 233a AO in Höhe vom ...€ und eine Forderung über Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer von ... € jeweils mit Fälligkeit am 27.10.2014 gespeichert. Ferner wurde die Aussetzung der Vollziehung dieser Forderungen in voller Höhe gespeichert. Daraus schließt der Antragsgegner, dass das Finanzamt O, unter der angegebenen Steuernummer im September 2014 einen weiteren Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr gegen beide Antragsteller erlassen habe, durch die entsprechenden Forderungen entstanden seien. Wegen eines gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruchs seien die Forderungen vom Finanzamt O von der Vollziehung ausgesetzt worden und zwar bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch bzw. nach Rücknahme des Einspruchs. Der Einkommensteuerbescheid und der ihm zugrundeliegenden Verwaltungsvorgang, der Einspruch, die Aussetzungsverfügung und die Unterlagen zur weiteren Entwicklung des Einspruchsverfahren wurden dem Gericht bisher nicht vorgelegt. Nach der Steuerakte existiert noch ein Schreiben des Finanzamts O zu der erwähnten Steuernummer vom 19.1.2016, wonach das Einspruchsverfahren zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Das Schreiben selbst befindet sich nicht bei der Steuerakte.
7In den Akten des Antragsgegners befindet sich ferner die Kopie eines durch den Antragsgegner selbst geänderten Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr gegen den Antragsteller ohne Versanddatum und ohne Abrechnung, der am 15.12.2014 maschinell erzeugt wurde. Es handelt sich um eine Änderung des eingangs erwähnten Bescheids des Antragsgegners gegen den Antragsteller vom 6.3.2012. Die Einkommensteuer wird in dem am 15.12.2014 maschinell erzeugen Bescheid nochmals auf ... € festgesetzt und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Gemäß diesem Bescheid war dem Antragsgegner bekannt, dass der Antragsteller seinerzeit in der Z-Straße ... in O wohnte. Was es mit diesem Bescheid vor dem Hintergrund der Übernahme der Zuständigkeit durch das Finanzamt O auf sich hat und ob das Original dem Antragsteller vom Antragsgegner bekannt gegeben worden ist, lässt sich der Steuerakte nicht entnehmen.
8Die Antragsteller verzogen Anfang 2018 von O in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamts N, wo sie unter der Steuernummer 5 geführt wurden. Die in dem Steuerkonto 1 gespeicherten Daten zu Einkommensteuer, Zinsen und Solidaritätszuschlag für das Streitjahr nebst Aussetzung der Vollziehung wurden seinerzeit zu der neuen Steuernummer umgespeichert. Nach Aktenlage hat der Finanzamt N den das Streitjahr betreffenden Vorgang zu keiner Zeit aufgegriffen.
92021 zogen die Antragsteller nach B in den Zuständigkeitsbezirk des Antragsgegners, der den Steuerfall am 10.8.2021 unter Einschluss der gespeicherten Daten für das Streitjahr übernahm und unter der Steuernummer 6 erfasste. Durch eine maschinelle Hinweismitteilung vom 15.8.2022 wurde der Antragsgegner auf die Aussetzung der Vollziehung der Steuerforderungen für das Streitjahr aufmerksam. Eine diesbezügliche Steuerakte war vom Finanzamt N nicht übersandt worden. Auf Nachfrage teilte das Finanzamt N durch Schreiben vom 10.11.2022 mit, dass ihm keine Unterlagen zu der Aussetzung der Vollziehung für das Streitjahr mehr vorlägen. Es liege lediglich das bereits erwähnte Schreiben des Finanzamts O vom 19.1.2016 über das zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene Einspruchsverfahren vor. Das Finanzamt O teilte dem Antragsgegner am 22.11.2022 mit, dass sich nach Rücksprache mit der Rechtsbehelfstelle und einer Aktenschranksichtung (auch im Keller) im Finanzamt O keine Akten mehr zu den Antragstellern befänden.
10Unter dem 25.11.2022 übersandte der Antragsgegner den Antragstellern ein Schreiben über die „Beendigung der Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO betreffend den Einkommensteuerbescheid“ für das Streitjahr. Nach Überprüfung des Steuerfalls habe zwar eine Aussetzung der Vollziehung des Finanzamts O bestanden. Für deren Fortbestehen liege keine Grundlage vor. Aus diesem Grund werde die Aussetzung beendet. Die folgenden Steuerbeträge seien somit bis spätestens zum 29.12.2022 zu entrichten. Aufgeführt wurden sodann die Einkommensteuer für das Streitjahr von ... €, die beiden weiteren Forderungen, das ursprüngliche Fälligkeitsdatum vom 27.10.2014 und der Gesamtbetrag von ... €. Das Datum des zugrundeliegenden Einkommensteuerbescheids und der Aussetzungsverfügung mit der damaligen Steuernummer nannte der Antragsgegner in dem Schreiben nicht. Der Zeitpunkt der Beendigung der Aussetzung ergebe sich – so der Antragsgegner weiter – aus dem seinerzeitigen Schreiben über die Gewährung der Aussetzung. Diese sei bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch bzw. nach Rücknahme des Einspruchs befristet gewesen. Die Antragsteller wurden schließlich auf die Folgen verspäteter Zahlung hingewiesen.
11Mit Schreiben vom 29.11.2022, beim Antragsgegner eingegangen am 30.11.2022, wurde unter dem Briefkopf beider Antragsteller ausgeführt, die Verfügung vom 25.11.2022 sei rechtfehlerhaft. Sie lege nicht dar, auf Grund welchen Steuerbescheides die vermeintliche Forderung bestehen solle. Deshalb werde Einspruch gegen die Verfügung eingelegt und die sofortige Erklärung beantragt, dass von weiteren Maßnahmen Abstand genommen werde. Die Forderung sei ferner verjährt. Gegen die vermeintlichen Steuerschulden wegen der Art und Weise des Vorgehens werde außerdem Beschwerde eingelegt und kurzfristig um einen Termin für eine mündliche Erörterung innerhalb der nächsten zwei Wochen gebeten. Ein vertiefender und ergänzender Sachvortrag bleibe vorbehalten.
12Unter dem 9.12.2022 antwortete der Antragsgegner den Antragstellern, dass er dem Einspruch nicht entsprechen könne. Er verwies darauf, den Steuerfall vom Finanzamt N mit den offenen Kontodaten übernommen zu haben. Die Verjährung sei durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung unterbrochen. Wenn noch ein Verfahren für die Einkommensteuer des Streitjahres offen sei, werde gebeten, entsprechende Unterlagen vorzulegen. Könnten keine Nachweise erbracht werden, bestehe die Aufhebung der Aussetzung der Vollziehung zu Recht. Die offenen Beträge seien bis zur Fälligkeit zu entrichten.
13Am 12.12.2022 erweiterten die Antragsteller ihre Beschwerde um eine Dienstaufsichtsbeschwerde und beantragten wegen der Zahlungsaufforderung vom 25.11.2022 ausdrücklich Aussetzung der Vollziehung bis 4 Wochen nach Vorlage eines rechtskräftigen Bescheids über den geltend gemachten Betrag. Zur Sache führten sie aus, es bestehe nach Auskunft des Finanzamts O kein Steuerrückstand für das Streitjahr. Mit Blick auf den Bescheid vom 17.2.2014 trugen sie weiter vor, es existiere im Gegenteil ein rechtskräftiger Steuerbescheid für das Streitjahr, der keinerlei Steuerschuld ausweise. In einem weiteren Schreiben, das am 16.12.2022 beim Antragsgegner einging, rügten die Antragsteller nochmals, dass nicht auf die Frage eingegangen werde, auf welchen Steuerbescheid sich die Vollziehung bzw. die geltend gemachte Forderung stütze.
14Mit Verfügung vom 22.12.2022 setzte der Antragsgegner die Vollziehung „des nachstehenden Verwaltungsakts“ aus. Er bezeichnete ihn als „Bescheid über die Festsetzung von Einkommensteuer“ für das Streitjahr ohne Angabe eines Datums. Aufgeführt wurden ferner die ausgesetzten Beträge, die bisher am 29.12.2022 fällig gewesen wären. Der Antragsgegner behielt sich vor, die Aussetzung der Vollziehung nach pflichtgemäßem Ermessen zu widerrufen. Ebenfalls am 22.12.2022 wandte sich der Antragsgegner wegen Übersendung von Unterlagen nochmals an das Finanzamt O. Die Vorsteherin des Antragsgegners beschied am selben Tag die am 12.12. und 16.12.2022 eingelegte Dienstaufsichtsbeschwerde. Alle diese Schreiben, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, gingen den Antragstellern erst am 24.12.2022 zu.
15Bereits am 23.12.2022 haben die Antragsteller gegen den Antragsgegner bei Gericht Klage erhoben und beantragt, die Verfügung vom 25.11.2022 für unwirksam zu erklären sowie festzustellen, dass keine Steuerforderung für das Streitjahr bestehe. Der Antragsgegner habe den Einspruch mit Schreiben vom 9.12.2022 zurückgewiesen. Die Klage wird unter dem Aktenzeichen 3 K 2472/22 geführt. Über sie ist noch nicht entscheiden. Im selben Schriftsatz haben die Antragsteller bei Gericht Aussetzung der Vollziehung beantragt.
16Die Antragsteller wiederholen ihr bisheriges Vorbringen. Sie führen ergänzend aus, als bis zum 22.12.2022 vom Antragsgegner keine Nachricht eingegangen sei, habe er, der Antragsteller, wegen der bevorstehenden Weihnachtstage versucht, den Bearbeiter telefonisch zu erreichen. Dieser sei in Urlaub gewesen und die Vertretung habe keinen Vorgang für das Streitjahr in der Akte gefunden, was ihn, den Antragsteller, noch mehr verunsichert habe. Sein Hinweis auf die dann notwendig werdende Klage habe nichts bewirkt. Daraufhin hätten sie, die Antragsteller, sich am 23.12.2022 an das Gericht gewandt, um ihren Rechtschutz zu gewährleisten. Die vom Antragsgegner erwähnten Kontendaten des Finanzamts N seien für sie nicht nachvollziehbar und vom Finanzamt N zu keiner Zeit an sie herangetragen worden. Für das Streitjahr könne keine Steuerschuld bestehen. Die Antragsteller haben das Schreiben des Finanzamts O vom 24.1.2014 und dessen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 17.2.2014 übersandt. Spätere Bescheide lägen ihnen, den Antragstellern, nicht vor.
17Vom Berichterstatter auf die Aussetzungsverfügung des Antragsgegners vom 22.12.2022 hingewiesen haben die Antragsteller nochmals ausgeführt, dass sie diese erst am 24.12.2022 erreicht habe. Falls sich damit der gerichtliche Antrag auf Rechtsschutz erledigt habe, dann sei dem so. Es stelle sich aber die Frage, ob die Möglichkeit bestehe, das Verfahren ruhen zu lassen. Sie, die Antragsteller, wüssten ja nicht, wie der Antragsgegner weiter verfahre.
18Die Antragsteller beantragen Aussetzung der Vollziehung bis 4 Wochen nach Vorlage einer rechtskräftigen Entscheidung in der Sache.
19Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzuweisen.
20Er hält den Antrag bereits nach § 69 Abs. 4 FGO für unzulässig, da er keinen Aussetzungsantrag abgelehnt habe. Deshalb seien die Kosten des Verfahrens den Antragstellern selbst bei einem Obsiegen nach § 137 FGO aufzuerlegen.
21In einem Telefonat mit dem Berichterstatter vom 19.6.2023 hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass er nunmehr weitere Unterlagen zur Einkommensteuer für das Streitjahr erhalten habe. Der Berichterstatter hat erklärt, dass der Abschluss des Aussetzungsverfahrens nicht länger verzögert werden solle. Die Unterlagen könnten nach dem kurz bevorstehenden Senatsbeschluss wegen Aussetzung der Vollziehung in dem anhängig bleibenden Hauptsacheverfahren vorgelegt werden.
22II.
23Der Antrag ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
241. a) Der bei Gericht gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO statthaft.
25aa) Das Verfahren nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO setzt einen vollziehbaren Verwaltungsakt aus. Ein Steuerbescheid ist ein nach § 122 Abs. 1 AO bekannt gegebener Verwaltungsakt, durch den die Finanzbehörde eine Steuer festsetzt (§ 155 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO). Der Antragsgegner behauptet sinngemäß, dass das Finanzamt O gegenüber den seinerzeit dort wohnhaften Antragstellern einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erlassen habe, der zu einer am 27.10.2014 fälligen Nachforderung in Höhe von ... € geführt habe. Die Abschlusszahlung ist bei der Einkommensteuer in der Regel innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten (§ 36 Abs. 4 Satz 1 EStG). Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Geht man davon aus, dass das Finanzamt O diese Regelungen beachtet hat, müsste es den Einkommensteuerbescheid am Montag, dem 22.9.2014 oder am Dienstag, dem 23.9.2014 zur Post gegeben haben. Er würde dann am 25.9.2014 bzw. am 26.9.2014 als bekannt gegeben gelten. Da das Ende der Monatsfrist nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB, 108 Abs. 1 AO im ersten Fall auf einen Sonnabend und im zweiten Fall auf einen Sonntag gefallen wäre, wäre die Fälligkeit am Montag, den 27.10.2014 eingetreten (§ 108 Abs. 3 AO).
26Dass die Antragsteller bestreiten, nach dem Steuerbescheid vom 17.2.2014 noch einen Steuerbescheid für das Streitjahr erhalten zu haben, steht der Statthaftigkeit ihres vorliegenden Antrags nicht entgegen. Allerdings würde die Regelung über die Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 Halbsatz 2 AO nicht eingreifen, wenn der Verwaltungsakt nicht zugegangen wäre. Im Zweifel hat dann der Antragsgegner den Zugang nachzuweisen und ohne diesen Nachweis wäre der Steuerbescheid mangels Wirksamkeit (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO) gar nicht vollziehbar. Der Antragsgegner geht jedoch nach derzeitiger Aktenlage gerade davon aus, den Nachweis des Zugangs geführt zu haben bzw. zumindest im Hauptsacheverfahren noch führen zu können. Um den Antragstellern in dieser Konstellation den bei Verletzungen in ihren Rechten durch die öffentliche Gewalt von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eröffneten Rechtsweg zu gewährleisten muss § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO so ausgelegt werden, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung selbst dann statthaft ist, wenn er darauf gestützt wird, dass der Steuerbescheid mangels Bekanntgabe nicht wirksam sei (§§ 122, 124 Abs. 1 AO) sei, das Finanzamt ihn aber behandelt, als wäre er wirksam. Für den vergleichbaren Fall, dass das Aussetzungsbegehren damit begründet wird, der angefochtene Steuerbescheid sei nichtig, hat der BFH (Beschluss vom 21.4.1995 V B 91/94, BFH/NV 1995, 1042 Rn. 11) die Statthaftigkeit des Antrags nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO ausdrücklich bejaht, da die Antragsteller in diesem Fall befugt seien, den Rechtsschein der Vollziehbarkeit durch ihr Aussetzungsbegehren zu beseitigen. Für den vorliegenden Sachverhalt kann nichts anderes gelten.
27bb) Die für das Verfahren nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO erforderliche Hauptsache ist anhängig. Es bedürfte nicht notwendig einer Klage gegen den Verwaltungsakt (§ 69 Abs. 1 Satz 1 FGO), es genügt bereits die Einlegung des Einspruchs (§ 361 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 AO).
28Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner erstmals durch die Verfügung vom 25.11.2022 die Behauptung aufgestellt, es bestehe ein vollziehbarer Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr mit einer ursprünglichen Fälligkeit vom 27.10.2014. Bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit übernimmt das neu zuständig gewordene Finanzamt die Rechte und Pflichten des zuvor zuständigen Finanzamts (vgl. § 26 Satz 1 AO). Gegen diese Verfügung haben die Antragsteller am 30.11.2022 Einspruch eingelegt.
29Dieser außergerichtliche Rechtsbehelf ist bisher weder ganz noch teilweise erfolglos geblieben (§ 44 Abs. 1 FGO). Entgegen der Ansicht der Antragsteller hat der Antragsgegner mit dem Schreiben vom 9.12.2022, wonach er ihrem Einspruch nicht entsprechen könne, diesen nicht bereits zurückgewiesen. Soweit die Finanzbehörde dem Einspruch nicht abhilft, bedarf es einer (förmlichen) Einspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2 Satz 3 AO, § 44 Abs. 1 FGO). Eine solche wurde bisher nicht erteilt.
30Die am 23.12.2022 gegen die Verfügung vom 25.11.2022 erhobene Klage war daher zunächst verfrüht, soweit die Antragsteller mit dem Antrag, diese Verfügung durch das Gericht für unwirksam erklären zu lassen, der Sache nach erreichen wollten, dass das Gericht den Rechtsschein eines Verwaltungsakts gemäß §§ 40 Abs. 1, 100 Abs. 1 Satz 1 FGO aufhebt. Der Antrag festzustellen, dass keine Steuerforderung für das Streitjahr besteht, dürfte unzulässig sein, weil die Feststellung nach § 43 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht begehrt werden kann, soweit der Kläger seine Rechte wie gezeigt durch Gestaltungsklage verfolgen kann.
31Gleichwohl ist die Klage inzwischen zulässig geworden. Ist nämlich über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf, wie hier den am 30.11.2022 eingelegten Einspruch, ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dass diese sog. Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs erhoben werden kann, ändert daran nichts. Nach der Rechtsprechung wächst eine verfrüht erhobene Untätigkeitsklage wegen der Nichtentscheidung über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf nach Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs in die Zulässigkeit hinein (vgl. etwa BFH, Beschluss vom 13.9.2016 V B 26/16, BFH/NV 2017, 53 Rn. 9). Die mit der Einlegung des Einspruchs am 30.11.2022 angelaufene Frist von sechs Monaten ist am 30.5.2023 abgelaufen.
32b) § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO steht der Zulässigkeit des Antrags entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht entgegen. Danach ist der (bei Gericht gestellte) Antrag nach Absatz 3 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung – der nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO möglich ist – ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Es handelt sich dabei um eine sog. Zugangsvoraussetzung zum Zweck der Entlastung der Finanzgerichte, die im Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht erfüllt sein muss (BFH, Beschlüsse vom 31.8.1994 II S 12/94, BFH/NV 1995, 413 Rn. 4 bei juris, vom 24.8.2000 VIII S 2/00, BFH/NV 2001, 317 Rn. 5 und vom 5.12.2018 VIII B 130/18, BFH/NV 2019, 282 Rn. 15). Das Gericht lässt offen, ob die Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO im Streitfall schon deshalb erfüllt sind, weil der Antragsgegner durch die Verfügung vom 25.11.2022 die seit 2014 bestehende Aussetzung der Vollziehung ausdrücklich beendet hat. Es ist bis heute nicht geklärt, was aus dem Einspruch geworden ist, mit Rücksicht auf den das Finanzamt O die Aussetzung der Vollziehung zum 27.10.2014 ursprünglich angeordnet hatte. Selbst wenn die Verfügung des Antragsgegners vom 25.11.2022 keine Ablehnung eines im Jahr 2014 gestellten Antrags auf Aussetzung darstellt, ist der vorliegende Antrag jedenfalls nach § 69 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 FGO zulässig.
33aa) Die Antragsteller haben beim Antragsgegner am 30.11.2022 die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO beantragt. Der Formulierung „Aussetzung der Vollziehung“ bedarf es in entsprechender Anwendung von § 133 BGB nicht; maßgebend ist der wirkliche Wille des Erklärenden (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.1.2011 2 V 817/10, EFG 2011, 1355 Rn. 14). Auf die Verfügung des Antragsgegners vom 25.11.2022, die Steuerbeträge spätestens bis 29.12.2022 zu entrichten, haben die Antragsteller am 30.11.2022 nicht nur Einspruch eingelegt, sondern beim Antragsgegner dessen sofortige Erklärung beantragt, „dass hier von weiteren Maßnahmen Abstand genommen wird.“ Damit meinten die Antragsteller zweifellos die „Folgen verspäteter Zahlung“, die ihnen der Antragsgegner in der Verfügung vom 25.11.2022 angekündigt hatte.
34bb) Der Antragsgegner hat diesen Antrag durch das Schreiben vom 9.12.2022 zumindest nicht förmlich abgelehnt im Sinne des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, sondern nur darauf hingewiesen, dass die Aufhebung der Aussetzung der Vollziehung zu Recht bestehe und die offenen Beträge bis zum Tag der Fälligkeit zu entrichten seien, wenn keine weiteren Nachweise für ein offenes Rechtsbehelfsverfahren vorgelegt würden. Das Erfordernis der Ablehnung gilt aber auch nach § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO nicht, wenn die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat. Auch dafür sind die Verhältnisse bei der Antragstellung maßgeblich (Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 68 Stand Februar 2021). Das Gericht sieht die Voraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO im Zeitpunkt der Antragstellung am 23.12.2022 als erfüllt an.
35Die Angemessenheit der Frist bestimmt sich nach der besonderen Eilbedürftigkeit der Entscheidung, nach Umfang und Schwierigkeit des einzelnen Falles, wobei die Aufklärungsbedürftigkeit der Sache, die Mitwirkung des Antragstellers dabei, aber auch die Schwierigkeit der Rechtsfrage zu berücksichtigen ist (Birkenfeld in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 1113). Die Verfügung vom 25.11.2022 über die Beendigung der Aussetzung der Vollziehung des Finanzamts O gilt den Antragstellern gegenüber am Montag, dem 28.11.2022, als bekannt gegeben. Sie enthielt eine Aufforderung, Steuerbeträge von insgesamt fast 12.000 € spätestens zum 29.12.2022 zu entrichten. Der Antragsgegner hat die Folgen verspäteter Zahlung dargestellt. Mit dem am 30.11.2022 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wollten die Antragsteller eben diese Folgen vermeiden. In der Sache sind sie der Forderung des Antragsgegners mit der Begründung entgegengetreten, dass er nicht darlege, auf Grund welches Steuerbescheids die vermeintliche Forderung bestehen solle. Dieser Einwand war berechtigt und aus Sicht der Antragsteller auch legitim. Denn sie sind davon ausgegangen, dass nach dem Bescheid des Finanzamts O, vom 17.2.2014 unter der Steuernummer 3, der den vorherigen Bescheid vom 06.03.2012 aufgehoben und die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt hatte, kein weiterer Bescheid mehr ergangen sei. Ferner haben sie um einen kurzfristigen Termin für eine mündliche Erörterung gebeten, der innerhalb der nächsten zwei Wochen – also bis Mittwoch, den 14.12.2022 – stattfinden sollte. Das Gericht versteht dies so, dass die Antragsteller so rechtzeitig vor Fälligkeit am 29.12.2022 Klarheit darüber haben wollten, ob der Antragsgegner die Vollziehung aussetzt, dass sie – die Antragsteller – noch genug Zeit hätten, einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei Gericht zu stellen.
36Innerhalb dieser Frist von zwei Wochen hat der Antragsgegner den Antragstellern keinen Besprechungstermin angeboten, sondern durch Verfügung vom 9.12.2022 mitgeteilt, ihrem Einspruch nicht entsprechen zu können. Auf ihr Argument, dass der zugrundeliegende Einkommensteuerbescheid nicht bezeichnet worden sei, ist der Antragsgegner mit keinem Wort eingegangen. Wenn dieser Bescheid aus Sicht der Antragsteller jedoch nicht existiert hat, lag die weitere Bitte des Antragsgegners aus der Verfügung vom 9.12.2022, die Antragsteller mögen Unterlagen über ein Rechtsbehelfsverfahren gegen den Bescheid vorlegen, neben der Sache.
37Gleichwohl haben die Antragsteller den Antragsgegner mit ihrer am 12.12. und am 16.12.2022 eingelegten Dienstaufsichtsbeschwerde nochmals auf die fehlende formelle Grundlage für dessen Begehren hingewiesen. Erst dies hat den Antragsgegner dazu veranlasst, beim Finanzamt O am 22.12.2022 erneut vorstellig zu werden und um Übersendung einer elektronischen Rekonstruktion des Steuerbescheids für das Streitjahr zu bitten. Für das Gericht erschließt sich nicht, warum der Antragsgegner dies nicht schon vor Erlass der Verfügung vom 25.11.2022 getan hat. Der Steuerbescheid ist die zentrale Grundlage für das Festsetzungs- und Erhebungsverfahren (§§ 155 Abs. 1 Satz 1, 218 Abs. 1 Satz 1, 251 Abs. 1 Satz 1 AO). Dieses Dokument muss ein Finanzamt jederzeit vorlegen können. Dabei ist dem Gericht durchaus bewusst, dass dies ein Finanzamt bei mehreren Zuständigkeitswechseln infolge der Umzüge der Steuerpflichtigen wie hier von W nach O, nach N und nach B innerhalb von 15 Jahren (2006 bis 2021) vor Probleme stellt. Das 20... gegründete Finanzamt O ist nach seinem Internetauftritt mit derzeit ... Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ... und wurde 20... umstrukturiert. Dabei wurde insbesondere die Abteilung von der der hier interessierende Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erlassen worden sein soll, mit der Betriebsprüfung beauftragt und die Veranlagung auf die Abteilungen I bis III konzentriert. Das ändert aber nichts daran, dass die Antragsteller im Falle eines Umzugs von O nach N gemäß Art. 11 Abs. 1 GG das Grundrecht auf Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet genießen. Mängel in der Organisation anderer Finanzämter und insbesondere in anderen Bundesländern haben nicht die Steuerpflichtigen zu vertreten. Bei einem Umzug geht die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörde zwar nach § 26 Satz 1 AO über, nur unter den Voraussetzungen des § 26 Satz 2 AO kann die bisherige Finanzbehörde das Verfahren fortführen. Deshalb hätte schon das Finanzamt N bei der Übernahme des Steuerfalls in 2018 den das Streitjahr betreffenden Vorgang aufgreifen können und sollen; immerhin war dort ausweislich des Schreibens vom 10.11.2022 sogar bekannt, dass es einmal ein Rechtsbehelfsverfahren beim Finanzamt O gegeben hat, das Anfang 2016 noch nicht abgeschlossen war. Das Versäumnis des Finanzamts N geht nicht zulasten der Antragsteller, sondern zulasten des Antragsgegners.
38Gerechnet von Mittwoch, dem 30.11.2022, haben die Antragsteller insgesamt über drei Wochen, nämlich bis Freitag, den 23.12.2022 abgewartet, bis sie den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei Gericht gestellt haben. Hätte man ihnen zumindest bei dem Anruf am 22.12.2022 mitgeteilt, dass die Aussetzung der Vollziehung soeben verfügt worden war, wäre es zum vorliegenden Verfahren nicht gekommen. Eine noch längere Wartezeit war den Antragstellern aus Sicht des Gerichts jedenfalls nicht zuzumuten. Ihnen drohte die Fälligkeit der rund 12.000 € am 29.12.2022. Selbst wenn wegen des sog. Weihnachtsfriedens im Zweifel nicht sofort Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen und die Antragsteller zunächst nur gemahnt worden wären, entsteht der Säumniszuschlag nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO kraft Gesetzes.
39c) Die Aussetzungsverfügung des Antragsgegners vom 22.12.2022 ändert nichts am Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller für den Antrag nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO.
40aa) Eine Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde nach § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO stellt einen Verwaltungsakt dar (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 81 Stand Februar 2021). Sie wird erst wirksam, wenn die Aussetzungsverfügung demjenigen, für den sie bestimmt ist oder der von ihr betroffen wird, bekanntgegeben wird (§§ 122 Abs.1, 124 Abs.1 AO). Bei Übermittlung durch die Post ist auch darauf die Regelung in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO anwendbar, wonach die Aussetzung der Vollziehung am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gilt, die im Streitfall frühestens am 22.12.2022 erfolgt sein kann. Der hier zu beurteilende Antrag nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO ist am 23.12.2022 bei Gericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Aussetzungsverfügung noch auf dem Weg zu den Antragstellern. Sie ist damit erst während des vorliegenden Verfahrens wirksam geworden.
41bb) Durch die Aussetzungsverfügung des Antragsgegners vom 22.12.2022 hat sich der bei Gericht gestellte Aussetzungsantrag der Antragsteller nicht im Sinne des § 138 Abs. 1 FGO in der Hauptsache erledigt. Denn der Antragsgegner hat die Aussetzungsverfügung mit einem Widerrufsvorbehalt erlassen. Das ist nach § 120 Abs. 2 Nr. 3 AO zwar möglich, verschafft den Antragstellern aber nicht die gleiche Rechtsposition wie ein stattgebender Beschluss des Gerichts. Dieser kann nur durch das Gericht nach Maßgabe von § 69 Abs. 6 FGO geändert werden. Demgegenüber kann die Aussetzungsverfügung von der Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen widerrufen werden (§ 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Es entspricht deshalb der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass sich das gerichtliche Aussetzungsverfahren in solchen Fällen nur erledigt, wenn beide Beteiligten eine rechtswirksame Erledigungserklärung abgeben (vgl. BFH, Beschlüsse vom 23.7.2002 X B 209/01, BFH/NV 2002, 1487 und vom 11.6.2010 IV S 1/10, BFH/NV 2010, 1851 Rn. 12). Der Antragsteller hat zu der Verfügung des Antragsgegners vom 22.12.2022 mit Schriftsatz vom 18.1.2023 wörtlich erklärt: „Falls sich damit mein gerichtlicher Antrag erledigt hat, dann ist dem so. Oder besteht die Möglichkeit das Verfahren ruhen zu lassen. Ich weiß ja nicht, wie das Finanzamt weiter verfährt.“ Die Formulierung bezieht sich offensichtlich gerade auf den Widerrufsvorbehalt in der Verfügung vom 22.12.2022. Eine Erledigungserklärung kann das Gericht daraus nicht ableiten.
422. In der Sache hat der Antrag Erfolg.
43Das Gericht setzt die Vollziehung entsprechend dem gestellten Antrag gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 FGO in voller Höhe aus, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des vermeintlichen Einkommensteuerbescheids des Finanzamts O von September 2014 bestehen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (grundlegend BFH, Beschluss vom 10.2.1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182, aus neuerer Zeit Beschluss vom 24.11.2021 I B 44/21, BStBl II 2022, 431, Rn. 15). Der Erfolg braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg, vielmehr genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs in dem summarischen Verfahren ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, FGO § 69 Rn. 89 Stand Februar 2021).
44a) Wie bereits ausgeführt gehört zur Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids auch die Beachtung der formellen Erfordernisse, insbesondere die Beachtung der Vorschriften für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten und hier von § 122 Abs. 2 Nr. 1 letzter Halbsatz AO. Danach gilt ein Verwaltungsakt auch am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post nicht als bekanntgegeben, wenn er nicht zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Das ist bisher nicht geschehen.
45Die Speicherung der Daten über die Einkommensteuer für das Streitjahr im Steuerkonto durch das Finanzamt O ist ein Indiz dafür, dass ein entsprechender Einkommensteuerbescheid im September 2014 erstellt worden ist. Auch der Verfahrensablauf spricht dafür. Der Antragsteller hat nach dem ersten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, den der Antragsgegner am 6.3.2012 erlassen hatte, inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... € erzielt. Die Aufhebung dieses Bescheids durch das Finanzamt O am 17.2.2014 beruhte nicht darauf, dass der Betrag nicht steuerpflichtig wäre, sondern darauf, dass das Finanzamt O die Antragsteller nicht für beschränkt, sondern für unbeschränkt steuerpflichtig hielt. Nach dem Schreiben vom 14.1.2014, das die Antragsteller im vorliegenden Verfahren selbst eingereicht haben, sollte ein neuer Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom Finanzamt O, zu Steuernummer 1 auf der Grundlage der Einkommensteuererklärung noch erteilt werden. Zu dieser Ungereimtheit im Geschehensablauf haben die Antragsteller bisher nicht Stellung genommen. Für die rechtliche Beurteilung kommt es aber nicht darauf an, was das Finanzamt O den Antragstellern angekündigt hatte. Entscheidend ist für § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO alleine, ob und ggf. wann das Finanzamt O einen korrekt an die Antragsteller in O adressierten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr tatsächlich zur Post aufgegeben hat und ob der von den Antragstellern bestrittene Zugang nachgewiesen werden kann. Solange keine Kopie dieses Bescheids vorgelegt und die Art seiner Bekanntgabe nicht dargestellt wird, kann von den Antragstellern substantiierter Vortrag nicht erwartet werden. Das gilt erst recht, solange ein von den Antragstellern gegen den Bescheid selbst eingelegter Einspruch dem Gericht nicht vorliegt. Die weitere Klärung dieser Fragen muss dem Verfahren in der Hauptsache vorbehalten bleiben.
46Das Gericht weist allerdings vorsorglich schon jetzt darauf hin, dass mit dem Nachweis der Bekanntgabe und einer Einlegung des Einspruchs nur die Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheids ausgeräumt wären. Dann wird das Gericht zu prüfen haben, ob das Verfahren über den Einspruch bestandskräftig abgeschlossen wurde. Ist das noch nicht der Fall oder lässt sich das nicht nachweisen, kommt es schließlich auf die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheids an. Immerhin hatte das Finanzamt O wegen Zweifeln an der festgesetzten Einkommensteuer seinerzeit selbst die Vollziehung ausgesetzt.
47b) Das Gericht kann die Vollziehung eines Verwaltungsakts nur für die Dauer des Verfahrens in der Hauptsache aussetzen und nur so lange, wie es selbst für die Instanz zuständig ist (BFH, Beschluss vom 3.8.2007 V S 20/07, BFH/NV 2007, 2309 Rn. 8; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 904). Da die Klage im Verfahren 3 K 2472/22 gegen den vermeintlichen Steuerbescheid – wie bereits ausgeführt – inzwischen zulässig geworden ist, kann die Aussetzung nur bis zum Abschluss dieses Klageverfahrens angeordnet werden. Für die Aussetzung während der Dauer eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens wäre alleine der BFH zuständig. Die Antragsteller unterliegen deshalb, soweit sie die Aussetzung bis zur Rechtskraft der Hauptsache beantragt haben.
48Für eine Zulassung der Beschwerde besteht kein Anlass (§§ 115 Abs. 2, 128 Abs. 3 Satz 2 FGO).
49Die Kosten des Verfahrens sind ganz dem Antragsgegner aufzuerlegen, weil die Antragsteller nur zu einem geringen Teil unterlegen sind (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Für die vom Antragsgegner begehrte Kostenentscheidung nach § 137 Satz 1 FGO ist kein Raum. Die Stattgabe beruht nur auf Tatsachen, die auch dem Antragsgegner bekannt gewesen sind.