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Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, bis wann der Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 des Erbschaft-steuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der für den Streitfall geltenden Fassung gestellt werden kann.
3Dem Kläger sind von seinem Vater, C 2, auf den 10.10.2012 Gesellschaftsanteile unentgeltlich übertragen worden, und zwar an
4- der GmbH & Co. KG 1,
5- der GmbH & Co. KG 2,
6- der GmbH & Co. KG 3,
7- der GmbH & Co. KG 4 und
8- der GmbH 1.
9Der Schenker behielt sich den lebenslangen Nießbrauch an 25 % der auf die übertragenen Mitunternehmeranteile entfallenden Gewinne vor.
10Wegen der Einzelheiten wird auf den privatschriftlichen Anteilsübertragungsvertrag vom 01.10.2012, den Vertrag vom 10.10.2012 (URNr. /2012 des Notars O in A) und die Anzeige des Klägers gemäß § 30 ErbStG vom 12.11.2012 Bezug genommen.
11In der Schenkungsteuererklärung, die der Kläger im März 2013 eingereicht hatte, sind die gemeinen Werte der Anteile wie folgt erklärt:
12- GmbH & Co. KG 1 X Euro
13- GmbH & Co. KG 2 X Euro
14- GmbH & Co. KG 3 X Euro
15- GmbH & Co. KG 4 X Euro.
16Die Quote des Verwaltungsvermögens ist in der Ergänzungsliste zur Schenkungsteuererklärung –Zeilen 40 - 47- wie folgt angegeben:
17- GmbH & Co. KG 1 bis zu 10 %
18- GmbH & Co. KG 2 0 %
19- GmbH & Co. KG 3 0 %
20- GmbH & Co. KG 4 0 %.
21Der Kapitalwert des Nießbrauchs ist mit X Euro berechnet.
22In der „Anlage Steuerentlastung für Unternehmensvermögen (§§ 13a, 13b ErbStG)“ wird in Zeile 14 danach gefragt, ob zu einer vollständigen Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG optiert werde. Es heißt weiter, dass das Wahlrecht unwiderruflich ist und nur einheitlich für das gesamte begünstigte Vermögen ausgeübt werden kann. Für den Fall, dass die Frage bejaht wird, ist in Zeile 15 „ja“ anzukreuzen und eine schriftliche Erklärung nach § 13a Abs. 8 ErbStG beizufügen. Es ist weder „ja“ angekreuzt noch fügte der Kläger einen Antrag auf vollständige Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG bei.
23Dementsprechend gewährte der Beklagte im Schenkungsteuerbescheid vom 11.12.2013 einen Verschonungsabschlag in Höhe von 85 Prozent für die übertragenen Kommanditbeteiligungen. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) und enthielt einen Vorläufigkeitsvermerk mit folgendem Wortlaut:
24„Die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vorläufig. Entsprechendes gilt für Festsetzungen nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 01. Januar 2009 entstandener Erbschaftsteuer, in denen die Anwendung des ab 2009 geltenden Rechts beantragt wurde (Art. 3 Erbschaftsteuerreformgesetz vom 24. Dezember 2008). Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz als verfassungswidrig angesehen wird. Sollte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher insoweit nicht erforderlich.“
25Der Beklagte änderte aus hier nicht streitigen Gründen den Schenkungsteuerbescheid und setzte die Schenkungsteuer auf X Euro fest. Der Bescheid erging weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Er enthielt einen Vorläufigkeitsvermerk, der dem bisher dem Bescheid beigefügten Vorläufigkeitsvermerk wörtlich entsprach. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 24.02.2014 Bezug genommen.
26Der Beklagte änderte den Schenkungsteuerbescheid sodann erneut, ebenfalls aus hier nicht streitigen Gründen und setzte die Schenkungsteuer auf X Euro herab. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob er auf. Der Bescheid enthielt weiterhin einen Vorläufigkeitsvermerk, der dem bisher dem Bescheid beigefügten Vorläufigkeitsvermerk wörtlich entsprach. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 16.04.2014 Bezug genommen.
27Das Finanzamt L stellte den Wert der Anteile mit Bescheiden vom 09.01.2014 bzw. 22.03.2016 gesondert wie folgt fest:
28- GmbH & Co. KG 1 X Euro
29- GmbH & Co. KG 2 X Euro
30- GmbH & Co. KG 3 X Euro
31- GmbH & Co. KG 4 – wie erklärt - … X Euro.
32Der Wert des Verwaltungsvermögens wurde für alle vier Gesellschaften auf 0 Euro festgestellt.
33Der Beklagte änderte die Steuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung der vom Finanzamt L mitgeteilten Werte auf X Euro fest. Der Bescheid ist weiterhin vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO. Der Vorläufigkeitsvermerk lautet nunmehr:
34„Die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 AO im Hinblick auf die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 – (BStBl 2015 II S. 50) angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung in vollem Umfang vorläufig. Sollte aufgrund der gesetzlichen Neuregelung dieser Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen.“
35Wegen der Einzelheiten wird auf den Schenkungsteuerbescheid vom 10.05.2016 Bezug genommen.
36Der Kläger legte Einspruch ein und beantragte die vollständige Steuerbefreiung für Betriebsvermögen gemäß § 13a Abs. 8 ErbStG. Durch den Vorläufigkeitsvermerk könne der Antrag auf Optionsverschonung noch gestellt werden. Soweit die Steuer nach § 165 AO vorläufig festgesetzt sei, trete nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine materielle Bestandskraft ein. Da die Steuer hier in vollem Umfang vorläufig festgesetzt worden sei, sei seinem Antrag auf Vollverschonung zu entsprechen. Seine Auffassung entspreche im Übrigen der von der Oberfinanzdirektion Karlsruhe in der Verfügung vom 07.08.2014 vertretenen Rechtsauffassung.
37Der Beklagte vertrat die Auffassung, dass eine fehlerbeseitigende Korrektur nur im Rahmen des § 177 AO möglich sei, da der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden sei. Er änderte den Bescheid und setzte die Schenkungsteuer auf X Euro fest. Unter Bemerkungen wird im Bescheid ausgeführt: „Für die aufgrund der Feststellungsbescheide vom 22.03.2016 für die GmbH & Co KG 3 und die GmbH & Co. KG 2 festgestellten Mehrbeträge wird aufgrund der punktuellen Durchbrechung der Bestandskraft im Rahme des § 177 AO die Optionsverschonung gewährt.“ Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 19.10.2016 Bezug genommen.
38Nach vorheriger Anhörung wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er an, der Antrag auf Vollverschonung könne nur bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft gestellt werden. Auf der Grundlage des Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 AO könne die Vollverschonung nicht nachträglich gewährt werden. Denn nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO könne eine Steuerfestsetzung nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Vorläufigkeitsvermerk reiche. Der Vorläufigkeitsvermerk solle allein eine Anpassung der Steuerfestsetzung an die zukünftige Rechtslage ermöglichen. Nicht bezweckt sei eine Änderung aufgrund eines Antrags, welcher sich auf das gegenwärtige Recht beziehe.
39Auch nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sei eine nachträgliche Stellung des Antrags auf Optionsverschonung nicht zulässig, da die Höhe des Verwaltungsvermögens unverändert mit 0 Euro festgestellt sei.
40Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 27.03.2018 Bezug genommen.
41Mit der dagegen gerichteten Klage vertieft der Kläger sein Vorbringen. Er hebt hervor, dass der Vorläufigkeitsvermerk nicht nur einen Teilbereich der Steuerfestsetzung, sondern die Steuerfestsetzung in vollem Umfang betreffe. Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe habe dementsprechend klargestellt, dass der Vorläufigkeitsvermerk die Option zur Vollverschonung „offen halte“ und dass es insoweit keines Einspruchs gegen die Steuerfestsetzung bedürfe. Die Vorläufigkeit ende erst mit Eintritt der Festsetzungsverjährung, wobei hier die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 8 Satz 2 AO nicht vor Ablauf von zwei Jahren ende, nachdem die Ungewissheit beseitigt sei und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erlangt habe. Der Antrag sei auch fristgerecht gestellt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klagebegründung vom 20.04.2018 Bezug genommen.
42Der hier zu entscheidende Sachverhalt unterscheide sich von dem Sachverhalt, der dem Urteil des FG Münster vom 14.02.2018 (3 K 565/17 Erb, EFG 2018, 756) zugrunde gelegen habe. Anders als in dem entschiedenen Fall sei hier ein geänderter Grundlagenbescheid ergangen, der zu einer Änderung des Schenkungsteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geführt habe. Diese Vorschrift, und subsidiär zu dieser Vorschrift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, führe zu einer Durchbrechung der materiellen Bestandskraft und subsidiär zu dieser Vorschrift § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO.
43Hilfsweise sei ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO anzunehmen, was ebenfalls zur Durchbrechung der materiellen Bestandskraft führe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 27.08.2018 Bezug genommen.
44Der Kläger beantragt,
45die Schenkungsteuerbescheide vom 11.12.2013, geändert am 24.02.2014, 16.04.2014, 10.05.2016 und 19.10.2016, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.03.2018 zu ändern und die Schenkungsteuer unter Berücksichtigung des Antrags nach § 13a Abs. 8 ErbStG in der für den Streitfall geltenden Fassung auf 0 Euro herabzusetzen,
46hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
47Der Beklagte beantragt,
48die Klage abzuweisen,
49hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
50Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Außerdem verweist er auf die Ausführungen im Urteil des FG Münster vom 14.02.2018 (3 K 565/17 Erb).
51Der Senat hat die Sache am 13.09.2018 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
52E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
53Die Klage ist unbegründet.
54Die Schenkungsteuerbescheide vom 11.12.2013, geändert am 24.02.2014, 16.04.2014, 10.05.2016 und 19.10.2016 sowie die Einspruchsentscheidung vom 27.03.2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO). Die Schenkungsteuerfestsetzung war nicht aufgrund des Antrags auf Vollverschonung zu ändern.
55I. Gemäß § 13a Abs. 1 in Verbindung mit § 13b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 ErbStG in der für den Streitfall geltenden Fassung wird für Mitunternehmeranteile ein Verschonungsabschlag in Höhe von 85 Prozent gewährt. Nach § 13a Abs. 8 ErbStG in der für den Streitfall geltenden Fassung kann der Erwerber durch unwiderrufliche Erklärung eine Vollverschonung – d. h. die 100 prozentige Freistellung des erworbenen Mitunternehmeranteils – wählen. Die Vollverschonung wird nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG nur gewährt, wenn das erworbene Betriebsvermögen höchstens zu 10 Prozent aus Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG besteht. Zudem darf die Summe der jährlichen Lohnsummen über einen Zeitraum von sieben Jahren nach dem Erwerb 700 Prozent der Ausgangslohnsumme nicht unterschreiten (§ 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG). Die Behaltensfrist für das begünstigt erworbene Vermögen beträgt sieben Jahre (§ 13a Abs. 8 Nr. 2 ErbStG).
561. Das Gesetz regelt nicht, bis wann der Erwerber den Antrag auf Vollverschonung stellen kann. Insbesondere ergibt sich aus dem Gesetz nicht, ob die Steuerfestsetzung im Falle eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. 3 AO geändert werden kann. Auch die Gesetzesbegründung verhält sich zu dieser Frage nicht. Dort heißt es lediglich, dass der Erwerber die Erklärung bis zur (formellen) Bestandskraft der Steuerfestsetzung abgeben kann (BT-Drs. 16/11107, Seite 10).
57Dementsprechend werden zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten:
58a) Nachdem die Finanzverwaltung zunächst einen Antrag bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der Festsetzung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer für erforderlich hielt (vgl. Abschnitt 17 Abs. 2 Satz 2 der gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer-
59und Bewertungsrechts vom 25.06.2009), vertritt sie in den Erbschaftsteuerrichtlinien 2012 die Auffassung, dass der Erwerber den Antrag grundsätzlich bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft der Festsetzung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer stellen kann (vgl. R E 13a.13 Abs. 2 Satz 2). Dabei bleibt offen, wann ein Bescheid materiell bestandskräftig wird.
60Nach Auffassung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe eröffnet ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, auch noch nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung einen Antrag auf Vollverschonung zu stellen (Verfügung vom 07.08.2014, S381.2a/50 – St 341 und S033.8/48 – St 311). Dagegen ergibt sich nach Auffassung des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen aus einem solchen Vorläufigkeitsvermerk keine Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO (Verfügungen vom 24.07. und 25.08.2015, S 3812a – 105 – V A 6).
61b) Auch in der Literatur wird teilweise angenommen, dass ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AO dem Steuerpflichtigen ermögliche, nachträglich einen Antrag auf Optionsverschonung zu stellen (Stalleiken in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13a Rn. 252; Weinmann in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 13a Rn. 242). Andere Literaturstimmen äußern sich zu dieser Lösung eher zurückhaltend (Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, November 2016 EL 51, § 13a Rn. 518 „Hilfsbrücke“).
62c) Nach Auffassung des Senats liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung im vorliegenden Fall nicht vor. Da das Gesetz nicht regelt, bis wann ein Antrag auf Vollverschonung zu stellen ist, richtet sich diese Frage nach den allgemeinen Grundsätzen.
63Die Voraussetzungen für eine Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO liegen nicht vor. Gemäß § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde die Festsetzung aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat. Nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären, wenn die Ungewissheit beseitigt ist.
64Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO sind nach Art und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit wirksam gesteckten Rahmen zulässig (BFH, Urteil vom 20.11.2012 IX R 7/11, BStBl II 2013, 359, Rn. 25). Im Zweifelsfall ist der Umfang der Vorläufigkeit durch Auslegung zu ermitteln (BFH, Urteil vom 06.03.1992 III R 47/91, BFHE 167, 290, BStBl II 1992, 588, Rn. 24). Entscheidend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen – seinem „objektiven Verständnishorizont" – den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf (BFH, Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl II 1997, 791, Rn. 14).
65Ist ungewiss, ob eine Norm verfassungsgemäß ist, hat der hierauf abhebende Vorläufigkeitsvermerk im Zweifel zur Folge, dass alle sachlich zusammenhängenden („kohärenten“), d. h. zu einem bestimmten Regelungskomplex gehörenden Rechtsfolgen offengehalten werden sollen (BFH, Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BStBl. II 1997, 791, Rn. 17). Nach dem Urteil des BFH vom 12.07.1991 (III R 23/88, BFH/NV 1992, 172, Rn. 28 ff.) ist ein Vorläufigkeitsvermerk in einem Einkommensteuerbescheid eines Alleinerziehenden, welcher mit Blick auf eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Alleinstehenden mit Kindern (Urteil vom 03.11.1982 1 BvR 620/78 u.a., BStBl. II 1982, 717) aufgenommen wurde (Wortlaut des Vermerks: „Der Bescheid ist aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1982 vorläufig, soweit es sich um die Berücksichtigung von Kindern unter 18 […] Jahren handelt“) nicht auf Tatsachen betreffend einen bestimmten Rechtsgrund, wie z. B. den Grundfreibetrag oder Kinderfreibeträge, beschränkt, sondern so weit gefasst, dass die Bestandskraft hinsichtlich aller Minderungen der steuerlichen Leistungsfähigkeit durchbrochen ist, die im weitesten Sinne mit dem Kind des Steuerpflichtigen zusammenhängen.
66Im Streitfall ergibt sich aus dem gewählten Vorläufigkeitsvermerk hinreichend klar, dass der Beklagte die Bestandskraft nur für den Fall offen halten wollte, dass sich die für den Streitfall geltende Rechtslage aufgrund einer Entscheidung des BVerfG ändert. Die Durchbrechung der Bestandskraft galt demnach nur für eine etwaige gesetzliche Neureglung. Denn der Vermerk nimmt ausdrücklich auf, dass „die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) … gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vorläufig (ist). … Die Vorläufigkeitserklärung erfolgt lediglich aus verfahrenstechnischen Gründen. Sie ist nicht dahin zu verstehen, dass das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz als verfassungswidrig angesehen wird. Sollte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts diese Steuerfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen; ein Einspruch ist daher insoweit nicht erforderlich.“
67Demnach war die Bestandskraft nicht auch für einen Antrag auf Vollverschonung durchbrochen, da dieser Antrag gerade nicht auf der gesetzlichen Neuregelung, sondern auf dem geltenden Recht basierte.
68Würde die Auffassung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe zutreffen und der Vorläufigkeitsvermerk auch einen Antrag auf Vollverschonung erfassen, so hätte dies konsequenterweise zur Folge, dass sämtliche Steuerfestsetzungen mit diesem Vorläufigkeitsvermerk insgesamt – also auch hinsichtlich etwaiger Rechtsfehler in anderen Bereichen des Erbschaftsteuerrechts – offen gehalten würden. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum die Durchbrechung der Bestandskraft nur für den Antrag auf Vollverschonung und nicht auch für andere Besteuerungsmerkmale gelten sollte. Ein solches Verständnis des Vorläufigkeitsvermerks war – auch nach dem „objektiven Empfängerhorizont“ – ersichtlich nicht gewollt.
692. Entgegen der Auffassung des Klägers wird die materielle Bestandskraft auch nicht nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO oder § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO durchbrochen.
70a) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, wenn ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
71Die nachträglich bekanntgewordene Tatsache im Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfordert die nachträgliche Kenntnis von einem bei Erlass des Bescheids bereits gegebenen Sachverhalt, der zudem auf den Regelungsgehalt des ergangenen Bescheids in der Weise einwirken muss, dass er entweder zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung oder zu einer günstigeren (regelmäßig: niedrigeren) Feststellung einer quantifizierbaren Besteuerungsgrundlage führt. Demgegenüber ist für ein Ereignis, das im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat, kennzeichnend, dass der in Frage stehende rechtlich bedeutsame Vorgang (einschließlich tatsächlicher Lebensvorgänge) erst nach Erlass des zu ändernden Bescheids eingetreten ist und ihm nach dem einschlägigen materiellen Recht eine rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt (vgl. u. a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897; BFH-Urteile vom 06.03.2003 XI R 13/02, BStBl II 2003, 554; vom 21.04.1988 IV R 215/85, BStBl II 1988, 863; vom 19.03.2009 IV R 20/08, BStBl II 2010, 528). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt (BFH-Urteile vom 18.10.2000 II R 46/98, BFH/NV 2001, 420; vom 22.09.2010 II R 54/09, BStBl II 2011, 219).
72Die Feststellung von Wertansätzen, im Streitfall das Nichtüberschreiten der 10 % -Grenze, ist kein solches Ereignis. Insbesondere ist der der Feststellung zugrundeliegende tatsächliche Lebensvorgang bereits eingetreten.
73Soweit sich der Kläger für seine Auffassung auf das Urteil des BFH vom 22.09.2010 (II R 54/09, BStBl II 2011, 219) beruft, folgt dem der Senat nicht. Die nach Eintritt der Bestandskraft des deutschen Schenkungsteuerbescheids erfolgte Zahlung einer nach § 21 Abs. 1 ErbStG anrechenbaren ausländischen Steuer stellt nach dieser Entscheidung ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Dies ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von § 21 ErbStG, folge aber aus seinem materiell-rechtlichen Regelungsgehalt. Einen Willen des Gesetzgebers, dass der Antrag auf Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG noch nach Eintritt der materiellen Bestandskraft der Schenkungsteuerfestsetzung gestellt werden kann, vermag der Senat aber nicht zu erkennen.
74b) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird.
75Der Senat kann offen lassen, ob § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO einschlägig in den Fällen ist, in denen sich die Verwaltungsvermögensquote im Änderungsbescheid gegenüber dem ursprünglich ergangenen Feststellungsbescheid hinsichtlich des Unter- bzw. Überschreitens der 10 %-Grenze ändert. Denn eine solche Änderung liegt im Streitfall nicht vor, die Verwaltungsvermögensquote betrug für alle Gesellschaften im Ursprungsbescheid jeweils 0% und im Änderungsbescheid jeweils 0%. Zu beachten ist, worauf der Beklagte zutreffend hinweist, § 351 Abs. 1 AO. Danach können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angefochten werden, als die Änderung reicht, es sei denn, aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten ergibt sich etwas anderes.
76Eine Änderung der Antrags- oder Wahlrechtsausübung ist nur dann möglich, wenn die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlässt. § 351 Abs. 1 AO begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheids auf den Umfang der Änderung und stellt damit klar, dass es im Übrigen bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft bleibt. Auf die Urteile des BFH zu den zeitlichen Grenzen für die Ausübung oder Änderung von Antrags- oder Wahlrechten wird hingewiesen (u. a. Urteile vom 26.04.2018 III R 12/17, zitiert nach juris; vom 09.12.2015 X R 56/13, BStBl II 2016,967; vom 27.10.2015 X R 44/13, BStBl II 2016, 278).
773. Der Senat verkennt nicht die Schwierigkeiten für den Steuerpflichtigen, die mit der Stellung des Antrags auf Optionsverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG verbunden sind. Er verkennt auch nicht, dass der Steuerpflichtige den Antrag u. a. erst dann stellen möchte, wenn die Verwaltungsvermögensquote endgültig feststeht. Diesem Bedürfnis kann aber dadurch Rechnung getragen werden, dass der Steuerpflichtige die Schenkungsteuerfestsetzung materiell-rechtlich nicht bestandskräftig werden lässt. Dies erreicht er durch Einlegung eines Einspruchs gegen die Schenkungsteuerfestsetzung, und, falls die Finanzbehörde den Einspruch nicht formell oder faktisch ruhen lässt, bis über die Verwaltungsvermögensquote endgültig entschieden ist, durch Einlegung einer Klage gegen die Schenkungsteuerfestsetzung.
78III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
79Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
80Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 AO. Denn mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016 (BGBl I 2016, 2464) am 01.07.2016 ist der Anlass für eine vorläufige Steuerfestsetzung entfallen. Auch der Umstand, dass mehrere Steuerpflichtige von einer vorläufigen Steuerfestsetzung betroffen waren, führt nicht allein zum Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung (vgl. BFH-Beschluss vom 06.11.1995 III B 78/95, BFH/NV 1996, 378).
81Die Revision war auch nicht zur Fortbildung des Rechts im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Fall FGO zuzulassen. Eine Zulassung zur Fortbildung des Rechts ist erforderlich, wenn über eine bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfrage zu entscheiden ist, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen sind (vgl. Ratschow in Gräber, FGO, Kommentar, 8. Auflage 2015, § 115 Rn 41 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Die rechtlichen Fragen betreffen nur Steuerfestsetzungen, die aus verfassungsrechtlichen Gründen für vorläufig erklärt worden sind, der Anlass für eine vorläufige Festsetzung ist aber ab dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG vom 04.11.2016 (BGBl I 2016, 2464) entfallen.
82Die Rechtssache erfordert auch nicht die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 2. Fall FGO. Denn der Senat weicht nicht von einer Gerichtsentscheidung eines anderen FG ab. Dass Finanzbehörden unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten, reicht nicht aus (vgl. BFH-Beschluss vom 17.02.2009 IX B 168/08, BFH/NV 2009, 896.