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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
2Streitig ist, ob die Klage fristgerecht erhoben worden ist.
3Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er hatte ab August 2011 einen Wohnsitz im Inland in C. und seit August 2014 in D.. Er stellte am 04.09.2012 einen Antrag auf Kindergeld für seine Töchter E., geboren am ...1993, und F., geboren am ...2004. Die Beklagte lehnte den Kindergeldantrag mit Verfügung vom 30.04.2013 ab. Den hiergegen von dem Kläger am 13.05.2013 eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 05.11.2015 als unbegründet zurück. Auf der Einspruchsentscheidung ist vermerkt: „abgesandt am 06.11.2015“.
4Der Kläger hat am 10.12.2015 Klage erhoben.
5Im Laufe des Klageverfahrens stellte die Beklagte unstreitig, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld für die Tochter E. für den Zeitraum von August 2011 bis April 2013 und für die Tochter F. für den Zeitraum von August 2011 bis November 2015 vorliegen. Jedoch sei die Klage unzulässig, da sie nicht fristgemäß erhoben worden sei und Gründe für eine Wiedereinsetzung gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht bekannt seien.
6Der Kläger trägt vor: Die Einspruchsentscheidung vom 05.11.2015 sei ihm erst am 12.11.2015 zugegangen. Er habe bei seiner Prozessvertreterin, die mit dem Fall bereits am 05.11.2015 durch einen Termin vertraut gewesen sei, am 12.11.2015 angerufen und um einen weiteren Termin gebeten, weil er ein Schreiben der Beklagten am 12.11.2015 erhalten habe. Eine entsprechende Notiz befinde sich in den Akten seiner Prozessvertreterin:
7„… Aktenvermerk vom 12.11.2015, 11.45 Uhr
8(Der Kläger) … rief an und teilte mit, dass er ein Schreiben von der Familienkasse erhalten hatte. Nachdem er den ersten Satz am Telefon vorgelesen hatte, hat man ihm mitgeteilt, dass er unverzüglich einen Termin vereinbaren solle. Herr B. soll an den gleichen Tag das Schreiben vorbei bringen. gez. G.. …“
9Die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) greife nicht, wenn der Zugang tatsächlich erst später erfolge. Im Zweifel habe die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Die Zugangsfiktion reiche dafür nicht aus. Es sei nicht unüblich, dass die Postwege mittlerweile teilweise bis zu einer Woche dauern, vor allem, wenn in der Zwischenzeit ein Wochenende liege.
10Der Senat hat am 07.11.2016 mündlich verhandelt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung erläuterte die Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass sie das Telefongespräch, das dem Aktenvermerk vom 12.11.2015 zugrunde liege, nicht persönlich geführt habe, sondern dass dieses von einer ihrer Mitarbeiterinnen geführt worden sei. Der Aktenvermerk sei von ihr – so die Prozessbevollmächtigte weiter – aufgrund einer mündlichen Mitteilung ihrer Mitarbeiterin erstellt worden. Dass der Kläger gesagt habe, er habe die Einspruchsentscheidung von der Familienkasse am Tag des Anrufs erhalten, ergebe sich nicht aus dem Aktenvermerk. Das werde der Kläger ihrer Mitarbeiterin auch nicht gesagt haben. Dass der Zugang am Tag des Anrufs gewesen sei, habe der Kläger ihr in einem späteren Gesprächstermin gesagt und aufgrund dieser Aussage sei dann auch die Klagefrist von ihr berechnet worden. Die Beklagtenvertreterin reichte in der mündlichen Verhandlung eine E-Mail, die den Ablauf der Postversendung bei der Beklagten zum Gegenstand hat, zur Gerichtsakte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Sache wurde vertagt.
11Der Kläger trägt im Anschluss an den Termin ergänzend vor: Es werde bestritten, dass am 06.11.2015 bei der Beklagten ein Botengang stattgefunden habe, dass das Schreiben von der Poststelle des Beklagten am 06.11.2015 einem Zustelldienst übergeben worden sei und dass der Zustelldienst die Einspruchsentscheidung tatsächlich innerhalb von drei Tagen nach dem 06.11.2015 ihm zugestellt habe. Er könne sich leider nicht mehr daran erinnern, wann genau er die Einspruchsentscheidung vom 05.11.2015 erhalten habe. Die Post komme bei ihnen unterschiedlich an. Dies hänge davon ab, wer sie austrage, d.h. ob es die Deutsche Post oder ein anderes Unternehmen sei. Manchmal sei die Post früh morgens im Briefkasten, manchmal auch nachmittags. Wann welche Post in den Briefkasten eingeworfen werde, sei ihm nicht bekannt. Wie das genau am 12.11.2015 der Fall gewesen sei, daran könne er sich aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr erinnern. Er habe sich in dieser Zeit mitten in einem Umzug befunden, so dass er viele andere Angelegenheiten habe erledigen müssen. Er könne sich nur daran erinnern, immer sofort im Büro seiner Prozessbevollmächtigten angerufen zu haben, wenn er ein Schreiben erhalten habe, mehr aber nicht. Er weise auch darauf hin, dass er keinen Vorteil dadurch gehabt habe, seiner Prozessbevollmächtigten im späteren Gesprächstermin einen anderen Tag zu benennen. Es habe zum Zeitpunkt des Gesprächs mit seiner Prozessbevollmächtigten noch genügend Zeit bestanden, Klage zu erheben. Die Einspruchsentscheidung enthalte darüber hinaus auch keinen Absendevermerk der Poststelle des Beklagten, sondern lediglich den Vermerk der Bearbeiterin der Einspruchsentscheidung.
12Die Prozessbevollmächtigte weist ergänzend darauf hin, dass sie in einer anderen Sache ein Schreiben von der Beklagten erhalten habe, dessen Postlaufzeit bei zwei Wochen gelegen habe. Dies zeige, dass die Post der Beklagten nicht immer innerhalb von drei Tagen bei den Empfängern ankomme.
13Die Klägerin beantragt,
14den Ablehnungsbescheid vom 30.04.2013 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 05.11.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für die Tochter E. für den Zeitraum von August 2011 bis April 2013 und für die Tochter F. für den Zeitraum von August 2011 bis November 2015 zu bewilligen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie trägt zur Begründung ergänzend vor: Ausführungen, die Zweifel an der Vermutung der Bekanntgabe drei Tage nach der Aufgabe zur Post begründen, seien nicht substantiiert dargelegt oder glaubhaft gemacht worden. Nach ihrer Ansicht sei es unüblich, dass die Postwege bei einer Übersendung im Inland auch unter Berücksichtigung eines Wochenendes fast eine Woche dauern würden. Ausweislich des Absendevermerks auf dem Aktenentwurf der Einspruchsentscheidung sei diese am Freitag, dem 06.11.2015, abgesandt worden. Am 06.11.2015 sei auch ein Botengang tatsächlich durchgeführt worden. Laut Auskunft aus dem für die Organisation der Ausgangspost zuständigen Team sei hierfür noch ein Dienstplan vorhanden. Bei den Botengängen werde sämtliche Ausgangspost, die durch die Beschäftigten in den dafür vorgesehenen Ablagen hinterlegt werde, durch die Boten eingesammelt. Die versandfertige Ausgangspost werde sodann freitags zwischen 12.30 Uhr und 13.00 Uhr durch den Kurierdienst abgeholt. Es habe sich dabei um einen Subunternehmer der H.-Post, J., gehandelt.
18Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
19Die Beteiligten verzichteten gemäß § 90 Abs. 2 FGO auf eine (weitere) mündliche Verhandlung.
20Entscheidungsgründe
21Die Klage ist unzulässig.
22Der Kläger hat die Klage verfristet erhoben, denn die Klage ging erst am 10.12.2015 nach dem Ablauf der Klagefrist am 09.12.2015 (24.00 Uhr) beim hiesigen Gericht ein. Die Klagefrist begann am Dienstag, dem 10.11.2015 um 0.00 Uhr und endete am Mittwoch, dem 09.12.2015 um 24.00 Uhr (vgl. § 54 Abs. 2 FGO i.V. mit § 222 Abs. 1, 2 der Zivilprozessordnung -ZPO-, § 188 Abs. 2, 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs –BGB-).
23Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat. Sie beginnt mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
24Nach § 366 AO i.V.m. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt – wie die Einspruchsentscheidung –, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
25Für den Beginn der Frist von drei Tagen im Sinne des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO kommt es danach auf die Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post an. Ist die Absendung durch einen Absendevermerk der Poststelle der Finanzbehörde festgehalten, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für die Aufgabe des Verwaltungsakts an dem vermerkten Tag (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 28.09.2000 III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211). Jedoch ist ein Beweis der Aufgabe zur Post an einem bestimmten Tag, wofür die Beklagte die Feststellungslast trägt, nicht ausgeschlossen, wenn die Absendung nicht in einem Absendevermerk der Poststelle festgehalten ist (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 03.07.2009 IX B 18/09, juris). Bei dem Fehlen eines solchen Absendevermerks der Poststelle kann die Finanzbehörde darlegen, wie der Ablauf der Postversendung gestaltet war und welche Maßnahmen ergriffen worden waren, um die Gewähr für die Übereinstimmung von dem vermerkten Postaufgabetag und dem tatsächlichen Aufgabetag zu bieten. Das Finanzgericht muss nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 26.01.2010 X B 147/09, BFH/NV 2010, 1081; BFH-Beschluss vom 30.11.2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; BFH-Beschluss vom 23.08.2005 V B 115/04, BFH/NV 2006, 84).
26Hiervon ausgehend ist der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt, dass die Einspruchsentscheidung von der Beklagten am 06.11.2015 zur Post aufgegeben, d.h. dem privaten Zustelldienst, übergeben wurde. Die Beklagte hat die organisatorischen Vorkehrungen im Zusammenhang mit der Absendung von Verwaltungsakten umfassend erläutert. Die einzelnen Arbeitsschritte waren danach klar geregelt. Der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, an der Durchführung eines entsprechenden Botengangs am 06.11.2015 zu zweifeln. Die theoretische Möglichkeit eines Fehlers im Rahmen des Botengangs am 06.11.2015 ist insoweit ohne Bedeutung. Sofern – wie im Streitfall – keine Anzeichen für einen entsprechenden Fehler bestehen, ist nach Auffassung des Senats für die Überzeugungsbildung ausreichend, dass die ergriffenen Maßnahmen der Beklagten in ausreichendem Maße Gewähr für die Übereinstimmung des Absendevermerks auf der Einspruchsentscheidung und dem tatsächlichen Aufgabetag bieten (vgl. BFH-Beschluss vom 30.11.2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389). Dies ist vorliegend aus Sicht des Senats der Fall.
27Dem Kläger ist es im Übrigen auch nicht gelungen, die gesetzliche Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, des Zugangs der Einspruchsentscheidung drei Tage nach der Aufgabe zur Post am Montag, dem 09.11.2015, zu entkräften.
28Bestreitet der Steuerpflichtige – wie im Streitfall der Kläger – nicht den Zugang des Verwaltungsakts, sondern den Verwaltungsakt nicht innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, ist damit allein die Zugangsvermutung noch nicht widerlegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, setzt nicht jedes beliebige Bestreiten des Zugangszeitpunkts die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO außer Kraft. So genügt die alleinige Behauptung des Steuerpflichtigen, dass ihm der Verwaltungsakt verspätet zugegangen ist, nicht; ebenso wenig genügen hypothetische Hinweise auf theoretische Fehlermöglichkeiten bzw. mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Postbeförderung. Das gilt auch bei der Beförderung durch einen privaten Zustelldienst (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 18.04.2013 X B 47/12, BFH/NV 2013, 1128). Vielmehr muss der Empfänger substantiiert Tatsachen vortragen, die schlüssig auf den verspäteten Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 30.11.2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; BFH-Beschluss vom 16.05.2007 V B 169/06, BFH/NV 2007, 1454). Es obliegt dann dem Gericht, den Vortrag des Steuerpflichtigen und die festgestellten oder unstreitigen Umstände im Wege eine freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO abzuwägen. Hingegen kann auf die Beweislastregel des § 122 Abs. 2 2. Halbsatz AO erst dann zurückgegriffen werden, wenn trotz erfolgter Sachaufklärung noch Zweifel am gesetzlich vermuteten Zugang eines Bescheides verbleiben (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 30.11.2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389).
29Hiervon ausgehend fehlt es im Streitfall an einem substantiierten Tatsachenvortrag des Klägers zu einem verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung. Der (bloße) Vortrag des Klägers, dass er sich nur daran erinnern könne, immer sofort im Büro seiner Prozessbevollmächtigten angerufen zu haben, wenn er ein Schreiben der Beklagten erhalten habe, und der Umstand, dass er gegenüber der Prozessbevollmächtigten in einem späteren Gespräch nach dem 12.11.2015 erwähnt habe, dass der Zugang der Einspruchsentscheidung am Tag des Anrufs bei ihr am 12.11.2015 gewesen sei, genügen nach Ansicht des Senats nicht, um die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO zu widerlegen; ebensowenig der Umstand, dass er aus der Benennung eines falschen Zugangsdatums gegenüber der Prozessbevollmächtigten keinen Vorteil gehabt habe. Vielmehr hätte es dem Kläger im Hinblick auf den von ihm behaupteten atypischen Postlauf von sechs Tagen (Datum der Einspruchsentscheidung: 06.11.2015 – Zugang laut Kläger: 12.11.2015) oblegen, eine entsprechende Beweisvorsorge für den Nachweis des verspäteten Zugangs zu treffen. Dieser Obliegenheit ist der Kläger nicht nachgekommen. Er konnte insbesondere nicht den Briefumschlag, der die Einspruchsentscheidung enthielt, mit dem entsprechenden Poststempel vorlegen. Den von der Prozessbevollmächtigten vorgelegten Unterlagen anderer Mandanten, mit dem letztlich ein verzögerter Postlauf nachgewiesen werden sollte, kommt kein Beweiswert zu. Denn solche allgemeinen, nicht auf den vorliegenden Fall bezogenen Hinweise begründen keine Zweifel an dem gesetzlich – gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO – vermuteten Zeitpunkt des Zugangs der Einspruchsentscheidung beim Kläger. Dies gilt auch für den unsubstantiierten Vortrag, dass Postlaufzeiten von mittlerweile bis zu einer Woche nicht unüblich seien, wenn in der Zwischenzeit ein Wochenende liege. An dieser rechtlichen Beurteilung ändert sich im Übrigen auch nichts dadurch, dass der Beklagte sich für die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung eines privaten Zustelldienstes bedient hat. Denn von der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wird – wie bereits ausgeführt – auch die Übermittlung eines Verwaltungsakts durch einen privaten Postdienstleister erfasst.
30Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) hat der Kläger nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.