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Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.02.2024 wird dahingehend abgeändert, dass die zu erstattenden Kosten auf ... € festgesetzt werden.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Erinnerungsgegnerin.
Gründe:
2I.
3Streitig ist der Ansatz einer Termins- und einer Erledigungsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren.
4Im Ausgangsverfahren 3 K 2483/22 war streitig, ob die Erinnerungsgegnerin verpflichtet war, wegen einer Behinderung des volljährigen Kindes der Erinnerungsführerin fortlaufend Kindergeld zu zahlen. Hierzu waren bereits im Verwaltungsverfahren ärztliche Atteste und Gutachten zur Ursächlichkeit der Behinderung des Sohnes im Hinblick auf die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vorgelegt worden. Im Laufe des Klageverfahrens – nachdem die Erinnerungsgegnerin zunächst die Klageabweisung beantragt hatte – legte die Erinnerungsführerin sodann weitere fachärztliche Stellungnahmen vom 20.03.2023, 28.03.2023 und 29.03.2023 vor. In der Folge erließ die Erinnerungsgegnerin einen Abhilfebescheid, worauf hin der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.
5Der Berichterstatter erlegte die Kosten der Erinnerungsgegnerin auf und wies im Kostenbeschluss ausdrücklich darauf hin, dass bereits die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen den Kindergeldanspruch begründet hätten.
6Am 02.10.2023 stellte die Erinnerungsführerin einen Kostenfestsetzungsantrag und setzte hierbei unter anderem eine 1,2 Terminsgebühr i.H.v. ... € und eine 1,0 Erledigungsgebühr i.H.v. ... € an.
7Im Rahmen einer Stellungnahme vertrat die Erinnerungsgegnerin die Auffassung, dass weder die Terminsgebühr noch die Erledigungsgebühr anzusetzen sei. Der Prozessbevollmächtigte habe nicht in einer besonderen Weise an der Erledigung des Rechtsstreits mitgewirkt, sodass die Erledigungsgebühr nicht zu berücksichtigen sei. Daher sei auch keine Terminsgebühr zu berücksichtigen.
8Die Erinnerungsführerin trug daraufhin vor, dass der Prozessbevollmächtigte im Laufe des Verfahrens aktuelle medizinische Stellungnahmen vorgelegt habe. Der Prozessbevollmächtigte habe die Beibringung dieser letztlich entscheidungserheblichen Dokumente veranlasst. Dies stelle eine besondere Mitwirkung dar, die den Ansatz einer Erledigungsgebühr rechtfertige. Nach Nr. 3104 VV RVG entstehe eine Terminsgebühr in der Folge auch, wenn eine Erledigungsgebühr entstanden sei.
9Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte daraufhin mit Beschluss vom 16.02.2024 die zu erstattenden Kosten auf ... € fest.
10Eine Erledigungsgebühr berücksichtigte sie nicht, da eine wesentliche Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten an der Erledigung des Rechtsstreits nicht nachgewiesen sei. Im Streitfall hätten die Schriftsätze und eingereichten Unterlagen zur vollständigen Abhilfe geführt. Die Vorlage dieser Unterlagen sei mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen für eine Terminsgebühr nicht vor.
11Hiergegen richtet sich die Erinnerung vom 28.02.2024.
12Die Erinnerungsführerin führt aus, dass es in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt sei, dass eine Erledigungsgebühr entstehe, wenn ein Bevollmächtigter zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue, bisher noch nicht bekannte Beweismittel vorlege. Solche entscheidungserheblichen Beweismittel seien in den im Laufe des Klageverfahrens vorgelegten, aktuellen ärztlichen Stellungnahmen zu sehen. Der Prozessbevollmächtigte habe mit seiner E‑Mail vom 24.03.2023 bei der Erinnerungsführerin ausdrücklich die Einholung ärztlicher Stellungnahmen angeregt und Hinweise zum notwendigen Inhalt für einen erfolgreichen Klageausgang erteilt. Dies stelle eine besondere Mitwirkung an der Erledigung des Rechtsstreits dar. Da damit die Voraussetzungen für den Ansatz einer Erledigungsgebühr gegeben seien, sei auch eine Terminsgebühr anzusetzen.
13Die Erinnerungsgegnerin vertritt weiterhin die Auffassung, dass keine besondere Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten an der Erledigung anzunehmen sei. Er habe die Klage lediglich begründet. Für den Ansatz einer Terminsgebühr sei ebenfalls kein Grund ersichtlich.
14II.
15Die Erinnerung ist begründet.
16Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss ist rechtswidrig und verletzt die Erinnerungsführerin in ihren Rechten.
17Die Erinnerungsführerin hat Anspruch auf Erstattung einer Erledigungsgebühr und dem folgend auch Anspruch auf Erstattung einer Terminsgebühr.
18Nr. 1003 i.V. Nr. 1002 VV RVG sieht die Entstehung einer Erledigungsgebühr vor, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch den Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt. Ebenso wie § 24 BRAGO erfordert Nr. 1002 VV RVG dabei eine anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung, die über die überzeugende Begründung sowie die allgemein auf Verfahrensförderung gerichtete Tätigkeit hinausgeht und auf eine Erledigung der Rechtssache ohne förmliche Entscheidung gerichtet ist (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Februar 2007, III B 140/06, BFH/NV 2007, 1109). Die Erledigungsgebühr ist keine reine Erfolgsgebühr für eine allgemein auf Verfahrensförderung gerichtete Tätigkeit, sondern eine besondere Tätigkeitsgebühr, die anlässlich einer nichtstreitigen Erledigung verdient werden kann. Im Gesetz kommt dies in den Worten „durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt“ zum Ausdruck. Die Erledigungsgebühr entsteht deshalb grundsätzlich weder, wenn sich die Sache bereits beispielsweise im Rahmen des Verwaltungsvorverfahrens erledigt noch dann, wenn lediglich die Äußerungen des Berichterstatters im Rahmen eines Erörterungstermins die Finanzbehörde zur Rücknahme oder Änderung des Bescheides veranlasst haben. Ebenso wenig entsteht eine Erledigungsgebühr, wenn die Finanzbehörde unter dem Eindruck der Klagebegründung bzw. eines ergänzenden Schriftsatzes oder aufgrund eines Hinweises auf die Rechtslage/Rechtsprechung den Bescheid aufhebt bzw. ändert und damit einen Kläger in einem gerichtlichen Verfahren klaglos stellt (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO, § 139 Rz. 86; Hollatz, Kosten im Finanzrechtsstreit, NWB Fach 2, S. 8677/8717). Es versteht sich von selbst, dass der Prozessbevollmächtigte in möglichst überzeugender Weise die rechtlichen Argumente vorträgt, die dem Begehren seines Mandanten zum Erfolg verhelfen können. Folgt ein Bevollmächtigter lediglich einem Erledigungsvorschlag eines Berichterstatters, ohne von sich aus aktiv auf eine Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung hinzuwirken, liegt keine besondere Mitwirkung zum Zwecke der Erledigung vor (vgl. FG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 5. April 2011, 13 KO 13326/10, EFG 2011, 1551). Das erforderliche Mitwirken kann in einem Klageverfahren beispielsweise in dem Unterbreiten eines Erledigungsvorschlags bestehen. Denkbar ist auch ein Einwirken auf eine vorgesetzte Behörde, welches die Aufhebung/Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts nach sich zieht. Auch die mit einer zusätzlichen Beratungsleistung verbundene Prüfung, ob das ursprüngliche Klagebegehren im Interesse der außergerichtlichen Beendigung des Rechtsstreits nicht unwesentlich eingeschränkt werden soll, kann eine über die allgemeine Prozessführung hinausgehende Tätigkeit sein, die den besonderen Erfolg der Erledigung der Sache ohne förmliche Entscheidung fördert und ermöglicht. Ein entsprechendes Einwirken auf den Steuerpflichtigen, der außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits zuzustimmen, ist eine besondere Leistung, die nicht mit der allgemeinen Verfahrensgebühr abgegolten ist (vgl. FG Köln, Beschluss vom 29. Mai 2018, 2 Ko 3253/17, Rn. 12, juris).
19In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine qualifizierte, eine Erledigungsgebühr begründende Tätigkeit z. B. vorliegt, wenn der Rechtsanwalt zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue, bisher noch nicht bekannte Beweismittel beibringt (z. B. neu erstattete Befundberichte). Anders verhält es sich bei der Vorlage schon präsenter Beweismittel, deren unaufgeforderte Vorlage bereits mit der Geschäftsgebühr bzw. der Auslagenpauschale abgegolten ist (vgl. BSG vom 2. Oktober 2008, B 9/9a SB 3/07 R, juris; BSG vom 5. Mai 2010, B 11 AL 14/09 R, juris; SG Dessau-Roßlau vom 30. April 2019, S 34 SF 76/16 E, juris, bestätigt durch LSG Sachsen-Anhalt vom 16. Februar 2021, L 4 AS 389/19 B, juris).
20In Anbetracht der besonderen Umstände des Einzelfalls folgt das Gericht diesen sozialgerichtlichen Wertungen auch im vorliegenden Fall. Bereits im Verwaltungsverfahren hatte die Erinnerungsführerin hinreichende, ihren Anspruch begründende medizinische Unterlagen vorgelegt. Das Gericht folgt insoweit der Einschätzung des Berichterstatters im Kostenbeschluss des Hauptsacheverfahrens. Nachdem die Erinnerungsgegnerin gleichwohl im Klageverfahren weiterhin zunächst die Klageabweisung begehrte, wandte sich der Prozessbevollmächtigte an die Erinnerungsführerin und erläuterte ihr, dass es für die Erfolgsaussicht der Klage sinnvoll sei, eine weitere ärztliche Stellungnahme einzuholen. Diese Stellungnahmen brachte er sodann in das Verfahren ein, worauf hin die Erinnerungsgegnerin dem Klagebegehren abhalf. Der Prozessbevollmächtigte hat also – unaufgefordert – dafür gesorgt, dass neue – für die Erinnerungsgegnerin entscheidungserhebliche – Beweismittel erstellt und in das Verfahren eingebracht wurden, die letztlich zur Erledigung des Rechtsstreits geführt haben. Diese besondere, auf die Erledigung des Rechtsstreits gerichtete Tätigkeit ist in Übereinstimmung mit der an vergleichbaren prozessualen Situationen ausgerichteten sozialgerichtlichen Rechtsprechung mit einer Erledigungsgebühr zu honorieren.
21Hieraus folgt, dass gemäß Nr. 3104 VV RVG Abs. 1 Nr. 1 HS. 2 Alt. 2 i. V. m. Nr. 1002 VV RVG eine Terminsgebühr entstanden ist. Mit dem Gesetz zur Änderung des Justizkosten- und des Rechtsanwaltsvergütungsrechts und zur Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 21.12.2020 (BGBl. 2020, 3229 ff.) ist der Anwendungsbereich der fiktiven Terminsgebühr durch den neu aufgenommenen Gebührentatbestand der Nr. 3104 VV RVG Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 Alt. 2 erheblich ausgeweitet worden (vgl. zu den Einzelheiten: FG Münster, Beschluss vom 30. März 2022, 15 Ko 158/22, juris). Die Vorschrift bestimmt, dass eine Terminsgebühr auch dann entsteht, wenn eine Erledigung der Rechtssache im Sinne von Nr. 1002 VV RVG eingetreten ist.
22Im Streitfall ist, wie dargestellt, eine Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV RVG i.V.m. Nr. 1002 VV RVG entstanden. Dementsprechend ist auch die begehrte Terminsgebühr entstanden.
23Daher ist der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss dahingehend zu ändern, dass die zu erstattenden Kosten auf ... € festzusetzen sind. Wegen der Berechnung wird auf den zutreffenden Kostenfestsetzungsantrag Bl. 119 GA Bezug genommen.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Gerichtsgebühren werden nicht erhoben.