Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
Die Einkommensteuerfestsetzung 2012, zuletzt vom 1. Oktober 2015, und die Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2015 werden dahingehend abgeändert, dass weitere außergewöhnliche Belastungen i.H.v. 863 € berücksichtigt werden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 2012 über die Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen i.S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
3Die Kläger werden zur Einkommensteuer des Streitjahres zusammenveranlagt. Sie nahmen ab dem xx. März 2005 die Geschwister B U und K U (beide geboren xx.xx.xxxx) - in Einverständnis mit den leiblichen Eltern - als Pflegekinder in Vollzeitpflege auf (Bescheinigung des Pflegekinderdienstes T vom xx. März 2005). Hierfür erhielten die Kläger erhöhtes Erziehungsgeld sowie Unterhaltsgeld und Unterstützungsleistungen durch den Pflegekinderdienst. Die Kinder waren über die Krankenversicherung des Klägers versichert. Das Sorgerecht war den Klägern nicht übertragen.
4Unter dem 16. Februar 2010 diagnostizierte Herr Dr. I Q (Kinderklinik T , Sozialpädiatrisches Zentrum) bei K U eine Schwäche der Fein- und Graphomotorik, Aufmerksamkeitsstörung, Perceptionsschwäche und Bindungsstörung. Auf das Schreiben wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Im Schreiben vom 29. Januar 2011 von Frau Dr. C C , auf das ebenfalls wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, beschreibt diese die Frühtraumatisierung des Kindes K U auf der Grundlage einer Erstvorstellung am 25. Januar 2011.
5Auf die unter dem 24. November 2008, dem 13. Mai 2009 und dem 27. Januar 2010 vom Schularzt des Kreises T (Gesundheitsamt, jugendärztlicher Dienst) erstellten schulärztlichen Gutachten wird verwiesen.
6Die Klägerin nahm wegen der Erkrankungen von K U u.a. verschiedene Leistungen von Frau Dr. C C im Rahmen der „…beratung“ in D in Anspruch. Frau Dr. C C ist Ärztin, die nicht über eine Kassenzulassung verfügt. Hinsichtlich der Einzelheiten des von ihr entwickelten Beratungs- und Begleitungskonzepts für frühtraumatisierte Kinder wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen. Die im Streit stehenden Leistungen der Frau Dr. C C betrafen den auf längere Zeit angelegten „Seminarblock …“, der ohne die Kinder durchgeführt wird und in dem Frau Dr. C C Vorträge hält und sowohl Gruppen- wie auch Einzelgespräche und -beratungen der teilnehmenden Eltern vornimmt. Der Teilnehmerkreis war beschränkt auf Teilnehmer der vorherigen Veranstaltungen des „Seminarblocks …“. Gegenstand des Seminars in 2012 waren die Themen: „…“. Ausweislich eines in den Akten des Beklagten befindlichen Ausdrucks der Internetseite der FrauDr. C C (14. September 2015) werden die Seminare zur Gesamtthematik Adoptiv- und Pflegekind angeboten. Alle Inhalte seien praxisorientiert aufgebaut und mit zahlreichen Beispielen versehen. Besonders wichtig sei dabei die sofortige Umsetzbarkeit für Eltern und Betroffene. Für die Seminarteilnahme fielen Gebühren i.H.v. 620 € (Rechnung vom 8. Februar 2012) sowie Fahrtkosten i.H.v. 243 € an.
7Eine Kostenerstattung auf sozialrechtlicher Grundlage erfolgte trotz Betreibens derKläger nicht und auch die Versicherung des Klägers (…) erstattete die Aufwendungen für den Seminarblock … des Jahres 2012 bei Frau Dr. C C nicht (Schreiben vom 16. August 2013).
8Der Beklagte, der beide Kinder wie im Vorjahr als Pflegekinder anerkannte, ließ die Aufwendungen in der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr nicht zum Abzug als außergewöhnliche Belastungen zu, wogegen sich die Kläger mit dem Einspruch wandten. Sie machten geltend, dass es sich bei den Seminaren von Frau Dr. C C zur Behandlung und Förderung von hochproblematischen Pflege- und Adoptivkindern um eine psychologische Beratung gehandelt habe. Zur Begründung der medizinischen Notwendigkeit verwiesen sie auf die ärztliche „Bescheinigung für das Finanzamt“ des Amts- und Sozialärztlichen Dienstes des Kreises T vom 11. Februar 2015, der u.a. eine langfristige psychologische Pflegefamilienberatung (einschließlich Gruppenberatungen und Seminare für Pflegeeltern) für medizinisch notwendig erachtet.
9Nach Erlass eines Änderungsbescheides zugunsten der Kläger führte der Beklagte mit der Einspruchsentscheidung aus, dass wegen der streitigen Aufwendungen allein eine Berücksichtigung als Krankheitskosten in Betracht komme. Im Streitfall seien die entstandenen Aufwendungen allerdings nicht unmittelbar zur Heilung einer Krankheit der Kinder entstanden. Im Übrigen fehle es am formellen Nachweis der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen. Im Streitfall sei § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) einschlägig, da es sich um eine psychotherapeutische Behandlung gehandelt habe.
10Mit der Klage machen die Kläger u.a. geltend, der Beklagte erweitere die Nachweisanforderungen in unzulässiger Weise, indem er „psychologische Pflegefamilienberatung“ mit „psychotherapeutischer Behandlung“ gleichsetze.
11Bei frühtraumatisierten Kindern sei eine einmalige oder kurzzeitige ärztliche Behandlung oder Einflussnahme nicht (heilungs-)erfolgversprechend, vielmehr benötige der Heilungsprozess Jahre. Auch eine kurze ärztliche Anleitung der Eltern reiche hierzu nach den Erkenntnissen und Erfahrungen von Frau Dr. C C nicht aus. Um das für den sehr langfristigen Heilungsprozess der Kinder erforderliche Wissen, Verständnis und Verhalten effizienter als in Einzelterminen aufbauen und Erfahrungsaustausch Betroffener dazu ermöglichen zu können, biete Frau Dr. C C neben Diagnose- und Einzelberatungsterminen u.a. die Gruppenanleitungen und -beratungen unter der Bezeichnung „Seminar“ an. Hierdurch soll eine dauerhafte Umsetzung der ärztlichen Therapie-Ratschläge ermöglicht werden.
12Die Kläger haben im Klageverfahren ferner weitere ärztliche Bescheinigungen vorgelegt (Schreiben vom 10. Februar 2012 von Herrn Dr. X R (Kinderklinik T , Behandlungszentrum für Säuglinge, Kinder und Jugendliche; Schreiben vom9. November 2016 von Herrn Dr. I Q , Kinderklinik T), auf die Bezug genommen wird.
13Die Kläger beantragen,
14die Einkommensteuerfestsetzung 2012, zuletzt vom 1. Oktober 2015, sowie die Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2015 dahingehend abzuändern, dass bei den außergewöhnlichen Belastungen weitere Aufwendungen i.H.v. 863 € berücksichtigt werden.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er verweist auf die Einspruchsentscheidung. Soweit im Klageverfahren weitere Unterlagen vorgelegt worden seien, seien diese nicht geeignet, die medizinische Indikation nachzuweisen. Die Aussagen seien sehr allgemein gehalten, eine ärztliche Verordnung i.S. der Heilmittelverordnung liege darin nicht. Es sei letztlich nicht möglich zu beurteilen, ob die von Frau Dr. C C durchgeführten Seminare Teil einer klassischen Heilbehandlung oder Teil einer psychotherapeutischen Behandlung der Kinder (unter Einbeziehung der Klägerin) gewesen seien.
18Der Berichterstatter hat die Sache am 16. August 2016 mit den Beteiligten erörtert. Auf das Protokoll des Termins wird Bezug genommen.
19Der Senat hat in der Sache am 27. Januar 2017 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe
21Die Klage ist begründet.
22Die angefochtene Einkommensteuerfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit die geltend gemachten Aufwendungen für die Seminarteilnahme bei Frau Dr. C C nicht als außergewöhnliche Belastungen erfasst werden.
231. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer gemäß § 33 Abs. 1 EStG dadurchermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (Abs. 3) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird.
24Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen nach Abs. 2 zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
252. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Insbesondere sind die der Höhe nach angemessenen Aufwendungen den Klägern aufgrund der Krankheit des Pflegekindes K U zwangsläufig entstanden.
26a) Das Pflegekind K U ist (psychisch) erkrankt („Frühtraumatisierung“). Da dieser Umstand zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, nimmt der Senat auf die vorliegenden ärztlichen Einschätzungen Bezug und sieht von weiteren Ausführungen ab.
27b) Die streitigen Aufwendungen waren unter den konkreten Umständen des Streitfalls medizinisch indiziert.
28aa) Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen - ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung - aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig (vgl. nur Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. November 2015 VI R 45/14, BFH/NV 2016, 393). Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen (vgl. nur BFH-Urteil vom 19. November 2015 VI R 45/14, BFH/NV 2016, 393). In Abgrenzung von lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge-oder Folgekosten, die nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind (vgl. BFH-Urteile vom 5. Oktober 2011 VI R 88/10, BFH/NV 2012, 35, vom 19. November 2015 VI R 45/14), ist maßgebend, dass eine Krankheit vorliegt und eine hierdurchbedingte medizinische Indikation der den Aufwendungen zu Grunde liegenden Behandlungen besteht. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist dabei nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung, sondern jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt (angezeigt) ist (BFH-Urteile vom 12. Mai 2011 VI R 37/10, BFHE 234, 25, BStBl II 2013, 783; vom 5. Oktober 2011 VI R 20/11, BFH/NV 2012, 38). Der medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen, es sei denn, es liegt - was im Streitfall nicht der Fall ist - ein für jedermann erkennbares offensichtliches Missverhältnis zwischen dem erforderlichen und dem tatsächlichen Aufwand vor (BFH-Urteile vom 12. Mai 2011 VI R 37/10, BFHE 234, 25, BStBl II 2013, 783; vom 5. Oktober 2011 VI R 20/11, BFH/NV 2012, 38).
29bb) Der Senat hat keinen Zweifel, dass die Teilnahme der Klägerin am Seminar von Frau Dr. C C durch die Krankheit des Pflegesohnes veranlasst war. Dieser Veranlassungszusammenhang fußt ferner auf einer konkreten medizinischen Indikation. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat durch die amtsärztliche Bescheinigung des Kreises T , die ausdrücklich auch die Inanspruchnahme von psychologischen Pflegefamilienberatungen durch die Pflegeeltern als „medizinisch notwendig“ anspricht und die ersichtlich auf die streitgegenständlichen Verhältnisse zugeschnitten ist und auch die Schulung der Klägerin im Seminar von Frau Dr. C C erfasst. Der Senat hat keine Veranlassung an dieser sachkundigen Einschätzung zu zweifeln, zumal auch Herr Dr. I Q in seiner Stellungnahme vom 9. November 2016 hierzu in diesem Sinne Stellung nimmt. Die Schulung der Eltern von frühtraumatisierten Kindern diente danach - i.S. einer die eigentliche Heilbehandlung begleitenden Maßnahme - dazu, diese für die krankheitsbedingten Besonderheiten im täglichen Umgang anzuleiten. Insofern geht die Maßnahme - aufgrund der krankheitsbedingten besonderen Anforderungen - über den allgemeinen Erziehungsauftrag hinaus und ist hiervon zu trennen.
30cc) Mit dieser Einschätzung im Einklang steht auch die (restriktive) Rechtsprechung zum Abzug der Kosten für medizinische Fachliteratur (vgl. BFH-Urteil vom 6. April 1990 III R 60/88, BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958 und vom 24. Oktober 1995 III R 106/93, BFHE 179, 93, BStBl II 1996, 88). Diese spricht kein ausnahmsloses Abzugsverbot für Fachliteratur aus, was § 33 EStG, der eine Prüfung der Zwangsläufigkeit im Einzelfall gebietet, auch nicht gerecht würde. Vielmehr bleibt es dabei, dass sich die Zwangsläufigkeit aus einer - im Streitfall nachgewiesenen - konkreten medizinischen Indikation ergeben kann. In diesem Sinne hat der BFH in seinem Urteil vom 13. Februar 1987 III R 208/81 (BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427) zur Behandlung von Alkoholismus ausgeführt, dass auch die Einbeziehung naher Angehöriger zu einer Krankheitsbehandlung erforderlich sein kann. Dem entspricht es im Übrigen ferner, dass auch Besuchsfahrten naher Angehöriger - die ebenfalls als Aufwendungen anlässlich der Behandlung Dritter gelten gemacht werden - (nur) dann als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sind, wenn es sich um Krankheitskosten, also konkret medizinisch indizierte Aufwendungen handelt (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1984 VI R 158/80, BFHE 140, 556, BStBl II 1984, 484, festhaltend BFH-Beschluss vom 12. Januar 2011 VI B 97/10).
31dd) Dem klägerischen Begehren stehen, anders als der Beklagte meint, auch nicht die formellen Anforderungen des § 64 EStDV entgegen.
32aaa) In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder demErwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch - SGB V -) zu führen, § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 2015 VI R 85/13, BFHE 249, 114, BStBl II 2015, 586). Unter diesen Katalog fällt u.a. eine psychotherapeutische Behandlung (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst b) EStDV).
33Eine solche Behandlung liegt unter den Umständen des Streitfalls nicht vor. Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes sowie der Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist (vgl. § 28 Abs. 1 SGB V). Die streitgegenständlichen Seminare von Frau Dr. C C beinhalteten - mangels Teilnahme der Kinder - schon im Ausgangspunkt keine Heilbehandlung und insofern auch keine psychotherapeutische Behandlung. Vielmehr ging es - wie dargelegt - um die Schulung nichterkrankter Kontaktpersonen von Pflegekindern, um diese in die Lage zu versetzen, mit der Krankheit ihrer Kinder im Alltag heilungsfördernd umzugehen. Die Seminarteilnehmer wurden dabei auch nicht so qualifiziert, dass sie ihrerseits i.S. einer psychotherapeutischen Heilbehandlung auf die Kinder einwirken hätten können und sie sind schließlich auch nicht als ärztliche Hilfspersonen i.R. einer psychotherapeutischen Behandlung anzusehen. Denn Frau Dr. C C verantwortete in keiner Weise, ob oder wie sich die von ihr beratenen und geschulten Eltern gegenüber deren Kindern verhalten würden. Die Eltern waren insofern nicht als Werkzeuge oder Erfüllungsgehilfen von Frau Dr. C C in Behandlung der Kinder anzusehen. Es liegt nach alledem keine dem Arzt zurechenbare mittelbare Behandlung der Kinder vor.
34Ob der Begriff der Heilbehandlung bei psychotherapeutischer Behandlung im Streitjahr noch enger zu fassen war, weil der die Hilfspersonen einbeziehende Verweis in § 28 Abs. 3 Satz 2 SGB V erst ab 23. Juli 2015 anwendbar war (eingefügt durch Gesetz vom 16. Juli 2015, BGBl I 2015, 1211), kann offen bleiben.
35bbb) Auch § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV ist vorliegend nicht einschlägig, da die Pflegefamilienberatung insbesondere nicht als Heilmittel i.S. der §§ 2 und 32 SGB V qualifiziert.
36Heilmittel ist eine ärztlich verordnete Dienstleistung, die einem Heilzweck dient odereinen Heilerfolg sichern soll und nur von entsprechend ausgebildeten, berufspraktisch erfahrenen Personen erbracht werden darf (BFH-Urteil vom 26. Februar 2014 VI R 27/13, BFHE 245, 18, BStBl II 2014, 824, Rn. 14). Auch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilm-RL, anwendbar ab 1. Juli 2011, Bundesanzeiger 2011, Nr. 96, S. 2247) ist Heilmittel eine persönlich zu erbringende medizinische Leistung.
37Danach gelten die obigen Darlegungen zur ärztlichen Heilbehandlung in entsprechender Weise. Eine mittelbare Anwendung des Heilmittels kommt nicht in Betracht.
38ccc) Die formellen Nachweisanforderungen des § 64 EStDV finden mithin im Streitfall keine Anwendung. Eine Ausdehnung auf andere Fälle (zulasten des Steuerpflichtigen) kommt indessen nicht in Betracht (s. auch Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2016 5 K 2714/15, EFG 2016, 1258 zu Pflegeaufwendungen), insbesondere der Katalog in § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV ist abschließend (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 2014 VI R 61/12, BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458). Der Katalog besonderer formeller Anforderungen erfasst nicht alle denkbaren krankheitsbedingten Kosten (vgl. BFH-Urteile vom 19. November 2015 VI R 45/14, BFH/NV 2016, 393; vom 19. November 2015 VI R 42/14, BFH/NV 2016, 739: „in einer Reihe von Fällen“).
39Danach bleibt es im Hinblick auf die Nachweisführung dabei, dass die erforderlichen Feststellungen nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu treffen sind (BFH-Urteile vom 6. Februar 2014 VI R 61/12, BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458 und vom 11. November 2010 VI R 17/09, BFHE 232, 40, BStBl II 2011, 969), mithin bei den obigen Darlegungen zur medizinischen Indikation.
40c) Zur Tragung der durch die Krankheit der Kinder entstandenen Aufwendungen waren die Kläger sittlich verpflichtet.
41Eine sittliche Verpflichtung ist nur dann anzunehmen, wenn nach dem Urteil der Mehrzahl billig und gerecht denkender Mitbürger ein Steuerpflichtiger sich zu einem solchen Verhalten verpflichtet sehen kann. Sittlich zu billigende oder besonders anerkennenswerte Gründe allein reichen nicht aus. Das sittliche Gebot muss vielmehr ähnlich einem Rechtszwang von außen her als eine Forderung oder zumindest eine Erwartung der Gesellschaft in der Weise in Erscheinung treten, dass die Unterlassung Nachteile im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge haben kann (vgl. BFH-Urteile vom 2. Dezember 2004 III R 27/02; vom 15. April 2010 VI R 51/09, BFHE 229, 206, BStBl II 2010, 794)
42Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Es wird nach Ansicht des Senats gesellschaftlich zwingend erwartet, dass - nicht anderweitig erstattungsfähige - Krankheitskosten (jedenfalls in hier eingehaltenem, verhältnismäßigem finanziellen Rahmen) für sämtliche Familienmitglieder, mithin auch für Pflegekinder übernommen werden. Für die gesellschaftliche Anschauung ist dabei weniger maßgebend, ob eine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht oder ob förmlich die Personensorge übertragen worden ist (vgl. insoweit zu § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. BFH, Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BFHE 177, 359, BStBl II 1995, 582). Entscheidend ist vielmehr, dass zwischen den Mitgliedern der Familie der Kläger ein auf Dauer angelegtes enges familiäres Band besteht und dass die Kläger die Obhut und Pflege der Kinder übernommen haben (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Die Pflegekinder der Kläger sind m.a.W. wie leibliche Kinder vollständig in das Familienleben eingegliedert. In einem solchen Fall sind nach der gesellschaftlichen Anschauung Pflegekinder nicht von leiblichen Kindern zu differenzieren, deren medizinisch notwendige Krankheitskosten als zwangsläufige Aufwendungen des Steuerpflichtigen anzusehen sind (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 37/10, BFHE 234, 25, BStBl II 2013, 783).
43Die sittliche Verpflichtung bezieht sich unter den Umständen des Streitfalls auch auf die hier streitigen Aufwendungen für die Seminare bei Frau Dr. C C, da auch diese - wie dargelegt - medizinisch notwendig waren (BFH-Urteil vom 12. Dezember 2002 III R 25/01, BFHE 201, 188, BStBl II 2003, 299). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Kinder selbst über nennenswertes Vermögen verfügt hätten, aus denen die Kosten hätten bestritten werden können (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 2002 III R 25/01, BFHE 201, 188, BStBl II 2003, 299).
44d) Die Aufwendungen verlieren schließlich im Streitfall auch nicht den Charakter der Zwangsläufigkeit, dass die Kläger anderweitige erfolgversprechende Erstattungsmöglichkeiten nicht hinreichend ausgenutzt hätten. Sie haben vielmehr in nachhaltiger und nachprüfbarer Weise versucht, eine solche Erstattung zu erlangen (vgl. FG München, Urteil vom 2. April 2009 5 K 2555/07, Juris). Die Leistungen von Frau Dr. C C wurden zudem auch nicht durch Leistungen auf sozialrechtlicher Grundlage - insbesondere durch Leistungen des Kreises T - abgegolten. Auch eine Anrechnung der von den Klägern auf sozialrechtlicher Grundlage im Pflegeverhältnis erhaltenen Zahlungen kam im Streitfall nicht in Betracht.
45Das war nach der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig. Zur Beseitigung von verbleibenden tatsächlichen Unklarheiten haben sich die Beteiligten hierüber in tatsächlicher Hinsicht verständigt. Daran ist der Senat gebunden.
463. Dem Beklagten wird aufgegeben, die sich nach Berücksichtigung der der Höhenach nicht streitigen Aufwendungen ergebende Einkommensteuer zu berechnen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
474. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte aufgrund § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Eine Revisionszulassung war nicht veranlasst, § 115 Abs. 2 FGO.