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Der Gewerbesteuermessbescheid 2015 vom 12.03.2020 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12.03.2020 werden mit der Maßgabe geändert, dass der Gewerbesteuermessbetrag unter Anwendung der einfachen Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG auf … € festgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die erweiterte Kürzung für Grundstücksunternehmen nach § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in Anspruch nehmen kann.
3Die Klägerin ist eine Gesellschaft in der türkischen Rechtsform einer „Anonim Sirket“ mit Sitz in A. Sie ist im Handelsregister A unter der Nr. ... eingetragen. Ihr Unternehmensgegenstand ist dort (übersetzt) mit „Tätigkeit im Baugewerbe im In- und Ausland“ bezeichnet.
4Eine Eintragung der Klägerin im deutschen Handelsregister mit einer inländischen Zweigniederlassung ist nicht feststellbar. Die Klägerin war im Streitjahr jedoch als Alleingesellschafterin an der mit Gesellschaftsvertrag vom 00.00.2015 gegründeten und im Handelsregister des Amtsgerichts B unter HRB ... eingetragenen C GmbH mit Sitz in D (nunmehr firmierend als „E GmbH“ mit Sitz in B) beteiligt. Deren alleiniger Geschäftsführer, Herr F, war zugleich einzelvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied der Klägerin.
5Zum 00.00.2015 erwarb die Klägerin ein Wohn- und Geschäftshaus unter der Adresse Gstraße, D, zu einem Kaufpreis von … €. Ab 00.2015 gab sie beim Finanzamt B Umsatzsteuer-Voranmeldungen ab und machte Vorsteuer geltend. Im 00.2015 führte das Finanzamt B bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Zeitraum 00.2015 durch. Nach den darin getroffenen Feststellungen plante die Klägerin, das im Erdgeschoss des Objekts Gstraße befindliche, leerstehende Ladenlokal in Zukunft fremd zu vermieten. Im 1. Obergeschoss des Hauses nutzte die Klägerin nach den während der Umsatzsteuer-Sonderprüfung getroffenen Feststellungen Büroräume zu eigenen Zwecken und befanden sich von Herrn F privat genutzte Wohnräume. Herr F war ab 00.2015 unter der Anschrift Gstraße, D, mit seiner alleinigen Wohnung in Deutschland gemeldet. Das Dachgeschoss des Hauses sollte saniert und anschließend mit Büroräumen sowie ggf. Übernachtungsmöglichkeiten für Mitarbeiter aus der Türkei ausgestattet werden. Des Weiteren beabsichtigte die Klägerin zum Zeitpunkt der Umsatzsteuer-Sonderprüfung, eine Produktionshalle nebst Büroräumen auf dem ehemaligen Gelände der Firma H zu errichten. Diese sollte nach Fertigstellung an die C GmbH vermietet werden. Weitere Investitionen in Mietobjekte waren in Planung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht des Finanzamtes B vom 00.00.2015 über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung verwiesen.
6Im Jahr 2016 erwarb die Klägerin eine weitere Immobilie in der Istraße, J, zu einem Kaufpreis von … € sowie eine Hotelimmobilie in der Kstraße, L, zu einem Kaufpreis von … €. Aufgrund dessen ging die örtliche Zuständigkeit für die Besteuerung der Klägerin auf den Beklagten über (vgl. Aktenvermerk des Finanzamts B vom 00.00.2016), da sich in dessen Bezirk nunmehr der wertvollste Teil ihres Vermögens befand (§ 20 Abs. 3 der Abgabenordnung – AO).
7Für das Streitjahr 2015 gab die Klägerin zunächst weder eine Körperschaftsteuer- noch eine Gewerbesteuererklärung ab. Unter dem 00.00.2018 stellte der Beklagte daraufhin eine sie betreffende Anfrage bei der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) des Bundeszentralamts für Steuern. Ferner gab er am 00.00.2018 einen an die Klägerin gerichteten Schätzungsbescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2015 frei und erließ ihr gegenüber unter dem 00.00.2018 einen Schätzungsbescheid über Körperschaftsteuer für 2015. Ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen bzw. Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. … € setzte der Beklagte die Körperschaftsteuer auf … € und den Gewerbesteuermessbetrag auf … € fest. Beide Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO.
8Am 00.00.2018 reichte die Klägerin eine Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung für 2015 nebst Jahresabschluss zum 31.12.2015 beim Beklagten ein. Ihre Geschäftsanschrift gab sie darin jeweils mit „…, A“ und die Anschrift ihres gesetzlichen Vertreters F mit Gstraße, D, an. Den Gegenstand ihres Unternehmens bezeichnete sie mit „Baubranche“. Den Gesamtbetrag ihrer Einkünfte bzw. ihren Gewinn aus Gewerbebetrieb deklarierte die Klägerin mit … €. Die erweiterte Kürzung für Grundstücksunternehmen gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG machte sie in der Gewerbesteuererklärung zunächst nicht geltend. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärungen und den Jahresabschluss der Klägerin für 2015 Bezug genommen.
9Mit Schreiben vom 13.03.2018 übersandte die IZA dem Beklagten in Beantwortung seiner die Klägerin betreffenden Anfrage u.a. einen Handelsregisterauszug (in türkischer Sprache), einen von der Internetseite der Handelskammer A (www.1) abgerufenen Datenbankauszug (mithilfe von Google-Translate auf Deutsch übersetzt), eine über die Klägerin eingeholte Wirtschaftsauskunft, Auszüge aus der Orbis-Firmendatenbank der Bureau van Dijk Electronic Publishing GmbH und dem Online-Branchenverzeichnis www.infobel.com sowie Ausdrucke von der Internetpräsenz www.2. Wegen ihres jeweiligen Inhalts wird auf die vorgenannten Unterlagen Bezug genommen.
10Am 00.00.2018 ordnete der Beklagte die Durchführung einer steuerlichen Betriebsprüfung (Bp.) bei der Klägerin betreffend die Jahre 2014 bis 2016 an. Unter dem 00.00.2018 erließ er einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid für 2015, mit dem er den Gewerbesteuermessbetrag ausgehend von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. … € – ohne gewerbesteuerliche Hinzurechnungen oder Kürzungen – auf … € festsetzte. Den Vorbehalt der Nachprüfung ließ der Beklagte bestehen.
11Am 00.00.2018 wurde mit der Bp. bei der Klägerin begonnen. Kurz darauf, am 00.00.2018, legte sie gegen den geänderten Gewerbesteuermessbescheid 2015 vom 00.00.2018 Einspruch ein. Mit diesem trug sie vor, die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG sei bislang nicht berücksichtigt worden. Ihr Gewinn aus Gewerbebetrieb entfalle in voller Höhe auf die Verwaltung eigenen Grundbesitzes. Eine andere Tätigkeit übe sie nicht aus.
12Im Rahmen der Bp. legte die Klägerin Kopien ihrer türkischen Körperschaftsteuererklärungen und Bilanzen für die Jahre 2014 (mit deutscher Übersetzung), 2015 und 2016 (nur in türkischer Sprache), Kopien der Kaufverträge über die Objekte Kstraße, L (Vertrag vom 00.00.2016, UR-Nr. … des Notars M, L), und Lise-Istraße, J (Vertrag vom 00.00.2016, UR-Nr. … des Notars M, L), sowie die Kopie eines zwischen ihr und Herrn F geschlossenen Geschäftsführervertrags vom 00.00.2016 vor. Wegen ihres Inhalts wird jeweils auf die vorgenannten Unterlagen verwiesen.
13Am 00.00.2018 nahm die Bp. eine Ortsbesichtigung des Objekts Gstraße, D, vor. Bei dieser Gelegenheit gab Herr F gegenüber der Bp. an, er habe im Prüfungszeitraum im Obergeschoss des Hauses in einem kleinen Raum gelebt. Das auf dieser Etage befindliche Badezimmer sei auch von Geschäftspartnern, die bei Bedarf ebenfalls in einem Zimmer untergebracht worden seien, genutzt worden. Ferner wurde der Bp. die deutsche Übersetzung eines Vorstandsbeschlusses vom 00.00.2014 überreicht. Ausweislich dessen hatte der Vorstand der Klägerin beschlossen, unter der Firmierung „N – Niederlassung Deutschland“ eine Niederlassung zu gründen, um in Deutschland und in sämtlichen Ländern der Europäischen Union Tätigkeiten betreffend „Projektforschung und Entwicklung und Investment“ auszuüben. Es sei das Gebäude und Grundstück unter der Adresse Gstraße zu erwerben; der Kaufpreis solle aus dem der Niederlassung zugewiesenen Gesellschaftskapital entnommen werden. Die Niederlassung werde von Herrn F und Frau O jeweils als Geschäftsführer mit Einzelvertretungsbefugnis vertreten.
14In ihrem Bericht vom 02.01.2020 hielt die Bp. fest, die Klägerin, deren Sitz und Geschäftsleitung sich in A befinde, habe im Prüfungszeitraum unter der Anschrift Gstraße, D, eine inländische Betriebsstätte unterhalten. Beteiligte der Klägerin seien Herr F mit 99,99 % und Frau O mit 0,01 %. Herr F sei Geschäftsführer und auch alleinvertretungsberechtigter Filialleiter der inländischen Betriebsstätte. Er sei vom 24.05.2015 bis zum 01.03.2019 unter der Adresse Gstraße, D, gemeldet gewesen.
15Gegenstand der geschäftlichen Tätigkeiten der Klägerin im Ausland sei der Wohn-, Anlagen-, Straßen- und Brückenbau. Bei den in D von ihr genutzten Büroräumen handele es sich um eine Betriebsstätte im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA), so dass die Gesellschaft im Inland beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sei.
16Gegenstand der geschäftlichen Tätigkeiten im Inland sei der Ankauf und die Vermietung von Immobilien. Die erweiterte Gewerbesteuerkürzung für Grundstücksunternehmen nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG könne die Klägerin aber nicht in Anspruch nehmen, weil sie in der Türkei nicht ausschließlich begünstigte Tätigkeiten ausübe. Vielmehr sei die Klägerin dort als Bauunternehmen tätig. Ausländische Gesellschaften mit Grundbesitz im Inland müssten auch im Ausland ausschließlich begünstigte Tätigkeiten ausüben, obgleich die Gewerbesteuer diese Tätigkeiten im Grundsatz gar nicht umfasse. Maßgeblich sei, dass der Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auf das „Unternehmen“ abstelle und die enge Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen keine örtlichen Differenzierungen rechtfertige (Hinweis auf Lenski/Steinberg, § 9 Nr. 1 Rn. 122).
17Weitere – im vorliegenden Verfahren nicht streitige – Feststellungen der Bp. betrafen die Bemessung sowie die Aufteilung der Anschaffungs- und Erwerbsnebenkosten der von der Klägerin im Prüfungszeitraum erworbenen Immobilien, die Anschaffung von Büroeinrichtungsgegenständen und die Nichtabziehbarkeit geltend gemachter Bewirtungsaufwendungen. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Bp.-Bericht vom 02.01.2020 Bezug genommen.
18Der Beklagte folgte den Feststellungen und Wertungen der Bp. und erließ unter dem 12.03.2020 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Gewerbesteuermessbescheid für 2015, mit dem er den Gewerbesteuermessbetrag ausgehend von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. … € – weiterhin ohne Berücksichtigung von Hinzurechnungen oder Kürzungen – auf … € festsetzte. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er auf.
19Mit Einspruchsentscheidung vom 12.03.2020 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin gegen den Gewerbesteuermessbescheid 2015 vom 00.00.2018 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 00.00.2020 als unbegründet zurück. Die Gewährung der erweiterten Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG lehnte er mit gleichlautender Begründung wie im Bp.-Bericht vom 02.01.2020 ab. Nach den Feststellungen der Bp. seien von der Klägerin in der Türkei nicht nur begünstigte Tätigkeiten ausgeführt worden.
20Hiergegen hat die Klägerin am 16.04.2020 Klage erhoben.
21Zu deren Begründung hat sie zunächst vorgetragen, sie unterliege bereits dem Grunde nach nicht der inländischen Gewerbesteuerpflicht. Gemäß § 2 Abs. 1 GewStG setze dies voraus, dass sie kumulativ gewerblich tätig sei und ihre gewerblichen Einkünfte im Rahmen einer inländischen Betriebsstätte erziele. Beides sei nicht der Fall.
22Der Begriff des Gewerbebetriebs i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG entspreche grundsätzlich dem des Unternehmens i.S.d. § 2 des Umsatzsteuergesetzes. Die Vermietung und Verpachtung werde hiervon nicht erfasst. Neben dem Gewerbebetrieb i.S.v. § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) fielen auch Freiberufler und Land- und Forstwirte unter § 2 Abs. 1 GewStG. Reine Gewerblichkeitsfiktionen wie z.B. die gewerbliche Prägung nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG reichten jedoch nicht aus. Sie, die Klägerin, sei im Inland somit nicht gewerblich, sondern rein vermögensverwaltend tätig. Die Frage der Anwendung von § 2 Abs. 2 GewStG stelle sich für sie nicht, da sie keine inländische Kapitalgesellschaft sei. Die OFD Münster gehe davon aus, dass eine ausländische Kapitalgesellschaft grundsätzlich keinen Gewerbebetrieb kraft Rechtsform gemäß § 2 Abs. 2 GewStG unterhalte (vgl. OFD Münster, Vfg. vom 24.07.2008 – S 1300 – 169 - St 45-32).
23Selbst wenn § 2 Abs. 2 GewStG aber – was die Klägerin im weiteren Verlauf des Verfahrens bejaht hat – auf eine ausländische Gesellschaft anzuwenden sei, unterhalte sie jedenfalls keine inländische Betriebsstätte. Maßgebend sei insoweit die Betriebsstättendefinition des § 12 AO. Dieser verlange u.a. eine Geschäftseinrichtung oder Anlage. Keine Betriebsstätte begründeten bloßer Besitz von Grund- und Kapitalvermögen oder lediglich vermietete Gebäude oder Gebäudeteile. Der Beklagte führe aus, dass ein Büro, in dem eine unternehmensbezogene Tätigkeit ausgeübt werde, als sog. Geschäftsstelle i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 3 AO anzusehen sei und verweise insoweit auf ein BFH-Urteil vom 10.05.1989 (I R 50/85). Dieses Urteil beziehe sich aber auf spezielle lohnsteuerrechtliche Regelungen und sei auf den Streitfall nicht übertragbar. Verwaltungstätigkeiten im Zusammenhang mit der Vermietung, z.B. die Kontrolle verpachteter Anlagen und die Einziehung des Mietzinses, reichten zur Begründung einer Betriebsstätte überdies nicht aus (vgl. FG Münster, Urteil vom 12.04.2019 – 13 K 3645/16 sowie BFH-Urteil vom 13.06.2006 – I R 84/05). Hinzukommen müsse vielmehr, dass auf dem Grundstück eine eigene gewerbliche Tätigkeit ausgeübt werde (vgl. BFH-Urteil vom 10.02.1988 – VIII R 159/84).
24Auch aus dem BFH-Urteil vom 23.03.2022 (III R 35/20) ergebe sich nichts, was im Streitfall zu der Annahme einer inländischen Betriebsstätte zwinge. Das Urteil beschäftige sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Räumlichkeiten einer eingeschalteten Dienstleistungs- oder Managementgesellschaft, für die kein vertraglich eingeräumtes eigenes Nutzungsrecht bestehe, eine Betriebsstätte begründet könnten. Für den vorliegenden Fall ließen sich hieraus keine Erkenntnisse gewinnen.
25Im Rahmen eines am 00.00.2023 durchgeführten Erörterungstermins vor der Berichterstatterin hat die Klägerin ihre ursprünglich bestrittene sachliche Gewerbesteuerpflicht dem Grunde nach sodann unstreitig gestellt. Sowohl über ihre Gewerblichkeit kraft Rechtsform als auch über die Existenz einer inländischen Betriebsstätte bestehe Einvernehmen. Unstreitig hätten sich im Streitjahr unter der Adresse Gstraße, D, von ihr zu eigenen betrieblichen Zwecken genutzte Büroräume befunden, die als Betriebsstätte zu qualifizieren seien.
26Allerdings sei ihr, der Klägerin, die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG zu gewähren. Sie übe im Inland unstreitig nur begünstigte Tätigkeiten in Form der Verwaltung eigenen Grundbesitzes aus. Auf ihre im Ausland ausgeübten Tätigkeiten komme es nicht an. Die gegenteilige Auffassung des Beklagten lasse sich schon nicht mit dem Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG vereinbaren. Soweit darin von „Unternehmen“ die Rede sei, sei auf das nach § 2 GewStG dem Grunde nach der inländischen Gewerbesteuerpflicht unterliegende Unternehmen abzustellen. Dies ergebe sich daraus, dass wegen der Verwendung des Wortes „soweit“ in § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG Anknüpfungspunkt für die inländische Gewerbesteuerpflicht grundsätzlich nur die inländischen Einkünfte seien. Bei der Ermittlung des Gewerbeertrags sei anders als bei inländischen Gesellschaften nur auf die Einkünfte abzustellen, die durch die inländische Betriebsstätte erzielt worden seien. Zudem kenne die Gewerbesteuer keine Unterscheidung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht und erfasse auch nicht das „Welteinkommen“ des Steuerpflichtigen. Maßgebend könnten daher auch nur die der inländischen Betriebsstätte zuzuordnenden Tätigkeiten sein. Andernfalls käme es zu einer Durchbrechung der sachlichen Gewerbesteuerpflicht und des in § 2 Abs. 1 GewStG präzise formulierten Inlandsbezugs, was zu einem dogmatischen Widerspruch führen würde. Eine über die sachliche Steuerpflicht hinausgehende Ausnahme von der erweiterten Kürzung hätte der Gesetzgeber zudem sicherlich konkret geregelt.
27Die erweiterte Kürzung ziele auf die Vermeidung von Mehrfachbelastungen durch Grundsteuer und Gewerbesteuer. Zu diesem Zweck stelle die Vorschrift vermögensverwaltende Grundbesitz-„Unternehmen“, deren Einkünfte nur kraft ihrer Rechtsform der Gewerbesteuer unterlägen, mit vermögensverwaltenden Einzelpersonen und Personengesellschaften gleich. Ausländische Tätigkeiten, die dem Grunde nach unstrittig nicht der inländischen Gewerbesteuerpflicht unterlägen, als für die erweiterte Kürzung schädliche Tätigkeiten anzusehen, widerspreche sowohl dem Sinn und Zweck des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG als auch dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer. Denn aufgrund des letzteren spielten persönliche Merkmale des Steuerpflichtigen für die Besteuerung grundsätzlich keine Rolle.
28Unabhängig davon sei ihr, der Klägerin, vom Beklagten nicht erläutert worden, inwieweit sie in der Türkei nicht begünstigte Tätigkeiten i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG ausüben solle. Hierzu gebe es auch nirgendwo schriftliche Ausführungen, die ihre angeblich schädliche Betätigung beschrieben. Selbst wenn im Inland eine Betriebsstätte anzunehmen sei, wäre daher zu erörtern und festzustellen, ob sie in der Türkei tatsächlich schädliche Tätigkeiten ausübe.
29In der mündlichen Verhandlung ist für die Klägerin niemand erschienen. Schriftsätzlich hatte sie sinngemäß den Antrag angekündigt,
30den Gewerbesteuermessbescheid 2015 vom 12.03.2020 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12.03.2020 mit der Maßgabe zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag unter Anwendung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auf 0 € festgesetzt wird.
31Der Beklagte beantragt,
32die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass der Gewerbesteuermessbetrag unter Anwendung der einfachen Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG auf … € festzusetzen ist.
33Er verweist darauf, dass nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG als Gewerbebetrieb stets und in vollem Umfang die Tätigkeit u.a. der Kapitalgesellschaften gelte. Die Klägerin sei eine Aktiengesellschaft türkischen Rechts, also eine Kapitalgesellschaft. Die von ihr angeführte Verfügung der OFD Münster vom 24.07.2008 sei nur bis zum 20.07.2011 anzuwenden gewesen. In der aktuellen Verfügung der OFD Nordrhein-Westfalen vom 05.09.2017 (S 1300 - 2010/0007 - St 122) werde ausgeführt, dass ausländische grundstücksverwaltende Kapitalgesellschaften grundsätzlich nicht bereits nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG als „Gewerbebetriebe kraft Rechtsform“ gewerbesteuerpflichtig seien. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 GewStG gelte also entgegen der Ansicht der Klägerin nicht nur für inländische Kapitalgesellschaften.
34Eine ausländische grundstücksverwaltende Kapitalgesellschaft sei in Deutschland gewerbesteuerpflichtig, wenn sie im Inland eine Betriebsstätte unterhalte, ihrer Rechtsform nach einem der in § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG bezeichneten inländischen Unternehmen entspreche und im Inland rechtsfähig sei. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Nach dem insoweit vorzunehmenden Typenvergleich und dem im BMF-Schreiben vom 24.12.1999 (BStBl. I 1999, 1076) veröffentlichten Katalog ausländischer Rechtsformen entspreche die Rechtsform der Klägerin der einer deutschen AG. Ihren Gewerbebetrieb betreibe die Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG auch im Inland, da sie dort eine Betriebsstätte unterhalte. Nach dem insoweit maßgeblichen Begriff des § 12 AO gelte als Betriebsstätte u.a. eine sog. Geschäftsstelle (§ 12 Satz 2 Nr. 3 AO). Darunter falle auch ein Büro, in dem eine unternehmensbezogene Tätigkeit ausgeübt werde (vgl. BFH-Urteil vom 10.05.1989 – I R 50/85, BStBl II 1989, 755). Die Klägerin habe unter der Adresse Gstraße, D, ein Büro unterhalten, in dem ihr zu 99,99 % beteiligter Gesellschafter und Geschäftsführer, Herr F, die Aufgaben zur Verwaltung und Bewirtschaftung der Grundstücke und Immobilien erledigt habe. Auch eine im Rahmen der Bp. am 27.08.2018 durchgeführte Ortsbesichtigung habe dort stattgefunden.
35Entgegen der Ansicht der Klägerin gehe es in dem von ihm, dem Beklagten, angeführten BFH-Urteil vom 10.05.1989 (I R 50/85) nicht nur um spezifische lohnsteuerrechtliche Regelungen, sondern um die allgemeine Begriffsbestimmung einer Betriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 3 AO. Anders als in dem dem Urteil des FG Münster vom 12.04.2019 (13 K 3645/16) zugrundeliegenden Fall habe vorliegend zudem der Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin und nicht ein von ihm beauftragter, weisungsgebundener Dritter in dem in D gelegenen Büro sämtliche Aufgaben zur Verwaltung und Bewirtschaftung der Grundstücke und Immobilien erledigt. Hierbei habe es sich nicht nur um allgemeine Verwaltungstätigkeiten gehandelt. Vielmehr seien die im Geschäftsverkehr erforderlichen Entscheidungen der Klägerin durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer in dem Büro in D getroffen worden. Dieses habe somit ihrer unternehmerischen Tätigkeit gedient.
36Die Klägerin habe die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in ihren unter steuerlicher Beratung abgegebenen Gewerbesteuererklärungen für 2015 und die Folgejahre im Übrigen selbst ausdrücklich als Einkünfte aus einer inländischen Betriebsstätte deklariert und ursprünglich keine Einwendungen gegen die sachliche Gewerbesteuerpflicht der Vermietungstätigkeit erhoben. Insbesondere sei im Rahmen des Bp. das Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte unstreitig gewesen. Aus der Bilanz der Klägerin ergebe sich zudem, dass sie in 2015 einen Pkw angeschafft und Grundstücke erworben habe. Ihre Bankbestände hätten sich im Jahr 2015 um … € erhöht. Die Investition dieses Geldbetrags sei vollständig über das deutsche Büro der Klägerin abgewickelt worden. Dazu seien Investitionsentscheidungen erforderlich gewesen, die über allgemeine Verwaltungsentscheidungen hinausgingen.
37Die Rechtsfähigkeit der Klägerin im Inland richte sich, da sich sowohl ihr Sitz auch der Ort ihrer Geschäftsleitung im Ausland befänden, nach der Rechtsfähigkeit im Ausland. Wenn die Klägerin dort rechtsfähig sei, habe Deutschland dies anzuerkennen, so dass sie auch im Inland rechtsfähig sei. Nach Aktenlage bestünden keine Anhaltspunkte dafür, an der Rechtsfähigkeit der Klägerin in der Türkei zu zweifeln. Im Ergebnis unterliege sie daher der inländischen Gewerbesteuerpflicht.
38Die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG könne die Klägerin nicht in Anspruch nehmen. Wie bereits ausgeführt, müssten ausländische Gesellschaften mit Grundbesitz im Inland hierfür auch im Ausland ausschließlich begünstigte Tätigkeiten ausüben. Der Begriff des „Unternehmens“ i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG sei insoweit gleichbedeutend mit dem Begriff des „Gewerbebetriebs“ i.S.v. § 2 GewStG. Nach § 2 Abs. 2 GewStG gelte als Gewerbebetrieb stets und in vollem Umfang die Tätigkeit der Kapitalgesellschaften. Für die Gewährung der erweiterten Kürzung sei somit die Tätigkeit des gesamten Unternehmens zu prüfen.
39Nach Auskunft der IZA sei Gegenstand der geschäftlichen Tätigkeit der Klägerin im Ausland der Wohn-, Anlagen-, Straßen- und Brückenbau. Bereits mit Schreiben vom 03.09.2019 sei die Klägerin auf die Kürzungsschädlichkeit ihrer im Ausland entfalteten Aktivitäten hingewiesen und ihr sei Gelegenheit zur Gegenäußerung gegeben worden, die sie aber trotz mehrfacher Erinnerung nicht wahrgenommen habe. Auch im Bp.-Bericht vom 02.01.2020 sei unter Tz. 1.3.3 auf die ermittelten geschäftlichen Tätigkeiten im Ausland hingewiesen worden. Insofern könne die Klägerin nicht behaupten, ihr sei nicht erläutert worden, inwieweit sie in der Türkei für Zwecke des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG schädliche Tätigkeiten ausübe.
40Entscheidungsgründe
41Die Klage hat nur in geringem Umfang Erfolg. Die Klägerin unterliegt mit den im Streitjahr durch ihre inländische Betriebsstätte erzielten Einkünften der inländischen Gewerbesteuerpflicht und kann lediglich die einfache Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG, nicht aber die erweiterte Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG in Anspruch nehmen.
42I. Der Senat durfte gemäß § 91 Abs. 2 FGO trotz Nichterscheinens der Klägerin oder eines ihrer Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 17.01.2024 zur Sache verhandeln und entscheiden.
43Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind am 12.12.2023 und 28.12.2023 unter Hinweis darauf, dass im Falle ihres Ausbleibens auch ohne sie verhandelt und entschieden werden könne, ordnungsgemäß zum Termin geladen worden. Die Ladung ist dem Prozessbevollmächtigten zu 1. gegen Empfangsbekenntnis am 21.12.2023 und dem Prozessbevollmächtigten zu 2. (mangels Rücksendung des Empfangsbekenntnisses) mittels Postzustellungsurkunde am 29.12.2023 zugestellt worden.
44Zwar hat der Prozessbevollmächtigte zu 2. mit Schriftsatz vom 08.01.2024 eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt und dies mit „urlaubs- und krankheitsbedingten Ausfällen“ in seiner Steuerkanzlei begründet. Diesen Antrag hat der Senatsvorsitzende jedoch mit Schreiben vom 09.01.2024 abgelehnt, da mit ihm kein erheblicher, eine Terminänderung rechtfertigender Grund i.S.d. § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung geltend gemacht wurde. Gründe für eine Terminsaufhebung oder -verlegung im vorstehenden Sinne sind von der Klägerin auch in der Folge weder vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich.
45II. Der Senat versteht das von der Klägerin verfolgte Begehren ausgehend von ihrem Vorbringen im Einspruchs- und Klageverfahren dahingehend, dass sie die Kürzung ihres gesamten im Streitjahr erzielten Gewinns aus Gewerbebetrieb erreichen will.
46Mit ihrem Einspruch hatte die Klägerin vorgetragen, ihr Gewinn aus Gewerbebetrieb entfalle in voller Höhe auf die Verwaltung eigenen Grundbesitzes. Im Klageverfahren hat sie ursprünglich schon ihre Gewerbesteuerpflicht dem Grunde nach in Abrede gestellt, diese aber nachfolgend eingeräumt und sich nur noch darauf berufen, dass sie im Inland unstreitig ausschließlich nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG begünstigte Tätigkeiten in Form der Verwaltung eigenen Grundbesitzes ausübe. Angesichts dessen geht der Senat davon aus, dass die Klägerin mit ihrer Klage eine Änderung des Gewerbesteuermessbescheids dahingehend anstrebt, dass der Gewerbesteuermessbetrag unter Anwendung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auf 0 € festgesetzt wird.
47III. Die so verstandene Klage ist lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Gewerbesteuermessbescheid 2015 vom 12.03.2020 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 12.03.2020 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO), soweit der Beklagte es versäumt hat, den Gewerbesteuermessbetrag unter Anwendung der einfachen Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG festzusetzen.
48Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig. Insbesondere hat der Beklagte dem Grunde nach zutreffend die inländische Gewerbesteuerpflicht der Klägerin mit ihren im Rahmen einer inländischen Betriebsstätte erzielten Einkünften angenommen (dazu nachfolgend unter 1.) und im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags nach § 7 Satz 1 GewStG zu Recht die von der Klägerin beantragte erweiterte Kürzung i.S.v. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht zur Anwendung gebracht (dazu im Folgenden unter 2.).
491. a) Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG gilt als Gewerbebetrieb stets und in vollem Umfang die Tätigkeit u.a. der Kapitalgesellschaften (insbesondere Europäische Gesellschaften, Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung).
50„Im Inland betrieben“ wird ein Gewerbebetrieb u.a., soweit für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Maßgebend hierfür ist der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO, da das GewStG keine eigenständige Definition der Betriebsstätte enthält (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20.12.2017 – I R 98/15, BFH/NV 2018, 497; vom 16.12.2009 – I R 56/08, BStBl II 2010, 492 m.w.N.). Gemäß § 12 Satz 1 AO ist eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient. Nach § 12 Satz 2 Nr. 3 AO sind als Betriebsstätten insbesondere sog. Geschäftsstellen anzusehen.
51Der aufgrund des Negativkatalogs nach dem Vorbild von Art. 5 Abs. 4 des OECD-Musterabkommens regelmäßig engere Betriebsstättenbegriff der auf dem Gebiet der Gewerbesteuer abgeschlossenen DBA ist demgegenüber grundsätzlich nur im Rahmen der DBA anwendbar (vgl. BFH-Urteil vom 20.07.2016 – I R 50/15, BStBl II 2017, 230 m.w.N.). Da die DBA lediglich festlegen, in welchem Umfang eine nach innerstaatlichem Recht bestehende Steuerpflicht entfallen soll, kommt dem abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff nur Bedeutung für die Frage zu, ob Deutschland auf sein nach innerstaatlichem Recht – wegen Vorliegens einer Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO als Anknüpfungspunkt für die inländische Gewerbesteuerpflicht – bestehendes Besteuerungsrecht verzichtet. Betreibt ein im Ausland ansässiges Unternehmen eine inländische Betriebsstätte, ist es mit den durch diese Betriebsstätte erzielten Einkünften daher im Inland nur dann gewerbesteuerpflichtig, wenn die Betriebsstätte sowohl die Voraussetzungen des § 12 AO als auch die der Betriebsstättendefinition des jeweiligen DBA erfüllt (vgl. Keß in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Rn. 2511).
52b) Bei Zugrundelegung dieser gesetzlichen Maßstäbe unterlag die Klägerin im Streitjahr der inländischen Gewerbesteuerpflicht, da sie einen Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG unterhielt (hierzu sogleich unter aa)) und diesen durch eine inländische Betriebsstätte (dazu unter bb)) betrieb.
53aa) Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG gilt die Tätigkeit der Klägerin stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb, da sie eine nach türkischem Recht gegründete Kapitalgesellschaft ist, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sich im maßgeblichen Zeitraum in der Türkei befand und die dort – sowie daran anknüpfend auch im Inland – rechtsfähig ist.
54(1) § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG findet – wie sich seit dem Erhebungszeitraum (EZ) 2006 auch aus der klarstellenden gesetzlichen Formulierung „insbesondere“ ergibt – auch auf nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaftsformen Anwendung, wenn sie ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur nach einer inländischen Kapitalgesellschaft entsprechen (sog. Typenvergleich) und im Inland rechtsfähig sind (vgl. BFH-Urteile vom 28.07.1982 – I R 196/79, BStBl II 1983, 77 und vom 06.11.1980 – IV R 182/77, BStBl II 1981, 220 zu § 2 GewStG a.F.; BFH-Urteil vom 28.06.2022 – I R 43/18, BFH/NV 2022, 1383).
55Bei Kapitalgesellschaften, die sowohl ihren Sitz (§ 11 AO) als auch ihre Geschäftsleitung (§ 10 AO) im Ausland haben, bestimmt sich die Rechtsfähigkeit im Inland ausschließlich nach dem Recht des jeweiligen ausländischen Staates. Ist die Gesellschaft nach den Maßstäben des ausländischen Rechts als rechtsfähig anzusehen, folgt hieraus auch ihre Rechtsfähigkeit im Inland (vgl. auch Keß in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Rn. 3059 m.w.N.; FG Münster, Urteil vom 12.04.2019 – 13 K 3645/16 G, EFG 2019, 1317 zum Fall einer AG schweizerischen Rechts; Abschn. 2.1 (4) der Gewerbesteuer-Richtlinien).
56(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG auf die Klägerin anwendbar. Die Klägerin hat die Rechtsform einer türkischen „Anonim Sirket“. Diese entspricht ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur nach dem Typus einer deutschen AG, also einer Kapitalgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG (vgl. Tabelle 1 zu den sog. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen, BMF-Schreiben vom 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076, vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 20.08.2008 – 17 U 86/08, juris).
57Darüber hinaus ist die Klägerin im Inland auch rechtsfähig. Nach den unwidersprochenen Feststellungen der Bp. befanden sich im Streitjahr sowohl ihr Sitz (§ 11 AO) als auch der Ort ihrer Geschäftsleitung (§ 10 AO) in der Türkei. Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Klägerin im Inland bestimmt sich somit allein nach ihrer Rechtsfähigkeit gemäß türkischem Recht. Auf eine Eintragung ins deutsche Handelsregister kommt es – unabhängig davon, dass die Klägerin nach dem Recht eines Drittstaats gegründet wurde – ebenso wenig an wie auf einen etwaigen Verstoß gegen ein DBA-Diskriminierungsverbot. Da die Klägerin – soweit ersichtlich – nach den türkischen Gründungsvorschriften für eine „Anonim Sirket“ wirksam gegründet und in das türkische Handelsregister eingetragen worden ist (Eintragung im Handelsregister A unter der Nr. ...), ist sie nach türkischem Recht und damit auch im Inland rechtsfähig.
58Als im Inland rechtsfähige ausländische Kapitalgesellschaft gilt die Tätigkeit der Klägerin kraft ihrer Rechtsform stets und vollumfänglich als einheitlicher Gewerbebetrieb, ohne dass es insoweit noch auf die Merkmale gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG i.V.m. § 15 Abs. 2 EStG ankäme (vgl. Keß in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Rn. 3010 f. m.w.N.). Auch aus der von ihr zitierten Verfügung der OFD Münster vom 24.07.2008 zur steuerlichen Behandlung von nach ausländischem Recht gegründeten grundstücksverwaltenden Körperschaften u.a. (S 1300-169-St 45-32, juris) folgt insoweit nichts Gegenteiliges.
59Zum einen war diese Verfügung von der Finanzverwaltung – worauf der Beklagte zutreffend hinweist – nur bis zum 20.07.2011 anzuwenden und ist seither außer Kraft. Die aktuelle Verwaltungsauffassung zur steuerlichen Behandlung von nach ausländischem Recht gegründeten grundstücksverwaltenden Körperschaften ergibt sich aus der Verfügung der OFD Nordrhein-Westfalen vom 05.09.2017 (S 1300-2010/0007-St 122, juris). Zum anderen wird dort unter I.5. zur Gewerbesteuer inhaltlich lediglich ausgeführt, dass ausländische grundstücksverwaltende Kapitalgesellschaften, die über keine inländische Betriebsstätte verfügen, nicht allein kraft ihrer Rechtsform im Inland gewerbesteuerpflichtig sind. Dies folgt aber bereits aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 GewStG, wonach ein stehender Gewerbebetrieb nur insoweit der Gewerbesteuer unterliegt, als er im Inland betrieben, d.h. für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Die bloße Gewerblichkeitsfiktion des § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG ohne Vorliegen einer Betriebsstätte im Inland reicht zur Begründung der inländischen Gewerbesteuerpflicht nicht aus. Hierüber dürfte zwischen den Beteiligten auch Einigkeit bestehen. Da die Klägerin im Verlauf des Verfahrens letztlich selbst eingeräumt hat, dass § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG auf sie anwendbar ist, sieht der Senat von weiteren Ausführungen hierzu ab.
60bb) Die Klägerin war im Streitjahr auch i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 GewStG im Inland durch eine dort belegene Betriebsstätte tätig.
61(1) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt die Annahme einer Betriebsstätte gemäß § 12 Satz 1 AO eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl II 2022, 844; vom 05.11.2014 – IV R 30/11, BStBl II 2015, 601 m.w.N.).
62Für die Annahme eines unmittelbaren „Dienens“ im vorstehenden Sinne ist das bloße Eigentum oder der Besitz eines Grundstücks nicht ausreichend. Gebäude, die lediglich an einen Dritten überlassen werden (z.B. im Wege der Vermietung oder Verpachtung), begründen deshalb regelmäßig keine Betriebsstätte des Überlassenden (vgl. BFH-Urteile vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl II 2022, 844; vom 17.11.2020 – I R 72/16, BStBl II 2021, 484; vom 18.09.2019 – III R 3/19, BFH/NV 2020, 708; BFH-Beschluss vom 18.02.2021 – III R 8/19, BStBl II 2021, 627; FG Münster, Urteil vom 12.04.2019 – 13 K 3645/16 G, EFG 2019, 1317). Dies gilt selbst dann, wenn der Zweck des Geschäfts gerade in der Vermietung oder Verpachtung besteht (vgl. BFH-Urteil vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl II 2022, 844).
63Auch die Ausübung allgemeiner, üblicherweise mit der Vereinnahmung des Miet- oder Pachtzinses und der Erhaltung des Miet-/Pachtobjekts verbundenen Verwaltungsarbeiten genügt nicht zur Begründung einer Betriebsstätte des Vermieters oder Verpächters am Ort des vermieteten bzw. verpachteten Grundstücks, selbst wenn er Rechte zum Betreten oder zur Kontrolle des Betriebsablaufs hat oder vorübergehend eigene Arbeitskräfte auf dem Grundstück einsetzt (vgl. BFH-Urteile vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl II 2022, 844; vom 04.07.2012 – II R 38/10, BStBl II 2012, 782). Hinzukommen muss vielmehr eine besondere Tätigkeit, z.B. die Pflege und Unterhaltung des Objekts durch eigenes oder beauftragtes Personal, das auf dem verpachteten Grundstück beschäftigt wird. Zudem muss die Tätigkeit eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen und über punktuelle und einzelfallbezogene Maßnahmen hinausgehen (vgl. BFH-Urteile vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl II 2022, 844; vom 13.06.2006 – I R 84/05, BStBl II 2007, 94).
64Erforderlich, aber auch ausreichend für die Begründung einer Betriebsstätte ist es, dass in dem vermieteten Objekt oder einem im Inland unterhaltenen Büro eine eigene unternehmerische Tätigkeit mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird (vgl. BFH-Urteile vom 07.06.2023 – I R 47/20, BFH/NV 2023, 1923; vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl II 2022, 844; vom 18.09.2019 – III R 3/19, BFH/NV 2020, 70; vom 26.07.2017 – III R 4/16, BFH/NV 2018, 233; BFH-Beschluss vom 18.02.2021 – III R 8/19, BStBl II 2021, 627; FG Münster, Urteil vom 12.04.2019 – 13 K 3645/16 G, EFG 2019, 1317) und sich in der Bindung eine gewisse Verwurzelung des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt (vgl. BFH-Urteile vom 23.03.2022 – III R 35/20, BStBl II 2022, 844; vom 18.02.2021 – III R 8/19, BStBl II 2021, 627; vom 18.09.2019 – III R 3/19, BFH/NV 2020, 70; vom 04.07.2012 – II R 38/10, BStBl II 2012, 782; vom 04.06.2008 – I R 30/07, BStBl II 2008, 922; BFH-Beschluss vom 18.02.2021 – III R 8/19, BStBl II 2021, 627).
65Hinsichtlich der Qualifikation als „unternehmerische“ Tätigkeit werden von § 12 AO auch Betriebsstätten erfasst, die einem Betrieb zuzurechnen sind, dessen Tätigkeit kraft Gesetzesfiktion ertragsteuerrechtlich als Gewerbebetrieb gilt (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.2017 – I R 58/15, BFH/NV 2018, 684; Keß in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Rn. 2551).
66(2) Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen, denen sich der erkennende Senat anschließt, unterhielt die Klägerin im Streitjahr unter der Adresse Gstraße, D, eine Betriebsstätte.
67Nach den Feststellungen der für den Zeitraum Januar bis Juni 2015 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung standen der Klägerin im 1. Obergeschoss des unter der vorgenannten Adresse befindlichen, in ihrem Alleineigentum stehenden Wohn- und Geschäftshauses im Streitjahr dauerhaft Büroräume zur Verfügung. Diese nutzte sie nach den im Zuge der Umsatzsteuer-Sonderprüfung gewonnenen Erkenntnissen für eigene Zwecke, d.h. zur Ausübung einer eigenen Tätigkeit im Inland.
68Der Senat kann insoweit offenlassen, ob im Rahmen dieser Tätigkeit lediglich allgemeine Verwaltungsarbeiten im Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung inländischen Grundbesitzes oder aber nachhaltige besondere Tätigkeiten zur Pflege und Unterhaltung des Objekts durch eigenes Personal verrichtet wurden. Jedenfalls handelte es sich bei den in den Büroräumen in der Gstraße durch das einzelvertretungsberechtigte Vorstandsmitglied der Klägerin, Herrn F, ausgeübten Tätigkeiten um kraft ihrer Rechtsform gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG als gewerblich zu qualifizierende Tätigkeiten. Somit stellten die von der Klägerin genutzten Büroräume in der Gstraße eine feste, dauerhafte Geschäftseinrichtung dar, die der Tätigkeit ihres gewerblichen Unternehmens dienten und über die sie eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht besaß.
69Ausweislich des Vorstandsbeschlusses vom 01.12.2014 sollte das Objekt Gstraße, D, der Klägerin zudem zum Betrieb einer von Herrn F und seiner Ehefrau geführten Niederlassung in Deutschland dienen, deren Zweck darin bestand, in Deutschland und anderen europäischen Staaten „Tätigkeiten im Bereich Projektforschung, Entwicklung und Investment“ auszuüben. Derartige Tätigkeiten gehen über allgemeine Verwaltungsarbeiten im Zusammenhang mit der Überlassung von Immobilien hinaus. An die Klägerin wurden unter der Adresse Gstraße, D, ferner diverse, in den Handakten der Bp. befindliche Rechnungen aus den Jahren 2015 und 2016 gerichtet. Ihr dortiges Büro diente ihr im Geschäftsverkehr folglich als Kontaktbüro, was bereits für eine Einstufung als Betriebsstätte in Form einer Geschäftsstelle i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 3 AO ausreicht (vgl. BFH-Beschluss vom 17.12.1998 – I B 101/98, BFH/NV 1999, 753; Gersch in: Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 12 Rn. 12).
70Schließlich hat die Klägerin durch die Abgabe einer Gewerbesteuererklärung für 2015 selbst zu erkennen gegeben, dass sie von ihrer inländischen Gewerbesteuerpflicht ausgegangen ist, was das Bestehen einer im Inland belegenen Betriebsstätte voraussetzt. Das Vorliegen einer Betriebsstätte wurde von ihr im Verlauf des Klageverfahrens auch unstreitig gestellt, weshalb der Senat von weiteren Ausführungen absieht.
71(3) Ihre nach nationalem Recht begründete inländische Gewerbesteuerpflicht wird auch nicht durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen vom 19.09.2011 (DBA-Türkei, BStBl. I 2013, 373) ausgeschlossen.
72Zwar gilt das DBA-Türkei gemäß seines Art. 2 Abs. 3 Buchst. b iii) auch für die Gewerbesteuer. Zudem enthält Art. 5 Abs. 4 DBA-Türkei einen Ausnahmekatalog, der die Annahme einer Betriebsstätte für feste Geschäftseinrichtungen, die bestimmten Tätigkeiten oder Zwecken (z.B. Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren, Informationsbeschaffung, Vorbereitungs- und Hilfstätigkeiten) dienen, ausdrücklich ausschließt. Die von der Klägerin in den Büroräumen in der Gstraße, D, ausgeübten Tätigkeiten fallen jedoch unstreitig nicht darunter, so dass, wie auch nach innerstaatlichem Recht, eine Betriebsstätte (Art. 5 Abs. 2 DBA-Türkei) vorliegt.
732. Der danach im Inland gewerbesteuerpflichtigen Klägerin ist die erweiterte Kürzung i.S.v. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht zu gewähren.
74a) Gemäß §§ 6, 7 GewStG ist die Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer der Gewerbeertrag, d.h. der nach dem Einkommen- oder Körperschaftsteuergesetz ermittelte Gewinn, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG genannten Beträge.
75Nach § 9 Nr. 1 Satz 1, 1. Halbsatz GewStG in der für den EZ 2015 geltenden Fassung wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes gekürzt (sog. einfache Kürzung). Maßgebend ist der Einheitswert, der auf den letzten Feststellungszeitpunkt (Hauptfeststellungs-, Fortschreibungs- oder Nachfeststellungszeitpunkt) vor dem Ende des Erhebungszeitraums (§ 14 GewStG) lautet (§ 9 Nr. 1 Satz 1, 2. Halbsatz GewStG).
76An die Stelle der Kürzung nach Satz 1 tritt gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG auf Antrag bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen oder daneben Wohnungsbauten betreuen oder Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser oder Eigentumswohnungen errichten und veräußern, die Kürzung um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (sog. erweiterte Kürzung). Der Zweck der erweiterten Kürzung besteht darin, die Erträge aus der bloßen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes von der Gewerbesteuer zum Zwecke der Gleichbehandlung mit Steuerpflichtigen freizustellen, die nur private Vermögensverwaltung betreiben (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.09.2018 – GrS 2/16, BStBl II 2019, 262 m.w.N.).
77Danach setzt die erweiterte Kürzung im Grundsatz die ausschließliche Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes voraus (Ausschließlichkeitsgebot). Es ist höchstrichterlich geklärt, dass der Begriff der Ausschließlichkeit gleichermaßen qualitativ, quantitativ wie zeitlich zu verstehen ist (vgl. BFH-Urteil vom 15.06.2023 – IV R 6/20, BFH/NV 2023, 1190 m.w.N.). Die neben der Vermögensverwaltung des Grundbesitzes erlaubten (kürzungsunschädlichen), aber ihrerseits nicht begünstigten Tätigkeiten sind in § 9 Nr. 1 Satz 2 und 3 GewStG abschließend aufgezählt. Darüber hinaus liegen nach ständiger Rechtsprechung des BFH Nebentätigkeiten dann noch innerhalb des von dem Ausschließlichkeitsgebot gezogenen Rahmens und sind ausnahmsweise kürzungsunschädlich, wenn sie der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes im engeren Sinne dienen und als zwingend notwendiger Teil einer wirtschaftlich sinnvoll gestalteten eigenen Grundstücksverwaltung und -nutzung angesehen werden können (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 22.10.2020 – IV R 4/19, BStBl II 2022, 87 m.w.N.). Ist der Umfang einer derartigen Nebentätigkeit gering, kommt es nicht zur Versagung der erweiterten Kürzung wegen Verstoßes gegen das Ausschließlichkeitsgebot. Im Übrigen sind von dem Ausschließlichkeitserfordernis jedoch keine Ausnahmen wegen Geringfügigkeit, auch nicht solche aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes), geboten (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 26.02.2014 – I R 6/13, BFH/NV 2014, 1400 m.w.N.; vom 11.04.2019 – III R 36/15, BStBl II 2019, 705). Ein Verstoß gegen das Ausschließlichkeitsgebot führt zur vollständigen Versagung der erweiterten Kürzung.
78Da es sich bei der erweiterten Kürzung um einen Abzugsposten im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags (vgl. BFH-Urteil vom 22.06.2016 – X R 54/14, BStBl II 2017, 529), also um einen steuermindernden Umstand handelt, trägt nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.06.2016 – II R 41/14, BStBl II 2016, 865) der Steuerpflichtige die Feststellungslast (objektive Beweislast) für die Erfüllung ihrer Voraussetzungen.
79b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann die Klägerin die von ihr begehrte erweiterte Kürzung im Streitjahr nicht in Anspruch nehmen, da sie durch ihr Unternehmen nicht ausschließlich begünstigte oder daneben erlaubte Tätigkeiten ausgeübt hat.
80aa) Zwar ist das Halten der Beteiligung an der C GmbH sowie der aus dem Jahresabschluss der Klägerin hervorgehenden Guthaben bei Kreditinstituten sowie einer Darlehensforderung kürzungsunschädlich.
81Nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG fallen auch Unternehmen, die neben der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen, in den Anwendungsbereich der erweiterten Kürzung. Für die Bestimmung des Begriffs des „Kapitalvermögens“ ist auf § 20 EStG zurückzugreifen (vgl. Roser in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 9 Nr. 1 Rn. 162; Gosch in: Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 9 Nr. 1 GewStG Rn. 89). Danach steht das Halten einer Beteiligung an einer GmbH der Gewährung der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht entgegen, da dies zu Einkünften i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führt (vgl. Güroff in: Glanegger/Güroff, GewStG, 11. Aufl. 2023, § 9 Nr. 1 Rn. 28a). Gleiches gilt für die Fruchtziehung aus eigenen Kapitalanlagen wie Bankguthaben oder Wertpapieren sowie Darlehensforderungen (vgl. Jahndorf in: Jahndorf/Oellerich/Weiss, BeckOK GewStG, 8. Edition (Stand: 01.01.2024), § 9 Rn. 497). Die Erzielung von Einkünften aus der Beteiligung an der C GmbH sowie aus Guthaben bei Kreditinstituten und einer Darlehensforderung stellt folglich eine zwar selbst nicht von § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG begünstigte, aber erlaubte Tätigkeit der Klägerin dar.
82bb) Die von ihr daneben im Inland entfalteten Tätigkeiten bestanden nach den Feststellungen der Bp. ausschließlich in der Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes. Auch der Senat kann nicht feststellen, dass die Klägerin im Streitjahr im Inland kürzungsschädliche Tätigkeiten ausgeübt hätte. Allerdings sind für die Gewährung der erweiterten Kürzung bei ausländischen Unternehmen mit inländischem Grundbesitz nach Überzeugung des Senats nicht nur die im Inland ausgeübten Tätigkeiten, sondern auch die Aktivitäten im Ausland in den Blick zu nehmen.
83Der Wortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG verlangt, dass das „Unternehmen“ die Voraussetzungen der erweiterten Kürzung erfüllen muss, um diese in Anspruch nehmen zu können. Eine Beschränkung des in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG verankerten Ausschließlichkeitsgebots auf den inländischen Teil des Unternehmens (inländische Betriebsstätte) einer ausländischen Kapitalgesellschaft ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass ausländische Gesellschaften auch im Ausland ausschließlich begünstigte oder daneben erlaubte Tätigkeiten ausüben müssen, um in den Genuss der erweiterten Kürzung zu kommen. Für örtliche Differenzierungen besteht insoweit kein Raum.
84In dieser auch innerhalb der Literatur (vgl. Roser in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 9 Nr. 1 Rn. 122 m.w.N.) vertretenen Sichtweise sieht sich der Senat nicht nur durch den Gesetzeswortlaut des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG, sondern ebenso durch die aus der Rechtsprechung des BFH zu erkennende Tendenz einer engen Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen der erweiterten Kürzung bestätigt. Der BFH versteht das in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG niedergelegte Ausschließlichkeitsgebot in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hinsicht absolut. Er kennt hinsichtlich der für das Streitjahr geltenden Gesetzesfassung insbesondere keine Bagatellgrenze (anders die erstmals für den EZ 2021 anzuwendende Neuregelung des § 9 Nr. 1 Satz 3 GewStG i.d.F. des Fondsstandortgesetzes vom 03.06.2021, BGBl. I 2021, 1498). Zudem käme einer inländischen Kapitalgesellschaft, die im Inland ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet, im Ausland aber kürzungsschädlichen Tätigkeiten durch eine dort belegene Betriebsstätte nachgeht, nach dem Gesetzesverständnis des Senats die erweiterte Kürzung ebenfalls nicht zugute, obwohl ihre ausländischen Betriebsstätteneinkünfte gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG oder aufgrund abkommensrechtlicher Freistellung nicht der inländischen Gewerbesteuer unterlägen (zu letzterem vgl. Roser in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 9 Nr. 3 Rn. 2 f.). Nichts anderes kann für eine ausländische Kapitalgesellschaft gelten, die im Inland zwar durch eine dortige Betriebsstätte ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet, durch ihre im Ausland belegene Geschäftsleitungsbetriebsstätte aber sonstige, für die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung schädliche Tätigkeiten ausübt.
85Das seitens der Klägerin angeführte Argument, der in § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG verwendete Begriff des „Unternehmens“ sei aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer und der Beschränkung der sachlichen Steuerpflicht auf den inländischen Betriebsstättengewinn dahingehend auszulegen, dass nur die der inländischen Betriebsstätte zuzuordnenden Tätigkeiten dem Ausschließlichkeitsgebot genügen müssten, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Zu Recht wendet der Beklagte hiergegen ein, dass der Begriff des „Unternehmens“ i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG gleichbedeutend mit dem Begriff des „Gewerbebetriebs“ i.S.v. § 2 GewStG sei und nach § 2 Abs. 2 GewStG die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft in vollem Umfang als gewerblich gelte. Dies spricht dafür, auch für Zwecke des § 9 Abs. 1 Nr. 2 GewStG auf die gesamte Tätigkeit der Kapitalgesellschaft abzustellen, unabhängig davon, ob diese im In- oder Ausland ausgeübt wird. Zudem wird angenommen, dass die erweiterte Kürzung auch von einer inländischen Kapitalgesellschaft in Anspruch genommen werden kann, die ausschließlich ausländische Grundstücke verwaltet, ohne eine ausländische Betriebsstätte zu unterhalten, sofern die Erträge aus den Auslandsgrundstücken nicht aufgrund eines DBA ausschließlich im Belegenheitsstaat besteuert werden dürfen (vgl. Roser in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 9 Nr. 1 Rn. 116 m.w.N.). Dies stellt aus Sicht des Senats ein weiteres Argument für eine nicht allein auf das Inland beschränkte Auslegung der Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG dar.
86Im Übrigen definiert § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG den Gewerbebetrieb als gewerbliches Unternehmen im Sinne des EStG. Erst durch die Einschränkung in § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG („soweit er im Inland betrieben wird“) werden nicht im Inland betriebene (Teile von) Unternehmen aus dem Anwendungsbereich des GewStG ausgenommen. Dies zeigt, dass das Begriffsverständnis des GewStG grundsätzlich auf das Unternehmen als Ganzes und nicht nur auf den im Inland belegenen Teil abstellt.
87cc) Dass die danach relevanten Auslandstätigkeiten der Klägerin im Streitjahr ausschließlich in durch § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG begünstigten oder erlaubten Tätigkeiten bestanden, kann der Senat nicht feststellen.
88Aus ihren eigenen Angaben zu ihrem Unternehmensgegenstand im Rahmen der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung für 2015, den von der IZA zur Verfügung gestellten Informationen sowie ihrer türkischen Körperschaftsteuererklärung und Bilanz für 2015 ergeben sich im Gegenteil Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im Streitjahr im Ausland kürzungsschädlichen Tätigkeiten nachgegangen ist. In ihren Steuererklärungen für 2015 hat die Klägerin den Gegenstand ihres Unternehmens selbst mit „Baubranche“ bezeichnet. In der von der IZA als Anlage 3 zu ihrer Auskunft gegenüber dem Beklagten beigefügten Wirtschaftsauskunft wird der tatsächliche Gegenstand der Geschäftstätigkeit der Klägerin mit „Wohn-, Anlagen-, Straßen- und Brückenbau im In- und Ausland sowie Restaurantmanagement“ angegeben. Der von der IZA übersandte Auszug aus dem Handelsregister A weist als Betätigungsfeld der Klägerin zudem den Begriff „Baumaterialien“ und ihre internationale Wirtschaftszweignummer (Nace-Code) mit „46.73.90 (Rev. 2) – Großhandel mit anderen Baumaterialien, die nicht anderweitig klassifiziert sind (einschließlich Treppen, Geländer, Kunststofftanks, Keramikrohre usw.)“ aus. Dies korrespondiert mit den Angaben in ihrer türkischen Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung für 2015, in der „Rohmaterialien“ und „Handelswaren“ aktiviert sowie Verkaufserlöse und Kosten verkaufter Produkte und Handelswaren ausgewiesen sind.
89Diesen Indizien für im Ausland praktizierte kürzungsschädliche Tätigkeiten hat die Klägerin trotz eines im Erörterungstermin vom 00.00.2023 erteilten Hinweises auf die Darlegungs- und Beweislastverteilung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nichts entgegengesetzt. Dies wirkt sich zu ihrem Nachteil aus, da die Klägerin die Feststellungslast für die Erfüllung der Voraussetzungen der von ihr begehrten erweiterten Kürzung trägt und zudem nach § 90 Abs. 2 AO einer gesteigerten Mitwirkungspflicht für Auslandssachverhalte unterliegt.
90dd) Aus vorstehenden Gründen kann dahinstehen, in welchem Umfang der von der Klägerin im Streitjahr erzielte Gewerbeertrag betragsmäßig überhaupt auf die Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes entfällt und im Falle einer Tatbestandserfüllung des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG zu kürzen wäre. Der Senat muss daher nicht weiter prüfen, ob das vom Beklagten nicht bestrittene Vorbringen der Klägerin im Einspruchsverfahren, ihr Gewinn aus Gewerbebetrieb entfalle tatsächlich in voller Höhe auf die Verwaltung eigenen Grundbesitzes, zutreffend ist. In den Kürzungsbetrag einzubeziehen wären jedenfalls allein unmittelbar mit der Verwaltung und Nutzung des Grundbesitzes zusammenhängende Erträge. Aus der Nutzung von Kapitalvermögen erzielte Erträge wären dagegen nicht von der erweiterten Kürzung umfasst (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2000 – I R 69/99, BStBl II 2000, 355).
91c) Zu gewähren ist der Klägerin indes die sog. einfache Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG. Danach ist die Summe ihres inländischen Betriebsstättengewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des auf den letzten Feststellungszeitpunkt vor dem Ende des EZ 2015 festgestellten Einheitswerts des zu ihrem inländischen Betriebsvermögen gehörenden und nicht von der Grundsteuer befreiten Grundbesitzes zu kürzen (zur Beschränkung der einfachen Kürzung auf inländische Grundstücke vgl. Roser in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 9 Nr. 1 Rn. 52). Für die Frage, ob und inwieweit Grundbesitz in diesem Sinne zu ihrem Betriebsvermögen gehörte, ist der Stand zu Beginn des Kalenderjahres maßgeblich (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung).
92Zu Beginn des Jahres 2015 bestand der inländische Grundbesitz der Klägerin allein in dem Grundstück Gstraße, D. Für dieses wurde nach Angaben des Beklagten mit Bescheid vom 09.12.2015 ein Einheitswert auf den 01.01.025 i.H.v. … € festgestellt. Für Zwecke der Gewerbesteuer ist dieser Wert mit 140 %, also … € anzusetzen (vgl. § 121a des Bewertungsgesetzes). Ausweislich der vom Beklagten übersandten Prüfberechnung vom 14.12.2023 ergibt sich hiervon ausgehend für die einfache Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG ein Betrag i.H.v. … €. Legt man diesen der Ermittlung des Gewerbeertrags zugrunde, ist der Gewerbesteuermessbetrag – wie im Tenor ausgesprochen – auf … € festzusetzen.
93IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Trotz ihres teilweisen Obsiegens sind die Kosten des Verfahrens insgesamt der Klägerin aufzuerlegen, da sich unter Anwendung der einfachen Kürzung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG lediglich ein gegenüber der von der Klägerin angefochtenen Festsetzung um … € geminderter Gewerbesteuermessbetrag 2015 ergibt. Ihr diesbezügliches Obsiegen ist als geringfügig einzustufen.
94V. Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zu, ob im Ausland entfaltete Aktivitäten einer ausländischen Kapitalgesellschaft, die durch eine inländische Betriebsstätte ausschließlich eigenen inländischen Grundbesitz und daneben ggf. eigenes Kapitalvermögen verwaltet und nutzt, für die Inanspruchnahme der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG von Bedeutung sind.